SISSY zweiundzwanzig — Magazin für den nicht-heterosexuellen Film

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rative in Frage gestellt werden. Und dies will ich, eben weil Film Begehrensgeschichten sichtbar und möglich macht und für diese und für sich viel mehr Fantasie übrig haben sollte. Queerer Film ist auch der Film, der Lust macht, über Kino und Begehren nachzudenken und zu sprechen. Und queeres Kino ist zudem ein Ort der Kritik. Gerade darum sollte rund um queere Filmprogramme die Diskussion über Film ernst genommen und gepflegt werden. Es gibt im Vorfeld der Berlinale eine Kategorisierung der Filme, die erklärt, welche Filme ich als lesbische Filme zu lesen habe – und diese lässt wenig Platz für Filme, die von Begehren erzählen, ohne dies an klaren Identitätszuschreibungen festzumachen. Paradoxerweise kann ich die Kritik am Fehlen bestimmter Filme verstehen, kann aber gleichzeitig mit der Kategorisierung der Filme selbst wenig anfangen. Wenn der Teddy wirklich ein queerer Filmpreis sein möchte, dann sollte er ganz auf eine kleinteilige Einteilung nach Kategorien verzichten, die Identitäten festsetzen und diese sogar noch hierarchisieren: hier bedeuten kleines „l“ – bisschen (?) lesbisch, großes „L“ – sehr (?) lesbisch. Dabei werden queer (q) und Queer (Q) hier schon per se von l und L getrennt, denn sie sind eigenständige Kategorien, und auch dies will ich überdacht wissen. Begehren und Identitäten sollten im queeren Film(programm) so kompliziert, besser: komplex, bleiben, wie sie sind, weil Vereinfachungen in diesem Bereich für einige vielleicht repräsentativ sind, für andere dagegen schmerzhaft. Zuschauer_innen wie Programmmacher_innen sollten sich trauen, sich vielmehr an der Bewegung der Filme zu orientieren als an ihrer Oberfläche. Das könnte, so meine Hoffnung, die Liste der Filme, die zum Teddy dazugezählt werden, vielleicht noch einmal erweitern. Unter dem Label eines queeren Filmpreises sollten Filme zusammenkommen, die einerseits nicht-heteronormatives Begehren zeigen, wecken oder einfach thematisieren, und die zudem nach ästhetischen, formalen Möglichkeiten suchen und ausprobieren, sich zu positionieren gegen Rassismus, Sexismus, Homo- und Transphobie, Klassismus. Es schwingt in der Aussage, Frauen sollten einfach mehr Filme machen, auch die Position derjenigen mit, die bereits mehr Filme machen und für die dies eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint, die damit Privilegien ausblendet. Keine Filme zu machen bzw. nicht auf der Berlinale gezeigt zu werden, wird durch diese Aussage von einem strukturellen Problem weggewiesen hin zu einem individuellen Problem der Produktivität. Das macht für die Diskussion eines queeren Filmprogramms schlicht kei20     SISSY 22

nen Sinn. Queere Filmprogramme sind auch aus Positionen der Kritik an heteronormativen Strukturen hervorgegangen und daraus, sich zusammenzuschließen und Gefühlen von individueller Verantwortung für die Möglichkeiten von Glück in kapitalistischen, sexistischen, homophoben, transphoben, rassistischen Zeiten, Räumen, Narrativen die Dominanz zu nehmen. Sie sollten Orte des Streits, der Auseinandersetzung und der Kritik bleiben und werden, um sich solchen Strukturen weiter zu widersetzen. Natascha Frankenberg ist Medienwissenschaftlerin und arbeitet derzeit am Helene-Lange-Kolleg „Queer Studies und Intermedialität: Kunst – Musik – Medienkultur“ der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. Für das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund | Köln hat sie unter anderem als Programmverantwortliche der Sektion „begehrt!“ gearbeitet.

LEINWANDLESBE ALS DISKURSFIGUR

W

as waren eigentlich die letzten Lesbenfilme im Kino? Und wo waren sie zu sehen? Zugegebenermaßen bin ich bekennende Festivalgängerin und schaue viel bei der Berlinale, beim heimischen Filmfest Hamburg und den Lesbisch Schwulen Filmtagen Hamburg, oder auswärts in Wien und Amsterdam. Aber ich gehe einfach auch gern ins Kino. Und was bekommt man da geboten an lesbisch-queerer (lesbisch/Q*) Kost? Die gute Nachricht: Es gibt sie, die lesbisch/Q*-Charaktere und Storys. Die schlechte Nachricht: selten oder versteckt im regulären Kinoprogramm und selten von Regisseurinnen. Der größte Kinoerfolg mit lesbisch/Q*Plot seit Lisa Cholodenkos The Kids Are All Right (2010) war jüngst der französische Arthouse-Film Blau ist eine warme Farbe. An diesem Film kam im letzten Jahr praktisch niemand vorbei. Er erhielt die Palme d’Or, die höchste Auszeichnung beim Filmfestival in Cannes 2013, Regisseur Abdellatif Kechiche und seine beiden Hauptdarstellerinnen Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos wurden von der Jury hervorgehoben, selbst die deutschen Fernsehnachrichten berichteten davon. Natürlich passte das auch gerade gut zum Thema der konservativen Diskussionen zur Einführung der französischen Homoehe. Außerdem erhitzte die wohl längste explizite lesbische Sexszene jenseits von Pornografie die Gemüter. Einige waren schockiert, andere fanden sie komplett unglaubwürdig. In jedem Fall ist sie jedoch so gedreht und geschnitten, dass sie aus dem restlichen (drei­stündigen!) Film heraussticht, ja sogar

„Hight Art“ von Lisa Cholodenko

herausfällt. Während die Kamera im gesamten Film sehr dicht an den Hauptfiguren ist und so eine eindringliche Nähe erzeugt, sehen die Bilder in der Sexszene eher distanziert, kühl, bisweilen klinisch aus. Einige haben das als männlichen Blick auf weibliche explizite Sexualität abgetan. Aber das ist wohl als Erklärungsmuster zu einfach, wenn der gleiche Regisseur es schafft, im restlichen Film eine knisternde Chemie und Intimität zwischen den Charakteren aufzubauen. Warum die Szene dann so herausfällt, ist unklar – ist es nur ein billiger ArthouseTrick des vermeintlichen Tabubruchs, ein provozierter Skandal oder Unentschlossenheit? Sei es wie es sei. Viele Leute haben – auch wegen der Skandale drumherum – von dem Film gehört, darüber gelesen und ihn im Kino gesehen. Andere Filme hatten es da mit der Aufmerksamkeit nicht so leicht. Da gab es in den letzten Jahren einige ArthouseFilme mit lesbischen Storys oder zumindest weiblicher Intimität. Zu nennen wären hier Cristian Mungius Jenseits der Hügel (2012) oder Denis Côtés Vic + Flo haben einen Bären gesehen (2013). Das Interessante an diesen Arthouse-Filmen (von männlichen Auteurs): Sie wollen eine universelle, humanistische Geschichte erzählen. Dass es lesbische Pärchen sind, die im Zentrum stehen, scheint nebensächlich. Zumindest geht es nicht um ein Coming-Out und Selbsterkenntnis; über dieses Stadium sind wir hinaus und das ist ja auch gut so. Es sind spannende Filme, es fragt sich nur, warum es jeweils lesbische Paare sind, die für tragische, außergewöhnliche Strukturen einstehen. In Jenseits der Hügel versucht Alina, die nun in Deutschland lebt, Voichita, ihre Jugendliebe aus der gemeinsamen Zeit im Waisenheim, aus dem Klosterleben zu retten – mit tragischem Ausgang. Die Frauenliebe steht hier ein für


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