SISSY sechzehn — Homosexual’s Film Quarterly

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Ausgabe sechzehn · Dezember 2012 bis Februar 2013 · kostenlos

s Mindfuck: Kino der bösen Gedanken  s Eine Scheibe Leben: Reusen-Flicken in Brandenburg  s Schwedenurlaub: Schnell noch eine rauchen s Kardiologie: Mahler im Auto  s A Capella: Das Weib bei der Psychoanalyse  s Poolboy: Flaschenpost des Punk  s Unwirkliche Eisschollen: Keine aufdringliche Romantik  s Web-2.0-Mashup: Kult für bare Münze  s Glühwürmchen: Pinkeln in den Fluss der Bilder  s Schießübungen: Kino für ältere Herren  s Kriegerin: Die Vielfalt aller Frauen  s Leichte Mädchen: Aus dem Leben tanzen  s Tiefparterre: Gräulichstes Bademäntelchen der Filmgeschichte  s Tomatenbrot: Komm! Schreib!  s Eine Kugel Fröhlichkeit: „Und dann bin ich weg“


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vorspann

Sissy sechzehn Im Januar starten wieder die L-Filmnacht und die Gay-Filmnacht. Film­events für das nicht-heterosexuelle Kino. Das klingt etwas großspurig, ist aber bitter nötig. Da momentan bis zu 16 Filme in der Woche starten, kann man sich vorstellen, wie viele Leinwände da frei bleiben für kleinere Filme, bei denen nur mit einem Nischenpublikum gerechnet wird. Wie viele Zeilen im Feuilleton der Tageszeitungen am Kinostarttag. Wie viele Sendeminuten in den wenigen TV-Kinomagazinen. Bei Filmen wie Keep The Lights On (bisher 12 Kinos) oder Dicke Mädchen (überraschende 16 Kinos) kann man durchaus noch von Kinostarts sprechen. Angesichts der 7 Kinos für Leave It On The Floor oder den 3 Kinos für einen tollen Film wie Detlef sieht die Realität schon anders aus. Auf DVD ist das natürlich alles verfügbar, aber das Erlebnis eines gemeinschaftlichen Sehens und einer größeren anschließenden Diskussion fällt da aus. Wenn die L- und die Gay-Filmnächte im Januar wieder anlaufen, sind jeweils 20 Kinos dabei: Multiplexe, Programmkinos, kommunale Kinos. Lauter Fans des queeren Kinos oder auch einfach nur Menschen, die einen schönen Abend verbringen wollen, treffen sich einmal im Monat zur gleichen Zeit am gleichen Ort – in einem Kino in ihrer Nähe. Die lokalen Szenen sind involviert. Nicht selten werden Veranstaltungen moderiert, vielleicht kommt mal eine Filmemacherin vorbei oder ein Schauspieler, der sich gerade dort aufhält. Damit passiert eine Menge für das queere Kino hierzulande, für das sich zusätzlich die queeren Festivals Germain und Jeanne im Ozon-Kino („In ihrem Haus“, Seite 6) bemühen und einige Initiativen, die schon seit Längerem Filmreihen machen – wie homochrom in NRW, MonGay in Berlin und München, Rollenwechsel in Oldenburg, Queerblick in Leipzig, OGays in Offenburg, queer gefilmt in Trier, Verdammt anders in Darmstadt, um nur einige zu nennen. All diesen Initiativen ist es zu verdanken, dass das queere Filmangebot nicht nur mit respektabler Breitenwirkung stattfindet, sondern auch zu einem sozialen Erlebnis im Kino werden kann.

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Und nur so bleibt es sinnvoll, in der SISSY die Kinostarts größer zu besprechen. Über Filme zu diskutieren, die keiner sehen kann, macht nur halb so viel Spaß. Auf den kommenden Seiten erfahrt Ihr also alles über die nächsten L- und Gay-Filmnächte (mit Yossi, Küss mich, Westerland und Frauensee) und über den Rest des aktuellen queeren Filmangebots, das wunderbarerweise immer noch auch auf Leinwänden stattfindet.

Wenn Sie SISSY kostenlos abonnieren möchten: E-Mail an abo@sissymag.de 3


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Elfi Mikesch, Filmemacherin und Kamerafrau

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elfi mikesch

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Antikörperbildung von Pau l Sch u l z

François Ozons wunderbarer neuer Film „In ihrem Haus“ bringt Paul Schulz dazu, sich an einen zwölf Jahre zurück liegenden Wutausbruch zu erinnern und sich vielleicht mit „dem Kino der bösen Gedanken“ zu versöhnen.

s Wir beginnen mit der Betrachtung des Publikums, das gleichzeitig auch der Autor der erzählten Geschichte ist. Aufblende: Der dunkle Saal des Kino International in der Nähe des Berliner Alexanderplatzes. Das Jahr 2000. Es läuft der Abspann von François Ozons Tropfen auf heiße Steine, dem die Jury des Teddy, des wichtigsten schwullesbischen Filmpreises der Welt, zwei Tage vorher ihren Hauptpreis zuerkannt hatte. Die Leinwand leuchtet in die Gesichter eines milde amüsierten Publikums. Als die Lichter im Saal angehen, applaudieren viele Menschen beflissen. Aus dem Gemurmel des Publikums sind Sätze wie „Formal brillant“, „Anna Thomson just rules“, und „Schön bunt“ zu vernehmen. Eine einzelne Figur in der vorletzten Reihe des Saals, die eine dunkelblaue Seemannsjoppe trägt, steht auf und buht, laut und lange, während ein offensichtlich peinlich berührter Mann auf dem Platz links von ihr versucht, seinen Begleiter erst an einem und dann an beiden Ärmeln seiner Jacke wieder in eine sitzende Haltung zu befördern. Nach cirka 20 Sekunden, schleudert der Buher dem sich inzwischen erstaunt und belustigt umdrehenden Publikum: „Anderthalb Stunden Selbsthass mit Tanzeinlage. Was für ein Dreck!“, entgegen, lässt seinen inzwischen tiefroten Freund sitzen und drängt sich, die Tür knallend, aus dem Saal. Die Tür des International ist ganz schön groß und sehr schwer. Ich war sehr wütend. Und bleibe bei meinem Urteil über Ozons 6

internationalen Durchbruch, auch wenn mich viele, viele Menschen in den letzten zwölf Jahren vom Gegenteil zu überzeugen versucht haben: Tropfen auf heiße Steine ist ein furchtbarer Film. Nicht weil er handwerklich schlecht wäre, das Gegenteil ist der Fall, sondern weil Ozon eine so offensichtliche und diebische Freude daran hat, wie elend die Figuren in dem Fassbinder-Drehbuch andere und sich selbst behandeln. Der ganze Film strahlt nicht nur optisch, sondern auch inhaltlich den Muff der frühen sechziger Jahre aus. Wenn es einem nicht gelingt, das camp zu finden und so zu ironisieren, weil es die erste Begegnung mit Ozon ist und man etwas anderes erwartet, trifft einen diese Geisteshaltung mit voller Wucht. Ich war jung und brauchte die Welt. Monsieur hatte mich stattdessen 90 Minuten mit Postmoderne beworfen. Das kann einen schon mal wütend machen. Inzwischen habe ich gelernt, mich an der technischen Finesse, mit der Ozon inszeniert, auch zu freuen. Aber dass ich mit ihm warm geworden bin, kann ich nicht behaupten. Wie auch? Der Meister liebt seine Filme und seine Geschichten, steht aber immer mit drei Schritten Abstand vor seinen Figuren, die Mittel zu seinem Zweck sind, lebensgroße Puppen, aber nie wirklich aus Fleisch und Blut. Dafür sind sie immer ein bisschen zu tragisch oder zu albern, zu weiblich oder zu männlich, zu spießig oder zu ausgeflippt. Das macht nichts und kann sehr schön sein.

Aber man muss das wissen, wenn man einen Film von Ozon sieht. Seins ist ein Kino, das in den Köpfen seines Publikums stattfindet und dort hübsche Bezugs-Feuerwerke abfackeln kann, aber, selbst wenn es über Sex oder Liebe redet, nie unterhalb der Halskrause ankommt. Ozons sind Antikörperfilme. Glück, das kann er nicht. Willenloses Begehren, das ist schwierig. Man kann darüber lachen oder darüber nachdenken, ja, aber echte Hingabe: ein Graus. Denn wollte er das erzählen, er müsste sich als Filmemacher dabei zu etwas bekennen. Dem, was er wirklich will und dem, was ihn selbst anfasst. Und das will er ums Verrecken nicht. Denn dabei könnte er ja die Kontrolle über sich oder seine Figuren verlieren. Es ist ein wenig wie bei Hitchcock: Bei Ozon geht es um Bilder, um Muster, um Puzzle, um Gedanken, darum, originell oder geistreich zu sein, um die Gesellschaft, um rothaarige, drahtige Jungenideale, aber es geht nie um Menschen. Selbst in Die Zeit die bleibt, einem Film darüber, wie jemand stirbt, schafft er es nicht, an den Körper des Todgeweihten wirklich heranzukommen und lässt die Figur sich zum Schluss einfach in Licht auflösen, damit er sich nicht um eine Leiche kümmern muss. Das Verschwinden des Körpers als Erlösung. Etwas, dass er auch schon in Unter dem Sand tut. Andreas Dresens Halt auf freier Strecke beispielsweise muss in seiner ungebremsten und direkten Emotionalität und Körperlichkeit unerträglich für den Franzosen


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sein. Aber seine Gehemmtheit in diesem Bereich macht Ozons Filme so queer: Sex oder Körper sind nie einfach, sie sind immer mit Anhaftungen oder Schwierigkeiten verbunden, geben nie Antworten, sondern stellen immer bloß Fragen. Nichts ist sinnlich, aber alles ironisch. Das Schöne: Ozon weiß das alles selbst. Er ist das Publikum, das er betrachtet, das aber gleichzeitig der Autor der Geschichten ist, die es sich selbst erzählt. Ozon kennt seine Traumata und Themen und macht, wie Kubrick, wie Hitchcock, wie Sirk, das Beste draus. Das kann man im aktuellen Fall ganz wörtlich nehmen: Sein neuer Film In Ihrem Haus ist der bisher beste, der perfekteste Ozon-Film, weil er in sich gedanklich geschlossen ist. Ein künstlerisches Labyrinth, aus dem es keinen Ausweg mehr gibt, wenn man einmal drin sitzt, und in dem man sich garantiert verläuft. In ihrem Haus ist eiskalt, aber auf eine gute Art. Der auf einem spanischen Theaterstück basierende Film erzählt davon, wie der Lehrer Germain (Fabrice Luchini) seinen Schüler Claude (Ernst Umhauer) dazu anstiftet, sich tief in den Eingeweide der Familie seines Schulkameraden Rapha Artole einzunisten und von dort die Geschichte zu steuern, die er seinem Lehrer in kurzen Aufsätzen über diese Familie erzählt. Ozons neuer ist ein Film darüber, was Fiktion kann und was nicht, was Erzählungen mit ihrem Publikum, mit ihren Figuren

und mit denjenigen machen, die sie erzählen. Der Film ist unfassbar dicht gewebt, jedes der schönen Bilder sitzt (manchmal auch zwei gleichzeitig), Ozon stellt viele hochinteressante Fragen und spielt begeistert mit den Annahmen des Publikums über alles, was seine Geschichte und seine Figuren anbelangt, er seziert mit großen Genauigkeit das Verenden und anschließende Erkalten von Germains Ehe mit seiner Frau Jeanne (die wie immer atemberaubend großartige Kristin Scott Thomas), an dem Claude keinen kleinen Anteil hat. Ozons Bildersprache ist auch deswegen eine so stabile Querverstrebung für diesen Film, weil sich der Macher in einen Bezugsrausch begibt: Hier eine Sirk-Überblendung, da die Kamerafahrt über einen Mädchen-Körper aus Kubricks Lolita, gefolgt von einer Hitchcock-Großaufnahme. So verfangen sich weiterführende Fiktionen in seinem ohnehin komplexen gedanklichen Netz und stabilisieren es zusätzlich. Am Ende weiß man vor lauter Verweisen nicht einmal genau, ob Claude überhaupt existiert, oder nur Germains Bedürfnis nach einer interessanten Wendung in seinem Leben entsprungen ist, ob der den Lehrer über das Schreiben belehrende Schüler nicht nur Ozons Chiffre für die Kunst und ihre Macht selbst ist, und damit auch nicht, ob nur eine der Figuren so ist, wie man sie in den letzten zwei Stunden erfahren hat. Denn wäre der Erzähler durch sein Publikum erfunden, die Erzählung und alle Erzählten

in ihr wären es mit ihm. Darüber kann man schon mal einen Moment ziemlich belustigt nachdenken. Es hilft, wenn man Derrida gelesen hat, aber geht auch ohne. Heißt: In ihrem Haus ist das, was man auf gut Cineasten-Amerikanisch einen „Mindfuck“ nennt und irgendwie die französische Antwort auf Inception, auch wenn es nicht eine einzige Explosion oder Verfolgungsjagd gibt. Lector fuckin’ in fabula! Wie immer versammelt Ozon eine Riege superber Darsteller, damit sie elegant um seine Ideen herumstehen und ihnen Würde verleihen. Diesmal sind es neben dem phänomenalen Dreigestirn Umhauer/Luchini/Thomas unter anderem Emmanuelle Seigner und Denis Ménochet. Man hat nicht immer das Gefühl, das alle gerade wissen, was sie da eigentlich spielen, aber es ist sehr unterhaltsam. Ob mich die nerdige Eleganz von In ihrem Haus dazu bringt, mich mit Ozons Kino der bösen Gedanken zu versöhnen, weiß ich nicht, es könnte aber sein. s

In ihrem Haus von François Ozon FR 2012, 105 Minuten, deutsche SF + OmU Concorde Filmverleih, www.concorde-film.de Im Kino ab 29. November 2012, www.inihremhaus-derfilm.de

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Anhaltende Herzstörung von Ja n K ü n em u n d

Zehn Jahre nach der sensationell erfolgreichen Soldatenromanze „Yossi & Jagger“ erzählt Regisseur Eytan Fox mit seinem Darsteller Ohad Knoller Yossis Geschichte weiter – als Einsamkeits- und Verpanzerungsstudie. Eine schöne Entwicklung: das knallige Politikmelodram wird zur sanften, mitfühlendem Beobachtung. „Yossi“ ist der Eröffnungsfilm der Gay-Filmnacht im Januar und läuft danach in ausgewählten Kinos.

s „Dies ist hier kein scheiß HollywoodFilm“, sagte Yossi zu Jagger im Jahr 2002. Jagger beharrte damals auf seinem vielleicht naiven Traum vom Glück, mit seinem Kommandanten nach zwei Jahren heimlicher Liebe endlich die Armee zu verlassen, „es“ der Familie zu sagen und gemeinsam in den fernen Osten zu gehen. Mit seinem Vertrauen auf melodramatische Wendungen sollte er kaum einen Tag später recht behalten – sterbend liegt er in den Armen Yossis, von einem tödlichen Geschütz getroffen, lächelnd. Und 8

sagt: „Doch wie in einem scheiß HollywoodFilm.“ Ohad Knoller, der Schauspieler des Yossi, hat später mit Steven Spielberg gedreht. Wie denn der Unterschied sei zwischen Hollywood-Produktionen und den israelischen Filmen, wurde er gefragt. Als Star der „neuen israelischen Welle“, die von Eytan Fox’ Film Yossi & Jagger mit 200.000 Dollar vom Privatsender Channel 2 initiiert wurde, brachte er den Unterschied stolz auf den Punkt: in Israel würde man zwar nicht so professionell

produzieren, aber man hätte die besseren Geschichten. Israelische Geschichten wie einen scheiß Hollywoodfilm zu erzählen, ist das erklärte Anliegen des Filmemachers Eytan Fox. In melodramatischen Zuspitzungen zeigt er in Das Lied der Sirene, Yossi & Jagger, Walk On Water und The Bubble Menschen, die vor dem Hintergrund von Golfkriegen, Militäreinsätzen, Nazijagden und palästinensischen Anschlägen versuchen, ein normales Leben zu führen, zu lieben, zu fühlen. Selbstbewusst und aufklärerisch schlagen sich die Probleme seines Heimatlandes in grell und plakativ zugespitzten Storytwists nieder, die einen selbstreflexiven Nerv treffen – die Filme von Eytan Fox sind dort große Kassenund Kritikererfolge und haben nicht selten politische und soziale Ausstrahlung (Yossi & Jagger, ein Film über die Liebe zweier Soldaten, wird in der dortigen Militärausbildung mittlerweile als Schulungsfilm eingesetzt). Das Melodramatische geht bei Fox allerdings weit darüber hinaus, Strategie zu sein – es ist die eigentliche Grundierung und Substanz seiner Israelgeschichten. Alles Ausgeprochene in Yossi & Jagger bildet vorhersehbare tragische Pointen. „Erträgst du mich verstümmelt oder soll ich lieber gleich tot sein?“, fragt der schöne Soldat seinen Liebhaber – kurze Zeit später ist er


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tot. „Ich habe keine Lust, eure Mütter kennen zu lernen!“, sagt Kommandant Yossi seinen Soldaten vor der gefährlichen Militäraktion – wenig später muss er Jaggers Mutter vom Tod ihres Sohnes berichten. Alle Songtexte in Filmen von Eytan Fox lassen sich bewusst eindeutig als Folie über die Gefühle ihrer Figuren legen. Wie vielleicht nur bei Fassbinder erträgt man diese unzähligen Manipulationen der Zuspitzung, der Gefühlsund Verständnisanleitungen, mit Lust und Erschütterung, wird zum Komplizen, weil es so schön ist, hinter einfachen Geschichten, klaren Blicken und neutralen Worten den Horror und die Tragik auszumachen, die sich im Leben eines Menschen ereignen können. Wenn Yossi stumm nach der Beerdigung von Jagger bei dessen Mutter auf der Couch sitzt und einer hoffnungslos in Jagger verliebten Kameradin zuhören muss, die suggeriert, sie sei dessen Freundin gewesen, zwinkert das Drehbuch uns zu: Die vermeintliche Freundin kann Jaggers Lieblingslied nicht nennen, Yossi schon. Und wir auch, denn der Film hat es uns vorgespielt. Wir sehen in dieser Situation komplizenhaft den ruhigen, gefassten Yossi an – und verstehen die Kraft des Melodramatischen. Wer auch immer die Idee hatte, Yossis Geschichte zehn Jahre nach dieser Szene weiter zu erzählen – ob es ein Produzent war,

der den großen Erfolg wiederholen wollte, ein Filmemacher, den diese Geschichte nicht losgelassen hat, oder ein Schauspieler, dessen Leben mit dieser Figur verzahnt war – er hat eine sehr interessante Veränderung im Kino von Eytan Fox bewirkt. Kein großer Konflikt von nationaler Bedeutung, kein Einblick in den täglichen Ausnahmezustand eines Landes bildet in Yossi den Hintergrund – es wird einfach eine Figur fortgesetzt. Yossi ist jetzt Dr. Guttman. Chirurg mit amputierten Gefühlen. Kardiologe mit gebrochenem Herzen. In der ersten Szene wird er von der Schwester geweckt, spritzt sich Wasser ins Gesicht und schaut in den Spiegel und – indirekt – uns an: ein trauriges Gesicht, aufgequollen wie der gesamte Körper, schlecht rasiertes Doppelkinn, unfrisierter Pony über der tiefen Stirn. Ein müder Blick – hier hat sich jemand aufgegeben, zehn Jahre nach dem Tod des Freundes. Ein Totalverweigerer der Welt gegenüber – keine Einladung nimmt er an, keine Pralinen, keinen Urlaub, nicht die zu lang liegenbleibende Hand der Oberschwester, nicht die willige, vom Kollegen in einem Club herbeizitierte Frau. Man weiß sehr schnell: So kann das nicht weiter gehen. Irgendetwas stimmt nicht mit der vom Film beschlossenen Passivität der Figur Yossis – er hat Karriere gemacht eigentlich, ist jetzt schon, mit „fast 34“ (er macht sich älter, als er ist) eine Kapazität. Doch die Bilder sprechen gegen ihn. Etwas hängt ihm an. Eine unerledigte Liebe, auch nach dem Tod des Geliebten noch. Das plakative sexy Grün des Soldatenoveralls ist nur fadenscheinig ersetzt worden durch den grünen Ärztekittel und das bis obenhin zugeknöpfte grüne Ausgeh-Hemd. Für das Online-Date hängt er ein Foto von früher an, nicht, um zu täuschen, sondern weil er sich nur als Yossi von damals erträgt. Schließlich lüftet Fox das Geheimnis in einem Aktivitätsschub Yossis: Er besucht die zufällig als Patientin in sein Leben getretene Mutter von Jagger – zuhause, wo auch mal Jaggers Zuhause war, noch gibt es ein unangetastetes Jugendzimmer, mit Gitarre, Lavalampe, einen Modellpanzer und ganz vielen Musik-CDs. Dort, vor den Eltern, outet sich Yossi und outet Yossi den Sohn der beiden Ahnungslosen, die vor ihm sitzen und ihm Kekse anbieten. „Er wollte, dass Sie das wissen.“ Aber eigentlich muss er aussprechen, was ihn lähmt, seit zehn Jahren: dass er damals erst gar nicht, dann zu spät „ich liebe dich“ sagte und nicht weiß, ob der sterbende Freund es noch gehört hat. Das ist nicht das Problem der Eltern – es ist das Problem des Gefühlsamputierten und Herzkranken, und es war schon vorher da, bevor er Jagger kennen lernte und wieder verlor. 45 Minuten staut der Film bis hierher Yossis Selbsthass auf. Und entlädt es in einem Bild von Palmen,

Meer und Wüste – einem Poster in Jaggers Jugendzimmer, das der Vater ihm öffnet. „Komm mit mir in den Fernen Osten …“ Und der Film überblendet in den Fernen Osten. Der zweite Teil schlägt einen anderen Ton an. Doch Yossis Passivität und Verpanzerung hält an. Seine Geschichte scheint sich zu wiederholen, wieder trifft er einen traumhaft schönen Soldaten, wieder kann er sich nicht auf ihn einlassen. Er legt Mahlers Fünfte Sinfonie auf, natürlich das Adagietto, im mit jungen trampenden Soldaten vollbesetzten Auto, und ein Blick in den Rückspiegel genügt – es ist einer darunter, der ihn versteht und weiß was (für Musik) läuft. Ein Schwuler erkennt einen anderen. Eytan Fox versucht sich, anders als im plakativen Yossi & Jagger (sexy Soldaten tummeln sich im Schnee), an kunstgeschichtlich vermittelter Erotik: Der Tod in Venedig wird gelesen, der TadzioSoldat wird beobachtet, wie er aus dem Pool steigt, Sehnsuchtshinweise, Balkonszenen, wie in einem scheiß Arthouse-Film. Trotzdem unglaublich: wie viel Angebote des soldatischen Posterboys Yossi ablehnt, bis der sich schließlich einfach nackt vor ihn stellt – wie deutlich muss man jemandem seine Liebe zeigen, bis er sich endlich berühren lässt? Wir als Zuschauer möchten ihn schütteln, zumindest massieren, aber das Drehbuch behauptet einfach, dass der Soldat nicht aufgibt. Vielleicht hätten wir ihn längst aufgegeben, wenn Ohad Knoller ihn nicht so herzzerreißend spielen, wenn Eytan Fox sich nicht so völlig in seiner Traurigkeit verlieren würde. Eine tolle Szene gibt es, vielleicht ein bisschen zu kurz, zu sehr geschrieben als wirklich entwickelt, die zeigt, wie man sich in Yossi verlieben kann. Als dieser sich unbeobachtet glaubt und inmitten von Urlaubern hinter billigen Cocktails Keren Ann zuhört, die alte israelische Popsongs singt (die Jagger so liebte, damals). Und der Tadzio-Soldat beobachtet ihn von hinten. Da versteht man: Er verliebt sich, weil er Yossi beim Zuhören beobachtet. Dass Yossi weint, sehen nur wir. s

Yossi von Eytan Fox IL 2012, 85 Minuten, deutsche SF + OmU Pro-Fun Media, www.pro-fun.de Im Kino in der Gay-Filmnacht im Januar, www.gay-filmnacht.de

Yossi & Jagger von Eytan Fox IL 2002, 70 Minuten, deutsche SF + OmU Auf DVD bei Pro-Fun Media, www.pro-fun.de

Kinostart: 24. Januar 2013

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Welt am Wasser von Ta n i a W itt e

Vier Frauen treffen an einem Wochenende in einer malerischen Brandenburger Seenlandschaft aufeinander und ihre Flirts, ihr Begehren, ihre Lebensweisheiten und Zukunftspläne fließen in- und durcheinander. Das größtenteils improvisierte Drama „Frauensee“ ist nach erfolgreicher Festivaltournee und der deutschen Erstaufführung bei den Hofer Filmtagen in der L-Filmnacht und in ausgewählten Kinos zu sehen. Unsere Autorin hat den Film beobachtet.

Frauensee von Zoltan Paul DE 2012, 85 Minuten, deutsche OF Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino in der L-Filmnacht im Januar, www.l-filmnacht.de Kinostart: 24. Januar 2013

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Edition Salzgeber

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s Sommer, irgendwo. Wir stehen in einem Boot, den Blick auf den Rücken der Bootsfrau geheftet. Vor uns teilt sich das Schilf. Fast erwarten wir, ein Kind in einem Weidenkörbchen zu erblicken, so bedeutsam scheint dieses Bild, das in bester Caspar-David-FriedrichManier ein Entree zu einer anderen Welt ist. Einer Welt am Wasser. Der Rücken vor uns gehört Fischwirtin Rosa (Nele Rosetz). Gemeinsam mit ihrem ebenso namen- wie wortlosen Angestellten (Enrico Weidner) ist sie auf der täglichen Tour über die drei Seen im brandenburgischen Hinterland, über die sie wacht. Sie holen den Fang ein, hämmern Pfähle ins Wasser und flicken die Reusen, die erboste Angler in regelmäßigen Abständen aufschneiden. Als Herrin über die Seen obliegt Rosa die Vergabe der Fischereilizenzen und damit die Entscheidung, wer wo und wie viel angeln darf – eine Position, die alteingesessene Angler der jungen Frau nicht zubilligen. Doch die Kämpfe um das Wasser werden subtil ausgefochten. Also steht regelmäßiges Reusen-Flicken an. Auch außerhalb des Wassers läuft es mit der Kommunikation für Rosa nicht besonders gut. Zwischen ihr und ihrer Geliebten Kirsten knirscht es gewaltig, unausgesprochene Spannungen und Konflikte verunmöglichen einen liebevollen Umgang miteinander, Sex taugt nur bedingt als Lösung. Architektin und Karrierefrau Kirsten besitzt einen schicken Bungalow am Wasser, spricht, wo Rosa schweigt und schweigt, wo Rosa sprechen möchte. „Liebst du mich?“, will Rosa wissen. Und Kirsten geht still ins Bett. Überhaupt wird viel geschwiegen in Frauensee, und weit mehr gezeigt als erklärt. Das mag daran liegen, dass es kein wirkliches Drehbuch, sondern lediglich ein siebenseitiges Exposé gab, aus dem das gesamte Ensemble binnen einer Woche gemeinsam die Charaktere entwickelte und die Handlungselemente generierte. Das ist Stärke und Crux des Filmes zugleich, doch dazu später mehr. Zunächst folgen wir der Handlung – sind auch hier, wie im gesamten Film, Beobachtende und erleben, wie Rosa den beiden Studentinnen Evi (Lea Draeger) und Olivia (Constanze Wächter) begegnet. Das Pärchen paddelt in Rosas Gewässern und tut mit schlafwandlerischer Sicherheit alles, was Rosa ihnen untersagt: Sie bauen ihr Zelt auf der naturgeschützen Insel so klischeegerecht und linkisch auf, dass man ihnen die trekkingaffinen Abenteuerinnen schwerlich abnimmt, vergessen dann ausgerechnet den Dosenöffner und klauen kurzerhand und ebenso naiv wie dreist einen Fisch aus Rosas Reuse, um ihn dann in bester Robinson-Crusoe-Tradition auf dem Stock überm Feuer zu grillen. Bevor sie ihn essen können, ertappt Rosa die wenig schuldbewussten Diebinnen und nach einem kleinen Schlagabtausch sitzen sie zu dritt ums Feuer, leeren eine Flasche Wein, rauchen Gras und essen gemeinsam den Fisch, jetzt, da er ja „eh schon tot“ ist. Sobald ihr Olivia den Rücken zuwendet, gräbt Evi, eine Spielerin par excellence, Rosa massiv an. Als Rosa ihrer Freundin Kirsten am nächsten Tag die Geschichte erzählt, schlägt die aus einer Laune heraus und zwischen endlosen Business-Telefonaten vor, Evi und Olivia in den Bungalow einzuladen. Der Rest der Handlung ist schnell erzählt: Zwischen Rosa und Kirsten knirscht es weiter und dass die Avancen der ebenso offensiven wie unbedarften Evi Rosas Ego gut tun, macht es nicht leichter. Es wird getrennt und geliebt, gestritten und geflirtet – ohne dass sich die Tiefe der Konflikte im Detail erschließt, aber vielleicht muss sie das auch gar nicht, denn die Schauspielerinnen sind in weiten Teilen überzeugend und Bilder des Kameramannes Fabian Spuck so schön, dass die Handlung des Films ebenso in den Hintergrund rückt wie die oft beiläufig eingefangenen Gespräche. Das Publikum darf wahrnehmen, ist Beobachter und Voyeur, ganz wie der Angler, der die Szenerie im Bungalow mit einem Fernglas bespäht. Das hat einen Kitzel und schafft gleichzeitig eine Distanz, aus der das teils unmotiviert-absurde, teils unschlagbar authentisch wirkende Verhalten der vier Frauen eher analysiert denn mitge-

fühlt wird. Ein raffinierter Schachzug des Regisseurs Zoltan Paul, der auch in seinem dritten Spielfilm eine Obsession für Zwischenmenschliches erkennen lässt – eine Neugier auf Unausgesprochenes und Angedeutetes, auf das, was mitschwingt und ungreifbar scheint. Einzig in den Sexszenen zeigt sich das Manko dieser Methode, denn hier hält der Regisseur seine Zuschauerinnen und Zuschauer so sehr auf Abstand, dass wenig Chance für Empathie, sexuelle Spannung und Erotik bleibt. Der Status der Zuschauenden bleibt klar definiert: sie schauen zu. Schauen zu und fragen sich, was diese vier ungleichen Menschen zusammenhält. Was wollen sie voneinander, die beherrschte, reflektierte Kirsten, die sich selbst bewusst aus ihrem eigenen Inneren ausschließt, die schweigsame, toughe Rosa, die Verbindlichkeit und Erdung sucht, die provokante und sexuelle aggressive Evi und ihre langjährige Geliebte Olivia, die immer um Ausgleich bemüht ist? Die Charaktere sind schnell und nachvollziehbar skizziert und doch werden scheinbar klare, romantische Rollenbilder überraschend verdreht. Es geht um die Suche und um das Lernen voneinander, um die Sehnsucht nach jugendlicher Leichtigkeit und die nach Verwurzelung in der Gesellschaft. Um eine Brücke zwischen den Altersgruppen. Das abgebrühte „been there, done that“ von Kirsten gegenüber der Unverdorbenheit, mit der die beiden Studentinnen das Leben erobern. Die Paare sind Spiegel und zugleich Reibungsfläche füreinander, stehen für Ziele und Verlorenes, für Möglichkeiten und Mut. Für Einsamkeit.

Eine Scheibe Leben, zeitlos, unaufgeregt und realistisch Frauensee ist eine Scheibe Leben, zeitlos, unaufgeregt und realistisch. Die improvisierten Dialoge sind mal bemüht und holperig wie in der Küchenszene zu Beginn des Films, dann wieder sind sie so echt, dass die Zuschauenden das Gefühl beschleicht, genau solche Dialoge genau so schon geführt oder gehört zu haben – wie bei der Lagerfeuerszene auf der Insel. Besonders Nele Rosetz alias Rosa und Therese Hämer als Kirsten glänzen – dennoch ist gerade ihnen hin und wieder das Ungewohnte an der Improvisationssituation anzumerken, mehr noch als Lea Draeger und Constanze Wächter, die sichtlich ungehemmter mit der Freiheit der Szenen umgehen. Die Atmosphäre am Set – Natürlichkeit statt durchgeplanter Szenen, das Miteinander und spürbar Nicht-Hierarchische – überträgt sich auf die Atmosphäre im Film, und vereinzelte linkische Momente gleicht die satte Bildsprache und die grandiose Kameraführung spielend aus. Frauensee besticht durch Bilder voller Rhythmus, die sich wiederholen und dadurch ihre Bedeutung verändern; Bilder, die sinnbildlich für den Gemütszustand der Charaktere stehen, für Stillstand und Bewegung. Zoltan Paul nimmt sich Zeit, die Atmosphäre zu fangen. Er lässt die Protagonistinnen frei und langsam in einen feuchtfröhlichen Überschwang gleiten, in dem die Blase, in der sie sich befinden, auch virtuell sichtbar wird. Wieder ist es Rosa, die am Ende die Welten verbindet, als sie die anderen schlafend zurücklässt und sich in Abendkleid und Gummistiefeln auf ihr Wasser zurückzieht. Frauensee ist ein stiller Film, in dem es mehr um das Beobachten geht, denn um das Verstehen – ein Beobachten, in dem sich die Anschauungen und Lebenssituationen der Frauen wie nebenbei erfassen und in weiten Teilen nachvollziehen, von den Figuren lösen und auf das Selbst übertragen lassen. Eine Einladung zum Nachdenken, Nachspüren, Nachblicken. s Tania Witte ist Schriftstellerin, Kulturjournalistin und SpokenWordPerformerin und lebt in Berlin. Gerade ist ihr Roman „leben nebenbei“ erschienen. www.taniawitte.de 11


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Ein zu enges Kleid von J e ssic a E l l en

„Küss mich“, Alexandra-Therese Keinings erwachsene Romanze, variiert das Thema einer Frau, die ihre Beziehung zu einem Mann aufs Spiel setzt, als sie merkt, dass sie für eine offen lesbisch lebende Frau Gefühle empfindet. Mit einem herausragenden Ensemble einiger der besten SchauspielerInnen des schwedischen Kinos gelingt der jungen Regisseurin eine subtile Erzählung über große Gefühle und die Momente, in denen sich alles ändert.

s Es sind nur die Flatternerven von Mia, die sie veranlassen, mit ihrem langjährigen Lebensgefährten Tim noch schnell eine zu rauchen, bevor die beiden ihrem Vater Lasse zum Geburtstag im ländlich-feudalen Ambiente gratulieren wollen. Außerdem soll Mia die neue Frau des Vaters kennen lernen, und da will sie nicht zurückstehen und die eigene, nach Jahren endlich beschlossene Hochzeitplanung ankündigen. Aber Mia und Tim sind nicht die einzigen Raucher: Eine hübsche Blondine bittet um Feuer; Frida, die Tochter 12

der neuen Stiefmutter. Mia ist misstrauisch: flirtet die etwa mit ihrem Zukünftigen? Aber wir ahnen es schon – nichts liegt der hintergründig lächelnden Frau ferner … Expositionen wie diese kommen Frau irgendwie bekannt vor. Seit den 1980er Jahren wimmelt es in Lesbenliteratur und -filmen geradezu von sich zunächst heterosexuell definierenden Ehefrauen, die von gestandenen Lesben verführt werden und so erkennen, wer sie eigentlich sind und was sie wirklich wollen. Aus heutiger Sicht wirkt die-

ses Thema vielleicht ein bisschen angestaubt, aber es lohnt sich, daran zu erinnern, wie Lesben vorher dargestellt wurden (und mitunter immer noch werden). Da gab es lesbisches Begehren als Sidekick für die eigentlich heterosexuelle Frau, was diese für Heteromänner zu einer besonders lohnenden Trophäe werden ließ, weil sie sie in ihrer Unersetzbarkeit bestätigte. Ernsthafte Konkurrenz für eine Heterobeziehung waren Frauenbeziehungen nicht. „Echte“ Lesben waren meist unattraktive „kesse Väter“, und nicht selten fanden sie ein tragisches Ende. Beispiele dafür finden sich in der Filmgeschichte seit dem Stummfilm Lulu zuhauf. Erst mit dem Erscheinen der neuen Frauenbewegung wurden lesbische Lebensentwürfe als gleichberechtigte, wenn nicht überlegene Alternative zu Eheund Heterobeziehungen ernst genommen und auch gehörig idealisiert. Nun erst konnte lesbische Sehnsucht nach anderen, positiven Liebesgeschichten zwischen Frauen auch auf der Leinwand Gestalt annehmen. Und ganz ehrlich – freuen wir uns nicht immer noch mit den Liebenden, wenn sie sich nach vielem Hin und Her endlich kriegen? Auch zwischen Mia und Frida gibt es dieses Hin und Her. Und die Verführung geht keineswegs nur von einer Seite aus. Fridas Charme könnte selbst einen Gletscher zum Schmelzen bringen. Aber es ist die scheinbar so spröde Mia, die den ersten Schritt macht. Ist sie vielleicht doch nicht so unerfahren? Erst einmal ergreift Mia, von den eigenen Gefühlen überrumpelt, die Flucht, geht Frida aus dem Weg. Doch Frida ist längst verliebt und nicht bereit, alles als einmaligen Ausrutscher einer sonst unerschütterlichen Hetera auf sich beruhen zu lassen. Beide schaffen es nicht mehr, in ihrem früheren Leben Fuß zu fassen. Fridas Lebensgefährtin merkt, dass plötzlich etwas zwischen ihnen steht. Mia stürzt sich hektisch in die Hochzeitsvorbereitungen und spürt, dass alles, was für sie noch vor kurzem so wichtig war, nun eigentlich nicht mehr stimmt. Im Brautkleid ihrer Mutter, das sie unbedingt zur Hochzeit tragen wollte, obwohl es Tim nicht gefällt, steht sie unschlüssig vor dem Spiegel. Es ist, als würde das biedere, hochgeschlossene Kleid ihr die Luft zum Atmen nehmen, sie reißt es sich vom Leibe. Irgendwann schleicht Mia sich doch zurück in Fridas Leben, und die lässt sich ihre unvernünftige Liebe von niemandem ausreden. Es folgen heimliche Treffen; Mia träumt davon, mit Frida nach Spanien zu gehen, während die Hochzeitsvorbereitungen in unvermindertem Tempo weiterlaufen. Frida entlarvt Mias Ausbruchs- und Fluchtphantasien als das, was sie sind – Vermeidungsstrategien, um eben nicht mit der Realität vor Ort umgehen zu müssen. Frida


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Vom RegisseuR Von „swimmingpool“ und „das schmuckstück“

dagegen ist stolz auf ihre Liebe und will, dass alle davon erfahren. Irgendwann wird Mia sich entscheiden müssen … Küss mich, so der Titel des Films der schwedischen Regisseurin Alexandra-Therese Keining, sagt gleich, worum es geht. Eine klassische Liebes- und Coming-Out-Geschichte mit emanzipatorischem Anliegen und angedeutetem Happy End. Überraschende Wendungen der Dramaturgie sollte Frau hier nicht erwarten, aber auch auf keinen Fall Langeweile. Die Konstellation zweier Stiefschwestern, die sich bei der Verlobung ihrer Eltern kennen lernen, ist immerhin ungewöhnlich und eröffnet Möglichkeiten, die die Regisseurin zu nutzen versteht. Weder Mia noch Frida sind von ihrem Äußeren KlischeeLesben, beide sehr schön anzuschauen, mit ausdrucksvollen Gesichtern. Mia dunkel, nachdenklich und etwas melancholisch, Frida blond, mit zartem Gesicht und strahlend blauen Augen. Der visuelle Kontrast setzt sich in ihren Charakteren fort. Frida steht zu ihrem Lesbischsein; ihr Konflikt besteht darin, ihre Freundin Elin zu verletzen. Verlassen zu werden ist etwas, was sie selbst schon schmerzlich erlebt hat, und nun ist sie diejenige, welche Elin verlässt. Leidenschaft hat ihren Preis, und den zahlen vor allem die Verlassenen. Die aber, die gehen, müssen wohl oder übel mit ihren Schuldgefühlen leben, auch wenn die neue Liebe sie erst einmal überdeckt. Der Umstand, dass Frida in einer Beziehung lebt und sich trennt, verhindert, dass sie allzu engelhaft erscheint – so hat der emanzipatorische Heiligenschein mindestens einen realistischen Kratzer. Mia war zwar schon einmal mit einer Frau zusammen, wie sie später Frida gesteht, aber die Beziehung hatte keinen Bestand, und Mia, in einer Mischung aus Resignation und Konventionalität, setzte mit Tim auf Nummer sicher. Heiraten will sie ihn, weil sie glaubt, dass es von ihr erwartet wird. Die Begegnung mit Frida lockt die verdrängten Gefühle hervor; das ist anziehend und bedrohlich zugleich. Diese Ambivalenz beschränkt sich dabei nicht auf Frida, sie kennzeichnet auch das Verhältnis zu ihrem Vater. Sie nimmt ihm übel, ihre Mutter verlassen zu haben. Und auch sonst hat er die Tochter zu oft enttäuscht, deshalb vertraut sie ihm nicht mehr, sehnt sich aber danach, es zu können. Erst am Schluss wird sie das Risiko eingehen, ihm ihre wahren Gefühle zu offenbaren, und diesmal wird er nicht versagen. Auch er hat von Fridas Mutter etwas gelernt. Der unterschiedliche Umgang der Eltern mit dem Lesbischsein ihrer jeweiligen Tochter funktioniert als Spiegel des Frauenpaares und gibt dem Film eine zusätzliche Dimension. Der Film überzeugt durch das perfekte Zusammenspiel aller seiner Elemente, eine sorgfältige Inszenierung, dezenten Einsatz von Musik und eine tolle Kamera, die die Schönheit der Frauen und der schwedischen Landschaft zum Ausdruck bringt, ohne je geschmäcklerisch oder kitschig zu werden. (Nicht, dass ich die Lust auf Kitsch denunzieren möchte; ein Hang dazu schlummert in den meisten von uns). Das nuancierte Spiel der Darsteller verankert die emotionalen Konflikte der Figuren in der wirklichen Erfahrungswelt und gibt ihnen Bodenhaftung. Das ermöglicht ZuschauerInnen wie mir, sich mit ihnen auch dann zu identifizieren, wenn das eigene Coming-Out schon Jahrzehnte zurück liegt und mit ihm das Schmachten nach überirdisch schönen Traumfrauen. Und so ein genussvoller Kinobesuch, der ganz nebenbei Lust auf einen Urlaub in Schweden mit der eigenen Liebsten erzeugt, ist ja auch nicht verkehrt. s

MANDARIN CINÉMA PRÄSENTIERT

IN IHREM HAUS Ein Film von FRANÇOIS OZON

AB 29. NOVEMBER IM KINO FABRICE LUCHINI KRISTIN SCOTT THOMAS EMMANUELLE SEIGNER DENIS MÉNOCHET ERNST UMHAUER

Küss mich von Alexandra-Therese Keining SE 2011, 103 Minuten, OmU Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino in der L-Filmnacht im Februar, www.l-filmnacht.de ©JEAN-CLAUDE MOIREAU

Auf DVD bei der Edition Salzgeber

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WWW.INIHREMHAUS-DERFILM.DE


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Landschafts­architektur von A n dr é W en dl e r

In „Westerland“ treffen sich zwei Jungs und gehen eine Beziehung ein. Einer ist Borderliner, der andere hat Angst vor dem Leben. Das Staunen über die Sylter Winterlandschaften verlernen sie schnell. Aufeinander aufpassen wird zum Teil des Problems. Tim Staffels Debütfilm nach seinem eigenen Roman erzählt eine Freundschaft und eine Landschaft – und beides hat man so noch nicht gesehen.

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s Die Zahl des Filmes ist die Zwei. Vieles passiert doppelt, Zweierkonstellationen stehen sich gegenüber, man begegnet sich zweimal. Zweimal auch stehen Cem und Jésus irgendwo bei Westerland und schauen einem Zug hinterher, der auf klar vorgegebener Strecke schnurgerade durchs Bild fährt. Es ist ihr Sehnsuchtsbild. Beide sind wohl mit einem solchen Zug nach Sylt gekommen, aber von geraden Wegen kann bei keinem die Rede sein. Die Zugbilder gehen aber nicht in dieser recht einfachen, nach außen verlagerten Psychologie auf. Sie lassen sich zwar als Zeichen lesen für das, was den beiden Jungs geschieht und geschehen ist, haben aber etwas an sich, das man nur schwer in Worte fassen kann. Immer wieder wirft der Film solche Bilder auf die Leinwand und uns zusammen mit Cem und Jésus mitten in sie hinein. So wie ganz am Anfang, wenn Jésus auf dem zugefrorenen Meer herumläuft. Die bizarre Landschaft aus übereinander geschobenen Eisschollen und -platten sieht unwirklich aus. Es könnte eine Kulisse oder eine Computeranimation sein. Er streunt hin und her, geht hierhin und dorthin. Die paradoxe Wanderung auf dem unbewegten Meer lässt sich wieder metaphorisch auf die außergewöhnliche und festgefahrene Situation beziehen, in der er sich befindet. Das Bild selbst aber hat eine Kraft, die mich als Zuschauer_in etwas atemlos werden lässt. Diese zweite Ebene von Westerland hat nicht so sehr mit der tatsächlichen Landschaft am tatsächlichen Drehort der Insel Sylt zu tun und sie folgt nicht so sehr aus der fiktionalen Figurenpsychologie der beiden Hauptfiguren, sondern daraus, dass wir hier ein Bild, ein bewegtes Bild, ein Kino-Bild vor Augen haben. Und in diesem Bild kommen nicht nur Sylt, Cem und Jésus vor, sondern notwendigerweise auch wir Zuschauer_innen, mit unserem Sehen, unseren Erinnerungen, unseren Erfahrungen. Wenn Jésus und Cem zu Beginn des Filmes immer wieder kreuz und quer über die Insel spazieren, dann sind wir gemeinsam mit ihnen auf dem Weg, die große unerklärliche Frage zu ergründen, was das ist, das sich zwischen ihnen, Westerland, uns und seinen Bildern abspielt. Immer wieder kommen wir mit den beiden auf Aussichtspunkte in den Dünen, von denen aus die Nordsee oder die Insellandschaft weit ausgebreitet vor uns liegen. An diesen Punkten bleibt uns nicht viel mehr übrig, als das alles anzustarren und anzusehen. Der gefrorene Sandstrand hat die Farbe von Jésus’ Haaren. Das helle grau-beige mit den weißen Schneefetzen ist glatt, rein und offen. Auf ihm lässt sich träumen, von Fernstudium und Schauspielschule. Es ist aber eine Landschaft, die nur vorübergehend im Winter festgefroren ist und Stabilität bietet 16

und die alsbald wieder in Bewegung geraten wird. Einmal schwenkt die Kamera langsam von links nach rechts. Auf dem Wasser voller Eisschollen fährt ein Schiff in die selbe Richtung. Zwischen Wasser und Strand ist eine klare Linie gezogen. Dort sitzen die beiden nebeneinander. Durch die Bewegung der Kamera wird die Bewegung des Schiffes aufgehoben, Cem, Jésus und die gesamte Landschaft scheinen sich an seiner Stelle zu bewegen. Vor solchen Landschaftsbildern aus Westerland wird man begriffsstutzig. Christian Metz, einer der wichtigsten französischen Filmtheoretiker, hat in diesem Sinn das zentrale Paradox des Films, von dem auch Westerland zu handeln scheint, so beschrieben: „Ein Film ist schwer zu erklären, weil er leicht zu verstehen ist.“ Wir sehen, es leuchtet uns ein, aber wir können schlecht sagen, was es ist. Fast immer, wenn sich in Westerland jemand dazu aufrafft, das alles in einer Frage explizit zu machen, wird diese nur mit Schweigen, Gegenfragen oder halbleeren Blicken beantwortet: „Schaust Du immer Filme ohne Ton an? – Ey, was sind das denn für komische Farben?“ So lange Cem

und Jésus sich die Landschaft wandernd erschließen können, so lange Cem die Vorstellung hat, er könne einmal als Landschaftsarchitekt das alles begreifen und gestalten, lässt sich der Film aushalten, vielleicht sogar genießen.

Sie flüchten vor der Landschaft in eine enge Wohnung, ziehen die Vorhänge zu und pendeln nur noch zwischen Badewanne und Bett Irgendwann ist aber Schluss damit. Sie flüchten vor der Landschaft in eine enge Wohnung, ziehen die Vorhänge zu und pendeln nur noch zwischen Badewanne und Bett. Mit dem Rückzug in Cems Wohnung verknotet sich nicht nur die Beziehung der beiden, sondern auch der Film. Was als eindeutiger Boy-meets-Boy-Film begonnen hat, wird nun zu … etwas bedrückend anderem.


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Westerland von Tim Staffel DE 2012, 90 Minuten, deutsche OF Edition Salzgeber, www.salzgeber.de

Jasús und Muhammed Roman, 138 Seiten, Transit Verlag 2008, www.transit-verlag.de

Im Kino in der Gay-Filmnacht im Februar, www.gay-filmnacht.de

alle fotos: Edition Salzgeber

Kinostart: 21. Februar 2013, www.westerland-film.de

Wenn einer von beiden diese unerwarteten Komplexionen nicht mehr aushalten kann, ist der letzte Fluchtort der Balkon, von dem aus sich wenigstens noch ein kleiner Teil der Landschaft sehen lässt, in der Bilder, Filmmusik, Figuren und Geschichten so klar miteinander agieren konnten. Hier drin aber gibt es nur Filme mit komischen Farben, abgedrehtem Ton, zu laute Musik aus Kopfhörern oder seltsame Regieanweisungen auf Badezimmerwänden. Die Großartigkeit der winterlichten Insellandschaft wird ersetzt durch eine etwas abgestandene gelb-blaue Spießerhölle mit praktisch-kleiner Einbauküche und beigefarbenen, gut zu reinigen Fliesen im Badezimmer. Die Fülle der Totalen und PanoramaAufnahmen von draußen wird hier zu einem unüberschaubaren Labyrinth aus Closeups und Detailaufnahmen. Die Fragen sind genauso bohrend und unerträglich wie draußen, aber die Bilder können keinen Trost mehr dafür geben, dass sie nicht lösbar sind. Stattdessen versuchen sich Cem und Jésus in einer pathetischen und fast ironisch biblischen Geste mit Regeln auszustatten. Du

sollst nicht kotzen. Du sollst nicht kiffen. Du sollst nicht lügen. Du sollst nicht sterben. Was allerdings als Befreiungsschlag gedacht war, wird am Ende zu nicht mehr als einer Unsauberkeit, die mühevoll von den Fliesen abgewaschen werden muss. Dass der zweite Teil in der Wohnung für Cem und Jésus und für uns keine Perspektiven mehr zu bieten hat, liegt letztlich vor allem an der Abwesenheit perspektivierender Bilder. Einmal noch raffen sich beide auf und verlassen gemeinsam die Wohnung. Jésus soll in der winterlichen Nordsee schwimmen. Dazu bekommt er einen Neoprenanzug, es wird eine Absperrung am Strand errichtet und Cem hält ihn an einem Seil. Als ob die Vereinigung mit der Landschaft irgendetwas bewirken könnte. Am Ende kann Cem Jésus nur irgendwie aus dem Wasser fischen. Nichts ist gelöst und die nächste Einstellung zeigt beide dann auch in einem aussichtslosen und stummen Kampf miteinander und gegeneinander. Westerland verzichtet dabei fast vollständig auf die diversen Zeichen realistischer Filme für Homosexualität. Abgesehen

davon, dass wir immer wieder eingeladen werden, die jungen männlichen Körper beider Protagonisten anzuschauen, sind wir von den besonders aufdringlich romantischen schwulen Küssen, dem Händchenhalten im Close-up, den argwöhnisch dreinblickenden Prollschlägern und dergleichen filmischer Klischeebildung verschont. Am Ende ist es fast egal, ob die beiden eigentlich schwul sind und man gleich von Liebe sprechen muss, oder ob sich hier ‚nur‘ eine intensive Freundschaft entwickelt hat. Homosexualität ist hier weder die Bedingung allen Geschehens noch ein ausgezeichnetes Problem oder überhaupt ein Problem. Sie ist da oder nicht und letztlich liegt die Entscheidung über diese Frage wohl auch sehr bei uns Zuschauer_ innen. Westerland gehört jedenfalls zu einer Reihe von Filmen aus der jüngsten Zeit, in der Schwulsein nicht das Problem ist, sondern wo Schwule auch einmal andere Probleme haben dürfen als ihre sexuelle Identität. In einer so bedrückenden und komplexen Problemlage, wie sie Westerland entwirft, ist die sexuelle Identität weder eine zusätzliche Bürde noch irgend eine Hilfe. Es ist eine meiner schlechten Angewohnheiten, mich bei jedem Film fragen zu müssen, was ich von ihm eigentlich gelernt habe. Westerland hat mir ganz klar dabei geholfen, genauer zu verstehen, welchen Ort sexuelle Identität im Rahmen all der familiären, kulturellen, historischen und ökonomischen Bestimmungen hat oder haben kann, denen wir sonst noch ausgesetzt sind. Ob Cem und Jésus ihren Weg durch dieses Geflecht gefunden haben werden, wissen wahrscheinlich weder sie selbst, noch der Film, noch wir am Ende. s 17


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Wir scheißen auf die Emanzipation von Be at r ice Be h n

universal pictures

Ein schüchternes Mädchen findet sich plötzlich in einer A-Capella-College-Band wieder, in der sich äußerst talentierte, aber ziemlich inkompatible Mitstreiterinnen zusammenraufen müssen, um gegen die männliche Konkurrenz zu bestehen. Was als emanzipatorische Diversity-Utopie daherkommt, regte unsere Autorin zu ein paar grundsätzlichen Gedanken zum Bild der Frau in der modernen, amerikanischen Komödie an.

s Eines soll im Voraus festgestellt werden: Pitch Perfect ist Popcornkino im Zeichen von Glee, nur eben mit einer reinen Mädchengruppe. Wer ein bisschen Unterhaltung braucht, dem wird dieser Film gefallen. Oder wie sagte meine Kinobegleitung: „Der is’ ganz nett“. Aber nett ist ja auch die kleine Schwester von scheiße und genau so fühlt es sich an, wenn man das Kino verlässt und einen, wenngleich subtilen, aber eben lang anhaltenden, bitteren Nachgeschmack mit sich nimmt. Irgendetwas stimmt nicht an diesem Film, der doch eigentlich in der neuen Tradition der ‚emanzipierten FrauenKomödien‘ wie Brautalarm oder Die Hochzeit meiner dicksten Freundin steht, nur um ein paar weitere Produktionen dieses Jahres zu nennen. Ganz genau lässt sich nicht verorten, wann diese neue Comedy-Welle angefangen hat, in deren Mittelpunkt ‚moderne‘ junge 18

Frauen stehen, die sich vom traditionellen Rollenmuster ‚Mutter & Hausfrau‘ verabschieden und auf der Suche nach Selbsterfüllung sind. Zweifelsohne erreichte sie aber ihren ersten kommerziellen Höhepunkt Ende der Neunziger Jahre im US-Fernsehen: mit Ally McBeal und natürlich mit Sex and the City. Sieht man diese Serien heute, begreift man schnell, dass eine ‚Emanzipation‘ eigentlich gar nicht stattfand. Viel mehr wurde hier ein neuer medialer Frauencharakter hergestellt, der mit einem postmodernen, hoch kommerzialisierten Antlitz die alte Mär der hysterischen Frau weiter betrieb. Wurde am Anfang des 19. Jahrhunderts das Weib zur Psychoanalyse geschickt und per Vibrator geheilt, so kauft sie im 21. Jahrhundert eben Schuhe und leidet unter ihrem stets aufgescheuchten Leben voll sinnloser Promiskuität. Denn egal, ob hyperhysterische Ally McBeal oder die Damen des New

Yorker Kaffeekränzchens, im Endeffekt ging es doch nur im das eine: ‚ihn‘ finden. Dass diese Serien massiv eingeschränkt sind auf weiße, heteronormative und im Kern konservative Lebensentwürfe, ist offensichtlich. Aber jetzt ist ja alles anders, richtig? Seit Glee darf doch jeder mitmachen, egal welche Hautfarbe, welches Genderkonstrukt oder welche sexuelle Ausrichtung! Alle werden repräsentiert, alle werden wahr- und ernstgenommen, vor allem die weiblichen Charaktere. Und ja, in den Filmen tummeln sich jetzt immer mehr Modelle von Weiblichkeit: Migrantinnen, Lesben, dicke Frauen (nur alt darf man immer noch nicht sein). Doch hier entsteht er, der fahle Geschmack, denn diese neuen Figuren befinden sich stets in der Peripherie des Films. Vor allem Pitch Perfect, der sich ja mit seiner Vielfältigkeit brüstet, wartet nur mit zweidimensionalen Abziehbildern auf, deren einzige filmische Interaktion die ist, dass Witze auf ihre Kosten gemacht werden. Am deutlichsten wird dies an der Figur der ‚Dicken‘, die stets besonders hyperaktiv und besonders (sexuell) hungrig sein muss. Alles, was sie sagt und tut, ist eine Anspielung auf ihren Körper, entweder als verzweifelter Vertuschungsversuch oder als permanente Zurschaustellung – eine Flucht nach vorn sozusagen. Gleiches gilt für die Lesbe, die in jeder Sekunde nichts weiter ist als das: eine Lesbe. Oder die Nymphomanin oder die Migrantin, die vor dumm-rassistischen Klischees nur so trieft. Was bleibt, ist die ‚normale‘ Frau (weiß, hetera, Mittelstand), die einzige Figur, die im Fokus der filmischen Entwicklung mehr sein darf als ein Pappaufsteller mit zwei Brüsten. Ganz in der Tradition der männlich determinierten ‚Buddy‘und ‚Gross-Out‘-Komödien der 80er Jahre wie Animal House darf sie mit ihren Schablonenfreundinnen jetzt auch mal ungezogen sein. Es wird gekotzt, gepinkelt, gefurzt und (in Brautkleider) gekackt, was das Zeug hält. Diese erfrischende Abkehr vom sonst immer perfekten Sex and the City-Mäuschen macht Spaß, jedoch ist diese Transgression hin zur banalen und ekeligen Körperlichkeit nicht mehr als nur ein kleiner Anfang und dient oft nur der Übertünchung der Tatsache, dass nach dem Scheißen doch nur das baldige Hetero-Beziehungsglück folgt. s

Pitch Perfect von Jason Moore US 2012, 112 Minuten, deutsche SF Universal Pictures, www.universal-pictures.de Im Kino ab 20. Dezember 2012, www.pitchperfectmovie.com


rapid eye movies

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Fundamental dagegen von Lu k a s Foe r st e r

Noch mehr anti geht kaum. Khavn de la Cruz’ ausdrücklich so bezeichnete Nicht-Filme (sein übliches „this is not a film by“ negiert ja in alle Richtungen) passen sich keinem Publikum und keiner Aufführungspraxis an. Seine Abarbeitung am philippinischen Kultroman „Mondomanila“ von Norman Wilwayco dauerte neun Jahre, hatte schon diverse Clips und Kurzfilme zur Folge und ist nun mithilfe eines deutschen Koproduzenten in einem fast konventionellen Spielfilm gemündet. Der ist zwar inhaltlich und formal eine enorme Herausforderung, aber unser Autor und Khavn-Kenner ist fast schon ein wenig enttäuscht.

Mondomanila von Khavn Dela Cruz PH/DE 2012, 85 Minuten, OmU Rapid Eye Movies, www.rapideyemovies.de Im Kino ab 29. November 2012

s Manila als Moloch und Faszinosum, als Objekt der Elendspornografie und gleichzeitig als spektakulär drapierte Gegenwelt zu westlichen Vorstellungen von Urbanität, als Ort auch einer wildgewordenen, sozusagen unaufgeklärt befreiten Sexualiät: Neu ist das alles nicht, ganz im Gegenteil sprechen einige der größten Klassiker des philippinischen Kinos von nichts anderem – Ishmael Bernals Manila by Night for allem, aber auch zum Beispiel Lino Brockas Manila in the Claws of Light. Khavn de la Cruz liefert mit Mondomanila jetzt das Update für die web2.0-mashup-Generation. Unter den jungen und nicht ganz so jungen philippinischen Regisseuren (und leider eher wenigen Regisseurinnen), die in den letzten Jahren auf Festivals von sich reden machten, ist Khavn de la Cruz einer der exaltiertesten, radikalsten. Und mit ziemlicher Sicherheit der produktivste: 33 Langfilme (alle in den letzten zehn Jahren entstanden) und noch einmal deutlich mehr Kurzfilme verzeichnet seine eigene Website. Khavns Filme sträuben sich gegen Narrativierung, aber auf eine sehr spezifische Art; sie sind stets zuerst Konstellationen: Verschaltungen von zwei, drei, vier unterschiedlichen Materialien, die sich an ihren Rändern eher gegeneinander verhärten, als dass sie ineinander fließen, einen fiktionalen (oder auch nur klassisch dokumentarischen) Raum entstehen lassen würden. In diesem Sinne ist Khavn der einzige unter den neuen philippinischen Regisseuren, der tatsächlich so etwas ähnliches wie post-Cinema macht. Im Grunde arbeitet er installativ, nur, dass er seine Installationen stur phasenverschoben verzeitlicht. Jetzt hat Khavn einen Erzählfilm gedreht. Von den Ordnungsprinzipien des Narrativen scheint er immer noch nicht viel zu halten, allerdings bekämpft er sie nicht mehr mit Verweigerung, sondern mit Übererfüllung, overkill. Viel zu viele Figuren tauchen auf, jede wird mit einem Steckbrief eingeführt, bzw. vor allem polymorphpervers positioniert. Dugyot: dauergeil, liebt Gänse; Ungay: verkauft Kohlen, spritzt ab, wo immer ihm danach ist; Danto: hoffnungslos romantisch, Piepsstimme, der Vater kann ihm das Schwulsein nicht austreiben. Dazwischen hingerotzte dokumentarische Miniaturen. Die gesamte erste halbe Stunde des nur 75 Minuten langen Films besteht aus einer Exposition, von der man von Anfang an ahnt, dass sie nicht daran interessiert ist, etwas vorzubereiten. Mondomanila ist die Verfilmung, vielleicht eher die Zersetzung, eines Romans, angefüllt mit Fragmenten von Geschichten, die bei jeder Gelegenheit aus dem Ruder laufen, sich in Zeitrafferaufnahmen und Musikvideosequenzen auflösen. „Das Leben hat keinen Sinn, bis der Sinn irgendwann zu leben beginnt“, heißt es in einem der vielen Lieder auf der Tonspur; man wird das Gefühl nicht los, dass sich solche Sätze dem dekonstruktivistischen Zeitgeist allzu widerstandslos andienen. Interessant ist das Feuerwerk, das Khavn in Mondomanila abbrennt, zwar schon, spektakulär auch und lustig zumindest dann, wenn „White Boy“ auftaucht, ein amerikanischer Pädophiler, der in abstruser Imperialistenpose am Klavier sitzt und über die „jämmerlichen Filipinos“ herzieht, die nur als Sexsklaven taugten – und die sich natürlich, das ist einer der stärker ausdefinierten Plots des Films, an ihm rächen werden. Gleichzeitig aber verkümmert Khavns Fundamentalopposition gegen das Kinoestablishment tendenziell zur schicken, eingängigen, popkulturell konnotierten Grafik. Mondomanila sieht, leider Gottes, wie der Film eines Regisseurs aus, der seinen eigenen, hart erarbeiteten Kultstatus nicht nur für bare Münze nimmt, sondern diese Münze auch reinvestiert, als ästhetisches Prinzip. Es hilft nichts, auch wenn es sich furchtbar cine-elitär anhört: Mondomanila ist als anarchisch-hypersexualisierter Fremdkörper in der immer noch gerne qualitätsbeflissenen Arthousekinogegenwart schon ok, wer jedoch wissen will, was Khavn wirklich drauf hat, der mache sich lieber auf die Suche nach Filmen wie Squatterpunk, Bahag Kings, Cameroon Love Story oder vor allem der großartigen BrockaParaphrase Manila in the Fangs of Darkness. s 19


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Glühwürmchendämmerung von N i kol aus Pe r n e cz k y

Edition Salzgeber

In der surrealen Landschaft der spanischen Extremadura erzählen Cristina Diz und Stefan Butzmühlen in ihrem Debütfilm „Sleepless Knights“ vom Aufeinandertreffen und Aneinander-Vorbeileben einer alten, starren, verpanzerten Dorfbevölkerung und eines jungen schwulen Paares, das die Jugendarbeitslosigkeit aus den Metropolen aufs Land getrieben hat. Nikolaus Pernetzky hat unterhalb der großen Scheinwerfer der Massenkultur in diesem Film die Beständigkeit kleiner Lichtquellen entdeckt. Die Filmemacherin Angela Schanelec, die „Sleepless Knights“ im diesjährigen BerlinaleForum gesehen hat, schwärmt über einen Film, in dem vom ersten Bild an alles möglich ist.

s Die Rückenansicht eines nackten Mannes, vor ihm ein Pferd, das er streichelt. Es ist eine so finstere Nacht, dass wir, wenn er sich endlich umdreht, sein Gesicht kaum erkennen können – und ob er geradewegs in die Kamera blickt oder knapp an ihr vorbei. Wen sieht er an? Und mit wessen Augen schauen wir zurück? Das Rätsel, das die erste Einstellung von Sleepless Knights, dem Langfilmdebüt von Stefan Butzmühlen und Cristina Diz, aufgibt, wird auch später nicht regelrecht gelüftet. Einige Male noch sollen sich solche subjektlosen Subjektiven einschalten, gleich einem katzenlosen Lächeln – wenn nicht irgendwann klar würde, dass es nichts zu Belächeln gibt an dieser gespenstischen Präsenz, deren Weltverhältnis eher ein Spähen, Flüchten, Sich-Ängstigen ist als ein neutraler Blick. Juan, ein junger Polizist aus Madrid, ist in eine kleine Ortschaft in der südwestspanischen Extremadura versetzt worden, wo er vornehmlich damit befasst ist, illegalen Einwanderern nachzuspüren. In einer Bar wird er Carlos kennen lernen, der bis vor kurzem ebenfalls noch in Madrid gelebt hat, aufgrund der im Hintergrund schwelenden Eurokrise aber seinen Unterhalt nicht mehr aufbringen kann und darum vorübergehend – tatsächlich: auf unbestimmte Zeit – in sein Heimatdorf zurückgekehrt ist. Ihr Flirt schlägt rasch um in handfeste Liebeshändel, mit elliptischer Plötzlichkeit fast ganz ohne Anbahnung, so unvorbereitet und ungeschützt wie auch der Rest von Sleepless Knights sich Bahn brechen wird. Eine einschlägige Szene: Unmittelbar nachdem sie einander zum ersten Mal begegnet sind, sitzen Juan und Carlos am Ufer eines Flusses, der so breit ist, dass er als zweiter Himmel durchgeht. Juan erhebt sich, pinkelt in den vorbeilaufenden Strom und eh er sich’s versieht ist Carlos nackt und springt, schwups, in die urinangereicherten Fluten: „Kommst du nicht rein?“ Außer dem Wasser ist jetzt alles klar. Es gibt einige Szenen, worin Sleepless Knights auf die für Spanien verheerenden Folgen der Eurokrise Bezug nimmt, meist jedoch indirekt, über die Bande beiläufig hingeworfener Gesten und Äußerungen gespielt. Noch dort, wo die politische Gegenwart ins Bildzentrum rückt, bleibt sie ein fernes Echo, etwa in einer frontalen Aufnahme des Fernsehapparats auf der elterlichen Wohnzimmeranrichte, von dem Bilder der Madrider Massenproteste und die Selbstdarstellung einer „Indignada“ flimmern. Vor dieser Guckkastenanordnung sitzen Carlos und sein dementer Vater, in einem der zahlreichen Momente ungerichteter Latenz, die Sleepless Knights immer wieder in einen leichten Dämmerzustand entrücken. Der nur noch zur Hälfte in dieser Welt verankerte Vater, sein Oberkörper aus unerfindlichen Gründen mit einer Plattenrüstung bewehrt, ist im nächsten Augenblick sanft entschlummert. Eingeleitet durch ein Close-Up, das uns ans selbstverlorene Gesicht des Schlafenden heranführt, lässt Sleepless Knights seine Primärwirklichkeit hinter sich, und begibt sich in das halb mythische, halb prosaische Reich sagenumwobener Ritter, die es mit einer von Mauren besetzten Festung aufnehmen wollen. Äußerlich hat diese Parallelwelt indes weniger mit mythischer Überhöhung als mit einer bestimmten Tendenz des zeitgenössischen Weltkinos zu tun – so jedenfalls der erste Eindruck: Die Ritter sind eine Gruppe alter Männer, unvollständig angetan mit mittelalterlichen Rüstungen – ein lose übergeworfener Brustpanzer hier, ein schief sitzender Helm da –, die ihnen, auch weil die Alltagsbekleidung noch darun21


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ter hervorragt, so theatral-äußerlich bleiben wie die Kostüme eines Straubfilms. Bei ihrem ersten Auftritt geben sich die phantasmatischen Ritter wortkarg und undurchdringlich. Eine von vielen langen Einstellungen sieht ihnen geduldig dabei zu, wie sie, einer nach dem anderen, einen schmalen Bergpfad entlang wandeln. Auf der Tonspur: das trippelnd-hypnotische Läuten von Schafsglocken. Später machen sie vor der Kulisse des inzwischen vertrauten, breit aufgetragenen Flusses halt. Warum sollte man sich da nicht auch noch die Zeit nehmen, der Zubereitung eines gefangenen Fisches beizuwohnen? Just als man meint, sich in einem Film von Lisandro Alonso wiederzufinden, bekommt der gravitätische Ernst der Sache jedoch erste Risse. Die Ritter singen, um ein Lagerfeuer versammelt, frivole Lieder, necken und beschuldigen einander, ihren Auftrag nicht mit dem nötigen Ernst zu verfolgen, was die allmählich ins Burleske kippende Situation immer besser beschreibt: Die Ritter als Narren. Obschon hier bestimmte Klischees des Festivalkinos – etwa die Verschränkung von filmischer Referenz und theologischer Reverenz – aufgerufen und listig umgebogen werden, geht die Aneignung nicht so weit, als dass der Film im Einzelnen nicht doch (auch) in der angezeigten Weise funktionieren wollte und würde. Weniger Kritik als Umarbeitung, setzt Sleepless Knights auf unentwegte Verunreinigungen seines an sich strengen ästhetischen Konzepts. Auch die Zwei-Reiche-Lehre, nach deren Maßgabe der Film in zwei ungleichartige und nur bedingt zu vermittelnde Teile zerfällt, ist dem Fundus des festivalnahen Weltkinos entlehnt – man denke an Apichatpong Weerasethakuls Tropical Malady oder, um neben dem wahrscheinlichen Anfangspunkt noch einen rezenten Vertreter dieses Prinzips anzuführen, Nadav Lapids Policeman. Nicht aus drei, vier oder fünf Teilen soll ein Film demnach bestehen, sondern lediglich aus zweien – ein nur scheinbar schlichter Binarismus, den man durchaus als Absage an die vielgliedrigen Netzwerkerzählungen auffassen darf, die sich noch bis vor kurzem einzig imstande wähnten, unsere Gegenwart adäquat abzubilden. Die Reduktion führt nämlich nicht zu einer Vereinfachung oder Verflachung der Filme, die übrigens gar nicht mehr daran interessiert sind, eine globalisierte Wirk22

lichkeit abbildlich einzuholen, sondern zu einer Ästhetik der Differenz, die auf das Uneinholbare zwischen den Bildern zielt. Sleepless Knights knüpft auch an diese Vorlage nicht in Reinform an, sondern wiederum im Modus einer irgendwie jovialen Unreinheit – Juan und Carlos, die in den Fluss der Bilder pinkeln, um dann darin zu baden. Die beiden Welten, die eine mythisch, aber in ihrer Anmutung prosaisch, die andere im Grunde realistisch, aber von zum Teil überwältigenden Naturlyrismen durchzogen, stehen in Sleepless Knights nicht wie zwei unbehauene Blöcke nebeneinander, vielmehr sind sie ineinander (auch motivisch) verwoben. Wenn sich doch so etwas wie eine Schnittmenge, ein Gemeinsames der beiden Erzählhälften herauskristallisiert, dann in dem Versuch, die verlorene Festung wieder einzunehmen. Die Strategie der Ritter ist in gewisser Weise eine direkte Umkehrung des Don Quixote, der mit echten Waffen gegen imaginäre Feinde antrat. Hier wird im Gegenteil versucht, nur mit Imagination bewaffnet gegen einen echten Feind zu gewinnen: Indem sie winzige, batteriebetriebene Lämpchen an einer Herde Schafe befestigen, so die (auf den Stand der Technik gebrachte) Sage, erwecken die zahlenmäßig unterlegenen Ritter den Anschein einer herannahenden Armee, worauf der Feind sich in alle Windesrichtungen zerstreut. Nur die Alten und Kinder bleiben zurück. Die illuminierten Schafe, die von den burlesken Rittern in einer langen, unbewegten Einstellung, derweil es Abend wird, die Anhöhe zur Maurenfeste hinaufgetrieben werden, nähern sich mit jedem Schritt, den sie sich von uns entfernen, mehr einer Glühwürmchenkolonie an, bis nur noch ein leuchtschwaches Schillern auszumachen ist. Ankommen tun sie, zumindest was den Film betrifft, nie. Den Glühwürmchen, oder vielmehr ihrem Verschwinden, hat Pier Paolo Pasolini in den 1970er Jahren einen Aufsatz gewidmet, worin ihr kaum wahrnehmbares, hundertfaches Leuchten zur Metapher für den gesellschaftlichen Anteil der Anteillosen wurde, der – auch das ist in dem Bild mitgemeint – nur in dem Maß politisch wirksam sein kann, wie er es als ästhetischer ist. Und genau diese marginale Leuchtkraft sah Pasolini bedroht, durch den Aufstieg der Massenkultur, gegen deren alles ausleuchtenden „Scheinwerfer“ (G. Didi-Huberman) die Glühwürmchen nichts mehr auszurichten vermögen.


Edition Salzgeber (3)

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Der Kampf der Glühwürmchen gegen die Befestigungsanlage wird in Sleepless Knights zur bezugreichen Allegorie eines neuen, hinter Grenzzäunen und Sachzwängen verschanzten Europa. Erst wenn man das verstanden hat, werden die eingangs erwähnten subjektlosen Subjektiven zuordenbar, welche die Liebesgeschichte der beiden jungen Männer diesseits des Mythos in unregelmäßigen Abständen durchkreuzen: Der fliehende, angstvolle Blick könnte einem jener Flüchtlinge gehören, die dingfest zu machen Juans Beruf ist. Gegen Ende des Films gibt es eine – in jeder Hinsicht unterdeterminierte – Ansicht, die auch deshalb so rätselhaft ist, weil sie ziemlich genau zwischen die Extreme der Pasolinischen Metaphorik fällt: Eine völlig leere Diskothek, erhellt von wild herumwirbelnden Lichtpunkten. Obwohl den vorprogrammierten Routinen der Lichtmaschine jedes erratische Moment abgeht, ist in dem Flackernden, Unsteten des immer nur teilweise erleuchteten Raums ein Rest von der Utopie der Glühwürmchen noch enthalten – und sei es als deren maschinelle Objektivierung. Es ist kein Zufall, dass das vorletzte Bild von Sleepless Knights dem Licht eines Autoscheinwerfers folgt, der über eine staubige Landstraße gleitet, auf der Suche nach Carlos’ dementem Vater, der ausgebüxt ist oder vielleicht sogar in die Parallelwelt der Ritter sich verflüchtigt hat. Und es ist kein Wunder, dass im Schein jenes grellen Lichts jede Spur von ihm fehlt. s

Sleepless Knights von Stefan Butzmühlen und Cristina Diz DE 2012, 85 Minuten, spanische OmU Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino ab 3. Januar 2013, www.sleeplessknights-film.de

Alles ist wahr von Angela Schanelec s Sleepless Knights beginnt mit einer Einstellung bei Nacht, in der Dunkelheit erkennt man ein Pferd und davor den nackten Körper eines Mannes. Das Bild ist von merkwürdiger Reinheit und Einfachheit. Ich dachte, dass jetzt alles möglich ist, aber nichts passieren wird, was sich nicht aus sich heraus ergibt. Butzmühlen und Diz inszenieren ihre Darsteller wie Menschen, die schon längst existieren, nur wussten wir nichts von ihnen. Der Raum und die Zeit, die sie ihnen geben, ist bemessen von einem freien und völlig unvoreingenommenen Blick. Was für die Figuren gilt, gilt auch für die Landschaften und Orte, alles findet seinen Ausdruck und damit seine Bestimmung. Dadurch hat man das Gefühl: Alles ist wahr. Erlöst vom Bedürfnis nach Erklärungen sieht und hört man zu. Es sind die ungeheuerlichsten Dinge, die man erfährt. Mit Selbstverständlichkeit folgt man dem Geschehen, nicht, weil sich die Ungeheuerlichkeit im Fiktiven verwischt, sondern weil sie eben nicht mehr zu leugnen ist. Man sieht zu und glaubt daran, dass sich Liebe wirklich ereignet, wie in der Begegnung zwischen Carlos und Juan, dass alte Männer sich über Hemd und Hose Rüstungen ziehen, in denen sie eins werden mit der Welt, und dass, wer verloren geht, gesucht und irgendwie auch gefunden werden wird. s

Angela Schanelec ist Filmemacherin, Drehbuchautorin und Schauspielerin. Zuletzt produzierte sie „Nachmittag“ (2007) „Deutschland 09“ – Episode „Erster Tag“ (2009) und „Orly“ (2010). 23


rosa von praunheim

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Ich weiSS nicht, was ich drehe I n t e rv i ew: En r ico Ipp ol it o u n d Ja n K ü n em u n d

Rosa wird am 25. November 70. Deswegen hat er jetzt 70 neue Filme gedreht, die man gerade in Kinos, auf DVD und im Fernsehen sehen kann, Miniaturen, dokumentarische Porträts, Gedichtverfilmungen, Pornos. In Berlin gibt es außerdem die große Ausstellung „Rosen haben Dornen“ und ein neues Buch ist auch erschienen, Titel: „Ein Penis stirbt immer zuletzt.“ Mehr geht eigentlich nicht. Zeit für ein 2½-stündiges Interview hat Rosa trotzdem noch.

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s Oliver, der Freund, lässt uns in die Wilmersdorfer Wohn- und Arbeitshöhle. Rosa verspätet sich und bringt Kuchen mit. Wie erwartet erst mal Fragen zu unserem Sexualleben und ethnischem Hintergrund. Nachdem das überstanden ist, wird es direkt herzlich und sehr offen. Die Waschmaschine läuft, und irgendwo in den hinteren Zimmern arbeiten Mitarbeiter gerade daran, 70 Filme für die digitale Kinoauswertung vorzubereiten. sissy: Sind die 70 Filme schon fertig? Rosa von Praunheim: Ja. Nur noch Postproduktion. Sind eigentlich alle deine Filme verfügbar? Könnten wir „Schwestern der Revolution“ jetzt kaufen? Soweit ich weiß, ja. Die sind alle digital aufgearbeitet. Mit Avid kann man Farbe und Ton wunderbar glänzend machen. Mit Filmemachen kann man aber kein Geld verdienen. Das ist höchstens ein Zusatzgeschäft. Eine harte Angelegenheit. Und für junge Filmemacher ist es fast unmöglich. Ich habe ja fünf oder sechs Jahre unterrichtet und die Stundenten haben es sehr schwer. Wieso? Die Schwulen gehen nicht mehr ins Kino und das DVD-Geschäft scheint ja auch vom Internet abgelöst zu werden. Mein Freund meint immer, das dauert noch, aber in den USA ist das ja schon zu merken. Insofern bewundere ich jeden, der sich im Geschäft hält. Das ist nämlich wirklich hart. Ich glaube, die Schwulen sind auch eher an Erotik interessiert. Da ist aber auch viel Beschiss. Da siehst du ein Cover und denkst, da ist irgendwas drin und dann guckst du im Schnelldurchlauf und siehst: Da ist ja gar nichts drin. In großen Geschäften darfst du ja was mit Sex nicht vertreiben. Du hast lange unterrichtet und Axel Ranisch war ein Schüler von dir. Freust du sich, dass er mit „Dicke Mädchen“ einen sehr erfolgreichen Film gedreht hat? Ja, aber Axel hat ja auch schon unglaublich viele Filme gedreht mit seinen jungen Jahren. Wunderbare Sachen. Ich verehre den sehr, weil er eigentlich in meinem Stil arbeitet. Wir haben ihn mit 20 Jahren aufgenommen in der Schule und der war wirklich wie so ein junger Mozart. Menschlich unheimlich toll, unheimlich warmherzig. Der ist ja so ein Fässchen. Alle Heterojungs und Mädchen haben an seinen Titten gesaugt. Und er war sehr produktiv, sehr politisch und hat Filme gegen Nazis gemacht – so Parodien. Er war immer sehr witzig. Ich habe mal eine Werkschau mit Filmen deiner Studenten gesehen, da sahen die Filme auch nicht anders aus: viel Effekte, nichts Eigenes. Viele haben versucht, sich pubertär von dir abzusetzen. Liegt das an dem starren Filmhochschul-System? Man soll das ja nicht beeinflussen. Es war nicht so, dass ich denen vorgeschrieben habe, was sie für Filme machen sollen. Die sollen sich ausprobieren und wenn sie die Gelegenheit haben, einen Film zu machen, möchten sie ihn gerne groß machen. Am besten ein Musical im Atelier mit vielen Darstellern und das versuchte ich immer zu verbieten. Verbieten ist aber auch doof. Dann müssen sie halt manchmal auch auf die Schnauze fallen, weil das dann eben eine Nummer zu groß ist – rein von der Organisation. Und was kann man als Lehrer dagegen machen? Du kannst da nur beraten, sie sollen ja auch störrisch sein und machen, was sie wollen. Ich denke aber, dass ich viele Anregungen gegeben habe, wie man es auch anders machen kann. Ich weiß nicht mehr, was wir genau gezeigt haben im Babylon, aber die Filme waren bestimmt sehr unterschiedlich, es sind ja auch unterschiedliche Talente. Und du freust dich als Lehrer überhaupt, wenn was fertig wird und sie es schaffen. Und du freust dich auch über jeden, der ein wenig Fantasie hat und irgendwie was Eigenes macht. Du kannst nur anregen. Talent gibt es relativ wenig – das ist halt so. Und kommerziell durchsetzen wird sich höchstens einer von zehn. Das ist halt ein Beruf, der sehr, sehr schwer ist. Wie alle künstlerischen Berufe.

Findest du die Hochschulpolitik, so wie sie ist, richtig? Nein, ich habe mich wahnsinnig mit denen angelegt. Es war ja auch sehr lustig, wie ich aufgenommen wurde. Du wirst als Professor gefragt, ob du dich bewerben willst. Dann wurde ich ins Stalin-Haus eingeladen. Das war damals noch auf 20 Villen verteilt, die HFF in Potsdam. Da waren so vier seriöse Kandidaten. Und ich bin ja antiakademisch und drei mal sitzen geblieben. Dann habe ich zwei Koffer dabei gehabt mit so Glamour-Kostümen und die Professoren, die zusahen und beurteilten, erst mal angezogen – damit sie besser aussehen. Dann habe ich einen Film gezeigt. 1979 habe ich in San Francisco unterrichtet, und da hatte ich einen Film zum Thema Homosexualität gedreht. Ich hatte einen Pornostar gemietet, der vor den Studenten Sex mit mir gemacht hat. Und die wurden dann danach benotet, wie sie uns dabei gefilmt haben. Mussten sich die Studierenden auch ausziehen? Nee, nee. Einige hatten dann was abgelegt, aber das war nicht Pflicht. Das gab einen Riesenskandal in der Schule, weil einer sich beschwert hatte, der eine schlechte Note bekam. Dieses Video hatte ich denen an der HFF vorgeführt und gesagt, dass seien meine ersten pädagogischen Erfahrungen gewesen. Und dann habe ich einen zweiten Film gezeigt und gesagt, dass ich den in Rio de Janeiro gedreht hätte, mit Esther Schweins und weiß nicht mehr wem, und da waren lauter Szenen drin mit Vergewaltigungen und Schießereien. Der Film war gar nicht von mir, ich hatte den gerade von Sat1 aufgenommen. Und dann hab ich gesagt: Das erste, was ich machen würde beim Unterricht mit den Studenten, wären Schießübungen. Ist ja wichtig für Krimis. Und das Zweitwichtigste für Regisseure und Regisseurinnen ist zu lernen, wie man Frauen misshandelt. Das ist ja auch im kommerziellen Sinn sehr, sehr wichtig. Über mehrere Werbepausen hinweg, wie man Frauen Treppen hochjagt mit dem Bein durch die Tür und so weiter. Da lagen die erst mal alle vor Lachen auf dem Boden und dann habe ich das Licht ausgemacht und die hypnotisiert. Und nach einem halben Jahr wurde ich dann Professor. Was passierte, nachdem du die Professur angenommen hattest? Dann habe ich mich sehr schlecht benommen. Ich hab so große Plakate in die Halle gehängt und die anderen Professoren beschimpft, dass sie im Grunde genommen nichts machen würden. Und sich nicht kümmern. Ich habe also versucht, die Studenten aufzuhetzen, dass sie ihre eigenen Interessen vertreten und sich nicht alles gefallen lassen, sondern sagen, was sie verändert haben wollen. Nun sind aber Studenten sehr konservativ heutzutage. Mit der Zeit merkte ich, dass du in diesen eingefahrenen, verbeamteten Strukturen nur klarkommst, wenn du selber was machst. Deshalb war es gut, dass ich so spät Professor geworden bin, denn die anderen hörten sofort mit dem Filmemachen auf – und waren nicht mehr in der Praxis. Das ist die große Gefahr. Und die Studierenden? Die sind natürlich gut bürgerlich und verwöhnt. Auch die osteuropäischen, was mich erstaunt hat. Also, da hat jemand aus einem armen Land die Möglichkeit zu studieren und ist noch nicht mal besonders motiviert! Das hat mich immer sehr geärgert. Da nehmen die jemandem den Studienplatz weg, der vielleicht ganz hungrig ist und ganz wenig Möglichkeiten hat. Wieso wenig Möglichkeiten? Aufgenommen zu werden, ist ganz, ganz schwer. Und wenn sie einmal drauf sind, dann können sie fast auch gar nicht mehr runtergeschmissen werden. Und das ist eigentlich der Fehler, denn sie müssten immer Prüfungen ablegen und auch runtergeschmissen werden können. Das Studium ist so teuer. Du musst Handwerk lernen und das wird da nicht gelernt. Die können noch nicht mal gute Regieassistenten werden bei irgendeiner Produktion – dafür können sie zu wenig. Und das ist eigentlich wichtig, denn Regie werden nur wenige machen können, aber sie müssen in der Praxis hinterher Geld verdienen. Da ist im Grunde genommen jeder Medienlehrgang besser. Die Begabten 25


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setzen sich mit oder ohne Schule durch – denke ich. Und dann haben viele diese Illusion … Welche? Reich und berühmt zu werden. Die wollen alle eine große Familie, viel Geld, großen Erfolg, am liebsten mit Actionfilmen. Ganz süß eigentlich. Ganz naiv. Wie hebelst du das dann aus? Ich versuche, denen ganz realistisch zu sagen, dass der Beruf des Regisseurs ein Weg in die Armut ist. Und dass nur einer von zehn es kommerziell schaffen wird. Dass so ein bürgerliches Leben den meisten nicht gelingen wird, sondern ein Leben voller Entbehrungen. Wie hast du dich denn eigentlich etablieren können? Du hattest ja immer Sender, bei denen du was machen konntest. Naja, nicht von vorneherein. Die ersten drei Kurzfilme habe ich selbst produziert und konnte sie dann verkaufen. Mit den Fernsehgeldern konnte ich dann weitermachen. Aber ich habe bis auf ganz wenige Filme immer selbst produziert. Gab es denn ein Netzwerk von Leuten, die deine Arbeit unterstützt haben? Nein. Nee. Ich bin ja beeinflusst vom Umfeld des amerikanischen Undergrounds, zu der Zeit, als die 16mm-Kameras aufkamen. Das war in den 60er-Jahren. Da hattest du diese Bewegung. Ich war immer von der Beat-Generation beeinflusst. Von Allen Ginsberg, vor allem von William Seward Burroughs. Das waren meine Helden. Dann PopArt, deutscher Expressionismus, deutscher Stummfilm. Das waren so die Einflüsse. 1967 habe ich den ersten Film gemacht, hatte aber schon vorher ein Buch mit Gedichten und Zeichnungen veröffentlicht. Und dann habe ich halt meinen ersten Kurzfilm gemacht mit einer stummen Beaulieu-16mm-Kamera. Aber die Bolex-Kamera, die man aufziehen musste, das war die Standard-Kamera der amerikanischen Underground-Filme. Welche Underground-Filme waren das denn? Da war Jack Smith, Andy Warhol und vor allem Gregory Markopoulos, den ich ungeheuer verehrt habe und bei dem ich auch assistiert habe. Der ist ja mittlerweile völlig unbekannt. Es gibt nur so einige Museen, die was gesammelt haben. Damals hattest du viel mehr Kunstbegeisterte. Zu meiner Zeit gab es ein größeres Interesse an neuen künstlerischen Formen. Woher kam das Interesse? Das war studentisches Publikum. Ich habe 1968 Filme gezeigt, in einem Filmkunsttheater, was jetzt das Gripstheater ist. Da standen die Leute bis zum Ku’damm im Dezember Schlange und haben Filme von mir und Schroeter gesehen. Das waren Events. Man hat nachts in irgendwelchen Fabriken Filme gezeigt. Diese Events waren neu und begehrt. Das sprach sich schnell herum, weil die Filme ungewöhnlich waren, witzig, politische Parodien. Aber man redet immer nur von 1966, da wurde ja die Deutsche Film- und Fernsehakademie hier gegründet. Das waren alles sehr humorlose, linke SchwarzweißFilme. Sag ich mal so. Die halt so im Trend der marxistischen Linken lagen. Ende der 60er wurden da doch kaum Filme gemacht? Doch, doch. Es waren so Filme über die politische Diskussion. Man filmte Diskussionen mit – mit schlechtem Ton und Bild. Gerd Conradt hat seinen Film Die Rote Fahne oder so gemacht, wo er mit der roten Fahne durch die Stadt zieht. Das ist so ein Kultfilm. Und dann Harun Farocki mit seiner Maobibel. Es gab so einen Gruppendruck. Man musste sehr politisch sein, sonst war man Kuchenfilmer. Kuchenfilmer? Ja, das war so eine Bezeichnung für Leute, die nicht politisch waren. Also wie das heutige Popkorn-Kino. Ja, die Geschichten erzählen wollten und an Ästhetik interessiert waren, nicht an politischer Propaganda. Die wurden verachtet. Dann gab es diese kleinen Underground-Sachen, die Ottinger und den Lambert. Zu meiner Zeit gab es dann Schroeter, den ich nach Berlin 26

brachte. Er assistierte mir und ich später ihm. Und dann gab es … Wen gab es denn noch? Die Hamburger Filmschau, die sehr wichtig war für neue experimentelle Sachen. Wie prüde war Deutschland damals? Naja, die 68er waren auch eine sexuelle Revolution. Die Frauenbewegung, Helma Sanders und so weiter. Die Linke war prüde, die Frauen unterdrückt, Schwule nicht anerkannt. Aber sexuelle Revolution, Kommune 1 und so – das waren ja die Anfänge. Das spielte eigentlich alles zusammen. Und dann kam ich mit dem schwulen Film und hatte schon mit Schwestern der Revolution die Frauenbewegung fiktiv mit den Schwulen zusammengebracht. Das war halt so die Zeit. Die ging so bis in die Achtziger Jahre, bis der deutsche Film starr wurde. Starr im Sinne von hetero? Naja, auch dieser Kunstanspruch hat sich verfestigt und wurde uninteressant, langweilig. Wir hatten ja in dem Sinne keine konventionelle Dramaturgie – die Münchener schon eher. Und das Publikum war nicht so interessiert. Und dann kamen so Mitte der Achtziger die deutschen Komödien. Das war ein Trend, da gab es dann Publikum. Was waren das für Filme? Das fing sicher an mit May Spils, in München, auch schon früher. Hier war das Detlef Buck zum Beispiel. Es gab fünf, sechs große Komödien-Trends, die den neuen deutschen Film auf eine neue kommerzielle Ebene gebracht haben. Das war der Anfang. Man lernte wieder, Drehbuch zu schreiben und zu unterhalten und wie man ein Publikum kriegt. Der Filmwissenschaftler Richard Dyer gibt dir in „Now you see it“, seiner schwullesbischen Filmgeschichte bis 1990, fast ein ganzes Kapitel. Er nennt deine Filme „Konfrontationsfilme“, die sich geweigert hätten, nette, freundliche Schwule zu zeigen, wie es damals angesagt war, um den üblichen homophoben Bildern etwas entgegenzusetzen. Brav gefilmt, niederschwellig, konventionell – und dann tauchst du auf mit dem Homosexuellenfilm, der ja inhaltlich und formal sehr verrückt ist … Theatralisch ist der. Aber woher kam das Konfrontative – auch der eigenen Szene gegenüber? Oder anders gefragt, wie bist du auf diese formalen Verrücktheiten gekommen? Du hast ja darin Essay, Dokumentarfilm, Spielfilm, Pamphlet und alles mögliche miteinander vermischt. Ich hatte das Glück, dass ich keine Ausbildung hatte. Und ich habe mich nicht konventionell an Vorbilder gehalten, sondern alles praktisch selbst erfunden. Zum Teil aus der Not heraus, eben mit dieser stummen Kamera. Ich habe ja auch den Homosexuellenfilm stumm gedreht, und erst hinterher den Ton draufgemacht. Auch aus politischen Gründen. Das Subversive kam hinterher, nachdem der Film schon abgedreht war. Das war eine interessante künstlerische Methode. Ich kam ja aus der Malerei und habe die Kamera selbst gemacht. Ich hatte eine sehr spezielle Art, wie ich Bilder gesehen habe und konnte mich dann ganz auf diese Bilder konzentrieren – und hinterher den Ton erfinden, der mir passte. Wenn man mit Ton dreht, ist man halt sehr abhängig. Ich bin dahin gerade wieder zurückgekehrt bei den sieben Spielfilmen im 70-Filme-Projekt. Bin zurückgekehrt zu dieser experimentellen Methode, schreibe keine Drehbücher mehr. Ich sag ja immer, nicht ich mach die Filme, sondern die machen mich. Ich weiß nicht, was ich drehe. Wieso bist du zum experimentellen Kino zurückgekehrt? Weil ich heute keine Chance mehr habe, Spielfilme zu machen. Es gibt zwar noch Newcomer-Redaktionen wie das Kleine Fernsehspiel, aber sonst eben nur die 20.15-Uhr-Schiene. Die ist dermaßen restriktiv kommerziell ausgerichtet, die würden mich nie für einen Krimi, das sind ja hauptsächlich Krimis dort, engagieren, weil meine Welt zu verrückt ist. Und dann ist es ganz normal, dass man fragt: Wieso soll ich mich anpassen? Dann mach ich doch lieber ganz radikal, was mir wirklich Spaß macht. Und ich mach dann innerhalb von wenigen Tagen einen Spielfilm, mit Leuten, die fantasievoll sind. Und hab


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einen wahnsinnigen Spaß und eine Befriedigung daran, mit tollen Leuten was zu machen, was ganz ich bin. Ohne daran zu denken, ob das jemals gezeigt wird. Ich denke aber, dass man sich durchsetzt, wenn man konsequent ist – oder halt auch nicht. Das ist mir egal. Dokumentarfilm ist der einzige Bereich, in dem ich akzeptiert werde und mich durchgesetzt habe. Auch bei Redaktionen. Wo ich auch Erfolg habe und mich nicht anzupassen brauche. Hast du eigentlich Homophobie oder Restriktionen in Sendern erlebt? Ja, aber nur von Schwulen und Lesben. Das ist das Traurige. In welcher Art? Es gab Leute, die versucht haben, meine Filme zu verhindern. Und das waren meistens die ungeouteten Schwulen und Lesben. Zum Beispiel Bettina Böttinger, die gerade von Harald Schmidt geoutet worden war. Die hatte mich eingeladen in ihre Sendung. Es war schon alles fertig, die Trailer und so weiter. Dann sagte ich, dass ich sie aber vorher sprechen wollte. Ich sagte ihr, ich würde gerne auf das Outing von Schmidt eingehen. Das wollte sie auf gar keinen Fall. Ich sagte, das kann man doch charmant machen und ich würde sonst in der Sendung jedes Mal nachfragen und das wäre doch doof. Dann hat sie drei Stunden später angerufen und mich ausgeladen. Ich könnte auch Geschichten von heute erzählen, aber die würden mir schaden. Wenn ich weiß, da ist ein schwuler Redakteur, denke ich mir, hab acht, hab acht. Da wird nichts draus. Und selbst der rechte CDU-Redakteur hilft dir. Und das ist heute noch so, weil die Leute Angst haben? Das ist psychisch. Denn die Leute wissen ja, dass jemand schwul ist. Das ist immer das selbe Ding, dass es alle um dich herum wissen und nur du glaubst, dass sie es nicht wissen. Das ist ja das Blöde. Außerdem haben Schwule und Lesben eine ganz eigenen Vorstellung, wie Homosexuelle dargestellt werden müssen, und das ist meisten kurios. Wie denn? Das ist von persönlichen Sachen abhängig, wie man das gerade so sieht. Ich bin ja ein Erzengel geworden, weil meine Darstellung vielen nicht gefallen hat. Es war zu offensiv, zu politisch. Ich war sicher auch nicht immer toll. Du hast unter anderem Hape Kerkeling geoutet und bist so zur Hassfigur der Nation geworden. Das war mein Prinzip. Ich wusste natürlich, dass sich alle Feindschaft auf mich richten wird. Da dachte ich, um der Sache willen wäre es doch ganz schön. Ich war wütend auf die Schwulenszene, wie spießig die war und wie unpolitisch. Hast du dein Ziel erreicht? Ich glaube, dass der Journalismus sich entscheidend verändert hat. Das kann man nachweisen. Vorher wurden Schwule nur problematisiert. Es wurde nur über sie berichtet, wenn sie Mordopfer waren oder wenn Prominente an Aids gestorben sind. Und das ist jetzt anders. Ich denke, das hat meine Outing-Serie angestoßen. Bist du denn immer noch für ein radikales Outing von Prominenten? In meinem Herzen ja, besonders bei der Kirche. Aber ich bin jetzt alt, moderat und friedlich geworden. Du machst mittlerweile hauptsächlich dokumentarische Porträts. Wie ist da deine Methode, wie gehst du in ein Interview rein? Das habt ihr ja erlebt. Also mit provokanten Fragen. Nicht unbedingt provokativ. Ich habe aber gelernt, dass es so ein paar Tricks gibt. Schule des Journalismus. Das kommt sehr auf die Körperhaltung an. Du musst dem das Gefühl geben, dass du ihn magst. Und ich mag den Neonazi genauso wie den Kardinal. Ich verliebe mich in meine Interviewpartner – automatisch. Und auch direkte Fragen werden immer beantwortet, man muss sich trauen, direkt und spontan zu fragen. Du hast ja eine Ochsentour durch alle deutschen Talkshows hinter dir. Gab es einen Moment, wo Leute was aus dir rausbekommen haben? Hast du jemals die Kontrolle verloren? Es gab Versuche. 27


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Einer der „70 Filme“: „Ein schöner Akrobat“

Es wirkt ja so, als ob du schon alles über dich erzählt hättest. Sogar deine Wohnung kennt man aus den Filmen. Hast du überhaupt noch Geheimnisse? Ich nehme auf meinen Freund Rücksicht. Er möchte nicht, dass ich über bestimmte Sachen rede. Und das ist sicherlich was Neues, weil ich sonst alles immer ausplaudere. Gerade über mein Sexleben. Ich schreibe ja auch jeden Tag Tagebuch. Wie schreibst du Tagebuch? Sind das Notizen oder richtige Einträge? Wie in Rosas Rache. Also selbst die Tagebücher sind öffentlich. In Ausschnitten. Seit siebzehn Jahren führe ich Tagebuch. Inzwischen auch am Computer. Ich habe aber ein kleines Buch, wo ich Stichworte handschriftlich hineinschreibe. Das ist sehr spannend, weil diese knappe Form sehr aufregend ist, wenn man das liest. Wenn ich im Internet so rumschwafle, ist das eher langweilig. Gehst du eigentlich ins Kino? Ja. Viel. Gerne. Sehr gern. Gibt es im queeren Bereich gerade etwas Aufregendes für dich? Gerade? Weiß ich nicht. Aber grundsätzlich gibt es ganz wunderbare Sachen. Tarnation zum Beispiel. Dann finde ich auch Shortbus toll, auch die Arbeitsweise – wie er mit denen gearbeitet hat. Das habe ich jetzt auch in New York Sisters gemacht, der auch zu den 70 Filmen gehört. Es gibt viele tolle Filme, aber einige gehen unter. Kino macht mir Spaß, das ist ja auch was für ältere Leute. Ist das queere Kino rückständig? Oder spießig? Nee, ich glaube, dass Kino grundsätzlich vorbei ist. Könntest du dir ein Filmemachen denken, das auf das Kino als Ort verzichtet? Steckt darin vielleicht sogar ein kreatives Potenzial? 28

In allem steckt Potential. Hat aber Vor- und Nachteile. Es ist doch spannend, wie die jungen Leute mit dem Kino umgehen. Wo das aber noch nicht angekommen ist, ist die Filmschule. Die Leute haben keine Geduld mehr. Länger als 20 Minuten ist nicht mehr. Gibt es einen Film, auf den du besonders stolz bist? Nee. Ich bin auf überhaupt nichts stolz, weil ich so ein schlechtes Gedächtnis habe. Ich kann mich an mich selbst oft gar nicht mehr erinnern. Schaust du dir deine Filme nicht an? Nein. Das ist mir so fremd, weil ich in der Gegenwart lebe und so viel gleichzeitig mache. Wenn ein Film vorbei ist, kommt der nächste. Dann habe ich alles andere vergessen. Ich arbeite viel, aber ich habe keine große Einbildung. Es gibt so viele tolle Leute. Es ist halt ein ständiger Kampf. Ich konnte ja keine Reichtümer erwerben, insofern hoffe ich, dass ich die Miete von einem Projekt zum anderen bezahlen und die Leute hier halten kann. Wenn eine Kinemathek nur einen Film von jedem Regisseur archivieren wollen und dich fragen würde – welchen würdest du wählen? Sehr schwierige Frage. Ich finde den Film von Elfi Mikesch über mich sehr schön, der heißt Ich bin ein Gedicht, wo sich mich als Dichter und Maler beschreibt. Der gefällt mir sehr gut, weil ich mich als einen großen Dichter und Maler sehe – unentdeckt. Meine eigenen Sachen kann ich schwer beurteilen. Viele junge Leute entdecken die Bettwurst immer wieder neu. Auch den Homosexuellen auf eine Weise. Und „Überleben in New York“? Eher weniger. Das war ein kommerzieller Hit. Ich wollte immer einen schwul-lesbischen Friedhof machen, wo ich in den Grabsteinen so Monitore habe. Und da würde ich gerne

meine Filme zeigen. Das ist aber alles so egal. Ich versuche, in der Gegenwart zu leben. Und Zukunft ist in meinem Alter etwas Beunruhigendes, weil du immer mitkriegst, wie es anderen Leuten geht. Und deswegen froh bist, dass du noch einigermaßen gehen kannst. Und solange ich noch Lust habe, mache ich weiter. Aber das kann sich ja ganz schnell ändern. Das haben wir auch durch Aids bei den Jungen gesehen. Auch bei älteren Menschen, die plötzlich aus einer Vitalität rausgerissen werden. Deswegen ist es Quatsch. Ich habe Angst vor Filmen wie Hanekes Liebe. Eine Viertelstunde zu sehen, wie jemand gewindelt wird, das will ich nicht. Aber du hast doch damals auch den kontroversen „Todesmagazin“ gedreht, als Protest gegen die mediale Tabuisierung des Todes … Ja, als junger Mensch. Als junger Mensch konnte ich unglaublich gut mit Alter und Tod und Sterben umgehen, weil es mich nicht so getroffen hat. Jetzt will ich das nicht. Ich persönlich will mich nicht damit auseinandersetzen. Man will ja diesen Lebenskampf. Das ist das Erschreckendste. Dass du durch eine furchtbare Scheiße gehst, um noch ein paar Monate zu leben. Das will ich nicht an mich ran lassen. Ich möchte produktiv bleiben, so lange ich kann. Das schätze ich auch an anderen. Jeder, der was tut, und wenn es Regenwürmer sammeln ist, jeder, der aktiv ist oder intensiv lebt, hat meine große, große Sympathie. Das ist was Schönes. s www.rosavonpraunheim.de Alle Infos zu den 70 Filmen auf www.70filme.de Alles DVDs sind erhältlich bei Basis · www.basisfilm.de „Ein Penis stirbt immer zuletzt“ mit 70 Zeichnungen, Gedichten und 7 Kurzgeschichten ist erschienen im Martin Schmitz Verlag · www.martin-schmitz-verlag.de Die Ausstellung „Rosen haben Dornen“ ist vom 24. November bis zum 17. Februar im Berliner Haus am Lützowplatz zu sehen · www.hausamluetzowplatz-berlin.de


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Erkenne deine Kraft von A n n e -K . J u ng

Eine schwarze, lesbische Amerikanerin, Dichterin und politische Aktivistin kommt 1984 als Gastprofessorin nach Berlin. Damit beginnt eine Art Liebesaffäre zwischen ihr und dieser Stadt, die mehrere Jahre lang dauern soll und die im Leben vieler Menschen tiefe Spuren hinterlässt. Für die Berliner Frauen- und Lesbenszene und die Community Schwarzer Deutscher wird Audre Lorde zur Inspiratorin, zum zündenden Funken, zur Anleiterin, zur Moderatorin von Prozessen. Der Dokumentarfilm „Audre Lorde – Die Berliner Jahre 1984–1992“ von Dagmar Schultz macht diese Momente erlebbar.

s Audre Lorde. Audre Geraldine Lorde. Ein Name wie Poesie. Ein Name, der zum Schreiben, Dichten und Denken bestimmt. Seine Trägerin folgte dieser Bestimmung und wurde zu einer der wichtigsten gesellschaftspolitischen Aktivistinnen des 20. Jahrhunderts. Wer wie ich in den frühen 1990er Jahren eine lesbische Sozialisierung erfuhr und unter anderem so verrückte Dinge tat wie lesbische Großveranstaltungen zu organisieren, begegnete dem Mythos Audre Lorde auf Schritt und Tritt. Für nicht wenige politisch aktive Lesben meiner Altersgruppe war sie die Heldin, das Vorbild schlechthin. Nachwachsenden Generationen scheint sie weniger ein Begriff zu sein – zu Unrecht, denn ihre Botschaften sind zeitlos und beinahe universell. Was Audre Lorde über individuelle Freiheit, Stärke und die Kraft zur gesellschaftlichen Veränderung zu sagen hatte, wirkt auch heute noch wie ein Zaubertrank gegen Angst und Mutlosigkeit. I value myself more than I value my terrors. Audre Lordes Biographie war nicht gerade typisch für eine junge Schwarze ihrer Zeit: Sie kam 1934 in New York City zur Welt, als Tochter einer aus der Karibik immigrierten Arbeiterfamilie. Sie wuchs im schwarzen Stadtteil Harlem auf, besuchte die High School und anschließend das College. Ihre Ausbildung finanzierte sie aus eigener Kraft, mit Hilfe diverser Nebenjobs. Unter anderem verdiente sie ihren Lebensunterhalt als Fabrikarbeiterin, Ghostwriterin, Sozialarbeiterin, Röntgentechnikerin und Lehrerin 30

für Kunsthandwerk. Sie entdeckte und lebte ihr Lesbischsein in Amerikas furchtbaren 50er Jahren – einer Zeit, in der Homosexualität extrem stigmatisiert und unterdrückt war. Schon früh schrieb sie Gedichte und Prosa und wurde ein aktiver Teil der homosexuellen Subkultur im Greenwich Village. 1961 machte Audre Lorde an der New Yorker Columbia Universität ihren Abschluss in Bibliothekswissenschaften und arbeitete zunächst als Bibliothekarin. Eine Brustkrebsdiagnose im Jahr 1968 veranlasste sie, sich auf ihre Karriere als Schriftstellerin und Dozentin zu konzentrieren. Zugleich blieb sie politisch aktiv und engagierte sich weiter in der Bürgerrechts- und der Frauenbewegung. Ich bin nicht frei, solange noch eine einzige Frau unfrei ist, auch wenn sie ganz andere Fesseln trägt als ich. Für die US-amerikanische Frauenbewegung war sie eine unbequeme Mitstreiterin: Sie konfrontierte die stark von der weißen, akademischen Mittelschicht geprägte Bewegung mit dem Rassismus in den eigenen Reihen. Sie hielt den weißen Aktivistinnen vor Augen, dass sie allein aus ihrer privilegierten Perspektive heraus argumentierten und agierten. Lorde forderte zornig und kämpferisch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Unterschiedlichkeit und eine Solidarität über Hautfarbe, Klassenunterschiede, Alter und sexuelle Orientierung hinweg. Die Vielfalt aller Frauen, einmal erkannt und als gleichberechtigt anerkannt, sah sie als gewinnbringendes

Potential im Kampf gegen die Unterdrückung des weiblichen Geschlechts. „Different, but together“ war ihr Postulat. Die Berlinerin Dagmar Schultz begegnete Audre Lorde zum ersten Mal 1980 auf der UN-Frauenkonferenz in Kopenhagen. Zwei Jahre später hörte sie bei einer Akademikerinnen-Tagung in Connecticut Reden von Audre Lorde und der bekannten jüdischen, lesbischen Feministin Adrienne Rich. Sie war von den Vorträgen derart beeindruckt, dass sie sich die Veröffentlichung in Deutschland vornahm. Daraus entstand das Buch „Macht und Sinnlichkeit“, das 1983 im Berliner Frauenverlag sub rosa (später: Orlanda) erschien, herausgegeben von Dagmar Schultz, Mitgründerin des Verlags. Der Band enthielt besagte Vorträge sowie weitere Aufsätze und Gedichte beider Schriftstellerinnen. Die noch junge, deutsche Lesbenbewegung setzte sich intensiv mit diesen Texten auseinander. Sie galten vielen als die radikalsten und treffendsten Analysen von Machtverhältnissen überhaupt. Neu war ferner, dass auch die Verwerfungen innerhalb des Feminismus thematisiert wurden. Es ging um Schwarz-Sein, um Lesbisch-Sein, um Jüdisch-Sein. Es ging um Homophobie, Rassismus und Antisemitismus, um Zorn und Enttäuschung, aber auch um das produktive Überwinden von Unterschieden. Ich liebe es, zu reisen. Ich liebe es, zuzuhören. Ich liebe es, von anderen zu lernen. Im Jahr darauf kam Audre Lorde erstmals nach Berlin. Sie trat für ein Semester eine Gast-


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Audre Lorde am John-F.-Kennedy-Institut (1984)

professur am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der FU Berlin an. Dagmar Schultz, die dort als Dozentin tätig war und Kandidat_innen vorschlagen durfte, hatte ihre Berufung in die Wege geleitet. Im Sommer 1984 gab die Amerikanerin an der FU mehrere Seminare, hielt Vorträge und Lesungen. Audre Lorde beobachtete aufmerksam, dass sich in ihrem Publikum oft schwarze Deutsche einfanden. Sie sprach sie gezielt an, brachte sie zusammen und inspirierte sie zur Gründung einer afrodeutschen Bewegung, die es bis dahin nicht gegeben hatte. Sie ermutigte sie, ihre eigene Identität zu definieren und nach außen zu tragen. Unmittelbares Produkt ihrer „empowerment“-Strategie war ein weiteres, viel beachtetes Buch, das im Orlanda-Verlag erschien: „Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte“ (1986), herausgegeben von Katharina Oguntoye, May Opitz/Ayim und Dagmar Schultz. In den folgenden acht Jahren bis zu ihrem Tod verbrachte Audre Lorde regelmäßig mehrere Wochen pro Jahr in Berlin. Hier arbeitete sie an weiteren Buchprojekten, pflegte intensive Freundschaften und hielt vor allem engen Kontakt zu der von ihr mitbegründeten Schwarzen Community. In zahllosen Veranstaltungen in Berlin und anderen deutschen Städten vermittelte sie ihre Gedanken und lud zu Diskussionen ein. Offenbar war die Rolle der Lehrerin, das Anstoßen, Anleiten und Weitergeben ein bedeutender Teil ihres Wesens. Zugleich blieb sie selbst eine unentwegt Lernende. Sie

wurde nicht müde, sich diesen Aufgaben zu widmen, selbst als die Ärzt_innen ihr wegen einer erneuten Krebserkrankung dringend dazu rieten, sich zu schonen. In Berlin hatte sie 1984 eine naturheilkundliche Krebstherapie begonnen und überlebte viele Jahre länger, als ihr die Mediziner_innen vorausgesagt hatten. Audre Lorde starb 1992 in St. Croix auf den Virgin Islands (Karibik), wo sie in den letzten Jahren ihres Lebens ihren ständigen Wohnsitz hatte. A black lesbian feminist mother poet warrior. Lorde beschrieb sich selbst als „black lesbian feminist mother poet warrior“ – als schwarze, lesbische Feministin, Mutter, Dichterin und Kriegerin. Ihre vielen verschiedenen Identitäten begriff sie als Schichten ihrer Persönlichkeit und als Quelle ihrer Kraft. Sogar aus ihrem Kampf gegen die Krebserkrankung zog sie Lebensenergie, indem sie sich literarisch mit diesem Teil ihres Selbst auseinandersetzte. In Audre Lorde begegnet uns eine Frau mit einer immens starken Ausstrahlung – immer fordernd und dabei zugleich ermutigend, mit einem genuinen Interesse an ihrem Gegenüber. Sie hatte Humor und war bei all ihrer Freude an Auseinandersetzungen ein warmherziger und großzügiger Mensch. Die Berliner Jahre bringt uns diese authentische Audre Lorde nahe. Als Freundinnen und Weggefährtinnen konnten Dagmar Schultz und ihre Co-Autorinnen eine Fülle von bisher unveröffentlichtem Material zusammentragen – darunter private Fotos und Videos sowie Mitschnitte von Semina-

ren und Lesungen. Zu einer weiteren Quelle für bewegte Bilder wurde der biographische Dokumentarfilm A Litany for Survival: The Life and Work of Audrey Lorde von Ada Gray Griffin und Michelle Parkerson aus dem Jahr 1992. Das Filmteam war 1989 eigens aus den USA nach Berlin gereist, um dort mit Audre Lorde zu filmen, aber nur wenig von diesem Material wurde in der Endfassung verwendet. Sequenzen daraus sind nun erstmals in Die Berliner Jahre zu sehen. Wer sich die Zeit nimmt, der Stimme Audre Lordes im Film aufmerksam zu lauschen, findet in ihren Worten klare Botschaften – so schlicht wie bedeutsam: Misch dich ein und steh auf für deine Rechte, denn es wird niemand an deiner Stelle für dich tun. Lass dich nicht von deiner Angst lähmen. Definiere dich selbst. Erkenne deine Stärken. Erkenne deine Kraft. Nutze sie. s

Audre Lorde – Die Berliner Jahre 1984–1992 von Dagmar Schulz US 2012, 79 Minuten, englisch-deutsche OF, teilweise deutsche UT Auf DVD bei der Edition Salzgeber, www.salzgeber.de

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Porträt des Künstlers als unglücklich Verliebter von Se ba st i a n M a r kt

In Jack Hazans Film „A Bigger Splash“ stellt David Hockney einen Künstler namens David Hockney dar, der versucht, ein Portrait jenes Liebhabers anzufertigen, von dem er eben verlassen worden ist. Weder schlicht Dokument noch bloß Fantasie, ist der Film eine dem Leben abgetrotzte Fiktion, deren Intimität auf den sich selbst Darstellenden Hockney eine solch schockierende Wirkung hatte, dass dieser erst von seinem Umfeld dazu bewogen werden musste, einer Veröffentlichung zuzustimmen. Was heute davon bleibt, ist das Porträt eines Künstlers, einer Zeit und einer Szene, eine melancholische Liebesgeschichte, ein Werk von wunderbarer Hybridität, das nun in restaurierter Fassung auf DVD wiederveröffentlicht wird.

s Am Ende entsteht ein Bild. Es zeigt eine sommerliche Szene: einen Swimming-Pool auf einer Terrasse. An dessen Grund, unter einer Oberfläche hellblau schattierten Wassers, das von feinen weißen Linien refraktierten Lichts durchzogen ist, taucht ein Schimmer, schon ganz nah am Beckenrand. Oberhalb des Pools, jenseits der Terrasse, öffnet sich der Blick in ein weites Panorama steiler Hügel, von denen die vordersten von dichter, dunkelgrüner Vegetation überzogen sind, im Hintergrund weitere Hügel, in abnehmenden Tönen von Blau, das sich dem hellen, wolkenlosen Himmel annähert. An der rechten Seite des Pools, in weißer Hose und rosarotem Jackett, steht ein junger Mann, einen Fuß etwas nach vorne gerückt, in angespannter, leicht nach vorn gebeugter Haltung. Unter einer Strähne seiner dunkelblonden Haare fällt sein Blick auf den Taucher im Wasser. Der Mann im Jackett ist Peter Schlesinger. Als das Porträt 1971 begonnen wurde, war er David Hockneys Liebhaber, als es 1972 fertiggestellt wurde, hatte er ihn bereits verlassen. Das Gemälde trägt den Titel „Portrait of an Artist“, und es markiert eine Art Schlusspunkt unter eine Beziehung, die ihren Anfang 1966 an der University of California in Los Angeles nahm, an der Peter Schlesinger Kunst studierte und David Hockney ein Semester lang unterrichtete. Von dem Nachbeben dieser Liebe und der allmählichen Fertigstellung des Bildes, von David Hockney und seinem Umfeld im London der frühen Siebzigerjahre, erzählt Jack Hazans Film A Bigger Splash, der 1974 in Locarno einen Silbernen Leoparden für die beste Regie gewann. Wenn man dies möchte, kann man einiges über die Entstehungsgeschichte in Erfahrung bringen. Dass Hazans Wunsch, einen Film über Hockney zu drehen, von einer Ausstellung von dessen Porträts (für die Hockney in dieser Phase seines Werks vorrangig bekannt war) angestoßen wurde; dass der Maler von der Idee keineswegs begeistert war; dass Hazans insistierende Hartnäckigkeit erst möglich machte, über Jahre hinweg kleine Szenen zu drehen; dass Hazan mit seinem Partner und Editor David Mingay schnell übereinkam, 32

die Liebesgeschichte zum Epizentrum des Films zu machen; dass Hazan dabei nicht nur beobachtend zu Werk ging, sondern Szenen kreierte, Dialoge herausforderte, indem er einem der Gesprächspartner Anfangsfragen soufflierte; dass, nicht zuletzt, Hockney mit dem fertigen Film anfangs fürchterlich unglücklich war. Man kann das alles, und noch mehr, nachlesen, in Interviews mit Jack Hazan etwa, oder der sanktionierten Hockney-Biographie von Christopher Simon Sykes, man muss aber nicht. Denn der Film vermag es, in ganz eigensinniger Weise in seinen Bann zu ziehen, seine Erscheinung aus sich selbst zu begründen. Als Porträtierte und als Charaktere stellt die Titelsequenz sein Personal vor, in Skizzenzeichnungen: Hockney und Peter, das Designerpaar Celia Birtwell und Ossie Clark, den Galeristen John Kasmin, den Kritiker und Kurator Henry Geldzahler, sechs hübsche Jungs, denen ein Vorname genügt. Der Blick der ersten Einstellung fällt auf ein Schlüsselloch. Dahinter sitzt Hockney einem jungen Mann gegenüber, den er beschreibt, sein Aussehen, seine Wirkung auf ihn. Genf 1973, informiert eine Schrifttafel. Was folgt, Hockney bei der Arbeit, Hockney mit Freundinnen und Freunden, Verhandlungen mit dem Galeristen, kleine Vignetten des Alltags, geschieht davor. In Mo McDermott findet der Film seinen Erzähler, fast immer aus dem Off setzt seine Stimme Akzente, die die Fragmente zu einer Geschichte fügen und sie mit ihrer emotionalen Fallhöhe ausstatten. Gleich zu Anfang berichtet er von Schlesingers Trennung von Hockney, nicht ohne hinzuzufügen, dass nach einer Trennung immer mehr als zwei Menschen leiden. In seiner gleichzeitig zentralen und marginalen Position als Hockneys Assistent, immer mitten drin im Geschehen aber nie sein Kern, scheint McDermott zum Chronisten einer von Auflösung bedrohter Idylle prädestiniert. Die Szene, die „Portrait of an Artist“ einfängt, hat sich so nie zugetragen. Die Idee zu dem Bild verdankt sich der zufälligen Montage zweier Fotografien in Hockneys Studio, des Schwimmers im Pool, und des stehenden Mannes. Ein fast filmisches Verfahren der


Edition Salzgeber (2)

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Montage einerseits, steht es auch in einer Genealogie zu den Fotomontagen und Komposit-Polaroid-Porträts, denen sich Hockney bald nach der im Film verewigten Werkphase zuwenden wird. Zusammenfügung, Beschreibung, Portrait. Es ist gerade die Kunst von A Bigger Splash, dass er sich in der Wahl der Figurationen, aus denen der Film seine erzählerischen Möglichkeiten schöpft, von seinem Gegenstand leiten lässt. Eine Geste, die er dabei immer wieder vollführt, ist, Porträtierte und Porträts zusammen zu führen, sei es in Szenen, in denen Menschen die Bilder betrachten, auf denen sie dargestellt sind, sei es, dass Hazan die Porträt-Situation nachstellen lässt. In einer seiner eindrücklichsten Szenen taucht der Film ganz in Hockneys kalifornische Bilderwelt ein, stattet Schwenks über einige Gemälde-Szenen mit einer Tonkulisse aus, und inszeniert schließlich eine solche Szene von vergnügt nacktbadenden jungen Männern selbst, die wiederum – einmontiert zwischen Bilder des schlafenden Hockney – als Traum lesbar wird. Indem der Film es immer wieder vollbringt, Kunst und Leben ineinander zu führen, kann er nicht nur seine Geschichte erzählen, sondern findet gleichzeitig zu einer Sprache, die es ihm erlaubt, das, was auch an einem Künstlerleben ganz privat ist, im Kontext dessen zu entwerfen, was als Kunst das Private transzendiert. Es gibt Filme, die zwischen Dokument und Fantasie changieren, Filme, die einem die Unterscheidung zwischen dem, was wahr ist, weil es gefunden wurde, und dem, was wahr sein möge, weil es erfunden ist, schwer machen. Und dann gibt es Filme, die diese Unterscheidung hinter sich lassen. A Bigger Splash ist ein wunderbares Beispiel für letztere. (Hazans andere bleibende Einlassung in die Filmgeschichte, die wie auch A Bigger Splash in Zusammenarbeit mit David Mingay entstanden ist, ist Rude Boy von 1980. Ein Portrait von The Clash, das nach einem ähnlichen ästhetischen Verfahren gestrickt ist: Es verknüpft dokumentarische Aufnahmen einer Tournee mit der fiktionalisierten Erzählung eines Roadies zu einer Momentaufnahme des Punk am Beginn der Ära Thatcher.) In die Freiheiten, die der

Film sich nimmt, fügt sich auch seine Unlust, das Schwulsein seiner Figuren zu erklären. Gerade weil er von dem enttäuschten Begehren so voraussetzungslos berichtet, ohne es vor einem angenommenen Außen zurechtrücken zu wollen, vermag er dieses Erzählen so konkret und so nah an seinen Figuren ins Werk zu setzen. Am Ende wird das Porträt von Peter Schlesinger vollendet sein, und es wird den Mann, der einst Hockneys Schüler war, als Künstler ausweisen, auch das ein Ende einer Geschichte. Niemand wird wissen, wo Hockney gerade steckt. John Kasmin wird seine New Bond Street Galerie geschlossen haben, Mo McDermott ein paar letzte melancholische Gedanken mit uns teilt, und in der Schließung der Klammer vom Anfang des Films wird Hockney dem jungen Mann in Genf, der vielleicht ein anderer Liebhaber ist, sagen, dass es eine paradoxe Situation ist, in der man als Maler steckt, wenn man so intim an etwas arbeitet, nur um sich dann gleich davon trennen zu müssen, zu verkaufen, um weiter arbeiten zu können, dass man manche Bilder gerne behalten möchte. Und auf die Nachfrage von Joe: dass jene, die Peter zeigen, ruhig hinaus können, in die Welt. Wie eine Flaschenpost aus dem Niemandsland zwischen Swinging Sixties und Punk liest sich der Film heute. Menschen kommen und gehen und verändern sich, Wege kreuzen und verlieren sich. Etwas ist verloren gegangen, und alles ist noch da, weil der Film es aufgehoben hat. s A Bigger Splash von Jack Hazan UK 1973, 105 Minuten, OmU Auf DVD bei der Edition Salzgeber, www.salzgeber.de

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senator home entertainment

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Die bleierne Leichtigkeit des Seins von Sa sch a W e stph a l

Zwei „leichte Mädchen“, Mutter und Tochter (gespielt von Mutter Cathérine Deneuve und Tochter Chiara Mastroianni), testen die Grenzen aus, die ihre Zeit ihnen setzt. Die eine profitiert von der sexuellen Befreiung der 1960er, die andere geht an der Entzauberung der Jugend in den 1990ern zugrunde. In Christophe Honorés Musical „Die Liebenden“ spiegeln sich beide Erzählungen kunstvoll und verweben darin noch die Filmsprachen ihrer Zeit. Neu auf DVD.

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s 2001 … Die Jahreszahl füllt mit ihren riesigen Lettern fast die gesamte Breite der Einstellung aus. Gleich einem Stempel hat sie sich den Bildern aufgedrückt. Es ist Herbst geworden. Das Licht der Sonne hat nichts Wärmendes mehr. Es taucht die Welt in ein kaltes Licht. Die von Catherine Deneuve gespielte Madeleine geht durch ihren fast schon kahlen Garten und schneidet die Äste von Sträuchern und Bäumen zurecht. Dazu erklingt ihre Stimme aus dem Off. Sie erzählt von ihrer Tochter Vera und deren Reise nach Amerika. Ausgerechnet am 11. September 2001 hat Véra (Chiara Mastroianni) ein Flugzeug von Paris nach New York bestiegen. Nach den Anschlägen auf New York und Washington wurde ihre Maschine nach Montreal umgeleitet. Dort sitzt sie nun in einem dieser typischen Hotels für Geschäftsleute fest, die überall auf der Welt gleich aussehen. Aber auch die Stadt, durch deren Seitenstraßen sie eine Zeit lang streift, scheint ihre Individualität verloren zu haben. An diesem Morgen ist etwas zu Ende gegangen. „September, leider“ heißt es einmal in dem Lied, das Chiara Mastroianni während ihres Spaziergangs durch die wie ausgestorbene Stadt singt. September, leider … der Sommer ist unwiederbringlich vorüber, der Winter naht. Anders als Frank Sinatras „September of My Years“, von dem aus großer Ferne noch ein paar Noten und Stimmungen herüber zu wehen scheinen, wird Alex Beaupains „Jeunesse se passe“ von einem übermächtigen Eindruck des Verlusts geprägt. Auf die Jugend folgen sofort die Trauer, der Schmerz und dann schon bald das unausweichlich gewordene Ende, der Tod, der Abschied von allem. Véra wollte sich in New York mit dem Musiker Henderson (Paul Schneider) treffen. Nun wartet sie auf ihn, die Liebe ihres Lebens, in Kanada. Als er schließlich mit dem Auto eintrifft, ist er nicht allein. Der deutlich jüngere Mathieu ist bei ihm. Er beschwichtigt Véra zwar, dass er nie eine ernsthafte Beziehung mit einem Mann einge-


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hen würde, der sein Sohn sein könnte. Aber die Botschaft bleibt. Der schwule, HIV-positive Henderson wird sie nie so lieben wie sie ihn. Er hat sie immer auf Distanz gehalten und zugleich mit der Liebe zu ihr gespielt. Der Virus war in dieser Hinsicht immer eine Art Schutz. So musste er die widerstreitenden Gefühle nicht an sich heranlassen. Doch nun überschreitet Véra mit ihrem Wunsch nach einem Kind von ihm diese Grenze. Für eine kurze Zeit werden Véra, Henderson und Mathieu in dieser Nacht alles andere vergessen und einfach zusammen sein. Ein einziges Mal schlafen sie alle miteinander. Das ist ein letzter Moment einer wundervollen, alle Ängste und Bedenken auslöschenden Selbstverständlichkeit. Vielleicht sind sie wirklich erst zu Dritt vollständig. Aber es sind eben auch die Ereignisse dieses Tages, die sie so zusammen kommen lassen. Das Ende der Freiheit und der sie begleitenden Träume ist diesem Augenblick schon eingeschrieben. Nur wenig später wird sich Véra all die HIV-Medikamente Hendersons nehmen und in der Hotelbar schlucken. Während im Fernsehen ein Videoclip der Band „Everything But the Girl“ läuft, tanzt sie selbstvergessen aus dem Leben … jeunesse se passe. Über beinahe 45 Jahre erstreckt sich die Handlung von Christophe Honorés zweitem Musical Les bien-aimés. Alles beginnt 1964, dem Jahr von Jacques Demys Les parapluies de Cherbourg, mit dem auch Catherine Deneuves Legende begann, und endet im Winter 2007. Nach Außen hin ist es die Geschichte einer Mutter und ihrer Tochter, deux filles légères, die sich ihre Freiheit nehmen, nur um sie dann selbst wieder aufzugeben. Aber das ist nur der rote Faden, der hier an einem Paar roter Schuhe hängt. Mit diesen High Heels von Christian Dior nimmt die Lebensodyssee der zu diesem Zeitpunkt von Ludivine Sagnier gespielten Schuhverkäuferin Madeleine ihren Anfang. Eines Abends lässt sie das Paar zum Geschäftsschluss mitgehen. Kaum hat sie die Schuhe ein paar Straßen weiter angezogen, spricht ein Mann sie an und bietet ihr Geld. Damit ist die Familienlegende geboren. Véra, ihre Tochter, wird das später so erzählen: „Ohne die Schuhe wäre Mama keine Hure geworden.“

Freiheit wurde etwas Selbstverständliches, nur um den Menschen dann doch durch die Finger zu rinnen Am Ende wird Madeleine das Paar auf der Straße stehen lassen, vor dem Hotel, in dem sie sich immer wieder heimlich mit ihrem ersten Mann und ersten wirklichen Geliebten getroffen hat … love in the afternoon. Doch inzwischen ist Jaromil, Véras Vater, mit dem sie einst nach Prag ging, längst tot. Das Abenteuer ist vorüber, was bleibt, sind einige letzte Jahre mit ihrem zweiten Mann in Reims. Es war eine berauschende Zeit, aber eben auch eine traurige und brutale: Ein halbes Jahrhundert, in dem Hoffnungen geboren und zu Grabe getragen wurden, in dem Freiheit etwas Selbstverständliches wurde, nur um den Menschen dann doch durch die Finger zu rinnen. Zu Beginn dieser Zeitspanne, die einem Leben gleicht, ist das Kino noch einmal neu erfunden worden, von den Regisseuren der nouvelle vague, von Jacques Demy und Jean-Luc Godard. Demy ist schon seit langem ein Fixpunkt in Honorés filmischem Universum. Schon Dans Paris, sein erstes Musical, war von ihm inspiriert. Doch mittlerweile wandelt er auch immer deutlicher auf den Pfaden Godards. Schon der mit ganz geringen Mitteln realisierte Homme au bain hatte in seiner Direktheit und seiner steten Reflexion der eigenen Mittel wie der eigenen Haltung etwas von einem Godardschen Experiment. Nun hat sich Honoré also ganz gezielt dem frühen Schaffen Godards zugewandt. Mit seinen Ludivine Sagniers Körper zerlegenden Großaufnahmen und seinen jump cuts greift er dessen Stilmittel auf. Zudem rücken die Leichtigkeit, mit der die junge Madeleine Entscheidungen

trifft, und die Absolutheit, mit der sie ihr Leben selbst bestimmt, sie in die Nähe von Anna Karinas Figuren. Der Traum der frühen 60er Jahre, den Christophe Honoré noch einmal aufleben lässt und der schließlich in der ménage à trois in Véras Hotelzimmer kulminiert, um dann endgültig zu zerplatzen, ist eben auch ein Traum vom Kino, von der nouvelle vague, den neuen Wellen des osteuropäischen Kinos der 60er und 70er Jahre, dem amerikanischen Independent-Kino der 90er. Les bien-aimés und Homme au bain, den Honoré kurz zuvor, zum Teil mit den gleichen Darstellern quasi-dokumentarisch gedreht hat, gehören zusammen. Sie sind zwei Seiten einer Sehnsucht. Bei dem einen hat Honoré sich alle Freiheiten genommen, die sich Filmemachern heute in den Zeiten kleiner digitaler Kameras bieten. Mit dem anderen, dem starbesetzten Musical testet er die Möglichkeiten einer Großproduktion aus. Wenn Chiara Mastroianni durch Montreal geht und „Jeunesse se passe“ singt, ist Honoré so an der Stadt und ihrem Alltag dran wie in den New York-Szenen von Homme au bain, in denen er einfach sein Videotagebuch eines Aufenthalts in der Stadt fiktionalisiert hat. Das Leben bricht in das Musical ein und entreißt es der Welt der verträumt-melancholischen Pop-Phantasien. Das Melodramatische, das in Jacques Demys Filmen die Kehrseite des musikalischen Märchens war, weicht bei Honoré dem Alltäglichen. Auf der einen Seite ist alles ganz leicht und selbstverständlich. Madeleine kann ohne ihre Liebe zu Jaromil nicht leben, also zieht sie mit ihm nach Prag. Aber sie kann eben auch nicht mit ihm leben, also kehrt sie zurück nach Frankreich, heiratet einen anderen und nützt doch jede Chance, um mit Jaromil zusammen zu sein. Auf der anderen Seite ist gerade die Leichtigkeit unerträglich schwer. Für Véra ist alles eine Last, ihre Beziehung zu dem von Louis Garrel gespielten Lehrer und Schriftsteller Clément genauso wie die zu Henderson. Mit Clement könnte alles ganz einfach sein, mit Henderson ist die Tragödie vorgezeichnet. Diese beiden filles légères, Madeleine und Véra, spiegeln einander. Alles dreht sich um und ist seitenverkehrt. Aber zusammen sind sie die Inkarnation der Ära, die um 1960 begann und 2001 an ihr Ende kam. Zuletzt bleiben nur noch die roten Schuhe zurück wie einst bei Michael Powell und Emeric Pressburger. Aber Honoré steckt in diesem letzten Bild auch eine Hoffnung. Madeleine hat nicht nur etwas verloren, sie hat auch eine andere Form von Freiheit gewonnen. Ihr Weg führt zurück in die Provinz, zu einem alltäglichen Leben. Wohin Christophe Honorés Weg noch führen wird, ist offen. Aber Homme au bain und die Szenen in Montreal lassen eine andere, nicht von der Vergangenheit und ihre Schatten belastete Freiheit erahnen. s

Die Liebenden von Christophe Honoré FR 2011, 134 Minuten, deutsche SF + OmU Auf DVD bei Senator Home Entertainment, www.universumfilm.de

Mann im Bad von Christophe Honoré FR 2010, 72 Minuten, OmU Auf DVD bei Pierrot le Fou, www.alamodefilm.de

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nachruf

Arbeit, Sex und Essen

Edition Salzgeber

Pau l Sch u l z e r i n n e rt a n Di r k Bach (23 . Apr i l 1961 – 1 . Okt obe r 201 2)

s Als Dirk Bach 1974 zum ersten Mal auf einer Demo festgenommen wurde, war er zwölf Jahre alt. Es ging um den Paragraphen 218. „Ja, da habe ich relativ früh mit angefangen“, sagt er 20 Jahre später in einem Interview mit Sandra Maischberger. Und lacht. Als wäre das wirklich lustig gewesen. Er und die Interviewerin stehen gut verpackt am eiskalten Rheinufer in Köln, Maischberger so atemberaubend und begabt, wie sie Anfang der 90er war, Bach eine kleine Kugel Fröhlichkeit und Talent. Man mag sich. „Mein Vater musste kommen und mich bei der Polizei auslösen.“ Seine Augen leuchten. „Ich habe dann da auch einen Aufsatz drüber geschrieben, wegen dem mir ein Verweis angedroht wurde.“ „Warum?“, fragt Maischberger besorgt. „Na, weil er so linksradikal war“. Ein Jahr später verknallte er sich. „Warst du auch mal in Mädchen verliebt?“, will die schöne Hetera wissen. „Nein, kein Gedanke. Ich war immer in Jungen verliebt. Gibt doch schon genug von den anderen“, antwortet der kleine, dicke Schwule. Und lächelt still. Das Interview wird in Proberäumen, auf Hinterbühnen und in einer Kneipe fortgesetzt. Im Lokal sitzt Bach und schäkert mit irgendwem hinter der Kamera. Die Frage war wohl die nach dem, was ihm im Leben wirklich Spaß bringt und wie es wäre, wenn man das alles gleichzeitig machen könnte. „Ich stelle mir das gerade vor, wie ich essend auf einer Bühne sitze und dabei jemanden ficke.“ Wieder dieses Lachen aus dem Bauch, das immer größer wird, je weiter es ihm die Luftröhre hochrollt und ihn ganz zum Erzittern bringt, bevor es seinen Mund verlässt. Sein ganzer Körper freut sich. „Das wird wohl auch auf meinem Grabstein stehen: ‚Arbeit, Sex und Essen‘.“ Nicht der schlechteste Spruch. „Trinken nicht zu vergessen“, fügt hinzu, während er sich grinsend etwas, das Tequila oder Wodka sein könnte, aus einem Schnapsglas in den Mund kippt. Gearbeitet hat Bach eigentlich immer. Und immer gern. Als er am 1. Oktober überraschend starb, war er gerade dabei, sich auf die erste Hauptprobe der AxelHacke-Adaption „Der Kleine König Dezember“ vorzubereiten, die am nächsten Morgen im Schlossparktheater in Berlin stattfinden sollte. Als er dort nicht auftauchte, begann das Team, sich Sorgen zu machen. Bach war ein fanatisch pünktlicher Mensch. Der Intendant fuhr zur Wohnung in Berlin Lichterfelde, die sein Star für die Proben- und Spielzeit gemietet hatte und informierte wenig später die Öffentlichkeit über den Tod des 51-Jährigen. Das Internet explodierte, dann die Abendnachrichten, dann die Tagespresse. Es stellte sich heraus: Deutschland hat Dirk Bach geliebt, sehr. Das war nicht zu erwarten bei jemandem, der dreimal sitzen geblieben ist und dessen erste, winzige Filmrolle in

Kiez Walter Bockmayer mit den Worten zusammenfasst „eine Nutte, die sich schminkt“. Aber da hatte Bach schon länger Theater gespielt. Erstes Stück: Heiner Müllers „Prometheus“. Die Bühne war seine große Liebe. Hella von Sinnen, die Bach mit sechzehn kennen lernte, „war die, die zum Fernsehen wollte. Ich wollte spielen.“ In die Glotze kommen sie nach dem Theater-Sensationserfolg „Geierwally“ beide, Bach wenig später sogar ins Kino. Die TV-Persiflage Im Himmel ist die Hölle los wird ein Kultfilm, ist ihrer Zeit ungefähr 20 Jahre voraus und sieht heute noch relativ gut aus. Nach Lukas und Der kleine Mönch, einer Ensemblemitgliedschaft am Kölner Schauspielhaus und dem deutschen Comedypreis dann 2004 die Entscheidung für gnadenlosen Kommerz: Ich bin ein Star, holt mich hier raus! heißt das Format, das Bach zu einem viel größeren Star macht, als es einer der Teilnehmer der Show je werden konnte. Ob fröhliche Verachtung darüber zu verbreiten, wie „derzeit arbeitslose Mitarbeiter der Unterhaltungsindustrie“ durch Scheiße kriechen und Känguruhoden schlucken, der Berufswunsch des überzeugten Vegetariers war, weiß man nicht. Das Geld wird ihn wohl nicht weniger gelockt haben als die Teilnehmer. Wichtiger: Er war furchtlos, machte immer da den Mund auf, wo ein engagierter, spaßbereiter Queerling gebraucht wurde, schwang die Rassel für PETA, Amnesty International und immer wieder für HIV-Positive und brachte den Deutschen eine Selbstverständlichkeit im Umgang mit Camp bei wie sonst niemand. Der Paragraph 218 war lange abgeschafft, aber „man muss was machen. Es gibt immer was besser zu machen in der Welt.“ Seine Idealvorstellung vom Tod: „Ich werde in der Mitte eines kräftigen und sehr beliebten Stücks aus den Fugen gerissen, es schmettert mich auf den Bühnenboden. Alle klatschen heftig, weil sie es für einen klasse Regieeinfall halten. Und dann bin ich weg.“ Ganz so war’s nicht. Aber fast. Schade. s

Im Himmel ist die Hölle los von Helmer von Lützelburg DE 1986, 84 Minuten, deutsche OF Auf DVD bei der Edition Salzgeber, www.salzgeber.de

Eine kleine Kugel Fröhlichkeit und Talent: Dirk Bach in „Im Himmel ist die Hölle los“ von Helmer von Lützelburg (1986) 37


film-flirt

Der Moment Sch r i f tst e l l e r se h en F i lm e: Ch r ist i n e W u n n ick e

Zwei Absagen der tollen Christine Wunnicke hatte sich die SISSY für diese Rubrik schon eingehandelt, weil ihre Lieblingsmomente in queeren Filmen „null queer“ waren oder queere Momente in unqueeren Filmen sich beim Wiedersehen in Luft oder in schlechte Untertitel auflösten. Und nun, völlig unerwartet: Das hier!

s Leon und Sonny verbringen in einer sehr engen TiefparterreWohnung in Brooklyn sehr viel Zeit miteinander. Alles ist vollgestopft mit Zeug, Leons Damengarderobe und Sonnys Vietnamsouvenirs und tausend ausgerissene Zeitungsartikel über politische Schweinereien in Haufen aufgestapelt oder was weiß ich, lauter zuvieles Zeug. Leon versucht Tag und Nacht zu schlafen. Dazwischen lackiert er sich perlmuttern die Fingernägel und versucht, an weite Landschaften zu denken. Sonny schläft nie. Er rast in der vollgestopften Wohnung herum, es ist Leon ein Rätsel, wie Sonny in dieser Enge noch Wege zum Rasen findet, und redet und schreit. Sonny ist heiß in der heißen Wohnung und Leon ist kalt. Er trägt ein SecondhandNegligé und zippelt verfroren am Kragen, und Sonny brüllt dauernd Ich krepier hier! Leon hat eine solche Angst vor Sonny, dass sich seine Liebe zu Sonny längst irgendwo hin verkrümelt hat. Sonny liebt Leon aber immer noch fürchterlich. Betonung auf „fürchterlich“. Leon lächelt sein schiefes, elegisch-dramatisches kleines Lächeln und versucht, Sonny von der Seite anzuschauen. Wenn er ihn nur mal in Ruhe von der Seite anschauen könnte, denkt Leon, würde er ihn gewiss wieder lieben, denn Sonnys Profil ist so toll. Aber Sonny hält nie lange genug still. Manchmal denkt Leon, er könnte vielleicht einfach aufstehen und seine fragile fragwürdige überfragte Person vor Sonny aufbauen und auf ihn hinunterstarren, bis Sonny die Klappe hält. Aber Leon ist müde und schläft ein. Und so geht das immer weiter. Es ist ein großartiger, quä-

lender Film, der mindestens drei Stunden dauert. Zehn Tage im Leben von Leon und Sonny. Zu viele Tabletten, zu viele Zigaretten, schlechtes Essen, ziemlich schlechter Sex, und tags ist es zu dunkel, weil die Scheiben dreckig sind, und nachts zu hell, weil irgendein penetrantes gelbes Licht von irgendwo hereinscheint. Und wenn Leon in Ruhe überlegen möchte, ob er denn nun wirklich eine Frau ist, wie sein Psychiater behauptet, schreit Sonny sofort, Mann, lass dich operieren, und zwar gestern, hopp hopp, ich bezahl's dir! Da ist nichts mehr zu kitten zwischen Leon und Sonny. Wenn es wenigstens nicht Tiefparterre wäre. Da könnte man wenigstens mal auf die Feuerleiter. In Wirklichkeit sind Al Pacino und Chris Sarandon in Hundstage kein einziges Mal gemeinsam im Bild. Es ist ein bisschen wie bei Rosemary’s Baby, da zeigen sie mir das Baby auch nie und ich weiß trotzdem genau, wie es aussieht. Ich liebe Filme, die so etwas können. In Wirklichkeit sitzt Sonny in der First Brooklyn Savings Bank mit seinen Geiseln und seinem Stress und seiner Verantwortung und der kaputten Klimaanlage und seinem dämlichen Komplizen, der nicht mal weiß, wo Wyoming ist, und Leon sitzt gegenüber im Friseurladen mit Polizei und FBI, bis zur Halskrause voll mit Neuroleptika, in diesem gräulichsten Bademäntelchen der Filmgeschichte, und wird dauernd leise ausgelacht. Sie telefonieren miteinander, genau acht Minuten, eine gefühlte halbe Stunde lang, das erzählt meine ganze Geschichte. Angst und Liebe und verlorene Liebe und Sonnys

Wahnsinn und Leons zerbrochene Welt und halbe Hoffnung und Sonnys pervers positives Denken und Sonnys und Leons Verzweiflung. Und Smalltalk. Hand aufs Herz, sie machen Smalltalk, eigentlich die ganze Zeit. Ich will nicht nach Algerien zu den verrückten maskierten Leuten. Besser Schweden? Dänemark? Haha. Bon Voyage. I see you in my dreams. Life’s so funny. Dann lässt Sarandon im Friseurladen den Hörer einen Momentlang zwischen Daumen und Zeigefinger baumeln und Pacino in der Bank starrt John Cazale an, mit einem Gesicht, das mich fertigmacht. Frank Pierson, der das Drehbuch schrieb, hat erzählt, dass die erste Fassung ganz anders war. Da war Leon eine lustige Transe und es gab eine lange Szene mit Leon und Sonny in der Bank, mit einem Kuss und anzüglichen Witzen. Das wollte Al Pacino aber nicht spielen. Er wollte nicht einmal mit Sarandon ins Bild. Man rief schon Dustin Hoffman an, so sehr zickte Al Pacino. Vielleicht wollte sich der frischgebackene Godfather nicht mit schwulem Kram die Karriere ruinieren. Vielleicht – so Piersons Variante – war er auch der Meinung, dass man nicht anzügliche Witze macht und sich knutscht, wenn man an der Liebe verzweifelt. Jedenfalls schrieb man Pacino zuliebe das Drehbuch um. Es gibt nicht Piersons Film mit der lustigen Transe, es gibt nicht meinen Film von der Tiefparterre-Wohnung, es gibt nur diese ewigen improvisierten todtraurigen acht glorreichen Minuten am Telefon. Warum auch immer. Gottseidank. Mein drittliebster Film aller Zeiten. s

Christine Wunnicke ist Autorin und Übersetzerin. Ihr Romandebüt war „Fortescues Fabrik“. Zuletzt erschienen „Serenity“ (Tukan-Preis) und die Novelle „Nagasaki, ca. 1642“. Über ihre sonstigen literarischen Aktivitäten informiert www. christine-wunnicke.com. Sie lebt und arbeitet in München. 38

Hundstage von Sidney Lumet US 1975, 119 Minuten, deutsche SF + OmU Auf DVD bei Warner Home Video, www.warnerbros.de

Fortescues Fabrik Roman, 444 Seiten, Knaus 1998/btb 2000, www.randomhouse.de/btb

Serenity Roman, 240 Seiten, Osburg Verlag 2000, www.osburg-verlag.de

Nagasaki, ca. 1642 Novelle, 112 Seiten, Edition Epoca 2010, www.epoca.ch


frisch ausgepack t

Neu auf DVD von Ch r ist oph M e y r i ng (cm), Pau l Sch u l z (ps) u n d Ja n K ü n em u n d (jk)

ALLE ZEIT DER WELT NL 2011, Regie: Job Gosschalk, Edition Salzgeber

Ein niederländisches Melodram, das mit GefühlsKanonen auf alles schießt, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Satt mit Emotionen, Geschichten, Konflikten und großartigen schauspielerischen Leistungen. Man kann ein bisschen flennen, ein bisschen lachen, sehr mitfühlen. Die Handlung: Maarten hat seine jüngere Schwester Molly allein großgezogen und muss sich jetzt, wo sie auszieht, wieder ein eigenes Leben bauen. Dabei helfen der Hübschling Arthur, Mollys untreuer Macker und Molly selbst, die plötzlich krank wird. Alle begreifen, dass sie nicht alle Zeit der Welt haben, um sie selbst zu werden. Der niederländische Starkomiker Paul de Leeuw gibt als Maarten eine bravouröse Vorstellung – Shirley MacLaine in Terms of Endearment, Julianne Moore in Dem Himmel so fern, dieses Kaliber. Und man muss das nicht mögen, kann es kitschig finden oder dem Buch vorwerfen, dass es total überfrachtet ist. Aber man kann auch einfach mitmachen und einen Heidenspaß mit Alle Zeit der Welt haben. ps

KEEP THE LIGHTS ON US 2012, Regie: Ira Sachs, Edition Salzgeber

New Wave Queer Cinema aus den USA: Zwei Männer treffen sich zum Sexdate, verlieben sich ineinander und gehen eine langjährige Liebesbeziehung ein. Nicht mehr, nicht weniger. „Auf den ersten Blick bekommen wir viele altbekannte Zutaten: das erste intensive Treffen, die Phase des Kennenlernens, der Bericht an die beste Freundin, das Zusammenziehen, die erste leichte Krise, die erste schwere Krise, der Bruch, die Wiederversöhnung, das Ende der Beziehung. Wenn ich über die Klischees des Filmes mit einem filmkritischen Klischee schreiben wollte, dann müsste es jetzt heißen: Der Film erzählt alles das konsequent aus der Perspektive von Erik. Das stimmt aber nicht oder höchstens zur Hälfte. Wir sind als Zuschauer_innen nie allein mit Paul, sondern begleiten immer nur Erik in allen Phasen der

Beziehung. Das heißt aber nicht, dass wir seine Perspektive teilen. Der Film gibt uns eine Perspektive auf ihn, den wir allein, verliebt, verletzt, traurig, wichsend, schwimmend, singend sehen. Nur ganz selten nähern wir uns Erik im Close-Up. Die bevorzugte Einstellungsgröße des Filmes ist die Halbtotale. So als stünden wir einen Meter fünfzig von ihm entfernt, als säßen wir am Tisch mit ihm, als lehnten wir am Türrahmen seiner Küche. Ob und inwiefern wir uns emotional an seiner Haltung beteiligen, ist damit nicht vorbestimmt. Wir können uns ganz in Erik versenken, mit ihm mitleiden, uns mit ihm freuen, mit ihm hoffen und mit ihm erregt sein. Oder wir können aus der einigermaßen sicheren Distanz der Halbtotale auf ihn schauen und seine Motive unverständlich, seine Emotionen pathetisch, seine Handlungen nicht nachvollziehbar finden. Genau in diesem Sinn ist das hier ein Film über eine Beziehung: es geht aber um die Beziehung zwischen mir als Zuschauer_in und Erik, aus der heraus ich seine Beziehung mit Paul und die vielen anderen Beziehungen beobachten kann, die er eingeht.“ (André Wendler in SISSY 15)

elektronischen Texturen von Japan, dem zarten Gesang von David Sylvian, den flüchtigen Wolken über Stavanger in Jarles Leben auftaucht und ihm einen Raum aufmacht, der zwischen Cool und Uncool etwas Drittes möglich macht. „Es gibt keinen von Gender losgelösten Pop“, schrieb Martin Büsser. Genauso wenig gibt es einen von Gender losgelösten Film. Dass dieser hier zu einem der berührendsten Jungsfilme der Filmgeschichte werden konnte, verdankt er seiner Verschränkung von Pop und Narration. Dass die „Fortsetzung“ Ich reise allein, in der Jarles Geschichte weitererzählt wird, ebenfalls von Tore Renberg, dem StarAutor der Vorlage, für den Film adaptiert, vollends zur spießigen Kokowäh-Variation wird, hat viel damit zu tun, dass er dort dieses Vertrauen verloren hat. Dass Jarle erwachsen wird, bedeutet hier, dass Musik genauso wie Jungs für ihn nun keine Rolle mehr spielen. Vielmehr muss er sich heteronormativ mit den Konsequenzen auseinandersetzen, die die Ambivalenzen seiner Jugend ihm beschert haben. Ich reise allein (natürlich ein viel größerer Erfolg) ist ebenso jüngst auf DVD erschienen. jk

DER MANN, DER YNGVE LIEBTE

MISS KICKI

NO 2008, Regie: Stian Kristiansen, Arsenal

SE/TW 2009, Regie: Håkon Liu, GM Films

„Ich heiße Jarle Klepp – und ich hätte gerne ein Leben!“, rotzt uns ein rothaariger Junge in einer südnorwegischen Landschaft an. Es dauert nicht lange, da hat er eins – einen besten Freund, der „Psychocandy“ von The Jesus and the Mary Chain auch für die beste Platte der Welt hält, eine Punk-Band (Hit: „Pussy Satan Anarchie Kommando Radar Chaos Power Kommando“ ) und eine Freundin, der er ein Liebeslied schreibt. Und dann verliebt er sich in seinen Mitschüler Yngve, hört David Sylvian, spielt Tennis und schenkt ihm eine Aufnahmen des Liebeslieds, ohne dass seine Freundin das weiß. Man merkt: Im Wesentlichen geht es hier um Musik. Martin Büsser bezeichnete Yngve in seiner Besprechung in SISSY 3 sogar als „große Liebeserklärung an die symbolpolitische Kraft des Pop.“ Da die Geschichte 1989 spielt, als Szenen und Subkulturen sich noch unterschieden, wird hier alles über Musik kommuniziert: Zugehörigkeit und Rebellion, kleine Fluchten und große Gesten, schließlich die Queerness, die in Gestalt des neuen Mitschülers, der fragilen

Pernilla August fährt als Miss Kicki nach Taiwan, um die späte Liebe zu verpassen. Stattdessen entdeckt sie die Mutterliebe und ihr Sohn die erste Liebe zu einem anderen Jungen. „Es ist Liu hoch anzurechnen, dass er sich nicht für die Blaupause einer Schmonzette entschied, denn wie kann es anders sein, als dass es richtig kracht, wenn sich eben Mutter und Sohn, dieses untrennbare Gestirn, neu begegnen, nach so langer Zeit, nach so vielen unterschiedlichen Erfahrungen und dennoch im richtigen Moment, als beider Leben neue Fahrt braucht und richtig Fahrt gewinnt. Und auch wenn Kicki manchmal ein großes Kind, eine ziemliche Bitch gar ist, sie weiß genau, was mit ihrem Sohn gerade passiert, was mit ihm und Didi geschieht. Das ist so angenehm selbstverständlich und ohne all das sattgehörte Outing-Gedöns erzählt. Und auch Didi ist keineswegs nur Randfigur. Seine Geschichte ist zentral, sie schwebt über dem zerbrechlichen Glück von Viktor und Kicki, denn er hat seine Mama früh verloren. Der Vater trinkt und spielt. Es gibt ihn eigent39


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lich gar nicht. Das ist die auch eine Parallele zu Viktors Leben. Damit wird Miss Kicki fast nebenher auch zu einem Film über die Absenz, das Versagen der heutigen Väter.“ (Michael Eckhardt in SISSY 14)

LEB WOHL, MEINE KÖNIGIN FR/ES 2012, Regie: Benoît Jacquot, Alive

„Der Blick geht nicht in die Höhe, nicht in Richtung Königin oder König oder Französische Revolution, sondern unter die Kleidung, die Stiche der Flöhe, später treten dann auch noch auf: tote Ratten. Sidonie Laborde, Marie-Antoinettes Vorleserin, kratzt sich am Arm und ahnt nichts vom Untergang ihrer Welt. Mit diesen ersten Bildern ist alles, eine Zeit, ein Milieu, der Hof von Versailles, wie auf einen Schlag da, mühelos-unangestrengt, es klopft an der Tür und die Verhältnisse beginnen sich nun, Zug für Zug, ohne große Erklärung zu erhellen. Leb wohl, meine Königin ist ein Kostümfilm, der seine Kostüme, die Fremde, die die Vergangenheit ist, von Anfang bis Ende mit Leichtigkeit trägt. (…) Wahrscheinlich ist das wahr, ohne die Wahrheit übers Geschehen zu sein. Eine Subjektive, die ihr Recht hat, der Sidonieblick gegen die Politorthodoxie, das Sidonie-Begehren gegen die Hierarchie und die Heteroliebe. Dies alles formuliert mit dem seinerseits liebenden Blick des Regisseurs, des Films auf seine Figuren, ihre Wörter und Körper, von angenehmer Stofflichkeit alles.“ (Ekkehard Knörer in SISSY 14)

Sohn steht auf Sex mit Paaren (und erkennt dann, dass er auf die Frauen darin auch verzichten könnte), der Schwiegervater geht zu einer Prostituierten. Sobald alles gestanden wird, öffnet sich die Familie schnell und alle dürfen zusammen aufs Familienfoto. Nichts ist wirklich ein Problem – nicht die jugendliche Scham, nicht das Für-Sex-bezahlt-Werden, nicht das homosexuelle Begehren, nicht der Sex im Alter, schon gar nicht der rücksichtsvoll verhütete Sex mit der Ehefrau, die keine Spirale verträgt. Eigenartig ist das schon, wie dieser Film hier von der unendlichen Flexibilität der Mittelstandsfamilie schwärmt. Bemerkenswert schön sind die Hardcore-Szenen gefilmt, in dem die Erregung sichtbar ist, aber nicht den Fokus für sich beansprucht. Das Kino von Jean-Marc Barr ist wie stets explizit bisexuell, an Männern und Frauen interessiert, die ihre Rollen nicht verlassen müssen. Die Erregung ist selbstgenügsam, es ist okay, wenn dabei die Kamera eingeschaltet wird. Triumph bürgerlicher Hygiene. jk

DIE LIEBENDEN – VON DER LAST, GLÜCKLICH ZU SEIN FR 2011, Regie: Christoph Honoré, Senator/Universum

„Nach außen hin ist es die Geschichte einer Mutter und ihrer Tochter, deux filles légères, die sich ihre Freiheit nehmen, nur um sie dann selbst wieder aufzugeben. Aber das ist nur der rote Faden, der hier an einem Paar roter Schuhe hängt.“ (Siehe Seite 34)

FRANKREICH PRIVAT – DIE SEXUELLEN GEHEIMNISSE EINER FAMILIE

SUGAR ORANGE

FR 2012, Regie: Jean-Marc Barr & Pascal Arnold, Alive

Leo, „Sugar“, und Clemens, „Orange“, sind 11 Jahre alt und beste Freunde, bis ein Unfall ihre Zugehörigkeit auf die Probe stellt und Clemens zum Feigling wird. Sechzehn Jahre später verliebt Leo sich irgendwie in Lena und Clemens ist mit Leos Bruder zusammen. Geklärt ist nichts. Wird es aber. Die größte Qualität, die Andreas Struck in seinem mehrfach ausgezeichneten zweiten Film an den Tag legt, ist die, seine Figuren einfach beobachten zu können, ohne sie permanent mit Botschaften aufladen zu müssen. So kommen sie und der Zuschauer viel näher an den Kern der Dinge heran, nach dem sie alle auf der Suche sind. Von der Farbe über den Ton bis zur Kamera wirkt an Sugar Orange, trotz der gelegentlichen Schwere des Buches, vieles leicht, nicht notwendigerweise vergnüglich, aber einfach. Herzen sind zart und können kaputtgehen, Freundschaft ist

Der reißerische deutsche Titel lässt an eine Sex-Reportage denken, weniger an den Aufklärungsfilm, der einen hier erwartet. „Zeig mal!“ in der französischen Bourgeoisie. Elegisches Klavierspiel ertönt, schmiedeeiserne Tore öffnen sich zum ländlichen Anwesen, das Sonnenlicht fällt in die Müslischalen einer französischen Idealfamilie, in der nur die Mutter etwas nervt, weil sie über die Sexualität ihrer Mitglieder reden möchte. Da stößt sie zwar auf Granit, der Zuschauer aber darf hinein ins pralle Leben, denn die Kamera weiht uns sehr bald ein, was es so an sexuellen Geheimnissen zu enthüllen gibt: Der jüngste wartet auf sein erstes Mal (das dann, ausführlich zelebriert, zum Höhepunkt des Films wird), die Adoptivtochter hat einen dauererregten Traummann gefunden, der ältere 40

DE 2004, Regie: Andreas Struck, Pro-Fun Media

auch nur Liebe, und wer einmal lügt … Struck hat einen sehr deutschen Film gedreht, der die Qualitäten des heimischen Kinos bündelt, ohne seine Beschränktheiten mitzubringen. Wunderbar. ps

DICKE MÄDCHEN DE 2011, Regie: Axel Ranisch, MissingFilms

„Eine demente Oma namens Edeltraut, die mit ihrem wirklich dicken Sohn im selben Bett schläft, unter Strukturtapete, Leuchter und gesteppten Bettüberwürfen – dieses eigenartige Bild eröffnet eine der unwahrscheinlichsten Liebesgeschichten, die das Kino seit langem gesehen hat. Eine Liebesgeschichte, die (und diese Formulierung wiederholt sich) vorbei an klassischen Förder- und TV-Gremien entstanden ist, in wenigen Monaten, mit geringstem Budget: Sohn Sven mag Hausfreund und Pflegekraft Daniel. Daniel mag Sven. (…) Eine unerhörte Komplizenschaft überträgt sich auf den Zuschauer. Dabei sind diese Körper doch so anders als alles, was man – zuvörderst im schwulen Kino – sonst auf der Leinwand zu sehen bekommt. Das Gefühl von ‚Anderssein‘ komplett verschwinden zu lassen – das ist vielleicht das Eigentümlichste und Beste, was queeres Kino schaffen kann.“ (Jan Krüger in SISSY 15)

MÄNNER ZUM KNUTSCHEN DE 2011, Regie: Robert Hasfogel, Pro-Fun Media

Der eher zurückhaltend und ein wenig ernst wirkende, aber durchaus knuddelige Bankangestellte Ernst Knuddelmann − für sprechende Rollennamen und originelle Filmtitel haben die Filmemacher zweifellos ein Händchen − kommt aus der Provinz in die pulsierende Metropole Berlin und lernt dort Tobias kennen und lieben. An der Seite des − wie sagt man hier doch gleich immer? − ‚schrillen Paradiesvogels‘ und dessen − dieses Attribut darf an dieser Stelle nicht fehlen − ‚quirliger‘ Entourage, die aus bestem Freund Leo, bester Freundin Steffi sowie deren Lover Kurt besteht, lernt Ernst nun das bunte Leben kennen und absolviert vor allem − aufregend, aber auch anstrengend − einen Schnellkurs im Fach schwule Partykultur. Bis plötzlich seine Jugendfreundin Uta auf der Bildfläche erscheint. Die gerade aus den USA remigrierte Ex-Botschaftsangestellte, deren Charakter an Lord Voldemort erinnert und deren Garderobe zu gleichen Teilen von Matrix Reloaded und einem


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Fünfziger-Jahre-Tanztee inspiriert zu sein scheint, setzt nämlich alles daran, das liebende Paar auseinander zu bringen und sich in Ernsts Wohnung festzusetzen. Wird ihr finsterer Plan am Ende aufgehen? Natürlich nicht, denn wir befinden uns ja in einer sogenannten ‚turbulenten Komödie‘, in der es zuweilen arg lustig zugeht und die unermüdlich „Ja, dit is Berlin!“ auszurufen scheint: Dufte Stimmung, schräge Typen, Transen, Drinks, Joints und skurrile Taxifahrer, alles ist dabei. Weil Darsteller und Crew beim Dreh offenbar einen Mordsspaß hatten und auswärtigen Spaßbremsen die Feinheiten des Hauptstadthumors mitunter nicht wirklich zugänglich sind, sollen dies der Worte genug sein. cm

CHI L’HA VISTO – WO BIST DU? DE 2009, Regie: Claudia Rorarius, Indigo

Gianni Meurer − ein halb italienischer und halb deutscher Name, an dem sich das Spielfilmdebüt von Claudia Rorarius wesentlich ausrichtet, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Zum einen nämlich ist dies der Name des bislang nur aus Musical-Inszenierungen bekannten Hauptdarstellers, der in diesem Film eine immerhin so beachtliche Leistung zeigt, dass er demnächst neben Moritz Bleibtreu für Oliver Hirschbiegels neueste Produktion vor der Kamera stehen wird. Zum anderen heißt so aber auch der fiktive Protagonist des Films, dessen Biographie allerdings mit der seines Darstellers einige Überschneidungen aufweist. Nämlich die, dass beide bei ihrer Mutter in Deutschland aufwuchsen und ihren italienischen Vater zum letzen Mal vor 25 Jahren für eine kurze Stunde sahen. Um ihn zu suchen macht sich Gianni Meurer alias Gianni Meurer kurz nach seinem

31. Geburtstag mit dem Auto von Berlin nach Italien auf. Im Verlauf seiner kleinen Odyssee lernt er flüchtig einige Menschen kennen, denen er die wenigen Zeugnisse seines verschollenen Vaters − ein angejahrtes Foto des damals 23-Jährigen sowie wenige vergilbte Briefe − zeigt und macht auch Bekanntschaft mit dem jungen Deutschen Paul, der sich ihm eine zeitlang anschließt. Ob Gianni diesen Paul einfach nur nett findet oder ob er mehr für ihn empfindet, bleibt unklar − wie vieles an seinem Verhalten. Was sucht Gianni eigentlich genau in Italien? Seine Wurzeln, seine wahre Identität? Warum bleibt seine Suche so eigentümlich unsystematisch und unentschlossen? Will er seinen Vater überhaupt finden? Die letzte Möglichkeit dazu scheint auf jedem Fall seine Teilnahme an der TV-Sendung Chi L’Ha Visto (Wer hat ihn gesehen?) darzustellen, er muss nur rechtzeitig im römischen Fernsehstudio eintreffen. Rorarius’ im dokumentarischen Wackelkamera-Stil inszeniertes Roadmovie überzeugt vor allem durch das realitätsnahe Spiel seiner Darsteller, aber auch ästhetisch, sodass man ihm, bezieht man die Frage seines Titels einmal auf ihn selbst, nur die folgende Antwort wünschen kann: möglichst viele. cm

Kristian versucht, sich an der neuen Schule zurechtzufinden, gerät er in einen Zwiespalt. Da ist zum einen die Clique um den Schulhofrabauken Patrick, zum anderen der Einzelgänger Henrik mit Pferdeschwanzfrisur, der sich in Tai Chi übt und den die Klassenkameraden als Schwuchtel verspotten. Zwar fühlt sich Kristian zunächst zu Henrik hingezogen, hat aber Angst, er könne durch sein Faible für den gemobbten Mitschüler selbst zum Außenseiter werden. Also schließt er sich immer stärker Patrick und seinen Kumpeln an. Deren Gespräche drehen sich hauptsächlich um Mädchen beziehungsweise den Sex, den die Jungs in aller Regel noch nicht hatten, was sie aber nie zugeben würden. Ein schöner Effekt des Films ist, dass sich letztlich nicht der zu allem Überfluss auch noch als Fotomodell jobbende Henrik als schwul herausstellt, sondern der kerlige Patrick. Er ist es, der in Stefan Henszelmans Film Kristians Freund für immer wird, und die beiden jungen Männer entdecken zur selben Zeit die Liebe – der eine hetero-, der andere homosexuell.“ (Dino Heicker in SISSY 14)

TIEFER ATEM FR 2001, Regie: Damien Odoul, Edition Salzgeber

FREUNDE FÜR IMMER DK 1986, Regie: Stefan Henszelman, Edition Salzgeber

„Zu Beginn des Films Freunde für immer kommt ein junger Mann neu an eine Schule. Zur Begrüßung fliegt ihm auf dem Pausenhof ein gelber Tennisball an den Kopf. Ein properer Blondschopf hat ihn geworfen, der lacht, nicht unfreundlich. Der Neue verzieht keine Miene. Sein Name: Kristian, Ort der Handlung: Dänemark, genauer Kopenhagen, Zeit: 1987. Als

Diese eigenartig schroff in der Filmgeschichte herumstehende PubertätsFantasie aus dem Jahr 2001 geht formal ganz auf im Schwebezustand ihres 15-jährigen Helden und seiner rohen, zärtlichen, egozentrischen Wahrnehmung der Welt. Was seine Hormone mit ihm veranstalten, macht der Film mit den Männern und der Natur, die Regisseur Damien Odoul im ländlichen Limousin vorgefunden hat: Alles wird in ein eigenwilliges poetisches Fieber ver-

ein Film von ALEX ANDR A THERESE KEINING

„KÜSS MICH hat alles, was ein Film braucht, um eine aufregende Liebesgeschichte zu erzählen!“ PHENOMENELLE.DE

„Leidenschaftlich, sinnlich und sexy. Und so witzig und dramatisch, um Euer neuer Lieblingsfilm zu werden!“ A F TE R E LLE N.COM

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setzt. „Sexuelle Fantasien. Es ist heiß. Dann geht ein Gewitter nieder. Doch geht tatsächlich ein Gewitter nieder? Oder sind der heftige Regen und das Herumwälzen im Schlamm delirante Fantasien, dem Wein und dem Schnaps geschuldet? Der ungewohnte Alkohol und die verrückt spielenden Hormone des Pubertierenden gehen eine unheilige Allianz ein, Wirklichkeit und Rauschtraum fließen nahtlos ineinander. Komplizenhaft unterstützt von Pascale Granels Kinematografie, die das Natürliche des ländlichen Handlungsraums mit dem Artifiziellen scharfer Kontraste austreibt.“ (Alexandra Seitz in SISSY 15)

KÜSS MICH SE 2011, Regie: Alexandra Therese Keining, Edition Salzgeber

„Im Brautkleid ihrer Mutter, das sie unbedingt zur Hochzeit tragen wollte, obwohl es Tim nicht gefällt, steht Mia unschlüssig vor dem Spiegel. Es ist, als würde das biedere, hochgeschlossene Kleid ihr die Luft zum Atmen nehmen, sie reißt es sich vom Leibe.“ (Siehe Seite 12)

ATOMIC AGE FR 2011, Regie: Héléna Klotz, Pro-Fun Media

Zwei Jungs fahren nach Paris, gehen in einen Club und verlaufen sich im Wald. „Atomic Age ist ein eigenwilliger Film, intim und großspurig, formlos und konsequent zugleich. Er nimmt seine Protagonisten ernst und ist entschieden in sie verliebt, enthebt sie aber gleichzeitig einer scharf konturierten Welt. Die poetische Nachtstimmung, die mitatmende Kamera und der knisternde Soundtrack liegen wie ein melancholischer Hauch über der kleinen Geschichte, in der es eigentlich um Jugendliche geht, bei denen noch gar nichts passiert ist. Die bewusstseinsverändernde Filmsprache erinnert an Werner Schroeter, der ja zuletzt auch nur noch entrückte Nächte verfilmt hat. Gleichzeitig will dieser Film mehr, er will ein Statement sein gegen die Logik hübsch aufgelöster Coming-of-Age-Geschichten, mag seine Jugendlichen nicht ambitionslos, angepasst, unpolitisch oder rebellisch finden, sondern spielt die Flucht in die Hipster-Unverbindlichkeiten (kein Produkt sein, kein Labelträger, kein User) als traurige Rettungsmaßnahme vor der drohenden Bewegungslosigkeit zurück. Die Poesie des Films ist mitfühlend: Sie ist als Freiraum für Sprache, Identitäten und Körper gedacht. 42

Und wenn das auch nur heißen sollte, dass sie sich für einen kurzen Moment verlaufen dürfen.“ (Jan Künemund in SISSY 14)

LET MY PEOPLE GO FR 2011, Regie: Mikael Buch, Pro-Fun Media

Allen, Almodóvar und Anderson. „Die bloße Aufzählung der künstlerischen Paten lässt beinahe schon erahnen, worum es in der Komödie geht: nämlich um eine ebenso skurrile wie verkorkste jüdische Familie in Paris und vor allem um deren ebenso tollpatschigen wie hoch nervösen homosexuellen Spross Ruben, der − und darin besteht der von der Kritik auch bereits festgestellte Kaurismäki-Einfluss − gerade von seinem finnischen Freund verlassen wurde und zuweilen genauso melancholisch dreinblickt wie Jean-Pierre Léaud. Almódovar bildet auch insofern eine gute Vergleichsfigur, als es sich bei ihm ebenfalls um einen sehr eklektizistischen Regisseur handelt, der seine Filme mit deutlichen Zitaten und subtilen Anspielungen auf die Kinogeschichte geradezu vollstopft. Im Unterschied zu Buch arrangiert er sie aber so gekonnt, dass sich dabei zahlreiche neue Sinnzusammenhänge ergeben. Zudem fügen sie sich nahtlos in einen ganz eigenen Stil ein, der mittlerweile nahezu un­ verwechselbar geworden ist.“ (Christoph Mey­ring in SISSY 15)

LEAVE IT ON THE FLOOR US 2011, Regie: Sheldon Larry, Edition Salzgeber

„Bradley (Ephraim Sykes, wie fast alle Darsteller eine filmische Neuentdeckung) wird zu Hause rausgeschmissen, als seine Mutter erfährt, dass er schwul ist. Er lernt den nicht weniger attraktiven Carter kennen, bevor er über Umwege in das House of Eminence und dadurch in die Ballroom-Szene von Los Angeles gerät. Zur Erklärung: Häuser sind clanähnliche Ersatzfamilien, die von Müttern ‚geleitet‘ werden und deren Mitglieder in den verschiedenen Kategorien der Bälle gegeneinander antreten. Judith Butler hat die Neuformulierung der heterosexuellen Verwandtschaftsverhältnisse beschrieben, die durch die Strukturen der Häuser stattfinden. Leave It On The Floor spielt hauptsächlich in einem dieser Häuser und spinnt zudem den Gedanken der ökonomisch bedingten schwulen Patchwork-Familie in der Figur der ‚schwangeren‘ Eppie Durall augenzwinkernd fort. Die Namen der Darsteller wie Barbie-Q oder Roxy

Wood in den Rollen der Queef Latina oder Glam-House-Mother bezeugen dann auch das Anliegen der Macher, Mitglieder der echten Szene(n) in ihren Film mit einzubeziehen und Leave It On The Floor damit wiederum eine Form von Realness zu geben, die dem durch und durch künstlichen Film Glaubwürdigkeit verleiht. In den zahlreichen Musicaleinlagen werden strukturelle und persönliche (Beziehungs-)Probleme (schwarzer) US-Amerikaner besungen, es wird viel getanzt, es werden Sehnsüchte formuliert und Battles ausgetragen. (…) Bis hin zu den Fingernägeln von Bradleys Mutter lassen sich in Leave It On The Floor immer wieder Verweise auf die in Paris Is Burning beschriebene reale Ballroom-Welt finden. Damit betreibt der Film auf eine sehr eigenwillige Art Erinnerungskultur in Form von Entertainment. Das kann man schwierig finden, man kann sich aber auch einfach nur unterhalten lassen; von der Videoclip-Ästhetik, den Kostümen, den Lieder, der Spiel- und Tanzfreude der Darsteller, der Schönheit der Menschen und der Illusion.“ (Toby Ashraf in SISSY 15)

THE LOVE PATIENT US 2011, Michael Simon, Pro-Fun Media

Paul, der wie achtzig Prozent aller Protagonisten schwuler US-Komödien in der Werbebranche tätig ist, trauert immer noch seinem Ex-Freund, aber Noch-Kollegen Brad hinterher, der ihm vor einem Jahr aus gutem Grund den Laufpass gegeben hat. Alle angestrengten Versuche ihn zurückzugewinnen sind bislang kläglich gescheitert, ja Brad scheint mit dem bisexuellen Ted mittlerweile sogar einen neuen Lover gefunden zu haben. In dieser verzweifelten Lage kommt Paul eine überaus perfide Idee, die er in Komplizenschaft mit dem befreundeten Arzt Burd auch sogleich in die Tat umsetzt: Er behauptet, man habe bei ihm ein Lungenkarzinom diagnostiziert und ihm bleibe vielleicht nur noch kurze Zeit zu leben. Die dreiste Lüge zeitigt sofort durchschlagende Effekte − unbeabsichtigter wie auch wohl kalkulierter Natur. So zeigt sich auch Brad aufrichtig erschüttert und kommt seinen Ex wieder häufig besuchen. Michael Simons Filmlustspiel, das sich offensichtlich weniger an Molières „Der eingebildete Kranke“ als vielmehr an dem uralten Klotürspruch „Tumor ist, wenn man trotzdem lacht“ orientiert, ist leider kein Brüller. Und das liegt nicht so sehr daran, dass man sich über das ernste Thema Krebs nicht lustig machen darf − wie es zum Beispiel Woody Allen erfolgreich vorgemacht hat. Man kann es aber auf eine grundlegend falsche und äußerst alberne Art tun. Tröstlich, dass hier


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am Ende selbstverständlich niemand das Zeitliche segnen muss. cm

FAMILIENTRÄUME MX 2011, Regie: Gustavo Loza, Pro-Fun Media

Drei Tage lang bleibt der siebenjährige Hendrix unbeaufsichtigt und ohne jegliche Versorgung eingesperrt, bis ihn schließlich die beiden lesbischen Nachbarinnen Ivana und Gloria aus der verdreckten Wohnung seiner drogensüchtigen Mutter Nina befreien. Doch wohin jetzt mit dem Kleinen? Nachdem sie seine Mutter gegen ihren Willen in eine Entzugsklinik haben einweisen lassen, bringen die Frauen ihn in Ermangelung weiterer Alternativen vorerst bei einem befreundeten Schwulenpaar unter. Jean Paul und Chema haben in ihrem schönen Haus zwar genügend Platz für den Gast, doch mit Kindern können diese Hedonisten so gar nichts anfangen. Trotzdem entwickeln sie mit der Zeit eine tiefe Zuneigung zu Hendrix. Diese wird auf eine harte Probe gestellt, als Nina aus der Klinik entkommt und ihren Sohn vehement zurückfordert. Der Kampf um das Kind eskaliert und nimmt immer brutalere Züge an. Schonungslos, gänzlich unsentimental und sehr realistisch ist der Blick, den Regisseur Gustavo Loza auf den gegenwärtigen sozialen und moralischen Zustand der mexikanischen Gesellschaft wirft. Dennoch lässt er auch die intoleranten, homophoben und gestrauchelten Charaktere nicht zu hässlichen Fratzen verkommen, sondern zeigt sie als brüchige Figuren, indem er ihnen auch ehrliche, positive Gefühle zubilligt. Seine Art, mehrere Geschichten parallel zueinander zu erzählen und schließlich miteinander zu verweben, erinnert zuweilen an seinen berühmten Landsmann Alejandro González Iñárritu. Ein sehenswerter Film. cm

ECUPID US 2011, Regie: J. C. Calciano, Pro-Fun Media

Da schwule Männer zumindest noch insofern eine Avantgarde darstellen, als sie ihre MidlifeCrisis zehn Jahre früher erleben als der Rest der Menschheit, stellt sich auch der Werbefachmann Marshall pünktlich zu seinem dreißigsten Geburtstag die unausweichliche Frage: Führe ich wirklich ein erfülltes, aufregendes und glückliches Leben? Dabei kann er eigentlich froh sein: guter Job, nette Behausung und seit sieben Jahren eine feste Beziehung mit dem ebenso hübschen wie treuherzigen Gabe. Doch, zugegeben, das Bild, das die beiden in ih-

rer Freizeit abgeben, sollten sie lieber nicht auf ihrer Facebook-Seite posten und ein Video ihrer momentanen Schlafzimmeraktivitäten würde man sich allenfalls als Einschlafhilfe bei Youporn herunterladen. Darum zögert Marshall nicht lange, als die vielversprechende App eCupid auf seinem Monitor darum bittet, gedownloadet zu werden. Kaum hat sie sich installiert, beginnt sie ein unheimlich intelligentes und unheimlich empathisches Eigenleben zu führen. Mit anderen Worten: Sie scheint Marshalls intimste Erotikphantasien zu erahnen und schafft zielsicher Gelegenheiten, diese endlich in die Tat umzusetzen. J. C. Calcianos Komödie fehlt leider auch etwas, nämlich eine gehörige Portion Biss und Scharfsinn, die nötig wäre, um die Absonderlichkeiten des InternetDating und die aus dem Netz sprudelnde erotische Reizüberflutung auf witzige Weise aufs Korn zu nehmen. Ein Highlight stellt aber zweifelsohne der Gastauftritt einer bewundernswert faltenfreien und fast schon computergeneriert anmutenden Morgan Fairchild dar, die als alterslose Raststättenkellnerin altersweise Kritik an der Realitätsferne des InternetZeitalters formulieren darf. TV-Junkies jenseits der Midlife-Crisis werden sich an sie erinnern: Teile ihres aktuellen Körpers wirkten bereits in den 1980ern in Dallas, Flamingo Road, Falcon Crest und Karussell der Puppen und damit an der gesunden Sozialisation der letzten analogen Generation mit. cm

liebevoll berührt und seine nassen Locken in der Abendsonne schüttelt. Dünen, Wellen, Strand und Surfer.“ (Nicky Naish in SISSY 14)

OFF SHORE

MIXED KEBAB

DE 2011, Regie: Sven J. Matten, Pro-Fun Media

BE/TR 2012, Regie: Guy Lee Thys, Pro-Fun Media

„Dünen, Wellen, Strand und Surfer. Ein Schiff bringt Andi nach Fuerteventura. Tina, die SurfLehrerin, holt Andi ab. Andi vertraut ihr direkt seine Geschichte an: Sein Vater, den er nie kennen gelernt hat, war Surfer und lebt irgendwo auf der Insel. Um ihm nahe zu kommen, hat sich Andi in einen Surfkurs eingebucht. Direkt nach seiner Ankunft macht sich Andi schließlich auf, um seinen Vater zu suchen und findet ihn auch sofort. Doch bis er es schafft, ihn anzusprechen, nimmt er erst einmal Surfstunden bei Tina, die offenbar bereits Gefühle für ihn hegt. Am Strand begegnet Andi einem jungen athletischen Surfer, Pedro, dessen Ausstrahlung ihn magisch anzieht. Dünen, Wellen, Strand und Surfer. Andi wird seinen Vater noch einmal aufsuchen, sich vor ihn stellen und sagen: ‚Hallo Vater!‘ Und der Vater wird ihn sofort freundlich aufnehmen, was Andi verwirrt. Schließlich lässt sich Andi auf die Begegnung mit dem Vater und auch auf Tina ein, immer wieder durcheinandergebracht von der Begegnung mit dem jungen geheimnisvollen Pedro, der ihn bei einer flüchtigen Begegnung

„Ein schwuler Türke in Antwerpen soll eine raffgierige Cousine in der Türkei heiraten, möchte aber eigentlich mit seiner neuen Flamme Kevin zusammen sein. Spätestens jetzt wächst ihm seine Meh r fachd isk r i m i n ie rung über den hübschen Kopf. Ja, so sieht es aus, das Multikulti-ist-vorbei-Belgien des Regisseurs Guy Lee Thys, der aus dieser Konstellation und ganz viel Drehbuchirrsinn eine heikle Komödie strickt. (…) Was man diesem hundsgemeinen Film zugestehen muss: Er knallt in alle Richtungen. Die Türken darin sind Heuchler, kriminell, bigott, fanatisch, frauenfeindlich, homophob, raffgierig, außerdem haben sie was gegen die Polizei. Die wiederum ist rassistisch und/oder lesbisch. Lesben machen dagegen entweder unsittliche Angebote an Raubopfer, heizen mit heißen Spielern einen Dealer an oder führen mit ihrem öffentlich zur Schau gestellten Lesbischsein den belgischen Kleinbürgern vor, dass es mit ihrem Heimatland den Bach herunter geht. Für die wiederum sehen Türken natürlich alle gleich aus, auch wenn sie keine kennen. Bleiben

SPEECHLESS CH 2012, Regie: Simon Chung, Pro-Fun Media

Simon Chungs Hauptthema ist der Clash von Privatsphäre und Öffentlichkeit. Die bilden in Chungs Heimatland China die Pole, zwischen denen sich Personen darstellen und an denen der Charakter eines Menschen definiert wird. In all seinen Filmen erzählt Chung vom Zusammenbruch der Balance von Privatheit und öffentlichem Leben, der immer von queerer Sexualität herbeigeführt wird. In noch keinem seiner Werke ist ihm das so gut gelungen wie in Speechless. Der Thriller, der auch ein erotisches Liebesdreieck erzählt, das auch eine Studie über Vergeltung ist, ist sein formell konventionellster Film, hat aber ein so starkes Buch und so großartige Schauspieler, dass man sich kaum satt sehen kann. Europäisches und chinesische Moralverständnis treffen aufeinander und lösen einen Gefühlstsunami aus, der alle Teilnehmer unter sich begräbt. Beherrscht, stilvoll, in tollen Bildern erzählt. Gutes asiatisches Kino. ps

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die Schwulen: die sind entweder fett, haarig und haben ihr Stylingziel ‚Gautier-Matrose‘ deutlich verfehlt, oder sie brauchen unendlich lange, um mal miteinander ins Bett zu gehen. Die belgischen Nicht-Kleinbürger, also die, die z.B. hippe Bars besuchen, koksen übrigens oder dealen gleich. Was soll man damit anfangen? Man schaut zu, wie ein Regisseur mit all diesen Gemeinheiten jongliert. Angestrebte Reaktion, wenn es klappt: Applaus. Also: Applaus!“ (Richard Garay in SISSY 15)

THE WOLVES OF KROMER GB 1998, Regie: Will Gould, Edition Salzgeber

Lange bevor Taylor Lautner in der Twilight-Trilogie als oberkörperfreier Mini-Werwolf 10-jährige Mädchen und geschmacklose Homosexuelle jeden Alters um den Verstand brachte, lebten in einem dunklen, zutiefst englischen Filmwald Seth und Gabriel. Man schrieb das Jahr 1998 und es reichte noch, hübschen, langhaarigen Jungs Pelzmäntel anzuziehen und sie traurig in die Ferne starren zu lassen, während sie an ihren langen Fingernägeln kauten, um so etwas wie ironische Tiefsinnigkeit herzustellen. Regisseur Will Gould konnte sich darauf verlassen, dass die Weltabgeschiedenheit seiner Charaktere und die liebreizende Erzählerstimme von Boy George das Publikum direkt dorthin geleiten würden, wo es hinsollte: ins Unterholz der Geschlechter. Dort werden Seth und Gabriel erst von zwei alten Schrullen (die englischen Comedy-Legenden Rita Davies und Margaret Towner) angeschwärzt und dann von einem ganzen Dorf gejagt, während die Jungwölfe versuchen, ihre Liebe und sich selbst zu retten. Die „Gay Times“ befand seinerzeit: „Atmosphärisch. Sexy. Merkwürdig.“ 2012 sagt man „AntiTwilight“. Sehr schön, immer noch. ps

UNTER MÄNNERN – SCHWUL IN DER DDR DE 2012, Regie: Markus Stein & Ringo Rösener, Edition Salzgeber

Der junge Filmemacher Ringo Rösener macht sich auf die Suche nach seinen Vorvätern: Schwulen in der DDR. Er findet sie und mit ihnen auch ein Stück von sich selbst. „Rösener und Stein lassen ihre völlig unterschiedlichen Protagonisten (vom punkig schillernden Star-Frisör bis zum verbitterten 80-Jährigen ist alles dabei) ihre eigenen Geschichten erzählen und so verdeutlichen: ‚das schwule Leben‘ in der DDR gab es gar nicht. Es gab eine Menge Einzelschicksa44

le, die ihre Gemeinsamkeit nur daraus bezogen, anders als der Durchschnitt zu sein und so mit dem System in Konflikt zu geraten. Wenn Coiffeur Frank Schäfer fröhlich davon berichtet, wie er von einem Stasioffizier ‚quasi vergewaltigt‘ wurde, hat das mit der Biografie von Eduard Stapels, dem ‚Homopfarrer‘ des wilden Ostens, der einer der ersten war, der innerhalb der Kirche Schwulengruppen gründete, in der persönlichen Wahrnehmung des jeweils Erzählenden nichts zu tun. Beide stehen aber für eine ganze Reihe ähnlicher Schicksale. Die filmische Klammer die Rösener für seine Suche findet, Ausschnitte aus Coming Out von 1989 mit seiner eigenen Perspektive des Spätgeborenen abzugleichen, funktioniert hinreichend, weil sie die Veränderung der letzten zwanzig Jahre gut illustriert, verdeutlicht aber auch, dass man den Film nicht einmal als Laser für die sechs Männer benutzen kann, die in Unter Männern beschrieben werden. Das ComingOut des ostdeutschen Schwulen wird durch diesen Widerspruch in seiner Verschiedenheit hübsch illustriert.“ (Paul Schulz in SISSY 13)

A BIGGER SPLASH UK 1973, Regie: Jack Hazan, Edition Salzgeber

„Wie eine Flaschenpost aus dem Niemandsland zwischen Swinging Sixties und Punk liest sich der Film heute. Menschen kommen und gehen und verändern sich, Wege kreuzen und verlieren sich. Etwas ist verloren gegangen, und alles ist noch da, weil der Film es aufgehoben hat.“ (Siehe Seite 32)

DETLEF – 60 JAHRE SCHWUL DE 2012, Regie: Stefan Westerwelle & Jan Rothstein, Pro-Fun Media

Stefan Westerwelles und Jan Rothsteins Portrait von Detlef Stoffel, eines maßgeblichen Protagonisten der Bielefelder Schwulenbewegung der siebziger Jahre, verwebt Beobachtungen von Stoffels schwierigem Gegenwartsalltag mit einer archivarischen Erkundung von Bewegungsgeschichte. „Wovon sich Detlef, der Film, ein Bild zu machen sucht, ist ein Leben, dem man, gerade im Hinblick auf das Begehren, das es antreibt, ein Unrecht zufügen würde, wollte man es gerade biegen. Westerwelle und Rothstein tun ihr Möglichstes, genau das zu vermeiden, und finden dabei eine Form, die vermag, woran allzu viele Gesten des Biographischen scheitern: nicht dabei zu verharren, zu erzählen, wie einer wurde,

was er ist, sondern Augen und Ohren zu haben und einen Ausdruck zu finden für die Lücke, die bleibt, wenn einer ‚Ich‘ sagt.“ (Sebastian Markt in SISSY 15)

AUDRE LORDE – THE BERLIN YEARS 1984–1992 DE 2011, Regie: Dagmar Schultz, Edition Salzgeber

„Was Audre Lorde über individuelle Freiheit, Stärke und die Kraft zur gesellschaftlichen Veränderung zu sagen hat, wirkt auch heute noch wie ein Zaubertrank gegen Angst und Mutlosigkeit.“ (Siehe Seite 30)

SHAME UK 2011, Regie: Steve McQueen, Prokino/EuroArts

Shame, die Schande, ist das erklärte Konzept des Films. Aber der Schwanz von Brandon, dem Helden der Erzählung, ist sein visuelles Zentrum. Schon im ersten Bild, in dem die Falten der verrutschten Bettdecke ihn nachzeichnen. Später buchstäblich, bzw. bildlich. Eine Erregung, die über alles physisch Erträgliche hinausgeht, alles Soziale unmöglich macht. Die sich irgendwann löst, von Körpern, Geschlechtern. Sichtbar für uns, ab dem zweiten Bild, für die Schwester, die unangekündigt das Bad betritt, zuletzt für jedermann, der an der Glasfassade vorbeifährt, hinter der Brandon gerade eine Frau fickt. In seinen kühlen, beobachtenden Momenten erfasst Shame die Isolation dieser Erregung vom gesellschaftlichen Kodex, wo sie nicht hineinpasst, nicht tragbar ist, nicht integrierbar. Wo sie es nicht vermag, in Zoten, Aufreißertum und Doppelmoral aufzugehen (wie bei Brandons Chef). In seinen angestrengten Momenten markiert der Film moralisierend, wo die Sexsucht sich in Egozentrik versteift, nicht mehr (mit-)menschlich erscheint, Beziehungen zerstört oder von vorneherein unmöglich macht. In anschwellendem Streichergesang muss Shame die Erkenntnis des Protagonisten über seine eigene Asozialität festhalten, die Schande eben. Doch Brandon ist zwar ein Getriebener, aber kein Jäger. Er wird gejagt, aufgepickt, genommen, von Männern und Frauen. Immer wieder zieht sich die Kamera hinter Glas zurück und zeigt ihn eingesperrt, unfähig, seinen Käfig zu verlassen. Wenn seine Schwester den phallischen Eroberer-Song „New York, New York“ singt, fängt Brandon an zu weinen. Hier schließlich kann Shame berühren – als Einsamkeitsstudie, in der eine Erregung aus der Welt fällt. jk


nachruf

Brot und Tomaten H a ns W e r n e r H enz e (1 . J u l i 1926 – 27. Okt obe r 201 2)

Filmmusiken von Hans Werner Henze: Muriel, ou le Temps d’un retour (Muriel oder Die Zeit der Wiederkehr) Regie: Alain Resnais, 1963 Der junge Törless Regie: Volker Schlöndorff, 1966 Ein unheimlicher Moment, Episode in Der Paukenspieler Regie: Volker Schlöndorff & Herbert Rimbach, 1967 Die verlorene Ehre der Katharina Blum Regie: Volker Schlöndorff, 1975 Abelard – Die Entmannung Regie: Franz Seitz, 1977 Taugenichts Regie: Bernhard Sinkel, 1978 Un amour de Swann (Eine Liebe von Swann) Regie: Volker Schlöndorff, 1984 L’amour à mort (Liebe bis in den Tod) Regie: Alain Resnais, 1984 Ninguém Duas Vezes Regie: Jorge Silva Melo, 1985 Comrades (Rebellion der Rechtlosen) Regie: Bill Douglas, 1986

Bundesarchiv, B 145 Bild-F008277-0008 / Unterberg, Rolf / CC-BY-SA

Und: Schlussmusik zu The Exorcist Regie: William Friedkin, 1973

Hans Werner Henze 1960

„hast du schon Senso von Visconti gesehen? auch wenn die zensur jetzt alles, was wichtig war, weggeschnitten hat, erkennt man noch die handschrift eines mannes von geschmack, gewissen, kultur … daher und nicht nur aus diesen gründen muss man sich mit artischocken, pasta asciutta und wein zufrieden geben, selbst wenn man nur brot mit tomaten isst: immer noch besser als die rehrücken der bôches, bezahlt von Eisenhower, mit der sosse aus dem blut junger dummer deutscher, den lieben verstorbenen von morgen. komm! schreib! liebe grüsse hans“ Henze an Ingeborg Bachmann, Ischia, Februar oder März 1955 45


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Dominikanerplatz 4

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Auch das noch …

Brandenburg Queer Cinema auf Weltreise.

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WOLFR AM SC H ORLEM M ER BURAK YIGIT

DU SOLLST NICHT KIFFEN. D U S O L L S T N I C H T KOT Z E N . D U SO L L S T N I C H T LÜ G EN . DU SOLLST NICHT STERBEN.

EIN FILM VON TIM STAFFEL KAMERA: FABIAN SPUCK


Übernimm Verantwortung fÜr Dich ! Franz (54)

Wie ich mit Verantwortung beim Sex umgehe, erzähl ich Dir auf www.iwwit.de


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