SISSY SISSY vierzehn — Homosexual’s Film Quarterly

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Ausgabe vierzehn · Juni bis August 2012 · kostenlos

s Welterschütterung: Zartes Rosa, sanftes Grün  s Machomarotten: Ausgestopfte Liebestöter  s Neun Tage Paris: Anders- und Dagegensein  s Fröhliches Treiben: Liebe auf VHS  s Wellenritt: Musikeinsatz am Meer  s Filmgeschichte: Die Q-Frage  s Mutterfreuden: Kiss Kiss, Cin Cin, Bye Bye  s Kernspaltung: Sich endlich lieben  s Visconti: Schminke und Begehren  s Die Dokwütige: Das kann doch alles nicht sein!  s Very precious: Malerisch angeschossen mit nacktem Oberkörper  s Amüsanter Fehler: Darf ich das?  s Kostümorgie: Weltgeschichte bleibt draußen  s Wasserfestspiele: Mülltüten auf Branchenköpfen  s Die Archivarinnen: Kultur in elf Sprachen


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vorspann

Sissy vierzehn Zugegeben, im letzten Heft haben wir ein bisschen arg über die Berlinale gemeckert, beziehungsweise darüber, wie dort über das Kino geredet wird, das auch die SISSY interessiert. Wobei uns ja bewusst ist, dass dieses Festival eines der wenigen Foren zumindest in Deutschland ist, in dem überhaupt über „Queer Cinema“ geredet wird – und sei es auch nur in Form von Gemecker. Um diesen Impuls auch mal anders, nämlich konstruktiver, aufzugreifen, haben wir Menschen, die mit diesem Begriff arbeiten, zu einem Gespräch überredet, dessen Ergebnis wir in diesem Heft präsentieren. Die ewige Frage, was das Q-Wort überhaupt bedeutet, ist dabei die eine, ob der Begriff für Menschen, die Filme lieben, überhaupt relevant ist, die andere Leitfrage. Bei unserer Recherche trafen wir selbstkritische Filmkritiker, geschichtsbewusste Kuratoren, Fragen aufwerfende Filmwissenschaftler und FilmemacherInnen, die das meiste, was heutige Queerfilme entwerfen, defensiv und rückschrittig finden.

jan künemund

Dass so wenig darüber geredet wird, wie wir „unsere“ Geschichten filmisch erzählen, scheint daran zu liegen, dass es seit den 1990er Jahren eine gut funktionierende Nische für schwullesbisches Kino gibt, das, abgesehen vom „Zielpublikum“, nicht wahrgenommen wird, das keinerlei Austausch mehr mit dem Hilfreich beim Straßenkampf, etwas einsilbig, was das Kino angeht: Der Teddy Weltkino eingeht, aber dennoch das subjektive Gefühl vermittelt, queeres Kino sei ja präsent genug. Diese Filme werfen innerhalb und außerhalb ihrer Nische keine Fragen auf. Jenseits davon ist Queerness wiederum kein Thema – die wenigsten Cinephilen fragen sich, was in Filmen ihrer Helden wie Weerasethakul, Chéreau, Mendoza, Almodóvar, ja selbst Ozon jetzt so besonders „queer“ sei.

titel: Neue Visionen

Verstand sich die SISSY schon immer als eine Reaktion auf das immer leiser werdende Nachdenken über Queerness im Film und queere Filme in den queeren Szenepublikationen, so schien es uns nur konsequent, das Gespräch darüber wieder anzuregen. Fortsetzung folgt, ganz bestimmt.

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mein dvd -regal

Christian Rudolph, Sissy-Leser

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Christian Rudolph


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Paradies / Inferno von A l e x a n dr a Seitz

s „Ich bin der Tod, der alles raubt, Erschütterer der Welten.“ Dieser Satz aus der hinduistischen Heldensaga „Bhagavadgita“ fiel Julius Robert Oppenheimer angesichts der Testexplosion einer Atombombe ein. An deren Entwicklung und Herstellung war er als Leiter des Manhattan Project in den Dreißiger und Vierziger Jahren in Los Alamos, New Mexico, maßgeblich beteiligt. Die erhaben schreckliche Schönheit des sprichwörtlich gewordenen Atompilzes, der kilometerhoch in den Himmel stieg, beeindruckte den Mann nachhaltig. Das Ausmaß und die schiere Wucht der entfesselten (Zerstörungs-) Kraft ließen ihn jedoch wie seinen Kollegen Albert Einstein bald zu einem Kritiker der Nutzung von Atomkraft durch den Menschen werden. Oppenheimer ahnte, was eine derart potente Waffe in den Händen von Politikern, Militärs, Mächtigen würde anrichten können. Leider hat man nicht auf ihn gehört. Deswegen sitzen wir nun auf unserem Heimatplaneten wie auf einem Pulverfass, auf Bruttoregistertonnen von Bomben, die uns und die Erde gleich doppelt und dreifach ins Nirvana und wieder zurück katapultieren könnten. Diese potenzielle Leichtigkeit und Leichtfertigkeit totaler Auslöschung ist eine Bedrohung, ein immer präsenter Schrecken, der nur auszuhalten ist, indem man ihn verdrängt. Was aber, wenn sie einen unmittelbar trifft, die Erkenntnis unmittelbar möglicher Vernichtung? Was, wenn mit einem Mal ein Bombenpilz voll schön-schrecklicher Erhabenheit vor einem aufstiege, immer höher und höher aufragte, dabei immer bestimmender und ausschließlicher würde, so lange, bis alles um ihn her unbedeutend, winzig und entbehrlich erschiene? Moriaty weiß, was er gesehen hat. Und er kommt nicht damit zurecht. Der Erschütterer der Welten erschüttert ihn, den kaum Zwanzigjährigen, bis ins Mark. Moriaty tut Dienst auf einem Kriegsschiff der französischen Marine, das 1972 im pazifischen Ozean in der Nähe des Mururoa-Atolls kreuzt. Inzwischen weiß man, was die Franzosen in dieser entlegenen Gegend der Welt unternahmen; zwischen 1966 und 1995 führte La Grande Nation im Südpazifik über 170 Atombombentests durch. Einen dieser Tests wählt die Regisseurin Marion Hänsel als Anker ihres Films Schwarzer Ozean. Das heißt, dass die Explosion weniger Motor der Handlung als vielmehr sinnstiftendes Motiv ihres Films ist. Ein Thema im lang Verborgenen, um das herum sich etwas anderes lagert: Gefühle, Verhältnisse, Überlegungen. Das Blau des gleichmütigen Meeres. Das eintönige Grau des Dampfers. Der Ennui und die Schikanen. Zartes Rosa, sanftes Grün. 6

Edition Salzgeber

Drei junge Männer leisten Militärdienst bei der französischen Marine. Die Uniformen stammen aus den 1970ern, der Einsatzort ist das Mururoa-Atoll. Was man heute über die historischen Atomwaffenexperimente Frankreichs weiß, trifft die Hauptfiguren jäh und unvermittelt. Der Anblick des Unfassbaren markiert in Marion Hänsels sensitivem und homoerotisch eingefärbtem Spielfilm „Schwarzer Ozean“ die Grenze, an der sich jugendliche Empfindsamkeit gegenüber einer kalten und gefühllosen Welt behaupten kann. Ab 7. Juni in ausgewählten Kinos, Ende Juni auf DVD.


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Das Paradies und das Inferno. Über 50 Minuten des knapp anderthalbstündigen Films vergehen, bis sich am fernen Horizont ein Pilz entfaltet. Nichts hatte zuvor auf sein Erscheinen hingedeutet. Lange beobachtet Hänsel ihre Protagonisten – die Rekruten Moriaty, Massina, Da Maggio, die ihnen vorgesetzten Offiziere, den Schiffshund Giovanni – bei ihren alltäglichen Verrichtungen auf dem Schiff. Bis es mit einem Mal heißt: Brillen anlegen, in Deckung gehen und vom Licht wegdrehen. Als die Dampfsäule der Explosion sich in der Ferne in die Höhe bohrt, ist allenfalls ein sanftes Grollen zu hören. Aber nichts ist danach mehr so, wie es war. Diese Setzung der NichtGleichgültigkeit gegenüber den Verheerungen einer Atombombenexplosion, und werde sie auch „nur“ zu Testzwecken durchgeführt, diese Rückholung des Schreckens aus zur Gewohnheit gewordener Verdrängung, diese Ernsthaftigkeit ist es, die Schwarzer Ozean letztlich ungewöhnlich macht. Für ihr Drehbuch adaptierte Hänsel zwei autobiografisch inspirierte Erzählungen Hubert Mignarellis, der sich als junger Mann freiwillig zur französischen Marine gemeldet hatte und auf dem Mururoa-Atoll eingesetzt war. Lange unterlagen die Ereignisse jener Zeit der Geheimhaltung, erst vor wenigen Jahren wurden die Akten, die sie dokumentieren, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Anlässlich der Premiere ihres Films 2010 bei den Filmfestspielen in Venedig meinte Hänsel in einem Interview, es sei ihr wichtig erschienen, eine Geschichte über diese nuklearen Tests zu erzählen. Nicht nur, weil in Frankreich kaum darüber geredet werde. Vor allem, weil sich Parallelen herstellen ließen zwischen den jungen Soldaten, die damals im Pazifik eingesetzt wurden, und jenen, die heute im Irak oder in Afghanistan Dienst tun. Jünglinge in jenem fragilen Alter an der Schwelle zum Erwachsensein, in dem das Bewusstsein von der Frage beherrscht ist, wie das Leben sich wohl gestalten und was die Zukunft bereit halten werde. Damals wie heute, so Hänsel, fänden diese Jungen sich ausgerechnet in dieser schwierigen psychologischen Phase in einer unübersichtlichen, schwer einzuschätzenden, kriegerischen Situation wieder und wüssten im Grunde nicht genau, warum sie dort seien, was eigentlich sie verteidigten und welche Waffen sie dabei einsetzten. Welche Brisanz dieser schlüssigen Überlegung im gegenwärtigen Kontext global eher verwalteter, denn befriedeter, in jedem Fall aber propagandistisch schön geredeter Krisenherde innewohnt, lässt 8

sich daran ermessen, dass Hänsel für ihr Projekt zunächst Zusagen der Unterstützung seitens des französischen Verteidigungsministeriums sowie der Marine hatte. Diese wurden dann mit der Begründung zurückgezogen, das Drehbuch „gäbe die historische Atmosphäre und den Enthusiasmus der Mannschaften nicht akkurat wieder“. Hänsel – unwillig, sich vor den Rekrutierungskarren spannen zu lassen – drehte Schwarzer Ozean schließlich auf einem unter russischer Flagge fahrenden historischen Marineschiff vor Sardinien und Guadelupe, ein Veteran half ihr bei der Rekonstruktion der militärischen Rituale. In ihrem Werk beschäftigt sich die belgische Filmemacherin Marion Hänsel immer wieder mit der Relation zwischen Politik und menschlichen Beziehungen. Nie in Form oberflächlicher Kurzschlüsse oder simpler Darlegung vermeintlicher Ursache-WirkungsMuster. Erklärungen machen sich in Hänsels Filmen eher rar. Vielmehr setzt die Filmemacherin auf eine emotionale Mitwirkung ihres Publikums, auf dessen Bereitschaft, den Zusammenhang herzustellen zwischen Denken, Fühlen und Handeln ihrer Figuren, und diesen wiederum rückzubeziehen auf den jeweils gegebenen gesellschaftlichen, sozialen, politischen Kontext. Zuletzt 2006 in Als der Wind den Sand berührte (Si le vent soulève les sables), nach dem Roman „Chamelle“ von Marc Durin-Valois, in dem sie einer afrikanischen Familie auf der Suche nach Wasser durch die Wüste und in den Schrecken militanter Auseinandersetzungen folgt. Oder in Dust (1985), der, beruhend auf J.M. Coetzees gleichnamigem Roman, von den Gefühls- wie Machtverstrickungen zwischen abweisendem Vater, lediger Tochter und schwarzen Farmangestellten irgendwo in Südafrika handelt. Oder in Verschwörung der Kinder (Sur la terre comme au ciel, 1992), der davon erzählt, dass die Babys nicht mehr geboren werden, sondern lieber im Mutterleib sterben wollen, weil die Welt, die sie draußen erwartet, ein schrecklicher Ort ist. Immer gelingt es Hänsel, eine stark ausgeprägte emotionale Textur in ein nicht minder differenziertes soziopolitisches Biotop einzubetten, ohne plakativ oder manipulativ zu werden. Nüchternheit, Kraft, Schmucklosigkeit zeichnen Marion Hänsels Schaffen aus. Und eine Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit, die wohl auch Moriaty antreibt, das schweigsame Zentrum von Noir Océan. „Der, der es gewagt hat, den Fluss zu durchqueren, verdient ein gutes Leben!“ Dies hatte Moriaty sich einst versprochen, da war er noch ein kleiner Junge und querte als eine Art Mutprobe ganz allein


Edition Salzgeber (3)

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einen eiskalten Fluss. Das Wasser stand ihm dabei bis zum Hals, seine Angst war groß und sein Glaube an sich selbst geriet ins Wanken. Aber er hat es geschafft und es bewiesen und das gute Leben würde Wirklichkeit werden – soviel war nunmehr ausgemacht zwischen ihm und mit wem auch immer kleine Jungen dergleichen Wetten eingehen. Dass Moriaty sich Jahre später in einer Situation wiederfindet, die ihn in einen zerstörerischen, vernichtenden, Schöpfungsverachtenden Kontext stellt, gegen den er sich nicht zur Wehr setzen kann, bricht ihm das Herz. Moriaty begreift sehr gut, dass er Verantwortung hat nicht nur für das, was er tut, sondern auch für das, was er bezeugt – in dem Fall: zu bezeugen gezwungen wird, eine Wunde, die der Erde geschlagen wird – und er ist untröstlich. Sein zwanzigster Geburtstag, den er gemeinsam mit Massina und Da Maggio auf Landgang und am Strand verbringt, wird von ihm denn auch weniger gefeiert als vielmehr deprimiert zur Kenntnis genommen. Sie habe einen Film drehen wollen, sagt Hänsel, der zart sei wie der Atem eines Kindes und trotzdem aufgeladen mit einer immer präsenten, unterschwelligen Gewalt. Also verstellt sie den Blick auf ihre Figuren weder mit Klischees des Soldatischen noch mit wohlfeilen Vorstellungen von jungmännerhaftem Draufgängertum. Sie schafft stattdessen einen Raum, in dem der einzelne Charakter auf subtile Weise aus der Ausschließlichkeit des militärischen Kontextes herausgeholt und vertieft wird – und dabei insgesamt doch skizzenhaft bleibt. Die üblichen Eckdaten konventioneller Charakterisierung fehlen; soziale Herkunft, Bildungsstand, Träume und Pläne bleiben Leerstellen. Auch darüberhinaus ist wenig Konkretes zu erfahren: Der übergewichtige Da Maggio, der von allen getriezt wird, ruft nachts im Schlaf nach seiner Mutter. Er schickt Fotos nach Hause, auf denen er sich wie ein Abenteurer in der großen weiten Welt präsentiert. Massina wurde von Giovanni zum Boss erwählt; einmal bekommt er Post, ein Buch voll Mathematik und einen Brief, der wider Erwarten nicht vorgelesen wird. Was hat es mit dem Buch auf sich? Wer schreibt? Ist es wichtig? Moriaty mag der Älteste der drei sein; er erzählt Massina von seiner Mutprobe, er reagiert auf das übermütige Kräftemessen der Kameraden und Da Maggios kindische Quälerei eines Kraken mit einer Mischung aus Enttäuschung und Verachtung. Alle drei werden sie im Lauf des Films wie die Kinder in Tränen ausbrechen: Da Maggio, als er von den anderen beiden allein

am Strand zurückgelassen wird. Massina, weil er eines Nachts das unschuldige Opfer eines gewalttätigen Angriffs wird. Moriaty, weil die angerichtete Zerstörung, deren Zeuge er wird, ihm wie Verrat am eigenen Leben vorkommt. So erscheinen Moriaty, Massina und Da Maggio als genau jene zarten, noch etwas ungebildeten, nicht ganz gefestigten Charaktere, die Jünglinge in ihrem Alter eben sind. Ihr Gefühlsleben ist komplexer als ihr Artikulationsvermögen. Ihr moralisches Empfinden mag diffus sein, aber es ist da. Es wohnt eine noch kindliche Unschuld in ihren Herzen, die sich zur Wahrhaftigkeit wandeln mag oder korrumpiert werden wird. Hänsel trifft über den Ausgang der Entwicklung ihrer Protagonisten, über deren Zukunft keine Aussage. Sie setzt aber Zeichen möglicher Bedrohung, indem sie Moriaty, Massina und Da Maggio in eine Umgebung stellt, deren hierarchische Strukturen, Mannbarkeitsrituale und mehr oder minder latente Konfliktträchtigkeit innere Verhärtung wie äußere Kontrolle erfordern. Sie entwirft einen vom Kriegerischen und von militärischer Disziplin determinierten Ort, der die eben erst entfaltete Sensibilität dieser jungen Menschen schon wieder zu ersticken droht. Die richtigen Worte wollen sich nicht mehr finden, die Sprache ist verschlagen – und sich einander mitzuteilen, ist ebenso schwierig wie überhaupt zu begreifen, was vorgeht und wie ihnen geschieht. s

Schwarzer Ozean von Marion Hänsel BE/FR/DE 2010, 88 Minuten, französische OF mit deutschen UT Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino ab 7. Juni 2012

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Untergehendes Begehren von E k k e h a r d K nör e r

Während draußen, im Juli 1798, das Volk die bisherige Ordnung zu Fall bringt, zieht sich der verliebte Kamera-Blick in die weibliche Intimsphäre der Königin Marie Antoinette, ihrer favorisierten Herzogin und ihrer jungen Vorleserin zurück. Ein mutmaßlich fiktionaler lesbischer Begehrensraum wird so im starbesetzten Historienfilm „Leb wohl, meine Königin“ zum Instrument queerer Geschichtsschreibung. Im Kino ab 31. Mai.

Leb wohl, meine Königin von Benoît Jacquot FR/ES 2012, 100 Minuten, deutsche SF, frz. OF mit dt. UT Capelight Pictures, www.capelight.de Im Kino ab 31. Mai 2012 www.lebwohlmeinekoenigin-film.de

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s Aufblende. Versailles, der 14. Juli 1789, der Ort, das Datum kurz als Schriftzug im Bild, erwacht wird am französischen Hof. Nichts wird groß etabliert, Weltgeschichte ja, aber nur flüsternd, auch die Uhr schlägt leise, die Uhr später Dingsymbol, hier erst einmal nur goldene Uhr, es ist früher Morgen, um sechs. Der Blick geht nicht in die Höhe, nicht in Richtung Königin oder König oder Französische Revolution, sondern unter die Kleidung, die Stiche der Flöhe, später treten dann auch noch auf: tote Ratten. Sidonie Laborde (Léa Seydoux), Marie-Antoinettes Vorleserin, kratzt sich am Arm und ahnt nichts vom Untergang ihrer Welt. Mit diesen ersten Bildern ist alles, eine Zeit, ein Milieu, der Hof von Versailles, wie auf einen Schlag da, mühelos-unangestrengt, es klopft an der Tür und die Verhältnisse beginnen sich nun, Zug für Zug, ohne große Erklärung zu erhellen. Leb wohl, meine Königin ist ein Kostümfilm, der seine Kostüme, die Fremde, die die Vergangenheit ist, von Anfang bis Ende mit Leichtigkeit trägt. Ein einziger Schwenk, der zur Titelsequenz wird: Er führt vom grauen Pöbel vor dem goldenen Zaun um das Schloss von Versailles zu von rechts in Reih und Glied ins Bild marschierenden uniformierten Musikanten. Schnitt, Titeleinblendung, die Musikanten marschieren auf die Kamera zu durchs sich öffnende goldene Tor des Schlosses, die schmutzige Masse zum einen, die saubere Ordnung zum anderen, das ist in nuce und in Bildopposition der Konflikt, während die Bewegung der Kamera klar macht, dass sich der Film nicht für die Revoltierenden, sondern für den Hof, gegen den revoltiert wird, interessiert. Aber auch da wieder nicht in klassenkämpferischer Weise. Das Porträt ist gerade und ausdrücklich nicht politisch vorstrukturiert. Es fällt ein anderer Blick, und weil dieser Blick anders fällt, wird auch die politische Geschichte anders erzählt. Sidonie Labordie ist die, deren Blick der Film unterstellt ist; sie ist die, deren Blick er sich wie ein Liebender anschmiegt, gleich zu Beginn in einer schnellen Schritts Richtung Gemächer der Königin eilenden Subjektiven, und man weiß ja, dass Benoît Jacquot ein Regisseur ist, der seine Darstellerinnen – wie sonst vielleicht nur Rudolf Thome – bedingungslos verehrt und begehrt. (In Interviews versichert er, dass das auch für seine Darsteller gelte, aber im Zentrum stehen die selten – kein Geringerer als Xavier Beauvois spielt hier als Louis XVI eine ausgesprochene Nebenrolle.) Das darf man nicht übersehen: Der Film erzählt vom Begehren, aber bei Jacquot begehrt immer auch der Film selbst. Er begehrt Sidonie, die reine Erfindung ist, eine Hinzufügung zur sonst grosso modo und mit manchen Freiheiten wahren Geschichte,

und zwar begehrt er sie im Körper von Léa Seydoux, mädchenhaft frühreif, die Haare meist hochgesteckt, die leise Zahnlücke, das zu Grimassen fähige, von frech zu verstockt und zurück huschende, etwas puppenhafte Gesicht. Er begehrt Marie-Antoinette, also Diane Kruger, die in blonder Hingestrecktheit wie auch sonst immer etwas zu sehr den Eindruck macht, sie hätte für jede Szene eifrig geübt und dann noch diesen Eindruck aus ihrem Spiel eifrig wegzutrainieren versucht. (Keiner sagt, dass der Kritiker mitlieben muss.) Und er begehrt Virginie Ledoyen als die dunkelhaarige Favoritin und vielleicht auch Geliebte der Königin, Gabrielle de Polignac, die undurchsichtig und hochmütig ihr Spiel treibt mit allen, traditioneller Darstellung nach ein besonders schlimmer Fall von Ancien-Régime-Entitlement-Hochnäsigkeit. Auf alle drei wirft Jacquot mit Romain Windings lebendiger Kamera liebende Blicke und mischt sich so in ihren eigenen LiebendeBlicke-Verkehr. Sidonie liebt die Königin, die Königin liebt Gabrielle und was genau Gabrielle fühlt, denkt und will, bleibt eher unklar. Statt Politik und Geschichte also Liebe oder jedenfalls: Durchs Politische kreuzt die Liebe, das eine ist vom anderen hier nicht zu trennen. Zweimal noch tritt die Objektivität des Historischen auf im eingeblendeten Datum, der 15. und der 16. Juli im Jahre des Herrn 1789. Die Bastille ist erstürmt, der Hofstaat geht nach und nach in Auflösung über, der König berät und doch bleibt all das Hintergrund für die Dreiecksgeschichte, die wiederum ständig auf Sidonie perspektiviert. Sidonie ist Fiktion (aus der Romanvorlage von Chantal Thomas), aber als Fiktion ist sie auch Agentin einer anderen Wahrheit: Sie quert die Geschichte und queert sie. Sie gehört zum minderen Adel, ist der Königin als Vorleserin zu Diensten, darf dabei aber doch mehr als eine Bedienstete wagen. Dieses ganze innere Regiment aus Schleusen, gewinkten Befehlen der wie stets großartigen Noémie Lvovsky, Blicken zu Boden und verstohlen nach oben, das Lesen aus richtigen Büchern und falschen, das Eilen durch Gänge, das von Kerzen beleuchtete Spiel aus Lichtern und Schatten, Gabrielles Nacktheit im Schlaf, die vorbeitreibende Ratte, das Glück, Beachtung zu finden, das Unglück, nicht beachtet zu sein, dieses ganze schöne, lässig entfaltete Universum aus Konkretionen: In all diesen wunderbar unterbetont hingetupften Details ist Leb wohl, meine Königin ganz virtuoses Kammerspiel und eleganter Kostümfilm. Es bleibt aber die Frage, wie sehr es eine politische Deutung ist, wenn Jacquot hier behauptet, dass die politische Perspektive nicht die einzig mögliche ist. Implizit sagt er: Was aus Sicht der Beteiligten hauptsächlich stattfand, waren die Liebe, das Leben. Die

Haupt- und Staatsaktionen, die, wie jeder weiß, den einen oder anderen Kopf kosten werden, sind das Schauspiel dahinter. Wahrscheinlich ist das wahr, ohne die Wahrheit übers Geschehen zu sein. Eine Subjektive, die ihr Recht hat, der Sidonie-Blick gegen die Politorthodoxie, das Sidonie-Begehren gegen die Hierarchie und die Heteroliebe.

Jeder der Filme von Benoît Jacquot seit „Villa Amalia“ verlangt nach einem Postscriptum, das eigentlich in die Kritik selbst mitten hineingehört, so wie die Tonspur, auf der die Musik spielt, immer mitten im Film ist. Dies alles formuliert mit dem seinerseits liebenden Blick des Regisseurs, des Films auf seine Figuren, ihre Wörter und Körper, von angenehmer Stofflichkeit alles. Und doch fragt man sich, was sonst daraus folgt, denn wer sich in etwas so Großes und Bedeutendes und Weltgeschichtliches wie „Versailles, 14. Juli 1789“ hineinschreibt, setzt sich, ob er will oder nicht, unter den Druck, zwischen den toll gemachten Konkretionen und dem Queeren von Liebe und Politik eine Linie, eine These zu finden, die mehr sagt als: Das war der Stoff, aus dem der Alltag war, von sechs Uhr morgens bis in die Nacht, selbst in den Tagen der Revolution. Diese Linie und diese These finde ich nicht, darum hat mich der Film in letzter Instanz (und erst in dieser) dann doch ein wenig enttäuscht. P.S.: Jeder der Filme von Benoît Jacquot seit Villa Amalia verlangt nach einem Postscriptum, das eigentlich in die Kritik selbst mitten hineingehört, so wie die Tonspur, auf der die Musik spielt, immer mitten im Film ist. Wie nämlich die frei weit ins Schroffe und Eigenständige drängende Musik von Bruno Coulais – der sonst von Schlöndorffs Ulzhan bis Selicks Coraline gekonnte, aber keineswegs experimentelle Soundtracks komponiert – mit den Einstellungen korrespondiert, ist einzigartig zur Zeit, höchstens an Christoph Hochhäuslers Arbeiten mit Benedikt Schiefer könnte man denken. Mit Untermalung und Illustration hat das nichts zu tun; es ist ein Wechselverkehr: Die Bilder und Stimmungen des Films reagieren auf die im vorhinein komponierte Musik von Coulais, die auf die Vision des Regisseurs vom späteren Film reagiert. Was dabei so alles passiert, wäre einmal die genaue Beschreibung Einstellung für Einstellung wert. s 11


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Breitbeinig gegen tussi-marotten von J en n i Z y l k a

Edition Salzgeber

Ein Eintagsmann zu sein, mag für viele Frauen reizvoll erscheinen. Die charismatische Drag-King-Pionierin Diane Torr bietet das seit Jahren an und lädt die unterschiedlichsten Frauen zu Workshops ein. Katarina Peters war mit der Kamera dabei und hat einen differenzierten und sehr lustigen Film über Geschlecht als Gesten-Set gemacht. „Man For A Day“, der Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale-Sektion „Perspektive“, kommt am 19. Juli für mehr als einen Tag ins Kino.

s „Walk like man / Talk like a man / Walk like a man my son / No woman’s worth / Crawling on the earth / So walk like a man my son“. Das sagt Frankie Valli. „You’ll stumble in my footsteps / Keep the same appointments I kept / If you try walking in my shoes“. Das sagt Dave Gahan von Depeche Mode. „Der Mann besitzt das Stück Boden, auf das er tritt.“ Das sagt Diane Torr. Dann stapft sie, natürlich in flachen Männerschuhen (unter anderem wegen der größeren Bodenhaftung), in der Fabriketage herum. Ein Dutzend andere Frauen stapfen mit. Und versuchen, den Boden allein durch amtliches Auftreten kleinzukriegen. Was klingt wie Selbsterfahrung mit esoterischem gegenseitigen Oberarmstreicheln, ist – aufgrund des Themas – eher das Gegenteil: Bei einem „Drag King“-Workshop von Diane Torr geht es um Gender-Bewusstwerden durch handfestes Erleben. „Gender is gestures“, sagt die US-amerikanische Performancekünstlerin, die 1948 geboren wurde, in den 70ern nach New York ging und seit 1989 GenderBender-Workshops anbietet. Die Filmemacherin Katarina Peters hat einen der einwöchigen Workshops in Berlin begleitet, hat die Kamera auf sämtliche Teilnehmerinnen des Experiments gerichtet und ihre unterschiedlichen Agenden gefilmt: Susann, die junge, blonde ExMiss Oberhavel, Ex-Miss Prenzlau, Ex-Miss Spreewald, die zu Hause noch einige andere Miss-Titel herumliegen hat, und die Männer einfach „nicht versteht“; Theresa, die 50plus-Mutter von drei Söhnen, die sich zwar „nie dekorieren wollte“, sämtliche Spielarten der sichtbaren Weiblichkeit immer abgelehnt hat, sich dennoch mit dem Thema beschäftigen will, vielleicht auch, um typisch weibliche Attribute wieder genießen – oder einsetzen - zu können; Eva-Maria, die Politikberaterin, die bei im Rampenlicht stehenden PolitikerInnen den unbeirrten Machtwillen bewundert und sich fragt, ob männlicheres Verhalten oder das Fehlen der weiblichen Unsicherheit bezüglich des Aussehens und der Gesten diesen verstärken kann; Rosa, die eine Tochter hat und vor ihrem gewalttätigen Ex schon zweimal ins Frauenhaus flüchten musste; Tal, die nicht für eine Butch gehalten werden will, weil sie sich selbst eher als „Sissy“, als Waschlappen, sieht. Die „Physiophilosophin“ Diane Torr ist eine beflissene, unterhaltsame Beobachterin von angeblich geschlechtsspezifischem Körperverhalten. Ihr Workshop baut sich in mehreren Stufen auf, die auch den Film chronologisch gliedern: Nachdem die Teilnehmerinnen ihre Motive für den Workshop klargestellt haben, schaut man sich um, sucht Männertypen, die man darstellen will. Dianes Mann heißt Multiple Ex-Miss Susann als Andi

Danny King, trägt Anzug und Krawatte und ist eine „Komposition aus Stereotypen“ sagt Diane, wenn er die Augen bewegt, dreht er den Kopf mit, wenn er vor einer Gruppe Menschen steht, wippt er sich manchmal nachdrücklich auf die Zehenspitzen und macht sich damit größer und bedeutsamer. Er glaubt, dass Männer den Frauen von Natur aus überlegen sind, und seine Ehefrau kümmert sich um die Kinder, während er arbeiten geht. (An manchen Wochenenden nimmt er ihr aber auch mal etwas Arbeit ab, da muss man fair bleiben.) Solche Männer leben immer noch unter uns, erklärt Torr anschließend, schaut nur mal in sämtliche Chefetagen. Er darf ruhig etwas übertrieben sein, der Mann, den man imitiert, informiert sie die amüsierten Workshopteilnehmerinnen, man muss ihn nicht mal mögen: „Es geht nicht darum, der beste Mann zu sein, sondern darum, aus der Frauenrolle herauszukommen.“ Dazu gehört am Anfang auch ein Körperbewusstwerden, eine Art Bewegungsfindung; Stellt euch vor, ihr seid Einzeller, sagt Torr, und lässt die Teilnehmerinnen wild in der Fabriketage herumkreuchen und -fleuchen. Regisseurin Peters hat diesen merkwürdigen Tanz mit der Wärmekamera gefilmt, und umschifft so elegant die vom Betrachter oft empfundene Peinlichkeit Erwachsener, die sich einfach mal ganz frei bewegen sollen. Nach dem Einzellertanz und der Mannsbildsuche geht es ans Verkleiden, Brüste wegbinden, Baggy-Hosen über ausgestopfte Liebestöter streifen, sich in Anzüge, Hüte werfen, dann die fisseligen Härchen, die man mit Körperkleber zu farbechten Koteletten, Bartflaum und Bärten komponieren kann. Die Männer werden vorgestellt, man muss sich also auch Biografie, Namen, Alter, Job, Status für seinen männlichen Counterpart ausgedacht haben.

Dinge so tragen, als wüsste man um die muskulöse Stärke im Oberkörper Hernach geht Torr mit ihren Teilnehmerinnen ans Eingemachte: An die Körpersprache. Mimik: Nicht lächeln, „du kannst dir einfach von innen auf die Wangen beißen“, rät ein designierter Drag King dem anderen. Die Sprachmelodie des landläufigen Mannes geht am Ende eines Satzes entschieden nach unten, nicht fragend und beifallheischend nach oben. Breitbeinig sitzen, nicht zu sehr oder zu blumig mit den Händen herumfuchteln, Dinge so tragen, als wüsste man um die muskulöse Stärke im Oberkörper. Peters’ Dokumentarfilm lässt sich dabei immer wieder Zeit, die Frauen nach ihren Erfahrungen zu befragen. Sie zeigt den Moment, an dem das erste Mal ernst gemacht 13


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Workshopleiterin Diane Torr (mit Krawatte), Teilnehmerinnen

wird, an dem der Man For A Day in Drag nach Hause, zu Freunden, Eltern, Kindern geht, wie Susanns Eltern über ihren zierlichen Sohn kichern, und Rosas Tochter der Mutter über das bärtige Kinn streicht. Das Besondere an den nachvollziehbaren und vorstellbaren Erlebnissen ist das Format, das Torr in über 20 Jahren Man-for-aday-Performances optimiert hat: Es am eigenen Leib zu erfahren, unterscheidet sich eben doch davon, es nur nachzulesen oder drüber zu fachsimpeln. Denn theoretisch weiß jede Frau, wie man sich behauptet, hat eventuell seit Jahren schon gegen ungerechtes Verhalten zwischen den Geschlechtern gekämpft, kontrolliert bereits einige der typischen Attitüden, die immer wieder genannt werden, wenn es um Unterschiede in der Körpersprache geht: Kopf schief legen, Hinterngewackel, besänftigendes oder zustimmendes Lächeln. Vielleicht hat sie sich von sämtlichen Angewohnheiten losgesagt, vielleicht aber setzt sie jene Tussi-Marotten sogar längst so ein, wie sie es möchte, und ist damit höchst zufrieden. Und selbstverständlich kann eine Woche falscher Bart und falscher Schwanz bei allem Pseudotestosteron keiner Frau jahrzehntelanges gelebtes Mannsein beibiegen. Genauso wenig wie umgekehrt. Peters’ Film macht deutlich, dass das aber auch nicht das Ziel ist. Allein das Erkennen der „Gender-Identitäten“ ist interessant genug, um sich damit zu beschäftigen. Und so fragt man sich, welche Frauen zugeschriebenen unsinnigen Eigenschaften man selbst mit sich herumschleppt: Macht man Männern tatsächlich auf der Straße unwillkürlich Platz? Ist man unsicherer, als man sein müsste? Wenn man sich auf die Fingernägel schaut, streckt man dabei die Finger und schaut auf den Handrücken, oder guckt man auf die geballte Faust? Oh Gott, was bedeutet es, wenn man beides macht? Oder ist das ohnehin nicht eigentlich scheißegal, so lange es einem gut geht? 14

Peters’ Film geht über den Workshop hinaus. Monate später hat die Regisseurin einige der Teilnehmerinnen besucht. Susann, die multiple Ex-Miss, hat ihre Haarfarbe inzwischen von Blond zu Braun gezaubert, ist Mutter eines Kindes geworden und trifft sich anscheinend noch immer von Zeit zu Zeit mit einer der Workshop-Kolleginnen, um Männlichkeit zu demonstrieren: Peters zeigt, wie Susann als Alter ego Andi zusammen mit einer Freundin, ebenfalls als Mann ausstaffiert, in eine Tabledance-Bar geht, um sich dort wie die anderen Männer von gelenkigen Tangaslipträgerinnen antanzen zu lassen. Wieso sie das macht, wird offen gelassen. So muss man selbst überlegen, ob es die pure Lust am Drag oder die subjektiv empfundene größere Freiheit einer Frau ist, deren Weiblichkeit normalerweise so stark strahlt, dass sie ihr vielleicht manchmal auch im Weg sein könnte. Die Politikberaterin Eva-Maria möchte ihre Erkenntnisse über Machtdemonstrationen, Sicherheit und Signifikanz nicht missen. Und die Israeli Tal fährt zwar erst mit Fake-Koteletten zu ihrer irritierten Familie, sitzt aber später im Kleid Hand in Hand mit ihrer Freundin zufrieden in Berlin herum und scheint sich mit ihrer unsichtbaren Sissy-Seite angefreundet zu haben. Torr selbst, die der Regisseurin großzügig Einblick in Fotos und Filmmaterial aus der Vergangenheit gewährte, und von der als kleine Ausflüge in die Körpersprache immer wieder Ausschnitte aus älteren Performances, aus ihrer Vergangenheit als Gogotänzerin geschnitten werden, macht mit ihrer erwachsenen Tochter eine gemütliche Italienreise. Während die beiden in Blumenkleidern durch die Altstadt flanieren, sinniert die Tochter darüber, warum andere Menschen sich stets Sorgen wegen ihrer angeblich ungewöhnlichen Kindheit machten: Ist eine alleinerziehende Mutter, die die Grenzen der GenderIdentitäten erforscht, denn wirklich problematischer als ein MachoVater? Aber wie wäre es wohl umgekehrt? Wenn 15 Männer bei einer Drag Queen eine Woche lang das Stöckeln übten? Außer einem kurzweiligen Erfahrungsgewinn bestimmt sehr anders. Erstens, weil Unisex-Mode seit Jahrzehnten aus Männerklamotten (flache Schuhe, Hose, T-Shirt) besteht, während Rock und Pumps ausschließlich von Frauen getragen werden. Das bedeutet, dass ein Mann in Damengarderobe von vorneherein eine stärkere Aussage macht. Zweitens, weil es eine funktionierende, oft queere Drag-Queen-Kultur gibt, die häufig eine exaltiert feminine Attitude beinhaltet, und schon längst spaßund lustvoll zelebriert wird, genauso wie der große sexuelle Fetischbereich Frauenklamotten bei Heteros. Drittens, weil es für den Rest der Männer, die keine wie auch immer geartete Freude am Tragen von Frauenkleidung haben, auch keine Notwendigkeit gibt, dies zu tun, um ihre Position zu verbessern: Sie sind ohnehin oben. Dass Peters die Denkanregungen, die Torr mit ihren Workshops gibt, in Szene setzt, ohne albern, plakativ oder flach zu werden – denn die angesprochenen, überspitzten Verhaltensweisen müssen all das manchmal sein – ist das Verdienst ihres Dokumentarfilms. Zudem kommt sie ohne zuviel Psychologisierungen aus, ohne so augenzwinkernde wie ärgerliche Frauen-Venus-, Männer-Mars-Schubladen. In Torrs Fall kann das Aufzeigen von Unterschieden zwischen männlichen und weiblichen Verhaltensweisen zu besserem Verständnis führen. Sogar, wenn der Kerl, der da gerade vor einem wichtigtuerisch auf den Zehenspitzen wippt, ein totales Arschloch ist. s Man for a Day von Katarina Peters DE 2012, 96 Minuten, deutsch/ englisch/hebräische Fassung mit deutschen Untertiteln Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino ab 19. Juli 2012


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Gesang des Meeres von N ick y Na ish

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Aus der Schaumkrone des Nischen­kinos erleben wir die Geburt eines neuen Genres, denn nach „Tan Lines“, „Shelter“ und „Newcastle“ erzählt auch „Off Shore“ eine homoerotische Surfergeschichte. Dass Musik in Surferfilmen eine große Rolle spielt, ist bekannt. Doch für unsere Autorin bildet sich in „Off Shore“ von Sven J. Matten (Start in ausgewählen Kinos am 5. Juli) schnell ein etwas monotoner Ohrwurm heraus.

s Dünen, Wellen, Strand und Surfer. Ein Schiff bringt Andi nach Fuerteventura. Tina, die Surf-Lehrerin, holt Andi ab. Andi vertraut ihr direkt seine Geschichte an: Sein Vater, den er nie kennen gelernt hat, war Surfer und lebt irgendwo auf der Insel. Um ihm nahe zu kommen, hat sich Andi in einen Surfkurs eingebucht. Direkt nach seiner Ankunft macht sich Andi schließlich auf, um seinen Vater zu suchen und findet ihn auch sofort. Doch bis er es schafft, ihn anzusprechen, nimmt er erst einmal Surfstunden bei Tina, die offenbar bereits Gefühle für ihn hegt. Am Strand begegnet Andi einem jungen athletischen Surfer, Pedro, dessen Ausstrahlung ihn magisch anzieht. Dünen, Wellen, Strand und Surfer. Andi wird seinen Vater noch einmal aufsuchen, sich vor ihn stellen und sagen: „Hallo Vater!“ Und der Vater wird ihn sofort freundlich aufnehmen, was Andi verwirrt. Schließlich lässt sich Andi auf die Begegnung mit dem Vater und auch auf Tina ein, immer wieder durcheinandergebracht von der Begegnung mit dem jungen geheimnisvollen Pedro, der ihn bei einer flüchtigen Begegnung liebevoll berührt und seine nassen Locken in

der Abendsonne schüttelt. Dünen, Wellen, Strand und Surfer. Andi und Tina sitzen in der Abendsonne am Strand, bei Gitarrenmusik und Lagerfeuer. Am nächsten Morgen erwacht Andi in Tinas Bett. Nachdem das Eis mit Tina gebrochen ist, wagt sich Andi alleine mit seinem Surfbrett ins Meer. Und da kommt Pedro und beginnt einen spielerischen Ringkampf mit Andi im flachen Wasser. Dünen, Wellen, Strand und Surfer. Als Andi zu einer erneuten Verabredung mit seinem Vater aufbricht, erscheint dieser nicht. Andi ist sauer, sucht ihn und stellt ihn zur Rede. Dazu singt eine Männerstimme: „You pull out my strength …“ Und genau das macht dieser Film. Wie überhaupt alles in diesem Film wörtlich genommen werden muss. Die Handlung wird über Dialoge erzählt. Die Emotionen, die man den Schauspielern nicht ansehen kann, werden über Musik und über eine Anreihung von schönen Bildern erzeugt, die Dünen, Wellen, Strand und Surfer zeigen. Bei Filmminute 45 sind bereits über 20 Songs angeklungen. Als Andi schließlich Pedro zum Surfen trifft, beginnen beide ein Gespräch über

Väter. Auf Song 21 verkündet Pedro mit wehendem Haar und Tränen in den Augen: „Ich glaube, er möchte gerne lieben, aber er schafft es nicht.“ Kurze Stille, dann sagt Pedro unter erneutem Musikeinsatz: „Er hat mir nie gesagt, dass er mich lieb hat!“ Dünen, Wellen, Strand und Surfer. Bei ausklingendem Song 23 sitzt Andi mit seinem Vater im Auto und bei Musikeinsatz 24 läuft Andi davon. Andi trifft schließlich Tina bei Geigenmusik und mit Song 26 besäuft er sich bis zum Blackout. Das waren 10 Minuten Film mit sechs verschiedene Musikstücken. Trotzdem surfen Tonebene und Bildebene in der Regel aneinander vorbei. Der dramaturgische Höhepunkt des Filmes: Gerade als Andi Pedro im Wasser küssen will, verrät ihm Pedro sein Geheimnis. Daraufhin stolpert Andi unter Schock durch die Dünen und sieht immer wieder wie im Fieber ein lachendes Grüppchen auftauchen, bestehend aus seinem Vater, Pedro und Tina. Jetzt wird auch noch Sigmund Freud verfilmt. Also Psychoanalyse mit Happyend: Der einsichtige Vater mit versonnenem Lächeln zu Andi: „Warum bleibst Du eigentlich nicht länger hier?“ Und Pedro mit Surfbrett unterm Arm: „Hey Tiger, komm! Bist Du bereit?“ Musikeinsatz. Dünen, Wellen, Strand und Surfer. s

Off Shore von Sven J. Matten DE 2011, 89 Minuten, dt. OF Pro-Fun Media, www.pro-fun.de Im Kino ab 5. Juli 2012

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Mutterliebe auf Abwegen von M ich a e l E ck h a r d t

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Die großartige schwedische Charakterschaupielerin und Regisseurin Pernilla August spielt in diesem Debütspielfilm „Miss Kicki“, die sich auf die Suche nach dem späten Glück begibt und ihren fremden Sohn mitnimmt. In Taiwan entdeckt sie die Mutterliebe, ihr Sohn dagegen die erste zu einem anderen Jungen. Lauwarme Mutter-Sohn-Beziehungen gibt es bekanntlich nicht. Lauwarme Filme darüber schon. „Miss Kicki“ (Kinostart 26. Juli) gehört nicht dazu.

s Mütter und Söhne. Da sei zuallererst nun wirklich nicht an den ollen Heidi-Kabel-Fernsehschwank gedacht, eher an eine Art metaphysisches Bündnis, denn die Konstellation „Mutter und Sohn“ ist eine spezielle. Sie darf gar als Fundament für alles Grundsätzliche betrachtet werden: Ohne Mütter gibt es keine Söhne und ohne Söhne keine neuen Mütter. Ja, schon klar, da ächzt das Psychologiegebälk, da spuckt die Feministin wütend den Kautabak aufs Linoleum, aber doch und ganz im Ernst: Das Verhältnis von Mutter und Sohn ist ein besonderes, ein sich über alles in der Gesellschaft, in der Familie, im Zwischenmenschlichen ordnendes Bündnis. Ein Sohn löst sich nie ganz von seiner Mutter, der Frau, die ihn gebar, ihn aufzog, schützte, prägte und im besten Fall davor bewahrte, ein Abbild seines Vaters zu werden. Natürlich gilt auch hier und sogar insbesondere: Das Maß von allem entscheidet, ob diese Bande später von Dankbarkeit oder Abscheu geprägt ist. Ein lauwarmes Mutter-Sohn-Verhältnis scheint nicht möglich, ist es doch vor allem auch ein zärtlicher, ein bittersüßer, ein zweifelsfrei fragiler Bund, es gilt eine Art Geheimabsprache. Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn ist – in den häufigeren Fällen – durch eine unbeirrbare Liebe geprägt. Eine an sich nicht trennbare Allianz, weswegen – und das ganze Freudsche Gezerre um Ödipus lassen wir jetzt mal aus – bei Verletzung, Trennung oder Verlust das Leben des anderen in Schieflage gerät. Jeder Sohn, der seine Mutter, jede Mutter, die ihren Sohn verlor, weiß, wovon hier geschrieben steht. Manche kommen da wieder halbwegs heil raus, andere nicht. Von solch vulnerabler Komplexität wussten schon große Filmemacher zu erzählen, man denke nur an Bertolucci, Bergman, Almo­ dóvar, Sheridan und Ozon. Und nun reiht sich da ein Regieneuling ein, Håkon Liu heißt er, und man möchte wirklich nicht glauben, dass Miss Kicki sein erster Langfilm ist. Warum? Nun, weil Liu viel von vielem versteht: Ihm gelingt es auf geradezu augenreibende Weise, ganz verschiedene Erzählstränge zu einem homogenen Ganzen zu verknüpfen, er vermag es, geerdet an exotischen Orten zu erzählen, und er führt ein ganz wunderbares Schauspielerensemble zu Höchstleistungen. Und das Schönste an seinem Erstling – Miss Kicki trifft voll auf die 12, also mitten ins Herz. Doch dazu später, denn erst einmal erzählt Håkon Liu diszipliniert und chronologisch: Bereits die ersten Bilder suggerieren Einsamkeit, Sehnsucht, Orientierungslosigkeit. Eine Frau am Fenster, draußen schneit es, sie raucht, trinkt Wein, sie langweilt sich. Dann leuchtet ihr Gesicht auf, sie chattet mit einem Taiwanesen, er umschwärmt sie, gratuliert ihr zum Geburtstag und insistiert, sie solle ihn besuchen. Hoch die Tassen, „Kiss Kiss, Cin Cin, Bye Bye …“ 17


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Es bleibt beim einsamen Vorglühen für ihre behauptete Geburtstagsfeier mit ein paar Freunden. Wenig später liegt Miss Kicki, so heißt die Dame, schlafend-trunken auf ihrem klappbaren Zweisitzer. Man spürt es bereits, und man erfährt es kurz darauf: Sie hat hier keine Freunde, ist ziemlich allein, war wohl lange weg. Am nächsten Tag bleiben nur das Wegräumen der Weinpulle, das Zusammendrücken der Pizzaschachtel, das Putzen der Herdplatten. Doch dann kommt Leben in die Bude: Kickis Mutter taucht auf, kurzer Austausch von einigen sanften Gemeinheiten, dann ist Viktor da. Etwas schüchtern, linkisch, sympathisch verloren und mit ein paar Geschenken. Die zwei singen Kicki ein wenig hölzern ein Geburtstagsständchen, dann nimmt die Mutter ihre Tochter kurz zur Seite. Man sieht, wie Kicki sich windet, wie schwer es ihr fällt, und fragt sich, was ist da eigentlich geschehen? Doch Håkon Liu mit seinem beeindruckenden Gespür für filmische Syntax verrät nichts zu früh, Kicki erfüllt ihrer Mutter den Wunsch und lädt Viktor zu einer gemeinsamen Reise ein. Zum Kennenlernen, Anvertrauen, Beschnuppern. Eine Woche nach Taipeh. Kicki hat die Anschrift von Chang dabei, ihrem Chatflirt. Natürlich hat man so seine Ahnung, die Blicke, die ungelenken, von scheuer Liebe geprägten Umarmungen verraten es, doch Håkon Liu als Freund der Ellipse löst seine Aussparungen fristgerecht auf. Kicki war sehr lange im Ausland, bei ihrer Mutter ließ sie den vierjährigen Viktor zurück – ihren Sohn. Das Wissen darum stellt Kicki in ein differenziertes Licht. Warum tut eine Frau, eine Mutter so etwas? Um darüber mehr zu erfahren, gibt es eben Filme wie diesen, die einen an die Hand nehmen, in dem Fall in ein fernes Land führen, um Seelen zu entblättern, in einer Sorgfalt, wie es allenfalls großen Romanciers zuzutrauen wäre. In einer Absteige kommen Kicki und Viktor unter, „very cheap!“, versichert der umtriebige Betreiber. Es ist schön, welch einfache Mit18

tel greifen, um die Neugier aufeinander, die Scheu voreinander, die Angst umeinander zu bebildern – die dünnen Zimmerwände, durch die liebevolle und noch etwas unsichere Gutenacht-Rufe kriechen. Der nächste Tag bringt eine Trennung – Viktor erkundet die Stadt, Kicki sucht das Büro von Chang auf. Hier entstehen nun Parallelgeschichten: Der Junge verläuft sich, trifft auf den hilfsbereiten Didi, auch er im Teen-Alter. Viktor misstraut der Hilfe des Taiwanesen – ein gebranntes Kind. Doch Didi kann er vertrauen, man sieht es an dessen Augen. Er nimmt ihn mit in seine Bude, kocht ihm Nudeln, zeigt ihm das Meer, Viktor bringt ihm dafür Schwedisch bei. Dann gibt es da immer wieder diese merkwürdig-eindeutigen Blicke zwischen den beiden. Kicki hingegen wagt nicht den letzten Schritt, sie beobachtet Chang nur aus der Ferne. Sie braucht sicher einen zweiten Anlauf. Dass sie damit Viktor unverblümt brüskiert, ihm regelrecht wehtut, indem sie abends vorschlägt, am nächsten Tag wieder getrennte Wege zu gehen, passt zu ihrem auch egoistischen Wesen. Kicki ist ein großes Kind, das um Aufmerksamkeit buhlt, das Zärtlichkeit braucht, selbst wenn es die nur im Suff mit dem durchaus sympathischen Hotelbetreiber gibt. Der hat übrigens Kickis Wesen ganz gut erkannt: „Sad inside, happy outside!“ Er tickt wohl ganz ähnlich. Viktor enttarnt die Pläne seiner Mutter, er fühlt sich instrumentalisiert, ist verletzt und richtig sauer. Kicki kriegt von Chang eine Abfuhr, die ihr zusetzt, die sie aber auch für ihre mädchenhafte Naivität und ihren mütterlichen Egoismus abstraft. Chang gibt ihr Geld, mit der Bitte, ihn nie wieder zu kontaktieren. Diskret im Schutzumschlag vor den Augen seiner Frau und Kinder … Life sucks! Hier nun explodiert der Film förmlich zu einer ganz großen Ballade über zerbrochenes Vertrauen, verletzte Seelen und diese ewig pochende Sehnsucht. Da scheut sich Håkon Liu auch nicht vor der ungebremsten Symbolik aus einsamen Hotelzimmern, dem dazu pas-


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senden Platzregen und den richtigen Songs. Doch das Leben geht weiter, und so fahren die beiden mit Didi kurz darauf an den Sun Moon Lake. Håkon Liu weigert sich auch hier, dem Märchenhaften seiner Geschichte auf den Leim zu gehen. So lässt er Viktor im Boot ein wenig träumen, Didi streichelt ihm in diesem sehr schönen Moment zärtlich den Bauch, nur um ihm kurz darauf zu sagen, dass es da trotzdem ein ganz nettes Mädchen gibt. Miss Kicki entpuppt sich als herzzerreißende Parabel über das Glück in seiner ganzen Zerbrechlichkeit. Ohne Pilcher-Anstrich wird davon erzählt, wie schwer es zu finden und wie viel schwerer es zu halten ist. Vom Ponyhof wagte sich Viktor ohnehin nicht zu träumen, da ist er schon Realist genug, aber die eigene Insel mit Didi als Präsident, die hätte doch drin sein dürfen! Es ist Liu hoch anzurechnen, dass er sich nicht für die Blaupause einer Schmonzette entschied, denn wie kann es anders sein, als dass es richtig kracht, wenn sich eben Mutter und Sohn, dieses untrennbare Gestirn, neu begegnen, nach so langer Zeit, nach so vielen unterschiedlichen Erfahrungen und dennoch im richtigen Moment, als beider Leben neue Fahrt braucht und richtig Fahrt gewinnt. Und auch wenn Kicki manchmal ein großes Kind, eine ziemliche Bitch gar ist, sie weiß genau, was mit ihrem Sohn gerade passiert, was mit ihm und Didi geschieht. Das ist so angenehm selbstverständlich und ohne all das sattgehörte OutingGedöns erzählt. Und auch Didi ist keineswegs nur Randfigur. Seine Geschichte ist zentral, sie schwebt über dem zerbrechlichen Glück von Viktor und Kicki, denn er hat seine Mama früh verloren. Der Vater trinkt und spielt. Es gibt ihn eigentlich gar nicht. Das ist auch eine Parallele zu Viktors Leben. Damit wird Miss Kicki fast nebenher auch zu einem Film über die Absenz, das Versagen der heutigen Väter. Das hier zu vertiefen, führte zu weit, nur das gehört jetzt noch hierhin: Miss Kicki ist atemberaubend gespielt. Von allen! Ludwig Palmell spielt als Viktor seine erste große Kinorolle. In dieser Mischung aus Unsicherheit, Hoffnung, Verliebtheit und Misstrauen rührt er den Zuschauer an, dieser Blick, dieses Hände-in-denTaschen, diese vorgeschobene Oberlippe – perfekt. Der junge Huang He River hält da gut mit – da reicht ein Blick aus den auch von Kicki als schön erkannten Augen, die Didis zerrissenen Familienhintergrund bestens illustrieren! Und dann natürlich Pernilla August! Eine große, die bisher vielleicht größte Pernilla August. Unvergleichbar, wie uneitel, wie kämpferisch, wie selbstvergessen sie die sture, die ängstliche, die liebeshungrige und über Umwege zu echter Mutterliebe fähige Kicki spielt. Man könnt beim Schreiben schon wieder heulen. s

Miss Kicki von Håkon Liu SE/TW 2009, 85 Minuten, Originalfassung mit deutschen UT Barnsteiner Film, www.barnsteiner-film.de Im Kino ab 26. Juli 2012

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Wir sind kein Produkt von Ja n K ü n em u n d

Zwei Jungs fahren nach Paris, gehen in einen Club und verlaufen sich im Wald. Was sie an Zurückweisungen, Desillusionierungen und Faustschlägen erfahren, wird durch den Zauber der Filmsprache aufgehoben. Hélèna Klotzs magisches Spielfilmdebüt „Atomic Age“ schafft ihren jugendlichen Helden einen poetischen Freiraum für große Gesten und große Worte und grenzt sich damit selbst vom handelsüblichen Coming-of-AgeFilm ab. Im Kino ab 18. August.

Atomic Age von Héléna Klotz FR 2011, 70 Minuten, französische OF mit deutschen UT Pro-Fun Media, www.pro-fun.de Im Kino ab 16. August 2012

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s Songs. An einem kalten und grauen Morgen in Chicago wird ein armes Baby geboren und die Mutter denkt: nicht noch eins. In the Ghetto. As the snow falls … singt Victor auf der Zugfahrt nach Paris, beim Vorglühen mit Wodka Red Bull und seinem Freund Rainer. Aber eigentlich hört er gerade die Stone Roses. Diese Band aus Manchester, aus einer Zeit, als er noch lange nicht geboren war. Kindheit und Jugend im urbanen Zusammenhang, ob in Chicago, Manchester oder Paris – dieses Thema ist schnell gesetzt in diesem schnellen Film. Groß und klein. Zum ersten Mal taucht der Eiffelturm auf, ein unwirkliches Bild am Nachthimmel, weit weg. Ein großes Zeichen für eine kleine Geschichte, zumal auf der Tonspur ein amerikanischer Präsident (Reagan? Bush Sr.?) gerade ungläubig davon erzählt, dass man in der UdSSR zehn Jahre lang auf ein Auto warten musste. Aus diesen Andeutungen großer Gesten bahnt sich die unglaublich tolle Kamera von Hélène Louvart (Pina, Im Alter von Ellen) im Gefolge von Victor und Rainer ihren Weg in die bunte Höhle eines Pariser Clubs und filmt das Tanzlicht wie einen Eiffelturm. Reflexe von Stroboskopblitzen auf verschwitzter jugendlicher Haut, in kunstvoll verwuschelten Haaren von Mädchen und Jungs, einige schauen, andere haben die Augen geschlossenen, die Kamera blinzelt ins Licht, der Ton geht von der Tanzfläche ab und mischt im Off Dialoge und Musik. Zum ersten Mal blitzt Victor bei einem Mädchen ab. Er weiß, dass sie ihn will, aber sie redet nicht mit ihm, also existiert er nicht. Kompliziert. Erstes Krisengespräch der beiden Jungs. Victor, der aufbrausende Schönling, der in unbeobachteten Momenten noch ein Kind ist, geht auf Konfrontation mit der Welt. Rainer, der Fremde, Introvertierte, Orts- und Elternlose, die „Schwuchtel“ (wie ihn jeder sofort etikettiert) zieht sich zurück, lernt im Einschlafen Gedichte und macht sich dadurch seine Träume selbst. Am Anfang, noch im Zug, schenkt er Victor seinen Schal und streicht ihm über’s Haar. Abgrenzungen. Für Rainer ist der Sänger der Stone Roses ein Affe und der Junge, der ihn auf der Tanzfläche anmacht, hat einen Fischblick. – Worauf stehst du? – Jedenfalls nicht auf dich. Alle anderen haben scheiß Klamotten an, alle dieselben. Alle Mädchen wollen Jennifer oder Loana heißen, bloß nicht Rose, ein schöner & altmodischer Name.


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Doch so klar das Urteil über „die anderen“ ist – die beiden Jungs kommen doch nicht an sie heran. Und was sie selbst sind, wissen sie nicht und wollen sie nicht wissen, Hauptsache, die innere Leere geht weg, etwas passiert oder etwas wird besser. Victor blitzt ein zweites Mal ab, er sagt: „Du bist schön“, das Mädchen antwortet: „Warum?“ Rainer möchte ein schwuler Matrose sein und niemals das Schiff verlassen, vielleicht doch lieber nicht schwul, aber auf jeden Fall Matrose. Die Kamera erfasst diese tanzenden Ich-Rätsel in ausgeschnittenen Porträts vor beweglichen Lichtern, am Ende vervielfältigen sich die Gesichter in Kaleidoskopen. Sie folgt Victor und Rainer raus aus dem Club, in die schwarze Pariser Nacht. Sprache und Fäuste. Auftritt Theo, gespielt von Niels Schneider, dem „Herzensbrecher“ aus Xavier Dolans gleichnamigem Film. Eine Szene wie aus einem Koltès-Stück, brutal, großkotzig, verzweifelt und verletzend. Theo und Victor zünden sich Zigaretten an und liefern sich einen Kampf, erst mit Worten, dann mit Fäusten. Wer hat’s raus, wer ist cooler, wer trifft den anderen am empfindlichsten. Theo protzt mit Auto und Check, Victor verleumdet ihn als „Produkt“: der gleiche Haarschnitt, die gleichen Klamotten, die gleichen Träume, die gleichen Bauchmuskeln wie alle, zum Gebrauch und anschließendem Wegwurf, wenn du kein Parfüm auflegst, stinkst du nach Scheiße. Die Traurigkeit über sich wird zum Hass auf andere, der schöne Schal, das Geschenk von Rainer, geht dabei drauf. Diese Szene dauert ewig, ein rasender Stillstand. Orientierungslos, handlungsunfähig scheinen Jungs und Kamera, kein Mätzchen à la Dolan, kein Rollen-Posing, kein Sehnsuchtsbilderklau aus der umliegenden Filmgeschichte. Atomic Age traut zwei unsicheren Jungs große Worte zu, große Bilder, große Blicke. „Hohle Pseudo-Philosophie“, stöhnte da das Auf-demTeppich-Bleiber-Feuilleton. Dabei ist die Sprache das einzige, was Victor und Rainer zur Verfügung haben auf ihrem Drift durch die Nacht. Die Dinge existieren nicht, wenn man nicht darüber spricht (Victor). Bei Rainer sind das Träume oder Gedichte, er redet von toten Soldaten, die vom Gras gewiegt werden, von Selbstmördern, die sich in die Seine stürzen, dann aber von dort bis nach Afrika schwimmen, von der einzig wahren Amour Fou, die sich zwischen Wind, Sternen, Totems und Zauberern enthüllt. Der Eiffelturm scheint wieder auf, sein Scheinwerferlicht wird vom Nebel verschluckt.

Kernspaltung. In der blauen Stunde nehmen die beiden eine Abkürzung zu Victor nach Hause, wo aus Ideen endlich Körper werden dürfen. Da kommt der Film allerdings nie an. Die Abkürzung führt schnurstracks und märchengemäß durch einen Zauberwald, in dem Käuze rufen, Bäche plätschern und Bäume rascheln. Der Stadt sollten die Lichter ausgehen, wünscht sich Rainer. Und endlich können sich zwei Menschen sagen, dass sie sich lieben, sich beruhigen und einschlafen. Nach der ersten Kernspaltung war für die Menschen alles anders. Seitdem befindet man sich im Atomzeitalter und weiß nicht, wann es wieder aufhört. Atomic Age ist ein eigenwilliger Film, intim und großspurig, formlos und konsequent zugleich. Er nimmt seine Protagonisten ernst und ist entschieden in sie verliebt, enthebt sie aber gleichzeitig einer scharf konturierten Welt. Die poetische Nachtstimmung, die mitatmende Kamera und der knisternde Soundtrack liegen wie ein melancholischer Hauch über der kleinen Geschichte, in der es eigentlich um Jugendliche geht, bei denen noch gar nichts passiert ist. Die bewusstseinsverändernde Filmsprache er­innert an Werner Schroeter, der ja zuletzt auch nur noch entrückte Nächte verfilmt hat. Gleichzeitig will dieser Film mehr, er will ein Statement sein gegen die Logik hübsch aufgelöster Coming-of-Age-Geschichten, mag seine Jugendlichen nicht ambitionslos, angepasst, unpolitisch oder rebellisch finden, sondern spielt die Flucht in die Hipster-Unverbindlichkeiten (kein Produkt sein, kein Labelträger, kein User) als traurige Rettungsmaßnahme vor der drohenden Bewegungslosigkeit zurück. Die Poesie des Films ist mitfühlend: Sie ist als Freiraum für Sprache, Identitäten und Körper gedacht. Und wenn das auch nur heißen sollte, dass sie sich für einen kurzen Moment verlaufen dürfen. s

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GET USED TO IT von En r ico I ppol it o

Edition Salzgeber

Ein paar Leute reden ab und zu vom „Queer Cinema“, aber niemand kann genau sagen, was das ist. Da sich alles Queere grundsätzlich von festen Konzepten und identitären Fixierungen befreien will, hat sich das mit klaren Definitionen eben erledigt. Und trotzdem muss es doch etwas geben, was diesen Begriff immer wieder ins Spiel bringt, nötig macht, präziser erscheinen lässt als z.B. „schwul“, „lesbisch“ oder all die anderen Kategorien für „nicht-heterosexuell“. Aber was wiederum hat das Ganze mit Kino zu tun? Hat Kino eine sexuelle Identität? Gibt es ein Kino, das sich identitären Zuschreibungen entziehen will? SISSY hat sich auf Recherche begeben und RegisseurInnen, KuratorInnen, JournalistInnen und WissenschaftlerInnen die verzwickte Q-Frage gestellt.

s Wolken am Himmel. Über den Wolken schweben androgynen Figuren. Zoom auf den Protagonisten, Dialoge, eine Frau interpretiert für die Zuschauer das Gesagte. Hinter ihr schweben immer noch die androgynen Figuren. Das alles in Schwarzweiß. Nach zwei Minuten ist klar: Es handelt sich um ein Filmset. So beginnt Swoon (1992) von Tom Kalin. Welchem Genre würde man Kalins Erstlingswerk über zwei Männer und deren sadomasochistische Beziehung zuschreiben? Ist es ein Film Noir? Ein Drama? „New Queer Cinema“? „Queer Cinema“? Die Genredebatten im Film sind müßig und oft zwecklos. Doch was soll das überhaupt sein, „Queer Cinema“? Existiert es überhaupt als Kategorie? Ist es ein Genre? Oder gar eine Bewegung? Terminologisch eingekreist, geht „Queer Cinema“ von B. Ruby Richs Begriff des „New Queer Cinema“ aus, den die Kulturtheoretikerin in den Neunzigern prägte. Sie sah eine große Gemeinsamkeit in vielen queeren Filmen an Anfang dieses Jahrzehnts, einen Stil – der nicht nur als inhaltliche Kategorie, sondern auch formal verstanden werden sollte. Rich sah das Neue im New Queer Cinema darin, dass die Filmemacher_innen mit dem etablierten „humanistischen Ansatz“ brachen. „In erster Linie sind [diese Filme] voller Lust“, schrieb sie in ihrem Aufsatz „New Queer Cinema“ in der britischen Filmzeitschrift „Sight & Sound“. B. Ruby Rich war vor allem fasziniert von Tom Kalins Swoon, Derek Jarmans Edward II (1991), Todd Haynes Poison (1991), Jeannie Livingstons Paris is Burning (1990) und The Living End (1992) von Gregg Araki. Alles Filme, die zwischen 1990 und 1992 in den Kinos oder erfolgreich auf Festivals liefen. „Queer is hot!“, formulierte Rich fast schon ketzerisch in ihrem Artikel. Neben dem Erfolg hatten die Filme jedoch noch eine Gemeinsamkeit: Sie alle sprengten das konventionelle Kino und brachten eine neue Ästhetik und Art der Erzählung hervor. „New Queer Cinema“-Filme waren anders, sie machten Lust, probierten sich am Medium Film aus. Rich sah darin eine „Homo Pomo“, eine Art homosexuelle Postmoderne. „I Want Your Love“ von Travis Mathews (2011)

Michael Aaron definiert das „New Queer Cinema“ in seinem gleichnamigen Buch wie folgt: „Erstens geben die Filme den Marginalisierten eine Stimme. […] Zweitens, die Filme sind nicht entschuldigend, was die Schwäche oder gar Verbrechen ihre Charaktere angehen. […] Drittens, die Filme widersetzen sich der Unantastbarkeit der Vergangenheit, vor allem der homophoben. […] Viertens, die Filme widersetzen sich der filmischen Konventionen in Form, Inhalt und Genre. […] Und letztens, die Filme widersetzen sich in vielfältiger Weise dem Tod.“ Zwanzig Jahre später ist die Diskussion verstummt, gilt fast schon als anachronistisch. „New Queer Cinema“ ist schon längst aus dem filmischen Diskurs verschwunden. Der Wunsch nach einer Kategorisierung eines „Queer Cinema“ besteht, es bleiben vor allem Fragen zurück: Ist der queere Filme immer Avantgarde? Oder ist ein queerer Film einfach das Sichtbar-Machen von schwulen, lesbischen, bisexuellen und transidentischen (LGTB-) Inhalten? Wieland Speck, Leiter der Berlinale-Panorama-Sektion, bemüht sich, „queeren“ Filmen ein Forum zu geben. Und er engagiert sich für den Teddy Award, einen Preis für queere Filme. Interessanterweise haben viele Vertreter des „New Queer Cinema“, wie Kalin, Jarman oder Haynes, bereits einen Teddy Award gewonnen. „Queeres soll präsent sein“, sagt Speck. Ihm geht es vor allem um das emanzipatorische Moment, gar um die Repräsentanz von queeren Elementen, um das Sichtbar-Machen. Für Speck ist „Queer Cinema“ kein eigener Begriff, „New Queer Cinema“ allerdings schon. Wie er die Filme für sein Programm aussuche, sei unvermittelbar, sagt er. Und dennoch fällt auf, dass es vor allem Filme in das Panorama-Programm schaffen, die sich mit den Themenkomplexen Coming-Out, Diskriminierung und sexuelle Identitätsfindung beschäftigen. Das politische Moment ist hier ganz offensichtlich inhaltlich verankert. Damit wäre queeres Kino nicht zwingend experimentell, sondern vor allem thematisch zu denken. Für die Filmemacherin Angelina Maccarone besteht die Gefahr für das queere Kino in einer Rückwärtsgewandtheit. „Wir befinden uns in einem gewaltigen Backlash“, sagt sie. Man müsse sich von dem Gedanken der Progression im queeren Kino verabschieden, sagt sie, weil eine Sehnsucht nach alten Werten herrsche. Als Maccarone ihren ersten Film Kommt Mausi raus?! (1995) drehte, war die Wahl des Genres für sie eine „subversive“ Entscheidung, denn lesbische Komödien gab es damals eigentlich nicht. Und heute gilt ein Film wie Parada von Srdjan Dragojevic als radikal und mutig: Die Komödie, in welcher schwule Aktivisten Exkombattanten als Sicherheitskräfte für den Belgrader Gay Pride 2010 anheuern, gewann bei der Verleihung der diesjährigen Teddy Awards den Publikumpreis der Zeitschrift „Siegessäule“. Subversiv? Wohl kaum – weder inhaltlich noch ästhetisch ist der Film interessant. Dragojevic bedient sich veralteter Klischees und der alten Dichotomie homosexuell/heterosexuell und erinnert damit an eine schlechten Version von Ein Käfig voller Narren. „Parada ist kein Film für liberal denkende Menschen, sondern für Homophobe. Diese Leute erreicht man nicht mit einem hermetischen Kunstfilm, sondern mit Unterhaltung“, sagte Dragojevic in einem Interview in der „taz“ (12.2.2012). Wieland Speck, der den kontroversen Film in die Panaroma-Sektion aufnahm, steht hinter Parada. „Es bewirkt was, macht was mit den Menschen. Jede Abarbeitung ist gewinnbringend“, sagt Speck. Das stimmt zwar, aber sollte man 34 Jahre nach Ein Käfig voller Narren international nicht weiter im Diskurs über das Sichtbar-Machen von LGTB-Figuren im Film sein? Also doch Backlash? Vielleicht beginnt das Problem des „Queer Cinema“ schon mit dem Begriff „Queer“. Wenn „Queer“ die Norm in Frage stellt, dann muss das „Queer Cinema“ dies erst recht tun. Gleichzeitig wird der Begriff „queer“ aber längst schon im Mainstream verwendet. Dilek Kolat, Senatorin für Arbeit, Frauen und Integration in Berlin, verwen23


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dete bei den Teddy Awards 2012 in Berlin „queer“ als Sammelbegriff (Umbrella Term) für alles, was nicht heterosexuell ist. Und auch in der Filmbranche scheint der Begriff eher diffus als Label verwendet zu werden – für LGTB und das Andere im Film, das Nicht-Heterosexuelle – all das auf Kosten seines eigentlich subversiven Potentials. Der Filmkritiker Lukas Foerster gibt zu, das Wort auch „manchmal als Synonym [für „schwul“, „lesbisch“ etc., — Red.] zu verwenden“. Er sehe jedoch, dass es nicht deckungsgleich sei. Wenn der Begriff also als Umbrella Term verwendet wird, ist „queer“ in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Doch keine Avantgarde? Marc Siegel, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der GoetheUniversität Frankfurt und Mitbegründer des Künstlerkollektivs CHEAP, bei dem Lukas Foerster schon mal ein Queer-CinemaSeminar besucht hat, beschreibt „queer“ als ein „Infragestellen der Fixiertheit von Identitätspositionen.“ Für ihn hat „queer“ etwas mit Begehren, sexueller Begierde, Fantasien zu tun, aber ebenso mit sozial-politischer Identifikation und auch mit der Bereitschaft – so, wie Queer-Theoretikerin Eve Kosofsky Sedgwick es mal formuliert hat – sich selbst als „queer“ zu bezeichnen, und dabei die eigene fixierte Identität zu hinterfragen. „Queer“ ist mehr als die Repräsentation des Anderen, es geht über eine Abgrenzung von Heterosexualität hinaus, stellt Dichotomien wie männlich/weiblich und homo/hetero in Frage und erschöpft sich somit nicht in einem reinen Sichtbar-Machen. In Amerika wurde das Wort „Queer“ als Schimpfwort verwendet. In den neunziger Jahren wurde der Begriff im akademischen und politischen Diskurs resignifiziert und neu bewertet (reclaiming) – im Zuge einer Selbstermächtigung mit dem Wunsch verbunden, sich der Opferrolle zu entziehen – der Slogan dazu: „We’re here, we’re queer, get used to it!“ In dem anonymen Manifesto von „Queer Nation“ vom Juni 1990 mit dem Titel „Queers Read This“ steht: „Gay ist gut. Es hat seinen Platz. Aber wenn viele Lesben und Gay-Männer morgens aufwachen, fühlen wir uns wütend und angeekelt, nicht gay. […] Die Verwendung von ‚queer‘ ist ein Weg, uns daran zu erinnern, wie wir vom Rest der Welt wahrgenommen werden.“ Queer Nation verwendete vor allem das Wort als listige und ironische Waffe, die die „Queers“ von den Homophoben stehlen könnten, um sie gegen sie zu verwenden. Auch heute noch wird „queer“ gerade in der Wissenschaft kritisch diskutiert. Wenn B. Ruby Rich von „New Queer Cinema“ spricht, scheint sie auch von einem „Old Queer Cinema“ auszugehen – also einem queeres Kino vor 1990. In den Sechzigern wurde so etwas wie eine Untergrund-Film-Bewegung sichtbar. Selbstverständlich gab es schon davor Filme, die als „queer“ zu beschreiben wären – wie Kenneth Angers Fireworks (1947). Doch vor allem das filmische Schaffen Andy Warhols ist von zentraler Bedeutung. In seinem Werk Flesh (1968) ist ein Mann Sexualobjekt, in Kitchen (1965) hinterfragt er die Positionen Weiblichkeit und Männlichkeit, in Blowjob (1964) spielt er mit dem Genre der Pornographie: Ein Mann wird oral befriedigt und das – so der Mythos – von einem anderen Mann. Ähnliches gilt für Jack Smith, der mit Warhol eng verwurzelt war. Sein einziger vollendeter Film Flaming Creatures (1963) ist sinngebend für das „Queer Cinema“. Smith sprengt jegliche Konventionen des Kinos, lässt sich nicht festlegen, will es auch nicht. Nichts ist greifbar, die Sexualität der Performer_innen nicht mehr identifizierbar. Die Geschichte fast schon zweitrangig. Es entsteht was Neues, Anderes, das vor allem ästhetisch und formal interessant ist. Laut dem Buch „Now You See It“ des Filmwissenschaftlers Richard Dyer lassen sich vor allem zwei Strategien des SichtbarMachens nicht-heterosexueller Utopien im Kino definieren: Die Konfrontationsfilme und Affirmationsfilme. Die Konfrontationsfilme spielen mit den klassischen Repräsentationsformen, wie zum Beispiel Rosa von Praunsheims Nicht der 24

Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt (1971) oder Frank Ripplohs Taxi zum Klo (1980), der für seine Zeit unglaublich explizit von schwulem Sex erzählt. Ähnliches gilt für Rainer Werner Fassbinders letzten Film Querelle (1982), einen Film über sexuelle Begierde. Die Affirmationsfilme stehen ebenfalls den gängigen normativen Geschlechterbildern und Familienmodellen kritisch gegenüber, unterliegen aber den gängigen Konventionen des Erzählkinos. Es geht um die positive Zuschreibung, positive LGTB-Bilder im Kino, vereinfacht um Repräsentanz. Hierzu zählen auch viele der ComingOut-Filme, die um Verständnis für ihre homosexuelle Figuren warben und Nicht-Heterosexuellen zeigen sollten, dass sie nicht alleine sind. Vor allem der Affirmations-Strategie wurde durch das „New Queer Cinema“ eine Absage erteilt. Rotzige, punkige, experimentelle Bilder von schwulen und lesbischen Bösewichtern, Virenträgern und Serienkillern waren wenig mainstreamtauglich, schufen durch ihren Erfolg aber neue Independent-Strukturen, die wiederum schnell in den Mainstream integriert wurden. Und heute? Was passiert in der Ära des Post-„New Queer Cinema“? Reicht das Sichtbar-Machen nicht? Mittlerweile scheint das „Andere“ fern der Heterosexualität sehr präsent zu sein. Schwule und Lesben tauchen in jeder Soap-Opera auf und können gar Hauptfiguren in Filmen sein, oder etwa nicht? „Gut, dass es in Filmen sichtbar wird. Nur dieses zwanghafte ‚Wir wollen das auch‘ – das ist ähnlich wie mit der Homo-Ehe. Ich habe kein Problem damit, aber man müsste die Ehe an sich in Frage stellen“, sagt Maccarone. Der Regisseur Travis Mathews arbeitet gegen die gängigen Regeln von klassischen Pornos. Seine Filme erzählen eine Geschichte und arbeiten nicht auf den Orgasmus hin – trotzdem sind sie roh, explizit. „Meine Filme I Want Your Love und In Their Room resultieren aus einer Frustration über den Zustand des Gay Cinema und wie die Darstellungen darin nichts über mein Leben aussagt. Es ging erst mal um Präsenz – darunter litten aber oft die Produktion und die Geschichte“, sagt Mathews. Offenbar unterscheidet Mathews hier zwischen „Queer“ und „Gay“ Cinema, wobei „Gay Cinema“ dann auch bei ihm eher die Affirmationsfilmen meint. „In den letzten zwanzig Jahren hatte ich das Gefühl, dass es den Geschichten an Authentizität mangelt. Es gab Aids-Filme, Coming-Out-Filme, und dann kam das neue Queer Cinema“, sagt er. Für ihn ist das Erzählen einer Liebesgeschichte politisch, die gerade nicht Probleme mit der Suche nach der sexuellen Identität thematisiert. „Verpflichtet zu sein, eine historische Geschichte über Aktivismus, Aids oder Coming-Out zu machen, ist sehr defensiv“, meint Mathews. Er zeigt hingegen die alltäglichen Probleme, die Männer mit Sex und Beziehungen haben. Seine Figuren sind dreidimensional und haben hohen Identifikationswert. Ähnliches gilt für Andrew Haighs und seinen Film Weekend (2011), der die Geschichte zweier Männer nach einem One-NightStand erzählt. Dass die Männer scheitern, liegt nicht an ihrer Homosexualität oder an einer homophoben Gesellschaft, sondern an verschiedenen Beziehungsmodellen. Sowohl Haigh als auch Mathews eint ihre Affinität zur dokumentarischen Form. Beide machen nicht die sexuelle Identität zum Thema, sie wird vorausgesetzt, nicht problematisiert und schon gar nicht tabuisiert. Hier liegt das „Queere“ in der Verweigerung des Identitätsdiskurses. Während vor allem Weekend in der englischsprachigen Presse Anerkennung fand, blieb es in Deutschland bei vereinzelten Rezensionen – ähnliches gilt für Mathews’ Filme. Offenbar herrscht hierzulande immer noch die Idee von einer Art Nische. Queeres Kino, schön und gut, doch sollen die Filme auf ihren eigenen Festivals laufen, die Kritiken in den eigenen „Special Interest“-Magazinen stehen und der Vertrieb im eigenen Verleih laufen.


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Die „Vernischung“ des „Queer Cinema“ ist vielleicht eins der größten Probleme heutzutage. Es sorgt auch dafür, dass viele Regisseure_innen nach ein oder zwei „queeren“ Filmen das Sujet (wenn man davon sprechen mag) wechseln und sich in den Mainstream werfen. Das beste Beispiel hierfür ist der amerikanische Regisseur John Cameron Mitchell, der nach Hedwig & The Angry Inch (1998) und Shortbus (2006) mit Rabbit Hole (2010) in Hollywood angekommen ist. Auch Geld ist ein Problem: Oft entstehen queere Filme unter katastrophalen finanziellen Bedingungen. Die „queeren“ Regisseure_ innen suchen nach neuen Modellen der Bezahlung. Mathews ließ sein Spielfilm von einer Pornofirma finanzieren, und um sein Dokureihe In Their Room – London zu drehen, griff er auf Crowdfunding zurück. Natürlich tauchen von Zeit zu Zeit Filme auch in Hollywood auf, die Homosexuelle als Hauptfiguren zeigen, siehe Milk (2008) oder Brokeback Mountain (2005). In beiden Fällen änderte sich das Rezeptionsverhalten und auch die Kritiker-Resonanz deutlich. Das gleiche gilt für Tom Tykwers Film Drei (2010), der von einem Ehepaar erzählt, das sich in den gleichen Mann verliebt. Die Kritik durchweg positiv, überschlug sich vor Freude, lobte Tykwers Mut, eine solche Geschichte zu erzählen. Aber sind Drei, Brokeback Mountain oder Milk queere Filme? Sie alle überschreiten keine gegenwärtigen filmischen Grenzen – weder in der Narration noch in der Ästhetik. Das Sichtbar-Machen hier ist reine Repräsentanz von queeren Inhalten, aber noch lange nicht progressiv. Was diese drei Beispiele zeigen, ist, dass das konventionelle Erzählkino offenbar über ein Zeigen von LGTB-Inhalten nicht hinaus kommt. Doch „Queer Cinema“ kann mehr. „Queer Cinema hat die Möglichkeit, die Darstellung von Gender und Sexualität neu zu denken“, sagt Marc Siegel. Ist das auch mit einer klassischen Narration möglich? „Es passiert meistens im Avantgardekino“, meint er. Wichtig sei, dass die Narration des Films nicht darauf gerichtet sei, eine schwules oder lesbisches Subjekt am Ende aufzubauen, oder durchgehend zu porträtieren. Anstelle eindeutiger Identitäten könnten stattdessen perverses Begehren stehen oder einzelne Aspekte aus der queeren Kultur. Für B. Ruby Rich war das „New Queer Cinema“ „ein Moment, keine Bewegung.“ Doch queeres Kino muss mehr sein als nur einem Moment verhaftet oder ein Zusammenspiel diverser und zufällig aufeinander treffender Faktoren – es muss über den Zeitgeist hinaus gehen. Wenn der queere Film nur ein Sichtbar-Machen der verschiedenen sexuellen Identitäten und Lebensformen ist, verliert er seinen rebellischen Charakter. Dennoch muss queeres Kino präsent sein, weil es vor allem das eigene Medium und dessen Konventionen sprengen kann. Dafür müsste das „Queer Cinema“ immer experimentell sein. Kein „Queer Cinema“ ohne Avantgarde? s --Enrico Ippolito ist Volontär bei der taz. Wieland Speck wird zwischen dem 7. und 17. Februar 2013 eine neue Berlinale-Panorama-Ausgabe mit einer großen Anzahl queerer Filme präsentieren. Angelina Maccarones experimentelles Dokumentarfilmporträt der Schauspielerin Charlotte Rampling („The Look“) ist gerade auf DVD erschienen. Lukas Foerster ist Redakteur der Filmkolumne „Im Kino“ auf perlentaucher.de, die jeden Mittwoch zwei aktuell startende Kinofilme vorstellt. Marc Siegel hat gerade zusammen mit Susanne Sachsse im Berliner HAU das Festival „Camp/Anti-Camp“ organisiert. Travis Mathews’ „In Their Room“-Filme sind auf DVD erhältlich. Das nächste Queer-Film-Festival in Deutschland ist das Berliner XPOSED, das vom 20. – 22. Juni stattfindet (www.xposedfilmfestival.com). --25

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William S. Burroughs – A Man Within Ein intimer Dokumentarfilm, der ungeahnte Einblicke verschafft in die verstörende Welt eines brillanten, aber auch gequälten Mannes. William S. Burroughs ist die Ikone der Beat Generation und war der erste Schriftsteller, der die amerikanische Drogen- und Schwulenkultur der 50er und 60er Jahre beschrieb. Burroughs‘ bekanntester Roman »Naked Lunch« gehört zu den wichtigsten literarischen Werken des 20sten Jahrhunderts und hat Generationen von Schriftstellern inspiriert. Ein Zusammenschnitt aus exklusivem Archivmaterial von Burroughs, sowie Interviews mit einigen seiner engsten Freunde, unter ihnen John Waters, Patti Smith, Laurie Anderson, David Cronenberg, Iggy Pop, Gus Van Sant und viele mehr!


Sebastian Noack

kino

„Jetzt!“ I n t e rv i ew: Ja n K ü n em u n d

Vier Jahre lang hat Diana Näcke den schwierigen Weg zweier gefangener Frauen in die Freiheit mit der Kamera verfolgt. Immer wieder war sie allein in der „JVA für Frauen“ in Berlin-Lichtenberg und hat für „Meine Freiheit, deine Freiheit“ so intime Bilder aus einem Frauenknast gedreht wie kaum jemand zuvor. Zwangsläufig ist ihr Film, der gerade sehr erfolgreich auf Festivals läuft und am 31. Mai ins Kino kommt, auch ein philosophischer Exkurs zum Thema Freiheit an sich geworden. Im folgenden Interview erzählt Diana Näcke von ihren persönlichen Erfahrungen und den nervenaufreibenden Dreharbeiten.

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sissy: Bist du mit einer bestimmten (Film-)Idee in den Knast gegangen oder kanntest du deine Protagonistinnen vorher? Diana Näcke: Nein, das war Zufall. Ich war für ein anderes Projekt im Knast und habe diese beiden Frauen gesehen, die haben mich dann nicht mehr losgelassen. Ich habe meine eigene innere Wut, die Zerrissenheit und Unruhe bei diesen beiden Frauen gesehen, aber eben nicht nur bei ihnen, sondern auch in dem, was man schnell als ‚die andere Seite‘ bezeichnet, bei den Beamten, die sie wegschließen müssen. All das trägt man in sich, diese beiden Seiten. Ich habe Antworten gesucht auf das, was uns Menschen antreibt, wo Verantwortlichkeiten liegen. Aber ich habe begreifen müssen, dass Verantwortung genau so ein Konstrukt ist wie Freiheit. Es existiert faktisch nicht, es gibt nur ein Gefühl dazu, eine Einstellung, ein Moment, ein Verhalten. Salema hat sich vor meinen Augen einmal einen Goldenen Schuss gesetzt. In solchen Situationen reicht das Nachdenken über Freiheit nicht mehr, da stehst Du eben mittendrin und hasst dieses Konstrukt und Dich dafür, dass Du Freiheit selbst als allumfassend wahrnimmst und den Menschen, der Dir gerade gesagt hat: „Lass mich sterben, das ist meine Freiheit und ich will, dass Du das filmst.“ Aber man kann doch einen Menschen nicht einfach so sterben lassen. Ich habe Hilfe geholt, danach hat Salema sechs Wochen nicht mehr mit mir gesprochen. Das passt gar nicht alles in diesen Film. Den Wahnsinn Dokfilm, vier Jahre lang und dann erst mal zwei Jahre lang ohne Geld, nimmst Du nicht auf Dich, wenn Du nicht einen eigenen ganz ganz starken inneren Antrieb hast.

Du hast dich auf Kübra und Salema konzentriert. Wofür stehen sie für dich? Es waren Kübra und Salema, die mich von Anfang an begeistert haben und die für einen Dokumentarfilm wichtige Offenheit mitbrachten. Die beiden stehen allerdings für viele dieser Frauen, die einfach das Pech hatten, in eine so krasse Biografie hineingeboren zu werden. Was nicht heißen soll, jeder mit krasser Biografie wird kriminell. Es geht nicht darum, ihre Straftaten zu rechtfertigen. Ich wollte einfach verstehen, wo der Punkt war, wo man den Bezug verliert, wann man in den Abgrund springt, der Moment, wo einem alles scheißegal wird. Ob solche Dinge auch klare Entscheidungen sind und vor allem, durch was sie beeinflusst werden. Dieses System Knast macht Dich kaputt, es hilft Dir nicht. Kübra hat mal gesagt: „Was passiert denn? Die Tür geht zu für vier Jahre, aber wenn Du rauskommst, bist Du noch derselbe Mensch, wenn nicht sogar schlimmer …“ Und trotzdem gibt es da auch noch mehr, man lacht da auch … Wie intensiv hast du in diesen drei Jahren an dem Film gearbeitet? Wie sahen die Produktionsbedingungen aus? Oh je, das war krass. Hätte ich am Anfang gewusst, was das heißt, hätte ich – glaube ich – nicht angefangen. Als ob man in einen Strudel gerät. Andres Veiel hat mich mal eine Dokwütige genannt, er war in der Jury des Bayrischen Dokumentarfilmwettbewerbes, wo ich einen Preis für das Treatment gewonnen habe. Ich hab

damals nicht verstanden, was er meint, weil das normal für mich war, mich so durchzuboxen. Er hat es liebevoll gemeint, in Anlehnung an seinen Film Die Spielwütigen, eine Bezeichnung für jemanden, der extrem für das, was er macht, brennt, mit voller Leidenschaft dabei ist, die aber auch gewisse Gefahren in sich birgt. Man kann sich nämlich verlieren, vor allem auf der Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz. Du lernst bei so einem Film fürs Leben. Danach kannst Du fast alles stemmen. Wie auch immer, ich habe mein Saxophon verkauft, meine Taucherausrüstung, meine Gitarre, alles, was ich an Wert hatte, um mir Kamera- und Tonequipment besorgen zu können. Ich hatte keine Ahnung von Ton und keine Ahnung von Kamera, geschweige denn von Szenen-Auflösung. Ich musste einfach drehen. Und ich wusste, dass viel passieren wird. Kübra hat mich manchmal nachts angerufen und gesagt: „Jetzt!“ Und dann musste ich eben los, egal wann und egal wie. Da kannst Du nicht noch einen Tonmann oder eine Kamerafrau anrufen. Und es gab eben kein Geld. Und wenn man realistisch ist, wer gibt einem Debüt-Filmemacher ohne Filmschulhintergrund Geld? Alle Entscheidungen waren aus heutiger Sicht richtig. Das gedrehte Material hat dann überzeugt, vor allem die Kraft der beiden Protagonistinnen und wahrscheinlich auch meine Dokwütigkeit, zuerst die Produktionsfirma, dann das ZDF. Aber das Schönste dabei ist: Kübra und Salema lieben den Film und sie sind stolz auf ihn. Sie haben sonst nichts, auf das sie stolz sind, zumindest bis zu diesem Moment. Sie kriegen das erste Mal im Leben Respekt für das, was sie sind. Kübra hat den Film im Knast anschauen müssen und ihn regungslos verfolgt. Am Ende hat sie sehr geweint, weil sie drei Jahre ihres Lebens an sich vorbeiziehen gesehen hat und ihr Bild von sich verändern musste. In dem Film sieht man einen sehr offenen Umgang mit Drogen innerhalb des Gefängnisses. War das eine Offenheit dir gegenüber oder sind Drogen dort wirklich so präsent? Es ist so: In jedem Knast dieser Welt gibt es Drogen. Vor allem aber da, wo drogenabhängige Frauen sitzen. Die JVA Lichtenberg ist der größte Frauenknast Berlins, in dem vor allem drogenabhängige Frauen ihre Strafen verbüßen müssen. Das heißt, diese Frauen finden aufgrund des enormen Suchtdrucks immer wieder Wege, Drogen illegal in den Knast zu schmuggeln. Ich habe ihre Kreativität, was das betrifft, zur Genüge kennen gelernt. Natürlich ist das illegal, nur wird die Knastleitung dieses Problems nicht Herr. Trotzdem hat sich die Knastleitung entschieden, Spritzenautomaten zu installieren, um zumindest die Hepatitis-C- und HIV-Infektionsgefahr einzudämmen. Das wird oft angegriffen. Ich finde das aber richtig und gut. Aber die Frauen dürfen natürlich nichts reinschmuggeln und auch nichts besitzen, geschweige denn Drogen konsumieren. Das ist ein Paradox. Natürlich gibt es auch Sanktionen und Anzeigen gegen sie. Ich wollte das nicht im Film zum Thema machen, das kann eine Reportage besser. Deshalb habe ich es subtil erzählt und das Spritzen in der Zelle wie 27


Edition Salzgeber (2)

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Salema Wad’deres (oben), Kübra Baytok

selbstverständlich gezeigt. Die Frauen handhaben das so, es gehört zu ihrem Alltag. Es ist nur noch nie in dieser Selbstverständlichkeit in einem deutschen Knast gefilmt worden. Ich durfte mich in diesem Knast frei bewegen, ich habe einfach mit den Frauen unbeobachtet teilweise sogar acht Stunden am Stück auf der Zelle bzw. der jeweiligen Station verbringen können. So wurde ich zu so etwas, was halt immer da ist, die Frau mit der Kamera gehörte zum Inventar. Ich war ja alleine, ohne Crew. Und dann passiert das einfach, dass Du in deren Alltag eingebunden bist und das Heroin gehört dazu. Es ist ein offenes Geheimnis, was der Bevölkerung nicht so klar ist, dem Justizsystem allerdings schon. Das ist es auch nicht, was ich für einen Skandal halte. Ich finde es dagegen ungeheuerlich, dass es in Berlin keinen Ort für weibliche jugendliche Straftäter im Alter von 14 bis 28

21 Jahren gibt. Jemand wie Kübra wird dann halt mit 14 Jahren im Erwachsenenstrafvollzug für drogenabhängige Frauen untergebracht, obwohl laut Gesetzgeber Jugendstrafen getrennt vom Erwachsenenstrafrecht vollzogen werden muss. Und dann kommen diese kleinen Mädchen auch mit Heroin in Kontakt. Die Frauen setzen eben auch anderen die Spritze. So ist das eben. Das ist der eigentliche Skandal und unverzeihlich, wie ich finde. Und Drogenabhängige sind nicht wirklich in einem Knast gut aufgehoben, es ist eine Krankheit, die eben auch Kriminalität mit sich bringt. Es ist eine Sucht.

ten nicht über Sexualität und Beziehungen gesprochen – oder ist das dann doch der Bereich, der im Gefängnis tabu ist? Na, klar haben wir darüber gesprochen, das machen wir bis heute, leider sind viele schöne Szenen dazu der Dramaturgie des Filmes und seinem Rhythmus zum Opfer gefallen. Einiges haben wir auch herausgenommen, um die Protagonisten zu schützen. Kübra ist Muslimin und egal, was sie in ihrem Leben schon für Dinge gemacht hat, sie wollte auch ihre Familie schützen und einige Dinge waren ihr heilig. Wenn Du eine Biografie hast wie Kübra, gewöhnst du dir an, in verschiedene Welten und Persönlichkeiten zu schlüpfen. Um nicht durchzudrehen, weil die Dinge zu ertragen, die einem passiert sind, manchmal unmöglich ist. Natürlich gibt es auch Liebe im Knast, auch Sexualität. Viele Frauen haben Beziehungen untereinander. Kübra hatte das meines Wissens nach nie. Salema, die Frauen liebt, ist da offener. Aber sie hat Angst, Angst davor wieder so schwere Verluste zu erleiden, dass sie nicht mehr aufstehen kann. Ich habe sie im Knast vor der Kamera gefragt, was Liebe für sie ist. Ihre Antwort war: „Ich habe noch nie einem Menschen gesagt, dass ich ihn liebe. Liebe ist für mich so unselbstverständlich, dass ich das nicht mal aussprechen kann.“ Als ich Salema vor zwei Wochen besucht habe, war sie gerade wieder am Boden zerstört, weil sich ihre neue Freundin gerade das Leben genommen hatte. Da haut es Dich einfach nur weg und Du kannst nichts tun und ehrlich gesagt, kann ich verstehen, warum sich Salema wegbeamt. In Salemas Leben scheinen sich Dinge auf gespenstische und absolut unvorstellbar schmerzhafte Art zu wiederholen. Sie hatte ja ihre erste Liebe mit fünfzehn genauso verloren, das Mädchen starb in ihren Armen, sie hatte sich einen Goldenen Schuss gesetzt. Dabei wollte sie sich gar nicht mehr auf einen Menschen so tief einlassen. Danach ist sie wieder abgestürzt. Wenn man das so hört, denkt man immer: Das kann doch alles nicht sein! Und trotzdem sind diese beiden Menschen auf beeindruckende Weise so stark, wie ich es niemals sein könnte. s

Meine Freiheit, deine Freiheit von Diana Näcke DE 2011, 84 Minuten, deutsche OF Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino ab 31. Mai

Im Gegensatz zur Drogensucht spielt Sexualität in deinem Film kaum eine Rolle. Salema erwähnt einmal, dass sie mit Heroin angefangen hat, um „in der Welt“ ihrer abhängigen Freundin sein zu können. Habt ihr ansons-


nachruf

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s Servus Günther,

Harry Baer und Günther Kaufmann in „Whity“ von Rainer Werner Fassbinder (1971)

Even Right Now von Ha r ry Ba e r

Am 10. Mai starb der Schauspieler Günther Kaufmann in Berlin. In der Presse war viel von einem Prozess, von Gefängnis und Dschungelcamp die Rede, wenig von den mit stets verliebtem Blick inszenierten Auftritten in vielen Fassbinder-Filmen. Wir haben Harry Baer, Wegbegleiter und Kollege, um einen persönlicheren Nachruf auf den „weißen Neger vom Hasenberg“ (so der Titel von Kaufmanns Autobiografie) gebeten.

in Bonn, oder besser gesagt Bad Godesberg, haben wir am 4. Juni 2005 zum 60. Geburtstag von Rainer Werner Fassbinder sein Stück „Katzelmacher“ aufgeführt. Nur an einem einzigen Abend, der auch eingehüllt war von Liedern, die der Peer Raben geschrieben hatte. Das Motto des Abends war „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“, und die Regie hat damals Werner Schroeter geführt. Die Freunde triffst du ja demnächst auf deiner langen Reise. Günther, ich habe dich eigentlich erst richtig wahrgenommen, als wir beide in dem Schwarzweißfilm Götter der Pest böse Buben gespielt haben. In München war das, im Herbst 1969. Ich wurde ja nur in einem banalen, mit Neon beleuchteten Supermarkt am Rotkreuzplatz erschossen, während du nachts in der Sonnenstrasse, angeschossen, malerisch und mit nacktem Oberkörper, an den Schaufenstern mit Hochzeitsgewändern entlang torkeln durftest. Sogar in die Wohnung von der Carla hattest du es noch geschafft und konntest das Miststück erledigen, vor deinem Abtritt mit den Worten: „Life is very precious … even right now“. Da war ich schon ein wenig neidisch, weil eigentlich ja ich die Hauptrolle hatte und dann mit so einen blöden Satz enden musste: „Schuster, bleibe bei deinen Leisten“. Das war nicht so schön für mich, aber dafür konntest du ja eh nichts. Da hatte ich aber auch noch gar nicht so richtig begriffen, wie sehr sich der Rainer in Dich verknallt hatte. Bei den Dreharbeiten zu Baal vom Schlöndorff hat es gefunkt zwischen euch beiden. Wahrscheinlich wusstest du es auch noch nicht so richtig, wie das alles geht mit der Liebe unter Männern; aber ihr hattet euren Spaß und wir das Nachsehen. Durch den Film Katzelmacher gab es ja Kohle ohne Ende und der Rainer hat dir jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Immerhin durftest du einige Sportwagen zerlegen, die nicht ganz billig waren: Stingrays von Corvette. Sogar einen Western hat er für dich gemacht: Whity! In dem Film bist du richtig gut und darfst auch noch den Titelsong beisteuern, den der Willy (Peer Raben) erfunden hatte, weil er auch in dich verknallt war, aber Rainer war halt zu Lebzeiten immer der Matchwinner. Ich werde mal wieder bestraft für entgangenes Liebesglück und zum Albino degradiert, der auch noch von dir erschossen wird. Wenigstens hattest du Tränen in den Augen, auch wenn die Anweisung vom Regisseur kam. In der Niklashauser Fart spieltest du einen aufsässigen Bauernführer und siegst und siegst. Ums Haar verbrenne ich fast auf einem Scheiterhaufen. Die Pyrotechnik hat damals der Charlie BummBumm gemacht, den triffst du übrigens auch noch. Danach wurde es ruhiger mit Rainer und dir, im Amerikanischen Freund hattest du die Titelrolle nicht bekommen, obwohl sie eigentlich für dich geschrieben war. Warst wohl nicht ganz artig … Aber besetzt hat er dich danach immer wieder, auch weil die Liebe wohl nicht wirklich erloschen war. Noch in Querelle hattest du ’ne wichtige Rolle. Bei Rainers letzter Geburtstagsfeier in der „Deutschen Eiche“ habt ihr euch lange mitten im Lokal geküsst, das war der beste Beweis für den Spruch: „Alte Liebe rostet nicht“. Das war Ende Mai 1982. Bei dem Stück „Katzelmacher“ in Bad Godesberg hast du die Rolle vom Rainer im Film gespielt. Bei dem Satz: „Du … Augen wie Sterne“ warst du ihm noch nie so nahe. Habe dich lange nicht mehr gesehen. Aber so spielt Leben. Schade. s --Harry Baer hat eines der schönsten Bücher über Fassbinders Leben und Werk geschrieben: „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin – Das atemlose Leben des Rainer Werner Fassbinder“ (Kiepenheuer & Witsch, Köln). ---

Whity von Rainer Werner Fassbinder DE 1971, 92 Minuten, dt. OF

Götter der Pest von Rainer Werner Fassbinder DE 1970, 88 Minuten, dt. OF

Niklashauser Fart von Michael Fengler DE 1970, 86 Minuten, dt. OF

Alle drei auf DVD bei Studiocanal, www.studiocanal.de

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Wagner, eine Boyband von Pau l Sch u l z

Der englische Entertainer Stephen Fry überlegt sich in „Wagner and me“, ob er als Jude eine „Ring“-Inszenierung in Bayreuth sehen darf und macht dabei auf amüsante Weise alles falsch. Im Kino ab 21. Juni. 30


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s Vor drei Jahren hat die schottische Band Chumbawamba auf ihrem Album „ABCDEFG“ ein Lied veröffentlicht, das „Wagner at the Opera“ heißt. Es erzählt die wahre Geschichte davon, wie sich ein älterer Herr mit einer Nummer auf dem Arm während der Aufführung eines Streichquartetts von Richard Wagner in einem israelischen Opernhaus im Jahr 2000 auf seinen Stuhl stellt und solange eine Rassel schwingt, bis Sicherheitskräfte ihn an den Füßen aus dem Saal schleifen. Die letzte Strophe des Liedes geht so: For everyone we lost I swing the rattle loud and long I swing it ’til I drown out All the music and the songs This tattoo will last forever And my memory is long

Film Kino Text

Here’s to no more playing Wagner at the opera Seit der „Reichskristallnacht“ 1937 war es lange Zeit verboten, Wagners Musik in Israel öffentlich aufzuführen und es ist immer noch ein Tabubruch. Der Grund ist einfach: Richard Wagner war ein Antisemit. Er hat das Wort „Judenfrage“ erfunden, als erster eine mögliche „Endlösung“ postuliert und mit als Musikwissenschaft getarnten Hetzschriften wie „Das Judenthum in der Musik“ und „Deutsche Kunst und Deutsche Politik“ schon im 19. Jahrhundert den ideologischen Nährboden gelegt, mit dem seine Landsleute 80 Jahre später jüdische Massengräber zuschaufelten. Wagner hat laut und öffentlich darüber nachgedacht, ob man seinen sehr viel erfolgreicheren jüdischen Kollegen Meyerbeer „nicht einfach beseitigen“ könne, um „wahrer deutscher Kunst“ Platz zu machen. Er war, streng ideologisch gesehen, ein echtes Schwein, ein narzisstisches, verblendetes Monster, das von seinem eigenen Genie so überzeugt war, dass er bis weit in seine 50er warten konnte, um es sich selbst und allen anderen endlich zu beweisen. Denn nachdem er schon andere reiche GönnerInnen um Teile ihres Vermögens und oft auch um einen Großteil ihres Anstands gebracht hatte, fand Wagner in Ludwig II. endlich einen Bewunderer, dessen Taschen tief genug waren, um seine gigantischen Träume zu finanzieren. Dann Bayreuth, Villa Wahnfried, der Ring, Hitler pro und Nietzsche contra, blah, alles hinlänglich bekannt. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ist der Grüne Hügel der Ort, an dem sich das wallende Dekolleté der Kanzlerin und die Verklemmtheit des Außenministers Gute Nacht sagen, der Inbegriff bürgerlicher Spießigkeit, die es sich leistet, die jungen Wilden einzufliegen, um sie den alten Meister inszenieren zu lassen und dann zu buhen oder Tränen des stillen Dankes zu vergießen, weil man nach fünf Stunden auf unbequemen Stühlen endlich wieder aufstehen darf. Wie Sie, liebe Leser, vielleicht schon merken: Ich hasse Wagner. Das was andere „Überwältigungsmusik“ nennen, gibt mir das Gefühl, jemand würfe mir über Stunden immer größer und immer schwerer werdende Torten ins längst wunde Gesicht und hätte eine diebische Freude daran. Wagner-Libretti gehören zum Miesesten, was man in sogenanntem Deutsch überhaupt lesen kann. Wo andere überschwellende Wortkaskaden ins emotional Bodenlose stürzen sehen und sich einfach mitreißen lassen, schreie ich nach einem, oder besser gleich mehreren, Lektoren. Wo manche ein sturmgelocktes Genie sehen, sehe ich einen ekelhaften, missgünstigen Zwerg, der sich bei nichts und niemandem in seinem Leben je beherrscht hat und Glück genug hatte, nützliche, meistens relativ kaputte Idioten zu finden, die ihm seinen Irrsinn zu Lebzeiten bezahlten, um den nach seinem Tod noch zum Kult auszubauen. Wäre Wagner ein Roman, er hätte 6000 wirre Seiten und niemand würde ihn lesen, weil man so viel selbstverliebtes Gerede eben überhaupt nur mit musikalischer Untermalung aushält. Ich kenne niemanden, der Wagner wirklich verehrt, von dem ich nicht finde, dass er in Therapie gehört. Wagner ist Folter und Men-

schen, die Wagner lieben, lassen sich gerne foltern. Womit wir bei Stephen Fry wären. Denn der hat einen Dokumentarfilm gedreht, der Wagner & Me heißt, in dem er ein paar hoch interessante Fragen aufwirft: Darf man als Jude – und Fry ist einer – Wagner lieben? War Wagner überhaupt ein Antisemit? Hat Hitler Wagner einfach nur falsch verstanden? Lässt sich ein künstlerisches Werk von seinem Verursacher trennen? Meine Antwort auf all diese Fragen ist in der Reinfolge: Ja, Ja, Nein und noch nicht, Fry macht es sich nicht ganz so einfach. Allerdings offenbart der einzig wahre Erbe von Peter Ustinov in anderthalb Stunden unabsichtlich, dass auch er in seiner Liebe zu Wagner vernünftigen Argumenten längst nicht mehr zugänglich ist, besonders nicht den eigenen. Was den Film zu einem spannenden, aber letztendlich gründlich schiefgegangenen Experiment macht. Von vorn: Fry spaziert – ganz der schwule, englische Bonvivant – über den Grünen Hügel, berichtet von seinen ersten, frühen Begegnungen mit Wagners Musik und der daraus resultierenden Verehrung, möchte gern endlich auch eine Wagner-Oper am Ort ihrer Entstehung sehen, besucht schüchtern die Proben, schüttelt erschüttert die Hand der Festivalleiterin und fragt sich und den Zuschauer die ganze Zeit, ob er als Jude hier sein darf oder ob er dabei die Seinigen verrät. Das ist süß, aber auch ein bisschen peinlich. Weil Fry so gern

Fry spaziert – ganz der schwule, englische Bonvivant – über den Grünen Hügel dazugehören möchte, dass er eine Swastika und das Bild ermordeter Juden in der neuen Ring-Inszenierung zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem antisemitischen Gehalt von Wagners Schriften hochjazzt; weil er sich im Wesentlichen nur Protagonisten sucht, die ihm in seiner Sinnsuche zustimmen; weil er nach Nürnberg fährt, wo er versucht, Hitler und Wagner auseinander zu dividieren, sich aber gleichzeitig nicht traut, die Führerkanzel zu betreten, von der Hitler Wagner-Aufführungen abnahm; weil er sich in Russland einen Regisseur sucht, der ihm natürlich sagt, Wagner sei universell, nicht deutsch; weil er KZ-Überlebende besucht, die im Lager im Orchester arbeiten mussten und sie fragt, ob denn da auch Wagner gespielt worden sei; weil er zum Schluss vor der Wagner-Büste in Bayreuth beschließt, Wagners Musik sei, Wagner hin oder her, eben doch „On the side of the angels“ und grundgut. Grundgütiger! Man schämt sich als Außenstehender hinlänglich für so viel Naivität, bewundert Fry aber auch ein bisschen für sein Beharren auf dem gewünschten Ergebnis, egal, was so gesagt wird. Und fragt sich immer lauter, warum er dabei so einen Bogen um seine Sexualität macht. Denn aus dem zweiten Band seiner Memoiren „The Fry Chronicles“ kann man erfahren, dass es sein erster Freund war, der Frys „Wagner education“ vervollständigte, indem er ihn eine Woche nach London einlud, in der sie gemeinsam den Ring sahen. „A life changing event“ nennt unser Stephen das. Ich wage das anzuzweifeln. Ich glaube, dass viele schwule Männer – und Fry ist einer – Wagner deshalb lieben, weil er so gut in ihr Leben passt. Ohne allzu sehr psychologisieren zu wollen: Wagner muss sich hier seinen Platz gar nicht suchen und dabei raumgreifend die Ellenbogen ausfahren: Das Gefühl, nicht dazuzugehören, die riesige emotionale Leerstelle, die nach Auffüllung schreit, der Hang zum Überschwang, das Bedürfnis, einer verschworenen Gemeinschaft anzugehören, es ist bei vielen von uns alles schon da. So auch bei Fry, den man als smarten, unfassbar gebildeten Fortsatz von Oscar Wilde und als „the smartest living Englishman“ (The Guardian) sehen kann, aber in seinen Selbstentäußerungen, seiner Drogensucht, seinem komplizierten Sexleben, seinem Hang zu Bonmot und ständiger Ironisierung, seiner Schüchternheit und der permanenten Behauptung, er sei eben bloß Entertainer, 31


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kein wirklicher Künstler (dafür sei er einfach nicht selbstbewusst genug), als relativ typischen schwulen Mann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wagnerverehrung passt zu Frys Persönlichkeitsbild wie der Arsch auf den sprichwörtlichen Eimer. Dass er sich die Frage stellt, ob er das überhaupt darf, was er da doch längst macht, ist nur ein weiterer Beleg dafür, dass er sich das eigene Leben ständig von außen bestätigen lassen muss. Emanzipiert ist anders. Damit mich niemand missversteht: Ich verehre Stephen Fry, zutiefst. Ohne Wilde, Peter’s Friends, Kingdom, seine Romane, seine Zusammenarbeit mit Hugh Laurie und vieles andere aus seinem umfangreichen Werk wäre mein Leben und das vieler, vieler anderer Menschen deutlich ärmer. Er ist, auch wenn er das nicht gerne hören würde, selbst ein komisches Genie und einer der wichtigsten schwulen Männer der letzten 50 Jahre, künst32

lerisch und für die Bewegung. Nur macht ihn das eben nicht unfehlbar. Und Wagner & Me ist ein Fehler, und zwar ein großer. Weil die Fragestellung so falsch ist. Wie so oft sollte sie nicht lauten: „DARF ICH als Jude (und schwuler Mann) etwas tun (zum Beispiel Wagner hören)?“, womit man die Beweislast bei sich ablädt und selbstzerfleischend eine Antwort finden muss, sondern: „Hat etwas (zum Beispiel Wagner) mir als Jude (und schwulem Mann) ETWAS ANZUBIETEN, das mein Leben bereichert?“, was einen dazu führen kann, die Filetstücke von Wagner benutzen zu dürfen, weil es Spaß macht, und den Rest in den Fleischwolf der Geschichte werfen zu können. Frys Frage erlaubt es ihm letztendlich nicht, Wagners Leben vom Zuhörer, also sich selbst, zu trennen, weil die Beweiskette „Wagner = Antisemit = untauglich für Juden“ in ihr schon enthalten ist. Das ist schade, aber macht auch nichts.

Denn wer von Wagner keine Ahnung hat, kann Wagner & Me auch als kleines FryFestival der guten Laune gucken. Wenn er durch Neuschwanstein stolziert und Ludwig II bescheinigt, „den bizarrsten Fanbrief der Welt“ gebaut zu haben, wenn er Eva Wagner auflauert und sie ihm sagt: „I think that’s all just happening in your own head, dear Stephen“, wenn er, während sie flieht, beseelt in die Kamera lächelt und sagt: „I just touched a Wagner, I really did“, und an 50 anderen Stellen, wird eine kindliche Sehnsucht spürbar, die man in jemandem, der auf die 60 zugeht, nicht vermuten würde. Wagner ist Stephen Frys Boyband. Und seine Verehrung für den bösen, alten Mann genauso schlicht und deswegen untauglich für tiefere Analysen wie die vieler anderer schwuler Männer für Joe McIntyre oder Marky Mark. Dass er es trotzdem versucht, gereicht ihm zur Ehre, ist aber eigentlich völlig unnötig, weil Fry nur versucht, Wagner für sich mundgerecht zu machen, ihn „reinzuwaschen“ von Hitler und den Juden und allem, was damit zusammenhängt. Das versuchen Fans jetzt seit 60 Jahren, die ernsthafte wissenschaftlich historische Auseinandersetzung mit dem Phänomen füllt längst Regale. Und ist immer von der einen Haltung geprägt: Ja, Wagner war Antisemit, aber doch nicht wirklich oder nur ein bisschen, und er war damit im 19. Jahrhundert in Europa ja weiß Gott nicht alleine, und das hat doch mit der Musik alles nichts zu tun, und er war ja lange tot, als Auschwitz aufgemacht hat, und eigentlich ist ja Cosima die Böse und Orff und Strauß waren ja auch nicht besser und werden auch in Israel gespielt, und das ist doch alles lange her, und das geht dann tausende Seiten lang relativierend so weiter. Geschenkt. Wagner war Antisemit. Er hat „Das Judenthum in der Musik“ 1950 unter Pseudonym veröffentlicht und 20 Jahre später unter eigenem Namen noch einmal, nur in verschärfter Form, er hatte genau solche jüdischen Freunde wie Ronald Reagan oder Bush jr. schwule Freunde haben, und die Wirkungen lassen sich von den Hebeln eben nicht trennen, ohne dass man die Maschine kaputt macht. Wagner & Me ist ein Lehrstück darin, dass man sich nicht wundern darf, wenn man als Letzter gebissen wird, wenn man die alten, schlafenden Hunde der Geschichte weckt und versucht, ihnen neue Tricks beizubringen. s Wagner & Me von Stephen Fry GB 2010, 89 Minuten, englische OF mit deutschen UT Film Kino Text, www.filmkinotext.de Im Kino ab 21. Juni 2012


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Der Moment Sch r i f tst e l l e r se h en F i lm e: T hom a s Böh m e

Der 1955 in Leipzig geborene Lyriker, Romancier, Essayist und Fotograf Thomas Böhme ist ein begeisterter Kinogeher. In seinen Gedichten beschäftigte er sich schon mal mit Fassbinder, in seinem Roman „Der Schnakenhascher“ wird sogar eine erotische Begegnung mit „Flipper“ geschildert. In unserer literarischen Rubrik nähert sich Böhme einigen Momenten aus Visconti-Filmen in Gedichtform.

Die Bühne Luchino Viscontis ist voll von Trauernden. Doch tragen sie ihre Trauer wie Purpurmäntel und lüpfen ihre Strohhüte unter Baldachinen und schweren, mit Kerzen bestückten Lüstern deren Wachs ihnen über die Stirn rinnt. Die lautlosen Schritte auf Teppichböden die hallenden über Steinfliesen und gewachstes Parkett sind Schritte der Einsamkeit. Und dem Aroma aus zerlaufener Schminke und heißem Begehren ist immer schon etwas Modergeruch beigemischt. Wenn der trunkene König die Bühne betritt stolpernd über die braunen Jungs von der SA drängen von Ferne das Rauschen der Ballkleider der Fischweiber wirres Gekeife und die Schüsse eines Exekutionskommandos hinein in den Saal. Wenn der Monsun den faulen Atem der Cholera über den Strand weht, eine Bettelcanzone den Abend erstickt fällt das verspätete Aufschauen von einer schlampig gefalteten Zeitung, fallen die bitteren Brillengläser der ewig Ungestillten demnach kaum ins Gewicht.

Der Schnakenhascher von Thomas Böhme Edition Cornelius, Halle 2010

Heikles Handwerk von Thomas Böhme Gedichte, Poetenladen Verlag, Leipzig 2010

101 Asservate von Thomas Böhme Connewitzer Verlagsbuch­ handlung, Leipzig 2012

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wir verreisen

„Hors le murs“ von David Lambert (2012)

Es regnet auf unsere Liebe von Ja n K ü n em u n d

Vorschau auf kommende Attraktionen: Streifzüge durch das queere Programm der Internationalen Wasserfestspiele von Cannes.

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wir verreisen

s Regen in Cannes. Stilettos versinken in vollgesogenen roten Teppichen. Straßenhändler verlangen 30 Euro für Regenschirme, die nur einen Schauer lang halten. Wichtige Filmbranchenvertreter betreten mit Mülltüten auf dem Kopf das Carlton. Im großen Leichtbau-Aufsatz-Kino auf dem Dach des Festivalpalastes läuft gerade die Premiere von Sébastien Lifshitz’ Dokumentarfilm Les Invisibles (Wettbewerb, außer Konkurrenz), in dem bezaubernde alte Schwule und Lesben von den Stürmen erzählen, die über ihr bewegtes, offen homosexuelles Leben hinweggefegt sind – während draußen Wind auf das Kino prallt, Notausgangtüren aufbläht, die Tonspur überdeckt und den sonst geübt ins sichere Schwarz eines Kinos Flüchtenden sich angreifbar und ausgesetzt fühlen lässt. In Xavier Dolans neuem Exzess Laurence Anyways (Un Certain Regard) werden handgreifliche Bilder für Überwältigungen, ein Wasserfall beispielsweise, der sich – mitten im Wohnzimmer – über eine von ihren Emotionen fortgespülte Frau ergießt, gleich mitgeliefert. In De rouilles et d’os (Wettbewerb) schließlich wird die elfenhafte Marion Cotillard von einem Wal entzweigeteilt und durch den dauererigierten Drive des Wunderkörperschauspielers Matthias Schoenaerts wieder heile gemacht. Der verwehte Zuschauer wird von Bildern mitgerissen, in denen sich buchstäblich alles überstürzt. Wie fragil ein Menschenleben ist, wie augenschlagskurz das Glück, wie vergänglich das Verliebtsein, wie zerbrechlich die Normalität, wie zart ein Körper, das brach alles als Komplex banger Fragen des queeren Filmprogramms der stürmischen Filmfestspiele von Cannes und seiner Marktvorführungen über einen herein, wenn man sich dem äußeren Sturm und den inneren Angriffen auszusetzen traute. Wie naturgemäß schwankend die Temperaturen der Filme selbst auch ausfielen, ausruhen, fallen lassen in abgesicherte Identitätserzählungen konnte man sich nie. Zu bösartig und abgrundtief verständnislos reagiert die Umwelt auf die Geschlechtstransformation von Laurence, die Cannes-Darling Dolan drei Stunden lang in eruptiven hysterischen Anfällen durchexerziert. Um die Entscheidung geht es, die in einer Autowaschanlage der verstörten Freundin präsentiert wird, und einen Weg zurück gibt es danach nicht mehr. Wird die Beziehung halten, das ist die Frage, wird das nonkonforme, punkige, hübsche, junge Paar zusammenbleiben, wenn sich die Körper und die inneren Koordinaten ändern, wenn man plötzlich gemeinsam aus der Welt fällt und die eigene dagegen noch gar nicht entworfen hat. Dolans oberflächliche und doch so gefährdete Bilder werden nie zum Schutzraum für seine Geschichte, keine zweite Haut für den makellosen Jungen, der zur Frau mit Makel wird. Melvil Poupaud, der glatteste unter den schönen jungen französischen Schauspielern, ist in seiner plötzlichen Angreifbarkeit kaum auszuhalten. Der Film kommt nicht von der Stelle, wächst auf dieser Stelle aber über sich hinaus. Wieder liegt ihm ein narzisstisches Begehren als greller Fixpunkt zugrunde, doch findet er in der Figur der Frau, die sich leidenschaftlich an ihm abarbeitet, einen grandiosen Widerspruch. Ein ganz anderes Paar versinkt in Hors le murs (Semaine de la Critique) im Strudel seiner Unmöglichkeit. Iliar, Bassist und Kellner, Post-Coming-Out-Posterboy, legt sich einen betrunkenen Kneipengast ins Bett, der sich ab sofort mit (porzellanheller) Haut und (blonden) Haaren kompromisslos an ihn hängt. Paulo ist ein Irrlicht, ständig auf der Suche nach Menschen, die sich um ihn kümmern, doch in dieser Suche so klar und entschieden, dass Maß und Realismus keine Größen mehr für ihn darstellen. Wie Matila Malliarakis das spielt, hat man noch nicht gesehen, ein Strich in der Landschaft, der für das, was er will, durch Wände zu gehen gewohnt ist und plötzlich damit klarkommen muss, dass manche Wände ihm standhalten. Was als charmante Liebesgeschichte anfängt, die für alle Standards (erster Kuss, erster Sex, erster Zweifel) tatsächlich neue Bilder findet, erhält in der zweiten Hälfte einen furchtbar traurigen Sog, der dennoch ganz aus der schönen Eigensinnigkeit der Figuren entwickelt wird.

Aufgewühlt lässt man sich danach vom warmen Regen auf der Croisette weiter aufweichen. Lauter Liebes-Zerreißproben auch in den versteckten Vorführungen der noch nicht öffentlich präsentierbaren Filme. Da können zum Beispiel ein israelischer Anwalt und ein palästinensischer Student einfach nicht ankommen gegen Homophobie, Polizeigewalt, Erpressung, Mütter, Grenzen, Strukturen. Eine Liebe auf den ersten Blick, eine Beziehung mit letzter Kraft. Woanders hat Eytan Fox seine Geschichte von Yossi weitererzählt, der sich einst in den Soldaten Jagger verliebte und diesen durch eine Mine verlor, seitdem in Traurigkeit versunken, dick, ängstlich, lebensunlustig geworden ist – bis er einen findet, der diesen Panzer (vielleicht) zu durchbrechen vermag. Es gibt eine Brokeback-Mountain-Szene darin: wie Yossi zufällig Jaggers Mutter trifft, sich an deren Wohnzimmertisch setzt, nicht anders kann als die Liebe zu ihrem toten Sohn zuzugeben, diesen damit posthum zu outen und alle in seinen Traurigkeitsstrudel mitzureißen – bis Jaggers Vater die Initiative ergreift und Yossi in Jaggers unberührtes Jugendzimmer lässt, als stilles Zeichen des Mitgefühls. Ganz woanders, in einem Film, der noch gar nicht fertig ist, wird die Liebe zweier kubanischer Jungs schlicht und einfach dadurch erdrückt werden, dass sie kaum was zu essen haben, die Bedürfnisse ihrer Familien, ihrer Frauen und ihrer Freier befriedigen müssen und gar keine Möglichkeiten haben, ihren eigenen nachzugehen. Was auf Soap-Niveau erzählt wird, aber zwischendurch eine ungeheure Komplexität erreicht, in der er diese beiden zerbrechlichen Jungs handlungsunfähig macht, ohne ihnen seine Liebe zu entziehen. Und dann gab es da noch im windstillen Raum eines kleinen Innenstadt-Kinos die Komödie eines lebensunfähigen schwulen Wirrkopfs, der zu allem Überfluss von traurigen Geistern heimgesucht wird. Die Geschichte liegt so schief wie ihr Held, aber es kommen immer wieder Bilder an die Oberfläche, die man vor lauter Verrücktheit gar nicht an die stürmische Luft lassen möchte. Ein riesiger Keller voller alternder Transsexueller, die an Nähmaschine sitzen und über das geheime Wissen der Stadt verfügen, zum Beispiel. Dass man am Ende in einem Film landet, der in einem Hotel spielt, an dem ein Hochwasser tragender Mekong vorbeifließt, scheint geradezu zwangsläufig zu sein. Der Regisseur Apichatpong Weerasethakul instruiert einen Gitarristen zu einer langen Probe melancholischer Folksongs, schlägt seinem Lieblingsschauspieler vor, das sexy Disco-Shirt und die Jeans mit der großen Schrittwölbung für den Film (Mekong Hotel, Wettbewerb, außer Konkurrenz) anzuziehen, lässt in einer Dreiergeschichte dann einen Eingeweide fressenden Geist die Menschenkörper wechseln und entlässt uns am Ende mit einem Ballett mehrerer Wasserscooter, die den großen schnellen Fluss im Sonnenuntergang vermessen. Spätestens hier ist man so hypnotisiert, dass man willenlos in den Fluss springen und sich heraustreiben lassen möchte aus dem durchnässten Chichi des Festivals. Wer am Ende die „Queer Palm“, den queeren Filmpreis des Festivals, gewonnen hat, stand zu Redaktionsschluss noch nicht fest. s

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Frühreif in Dänemark von Di no H eick e r

Der dänische Coming-Out-Film „Freunde für immer“ („Venner for altid“) verursachte 1987 einen ziemlichen Wirbel in der internationalen Festivalszene. Unter anderem waren eine Eurovision-Song-Contest-Teilnehmerin und ein Handballprofi in recht offenherzigen Sexszenen mit ziemlich jungen Männern zu sehen. 25 Jahre später kommt dieser verhinderte Klassiker der queeren Filmgeschichte endlich auf VHS raus. Quatsch … auf DVD natürlich.

s Wieder so eine Herausforderung im Auftrag der Sissy: Ich bekomme eine Videokassette zugeschickt und kann mich erst einmal auf die Suche nach einem geeigneten Abspielgerät machen. Glücklicherweise gibt es in meinem Bekanntenkreis noch Männer mit dem nötigen Equipment. Nachdem nun der DVD-Player aus- und der Videorekorder eingestöpselt ist, kann die Kassette ihrer Bestimmung zugeführt werden. Auf der Hülle prangt ein handschriftlicher Vermerk in rot: „Mutter! Nicht rausgeben!“ Na, wenn das nicht verheißungsvoll klingt! Schauen wir also mal, was diese Mutter aller Videotapes so über die Zeiten gerettet hat. Zu Beginn des Films Freunde für immer kommt ein junger Mann neu an eine Schule. Zur Begrüßung fliegt ihm auf dem Pausenhof ein gelber Tennisball an den Kopf. Ein properer Blondschopf hat ihn geworfen, der lacht, nicht unfreundlich. Der Neue verzieht keine Miene. Sein Name: Kristian Malmquist (Claus Bender Mortensen), Ort der Handlung: Dänemark, genauer Kopenhagen, Zeit: 1987. Als Kristian versucht, sich an der neuen Schule zurechtzufinden, gerät er in einen Zwiespalt. Da ist zum einen die Clique um den Schulhofrabauken Patrick (Thomas Sigsgaard), zum anderen der Einzelgänger Henrik (Thomas Elholm) mit Pferdeschwanzfrisur, der sich in Tai Chi übt und den die Klassenkameraden als Schwuchtel verspotten. Zwar fühlt sich Kristian zunächst zu Henrik hingezogen, hat aber Angst, er könne durch sein Faible für den gemobbten Mitschüler selbst zum Außenseiter werden. Also schließt er sich immer stärker Patrick und seinen Kumpeln an. Deren Gespräche drehen sich hauptsächlich um Mädchen beziehungsweise den Sex, den die Jungs in aller Regel noch nicht hatten, was sie aber nie zugeben würden. Ein schöner Effekt des Films ist, dass sich letztlich nicht der zu allem Überfluss auch noch als Fotomodell jobbende Henrik als schwul herausstellt, sondern der kerlige Patrick. Er ist es, der in Stefan Henszelmans Film Kristians Freund für immer wird, und die beiden jungen Männer entdecken zur selben Zeit die Liebe – der eine hetero-, der andere homosexuell. Wer heute an Dänemark denkt, hat häufig ein in sexuellen Dingen liberales Land vor dem geistigen Auge: Porno (in welcher Form auch immer) und Dänemark waren für die 1970er-Jahre quasi Synonyme. 36

Das hatte mit der Gesetzgebung des Landes zu tun, in dem Pornografie 1969 freigegeben wurde, was dazu führte, dass bis Mitte der 1970er Jahre beinahe ein Drittel aller dänischen Filme mit Soft- oder Hardcoreszenen aufwarteten. Doch so unverklemmt ging man dortzulande mit Sexualität nicht immer um, schon gar nicht, wenn es sich um Homosexualität handelte. So hat der berühmte dänische Schriftsteller Herman Bang seine eigene homosexuelle Veranlagung beziehungsweise das durch die gesellschaftliche Stigmatisierung derselben hervorgerufene Leiden in seinen Werken mehrfach chiffriert thematisiert. Ein Beispiel dafür ist sein Roman „Michael“ von 1904, in dem ein älterer Maler sein junges Modell Michael derart verehrt, dass er ihm jede neue Enttäuschung großherzig verzeiht, ja ihm schließlich sogar sein gesamtes Hab und Gut vermacht. In diesen Roman flossen nicht zuletzt eigene schmerzliche Erfahrungen des Autors mit einer schwulen Liebesbeziehung ein, die ihn mit dem jungen Schauspieler Fritz Boese verbunden hatte. Doch Bang beließ es nicht nur bei der literarischen Camouflage seines Begehrens. Anno 1909 machte sich der Schriftsteller expressis verbis „Gedanken über das Sexualitätsproblem“. Dieser gemeinsam mit seinem Berliner Arzt Max Wasbutzki auf Deutsch verfasste Text sollte, so Bangs Forderung, nach seinem Tod in einer ärztlichen Zeitschrift erscheinen. Nach jahrelangen Streitereien mit den Erben des 1912 verstorbenen Schriftstellers erschien der Text 1922 in einem auf sexualwissenschaftliche Texte spezialisierten Verlag in Bonn, während er in Dänemark erstmals 1957 in einer ,Erotischen Anthologie‘ veröffentlicht wurde. Darin heißt es unter anderem: „Größeres wird der homosexuelle Dichter leisten können, wenn eine Zeit kommen wird, wo er seine Gefühle direkt auszudrücken wagt; wenn er die jetzt nötige Verkleidung überhaupt aufgeben könnte, würde er erst die volle Ursprünglichkeit und die vollkommene Stärke seines Talents entfalten können.“ Dass diese Möglichkeit zu Bangs Lebzeiten nicht bestand, versteht sich von selbst. Es sollte aber noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein dauern, bis zumindest in Europa und Nordamerika die Möglichkeiten für schwule Künstler vorhanden waren, einigermaßen offen mit ihren Gefühlen umzugehen und diese kreativ umzusetzen. Bei dieser Entwicklung spielten


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nicht zuletzt auch skandinavische Filmemacher von Anfang an eine wichtige Rolle. So drehte beispielsweise der schwedische Regisseur Mauritz Stiller 1916 den Film Vingarne, der heute Anspruch darauf erheben kann, einer der ersten Filme mit (dezent) schwuler Thematik zu sein. Vorlage zu dem nur noch fragmentarisch erhaltenen Streifen war Bangs Roman „Michael“. Carl Theodor Dreyer, einer der größten dänischen Regisseure, sollte dann acht Jahre später für die deutsche Ufa diesen Stoff nach einem zusammen mit Fritz Langs Gattin Thea von Harbou verfassten Drehbuch neu verfilmen, Walter Slezak spielte damals den begehrten jungen Mann. Dass die Verhältnisse in den 1980er-Jahren in Dänemark für schwule Männer besser, jedoch keineswegs perfekt waren, auch das macht Freunde für immer deutlich. Das dem Film vorangestellte englische Motto „Innocence is no excuse“ ist Programm. So reagiert der im doppelten Sinne ,unschuldige‘ Kristian – anfangs ist er ebenso unberührt wie unbedacht – hochgradig verstört, als sein bester Freund Patrick vor seinen Augen mit dem älteren Mads knutscht. Letzterer wird übrigens von dem Handballprofi und Olympioniken Morten Stig Christensen dargestellt. Prompt rückt Kristian von seinem Freund ab und lässt sich auf einen One-Night-Stand mit einer reifen Sängerin (Lill Lindfors) ein, die ihn auf ihrem Hotelzimmer vernascht. Auch damit verweist der Film auf Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit: 1976 war in Dänemark das Schutzalter für männliche Jugendliche auf 15 Jahre gesenkt worden, wovon eben nicht nur schwule Männer profitierten. Und dass bei aller Liberalität der Gesetzgebung die gesellschaftliche Wirklichkeit für Schwule in Dänemark Ende um 1985 durchaus noch so ihre Diskriminierungen bereithielt, wird ebenso wenig verschwiegen. Auf einer Veranstaltung zur beruflichen Orientierung outet sich Patrick vor der versammelten Schülerschaft. Auf die allgemein gehaltene Frage nach besonderen Qualifikationen lautet seine Antwort, er sei schwul. Prompt gerät der Referent ins Stottern und die Schuldirektorin löst die Versammlung kurzerhand auf. Immerhin führt dieser Vorfall bei Kristian dazu, sich mit Patrick zu solidarisieren und eine Flugblattaktion auf die Beine zu stellen, um das Fehlverhalten der Schulleiterin öffentlich zu machen. So ist seine Freund-

schaft mit Patrick zwar gerettet, doch wie es mit seinem Verbleib an der Schule aussieht, bleibt offen. Indem alle Darsteller in bunten Kostümen auf einer Bühne im Park gemeinsam ein Lied anstimmen, endet der Film einigermaßen surrealistisch im Stil der Musikvideos jener Zeit. Für einen kurzen Augenblick ist in diesem fröhlichen Treiben auch Regisseur Henszelman zu sehen, dessen erster Spielfilm Freunde für immer war. Zwei Jahre zuvor hatte der Absolvent der dänischen Filmhochschule, die er zeitgleich mit Lars von Trier besucht hatte, mit dem Kurzfilm Try To Remember auf sich aufmerksam gemacht, seiner Examensarbeit, die 1985 auch auf der Berlinale vorgestellt wurde. Sein zweiter, 1989 gedrehter Spielfilm Dagens Donna sollte dann einmal mehr homoerotische Verwicklungen zum Inhalt haben, wobei hier zwei liebende Frauen im Mittelpunkt standen. Im selben Jahr war Dänemark dann auch weltweit das erste Land, das gleichgeschlechtliche Partnerschaften zuließ. Henszelman blieb jedoch keine Zeit für weitere Filme, er starb am 2. Oktober 1990 im Alter von 31 Jahren an den Folgen von Aids. s

Freunde für immer von Stefan Henszelman DK 1986, 94 Minuten, dänische OF mit deutschen UT Ab August auf DVD bei der Edition Salzgeber, www.salzgeber.de

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Gute alte Hipsterschule von Ja n K ü n em u n d

„Er war schwul, er nahm Drogen, er erschoss seine Frau und er sah nicht allzu gut aus.“ Diese Steilvorlage in indirekter Schmährede von John Waters macht sich der Porträtfilm „William S. Burroughs – A Man Within“ zum Programm, um Nostalgikern und Unwissenden den ultimativen schwulen Rebellen und Antispießer der modernen Literatur vorzustellen. Wir können nicht anders, als in diesen Heldengesang einzustimmen. On the Road, à la recherche du temps perdu, sozusagen.

s Auf einer gymnasialen Studienfahrt Anfang der 90er (neun Tage Paris), drückte mir mein Heterofreund, der damals auf Lou Reed und Velvet Underground stand, „Naked Lunch“ von Burroughs in die Hand. Schon auf der Hinfahrt im Bus fing ich an zu lesen. Später lasen wir beide das Buch laut vor, damit auch unser Zimmergenosse, der Sitzenbleiber aus der Hippiefamilie, was davon hatte. Während die Mädchen aus der Klasse nach Eurodisney wollten, zu Dönald Döck, verließen wir das unromantische Hostel im chinesischen Viertel, um um 11 Uhr morgens in einem Kellerkino am Centre Pompidou Trash von Warhol/Morrisey zu sehen, danach wahlweise den toten Jim Morrison oder den toten Oscar Wilde zu besuchen und jeden Mittag im gleichen Imbiss einer alten Vietnamesin schlecht zu essen. „Naked Lunch“ half uns sehr bei diesem Alternativprogramm. Mein Heterofreund wollte danach Schriftsteller werden. Das Hippiekind Drogen nehmen. Und ich schwulen Sex haben. Das war alles so schnell vor Ort nicht umsetzbar. Aber Freiräume taten sich auf, Gegengifte zum westdeutschen Kleinstadtleben zwischen Mathe-Dreiminus und Jägermeistercolaparties, Ahnungen, was das ultimativ Gegensätzliche zu den Anforderungen des noch überschaubaren Lebens sein könnte. Ich jedenfalls „studierte“ gerade schwule Sexszenen bei Genet und Pasolini und hatte dadurch einen erweiterten Literaturbegriff. Und Glück mit meinen Heterofreunden, denn ansonsten las man ja damals eher den schrecklichen Bukowski. Und so lag über unserer pubertären Studienfahrt also plötzlich der knarzende Ton des Beat-Literaten William S., der von Parasiten faselte, das Bewusstsein und die Sprache erweitern wollte, Jungs jagte und auf alles einen ziemlichen Hals hatte. Inspiriert davon landeten wir drei sehr bewusst in einer Pariser Schwulenbar mit nackten Kellnern, wo meine Heterofreunde ziemlichen Spaß hatten, Cocteauzeichnungen an den Wänden betrachteten 38

und kostenlos ausliegende Kondome einsteckten, während ich mir Burroughs-Lookalikes mit schlechten Zähnen und schlechtem Atem vom Hals hielt, denn ich war jung und hatte noch keinen Respekt vor dem Alter. Vielleicht doch erst noch ein bisschen lesen und dann was in die Praxis umsetzen, überlegte ich, während meine Heterofreunde knutschten. Ich kann diese nostalgische Erinnerung mühelos einarbeiten in das Annäherungsgewebe des Burroughs-Films von Yony Leyser, in dem sich diverse Menschen, denen Burroughs beim Anders- und Dagegen-Sein half, versuchen, einen Reim auf diesen unmöglichen Menschen zu machen und der Regisseur wiederum Bilder dafür sucht. Fantastisches Material hat er zu bieten: sachliche Waffenund Schlangenhändler, wehmütige Freunde, lebenskluge Tunten, exaltierte Biografen wundern und spreizen sich, das hört gar nicht mehr auf, Genesis P-Orridge schürzt raunend große rote Lippen, Patti Smith singt ein Schlaflied und alle reden vom schlechten Sex und den guten Drogen des William S. Burroughs. Pope of Dope, King of Punk, Shotgun Artist. Held der Gegenkultur. Heiliger der Misfits. Gay Rights Movement? Burroughs war keinen Tag im Leben „gay“ und niemals Teil einer Bewegung. Das war besser als die nervigen Hippies wie Ginsberg, findet John Waters. Und doch sind die Szenen zwischen Ginsberg und Burroughs das Berührendste am ganzen Film: „Warst du eigentlich mal sexuell an mir interessiert?“ – „Nein.“ – „Aber ich war doch mal ganz süß!“ … Auf der Rückbank im Bus nach Hause, wahrscheinlich auf der Périphérique, die letzten Seiten, so laut, dass der Französischlehrer es hören konnte: „Eine dröhnende Woge von Presslufthämmern in der purpurbraunen Abenddämmerung, vergiftet vom fauligen metallischen Gestank der Abwässer … die jungen Gesichter der Arbeiter verschwimmen in der gelben Aura von Karbidlampen … geborstene


neue visionen

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Rohre ragen aus der Erde … Sie krempeln mal wieder die Stadt um.“ Und jetzt? „Howl“ wird verfilmt als schlecht animierte Zensur­ anklage. Ausgerechnet Walter Salles dreht On The Road. Und Burroughs kriegt einen Erinnerungsfilm. Noch immer scheinen gegenkulturell interessierte Jugendliche Beatliteratur im Gepäck zu haben. Mein Heterofreund, der Schriftsteller werden wollte, hat später mal Drehbücher für Sat.1 geschrieben und organisiert jetzt alternative Stadtführungen. Über die Drogenkarriere des Hippies weiß ich nichts. Und ich schreibe über einen Film über Burroughs. s

William S. Burroughs – A Man Within von Yony Leyser US 2010, 87 Minuten, englische OF mit deutschen UT Auf DVD bei Neue Visionen, www.neuevisionen.de

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Neu auf DVD von M a i k e Sch u ltz (ms), Pau l Sch u l z (ps) u n d Ja n K ü n em u n d (j k)

Auf Der Suche DE/FR 2011, Regie: Jan Krüger, Edition Salzgeber

„Schon eine Woche lang fehlt von Simon jegliche Spur. In der Klinik, in der er als Arzt arbeitet, hat er sich Urlaub genommen, sein Appartement ist unaufgeräumt, der Kühlschrank nicht geleert. Seit er nach Frankreich gegangen ist, hatte Valerie nicht mehr viel Kontakt zu ihrem Sohn. Sie hat Jens aus Berlin kommen lassen, den Ex-Freund von Simon, dem er bis zuletzt nahe stand – näher jedenfalls als ihr, der Mutter. Schon die erste Begegnung ist aufgeladen von latenter Eifersucht und Misstrauen. Jens wird Valeries Verbündeter auf einer Reise ins Ungewisse, aber auch Konkurrent im Kampf um das Vorrecht an Simons Leben, der sich irgendwann beiden entzogen hat. (…) Für Jens wird die Suche zum Selbstzweck. Es geht nicht mehr darum, jemanden oder etwas zu finden, vielmehr muss der träge begehrende Leib in Bewegung gehalten, dem emotionalen Vakuum entgegengestellt werden. Im dunkelsten Bild des Films presst sich Jens an einen jungen Kerl aus dem Maghreb, den er auf dem Fußballplatz aufgegabelt hat. Doch der fremde Körper bleibt uneingenommen. Die schwarzen Augen sind für die Suchenden unlesbar. Sie stürzen hinein und verlieren sich, weil sie sich längst schon selbst aufgegeben haben.“ (Gunther Geltinger in SISSY 11)

DIE HAUT, IN DER ICH WOHNE ES 2011, Regie: Pedro Almodóvar, Universum Film

„In der Hülle eines zahlreiche Vorbilder edler und billigster Machart dieses Genres zitierenden Horror-Streifens begibt sich der Regisseur auf eine Forschungsreise über und unter das größte Organ des menschlichen Körpers, die anstatt Klarheit immer weitere Fragezeichen produziert − und die, wie von Kritikerseite anlässlich der Uraufführung in Cannes auch schon bemängelt wurde, zunächst eine geradezu wissenschaftliche Kälte ausstrahlt. Je weiter die Handlung allerdings zu ihrem Gänsehautfinale vordringt, desto mehr geht sie einem unter die Haut. Und wie 40

nicht selten bei Almodóvar verläuft sie nicht linear, sondern schälen sich ihre (psycho-)logischen Voraussetzungen und inneren Zusammenhänge wie beim Häuten einer Zwiebel erst allmählich in Form zahlreicher kunstvoller Rückblenden her­aus. Typisch auch, dass die Geschichte nur in ihrer spezifischen filmischen Verpackung zu überzeugen vermag und in ihrer schnöden verbalen Nacherzählung geradezu haarsträubend wirkt.“ (Christoph Meyring in SISSY 11)

WILLIAM S. BURROUGHS – A MAN WITHIN US 2010, Regie: Yony Leyser, Indigo/Good Movies!

„Noch immer scheinen gegenkulturell interessierte Jugendliche Beatliteratur im Gepäck zu haben. Mein Heterofreund, der Schriftsteller werden wollte, hat später mal Drehbücher für Sat.1 geschrieben und organisiert jetzt alternative Stadtführungen.“ (Siehe Seite 38.)

OFF BEAT CH 2011, Regie: Jan Gassmann, Edition Salzgeber

Rapper Lukas wird von seinem Produzenten Mischa, mit dem er auch eine Affäre hat, fallengelassen. Außerdem muss er mitansehen, wie sein Bruder Sämi auf der Bühne und bei Mischa seinen Platz einnimmt. „Der Regisseur hat seinen Spielern die zu drehende Szene jeweils mündlich erzählt und die Figuren danach miteinander konfrontiert. Diese herangehensweise habe dem Filmteam ‚immer wieder dokumentarische Geschenke beschert‘ – möglicherweise auf Kosten der Dialoge. Andererseits führen die Aufnahmen mit einer sensiblen Handkamera und die Maxime, möglichst nur mit vorhandenem Licht zu drehen, zu eindrücklich düsteren, authentischen Stadtbildern, wie man sie aus der schönen sauberen Schweiz selten sieht. ‚Mich fasziniert das Unperfekte, Dreckige und selbst erlebte viel mehr als die perfekte Kamerafahrt‘, fasst Gassmann zusammen. Gepaart mit den Rapeinlagen, den Studiosessions und einem grandiosen Gesangsduell der beiden Brüder

resultiert daraus ein dichter, oftmals poetischer Musik- und Milieufilm, der die tot geglaubten Keller einer geschichtsträchtigen Zürcher Subkultur wieder aufleben lässt.“ (Simon Froehling in SISSY 12).

NOORDZEE, TEXAS BE 2011, Regie: Bavo Defurne, Edition Salzgeber

„Die Welt, die in Noordzee, Texas kippt, ist die von Pim, der mit seiner Mutter Yvette in einem windschiefen Haus in einem kleinen Ort an der Nordseeküste wohnt, demselben Kaff, in dem auch Defurne aufgewachsen ist. Yvette ist Akkordeonspielerin und benimmt sich wenig mütterlich. Vielleicht ist ihr Kind deswegen so still. Sein bester Freund ist drei Jahre älter, heißt Gino und ist genau so, wie man sich jemanden vorstellt, der Gino heißt: Wildes schwarzes Haar über glühenden Augen, Lederjacke, Motorrad, kranke Mutter, die er sehr liebt, um die er sich aber wenig kümmert. Außerdem hat er eine Schwester, Sabrina. Sie ist ziemlich in Pim verliebt. Der merkt davon nichts, denn er hat nur Gino im Kopf, und wenn sie nachts im Zelt am Strand alleine sind oder mit dem Motorrad an einen abgelegenen Küstenstreifen fahren, hat er Gino auch noch ganz woanders. (…) Das Grundgefühl in Defurnes Werk ist, auch wenn er das vielleicht nicht gerne hört, der Wunsch danach, die Welt durch Liebe zu heilen. Es geht immer um Schmerz und die Möglichkeit, dass er irgendwann aufhört, um Sehnsucht und den Wunsch danach, dass sie gestillt werden möge, um Schönheit und die wahnwitzige Vorstellung, sie könnte von Dauer sein. Schwule Träume eben.“ (Paul Schulz in SISSY 13)

THE LOOK – CHARLOTTE RAMPLING DE/ FR 2011, Regie: Angelina Maccarone, Indigo / Good Movies!

„Maccarone, seit ihrem Debüt Kommt Mausi raus?! und späteren Schmuckstücken wie Fremde Haut und Verfolgt verlässliche Heldin des nichtheterosexuellen Kinos, will hier nicht die Lebensgeschichte der Ram­


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p­ling erzählen. Ihre wichtigsten Filme werden gestreift, Viscontis Die Verdammten natürlich, und die beiden François-Ozon-Werke Unter dem Sand und Swimming Pool, aber klassisch Biografisches, Anekdoten aus Kindheit und Jugend etwa, gibt es kaum. Es geht darum, wie diese Frau die Welt sieht, wie sie sich sieht, und wie wir sie sehen. Die Kühle. Das Monster. Die Verführerin. Die Künstlerin. Die Geheimnisvolle. All das ist sie und das spielt sie, im Film und im Leben. Hauptsache nicht belanglos. Lieber ein Monster als nett, sagt sie an einer Stelle, und dafür liebt man sie.“ (Daniel Sander in SISSY 11)

AUSENTE AR 2011, Regie: Marco Berger, Pro-Fun Media

„Die Story von Ausente folgt entlang der ersten zwei Drittel einer Art queerem Lolita-Motiv: Ein junger Mann täuscht während des Schwimm­ unterrichts Schmerzen im Auge vor. Sein Ziel ist es, von seinem Lehrer, einem eher unauffälligen, ruhigen Mann, zum Arzt gefahren zu werden. In seiner Inszenierung erinnert das alles an einen Thriller mit dem bekannten Motiv des unbescholtenen Menschen, in dessen Leben sich unverhofft ein Fremder einnistet, der die Freundlichkeit seines Gastgebers ausnutzt. Doch hier führt Ausente den Zuschauer in die Irre, um bald eine zweite, noch tragischere Seite zu offenbaren: Kurz nach der Konfrontation zwischen Lehrer und Schüler dreht sich die Erzählung um 180 Grad und Berger rollt alles Geschehene noch einmal neu auf. Plötzlich wird klar, dass die intime Begegnung mit dem Jungen bei Sebastián mehr Spuren hinterlassen hat als bislang verraten. Tiefe Spuren. Und so widmet sich der zweite Teil des Films den Leiden eines Mannes, in dem unverhofft eine Sehnsucht geweckt wurde, die sich nie einlösen lassen wird. Was der Film vorher spannungsvoll als ein Zu-viel an (vor allem kör-

perlicher) Nähe kommuniziert hat, ist nun plötzlich ein Viel-zu-wenig. Allerdings ist es diese Abwesenheit von Nähe und Sex, welche die eigentliche Spannung des Filmes ausmacht und das Begehren sowohl auf der Leinwand als auch beim Zuschauer sogar noch verstärkt.“ (Hanno Stecher in SISSY 12)

BEAUTY ZA / FR 2011, Regie: Oliver Hermanus, Pro-Fun Media

Ein Familienvater aus der weißen südafrikanischen Mittelschicht entwickelt eine unausgesprochene Leidenschaft für den jungen Freund seiner Tochter. „Immer wieder verknüpft der Film Über ­wachungsbilder mit dem Blick von François: am Strand, an dem Christian mit einer jungen Frau liegt, in einem Restaurant, wo zwei Männer miteinander sprechen und sich küssen. Die Kamera bleibt jederzeit kalt und unbeteiligt. Sie nimmt den verrauschten Porno, in dem zwei gut aussehende Boys mechanisch miteinander ficken, mit der selben Gleichgültigkeit zur Kenntnis wie die animalisch grunzenden Männer, die es vor dem Fernseher miteinander treiben. Bevor die Figuren des Films irgendeinen Ort in einen Schauplatz von Gefühlen, Hoffnungen, Ängsten verwandeln, ist die Kamera oft schon da: Sie liegt in einem Auto, in das gleich jemand einsteigen wird, sie steht in einem Büro, das gleich einer betritt, sie hat sich schon in einem noch leeren Hotelzimmer niedergelassen. Und wenn die Filmfiguren längst schon wieder weg sind, glotzt die Kamera mit der gleichen Neutralität in die Gegend: Ob hier gerade etwas geschehen ist, oder ob gleich etwas geschehen wird, spielt für automatische Bildaufzeichnung keine Rolle. Die erfüllten oder enttäuschten Konventionen der Montage und die erfüllten oder enttäuschten Erwartungen der Zuschauer_innen sind es, die all das mit Sinn überfluten.“ (André Wendler in SISSY 13)

CODEPENDENT LESBIAN SPACE ALIEN SEEKS SAME US 2011, Regie: Madeleine Olnek, Pro-Fun Media

Immer wenn man glaubt, so ziemlich jede queere Lovestory schon gesehen zu haben, kommt eine Idee aus den USA und beweist das Gegenteil. Auch wenn die Assoziationen bei diesem Sci-Fi-Trash nur so sprießen, ihre Mischung macht’s: Schon der Trailer wirkt, als hätte Regisseurin Madeleine Olnek eine Invasion à la Iron Sky und die Bastelfreude von Ijon Tichy mit dem Soundtrack von Raumschiff Edelweiß kombiniert. Nach einem dicken Joint vermutlich. Denn anstatt einer lesbischen Fantasie von Star-Trek-Figuren entsprechen ihre Protagonistinnen eher Nosferatus kleinen Schwestern, mit ihren Glatzen und den hoch gestellten Umhangskragen. Sie stammen vom Planeten Zots und werden zur Erde verbannt, weil ihre Gefühlswellen angeblich die Ozonschicht zerstören. Ihre Mission: Sich von Erdlingen das Herz brechen zu lassen, denn erst gefühlskalt gestellt und damit ungefährlich für das Ökosystem dürfen sie nach Hause zurück. Dabei scheint es zunächst eher abwegig, dass diese Wesen überhaupt emotional agieren. Sie verziehen keine Miene, reden monoton wie Roboter und ihr Lachen entpuppt sich beim ersten (Kino-)Date als mechanisch-lautes Ausrufen der Wörter „Ha! Ha! Ha!“ Ins Herz schließt man Zoinx, Barr und Zylar dann aber doch. Zum Beispiel, weil sie stundenlang vor einer selbstdrehenden Dessertauslage stehen. Zum Heulen, wie der ersehnte Käsekuchen sich immer wieder von ihnen fortbewegt! Und all das nur, um sich mit traurigen Szenen abzustumpfen und so das Liebesverbot zu umgehen. Kein Wunder, dass diese Low-Budget-Produktion ein Publikumshit beim Sundance Festival 2011 war. Sogar Geheimagenten sowie die echte Nachricht eines Ufos über Chelsea spie-

präsentiert neu auf DVD und als Download: hamburger morgenpost

Wendy (Michelle Williams) ist mit ihrem Hund Lucy auf dem Weg nach Alaska, in der Hoffnung dort einen gut bezahlten Sommer-Job zu finden. Als ihr Auto in einer Kleinstadt in Oregon seinen Geist aufgibt und das knappe Budget keine Reparatur erlaubt, sieht sich Wendy mit mehr als einem Problem konfrontiert. Denn sie wird beim Stehlen von Hundefutter erwischt, und während sie in Polizeigewahrsam ist, verschwindet auch noch Lucy.

♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥

gt Jeder ektrtieweg! sein F

K e r np e t e rL e c t io n coL

„amerikanisches independent-kino, wie man es so wahrhaftig schon lange nicht mehr gesehen hat.“

„ein vollkommenheit dieses films ist weder kalkuliert noch eingepaukt. es ist die stimmigkeit von lyrik. wie von selbst setzen sich ihre diskreten bilder zueinander in beziehung und schliesslich unter die haut.“

domenica

R NE K R E T E P ION T C E L L O C

ependent-hrisches ind wa „amerikan wie man es so hr kinogheth,hon lange nicht me poSt haftig sc hat.“ Hamburger morgen gesehen

Prod.

Sprachen

subtitles

Deutsch English

English

Ländercode

System

Laufzeit

Bildformat

Tonformat

0

NTSC Farbe, s/w

152 min

16:9, 4:3

???

Code-free

ICA N E M DO gt Jeder krttieweg! sein Fe

mit der echten

Domenica! ♥♥♥♥♥

frankfurter rundschau

D 1986 – 2010

Die Lebensgeschichte von Deutschlands prominentester Hure

anDrea FerréoL nicoLette Krebitz ♥♥♥♥♥

Hans michael rehberg christoph Schlingensief

Extras: 8 pages booklet with A-Z index

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Dieser Bild/Tonträger ist nur für private Vorführungen bestimmt. Öffentliche Vorführung, Sendung und Vervielfältigungen jeglicher Art sind untersagt. Vermietung oder Verleih nur mit schriftlicher Genehmigung der Filmgalerie 451. © 2010 Filmgalerie 451, Berlin | Gestaltung: Moniteurs, Berlin | Screendesign + Authoring: k2film

„Ein spektakulärer Film!“

ISBN 978-3-941540-31-6

www.filmgalerie451.de 45367


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len darin eine Rolle. Auch lesbische Klischees nimmt Madeleine Olnek klug aufs Korn: Barr und Zylar stellen Lichtjahre von der Heimat entfernt fest, dass sie eigentlich ganz gut zusammen passen, wäre da nicht Zylars unverbesserlicher Hang zur Polygamie. Und dann ist da noch Erdling Jane, die hinterm Tresen eines New Yorker Schreibwarenladens verstaubt und von der großen Liebe träumt. Da kommt Zoinx gerade richtig. Wen stören schon Kiemen und ein extravaganter Tanzstil, wenn man endlich nicht mehr allein einschlafen muss? Lisa Haas, die schon als wandelnder Geldschein im schrulligen Kurzfilm Dyke Dollar amüsierte, gibt das Nerd Girl, als spiele sie sich selbst und nicht in einer Schwarzweiß-Komödie über Außerirdische. Die, ganz nebenbei, eine der charmantesten physischen Liebesbekundungen der Filmgeschichte serviert. Kultverdächtiges Zitat inklusive: „Du hast meine Nase so zärtlich berührt, dass die Haut sich geschält hat.“ (MS)

SING! INGE, SING! DE 2011, Regie: Marc Boettcher, Edition Salzgeber

„Es gab einen Star in Deutschland, den kennt heute niemand mehr. Eine Jazzsängerin, die nur eine kaum vorbereitete Platte machen konnte, eine Diva ohne Gefolgschaft. Jemand, der zur falschen Zeit am falschen Ort war, um es mit Cole Porter zu sagen (beide wussten, wovon sie sprachen). (…) Marc Boettcher fährt unglaubliches Material auf, um vom Leben der Inge Brandenburg zu erzählen, die Leinwand quillt über davon, sie muss manchmal geteilt werden, um alles unterzubringen. Jeder wichtige Augenblick ist dokumentiert,

das ganze Nachkriegsdeutschland zieht an einem vorbei, miefige Innenstädte, anständige Bürger, Musiker mit Brille, im Anzug. Irgendwann bellt Hitler, Bomben fallen auf Vietnam, in der linken Bildhälfte dreht sich Inges erste Single ‚Goody, goody!‘ Ein Band im Schlagerfilm auf Schlittschuhen. Das alles ein liebevoller Irrsinn, aus dem immer wieder Inge Brandenburgs blitzende Augen aufscheinen, ihr riesiger Mund mit den perfekten Zähne und ihre Stimme zu hören ist, neben der alles andere sofort stillsteht und aufhorcht.“ (Jan Künemund in SISSY 11)

Spiel zweier Nachbarn, das zur Katastrophe führt (Blokes)? Jetzt schreibt man hier gerne sowas wie ‚eine Reise durch …‘, ‚ein Mix aus …‘ oder betont ein Spektrum oder eine Spannbreite. Ich kann nur einen Kinoabend empfehlen, der zwar aus unterschiedlichen Teilen besteht, der sechs Anfänge hat, sechs Pointen und sechs Helden, den man aber trotzdem nicht durch sechs teilen möchte. Dazu hat man am Ende zu viel erlebt. Im besten Fall: sich sechsmal verliebt.“ (Richard Garay in SISSY 12)

SECHS MAL VERLIEBT

IS 2010, Regie: Baldvin Z, Edition Salzgeber

JITTERS – SCHMETTERLINGE IM BAUCH

CH/UK/AU/US 2009–10, Edition Salzgeber

„Kann man mit ziemlich willkürlichen Vergleichen tatsächlich das Staunen, den Witz, die Verwirrung und das Angemacht-Sein beschreiben, dass mich hier in sechs verschiedenen Geschichten ergreift? Muss ich nicht einfach das Besondere erwähnen, das jede einzelne davon auszeichnet? Die durchgeknallte Fischi-in-den-1980ern-Szenerie in Franswa Sharl zum Beispiel oder die verstörende emotionale Zer­ris­senheit, die sich am Ende von L’Ami enthüllt, nachdem man zuerst eine nette kleine Gay-Teenie-Romanze zu sehen glaubte? Die Geschichte einer Erniedrigung, die sich am Ende als Kick entpuppt (Spring), die großartige Beziehung eines Jungen und seiner Mutter, die es beide nicht erwarten können, flachgelegt zu werden (Cappuccino), die glasklar in den Bildern durchgespielte Liebesbeziehung, die der Held durch sein unsicheres Geschwätz beinahe verhindert (Bedfellows), schließlich das erotische

„Die ordentliche Welt der beiden Englischschüler aus Island gerät ins Zittern, als sie sich an einem Abend nach der Kneipe atemholend unter einem Baum zu küssen beginnen. Das Ganze ist unspektakulär, dauert nicht lange, vielleicht eine Bildstörung. Der Aufschlag dann, aus der dünnen Luft dieses NichtOrtes einer School of English lässt, zurück in Island, scheinbar auf sich warten. Jitters schwenkt auf die Freundesgruppe Gabriels, deren Mitglieder alle, ihn mit eingeschlossen, in ihren jeweiligen jugendlichen Sommerferienalltagen Ordnung ins Chaos ihrer Lebenszeit zu bringen versuchen. Zusammengefasst, hier handelt es sich um einen Film, für den Zuschauende zwischen, sagen wir, vierzehn und neunzehn Jahren sein sollten, damit der Spaß daran am größten ist – gleich, wie ernsthaft Chaos und Ordnung im Film erzählt werden (Filmeschauen darf nicht, sondern sollte nach Möglichkeit Spaß bereiten). Dafür wurde Jitters verdientermaßen ausgezeichnet. Seine

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Hauptfigur ist ein Held, der zwar scheinbar nichts mit Bruno’s ‚Superhelden‘ (‚mit Superausstattung‘) gemein hat, dafür wohl aber für eine Mehrheit aller jugendlichen Zuschauenden als Identifikationsfigur dienen kann. Ich bezweifele nur, dass die Mehrheiten in duftigen Betten eines kuscheligen Schlafzimmers ihre späte Adoleszenz verbringen, sei’s drum. Coming-Out ist in dieser Coming-of-age-Geschichte dezentral. Und gerade das macht Jitters zu einer spannenden Bildstörung, die vielleicht in Klassenzimmern ausgetestet werden sollte.“ (Biru David Binder in SISSY 11)

BITE MARKS USA 2012, Regie: Mark Bessenger, Pro-Fun Media

Man muss Trash schon sehr, sehr mögen und ein großer Fan von campen halbnackten Vamps sein, um an Bite Marks Freude zu haben. Wenn das gegeben ist, hat man an diesem Festival des schlechten Geschmacks allerdings einen Höllenspaß, egal wie hanebüchen die „Zwei schwule Trapper treffen einen Trucker mit 30 Untoten auf der Ladefläche, die ihnen nächstens auf einem einsamen Schrottplatz die Klamotten vom Leib reißen, um sie zu vernaschen“-Geschichte auch sein mag. Denn Regisseur und Drehbuchautor Mark Bessenger schenkt sich und seinen Darstellern nichts, bis nicht auch das letzte Bisschen cineastisches Leben aus Bite Marks verschwunden ist. Der Film will eine Komödie sein, ist allerdings nur unfreiwillig komisch, es sei denn man steht auf kompletten Krawall und will seine Blutsauger absolut beknackt. Aber solche Leute soll es ja geben, wie sonst wäre der Erfolg der TwilightReihe zu erklären? Seufz. ps

Triff uns auf dem CSD und auf www.iwwit.de

BULLHEAD BE 2011, Regie: Michaël R. Roskam, Rapid Eye Movies

Um in der Logik des Gezeigten zu bleiben, müsste man jetzt sagen: Ein kraftvoller Film! Allein die Geschichte haut einen um: Auf abgeschiedenen flandrischen Weideställen wird der Natur mit Wa c h s t u m s h o r m o n e n nach­geholfen, eine auf den Handel damit spezialisierte Mafia macht Geschäfte und übt Druck aus, staatliche Behörden (die „Hormonjäger“) versuchen, die illegalen Netzwerke zu durchtrennen und schleusen ihre Spitzel ein. In diesem gewalttätigen und ziemlich dumpfen Milieu wird die Geschichte eines entmannten Jungen erzählt, der seiner eigenen Natur mit entsprechenden Substanzen nachhilft und dabei zum Stier wird. Ein Fest ist das für jede Genderforscherin, zumal die Männer in diesem Film nichts anderes zu interessieren scheint als ihre Männlichkeit, ob sie nun als Gangster, Bullen, Schwule, Flamen, Wallonen, Opfer, Mörder oder Schwachsinnige agieren. Aber ob der Film selbst Eier hat, ist die Frage. Phasenweise wirkt er selbst wie nach einer Hormonbehandlung, scheint mit einer künstlichen Muskelschicht über einer ziemlich schwachbrüstigen Haltung seinen eigenen Figuren und Themen gegenüber ausgestattet. Zeitlupen, Streicherorgien, aufgeputschtes Schauspiel drücken ordentlich auf die Tube, wo man sich eigentlich an den vernachlässigten, aber geheimnisvollen Landschaften und der unglaublichen Hauptfigur, die Matthias Schoenaerts so gebrochen verkörpert, satt sehen möchte. (Die schönste Szene: der Rinderzüchter in der Parfümerie). Am Ende ist das natürlich (?) eine Geschmacksfrage. Schoena-

erts wurde gleich danach vom nächsten Regisseur des Testosteron-Arthauskinos engagiert – Jacques Audiards (Der Prophet) Film Rust And Bone hatte gerade in Cannes Premiere. Da geht’s nicht um Rinder, sondern gleich um Wale. Think bigger. jk

LUCIAS REISE IT/ AR 2010, Regie: Stefano Pasetto, Pro-Fun Media

Die Figuren in dieser Girlmeets-Girl-Konstellation könnten kaum unterschiedlicher sein: Die lebenslustige Lea, die in einer tristen Hühnerfabrik arbeitet, kein Geld hat, um ihr undichtes Dach zu reparieren und sich doch über jede noch so schwierige Situation mit einer witzigen Bemerkung rettet. Und Stewardess Lucia, Gattin eines reichen Arztes, die lebt wie im goldenen Käfig. Oberflächlich hat sie alles, was das Herz begehrt, doch eine Fehlgeburt und ein Selbstmordversuch machen deutlich, dass ihr Mann zwar Geld, aber kein Gehör für ihre Probleme hat. Über das Klavierspiel kommen die beiden Frauen sich näher. Lucia, deren Arzt ihr dringend rät, zu lachen und das Leben zu genießen, gibt Lea Unterricht und lässt sich nach anfänglichem Fremdeln von ihrer Impulsivität anstecken. Aus Freundschaft wird Sex, wie als Abschiedsgruß von Lea, deren Traum von einem Job als Meeresbiologin in Südamerika plötzlich erfüllt wird. Kurzerhand reist die Klavierlehrerin ihr hinterher – und muss feststellen, dass Leas Freiheitsstreben größere Folgen hat, als ihr lieb ist. In Lucias Reise steht die Liebesbeziehung zwischen zwei Frauen nicht im Mittelpunkt, sie ist nur der Katalysator eines größeren Selbstfin-


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dungsprozesses. Was beide verbindet, ist ihre Zerbrechlichkeit hinter vermeintlicher Stärke: Lea, die nicht im Plural denken kann, vor einem Heiratsantrag abhaut und einem Vater gefallen möchte, der sich nicht um sie kümmert. Und Lucia, die eine Diagnose verdrängt, ihre Gedanken lieber auf Zettel schreibt und diese anschließend zerknüllt, anstatt sich jemandem anzuvertrauen. Sie beide haben einen Befreiungsschlag bitter nötig. „Was verschlägt einen hierher, die Flucht vor etwas?“, fragt Lea sie, viele Kilometer von Zuhause entfernt. „Oder man folgt einem inneren Ruf, so wie wir. Nur ist der Unterschied zwischen beiden Gründen nicht immer so klar“, antwortet Lucia. In wunderschönen Aufnahmen der kargen Landschaft von Patagonien und Feuerland hadern sie mit ihrem Schicksal. Ein Happy End, das wird schnell klar, muss hier nicht zwangsläufig gemeinsam stattfinden. Zu oft schweift die Kamera zurück nach Buenos Aires, um einzufangen, was der Weggang der beiden bei den Zurückgelassenen auslöst. Nicht vom Outing-Prozess zweier Menschen, die aus heterosexuellen Verhältnissen kommen, erzählt Regisseur Stefano Pasetto. Sondern von ihrer Suche nach einem Leben, das sie wirklich führen möchten. ms

LA-LA LAND USA 2012, Regie: Casper Andreas, Pro-Fun Media

La-La Land ist eine Literaturverfilmung. Andy Zeffers Roman „Going Down in LA-LA-Land“ ist eine hübsche, fiese Abrechnung mit Hollywood: Adam kommt aus der Provinz in die Filmhauptstadt der USA und landet in einem Strudel aus miesen Jobs, anzüglichen Angeboten, Prostitution, Pornografie und Freunden, die nichts interessiert außer Ruhm und Geld. Ein schlimmes Leben. Aber halt, LALA Land ist eine Komödie mit bitteren Untertönen und lässt sich, genau wie sein Hauptcharakter, den Spaß an der Sache durch die furchtbaren Umstände nicht verderben. Regisseur und Drehbuchautor Caspar Andreas schafft den Spagat zwischen sehr, sehr unterschiedlichen emotionalen Tönen mühelos und lässt sich dabei noch nicht einmal vom nicht vorhandenen Talent seines Hauptdarstellers Matthew Ludwinski unterkriegen, der ungefähr zwei Dinge spielen kann, dafür aber bei beiden sehr hübsch aussieht. Die Nebenrollen füllen einige der bekanntesten Hollywood­ homos Amerikas, z.B. Alec Mapa und Bruce Vilanch. Ingesamt: sehr vergnüglich, stellenweise genüsslich gemein und ein Fleischerladen für Oberkörper. Könnte alles schlimmer sein. ps 44

EATING OUT 5: THE OPEN WEEKEND USA 2012, Regie: Q. Allan Brocka, Pro-Fun Media

Es hört einfach nicht auf. Fünf (!) Teile hat die Eating-Out-Reihe inzwischen und Mastermind Q. Allan Brocka hat so gut wie jedes schwule PornoSetting durch: Drama Camps, Studentenwohnheime, CSDs etc. Weil die „schöne Jungs erzählen dreckige Witze und ziehen sich dabei aus“-Filmchen aber jedes Mal ein solch durchschlagender Erfolg sind, geht es immer, immer, immer weiter. In The Open Weekend treffen unsere Helden Zack und Casey in einem Resort in Palm Springs aufeinander, in das Zack und sein neuer Freund Benji eigentlich gefahren sind, um ihre Beziehung für ein Wochenende zu öffnen. Das Unvermeidbare geschieht: Sexuelles Kuddelmuddel vom Allerfeinsten, man muss ab und an zurückspulen um zu verstehen, wer da jetzt gerade für wen und warum die Hosen runter gelassen hat. Das Schöne: Lesben und Transsexuelle sind immer ein selbstverständlicher Teil des sexuellen Gesamtpakets, da gibt es gar keine Diskussion, und die Witze erreichen oft den politisch unkorrekten Derbheitsgrad von John Waters. Auf Teil sechs werden wir wohl nicht lange warten müssen. ps

Die Bankiersfrau FR 1980, Regie: Francis Girod, Studiocanal

Die Sissi-Trilogie gibt es schon als Schneekugel­ edition, aber dieser Film hier erscheint dieser Tage tatsächlich erstmals auf DVD. Eine gereifte, autoritäre, makellose Romy Schneider spielt am Ende ihrer Karriere die lesbische Bank-Chefin Emma Eckhert, die immer wieder zur „Schande“ erklärt wird und sich doch nie klein kriegen lässt. Inszeniert wird das in großer Kulisse als beschwingtes Biopic, in dem alles in Geldwert gemessen wird: „Ich treibe dich hoch wie eine Aktie!“, sagt Emma zu ihrem Geliebten; „Als ich dir meine erste Million gab, hast du mich geliebt!“, beklagt sich die Freundin. Die Frauenfigur, die Romy Schneider weniger spielt als ausstrahlt, hat für jedes Spiel einen Einsatz und zockt besser als alle anderen. Mit dem Geld von Vätern, Männern, Geliebten setzt sie sich ins Visier der altherrischen Konkurrenten, die mit sich selbst Schach spielen und hilflose Intrigen anzetteln. Vertrauen kann die Bankiersfrau auf ein Netzwerk kluger Frauen, emanzipierter Männer und ihres allwissenden Sohnes, vor dessen Augen sie schließlich durch eine Gewehrkugel

der Ewiggestrigen hingerichtet wird. Vorher war die Kamera vor Ehrfurcht in die Untersicht abgesackt, eine Inszenierung, wie sie sonst Heiligen und Diktatoren zugestanden wird. In den altmodischen Kulissen wirbelt der Star Staub auf, veredelt das Design, erwirtschaftet Zinsen und Mehrwerte. Und doch schafft es Romy Schneider, diese Anwältin der kleinen Leute, die Rebellin der Finanzwirtschaft und Inbegriff weiblicher Freiheit als Mensch erscheinen zu lassen. Wie schon Claude Sautet über seine Lieblingsschauspielerin gesagt hat: „Sie hat eine Art von Anständigkeit, die aus ihr selbst herausstrahlt und die sie unabhängig macht.“ jk


profil

Die Sichtbarmacherinnen von Da n i e l a Z ysk

SCreenshot: lesbengeschichte.de

Normalerweise stellen wir in der Rubrik „Profil“ ja Kinos oder Insitutionen vor, in denen man nicht-heterosexuelle Filme sehen oder erwerben kann. Aber bevor man weiß, was man sehen will, muss man ja erst mal wissen, was es gibt. Was insbesondere die lesbischen Spuren in der Filmgeschichte angeht, kann man sich dank Ingeborg Boxhammer und Christiane Leidinger über mangelnde Informationen nicht beklagen: Ihr Webportal lesbengeschichte.de ist gerade in der Rubrik „Frauen und Film“ allwissend und sehr hilfreich – und das in elf Sprachen!

„Lesbian desire is everywhere, even as it may be nowhere.“ Martha Vicinus

s Mit diesem Satz wird die Webseite www. lesbengeschichte.de eigenleitet und dies ist auch Programm und Inhalt dieses wichtigen Online-Auftritts der zwei verantwortlichen Macherinnen Ingeborg Boxhammer und Christiane Leidinger. In thematisch unterteilten Bereichen wird an die deutsche Lesbengeschichte erinnert und vieles ausführlich vorgestellt, was zu ihrer Sichtbarkeit beiträgt oder beigetragen hat. So finden sich unter „Politik und Subkultur“ Informationen über die Anfänge der lesbischen Subkultur zu Zeiten des Kaiserreichs bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Dort erfährt eine/r z.B., dass bereits am 9. Oktober 1904 die selbstbewusste Anna Rüling (eigentlich: „Theo Anna Sprüngli“) sich und andere Lesben als homosexuell bezeichnete und somit die weltbekannte „erste lesbenpolitische Rede“ schuf. Unterlegt sind die zahlreichen Informationen mit verschiedenen Fotobeiträgen damaliger Frauenzeitschriften wie „Die Freundin“ oder „Frauen-Liebe und Leben“. Auch einige spannende „Zitate“ früherer Feministinnen und Vorkämpferinnen der Frauenbewegung

lassen sich nachlesen: Johanna Elberskirchen verkündete z.B. im Jahre 1904 über die Diskriminierung von Homosexuellen: „Sind wir Frauen der Emanzipation homosexuell – nun dann lasse man uns doch! Dann sind wir es doch mit gutem Recht. Wen geht’s an? Doch nur die, die es sind.“ Selbst über 100 Jahre später haben diese starken und kämpferischen Worte nicht an Kraft verloren. Die „biografischen Skizzen“ präsentieren Porträts interessanter Frauen, die mit ihrem Leben und Wirken in frühen Jahren des 20. Jahrhunderts einen wichtigen Grundstein zur Sichtbarkeit lesbischen Lebens in der heuten Zeit gesetzt haben. Es kann dort nach Biografien vor und nach 1945 gesucht werden. Interessantes und historisch Wertvolles verspricht auch die Kategorie „Regionalgeschichte“, in der die historischen Anfänge der Berliner Lesbenszene anhand einer Einführung des Lesbenclubs „Die lustigen Neun“ in den Zeiten des Nationalsozialismus und der damit verbundenen Repressionen dokumentiert werden. Im Umfeld dieses Kegelclubs, der im Jahr 1924 gegründet worden war, gab es trotz schwieriger Umstände Veranstaltungen mit bis zu 200 Gästen – wenn auch streng beobachtet von der Gestapo. Die Überwachungsprotokolle dienen aber eben

Jahre später als Zeitzeugnis über das Selbstverständnis lesbischer Frauen zu dieser Zeit. Der Bereich „Lesben und Film“ erscheint besonders umfangreich. Detailliert und in Spielfilm- und Dokumentationslisten untergliedert, liegt hier sicher eine der umfassendsten Sammlungen von lesbenrelevanten deutschen oder deutschsprachigen Filmproduktionen vor. Beginnend mit einem Spielfilm aus dem Jahr 1911 (Das Barmädel), der offenbar wegen „frivoler schwuler Liebesszenen“ verboten wurde, bis hin zu aktuellen Kino- und TV-Filmen wie Das traurige Leben der Gloria S. oder auch der Tatort: Im Abseits aus dem Jahr 2011, lassen sich hier etliche Film­ inhalte nachlesen. Die Sammlung wird von Ingeborg Boxhammer regelmäßig erweitert, die sich mit ihrem Buch „Das Begehren im Blick – Streifzüge durch 100 Jahre Lesbenfilmgeschichte“ (2007) einen Namen als Lesbenforscherin und Filmkritikerin gemacht hat. Für sie und ihre Arbeitspartnerin, die Berliner Politologin Christiane Leidinger, ist das Projekt „Lesbenfilmgeschichte“, das im November 2005 online geschaltet wurde, sicher eine Lebensaufgabe. Die zwei Frauen leisten damit ihren eigenen bemerkenswerten Beitrag zur Sichtbarkeit von lesbischen Leben, der sicherlich kommende Generationen von lesbischen Frauen nachhaltig positiv beeinflussen wird. s www.lesbengeschichte.de --Daniela Zysk ist Vorstandsmitglied der Filminitiative „Homochrom e.V.“, die ab Juli neben der erfolgreichen schwulen auch eine lesbische Filmreihe starten wird (www.homochrom.de/ lesbisch). Außerdem stellt sie am 1. Juni ihr eigenes Onlinemagazin für „Lesben, Bisexuelle und alle Frauen die Frauen lieben“ vor: www.phenomenelle.de. Dort gibt es natürlich auch Filmempfehlungen. ---

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Dominikanerplatz 4

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Aachen  Apollo Pontstr. 141, 0241/9008484 aalen  Kino am Kocher Schleifbrückenstr. 15, 07361/5559994 Aschaffenburg  Casino filmtheater Ohmbachsgasse 1, 06021/4510772  Augsburg  CinemaxX Willy-Brandt-Platz 2, 01805/24636299 Bad Füssing  Filmgalerie Sonnenstr. 4, 08531/980555  bamberg  lichtspiel Untere Königstr. 34, 0951/26785  Berlin  acud Veteranenstr. 21, 030/44359498 · arsenal Potsdamer Str. 2, 030/26955100 · Kino International Karl-MarxAllee 33, 030/24756011 · Xenon Kino Kolonnenstr. 5–6, 030/78001530 · Cinemaxx Potsdamer Platz Potsdamer Str. 5, 01805/24636299 · eiszeit Zeughofstr. 20, 030/6116016 · FSK am Oranienplatz Segitzdamm 2, 030/6142464 · Tilsiter Lichtspiele Richard-Sorge-Str. 25a, 030/4268129 ·   Zukunft Laskerstr. 5, 0176/57861079  Bielefeld  CinemaxX Ostwestfalenplatz 1, 0521/5833583  bochum  Endstation Kino im Bhf. Langendreer Wallbaumweg 108, 0234/6871620  braunschweig  C1 Cinema Lange Str. 60  Bremen  city 46 Birkenstr. 1, 0421/44963582 · CinemaxX Breitenweg 27, 01805/24636299 dortmund  schauburg Brückstr. 66, 0231/9565606 · sweetsixteen Immermannstr. 29, 0231/9106623  Dresden  Kid – Kino im Dach Schandauer Str. 64, 0351/3107373 · CinemaxX Hüblerstr. 8, 01805/24636299  Erlangen  Manhattan Güterhallenstr. 4, 09131/22223  Essen  CinemaxX Berliner Platz 4–5, 01805/24636299  Esslingen  Kommunales Kino Maille 4–9, 0711/31059510  Frankfurt/Main  Lesbisch-schwules Kulturhaus Klingerstr. 6, 069/293045 · Mal Seh’n Adlerflychtstr. 6, 069/5970845 · Orfeos Erben Hamburger Allee 45, 069/70769100 Freiburg  Kommunales Kino Urachstr. 40, 0761/709033  Göttingen  Kino Lumière Geismar Landstr. 19, 0551/484523  Halle  Lux kino am zoo Seebener Str. 172, 0345/5238631  Hamburg  Metropolis Kino Steindamm 52–54, 040/342353 · CinemaxX wandsbek Quarree 8–10, 01805/24636299 · B-Movie Brigittenstr. 5, 040/4305867 · 3001 Schanzenstr. 75–77, 040/437679  Hannover  cinemaxx Nikolaistr. 8, 01805/24636299 · kino im künstlerhaus Sophienstr. 2, 0511/16845522 · Kino im Sprengel K.-M.-Kilian-Weg 2, 0511/703814  karlsruhe  Kinemathek Karlsruhe Kino im Prinz-Max-Palais Karlstr. 10, 0721/25041 · Schauburg Marienstr. 16, 0721/3500018   Kiel  Die Pumpe – Kommunales Kino Haßstr. 22, 0431/2007650 · Traum Kino Grasweg 48, 0431/544450  Köln filmpalette Lübecker Str. 15, 0221/122112 · Kölner Filmhaus Maybachstr. 111, 0221/2227100   Konstanz  Zebra Kino Joseph-Belli-Weg 5, 07531/60162  Leipzig  Passage Kino Hainstr. 19 a, 0341/2173865 · Schaubühne Lindenfels Karl-Heine-Str., 0341/4846211  magdeburg  Cinemaxx Kantstr. 6, 01805/24636299   Mannheim  Cinema Quadrat Collinistr. 5, 0621/1223454  Marburg  Cineplex Biegenstr. 1a, 06421/17300  München  Neues Arena Filmtheater Hans-SachsStr. 7, 089/2603265 · City Kino Sonnenstr. 12, 089/591983 · CinemaxX Isartorplatz 8, 01805/24636299  Münster  Cinema Filmtheater Warendorfer Str. 45–47, 0251/30300  Nürnberg  Kommkino Königstr. 93, 0911/2448889  Offenburg  forum Hauptstr. 111, 0781/4350  Oldenburg  Cine K Bahnhofstr. 11, 0441/2489646 · CinemaxX Stau 79–85, 01805/24636299  Potsdam  Thalia Arthouse Rudolf-BreitscheidStr. 50, 0331/7437020  Regensburg Wintergarten Andreasstr. 28, 0941/2980963  Saarbrücken  kino achteinhalb Nauwieser Str. 19, 0681/3908880 · Kino im Filmhaus Mainzer Str. 8, 0681/372570  Schweinfurt  KuK – Kino und Kneipe Ignaz-Schön-Str. 32, 09721/82358  Stuttgart  Cinemaxx an der Liederhalle Robert-Bosch-Platz 1, 01805/24636299  Trier  Broadway Filmtheater Paulinstr. 18, 0651/96657200  Weiterstadt  Kommunales Kino Carl-Ulrich-Str. 9–11

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Auch das noch …

/ Bürgerzentrum, 06150/12185

Regisseurin Katarina Peters bei den Dreharbeiten zu „Man For A Day“.

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ISSN 1868-4009

Edition Salzgeber

Berlin  b_books Lübbenerstr. 14, 030/6117844 · Bruno’s Bülowstr. 106, 030/61500385 · Saturn Potsdamer Platz Alte Potsdamer Straße 7 · Bruno’s Schönhauser Allee 131, 030/61500387 · Dussmann Friedrichstr. 90 · Galerie Janssen Pariser Str. 45, 030/8811590 · KaDeWe Tauentzienstr. 21–24 · Media Markt Alexa Grunerstr. 20 · Media Markt Neukölln KarlMarx-Str. 66 · Negativeland Dunckerstr. 9 · Prinz Eisenherz Buchladen Lietzenburger Str. 9a, 030/3139936 · Saturn alexanderplatz Alexanderplatz 7 · Saturn Europacenter Tauentzienstr. 9 · Video World Kottbusser Damm 73 · Videodrom Fürbringer Str. 17  bochum  saturn Kortumstr. 72  darmstadt  saturn Ludwigplatz 6  Dortmund  Litfass der Buchladen Münsterstr. 107, 0231/834724  Düsseldorf  Bookxxx Bismarckstr. 86, 0211/356750 · Media Markt Friedrichstr. 129–133 · Saturn Königsallee 56 · Saturn Am Wehrhahn 1  Essen  Müller Limbecker Str. 59–65 Frankfurt/main  Oscar Wilde Buchhandlung Alte Gasse 51, 069/281260 · Saturn Zeil 121  Hamburg  Buchladen Männerschwarm Lange Reihe 102, 040/436093 · Bruno’s Lange Reihe/Danziger Str. 70, 040/98238081 · Media Markt Paul-Nevermann-Platz 15  Köln  Bruno’s Kettengasse 20, 0221/2725637 · Media Markt Hohe Str. 121 · Saturn Hansaring 97 · Saturn Hohe Str. 41–53  leipzig  Lehmanns Buchhandlung Grimmaische Str. 10 · Müller Petersstr. 28 · Saturn Hauptbahnhof Willy-Brandt-Platz 1  Mannheim  Der Andere Buchladen M2 1, 0621/21755  München  Bruno’s Thalkirchner Str. 4, 089/97603858 · Lillemor’s Frauenbuchladen Barerstr. 70, 089/2721205 · Saturn Schwanthalerstr. 115 · Saturn Neuhauser Str. 39  nürnberg  Müller Königstr. 26  Stuttgart  Buchladen Erlkönig Nesenbachstr. 52, 0711/639139  trier  media markt Ostallee 3–5  Tübingen  Frauenbuchladen Thalestris Bursagasse 2, 07071/26590  Wien  Buchhandlung Löwenherz Berggasse 8, + 43/1/13172982  Würzburg  Müller


»Ein großartiges Stück Kino, aus dem man als Zuschauer berührter, schlauer und besser unterhalten rausgeht, als man es zu Beginn des Films gewesen ist.« MÄNNER

»Nur wenige Coming-of-AgeGeschichten sind in so poetischen und zugleich so wahrhaftigen Bildern erzählt wie diese.« HA MBURGER MORGENPOST

»Ein liebenswertes, hoffnungsfrohes und souveränes Debüt!« FILMDIENST

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