SISSY ELF

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Ausgabe elf · September bis November 2011 · kostenlos

s Gipfelstürmerinnen: Gelbe Thermoskannen in Norwegen  s Suchtrupp: Joghurt in Marseille  s Trommelwirbel: Mit Heiligenschein und Fahne  s Ghost: Nachricht von Santiago  s Performance: Rumgeknutsche und Gemurmel  s Anatomie: Hülle und Kern  s Paris bei Nacht: Flirt mit dem Tod  s Wehrdienst: Shakespeare in Uniform  s Glockenschlag: Japanisch sprechende Japaner  s Final Cut: Blick auf sich selbst s Brille, Anstand, Anzug: „Das singe ich nicht!“  s Ankomme morgen: Bitte sehr, eine Fabrik!  s Im Tanzschuppen: „Gehen Sie kalt duschen!“  s Spezialeinrichtungen: Scheiße ist das alles!



vorspann

Sissy elf Ulrike Ottinger filmt Schnee. Gus Van Sant die Liebesgeschichte eines todkranken Mädchens und eines Waisenjungen. In Pedro Almodóvars neuem Film macht ein Arzt Menschenversuche. Angelina Maccarone porträtiert eine berühmte Schauspielerin. Marc Boettcher erzählt das Leben einer mannstollen Jazzsängerin. Was hat das alles mit Queer Cinema zu tun? Warum steht darüber etwas in der SISSY? Filme von bekennenden nicht-heterosexuellen Filmemachern sind nicht zwangsläufig queer. Und obwohl wir Szenenheilige und Vorbilder brauchen, ist ihr Privatleben oft weniger interessant als die Frage, ob ihre Arbeitshaltungen, ihre Geschichten, ihre Sehnsüchte und Obsessionen in der Maschinerie des Filmgeschäfts sich nicht doch anders, reflektierter, widerständiger äußern und sich zwangsläufig auch in der Form ihrer Filme niederschlagen. SISSY sieht also genauer hin: Wen schickt Frau Ottinger da eigentlich in den Schnee? Woher kennen wir Frau Rampling eigentlich? Laboriert Almodóvars Arzt eigentlich wirklich an einer Frau? Was hören Jazzfans eigentlich in weiblichen Stimmen? Und wonach sehnen sich Van Sants jugendliche Helden eigentlich wirklich? Und macht erstaunliche Entdeckungen.

privat

Entdeckungen kann man im queeren Buchladen Max & Milian im Münchner Glockenbachviertel, über den Christine Wunnicke in der letzten SISSY noch gestoßseufzt hat: „Hallelujah, die gibt’s noch!“, bald nicht mehr machen. Er hat Insolvenz angemeldet und wird schließen. Wir alle wissen, dass es Mediengeschäfte schwer haben und dass es die Alternative gibt, sich im Netz über eine DVD oder ein Buch zu informieren und diese auch dort zu bestellen. Trotzdem ist es ein schwerer Schlag für die Szene einer Großstadt wie München, dass es keinen Ort mehr für ein Kulturangebot geben wird, das woanders versteckt, verstreut oder gar nicht im Sortiment zu finden ist. Schade natürlich auch, dass unsere Schwärmerei über diesen einzigartigen Laden zu spät kam. Doch Jan und Miriam vor dem Buchladen Max & Milian in München es gibt solche Angebote weiterhin noch, aus gutem Grund. Zum Beispiel in Stuttgart: Thomas Ott, Betreiber des Erlkönig-Ladens, stellt diesen auf Seite 45 selbst vor und findet ein paar deutliche Worte zur hier nur skizzierten Situation. Deshalb, aber nicht nur: viel Vergnügen mit der neuen SISSY!

Wenn Sie SISSY kostenlos abonnieren möchten: E-Mail an abo@sissymag.de 3


mein dvd -regal

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angeline Maccarone

Angelina Maccarone, Filmemacherin

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GM-Films

kino

Brokeback Peru von M a lt e G öbe l

Beim Sundance-Festival 2010 bekam er den Publikumspreis, außerdem war „Contracorriente – Gegen den Strom“ für den Oscar in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ im Rennen. Im September läuft er in der Gay-Filmnacht.

s In Peru, das sehr katholisch-konservativ geprägt ist, sind homosexuelle Handlungen zwar seit 1924 nicht mehr strafbar, statt dessen wendet die Polizei aber gern Gesetze zum „Schutz der öffentlichen Moral“ gegen Schwule und Lesben an. Noch 2002 liefen Teilnehmer beim Pride in Lima mit Masken herum, weil sie nicht erkannt werden wollten. Bemerkenswert also, dass Peru Contracorriente beim Oscar einreichte. Schnell hatte der Film in den USA, wo er im Herbst 2010 unter dem Namen Undertow anlief (was mit „Sog“ eine nicht ganz akkurate Übersetzung des eigentlichen Titels Gegenströmung ist), den Spitznamen „Peru’s Brokeback Mountain“ oder „Brokeback Peru“ weg. Dabei sollten die Parallelen der Filme nicht überschätzt werden: Beide zeigen zwar eine atemberaubende Landschaft, und es geht jeweils um die Beziehung zweier Männer, die neben der Beziehung zu einer Frau stattfindet, was sich gegenseitig nicht ausschließt. Doch das war’s dann auch schon mit den Ähnlichkeiten. Contracorriente ist viel lauter und dramatischer, besonders die zweite Hälfte des Films 6

stellte an die Schauspieler hohe Ansprüche in der Darstellung von Jammern, Weinen und Klagen. Wenn man den Film noch mit einem anderen vergleichen könnte, dann wäre das wohl (eher abschreckend) die 80er-Schmonzette Ghost – Nachricht von Sam mit Patrick Swayze – denn auch hier bleibt einer der Protagonisten zwischen Leben und Tod kleben. Dazu später mehr. Contracorriente spielt in Cabo Blanco, an der Nordküste von Peru – ein hübsches Dörfchen am Pazifik, es gibt felsige und sandige Strände, dazu türkisfarbenes Wasser. Ein wunderschönes Fleckchen Erde, ein Traum in Pastell, und genau deswegen ist der Maler Santiago (Manolo Cardona) auch hierhergezogen. Er macht kein Geheimnis daraus, dass er auf Männer steht, und so ist er als schwuler Künstler gegenüber den hart arbeitenden Fischern des Dorfes doppelt Sonderling. Quasi sein Gegenstück ist der Fischer Miguel, ebenfalls so um die 30, verheiratet mit Mariela, die ein Kind von ihm erwartet, mit starkem Hetero-Appeal – und natürlich in einer Affäre mit Santiago, von der niemand etwas weiß. Und niemand etwas wissen darf.


kino

Denn Miguel ist hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, mit Mariela ein normales Familienleben zu führen, sozial anerkannt zu sein im Dorf, wo er nach Feierabend mit den Kumpels einen trinkt und am Strand ein bisschen kickt – und den impulsiven Gefühlen zu Santiago, den er in einer versteckten Felsengrotte zum Rendezvous trifft. Santiago ist offen mit seiner Homosexualität, im Dorf als „maricón“ verschrien, die meisten Männer reden nicht mit ihm, manchmal werfen sie ihm Eier an die Fenster. Auch Miguel tut in der Öffentlichkeit so, als würde er ihn nicht kennen. Ghost – Nachricht von Santiago Weil die Lage so ausweglos erscheint und er seinen Lover nicht für sich haben kann, bringt sich Santiago um. Er ertrinkt im Meer. Doch fort ist er nicht: Er geistert als Zwischenwesen weiterhin durch die Welt und nur Miguel kann ihn sehen. Seine Ruhe wird er erst finden, wenn sein Körper nach traditionellem Ritus (den sich Regisseur Javier Fuentes-Léon komplett ausgedacht hat) im Meer bestattet wurde. Das soll Miguel übernehmen, aber für ihn wäre es ein Outing: Alle würden sich fragen, wieso ausgerechnet er sich um die Bestattung kümmert. Also macht Miguel erstmal nichts. Santiago ist so weiter in seinem Leben, er taucht immer auf, mal neben Mariela am Küchentisch oder vor dem Fernseher – Szenen, die Miguels Hin- und Hergerissensein stark und poetisch darstellen. Der weitere Ablauf ist etwas vorhersehbar, natürlich kommt das Geheimnis anders heraus: Ein paar Dörfler dringen in das Haus des verstorbenen Santiago ein und finden Bilder, die alle nur Miguel zeigen. Niemand will mehr mit Miguel Fußball spielen, Mariela stellt ihn zur Rede und verlässt ihn samt mittlerweile geborenem Kind. Viele Tränen fließen, auf allen Seiten, erst recht, als Miguel den Leichnam von Santiago findet und dann doch bestatten will, mit dem vorhersehbaren Finale des Films: Die Dorfgemeinschaft muss sich entscheiden, ob sie den toten Santiago als ekligen Schwulen ignoriert oder mit Miguel dem toten Gemeindemitglied die letzte Ehre erweist. Erwartbar wie die letzte Szene bei Beautiful Thing oder das Finale von In & Out, wo alle aufstehen und sagen: Ich bin auch schwul. Oft gesehen, aber solche Solidarisierungen treiben einem auch hier wieder Tränen der Rührung in die Augen. Kategorien überwinden Also nur ein konventioneller Coming-Out-Film in zugegeben sehr malerischer Umgebung? Mit diesem Urteil würde man dem Regisseur Fuentes-León unterstellen, dass der Film vor allem für das peruanische Massenpublikum gemacht ist: Seht her, dieser Mann küsst auch gern Männer, aber trotzdem will er ein Familienvater sein und liebt seine Frau, guckt, deswegen weint er so viel, es geht hier um echte Gefühle, zu beiden! Im Sinne, dass derart augenscheinliche Bisexualität das homosexuelle Begehren weniger bedrohlich für die Mehrheitsgesellschaft macht. Javier Fuentes-León sieht seine Herangehensweise aber noch breiter und nicht so plump edukativ. Er will die Kategorien schwul/ bisexuell/heterosexuell insgesamt hinter sich lassen. Genau deswegen setzt er den Plot auch in die peruanische Provinz, erklärte er in einem Interview gegenüber dem Film Experience Blog: „In der Stadt werden Leute mit Labels überschwemmt. Besonders in einem Land wie den USA muss man sich ständig identifizieren: Als Republikaner oder Demokrat, schwul oder heterosexuell oder bisexuell, vegetarisch oder fleischfressend …“ Auf dem Land sei das anders: „In Dörfern in Peru sind die Leute nicht so besessen von Labels. Hier können Männer mit anderen Männern Sex haben und sich trotzdem ganz ehrlich nicht als schwul identifizieren.“ Insofern hätte der Film gar nicht unbedingt in Peru spielen müssen – „Er ist sowieso eine Fabel, die

auch in Irland, Italien oder Südafrika angesiedelt sein könnte“, sagte Javier Fuentes-León gegenüber der New York Times. Doch natürlich arbeitet der Regisseur mit Contracorriente irgendwie auch seine eigene Geschichte auf. Der gebürtige Peruaner studierte in Lima zunächst Medizin, ging dann aber vor etwas über zehn Jahren nach Los Angeles, wo er eine Filmhochschule besuchte und sich outete – mit etwa 30 Jahren. Schon bei seiner Ankunft in den USA legte er großen Wert darauf, nicht in Schubladen einsortiert zu werden: Damals wurde er gefragt, ob er spanischer Peruaner oder Indio-Peruaner sei. Und er sagte immer nur: „Nein, ich bin Javier.“ Ähnlich transportiert er es in seinem Film: Miguel liebt einen Mann und eine Frau, definiert sich aber nicht als schwul, bi- oder heterosexuell. Auch in den Sexszenen zwischen Miguel und Santiago gibt es kein eindeutiges oben und unten, kein Top und Bottom. „Ich wollte den Film von diesen Kategorien befreien“, erklärte Fuentes-León im Film Experience Blog. „Du glaubst wohl, dass alle Leute so wie Du sind!“ Für die Homo-Szene in Peru ist Contracorriente wichtig, gerade auch wegen seiner internationalen Anerkennung. Und Santiago eignet sich in seinem Eigensinn und Selbstbewusstsein hervorragend als Identifikationsfigur – etwa, als er von Miguel in einer Szene am Anfang ein Bekenntnis zu ihm einfordert und von Gerüchten erzählt, dass viele Männer andere Männer lieben und Sex mit ihnen haben. „Du glaubst wohl, dass alle Leute so wie du sind!“, ruft daraufhin Miguel wütend, aber Santiago sagt nur ganz ruhig: „Nein. Ich glaube, dass alle so wie du sind.“ Darüber hinaus gab der Dreh von Contracorriente Javier FuentesLeón Recht, was die Offenheit der Provinz angeht. In Cabo Blanco suchten und fanden sie ein sehr konservatives, katholisches Dorf am Meer, wo den Leuten Familie und Glaube die wichtigsten Dinge sind. Die Dörfler sind als Statisten im Film dabei, ihre Häuser sind die echte Kulisse. Aus Furcht, sie würden nicht mehr mitmachen, wenn sie herausfänden, dass es ein Film über eine schwule Liebe ist, erklärte Fuentes-León immer nur ganz schwammig, wovon der Film handelt. Offensichtliche Szenen wie eine, in der Miguel und Santiago Hand in Hand die Straße entlanggehen, wurden erst ganz am Ende gedreht. Doch irgendwie kam es früher heraus. „Und trotzdem fühlten wir uns sehr willkommen im Dorf.“ Die Realität war also näher am Film selbst als an der Angst des Filmteams. Genau das macht Contracorriente nur noch sehenswerter. s

Contracorriente von Javier Fuentes-León PE/CO/FR/DE 2010, 100 Minuten, OmU GMfilms, www.gmfilms.de Im Kino Gay-Filmnacht im September www.gay-filmnacht.de Kinostart: 12. September 2011

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kino

Sag warum von Sa sch a W e st ph a l

Laure Charpentiers schwelgerische Ode an die Pariser Garçonnes der frühen 60er Jahre beruht auf ihrem eigenen Roman – und der auf ihren eigenen Erinnerungen. Ihr Blick zurück ist schwärmerisch, aber keineswegs verklärend. Im September ist „Gigola“ in der L-Filmnacht zu sehen.

O Nacht! O erfrischende Finsternisse! Ihr verkündet mir ein Fest in meinem Innern; was mich ängstigte, löst sich! In der Verlassenheit der weiten Ebenen, in den steinernen Labyrinthen einer Großstadt seid ihr, funkelnde Sternensaat, aufsprühende Straßenlichter, das Feuerwerk der Göttin Freiheit! Charles Baudelaire, „Die Abenddämmerung“

s Eine vergangene Welt, die verschwunden ist, unwiederbringlich verloren im Lärm und Getöse einer geschmacklosen Gegenwart, und ein Kino, das es so auch nicht mehr gibt, schon lange verdrängt vom Diktat der Doppeldeutigkeit und einer Sehnsucht nach sicherer Distanz … das ist Gigola, das Regiedebüt der französischen Schriftstellerin und Aktivistin Laure Charpentier. Vielleicht konnte wirklich nur eine Außenseiterin, die sich dem Kino eben nicht als Filmemacherin nähert, sondern allein als Autorin und als eine, die damals, in den frühen 60er Jahren, mittendrin im Treiben rund um den Place Pigalle war, diese Geschichte erzählen und sie mit einem überwältigen Pathos erfüllen, an dem nichts falsch oder gar lächerlich ist. Mit sechs Regisseuren und zwei Regisseurinnen hat Laure Charpentier über die Adaption ihrer beiden autobiographischen Romane „Gigola“ und „Père, impair et passé“ verhandelt. Doch niemand von ihnen konnte ihren Vorstellungen und – was noch viel schwerer wiegt – ihren Erinnerungen gerecht werden. Sie konnte und wollte diesen Film und damit ihr eigenes Leben nicht in andere Hände legen. Veränderungen an der Geschichte und den Figuren waren undenkbar für Laure Charpentier; selbst die üblichen Kompromisse, auf die sich eigentlich jeder Autor bei einer Verfilmung eines seiner Werke einlässt, waren ihr unerträglich. Also blieb ihr nur eine Alternative: Sie musste den Film, mit der Unterstützung ihrer Produzentin und Ko-Drehbuchautorin Denise PetitDidier, selbst drehen. Das Vergangene wird noch einmal lebendig. Erinnerungen gerinnen zu Bildern, die zutiefst persönlich eingefärbt sind und sich doch zu einem ausgedehnten Panorama einer ganzen Ära zusammenfügen. So war es 1963 8

für Laure Charpentier am Place Pigalle, und so wird es nun für immer dort gewesen sein. Ihre Impressionen eines Lebens jenseits bürgerlicher Ideen und Moralvorstellungen, eines Lebens, das aufgeht in der Nacht und ihrer Freiheit, stehen dabei ganz in der Tradition der französischen Maler des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Wie die Arbeiten von Edgar Degas und Henri de ToulouseLautrec hält ihr filmisches Gruppenporträt der Garçonnes und ihrer Geliebten, der Huren und der Gangster mehr als nur eine Epoche fest. Es entreißt seine Figuren der Zeit und dem Vergessen und schenkt ihnen die Ewigkeit und beschwört dabei in seinem Betrachter ein brennendes Verlangen herauf. Ganz zu Beginn läuft die von Lou Doillon gespielte Georges noch voller Freude durch das Treppenhaus ihrer Schule. Sie kann es gar nicht erwarten, ihrer Rektorin Sybil die gute Nachricht zu überbringen, dass sie ihren Abschluss hat, und fliegt die Treppen regelrecht hinauf. Als sie der älteren Frau dann gegenübersteht, gesteht sie ihr auch gleich ihre ewige Liebe und lässt sich dann die Haare vor ihr kurz schneiden. Diese ersten unschuldigen Momente reiner Liebe sind erfüllt von Erinnerungen an andere Schulgeschichten. Laure Charpentier verbeugt sich vor Leontine Sagans und Géza von Radványis Mädchen in Uniform-Filmen und schreibt sich zumindest für einige Momente in deren Tradition ein, um dann umgehend drei Jahre weiter zu springen. Der Tag ist der Nacht gewichen. Sybil hat sich umgebracht wegen einer anderen Frau und ihre Geliebte in einer endlos leeren Welt zurückgelassen, die nichts wieder ausfüllen könnte. Also nennt sich Georges jetzt nur noch Gigola und macht diesem Namen, auf den Sybil sie einst im Spaß gebracht hatte,

alle Ehre, wenn sie ihren Körper an einsame ältere Frauen verkauft. Mit ihren kurz geschnittenen, perfekt gescheitelten Haaren und ihrem schwarzen Stock mit dem silbernen Schlangenkopf, ihren weißen Anzügen und schwarzen Smokings ist sie die eleganteste von all den Garçonnes, die Nacht für Nacht durch die Brasserien und Bistros von Montmartre, die Bars und Nachtclubs am Place Pigalle streifen: ein Dandy wie aus dem Bilderbuch und damit mehr als nur würdig, in den Fußspuren von Radclyffe Hall und Marlene Dietrich zu wandeln. Das Mädchen, das nur ein paar Jahre zuvor ihre Direktorin bestürmt hatte, ist verschwunden. Nun tritt sie gegenüber allen, ihren Eltern genauso wie ihren Kundinnen, dem korsischen Zuhälter Tony genauso wie den Huren, die für sie arbeiten, ganz wie ein Mann auf. Sie nimmt sich, was sie will, und niemand kann sie mehr berühren. Einzig und allein ihr Vater, der opium- und spielsüchtige Henry (Thierry Lhermitte), der glaubte, ein Schriftsteller zu sein, in Wahrheit aber immer nur das Geld und den Besitz seiner strenggläubigen Frau Solange (Marisa Berenson) verprasst hat, kann Gigola noch aus der Fassung bringen. Wenn sie ihm gegenübersteht, den sie hasst und dem sie doch so ähnlich ist, brechen all die Gefühle aus ihr heraus, die sie sonst hinter einer eisigen Fassade aus Gleichgültigkeit und Überlegenheit verbirgt. Als sie einmal von der Psychiaterin Alice Grund, einer Doppelgängerin Sybils, gefragt wird, was die Nacht für sie ist, bekennt Gigola ganz offen: „Die Nacht ist Vergessen, schnelles Geld und ein Flirt mit dem Tod.“ Damit hat sie alles gesagt. In diesem Augenblick umspielt ein kokettes Lächeln Lou Doillons Lippen. Sie fordert Alice, die sie begehrt und verführen will, heraus. Es ist eine Provoka-


tion, aber eben auch die Wahrheit. Tagsüber kehrt Gigola immer wieder zu dem Bild von Sybil zurück, das in ihrer Wohnung hängt. Sie kommt nicht los von der Toten, der ersten Liebe, die sie in Alice wiedergefunden zu haben glaubt. Aber in der Nacht ist sie frei, zu vergessen und zu spielen, mit ihrem eigenen Leben wie mit dem der anderen. Es gibt Momente von ungeheuerer Kälte und verstörender Härte in Gigola. Wenn Georges zum ersten Mal der reichen Odette begegnet, sich ihr anbietet und sie dabei zugleich unterwirft, ist ihr Triumph und Odettes Niederlage schon beim ersten Tanz besiegelt – Camillo Felgen singt „Sag warum“ und erzählt dabei eben auch von der unendlichen Einsamkeit der älteren Frau. Wie das „Ich“ des Lieds stürzt auch sie durch die Liebe in eine noch tiefere Einsamkeit. Sie verfällt Gigola und wird sie nie besitzen … sag warum. Aber selbst eine Antwort auf diese Frage wäre kein Trost. Die Liebe und das Begehren treiben alle Figuren Laure Charpentiers an, aber Erfüllung oder gar Erlösung findet keine von ihnen. Die Nacht ist und bleibt die einzige Antwort. Sie ist die Zeit des Dahin-Treibens, des Vergessens, der Lust und der Schönheit. So kalt und berechnend sich Gigola gegenüber Odette verhält, die zumindest Geld und damit auch eine gewisse Macht hat, so zärtlich und liebevoll kann sie zu denen sein, die viel schwächer sind als sie. Natürlich lässt sie die alternde Dolly, die ihre Trauer um ein verlorenes Kind wahnsinnig werden ließ, und die junge Cora, die sie noch einmal neu erschaffen und dann Tony abgekauft hat, für sich arbeiten. Aber letztlich geht es ihr nur darum, sie zu schützen. Für Dolly ist sie die Tochter, die diese nicht mehr hat oder auch nie hatte, für Cora eine ältere Schwester, die über die naive Prostituierte wacht und ihr neue Möglichkeiten eröffnet. Die Nacht schafft ihre eigenen Familien, Familien, die nicht von Blut und Konventionen, sondern von Freundschaft und Respekt, Zuneigung und Verständnis zusammengehalten werden. Trotz der Drogen und des Alkohols, der Schießereien und der Racheakte hat die demi-monde des Place Pigalle in Laure Charpentiers Blick zurück in Sehnsucht etwas Exotisch-Paradiesisches. Es ist eine Welt der Grenzüberschreitungen und damit der Freiheit, die nur die Dämmerung und die Nacht bringen. Das Pathos, mit dem die zur Filmemacherin gewordene Schriftstellerin sie in Szene setzt, ist so aufrichtig und so ganz frei von Ironie wie die Farben, in denen sie erstrahlt. Sag warum … weil sich in der erfrischenden Finsternis wie in den aufsprühenden Lichtern der Straßen und Clubs alle Ängste lösen können. Der Flirt mit dem Tod ist die Liebe zum Leben. s

pro-fun media

kino

Gigola von Laure Charpentier FR 2010, 102 Minuten, OmU Pro-Fun Media, www.pro-fun.de Im Kino L-Filmnacht im September www.l-filmnacht.de Kinostart: 6. Oktober 2011

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Der Sog der Fremde von Gu n t h e r Ge lt i nge r

edition salzgeber

Ein Paar, unterwegs: Auch mit seinem neuen Film ist Jan Krüger („Unterwegs“, „Rückenwind“) wieder auf inhaltlich vertrautem Terrain anzutreffen. Aber dieses Paar hat es in sich: eine Frau, die in der fremden Stadt ihren vermissten Sohn sucht – und dessen Exfreund, der ihr dabei helfen soll. Wer kannte Simon besser? Kernfamilie steht gegen Wahlfamilie, Mutter gegen Liebhaber. Im Oktober ist „Auf der Suche“ in der Gay-Filmnacht, ab 10. November regulär im Kino zu sehen.

s  Das Autobahnschild zum Flughafen von Marseille ist mit Graffiti besprüht, die Richtung von Valeries Suche nach Simon, dem verlorenen Sohn, von Anfang an chiffriert. Woher Valerie kommt, verrät lediglich das Autokennzeichen, wer sie ist, lässt nur ihre Erscheinung erahnen: Eine bürgerliche Frau in der Hälfte ihres Lebens aus Karlsruhe in einem gepflegten Audi. Sie wirkt nicht wie die badische Provinzmutter, die Probleme hat, die Homosexualität ihres Sohnes anzuerkennen, weil die Nachbarn reden könnten oder es einen wertkonservativen Lebensstil zu verteidigen gilt. Dennoch entsteht schnell der Eindruck, Simons sexuelle Neigung sei das zentrale Problem; alle Konflikte wurzeln in dieser grundsätzlichen und gleichzeitig grundlosen Ablehnung, um die sich Jan Krügers neuer Film dreht – doch tut er dies nur scheinbar. Schon eine Woche lang fehlt von Simon jegliche Spur. In der Klinik, wo er als Arzt arbeitet, hat er sich Urlaub genommen, sein Appartement ist unaufgeräumt, der Kühlschrank nicht geleert. Seit er nach Frankreich gegangen ist, hatte Valerie nicht mehr viel Kontakt zu ihrem Sohn. Sie hat Jens aus Berlin kommen lassen, den Ex-Freund von Simon, dem er bis zuletzt nahe stand – näher jedenfalls als ihr, der Mutter. Schon die erste Begegnung ist aufgeladen von latenter Eifersucht und Misstrauen. Jens wird Valeries Verbündeter auf einer Reise ins Ungewisse, aber auch Konkurrent im Kampf um das Vorrecht an Simons Leben, der sich irgendwann beiden entzogen hat. In der herbstlichen Hafenstadt, unter der milden Sonne des Südens und mit dem Meer als Horizont machen sich zwei Verlassene auf die Suche nach dem Vermissten, im Glauben und in der Hoffnung, er sei der Grund ihrer Einsamkeit. Sie finden die Fremde und in der Fremde überhaupt erst zu dem Bewusstsein, auf der Suche zu sein – wonach, das wissen Jan Krügers Bilder besser als seine Figuren selbst. Lauernd bewegt sich Valerie durch die Zimmer ihres Sohnes. Als sie zugibt, das Gefühl zu haben, in der Wohnung eines Fremden zu stehen, wirkt der Satz seltsam hölzern und seelenlos, vom Drehbuch vorgegeben. Überhaupt scheinen Corinna Harfouch und Nico Rogner ihre Dialoge mehr aufzusagen als damit ihre Charaktere lebendig werden zu lassen. Doch die Inszenierung ist zu präzise, um dem Film dies vorschnell als Schwäche auszulegen. Im Kauderwelsch der Marseiller Sprachen, durch das sich beide vorantasten, ist die Sprache der Gefühle, des eigenen Körpers die fremdeste und unverständlichste von allen. Rätselhaft und kryptisch bleiben die Bilder und Szenen, die ins Leere verweisen oder sich zum Meer hin öffnen, dem eigentlichen Protagonisten des Films. Auch wenn die Bucht von Marseille als Silberstreif am Bildrand glitzert, ist der Sog des Meeres allgegenwärtig. Valerie und Jens lassen sich von ihm erfassen und prallen gleichzeitig an eine unüberwindbare Grenze. Am deutlichsten ist dies in der Szene zu spüren, als beide in einem Schwimmbad nach Simon suchen. Abgeriegelt von einer hohen Mauer liegt das Meer jenseits des frühmorgendlich stillen Schwimmbeckens, wo keiner der Badegäste Simon gesehen haben will. Das Bild ist zweigeteilt: hier der zivilisierte, überschaubare Innenraum, in dem die Hoffnung noch nicht ganz gestorben ist, dort die Wüste aus Wasser, ein gleichgültiges Außen, das Ende aller Wege. Man ahnt, dass Valerie und Jens am falschen Ufer suchen und, schlimmer noch, man weiß, dass auch sie es wissen. Auch Simon scheint dem Ruf des Meeres gefolgt. Eine Spur führt Valerie und Jens ins Büro der Fährgesellschaft, wo sich der Verdacht erhärtet, Simon könnte mit seinem neuen Auto 11


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Corinna Harfouch, Nico Rogner in „Auf der Suche“

nach Marokko übergesetzt sein. Das Land jenseits des Meeres steht symbolisch für das Sich-Entziehen des geliebten (?) Menschen. Als Flucht- und Sehnsuchtsort mag dies ein Klischee sein, die Leerstelle aber, die dieses vom Schmerz alter Versäumnisse verstellte Ziel darstellt, ist existentiell. Spätestens jetzt nimmt Jens für Valerie die Rolle des Sohnes ein. Sie begegnet ihm überlegen, oft hochmütig, in statuarischer Eleganz, Attribute, die man von Corinna Harfouch gewohnt ist. Eine frostige Gereiztheit begleitet die beiden auf ihrer Suche, vereist die Dialoge und entlädt sich nur selten in einem Ausbruch. Selbst in Momenten, in denen die Ambivalenz zwischen Annäherung und Selbstbehauptung ins Erotische zu kippen scheint, bleiben die Körper starr und in sich gefangen. Nico Rogner spielt den gekränkten Stellvertreter-Sohn mit beharrlich in die Hosentaschen geschobenen Händen und provoziert Valerie durch pubertär wirkende Renitenz. Antriebslos und programmatisch, wie paralysiert von der bereits antizipierten Enttäuschung ihrer Hoffnungen, treiben sie gemeinsam ihre Suche voran, befragen Zeugen, überprüfen Indizien und stellen Hypothesen auf, eine eher detektivische Vorgehensweise. Würde nicht fast jede ihrer Aktionen ins Nichts verlaufen oder das Unbehagen am eigenen Handeln verstärken, man könnte meinen, einem Tatort-Krimi zu folgen, in dem so lange ermittelt wird, bis am Ende geklärt ist, ob es sich bei Simons spurlosem Verschwinden nun um einen Selbstmord handelt, eine Flucht, Entführung oder einen Unfall durch übermäßigen Drogenkonsum. Aber war Simon überhaupt drogenabhängig? Warum wurde er bei der Polizei als solcher geführt, wenn er doch „nur“ Beruhigungsmittel nahm, und das als Arzt? Hatte er einen Grund, sich das Leben zu nehmen? Und welche Rolle spielt dabei Camille, die Kollegin aus der Klinik, mit der Simon auf einem selbstgedrehten Videofilm knutscht? Oder Jalil, der gut gekleidete arabische Autoverkäufer mit den schmutzigen Händen, den Simon mit auf seine Reise nach Marokko nehmen wollte, bis dieser ihn versetzte? Welches Geheimnis trägt Jens in sich, der verlassene Ex-Freund, der während des ganzen Films nicht spüren lässt und wohl auch selbst nicht spürt, ob er Simon noch immer liebt? Auf einem anderen Video, das Valerie in Simons Wohnung findet, sieht man Jens beim Sexspiel mit einem Typen, gefilmt von Simon in einer Zeit, als beide noch ein Paar waren. Trotz – oder wegen? – der heiklen Situation scheint Harmonie zwischen Jens und Simon zu herrschen, eine Tatsache, die Valerie zutiefst irritiert. Ihre Reaktion 12

auf die schwule Körperlichkeit ist ein abwehrendes Lachen, ähnlich apathisch und hilflos wie ihr letzter Vorwurf an Simon, der doch nicht einfach so gehen könne, ohne ihr eine Nachricht zu hinterlassen. Der Verlust des eigenen Kindes scheint nicht erst mit seinem Erwachsenwerden, sondern bereits bei der Geburt eingetreten zu sein. Woher kommst du, die ewige Frage, mault der schöne Jalil, als Jens ihn nach seiner Herkunft fragt, in der Hoffnung, mehr über das (Liebes-)Leben von Simon zu erfahren. Dass er auch sonst keine eindeutigen Antworten erhält, stachelt ihn lediglich zu einer lustlosen Rangelei an, die sich zwischen Erotik und Gewalt nicht entscheiden kann. Auch für Jens ist die Suche längst Selbstzweck geworden. Es geht nicht mehr darum, jemanden oder etwas zu finden, vielmehr muss der träge begehrende Leib in Bewegung gehalten, dem emotionalen Vakuum entgegengestellt werden. Im dunkelsten Bild des Films presst sich Jens an einen jungen Kerl aus dem Maghreb, den er auf dem Fußballplatz aufgegabelt hat. Doch der fremde Körper bleibt – wie auch der von Jalil – uneingenommen. Die schwarzen Augen sind für die Suchenden unlesbar. Sie stürzen hinein und verlieren sich, weil sie sich längst schon selbst aufgegeben haben. Die Sehnsucht, sie ist wie eine alte, kranke Hündin, mit der man noch täglich seine Runde geht, während man darauf wartet, dass sie stirbt. Am Ende gibt es doch noch einen zaghaften Versuch, etwas zu retten. Anrührend unbeholfen streicht Jens auf der Terrasse hoch über der Stadt Valerie durchs Haar, wo noch ein wenig Salz vom Bad in der Bucht klebt. Der Ort der wahren Berührung liegt jenseits dieser Geste. Am Horizont funkelt das Meer. Ich würde gerne hinüberfahren, trotzig durch die große Leere aus Wasser und verwaisten Träumen, nach Marokko, wo Simon – entgegen all dem, was mir der Film gerade erzählt hat – vielleicht ja doch noch zu finden ist, irgendwie, irgendwo. s Auf der Suche von Jan Krüger DE/FR 2011, 88 Minuten, dt. OF Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino Gay-Filmnacht im Oktober www.gay-filmnacht.de Kinostart: 10. November 2011


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Jan Krüger bei den Dreharbeiten

Schulfranzösisch mit Watson und Hollms

Figuren sonst, wo kommen sie her, was sind ihre Hobbies, etc.? Die Schauspieler wollen das immer von mir wissen, ich dagegen will, dass sie nicht so sehr in eine „fremde Haut“ schlüpfen, sondern viel von sich selbst einbringen. Manche genießen das, andere wehren sich zunächst dagegen. Aber diese persönliche Färbung hält es auch für mich spannend und hat bisher immer eine eigene Dynamik entwickelt. Damit das trotzdem zusammenhält und ein Film wird, braucht es einen festen Rahmen – also auch ein Ende, das vorher fest steht. Schließlich sind die Geschichten trotz aller Freiheiten nicht beliebig.

I n t e rv i ew: Ja n K ü n em u n d

Jan Krüger über seinen neuen Film „Auf der Suche“.

sissy: Die Tageszeitung deiner Heimatstadt hat anlässlich der Berlinale-Premiere von „Auf der Suche“ schon wieder von deinem „Debüt“ gesprochen, obwohl deine drei Langfilme und mehrere Kurzfilme bei großen internationalen Festivals liefen. Fühlst du dich noch als Debütant oder bist du jetzt mal endlich etabliert? Jan Krüger: „Debüt“ für einen dritten Langfilm ist schon ein ziemlich starkes Stück. Obwohl es wahrscheinlich gut gemeint ist: Da schwingt ja eine Art Bonus mit, das Versprechen, etwas ganz Neues entdeckt zu haben … Für mich ein zweischneidiges Schwert: Nach zehn Jahren Arbeit kann man ja eigentlich eine Art Routine erwarten, im besten Sinne – aber dann kommt es oft genug doch wieder ganz anders, man muss reagieren, improvisieren, als ob es das erste Mal wäre. Ich versuche, in meinen Geschichten mit den Unwägbarkeiten zu arbeiten, jedenfalls zu einem Teil. Ich denke, das sieht man dem Film am Ende an: eine Unberechenbarkeit, ein „Suchen“, im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist ja charakteristisch für deine Geschichten, dass es darin um Menschen in Bewegung geht, schon die Titel sagen das: „Unterwegs“, „Rückenwind“, „Auf der Suche“ … Was bleibt für dich, im Prozess des Schreibens, vielleicht sogar des Drehens, am längsten offen – der Ausgangspunkt, der Verlauf oder das Ziel der Reise? Ein Ausgangspunkt ist wichtig, klar, für alle Figuren. Darüber hinaus ist aber erst mal vieles offen: Welchen Beruf / Alltag haben die

„Auf der Suche“ hat seinen Ausgangspunkt in einer wahren Geschichte … Ja, ein Freund eines Freundes hat tatsächlich als Arzt in Marseille gearbeitet und ist dort ähnlich gestorben. Die Umstände sind nie ganz geklärt worden – es gab Vermutungen, Hinweise, aber auch Widersprüche. Mir hat das, bei aller Fremdheit, gefährlich eingeleuchtet – zum einen die Stadt als Sehnsuchtsort, weit genug weg, um womöglich neu anzufangen, ohne den Ballast des bisherigen Lebens. Andererseits die Gefahr, im Zweifel komplett verloren zu gehen, ohne dass das jemand bemerkt … Die Suche der Mutter, die Auseinandersetzung über die möglichen Gründe des Verschwindens, die weiteren Personen, die auftauchen, all das ist dann erfunden. Aus diesen Spuren entsteht im Film ein mögliches Bild des Verschwundenen, das aber nicht endgültig ist. Genauso wenig wie das in der wahren Geschichte. Kanntest du die Stadt vorher? Kann man in Marseille leicht verloren gehen? Ich habe die Stadt zum ersten Mal für die Recherche des Films besucht. In dem Fall war mein Blick noch am ehesten der der Mutter, die ja auch zunächst nicht unterscheiden kann, was „normal“ und was womöglich verdächtig ist. Dazu kommt die Sprache – Zwischentöne, Ironie, all das geht ja erst mal verloren mit den paar Brocken Schulfranzösisch. Zum Verlorengehen eignet sich Marseille wahrscheinlich genauso oder genauso wenig wie andere Großstädte. Für die Suchenden macht es allerdings einen Unterschied: die Stadt zwischen Bergen und Meer, der Hafen nach Afrika, die fremde Mischung der Menschen – das erzeugt ja jede Menge Phantasiebilder, auch bei Valerie und Jens. Und um diese Bilder geht es in der Geschichte, vielleicht noch mehr als um die „realen“ Umstände von Simons Verschwinden. 13


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Die beiden Suchenden, die Mutter und der Exfreund, das ist ja eigentlich eine typische Jan-Krüger-Konstellation: ein ungleiches Paar, das sich permanent herausfordert, Katz-und-Maus miteinander spielt, aber auch flirtet, Stellvertreterkonflikte austrägt, sich verletzt, sich verbündet. Der Konflikt wird hier aber indirekt ausgetragen, im Wettstreit um das „wahre Bild“ vom geliebten Dritten. Warum ist dieser Konflikt für beide so existentiell? Das hat was mit ganz grundsätzlichen Lebensentwürfen zu tun, zu denen ja auch eine Abgrenzung gehört. Für Jens ist Simons Mutter erstmal all dem zugehörig, was er ablehnt. Wahrscheinlich gibt er ihr sogar die Schuld an Simons Haltlosigkeit im Leben, und dagegen muss sich natürlich Valerie entschieden verwehren. Umgekehrt macht Valerie die Selbstbezogenheit, die Jens verkörpert, für Simons unsteten Lebenswandel verantwortlich. Die fortlaufende Erwähnung von Simons schwulen Sehnsüchten muss unter diesem Blickwinkel für Valerie wie ein weiterer Versuch von Jens erscheinen, Simon für das eigene Weltbild zu vereinnahmen. Unabhängig davon machen sich natürlich beide, Jens wie Valerie, mit jedem Tag mehr Sorgen um den verschwunden Sohn und Freund. Und müssen sich selbst befragen, ob sie es womöglich versäumt haben, ihm zu helfen. Das zusammen ergibt eine gefährliche Mischung … Interessant finde ich, dass das Schwulsein in deinen Filmen immer eine Rolle spielt, dass du ihm aber auch immer neue Facetten abgewinnst, abseits der üblichen Coming-Out-Geschichten; Wieland Speck hat das mal ganz hübsch deinen „postemanzipatorischen“ Ansatz genannt. Ist das so, weil du immer von dir und deinen eigenen „Lebensfragen“ ausgehst, oder hast du den Eindruck, dass da viele Geschichten noch nicht erzählt sind? Meine eigenen Erfahrungen oder „Lebensfragen“ spielen natürlich in die Filme hinein, weil ich auch selbst schreibe. Bei Unterwegs war ich zum Beispiel gerade ziemlich durcheinander, und als ich mit Rückenwind angefangen habe, da war ich gerade frisch verliebt. Das allein reicht aber nicht für einen Film. Das fängt schon damit an, dass Drehbuch und Finanzierung soviel Vorlauf haben, meist zwei oder mehr Jahre, da kann sich ja längst wieder alles verändert haben … Grundsätzlich war meine eigene schwule Erfahrung aber immer ein wichtiger Antrieb für meine Arbeiten. Dabei war das klassische ComingOut von Anfang an höchstens ein Aspekt unter vielen. Das ist in der größeren Filmgeschichte etwas verzerrt, was wohl an der erfolgreichen Grundkonstellation liegt: Ein junger Mensch muss tiefsitzende gesellschaftliche Widerstände und eigene Scham überwinden, um am Ende mit dem größten Versprechen – einer unschuldigen Liebe – belohnt zu werden. Das ist eben Lehrbuchdramaturgie, das funktioniert fast immer. Schon bei meinem ersten Kurzfilm Freunde ging es mir aber weniger um die Einlösung dieses Versprechens, als um die Kehrseite der Medaille – den möglichen Machtmissbrauch, der eng mit jeder Liebe verbunden ist. Und auch in Auf der Suche bleibt Simons Homosexualität ambivalent. Für ihn selbst, aber auch für Valerie und Jens, die eigentlichen Protagonisten des Films. Für sie wird Simons Orientierung Mittel zum Zweck: Wer kennt Simon besser? Da geht es nicht um Akzeptanz, das ist etwas ganz anderes. Kurz gesagt: Ja, ich glaube, dass es da auch weiter noch viel zu entdecken und zu erzählen gibt. Dass Schwulsein ein Generationenthema über das elterliche Akzeptieren hinaus ist, habe ich so auch wirklich noch nie in einem Film gesehen. Die Valerie-Figur, gerade so, wie Corinna Harfouch sie spielt, modern, tolerant, mit dieser kein-Thema-mehr-Haltung, steht doch für ganz allgemeine Ängste von Eltern: dass man sich, wenn die Kinder sich entziehen, implizit immer kritisiert und entwertet fühlt. Jens’ aggressive Grundhaltung dagegen wirkt, als müsse er seinen (und Simons) Lebensstil gegen „die Mütter“ im Allgemeinen verteidigen. Ich glaube, mit beiden können sich viele identifizieren … 14

Wenn das so klar wird, ist das auch ein Ergebnis der Vorbereitung mit Corinna Harfouch. Sie hat ja erwachsene Kinder, und kennt die Situation gut, irgendwann loslassen zu müssen, die Ängste, die dazu gehören … Für die Figur des Jens ist es nicht ganz so klar. Seine Reserviertheit mag ein Abgrenzungsversuch sein, vielleicht aber auch Selbstschutz, nicht für Simons Verschwinden verantwortlich gemacht zu werden. Biografisch erfährt man ja fast nichts über die beiden. Aber die Inszenierung verrät viel, im Kostümbild, in der Körperinszenierung … Mich hat das Spiel von Corinna Harfouch überrascht – sie ist viel zurückgenommener als sonst und etwas Trauriges umgibt sie, das über ihre Sorge um den verlorenen Sohn hinausgeht. Was an Valeries Figur hat dich auf Corinna Harfouch gebracht? An Corinna Harfouch hat mich von Anfang an fasziniert, dass sie auch ambivalente Figuren erschaffen kann, ohne sich dabei sofort anzubiedern, nach Sympathie zu angeln. Im Detail ist das natürlich auch riskant. Das fing schon an bei der Auswahl des Kostüms, den absatzlosen Schuhen, der Bundfaltenhose. Wer Corinna Harfouch sonst kennt, weiß, was das für eine Verwandlung bedeutet. Das zurückgenommene Spiel insgesamt hat aber vor allem damit zu tun, dass das Drama in Auf der Suche eben über lange Strecken vermittelt abläuft: Was passiert, wenn die Gefühle, die ja da sind – Sorge, Schuld, Wut, Scham – nicht sofort raus können, weil das Gegenüber eigentlich nicht der richtige Adressat ist? Man könnte ihr stundenlang beim Joghurt-Löffeln zuschauen – eine beunruhigte, überforderte Frau in einer fremden Stadt, die auf ihrem Hotelzimmer erst mal irgendwas Vertrautes macht … Schön, oder? Dabei bringt das nun wirklich die Handlung nicht voran. Und auch, was es konkret über die Figur erzählt, hält sich in Grenzen. Es ist eher ein Moment, wo die Erzählung zurücktritt, Platz schafft für den Zuschauer, ihn sozusagen in die Welt der Figur einlädt. Diese Momente haben viele deiner Filme. Aber waren die diesmal nicht schwerer herzustellen, in einer Erzählstruktur, die ja eigentlich einem Krimi ähnelt? Ständig muss es einen neuen Twist geben, ein neues Indiz, eine neue Figur, damit die „Suche“ weitergeht … Dabei wird hoffentlich schnell klar, dass es nicht wirklich um einen Kriminalfall geht, ein who-dunnit oder so etwas. Nico Rogner und Corinna Harfouch haben da einen schönen Weg gefunden – zwischen den Takes haben sie sich immer mit „Watson“ und „Holmes“ angesprochen. Damit war klar, dass sie zwar spielerisch in die Ermittlerrolle schlüpfen, diesen Teil aber gleichzeitig nicht zu ernst nehmen. Denn natürlich geht es letztlich um etwas tiefer Gehendes, eine Auseinandersetzung mit sich selbst und der eigenen Verantwortung. Jens ist ganz anders inszeniert als Valerie. Nicht nur, dass Nico Rogner ihm ständig etwas Herausforderndes und Undurchsichtiges gibt, die Kamera greift oft seine Bewegungen auf, folgt ihm auf Streifzügen, beim Cruisen, auf Busfahrten – die Bilder scheinen ihm etwas hinterzuhinken, während sie Valerie immer etwas voraus zu sein scheinen. Wenn sie im Schwimmbad nach Simon fragt, weiß die Kamera schon: das bringt nichts … Das ist ja eine interessante Frage, die sich durch jede Erzählung zieht – vor allem, wenn sie keine ganz eindeutige Hauptfigur hat: Durch wessen Augen erleben wir die Geschichte? Nicht nur die Erzählperspektive kann von Szene zu Szene wechseln. Auch im ganz konkreten Moment bleibt es immer eine intuitive Entscheidung: Sind wir dichter an einer Figur, wenn wir ihr ins Gesicht schauen – oder wenn wir sehen, was sie sieht? Oder sehen, was sie vielleicht nicht sieht? Oder wenn wir insgesamt Distanz halten, nur den Körper beobachten, die Gefühle imaginieren? Dazu kommt aber auch mein ganz persönliches Interesse. Obwohl die Figur des Jens scheinbar schillernder ist, ist sie


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mir schon biographisch natürlich näher. So ist es in gewisser Weise sein Blick, durch den ich versuche, mich Valerie und ihren Gefühlen irgendwie anzunähern. Denn die sind (und bleiben) für mich das eigentliche Geheimnis. Auch bei der Kamera ist immer die Frage: Wen stellt sie scharf und wen unscharf – das wechselt permanent und man denkt manchmal, man sei zu dicht dran, man könne sich immer nur auf einen von beiden konzentrieren. Liegt das daran, dass ihr diesmal mit einer kleinen SpiegelreflexKamera gedreht habt? Bernadette Paassen (Kamera) und ich haben mit der für uns neuen Technik (Canon 5D, Zeiss-Objektive) erst mal vieles ausprobiert – manchmal sehr klassisch aufgelöst, manchmal dokumentarisch, von der Schulter, aus der Hand … Für uns war immer die wichtige Frage, welches die richtige Distanz innerhalb der Szene sei. Da ist Bernadette sehr sensibel – hat großen Respekt davor, mit ihrer Kamera womöglich in die eigentliche Inszenierung einzugreifen. Dennoch gelingt ihr immer ein sehr intimer Blick. Neu ist bei dieser Kamera tatsächlich der gezielte Einsatz von Schärfe/Unschärfe. Das gab’s bisher höchstens bei 35mm. Wie läuft es denn mit deiner persönlichen Suche? Wie schwer ist das gerade, als deutscher Filmemacher seinen eigenen Weg zu finden und – vor allem – ihn beizubehalten? „Berliner Schule“ scheint mittlerweile ein Schimpfwort für sprödes, erfolgloses Anti-Kino zu sein, auf der anderen Seite wird gerne das Schreckgespenst der „Fernsehästhetik“ an die Wand gemalt. Du hängst mit solch einem narrativ ausgeschrieben Film, der sich die Freiheiten von Öffnungen und Improvisationen nimmt, „Unwägbarkeiten“ zulässt, irgendwie mittendrin … Zwischen den Stühlen sitzen ist doch toll! Im Ernst: Es gibt eine Menge Unsicherheiten – auch oder vor allem bei den Entscheidern. Tatsächlich haben es gerade ernstere Filme, die nicht gerade einen aktuellen Bezug vorweisen können, schwer. Aber wenn man daraufhin als Filmemacher den vermeintlichen Trends zu folgen versucht, tut man sich auch keinen Gefallen. Dafür dauert ein Film in der Entwicklung einfach zu lange. Bleibt, nach den ganz eigenen Stoffen zu forschen, verlässliche Partner zu finden und Ausdauer zu beweisen. Ansonsten gibt es leider nicht viel, auf das man sich verlassen kann. Ich denke, dass ein starkes Fernsehen, wie wir es in Deutschland haben, viel erfindungsreicher sein könnte. Da wird, aus meiner Perspektive als Filmemacher, etwas Wichtiges versäumt: Es gibt einfach eine große Lücke zwischen den frei produzierten, singulären Spielfilmproduktionen, die Jahre brauchen und mit unheimlichem Risiko behaftet sind, und dem reinen Unterhaltungsfernsehen aus Shows, Serien, Krimis oder klassischen TV-Wohlfühlmovies, allesamt erklärtermaßen ohne weiteren Anspruch oder Lust am Risiko. Wo sind die Zwischenformen, Gemeinschaftsprojekte, seriellen Experimente, Formatspiele? Meinetwegen in engen Grenzen, mit beschränkten Mitteln – aber als ein Stück verlässlicher Arbeitsraum, jenseits des unmittelbaren Unterhaltungsanspruchs. Davon gibt es viel zu wenig. Was heißt das konkret für dich gerade? Ich gehöre zu denen, die bislang vergleichsweise kontinuierlich arbeiten konnten. Das ist keine wirkliche Antwort, ich weiß. Eine bessere habe ich aber gerade nicht. Und wer war jetzt Watson und wer Holmes? Das liegt doch nahe, oder? Nico war Watson, Corinna war Holmes. Allerdings mit gesprochenem „l“. Also wie „Hollms“. To be precise. s

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Gute Filme. Neu auf DVD! Überall im Handel und auf www.goodmovies.de

Die Lust der Frauen Der Sex und das Alter. Kein Widerspruch, sondern ein interessantes Experimentierfeld für Mütter, Ehefrauen, Lesben, Großmütter und alle anderen Frauen, die jenseits der 60 noch Lust auf Liebe und Leben haben…

I Killed My Mother Alle besitzen eine: Mütter. Aber keiner scheint so daran zu knabbern wie der 17-jährige Hubert. Als sie eines Tages dann auch noch erfährt, dass ihr Sohn einen Freund hat, gibt es kein Halten mehr… Das meisterhafte Erstlingswerk des neuen kanadischen Wunderkinds Xavier Dolan („Herzensbrecher“)!

Boy Boy ist bald 18 und was er sich am meisten wünscht, ist, weg von der nervenden Mutter zu kommen und die eigenen Freiheiten zu entdecken. Da scheint sein erster Besuch in einem Nachtclub viel versprechend zu werden: die philippinischen „Macho Dancer“ umschwirren ihn und geben keine Ruhe mehr…


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Performancedruck von Be at r ice Be h n

Von doofen Pärchen und dem schrecklich schwierigen Leben als gut aussehender, junger Mensch in New York City erzählt „The Four-Faced Liar – Liebe findet einen Weg“. Und nimmt seine Figuren trotzdem sehr ernst. Der queere Ausflug in die Welt der Beziehungswilligen läuft im Oktober in der L-Filmnacht.

The Four-Faced Liar – Liebe findet einen Weg von Jacob Chase US 2010, 87 Minuten, OmU Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino L-Filmnacht im Oktober www.l-filmnacht.de

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s Das Leben könnte so einfach und so sexy sein, gäbe es sie nicht: Pärchen. Dieses „aus-Zwei-mach-Eins“-Konstrukt monogamer, stets die Sätze des anderen beendender, total glücklich miteinander seiender und doch auf der Straße anderen hinterher guckender Zwangseinheiten. Oder, um es mit den fabulös poetischen Worten der Lassie Singers zu sagen: „Pärchen verpisst euch, keiner vermisst euch!“ Ungefähr so wird sich Bridget (Marja Lewis Ryan) wohl fühlen, als einzige Lesbe in The Four-Faced Liar – umzingelt von Heteropärchen, die nach außen immer ganz besonders offensiv zeigen müssen, wie super es ihnen doch geht. Bridget lässt keinen heißen One-Night-Stand aus und merkt sich die Namen ihrer Flammen gar nicht erst. Lieber kategorisiert sie die Damen ihrer Wahl nach dem Wochentag, an dem sie sie flachlegt. Umso eigenartiger gestaltet sich dann ihr Zusammenleben mit ihrem besten Freund Trip (Todd Kubrak) und dessen Partnerin Chloe (Liz Osborne). Nach außen hin ist alles wunderbar, im Innern jedoch hat Trip sich längst verabschiedet und nimmt jede Möglichkeit wahr, seine Freundin zu betrügen. Hinzu gesellen sich noch Greg (Daniel Carlisle) und Molly (Emily Peck), ein etwas konservativeres Paar, das soeben die erste gemeinsame Wohnung bezogen hat. Als sich die fünf zum ersten Mal in der Bar „The Four-Faced Liar“ treffen, passiert, was passieren muss: Ein überaus komplexes Gebilde von Freundschaften und Passionen entspringt, das am Ende noch mehr Pärchenlügen aufdeckt und die Fassaden bröckeln lässt, bis kein Stein mehr auf dem anderen steht. Dass es kein hundertprozentiges Happy-End geben kann, wird wohl selbst der mathematisch schwache Zuschauer erahnen, denn fünf Menschen durch die magische Pärchenanzahl Zwei macht … mindestens ein gebrochenes Herz.


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Marci (19)

Auf den ersten Blick bringt The Four-Faced Liar inhaltlich eigentlich nichts mit sich, was andere romantische Drama-Komödien nicht schon aufgenommen und zur Genüge bearbeitet hätten. Und für den europäischen Blick mag es mitunter befremdlich sein, wie schwierig das Leben zu sein scheint als junger, gut aussehender Mensch in einer Stadt wie New York City. Genau hier setzt aber etwas ein, was diesen Film anders macht. Wie leicht hätte man die Geschichte oberflächlich im Sex and the City-Stil für Queere gestalten können. Dass der Tiefgang selbst bei den komödiantischen Einlagen des Films aber nicht verloren geht, liegt vor allem an Marja Lewis Ryan. Sie spielt nicht nur die herrlich zwischen ihren herberen Butchuntertönen und ihrem hochgradig verletzlichen Innern hin und her schwankende Bridget. Viel mehr ist sie auch Ideengeberin und Drehbuchautorin dieser LowBudget-Independentproduktion. Ihre Sicht auf die Dinge geht tiefer, als die inhaltliche Zusammenfassung erwarten ließe. Zwischen den üblichen Liebeleien und Reibereien der Protagonisten webt der Film einiges an Reflexionen über die neue Generation junger Amerikaner ein, die gefangen ist in der immer größer werdenden Diskrepanz zwischen den propagierten (auch sexuell) unbegrenzten Möglichkeiten und der Realität, die meist ein tiefes Gefühl von Orientierungslosigkeit und Performancedruck mit sich bringt. Und in diesem Sinne ist es auch manchmal schrecklich und schwierig, als „Twenty-Something“ in New York City zu wohnen – einer Stadt, die den Erfolgsdruck noch viel größer macht. Vor allem Greg und Molly wollen unbedingt ein perfektes Paar sein und alles richtig machen, weil man es von ihnen erwartet – weil sie es von sich selbst erwarten. Das Einbrechen von Bridget bringt da natürlich viel Konfusion mit sich, die sich in Homophobie und Scham kanalisiert, aber auch in leidenschaftlichem Sex. Bei der Bearbeitung dieser Thematiken verlässt sich der Film aber keinesfalls nur auf die Bildebene. The Four-Faced Liar ist eindeutig von der Mumblecore-Bewegung beeinflusst. Das heißt: Neben dem multiplen Rumgeknutsche wird geredet, verbal verhandelt und viel gemurmelt. s 17

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Sascha ein Film vonDennis Todorović


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Reclamhäftlinge von T obi a s R ausch e r

„Private Romeo“ liebt Private Juliet. Die größte Liebesgeschichte aller Zeiten in schwul, unter Soldaten und im Originaltext (bzw. Schlegel oder Wieland in den Untertiteln). In diesen Baracken wird Romantik jedenfalls noch ernst genommen. In der Gay-Filmnacht im November hoffentlich auch. Dazu ein kleines Dramolett.

Two households, both alike in dignity, In fair Verona, where we lay our scene, From ancient grudge break to new mutiny, Where civil blood makes civil hands unclean. From forth the fatal loins of these two foes A pair of star-cross’d lovers take their life. ***

Mein erster Gedanke bei dem Titel war nur: Ach du scheiße, entweder das ist ’n Porno oder ein kompletter Flop. Es gab mal in den 80ern so ’ne Klamotte mit Goldie Hawn, die hieß Private Benjamin, da lässt sie sich dann nach dem Tod ihres Mannes aus irgend ’nem Grund bei der Armee ausbilden und kommt natürlich gar nicht klar und fragt dann, ob’s die Uniformen nur in grün gibt. Jedenfalls ist es mir nicht ganz verständlich, wie man danach einen ernsten Film Private Romeo nennen kann. Oder man denkt eben an so Pornohengste, die erst einen auf hetero machen und wenn sie dann verschwitzt vom Truppenübungsplatz kommen, bumsen sie sich alle gehörig unter der Dusche durch, weil sie insgeheim den totalen Soldatenfetisch haben. Jedenfalls hat der Film weder mit dem einen noch mit dem anderen was zu tun. Das hat mich angenehm überrascht. ***

Private Romeo von Alan Brown US 2010, 98 Minuten, OmU Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino Gay-Filmnacht im November www.gay-filmnacht.de

A vacation in a foreign land, Uncle Sam does the best he can Now you remember what the draftsman said, Nothing to do all day but stay in bed Smiling faces as you wait to land, But once you get there no one gives a damn Night is falling and you just can’t see, Is this illusion or reality? You’re in the army now, Ohu-oh, you’re in the army – now! ***

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„Es gibt über 60 Filme, die auf dem Stoff basieren.“ – „Wer sagt das?“ – „Ich.“ – „Und woher weißt du das?“ – „Aus dem Internet.“ – „Naja, ich glaube, es gibt wesentlich mehr.“ – „Mein Lieblingstitel ist eine Adaption aus Ägypten aus dem Jahr 1942. Die heißt ‚Shuhaddaa el gharam‘. Cool, oder?“ – „Ja, klingt irgendwie interessanter als ‚Romeo und Julia‘. Aber was ich meine, ist, dass doch jede Liebesgeschichte auf dem Stoff basiert, irgendwie.“ – „Hä? Wie meinst du das jetzt?“ – „Naja, Titanic ist doch genau das Gleiche, nicht nur wegen Leo. Und wenn man mal anfängt, dann sieht man das gleiche Muster überall. Zwei wollen, aber dürfen nicht. Brokeback Mountain zum Beispiel.“ – „Hmm, so hab‘ ich das noch nie gesehen, aber irgendwie haste recht. Aber in ’ner Kaserne und mit Originaltexten gab’s das, glaube ich, noch nicht.“ – „Das kann sein.“ ***

US-Präsident Barack Obama hat am Freitag nun auch formell ein Gesetz aufgehoben, nach dem Soldaten, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen, nicht bei den Streitkräften dienen dürfen. Und alles wegen Lady Gaga. Endlich dürfen auch Homosexuelle für ihr Heimatland sterben. Wir haben so viel erreicht. ***

Wenn du lächelst, dann passiert etwas mit mir, wovor ich mich wehren möchte. Ich kann es aber nicht. Ich sehe dich und verliebe mich ein bisschen, so wie man sich eben in schöne Männer, die im Film schön lächeln, verliebt. Ich atme kurz durch, drücke auf Pause und verfluche die Mechanismen der schwulen Marketingabteilungen. Nein, mich bekommt ihr nicht! Nicht mit so offensichtlichen Tricks wie dem schönen Mann, der so schön und so natürlich lächelt. Und dann gucke ich ein bisschen weiter und will am liebsten ganz in deinen Armen versinken. Wenn du nicht Juliet heißen würdest, würde ich jetzt ganz oft deinen Namen sagen. Du heißt gar nicht Juliet im Film, sondern Glenn? Glenn. Glenn, Glenn, Glenn, Glenn, Glenn, Glenn, Glenn! Wenn du verliebt spielst, glaube ich dir das, und wenn du diesen Mann anlächelst, dann glaube ich dir, dass du glücklich bist. Und ich wäre dann gerne dieser Mann und würde dich gerne einen Tag lang angucken, bis mein Herz explodiert. Aber ich kann dich nicht haben, und das – so wollen es ja die Regeln des Films – macht dich eben noch viel attraktiver für mich. ***

Der Schauspieler Matt Doyle heißt mit vollem Namen Matthew Finnen Doyle, ist 24 Jahre alt und lebt in New York. Die Rolle des Glenn Mangan in Private Romeo ist seine erste Hauptrolle im Film. Vorher spielte er als Jonathan Whitney in der erfolgreichen US-Serie Gossip Girl und ist seit 2006 am Broadway aktiv. Nach verschiedenen Rollen in der Musical-Adaption von Frank Wedekinds „Frühlingserwachen“ ist er zur Zeit noch in War Horse zu sehen und veröffentlichte im Mai zudem seine erste EP. Matt Doyle ist offen schwul. ***

Du bist in diesem verlassenen Militärstützpunkt gefangen und außer ein paar merkwürdig poetisch veranlagten Soldaten gibt es da auch nicht viel. Aber trotzdem wäre ich jetzt gerne bei dir und würde dafür auch Shakespeare auswendig lernen. Das machen diese merkwürdig poetisch veranlagten Soldaten ja auch die ganze Zeit. Die habe ich echt falsch eingeschätzt. Sitzen da wie die letzten Macker in diesem Army-Klassenzimmer und zitieren fleißig aus Reclamheftchen, oder wie die bei euch in den Staaten heißen. „Reclaim“-Heftchen vielleicht. Reclaim the classics – Erobere die Klassiker zurück. Naja, egal. Erst sitzen sie da wie die Obermachos und plötzlich wird der ganze Stützpunkt zur magischen Bühne und du natürlich in der Mitte.

My only love sprung from my only hate! Too early seen unknown, and known too late! Prodigious birth of love it is to me That I must love a loathed enemy. ***

Die Kamera ist ja quasi der Film. Zum einen zeigt sie die Leere, die Unwirtlichkeit und die Ödnis dieses Ortes und gibt dabei auch schon einen Kommentar ab – sie zeigt die Orte des Militärs als Orte der Einsamkeit. Zum anderen ist sie sehr agil und folgt dem Geschehen aus der Hand heraus. Da verwischt dann schnell mal die Schärfe, aber als Zuschauer bekommt man das Gefühl, mitten drin zu sein. Das verleiht dem Film eine Spontaneität, die einen wohltuenden Kontrast zum Diktat der Sprache bildet. Immer wieder fängt sie dazu kleine, fast beiläufig poetische Momente von Hell und Dunkel ein. Da suchen Taschenlampen in der Nacht das Gelände ab oder schattige Klassenzimmer werden zu Liebesverstecken. Letztlich wird die Ästhetik durch an Internetvideos erinnernde Einschübe unterbrochen. Auch hier die Kaserne als Gefängnis – der einzige Kontakt zur Außenwelt die Webcam am Computer. Die Kamera als Hilferuf, den keiner erhört. ***

Ich würde dich so gerne retten, weil ich ja am Anfang schon ahne, was am Ende mit dir passiert. Ach Glenn, unsere Liebe, das heißt meine Liebe zu dir, ist auch schon so ein klassischer Stoff geworden – ich will dich, aber du erwiderst meine Gefühle nicht. Wie auch? Und dann guckst du wieder so verträumt und ich staune über deine schönen, dunkeln Wimpern und will dir am liebsten über deine kurzen Haare streicheln, nur um zu gucken, ob dich das kitzelt. Und dann deine Augen. Ich stell mir vor, wie ich in deine Kaserne schleiche, zu dir in dein Bett. Dann sage ich dir morgens bei jedem Vogel, dass es die Nachtigall war und komme mir etwas komisch vor dabei. „Hey Glenn, lass’ weiterkuscheln, das war doch die Nachtigall!“ Ne, ne, ne, ne. Im Film sprecht ihr ja auch alle wie damals. Puh, ich müsste also nicht nur den ganzen Shakespeare auf Englisch auswendig lernen, sondern auch noch dieses alte Englisch lernen, dass ihr die ganze Zeit sprecht. Aber ehrlich gesagt klingt das auch ziemlich sexy. Wie so ein Korsett, das euch allen perfekt steht, das eng am Körper liegt, aber trotzdem so ein Kleidungsstück ist, aus dem ihr alle am liebsten raus würdet. Wenn du lächelst, hat man das Gefühl, dass es dir ganz egal ist, wo du bist. Diese leeren Korridore stören dich nicht. Die verlassenen Räume nutzt du als Versteck und machst dabei noch den trostlosesten Ort zu deinem Liebesnest. Es scheint dich ganz schön erwischt zu haben. ***

Boah, ich hatte echt die Schnauze voll von diesen hoffnungslosen Schwulenfilmen. Darum war ich total froh, dass das Ende ganz anders ist. Ehrlich, ich muss mir nicht dreimal die Woche angucken, wie man Homophobie am besten in einem Film verpackt, das ist für mich dann immer ein doppelter Schlag ins Gesicht. Darum war ich vom Ende total angetan. Da darf dann auch mal gesungen werden, egal. Dass man aus dem Stoff beschwingt rausgeht, das finde ich schon irgendwie toll. ***

The company was gay, we’d turn night into day ***

TH E EN D

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Gipfel, Abgründe von m a n u e l sch u be rt

Zwei Frauen, eine Landschaft. Auf der letzten Berlinale fiel das norwegische Drama „Fjellet – Der Berg“ durch sein spektakuläres Setting und die zurückgenommene Erzählweise auf, mit der eine zutiefst dramatische lesbische Beziehung auf die Leinwand gebracht wurde. „Fjellet“ ist im November in der L-Filmnacht zu sehen.

s  Die erste Begegnung zwischen einem Film und seinem Zuschauer findet vor dem Gang ins Kino statt. Bevor uns ein Film erreichen kann, erreicht uns zuerst Text über das Werk. Einfache Dinge wie eine Inhaltsangabe, eine Synopsis oder eine Besprechung. Anhand dieser Texte treffen wir eine Vorentscheidung darüber, ob wir einen Film sehen wollen. Empfehlungen von Bekannten oder ein Trailer beeinflussen unsere Entscheidung für oder gegen das Anschauen zusätzlich. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Film als solches noch keinerlei Chance gehabt, für sich einzunehmen. Sitzt man vor dem Programm eines großen Filmfestivals wie der Berlinale, die in wenigen Tagen mehrere Hundert Filme zeigt, werden diese Info-Häppchen zum einzigen Kriterium für die eigene Planung. Die ersten drei Sätze aus dem BerlinaleKatalogtext zu Fjellet – The Mountain: „Vor zwei Jahren starb Vetle, der fünfjährige Sohn von Nora und Solveig, bei einer Bergtour. Seit dieser Zeit lastet die Trauer über seinen Tod auf ihrer Beziehung. Nora, die leibliche Mutter des Kindes, ist im Schmerz über den Verlust immer bitterer geworden.“ 20

Das Kind eines lesbischen Paares stirbt bei einer gemeinsamen Bergwanderung. Ganz ehrlich: Als schwuler Mann und Cineast, der schwermütigen Dramen wenig abgewinnen kann, hätte ich mich bestimmt nicht für diesen Film entschieden. Als Mitglied einer unabhängigen Jury auf der diesjährigen Berlinale musste ich den Film sehen. Im Nachhinein sage ich: Zum Glück. Fjellet startet mit einem Bergpanorama wie aus einer Postkarte. Allerdings bereinigt um die Idylle und angereichert mit etwas Beunruhigendem. Das zweite Bild nimmt eine gelbe Thermosflasche in die Nahaufnahme. Sie liegt im Schnee, wirkt verwittert. Zivilisationsmüll in unberührter, norwegischer Natur. Solveig und Nora, so heißen die beiden Frauen, die im Mittelpunkt dieses Films stehen. Die einzigen sichtbaren Protagonisten, von der umgebenen Natur abgesehen. Dieser Erzählraum, so weit er auch auf der Leinwand erscheinen mag, hat etwas Klaustrophobisches. Ein großes Nichts umgibt die Frauen, was wie ein Katalysator wirkt und die Konflikte zwischen Nora und Solveig anheizt. Vieles in dieser Geschichte wird dabei erst nach und nach deutlich.

Zwei Frauen, die wortkarg über die Hochebene wandern. Sie machen Rast, eine der beiden Frauen will Kaffee kochen. Die andere bemängelt, dass sie zu wenig Kaffee eingepackt hat. Was völlig nebensächlich erscheint, offenbart unvermittelt Spannungen in ihrem Verhältnis zueinander. In Fjellet gibt es einige dieser Momente, in denen vordergründige Kleinigkeiten wesentlich mehr erzählen. Es geht um gegenseitige Entfremdung, um Verlust, um Schuld und Trauer, um die plötzliche Fragilität sicher geglaubter menschlicher Bindungen. Wir folgen diesen Frauen, so abgedroschen das zunächst klingt, auf einer Reise zu sich selbst und zu jenem Ort, der sie zwei Jahre zuvor traumatisierte. In der Filmzeit dauert dieser Trip mehrere Tage. Allein schon das Gespräch über die Dauer ihrer Wanderung reißt die offenbar nur mühsam verschlossenen Wunden wieder auf. „Beim letzten Mal hatten wir einen Fünfjährigen dabei“, sagt Solveig zu Nora. Woraufhin diese in tiefes Schweigen versinkt. Sie scheint unfähig geworden zu sein, auch nur einen Gedanken an den Sohn zu fassen. Der ausdrücklich ihr Kind war, schließlich hat sie ihn doch ausgetragen. Solveig fühlt


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sich durch diese Ausgrenzung schwer verletzt. Erst recht, da sie nun diejenige ist, die ein Kind im Bauch trägt und Angst davor hat, verlassen zu werden. Plötzlich steht diese schwere Frage im Raum: Ist die biologische Mutterschaft mehr wert? Wessen Sohn war Vetle? Unterschwellig droht diese Frage eine langjährige Partnerschaft zu zerstören. Fjellet ist mit 73 Minuten ein auffallend kurzer Spielfilm. Dem dabei jedoch das Kunststück gelingt, in dieser Zeit eine erstaunliche Bandbreite an Themen durchscheinen zu lassen. Regisseur Ole Giæver tippt hierbei immer nur an, und der Zuschauer ist aufgefordert, den Gedanken in seinem Kopf weiter auszuformen. Dass Fjellet dabei nicht oberflächlich wirkt, verdankt sich auch den herausragenden Hauptdarstellerinnen Ellen Dorrit Petersen und Marte Magnusdotter Solem, die von der Kamera beinahe unbarmherzig in den Fokus genommen werden. Selbstbeschränkung ist eine filmische Tugend, die im nicht-heterosexuellen Kino mit seiner fatalen Neigung zum Überzeichnen wenig verbreitet ist. Kleine Blicke und Gesten transportieren oft weit mehr als übervolle Drehbücher und plakative Emo-

tionen. Die zurückgenommene und in sich ruhende Weise, auf die Ole Giæver seinen Film erzählt, fällt daher umso stärker auf. Während der Berlinale dachte ich noch, dass es sich dabei nur um den üblichen Festivaleffekt handelt, der häufig auftritt, wenn man in kurzer Zeit viel zu viele Filme sieht und dementsprechend überreizt ist. Ein halbes Jahr und eine zweite Sichtung später hat Fjellet nichts von seiner Wirkung verloren. Nichts Abgründiges ist zu sehen, niemand onaniert, pisst, schreit, blutet oder gibt sich seinen multiplen Perversionen hin. Aber trotzdem geht es um Abgründe. Hier haben sich zwei Menschen über ein Unglück entzweit, die eigentlich zusammengehören. Diese Zwei, Solveig & Nora, müssen nicht erst mit ihrer eigenen Sexualität zurechtkommen und mehrfach zweifeln, ob das, was sie sind, auch wirklich sie repräsentiert. Erwachsene Frauen blicken auf eine langjährige Beziehung zurück, die nun eine schwere Belastungsprobe aushalten muss. Der Ausgang der Geschichte ist offen, das Scheitern der Partnerschaft droht. Aber wenigstens versuchen sie es und wagen sich an diese Zumutung. Ihre Zuschauer nehmen sie dabei mit und

man folgt ihnen gerne. Die Jury, deretwegen ich mir Fjellet überhaupt erst angesehen hatte, wählte am Ende eine schwule ComingOut-Romanze für ihren Preis aus. Die lesbischen Mitglieder der Jury sorgten mit ihrer Stimmenmehrheit dafür. Der Gewinnerfilm war in Ordnung, auch ich hatte ihn auf meiner Favoritenliste, allerdings nicht ganz oben. Das war dann doch nur eine Story, wie es sie im nicht-heterosexuellen Kino allzu oft gibt. Hängt „unser“ Kino längst in einer ewigen Recyclingschleife der immer gleichen Themen fest? So sehr, dass ein stilles, erwachsenes Drama um eine lesbische Beziehung gegen eine schwule Coming-OutGeschichte keine Chance hat? Welche Aussagekraft haben Jurys und deren Filmpreise eigentlich? Zählt letzten Endes nicht allein das Publikum? Bevor diese Zuschauer Fjellet sehen, lesen sie etwas über den Film, vielleicht auch diesen Text. Gehen sie danach ins Kino? Mich treiben diese Fragen um, wesentlich mehr als bei anderen Filmen. Nutzen wir als nicht-heterosexuelle Kinobesucher die Chance und schenken diesem Film unsere Aufmerksamkeit? Ein Werk, welches über alltägliche Geschichten in einer menschlicheren und respektvolleren Weise erzählt als ein Großteil des queeren Filmschaffens der letzten Jahre. Oder erliegen wir unseren Sehgewohnheiten und Reflexen? Film kann Gesellschaft verändern, das gilt insbesondere im nicht-heterosexuellen Kontext. Fjellet als solitäres Werk ist zu schwach, um eine ganze Bewegung in Gang zu bringen. Aber als Ausdruck einer neuen Erzählhaltung und Beleg einer anderen Herangehensweise an Geschichten aus dem queeren Alltag könnte Ole Giæver mit seinem Film Maßstäbe setzen. s

Fjellet – Der Berg von Ole Giæver NO 2011, 73 Minuten, OmU Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino L-Filmnacht im November www.l-filmnacht.de

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Über und unter die Haut von Ch r ist oph M e y r i ng

s Bildet die Haut unser Bild, das den anderen einen ersten Eindruck von unserem Ich vermittelt, so gilt in Bezug auf einen Film Ähnliches vielleicht für seinen Titel. Die Haut, in der ich wohne, der Titel, mit dem sich Pedro Almodóvars nunmehr bereits 18. Kinospielfilm vorstellt, scheint zunächst kein sonderlich komplizierter zu sein. Auf den zweiten Blick jedoch entpuppt er sich dann aber doch als einigermaßen vertrackt. Denn einerseits suggeriert er, dass die Haut ein Zuhause darstellt, eine Heimat, in der wir uns geborgen und sicher aufgehoben fühlen, in der wir ein lebenslanges Wohnrecht genießen. Andererseits jedoch klingt in ihm eine Trennung an, zwischen Haut und Ich bzw. Hülle und Kern. Existiert die Hülle, die unsere Grenze zur Außenwelt markiert, unabhängig vom Kern? Welche der beiden Komponenten verbürgt unsere Identität? Können wir aus der Wohnung ausziehen oder gar wieder daraus vertrieben werden, also buchstäblich aus der Haut fahren? Und sind wir dann noch wir? Fragen über Fragen, und nicht die einzigen, die Almodóvars auf dem gleichnamigen Roman von Thierry Jonquet basierender Film aufwirft − jedoch nicht abschließend beantworten will oder kann. In der Hülle eines, zahlreiche Vorbilder edler und billigster Machart dieses Genres zitierenden, Horror-Streifens, begibt sich der Regisseur vielmehr auf eine Forschungsreise über und unter das größte Organ des menschlichen Körpers, die anstatt Klarheit immer weitere Fragezeichen produziert − und die, wie von Kritikerseite anlässlich der Uraufführung in Cannes auch schon bemängelt wurde, zunächst eine geradezu wissenschaftliche Kälte ausstrahlt. Je weiter die Handlung allerdings zu ihrem Gänsehautfinale vordringt, desto mehr geht sie einem unter die Haut. Und wie nicht selten bei Almodóvar verläuft sie nicht linear, sondern schälen sich ihre (psycho-)logischen Voraussetzungen und inneren Zusammenhänge wie beim Häuten einer Zwiebel erst allmählich in Form zahlreicher kunstvoller Rückblenden heraus. Typisch auch, dass die Geschichte nur in ihrer spezifischen filmischen Verpackung zu überzeugen vermag und in ihrer schnöden verbalen Nacherzählung geradezu haarsträubend wirkt: Der renommierte Dermatologe und plastische Chirurg Dr. Robert Ledgard (Antonio Banderas), dessen Ehefrau Gal einst bei einem tragischen Autounfall grausam verbrannte, hat nach zwölfjähriger, verbissener Forschungsarbeit im Privatlaboratorium seines abgeschiede22

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Im neuen Film von Pedro Almodóvar experimentiert ein moderner Frankenstein mit der äußeren Erscheinung eines wehrlosen Menschen, dessen geschlechtliche Identität dabei zur unheimlichen Nebensache wird. „Die Haut, in der ich wohne“, der außerdem ein Wiedersehen mit altbekannten Almodóvar-Stars wie Antonio Banderas und Marisa Paredes bietet, wird dem Kinopublikum ab dem 20. Oktober unter die Haut fahren.


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nen Landhauses El Cigarral eine künstliche Haut entwickelt, die der menschlichen optisch vollkommen gleicht, aber gegen alle schädlichen Einflüsse von innen und außen resistent ist. Neben Hartnäckigkeit, Fleiß und seinen bahnbrechenden Erkenntnissen auf dem Gebiet der Zelltherapie waren drei weitere Grundvoraussetzungen für diesen erstaunlichen Erfolg ausschlaggebend: Seine absolute Skrupellosigkeit, die bedingungslose Unterstützung durch seine Haushälterin und verschworene Komplizin Marilia (Marisa Paredes) und ein jederzeit zur absoluten Verfügung stehendes menschliches Versuchskaninchen. Da sich für solche jahrelangen, riskanten und geradezu an Folter grenzenden Experimente niemand freiwillig melden würde, hat Ledgard kurzerhand ein wehrloses Opfer eingefangen, das nun schon geraume Zeit unter permanenter Videoüberwachung wie ein Tier im Käfig ein bedauernswertes Dasein fristet. Als ob dies nicht schon pervers genug wäre, hat der moderne Frankenstein seiner Kreatur auch noch das Gesicht seiner verstorbenen Frau verpasst. Aber es kommt noch schlimmer! Denn Vera (Elena Anaya), so der neue Name des wunderschönen Monsters, hieß einmal Vicente (Jan Cornet) und vergewaltigte vor Jahren Ledgards einzige Tochter Norma (Blanca Suárez), die sich daraufhin das Leben nahm. Die Problematik der Identität verschärft sich also dadurch, dass Vera, deren Name perfider Weise „Wahrheit“ bedeutet, nicht nur in einer falschen Haut gefangen ist, sondern auch im falschen Geschlecht. Ist sie jetzt noch ein Mann oder schon eine Frau? Was ist das Geschlecht, ein psychischer Identitätskern oder der psychische Effekt einer anatomischen Gegebenheit? Auch Robert Ledgard scheint sich darüber immer weniger im Klaren zu sein. Denn je länger er Vera in seinem Arbeitszimmer auf der Membran des riesigen Plasmabildschirms betrachtet, der einen virtuellen Durchblick in Veras Gefängniszelle herstellt, desto mehr und hoffnungsloser scheint er ihr zu verfallen − immerhin sieht der ehemalige Vergewaltiger seiner toten Tochter nun ja auch aus wie seine verstorbene Gattin. Ledgard selbst erinnert in diesem Sinne nun nicht mehr allein an Frankenstein oder Prometheus, sondern stellt sich, zugleich liebeskrank und nekrophil, auch in die Tradition Pygmalions sowie des arglistig getäuschten Scottie (James Steward) aus Hitchcocks Vertigo − Aus dem Reich der Toten (1958). Im Zuge dessen scheinen sich auch die mit den althergebrachten Geschlechtsrollen verknüpften Machtverhältnisse zusehends zu verdrehen. Der selbstbewusste Blick, den das in Nahaufnahme überlebensgroß erscheinende Videogesicht des Opfers Vera auf ihren Peiniger Robert wirft, trifft ihn nämlich, während er in der passiv sich darbietenden Positur eines klassischen weiblichen Aktes auf seiner Chaiselonge liegt. Wer dominiert jetzt eigentlich wen? Und wie empfindet Vera? Sie schlägt ihrem selbsternannten Schöpfergott nach dem gelungenen Abschluss ihrer Metamorphose tatsächlich vor, nun wie Mann und Frau zusammenzuleben und schafft es ohne größere Mühen, ihn in ihr Bett zu locken. Ist sie jetzt zum Homosexu24

ellen geworden oder im Verlauf ihrer anatomischen Transformation innerlich zu einer heterosexuellen Frau mutiert? Und vor allem: Ist ihr, die aufgrund ihres Schutzpanzers nahezu unverwundbar und daher vielleicht gefährlich geworden ist, überhaupt zu trauen? Dies wird sich erst ganz am Ende zeigen. Die Raffinesse der Inszenierung zeigt sich indessen durchgängig darin, dass Almo­dóvar das Hautmotiv ständig kunstvoll variiert und metaphorisch ausdehnt. Zum Beispiel auf den Bereich der Kleidung, die ja häufig auch als „zweite Haut“ bezeichnet wird. Ganz buchstäblich wie eine solche erscheint sie einmal, wenn Vera einen eng anliegenden, hautfarbenen Ganzkörperanzug trägt, der sie gewissermaßen nackt angezogen präsentiert und die Zuschauer zum mehrmaligen, ungläubigen Hinsehen nötigt − ein schöner Einfall des Kostümbildners Paco Delgado, den in der Rolle eines kreativen Beraters niemand Geringeres als Jean-Paul Gaultier bei seiner Arbeit unterstützte. In einer anderen Szene zerreißt Vera mit der Gründlichkeit ihrer ungeheuren Wut über ihr grausames Schicksal die Damenkleider, die ihr Dr. Robert in ihre graue Zelle gehängt hat, zu winzig kleinen Fetzen, ein Gefühlsausbruch, dessen Heftigkeit dadurch noch unterstrichen wird, dass Vincente einst großen Spaß daran hatte, in der Boutique seiner Mutter ähnliche Gewänder auf den Schaufensterpuppen effektvoll zu drapieren. Und dann ist da noch ein geblümtes Dolce-&Gabbana-Modellkleid, das als Dingsymbol durch den gesamten Film wandert und am Schluss eine überraschende Schlüsselrolle spielt. In der männlichen Hauptrolle eines Almo­dóvar-Films ist nach über zwanzig Jahren Pause erstmals wieder Antonio Banderas zu sehen, dem das Frühwerk seines Entdeckers (Labyrinth der Leidenschaften, Matador, Das Gesetz der Begierde, Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs, Fessle mich!) zu Hollywood-Karriere und Weltruhm verhalf. Banderas, der sich aller Hautalterung zum Trotz seine äußere Attraktivität bewahrt hat, stellt den diabolischen Chirurgen weitestgehend emotions- und ausdruckslos dar, wodurch das Psychopathische dieses Charakters noch mehr hervorgehoben wird. Ohne unangebrachte Hysterie, aber mit großer Intensität agiert auch Elena Anaya, die unter Almodóvars Regie zuvor nur als Nebendarstellerin in Sprich mit ihr zu sehen war, in Zukunft aber angesichts ihrer eindrucksvollen Leistung vermutlich noch öfter von ihm besetzt werden wird. Als Hauptdarstellerin für Almodóvars nächsten Film Mina (2012) bereits fest gebucht ist Marisa Paredes, die sich hier, im Unterschied zu den kapriziösen Diven, die sie in High Heels − Die Waffen einer Frau, Mein blühendes Geheimnis und Alles über meine Mutter verkörperte, als verbitterte Hausangestellte Marilia äußerst schroff und humorlos zeigt. Der berühmte Almodóvar-Humor blitzt in Die Haut, in der ich wohne ohnehin nur gelegentlich auf, dann aber in einer wunderbar bösen Art und Weise. So fällt an einer Stelle des Films eine für sich genommen banale Wendung, deren Kontext sie dennoch für die Liste der berühmten letzten Worte qualifiziert. Welcher Satz nämlich, Preisfrage, ist ungefähr der Übelste, mit dem eine Mutter die Irrtümer ihres Sohnes kurz vor ihrem endgültigen Erbleichen widerspruchslos kommentieren kann? — „Ich hab’s gewusst!“ s

Die Haut, in der ich wohne von Pedro Almodóvar ES 2011, 117 Minuten, DF/OmU Tobis, www.tobis.de Im Kino ab 20. Oktober 2011


kino

Glockenschlag und Fukushima von b . d. bi n de r

real fiction filmverleih

Wir nennen sie jetzt einfach mal die Grande Dame des deutschen Queer Cinema. Während die Filmwelt auf ihre lange überfälligen Jelinek-Vampirinnen wartet, hat Ulrike Ottinger schnell einen neuen Film gemacht. Diesmal war sie „Unter Schnee“ unterwegs. Das sollte man im Kino sehen, ab dem 15. September.

s Über diesen Film zu schreiben fällt mir überraschend schwer und leicht zugleich, weshalb ich ein Experiment anordne, in dem ich ein erstes Mal, noch während ich den Film sehe, schon zu schreiben beginne. Und das erste, woran ich denke, ist der Premier in Tepco-Arbeiteruniform und: Ja, ich bin seit dem 11. März 2011 allergisch auf mir anbiedernd erscheinende Versuche seitens Entscheidungsträgern, die sich in dieser Tragödie kein einziges Mal dazu haben entschließen können, sie zu schmälern oder gar zu verhindern. Fukushima. Und dann soll ich mir Schneelandschaft mit Japan-Gebimmel antun … Aber eaaasy – Ulrike Ottinger, der ich im Café gegenübersitzen durfte und jeder Satz schlicht blitzgescheit und sexy. Easy. Da geht’s schon los. Nix-Hetenpaar auf Skiurlaub. Takeo und Mako auf historischer Schneereise und das Ganze, wow, zu 108 Glockenschlägen am Neujahrsabend! Ich bekomme Hunger, gleich zu welcher Uhrzeit denke ich an die winzigen Bildminiaturen aus Köstlichkeiten zu diesem Feiertagsabend. Profaner, auf demselben Planeten, denke ich an eine andere Altersgruppe, anderswo in Japan, die das Jahr über sparte, um noch am vorangegangenen Weihnachtstag das Geld, aus drei parallelen Jobs zum Studium beigestellt, in einer Nacht unter seidenen Decken einer der scheißteuren

Love-Hotels in Shibuya et. al. wegzuvögeln. Und da sind sie, unter Schnee im Film, diese Parallelschnitte zum Jetzt, wie smart – es ist Neujahrsabend in der Küche eines Restaurants und die Hölle ist los! Schälchen hier, Schälchen da. Deckelchen, Wasabitupferchen, winzige Sojasaucenkeramik in Rettichschnipselnestern. „Oishiiiiiiiiiiiii!“, sage ich, und korrigiere mich in heyho-Männersprech „Umai yo!“, für das ich von einer eleganten Japanerin einmal gescholten wurde: „Also, so eigentlich nicht …“ Was soll’s, Mako haut seinem Takeo auch auf den Arsch, wenn der, zu neugierig geworden um weiter stillzusitzen, einen Blick ins verbotene Zimmer der Gastgeberin erhaschen will. Hier wird es wirklich zutiefst ärgerlich, dieses Bild auf schnödem PC zu schauen und noch nicht (erst ab 15. September) auf einer Wand aus Leinen, aus Licht in Finsternis. Fukushima. Im Ottinger-Twist wird der Film Science-Fiction-haft, nur rückwärtsgewandt, in die Edo-Zeit (1600–1868). Die Mode ist gewöhnungsbedürftig, die Bildkomposition makellos, Ottinger hat dann und wann nichtzeitgenössisches japanisches Kino gesehen und umgesetzt. In letzter Zeit faseln viel zu viele viel zu viel über „trans“-irgendwas. Wenn jemand weiß, zu was dieses ominöse „trans“ sinn- und glückvoll einzusetzen ist im

Film, so Ulrike Ottinger. Sie lässt ihre japanisch sprechenden Schauspieler Japanisch sprechen. Zuerst könnte das irritieren, denke ich, wenn ich versuchte, mir vorzustellen wie es ist, in so einem Moment nichts zu verstehen. Das ist dieser vor-dem-erlernt-HabenZustand, alles ist Geräusch, Ton, Musik, Rauschen, Noise (Japan, das Land, das einen der größten Outputs an exquisitem Noise auf diesem Planeten hat). Wie klang der Moment, just bevor das erste Beben am 11. März stattfand? Und der 1.000ste Artikel kann diese fundamentale Zäsur nicht wegschreiben, die die Ereignisse seit diesem Tag hinterlassen haben. Doch zurück und unter Schnee – zur Stunde der Ratte im Jahr des Hasen. Genauer müsste es heißen: Zwischen der Doppelstunde der Ratte, elf Uhr nachts und eins morgens, im Jahre 2011 bis 12. Die Zeit wird hier in Unter Schnee aufgebrochen und zusammengehalten von der Art, Zeit zu messen, die immer noch nachgeschlagen (oder gewusst) werden kann, so wie ich an diesem Tag des Artikelschreibens nachschlug, wie viel Uhr sie nochmals [sic!] gewesen sein mochte. Und wieder in einem Film von Ottinger: das Aushalten des Nicht-Identischen, diesmal in Gestalt der fuchsköpfigen Mako während eines erbarmungslos traurigen Shamisenspiels. Wortloser Kabukikörper, versucht Takeo sie abzuwehren. Schauerlich. Hätt’ ich einen Liebsten neben mir sitzen, so nähme ich ihn flugs bei der Hand und zischte, so schnell wie der Wind, in die nächste einsamschneeverhangene Hütte mit DVD-Player und Flachbildschirm, um Unter Schnee zu schau’n – Reispuderschnee, Trommelschnee, Schaumschnee, Schneeatlas. „Selbst wenn ich in die Siebte Hölle kommen sollte, Dich begehre ich“, sagt die Erzählstimme, „im Wachen wie im Träumen“. Betrachten wir Ottingers Filmwerk seit 1972, so verwundert es nicht, dass sie einmal sagte, immer zwischen der Entscheidung Wissenschaft oder Film geschwankt zu haben. Vielleicht tut sie das in Unter Schnee immer noch. Zwischen 108 Glockenschlägen und Fukushima. s

Unter Schnee von Ulrike Ottinger DE 2007, 104 Minuten, dt. OF Real Fiction, www.realfictionfilme.de

Prater von Ulrike Ottinger DE 2011, 103 Minuten, dt. OF Auf DVD bei der Edition Salzgeber, www.salzgeber.de

Im Kino ab 15. September

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On The Road Von Ch r ist i a n W e be r

Seinen neuen Film „Restless“ (Start 20. Oktober) konnten wir noch gar nicht sehen. Aber ein Roadtrip durch das queere Kino von Gus Van Sant war trotzdem schon lange überfällig. Für die SISSY unternimmt den Christian Weber, ein ausgesprochener Kenner des vielschichtigen Werks.

s Es ist eine der anrührendsten Szenen der queeren Filmgeschichte: Die beiden Straßenjungen Mike und Scott sitzen zusammen am Lagerfeuer, irgendwo in einer Wüste Idahos. Scott sieht seine Tätigkeit als Stricher professionell und macht klar, dass er niemals mit einem Mann schlafen würde, der ihn nicht dafür bezahlt, ja, dass es Liebe zwischen Männern gar nicht geben würde. Mike blickt schüchtern zu Boden, dann kurz wieder zu seinem besten Freund auf, und flüstert ihm dann zu: „I love you, and you don’t pay me.“ In seinem dritten Langfilm My Own Private Idaho (1991) lässt der US-amerikanische Regisseur Gus Van Sant trotz dieses Geständnisses die sexuelle Identität seiner Hauptfigur offen. Mike, der ohne Vater aufgewachsen ist und früh von seiner Mutter zurückgelassen wurde, ist eine unsichere Figur, die sich weniger nach lustvoller Erfüllung als vielmehr nach einem Gefühl der Geborgenheit sehnt. Eben dies vermittelt ihm Scott auf der gemeinsamen Suche nach Mikes Mutter für eine Weile – und dafür liebt er ihn. Bedingungslos. Mikes Sehnsucht nach seinem besten Freund bleibt unerwidert. Am Ende des Films gehen die beiden entgegengesetzte Wege: Während Scott eine junge Frau heiratet, in seine wohlhabende Familie zurückkehrt und eine politische Karriere beginnt, ändert sich an Mikes Situation offenbar nichts. Er steht am Ende auf der gleichen verlassenen Landstraße wie zu Beginn des Films. In diesem Schlussbild ist fast alles zusammengefasst, was Van Sants Kino bis heute auszeichnet: Mike ist ein gesellschaftlicher Außenseiter, ein einsamer Antiheld und Heimatloser, der ständig auf der Suche ist, irgendwo ‚anzukommen‘, und am Ende feststellen muss, dass es ein Zuhause für ihn im konventionellen Sinne nie gegeben hat und auch in Zukunft nicht geben kann. Während man in einigen Filmen Van Sants tatsächlich schwule oder lesbische Begegnungen beobachten kann, so ist das eigentlich queere Element seines Kinos jener Schmerz über den Verlust von Heimat und Familie sowie die Suche nach einem alternativen Zuhause. Dabei platziert Van Sant seine Figuren stets in dezidiert amerikanischen Räumen, so wie hier auf eine endlos lang wirkende Landstraße – denn das Gefühl der Heimatlosigkeit gehört auch zu den USA, begründet durch die Geschichte der Einwanderung und Landnahme sowie die Weite des Kontinents. Das amerikanische Kino hat dafür eigene Genres ent26

wickelt, auf die sich Van Sant immer wieder ikonographisch bezieht: den Western und das Road Movie. Das zentrale Thema seines Werks bietet der Regisseur in vielen verschiedenen filmischen Formen dar: in Independentfilmen, in Versionen von weiteren Hollywood-Genres wie dem Melodram oder dem Biopic oder in narrativ, visuell und akustisch experimentell gestalteten Kunstfilmen. In seinem Changieren zwischen unterschiedlichen Produktionsbedingungen und Formsprachen hinterfragt Van Sant dabei nicht nur ständig seine eigene Position als Filmemacher in den USA; er offenbart damit selbst einen queeren, weil flexiblen Ansatz, seine Figuren und Motive im Spannungsfeld von Aufbegehren und Anpassung immer wieder neu zu verorten und so auch einem stets neuen Publikum zu präsentieren. Die verschiedenen Felder seines Werks widersprechen einander dabei nicht, sondern befruchten sich gegenseitig. Van Sant, der im Laufe der Jahre auch als Regisseur einer Reihe von Kurzfilmen und Musikvideos sowie als Musiker, Maler und Schriftsteller in Erscheinung trat, ist der große Suchende des aktuellen amerikanischen Autorenfilms. Bereits seine Biografie beschreibt eine Suchbewegung. 1952 in Louisville in Kentucky als Sohn wohlhabender Eltern geboren, zieht er mit seiner Familie während seiner Kindheit und Jugend mehrere Male um, ehe er ein Kunststudium in Rhode Island beginnt. Nach seinem Abschluss im Jahr 1975 weiß Van Sant, dass er als Filmregisseur arbeiten will. Trotz seines Interesses an der Konzeptkunst der 70er Jahre und dem New Yorker Underground- und Experimentalfilm geht Van Sant zunächst nach Los Angeles, wo er bei verschiedenen Film- und Fernsehformaten mitarbeitet. Mit 28 und nach einem missglückten Debütfilm-Versuch ist Van Sant von Hollywood aber so desillusioniert, dass er zurück zu seinen Eltern zieht, die mittlerweile in Connecticut leben. In New York arbeitet er zunächst in einem Warenhaus, dann in einer Werbeagentur, um Geld für sein nächstes Filmprojekt zusammenzusparen. Ende 1983 zieht Van Sant schließlich nach Portland, Oregon – in jene Stadt, in der er bereits Teile seiner Schulzeit verbrachte. Portland, ein Zentrum der alternativen Kunstund Kulturszene im Nordwesten der USA – u.a. der Punk-, Queerund Grunge-Bewegungen der 80er und 90er Jahre – erweist sich als idealer Lebens- und Arbeitsort für den jungen Filmemacher, auf des-


profil Filmografie Gus Van Sant 1985

Mala Noche (DVD bei Alive)

1989

Drugstore Cowboy (DVD bei MGM Home)

1991

My Private Idaho (DVD bei Warner Home)

1993

Even Cowgirls Get The Blues (DVD bei Warner Home)

1995

To Die For (DVD bei Kinowelt)

1997

Good Will Hunting (DVD bei Walt Disney)

1998

Psycho (DVD bei Universal)

2000

Forrester – Gefunden! (DVD bei Sony Pictures Home)

2002

Gerry (DVD bei Kinowelt)

2003

Elephant (DVD bei Kinowelt)

2005

Last Days (DVD bei Alive) Paranoid Park (DVD bei Alive)

2008

Milk (DVD bei Paramount)

2011

Restless (Sony Pictures)

sony pictures

2007

Regisseur Van Sant bei den Dreharbeiten zu „Restless“ (mit Hauptdarsteller Henry Hopper)

sen künstlerische Haltung die suburbane und gesellschaftskritische Beat-Literatur der 50er Jahre sowie deren Galionsfiguren William S. Burroughs, Allen Ginsberg und Jack Kerouac vermutlich den größten Einfluss hatten. In Portland entstehen die ersten drei Langfilme Van Sants, die – ähnlich vieler Beat-Texte – alle in sozialen Außenseitermilieus angesiedelt sind und die der Regisseur zu weiten Teilen on location und mit Laien realisiert – auf den Straßen der Stadt, unter Obdachlosen, Junkies und Strichern. Van Sants Debütfilm Mala Noche (1985), auf 16mm und mit einem Budget von lediglich 25.000 Dollar gedreht, erzählt von dem schwulen Kioskbesitzer Walt, der sich in den mexikanischen Gastarbeiter Johnny verliebt. Obwohl dieser Walts Gefühle nicht erwidert, entwickelt sich zwischen den beiden und Johnnys bestem Freund Pepper eine paradoxe Ménage à troi. Der in einer ausklügelten Lichtdramaturgie gestaltete Schwarzweiß-Film lässt deutliche Anleihen an den Film Noir und den Experimentalfilm erkennen. Vor allem aber nimmt Mala Noche inhaltliche Elemente des New Queer Cinema vorweg, noch ehe sich jene Erneuerungsbewegung des nordamerikanischen schwul-lesbischen Films Ende der 80er Jahre mit Filmen wie Jennie Livingstons Paris Is Burning oder Todd Haynes’ Poison etablierte: Van Sants Film zeigt die ganz subjektive Sicht einer schwulen Hauptfigur auf die Welt und spielt dabei in einem prekären Milieu, das bisher sowohl von der hetero- wie auch von der homosexuellen Kultur zu weiten Teilen ausgespart wurde. Damit fordert Mala Noche das essentialistische Verständnis heraus, nach dem ‚die Schwulen‘ eine homogene Gruppe seien. Schwules Begehren ist hier neben Nationalität, ethnischem Hintergrund und sozioökonomischem Status nur ein Identitäts-Aspekt unter mehreren, die Walt und die beiden Mexikaner unterscheiden. Vor allem wird Walt aber nicht ‚politisch korrekt‘ gezeichnet, sondern als überaus ambivalente Figur, welche die beiden jungen Mexikaner sexuell ausbeutet. Van Sants Rebellion gegen etablierte Darstellungsformen des Homosexuellen im Film ist entgegen dem bestimmenden Gestus des New Queer Cinemas aber keine aggressive, sondern eine fast beiläufige, die ganz vom empathischen Blick auf unterschiedliche soziale Minderheiten geprägt ist. Obwohl sie sexuell anders begehren, haben die Figuren

in Mala Noche schließlich die Erfahrung der Fremdheit gemeinsam: Walt ist durch sein Schwulsein ein Außenseiter innerhalb der USGesellschaft, Johnny und Pepper aufgrund ihres Status als Gastarbeiter fernab der Heimat. Diese Gemeinsamkeit lässt die Figuren im Laufe des Films eine Allianz eingehen und vorübergehend zu einer Art Ersatzfamilie werden – ein Motiv, das man bei Van Sants immer wieder findet. Nachdem Mala Noche sowohl beim Publikum als auch bei der damaligen Filmkritik nur wenig Aufmerksamkeit erregte, gelingt Van Sant mit dem Junkie-Porträt Drugstore Cowboy (1989) der Durchbruch. Der Erfolg dieses Films ermöglicht es dem Regisseur, nach zwei Roman-Adaptionen sein erstes eigenes Drehbuch umzusetzen. My Own Private Idaho ist einerseits eine wilde Mischung unterschiedlichster Einflüsse: Motive und Ikonographien des Westerns und des Road Movies werden mit Bezügen zu William Shakespeares Dramenzyklus „Henriad“ (1597–1601), Orsons Welles’ ShakespeareFilm Chimes At Midnight (1965) und Victor Flemings Klassiker The Wizard Of Oz (1939) kombiniert; anderseits ist es aber auch Van Sants bis heute persönlichster Film. Der Regisseur hat sich in Interviews sowohl mit der Figur Scotts identifiziert, dem Sohn aus wohlhabenden Hause, der sich auf den Straßenstrich begibt, um seine Erfahrungen dort für eine spätere Karriere nutzbar zu machen, als auch mit Mike, dem heimatlosen Jungen, dessen Sehnsucht nach Geborgenheit sich in der unendlichen Weite der amerikanischen Landschaft verläuft. Die Sympathien für die beiden Figuren sind indes im Film klar verteilt: Scott kann seiner Position als Außenseiter nur entwachsen, indem er seinen Freund Mike verrät. Am Ende steht der Zuschauer wie zu Beginn des Films mit Mike auf der Landstraße. Die subversive Leistung des Films besteht vor allem in seiner Kombination des dezidiert queeren Settings des Portlander Strichermilieus mit einer Reihe von Referenzen auf eine bis dahin vor allem heterosexuell rezipierte Populär- und Hochkultur. Van Sant lokalisiert mit seinem vielschichtigen Porträtfilm gemäß den Forderungen des New Queer Cinema Homosexualität in der Kulturgeschichte und beteiligte sich so auch am queeren Kampf um schwul-lesbische Repräsentation in der Hochphase der Aids-Krise. 27


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Bei den Dreharbeiten zu „Mala Noche“ (1985)

Mit seinem Film Even Cowgirls Get The Blues (1993) – der Adaption eines gleichnamigen Kultromans der Hippie-Generation von Tom Robbins – greift Van Sant die Symbolsprache seiner Portland-Trilogie wieder auf und überhöht sie satirisch. Ausgerechnet überlange Daumen markieren ein Mädchen mit dem programmatischen Namen Sissy von Beginn an als Außenseiterin. Ausgestattet mit dieser phallushaften Deformation flieht Sissy vor ihrer Familie, die sie nicht so akzeptieren kann wie sie ist. Aus ihrer vermeintlichen Not macht sie eine Tugend und wird zur „Königin der Anhalterinnen“, die sich aber wie alle Van Santschen Figuren bald danach sehnt, irgendwo anzukommen. Nach jahrelanger Reise kreuz und quer durch Amerika und einer Reihe von heteround homosexuellen Abenteuern kommt Sissy schließlich auf einer Ranch voll lesbischer Cowgirls an. Van Sants Film wurde von der damaligen Fachpresse massiv angegriffen und gilt vielen als misslungener Versuch, Robbins vielstimmigen Roman zu verfilmen. Tatsächlich funktioniert Van Sants Regiearbeit aber nicht nur als Satire auf das HippieIdeal nach freier Persönlichkeitsentfaltung, sondern ist auch ein weiterer Schlüsselfilm für das New Queer Cinema: Die sexuelle Identität Sissys wird wie jene Mikes in My Own Private Idaho nie konkret bezeichnet. Damit durchkreuzt Van Sant abermals die Vorstellung eines in sexueller Hinsicht als stabil angenommenen Identitätskonzepts. Auf subversive Weise eignet sich der Regisseur auch hier Bildlichkeiten und Konventionen der männlich dominierten Genres des Westerns und des Road Movies an und überträgt diese auf eine queere Perspektive. Nach einem Ausflug ins Fach der schwarzen Komödie mit To Die For (1995) etabliert sich Van Sant mit seinen nächsten Filmen endgültig auch in Hollywood. Good Will 28

Hunting (1996) und Finding Forrester (2000) erzählen mit melodramatischer Formsprache auffallend ähnliche Geschichten: In dem einen Film ist es ein mathematisches, in dem anderen ein literarisches Wunderkind, die sich gegen sozial widrige Umstände durchsetzen müssen und dabei ihre Talente zu nutzen lernen. Entgegen Van Sants frühen Filmen stehen hier mit Will und Jamal zwei jugendliche Hauptfiguren im Zentrum, die tatsächlich ein Coming-of-Age erfahren – eine Entwicklung also, die sie erwachsen werden und im Zuge dessen ihre ursprünglichen Krisen der Einsamkeit überwinden lässt. In beiden Fällen ist diese Entwicklung durch die Freundschaft mit einem erwachsenen Mann möglich, der seinerseits an Einsamkeit leidet, aber Will bzw. Jamal zur Identifikationsfigur wird. Der Preis für das Coming-of-Age der beiden Jungen ist aber wie in My Own Private Idaho der Verlust jener Freundschaft: Will und sein Therapeut Sean gehen am Ende getrennte Wege; Jamal betrauert den Tod seines Lehrers William. Nicht nur durch diese ambivalenten Enden relativieren sich die offensichtlich geglückten Bildungserzählungen; auch ein homoerotischer Subtext zieht sich durch beide Filme. Dieser stellt sich vor allem durch subtile Blickdramaturgien und eine ungewöhnliche Emotionalität zwischen den Schülern und ihren Mentoren dar, welche auf eine queer codierte Sehnsucht nach Zugehörigkeit der einsamen jungen – und hier auch älteren – Männer verweist. Nach seinem oft missverstandenen Studiofilm Psycho (1998) – einer konzeptuellen Aneignung von Hitchcocks Klassiker aus dem Jahr 1960, den Van Sant durch subtile Manipulationen queer uminterpretiert – kehrt der Regisseur mit seinen vier zwischen 2001 und 2007 mit geringem Budget und fernab von Hollywood entstandenen Filmen zu seinen

Ursprüngen im Independent-Kino zurück. Die ersten drei dieser Filme bilden die sogenannte Trilogie des Todes und basieren auf wahren Begebenheiten mit fatalem Ausgang: Gerry (2001) zeigt zwei junger Männer, die zusammen in eine Wüste laufen, aus der nur einer lebend zurückkehrt; Elephant (2003) den Amoklauf zweier Jungen an ihrer High School; Last Days (2005) die letzten Tage eines jungen Musikers – angelehnt an Nirvana-Sänger Kurt Cobain – vor seinem Selbstmord. Van Sants Trilogie des Todes ist auf eine neue Art queer und in hohem Maße subversiv: Sie entzieht den Todesfällen durch den Aufbruch von Chronologien, durch elliptisches Erzählen und die Methode der Multiperspektivierung jede Art von simpler Erklärung. Der Regisseur verwendet die als queer verstandene Methode der formalen Dekonstruktion hier vor allem dazu, um die Identitäten sowohl der Tätern als auch der Opfer offen zu halten. Als ursächlich für die Taten einzelner Protagonisten kann einzig eine abstrakte Entfremdung von der jeweiligen Lebensrealität ausgemacht werden, die zu radikaler Orientierungslosigkeit führt, aus der sie sich nicht mehr befreien können. Gegenüber den oberflächlich glückenden Coming-of-AgeErzählungen seiner Hollywood-Melodramen zeichnet Van Sant damit ein im wahrsten Sinne des Wortes vernichtendes Porträt der amerikanischen Jugend. Wie einige Figuren in der Trilogie des Todes leidet auch Alex in Paranoid Park (2007) vor allem an einem Mangel an Bezugspersonen. Vor diesem Hintergrund stürzt die Begegnung mit dem Tod – Alex ist für den Tod eines Wachmanns mitverantwortlich – den Jugendlichen in eine fundamentale Identitätskrise, die dieser am Ende erst durch den Beweis einer neu gewonnen Freundschaft überwinden kann. Eine abermals nicht-chronologische Narration, experimentell wirkende Montagen sowie ein vielfältiger und meist kontrapunktisch eingesetzter Soundtrack zeichnen Alex’ Verstörung nach, die sich im Laufe des Films nicht nur als durch die konkrete Erfahrung der Schuld, sondern auch als durch die allgemeine Erfahrung des Heranwachsens ausgelöst darstellt. Mit einem höchst sinnlichen Blick auf die dortige Jugendkultur inszeniert Van Sant einen Portlander Skaterpark als assoziativen Fluchtraum für Alex, der in seiner sexuellen Identität auf eine Weise nicht festgelegt erscheint, wie es im amerikanischen Youth Film, ja selbst im queeren Film selten zu sehen ist. Die Filme über die Konfrontationen von Jugendlichen mit dem Tod haben Van Sants Ruf in der Filmkritik als einer der innovativsten Regisseure seiner Generation international wiederbelebt, nachdem ihm dieser Mitte der 90er Jahre paradoxerweise abhanden gekommen war. Mit der Verfilmung des


profil

Wirkens und Sterbens Harvey Milks – der im Jahr 1977 als erster bekennender Schwuler in den USA in ein öffentliches Amt gewählten wurde – kehrt Van Sant schließlich wieder zur Formsprache seiner Hollywood-Melodramen zurück. Mit Milk (2008) wendet sich Van Sant von den dekonstruktivistischen Prinzipien des New Queer Cinemas weitgehend ab und dreht den bisher wohl politischsten schwulen Hollywood-Film: Anstelle eines Antihelden tritt hier ein schwuler Märtyrer auf und erstmals eine Hauptfigur, die keiner Mentoren mehr bedarf, sondern selbst zur Identifikationsgestalt für andere wird. Die Filmhandlung beginnt mit Milks Ankunft in San Francisco zu einem Zeitpunkt, an dem er seine eigene Identitätskrise bereits überwunden hat: So passiv, schüchtern und zögernd Van Sants bisherige Antihelden waren, so aktiv, fordernd und entschlossen ist Milk. Mit aller Kraft will er sich aus der Position des Außenseiters befreien und einen Platz in der Mitte der amerikanischen Gesellschaft behaupten. Ein Schlüssel dieser neuen Selbstsicherheit wird dabei der für Van Sants Kino bisher umfassendste Entwurf einer Ersatzfamilie, einer im wahrsten Sinne des Wortes Gay Family: Im Castro-Viertel von San Fransisco entsteht um Milk eine Gemeinschaft, die die Trennung von ihren biologischen Familien in einen freiheitsbewegten Impuls verwandelt. Im Moment seines größten politischen Triumphs, in dem die Hoffnung anklingt, die Lage der Homosexuellen könnte sich nicht nur in San Francisco, sondern in den ganzen USA verbessern, spricht Milk schließlich jene Sätze, die wie ein positiver Schlusspunkt in Van Sants queerem Heimatdiskurs klingen: „Tonight, we are clear that there is a place for us. My brothers and sisters, we can come home again!” Doch auch in Milk gibt es eine in ihrer Identität radikal verunsicherte Figur, die hier – ähnlich wie die Jugendlichen in der Trilogie des Todes – zur Gewalt geift: Milk wird von seinem ehemaligen Kollegen im Stadtrat, Dan White, erschossen – auch hier aus unklarer Motivlage. Van Sants Film zeigt diesen Mord an Milk aber nicht mehr als irritierenden Schlusspunkt, sondern als Schlüsselmoment für das Gay Liberation Movement, dem der Regisseur damit ein kraftvolles Monument setzt. Van Sant nutzt hier gezielt die Hollywood-Konventionen des Biopics, um die einst subversive Forderung nach schwullesbischer Geschichtsschreibung des New Queer Cinemas umzusetzen. Ganz im Sinne der Ambivalenz seiner Filme sieht Van Sant seine politische Funktion als Filmemacher indes zwiespältig: „I’m always trying to just paint a portrait; I’m not necessarily trying to comment politically.“ Van Sant hat bis zu Milk tatsächlich weitgehend auf politische Positionierungen oder Statements verzichtet. Doch auch seine vorhergehenden Filme sind in hohem Maße politisch, da sie soziale und sexuelle Minderheiten überhaupt repräsentieren, ohne diese auszustellen oder auf klischeehafte Darstellungen zurückzugreifen. Queer wird Van Sants Kino nicht nur durch das Gefühl der Heimatlosigkeit und der besonderen Sehnsucht seiner Figuren, sondern auch durch die Offenheit der Annäherung des Regisseurs an seine Stoffe. Unabhängig davon, welchen Weg sein Kino in Zukunft nehmen wird – eine queere Perspektive ist darin stets zu vermuten. s

CHARLOTTE RAMPLING

THE LOOK EIN FILM VON ANGELINA MACCARONE »Ein wunderbarer Film, getragen von Charlotte Ramplings Witz, Klugheit und ihrer unfassbaren Leinwandpräsenz.« THE HOLLYWOOD REPORTER

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„Stadt Land Fluss macht glücklich!“ SIEGESSÄULE

„Fast wie im richtigen Leben …“ HINNERK

„A sweet gay romance!“ VA R I E T Y

Restless von Gus Van Sant US 2011, dt. SF / OmU Sony Pictures, www.sonypictures.de Im Kino ab 20. Oktober 2011

AB OKTOBER AUF DVD!

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Geliebtes Monster Von da n i e l sa n de r

piffl medien

Charlotte Rampling lässt sich mit Angelina Maccarones neuem Dokumentarfilm „The Look“ (Kinostart 20. Oktober) ein Denkmal setzen. Recht so!

s Es kann etwas Herabwürdigendes haben, Lobpreisungen großer Frauen mit der Beschreibung ihrer atemberaubenden Schönheit zu beginnen, als wäre das schon ihre größte Leistung. Aber bei Charlotte Rampling, 65 Jahre alt und vielleicht die schönste Frau der Welt, heißt Schönheit nicht einfach gut aussehen. Es heißt betören, abstoßen, faszinieren, missbilligen, gefügig machen mit nur einem Blick – als „The Look“ beschrieb jenen vor langer Zeit ihr Kollege Dirk Bogarde so: „Die glühenden smaragdenen Augen werden zu Stahl in nur einer Sekunde, und schwinden sacht zum weichesten, zärtlichsten, rehäugigsten Braun …“ The Look ist damit schon mal ein guter Titel für Angelina Maccarones unbedingt sehenswerten Versuch eines Filmporträts von Charlotte Rampling – der Schauspielerin, der die Welt verfallen ist in Woody Allens Stardust Memories, die uns in tiefste Abgründe führte in Der Nachtportier von Liliana Cavani, die Paul Newman eiskalt das Herz brach in Sidney Lumets The Verdict. Und genauso gut ist der Untertitel A Self Portrait Through Others. Denn wenn hier irgendjemand irgendwen porträtiert, dann Charlotte Rampling sich selbst, die anderen helfen nur dabei. Maccarone hinter der Kamera und davor ein paar von Ramplings liebsten Freunden. Mit denen sie über die Dinge plaudert, die sie am meisten bewegen. Mit Peter Lindbergh zum Beispiel über das Exponiertsein. Mit Paul Auster in seinem Hausboot über das Altern. Mit Jürgen Teller über Tabus. Nur zum Thema Schönheit doziert sie allein. Wer sollte davon auch mehr Ahnung haben als sie? Maccarone, seit ihrem Debüt Kommt Mausi raus?! und späteren Schmuckstücken wie Fremde Haut und Verfolgt verlässliche Heldin des nichtheterosexuellen Kinos, will hier nicht die Lebensgeschichte der Rampling erzählen. Ihre wichtigsten Film werden gestreift, Viscontis Die Verdammten natürlich, und die beiden François-OzonWerke Unter dem Sand und Swimming Pool, aber klassisch Biografisches, Anekdoten aus Kindheit und Jugend

etwa, gibt es kaum. Es geht darum, wie diese Frau die Welt sieht, wie sie sich sieht, und wie wir sie sehen. Die Kühle. Das Monster. Die Verführerin. Die Künstlerin. Die Geheimnisvolle. All das ist sie und das spielt sie, im Film und im Leben. Hauptsache nicht belanglos. Lieber ein Monster als nett, sagt sie an einer Stelle, und dafür liebt man sie. Charlotte Rampling hat sich nie für die Karriere verraten, nahm nur die Rollen an, die sie interessierten, und sie interessiert sich nun mal auch für die dunklen Seiten des Lebens, wahrscheinlich sogar besonders für die. Mit dem Maler Anthony Palliser diskutiert sie in The Look den Tod, mit dem Dichter Frederick Seidel räsoniert sie über Dämonen – und es scheint so, als rissen sie diese Themen ein bisschen mehr mit als etwa Liebe (mit Cynthia und Joy Fleury), Resonanz (mit ihrem Sohn Barnaby Southcombe) oder die eher gehaltlose Unterhaltung über Begehren mit der Ausstattungskünstlerin Franckie Diago, mit der sie aber offenbar gern Tischfußball spielt. Es sind ohnehin weniger ihre Worte, die viel von ihr preisgeben, als ihre Umgangsformen, die Art, wie sie mit den Leuten spricht. Gegenüber ihrem Sohn, einem erfolgreichen Regisseur, ist sie liebevolle Mutter und distanzierter Profi. Mit niemandem lacht sie so gelöst wie mit Peter Lindbergh, mit keinem teilt sie sich so lässig eine Zigarette auf der Straße wie mit Jürgen Teller. Im Pariser Jardin des Tuileries drückt sie einem bewundernden Rentner einen Kuss auf den Mund, ganz die warmherzige Lady. Und scheucht während eines Interviews mit Maccarone kühl ein paar Crewmitglieder aus ihrem Blickfeld, ganz Der Teufel trägt Prada. So will sie, dass wir sie sehen. Rampling hat sich den Final Cut über den Film zusichern lassen, das letzte Wort im Schneideraum. The Look zeigt nur, was sie ausdrücklich abgesegnet hat. Ein Selbstporträt eben, ein Denkmal. Dies ist der Blick von Charlotte Rampling auf sich selbst. Stählern und samtweich, wie immer. Ein großer Film für eine große Frau. s

Charlotte Rampling – The Look von Angelina Maccarone DE/FR 2011, 94 Minuten, OmU Piffl Medien, www.piffl-medien.de Im Kino ab 20. Oktober 2011

Filmografie Angelina Maccarone 1995

Kommt Mausi raus?! (DVD bei der Edition Salzgeber)

1998

Alles wird gut (DVD bei der Edition Salzgeber)

1998

Ein Engel schlägt zurück (TV)

2005

Fremde Haut (DVD bei Indigo)

2006

Verfolgt (DVD bei MMM Film)

2007

Vivere (DVD bei Alive)

2011

The Look (Piffl Medien)

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Zu schade von Ja n K ü n e m u n d

Marc Boettcher hat nach seinen großen Porträtfilmen über Alexandra, Bert Kaempfert und Gitte Haenning einer weiteren Stimme der deutschen Nachkriegsmusikgeschichte einen Resonanzraum gegeben, der ihr bislang verschlossen war. Inge Brandenburg war als selbstbewusste Künstlerin mit überregionalen Träumen zur falschen Zeit am falschen Ort. „Sing! Inge, sing!“ startet am 27. Oktober in den deutschen Kinos.

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edition salzgeber

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s „Feelin’ sad“. Eine Stimme aus dem Nichts. Pause. Ein Halbton daneben. „Really gets bad“. Falsches Zittern. Aushauchen. „Round.“ Klarer: „Round.“ Gehaltener Ton, Vibrato am Ende. Kunstpause. „Round Midnight …“ Inge Brandenburg singt einen JazzStandard. Marc Boettcher filmt eine Stimme. Sie ist dunkel, hart, einzigartig und etwas obszön. In ihr, so die wilde Konstruktion des Films, soll ein Leben hörbar sein, voller Gewalt, Traurigkeit, Enttäuschung, Ausbruch und Triumph. Immer wieder sagen Musiker in den Interviews: So kann man nur singen, wenn man ein Leben wie Inge Brandenburg geführt hat. Also setzt Marc Boettcher Inges Leben zusammen. Das notwendigerweise zum Jazz geführt hat. Das am Jazz wieder zerbrochen ist, weil ihn im Nachkriegsdeutschland keiner hören wollte. Das aber zu einer Stimme führt, die so makellos und aus dem Nichts einer schwarzen Bühne „Round Midnight“ singen kann. In seinen ziemlich erfolgreichen MusikDokumentarfilmen erzählt Marc Boettcher immer eine dieser beiden Geschichten: entweder die über Frauen, deren Ambitionen am deutschen Nachkriegsmusikgeschäft scheitern (Alexandra) oder schließlich doch darüber triumphieren (Gitte) – oder die über Propheten, die im eigenen Land nichts gelten (Bert Kaempfert). Beide Geschichten mussten ihn irgendwann zu Inge Brandenburg führen. In der ersten lernt ein junges Mädchen direkt nach dem Krieg englische Liedtexte, die sie phonetisch beim AFN-Hören abschreibt, und bewirbt sich als Sängerin mit tiefer Stimme und tiefem Ausschnitt bei Tanzkapellen. Sie singt in den frühen 50ern auch Jazz und beteiligt sich an einer musikalischen Subkultur, die nachts in Kellern von ernsten jungen Herren nach Erledigung ihrer Brotjobs geprägt wird und in denen etwas mit großem Nachholbedarf gepflegt wird, was draußen, im Tageslicht, immer noch als „Negermusik“, „Unfug“ und „Krach“ bezeichnet wird. So richtig ernst wird Inge, die „Tanzmusikmaus“, von diesen Jungs nicht genommen, erst, als sie bei den Amerikanern in Libyen und dann acht Monate in Schweden als ernsthafte und aufreizende Song-Interpretin auf Händen getragen wird. 1958 schlug sie beim Deutschen Jazzfestival in Frankfurt „ein wie eine Rakete“. Sie galt plötzlich als „First Lady“ von etwas, das in diesem Land jahrelang verboten war. Aber danach ruft keine Plattenfirma an. Keine Auftritte, keine Tourneen. Ein Jahr später: Rundfunkaufnahmen. Zehntausende hören sie. Sie ist im Fernsehen zu sehen, obwohl die Redakteure denken: Jazz ist zu schade für unser Publikum. 1960 wird sie beim 1. Europäischen Jazzfestival in Antibes zur besten europäischen Jazzsängerin gewählt, wenig später siegt sie mit der deutschen „Mann-

schaft“ beim Schlagerfestival in Knokke. Jetzt soll sie eine kommerzielle Sängerin werden. Aber auf 88 von 100 Schallplatten in Deutschland sind Schlager zu hören. Inge macht mit, auch wenn die Texte unterirdisch sind. Eine Plattenproduktion für den amerikanischen Markt wird von ihrem Manager/ Freund versemmelt. 1965 erobern die Beatles die deutsche Jugend. Inge will versprochene Jazzaufnahmen einklagen, die Plattenfirmen lassen sie fallen, die Konzertveranstalter auch. Sie spielt Theater. Männergeschichten, Suff, gewalttätige Ausbrüche, Festnahmen, psychologische Gutachten hätten die Boulevardpresse gut beschäftigt, hätte diese sie gekannt. Sie zieht 1970 nach München. 1971 entsteht eine Reportage in ihrer Wohnung mit dem Titel: Armut in Deutschland. Als Hilde Knef Cole-Porter-Songs auf deutsch singen darf, kommen ihr die Tränen. Irgendwann hat sie keine Stimme mehr und beantragt Sozialhilfe. Es gibt ein kleines, schönes Comeback in den 1990ern. Zu ihrem Begräbnis 1999 kommen sieben Menschen. Ein Sammler entdeckt ihren Nachlass auf einem Münchner Flohmarkt und erzählt Marc Boett­cher davon. Ein Film entsteht. Die zweite Geschichte wäre kürzer: Es gab einen Star in Deutschland, den kennt heute niemand mehr. Eine Jazzsängerin, die nur eine kaum vorbereitete Jazzplatte machen konnte, eine Diva ohne Gefolgschaft. Jemand, der zur falschen Zeit am falschen Ort war, um es mit Cole Porter zu sagen (beide wussten, wovon sie sprachen). Eigentlich erzählt dieser Film aber eine andere Geschichte: wie ein Leben eine Stimme geformt hat. Die Stimme eines Mädchens, dessen Eltern wegen staatsfeindlicher Äußerungen in KZs ermordet wurden, das man in einem Heim für schwer erziehbare Mädchen misshandelte und entmutigte („Aus dir wird nie was!“), während in der Psychiatrie gegenüber Euthanasie-Morde begangen wurden. Dessen jüdische Schulfreundin, Außenseiterin wie sie, eines Tages verschwand. Das bei Kriegsende aus dem Heim floh und von Soldaten vergewaltigt wurde. Die Stimme einer Frau, der die Clubbetreiber nachstiegen, die soff und herummachte wie ihre männlichen Musikerkollegen. Die die Augen schloss beim Singen und spürte: Sie kann was, sie ist jemand. Die „das deutsche Mädchen mit der schwarzen Stimme“ genannt und in den US-amerikanischen Zeitschriften mit Billie Holiday verglichen wurde. Die sich nie mehr kränken und erniedrigen lassen wollte und trotzdem immer Existenzängste hatte. Die beim Jazzfestival von Antibes nicht von den anderen deutschen Musikern begleitet wurde, weil die Angst um ihren eigenen Erfolg hatten – und trotzdem triumphierte. Die den Plattenfirmen auch mal gesagt hat: „Das singe ich

nicht!“ Die oft betrunken war, Männer nicht verführt, sondern auf der Stelle vernascht hat (sagen die Männer in diesem Film), nicht vorzeigbar war, mit Gegenständen warf und Polizisten unterstellte, sie würden ihren Job nur machen, weil es keine KZs mehr gäbe. Die jahrelang wusste, dass ihr künstlerisches Potential niemals wirklich genutzt worden war. Und die all das in ihre Stimme gelegt hat und immer wusste, wovon sie sang. Boettcher fährt unglaubliches Material auf, um diese drei Geschichten über Inge Brandenburg zu erzählen, die Leinwand quillt über davon, sie muss manchmal geteilt werden, um alles unterzubringen. Jeder wichtige Augenblick ist dokumentiert, das ganze Nachkriegsdeutschland zieht an einem vorbei, miefige Innenstädte, anständige Bürger, Musiker mit Brille, im Anzug. Irgendwann bellt Hitler, Bomben fallen auf Vietnam, in der linken Bildhälfte dreht sich Inges erste Single „Goody, goody!“ Ein Band im Schlagerfilm auf Schlittschuhen. Das alles ein liebevoller Irrsinn, aus dem immer wieder Inge Brandenburgs blitzende Augen aufscheinen, ihr riesiger Mund mit den perfekten Zähnen, und ihre Stimme zu hören ist, neben der alles andere sofort stillsteht und aufhorcht. Selbst in der bittersten Aufnahme. Als sie 1970 in ihrem Wohnzimmer steht, in den Raum wettert, es könne doch nicht sein, dass das deutsche Publikum so doof sei, dass es immer nur hören wolle (falscher Schmelz in der Stimme, falsche Dramatik in den Gesten, Hand zur Brust): „Herzschmerz und dies und das …“ Die Kamera zieht sich ängstlich zurück in den Zwei-Zimmer-Wohnungs-Hausflur. Aber halt! Am Ende gibt Inge die Anweisungen: Licht aus! Bühne dunkel! Zwei Spots auf mich! Und dann: ICH! In einem schicken Kleid … Und dann der erste Ton, aus dem Nichts: Round Midnight. Die Kameraeinstellung wechselt auf ihr Profil und neben diesem Gesicht, angetrieben von dieser Stimme, fließt der Abspann vorbei, mit all den Protagonisten, den Archivquellen, den Songs in alphabetischer Reihenfolge, dem ganzen Wust an Material, das schon zwei Stunden lang wie verrückt animiert, montiert, gespliscreened an dieser Stimme vorbeiging. Und diese Stimme wird bleiben, auch auf CD. Und spätestens damit wird dieser Film zum Fan und erfüllt den letzten Wunsch seiner Heldin. And it’s alright with me. s Sing! Inge, sing! von Marc Boettcher DE 2011, 118 Minuten, dt. OF Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino ab 27. Oktober www.inge-brandenburg.de

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Die Vermessung des Körpers von b . d. bi n de r

… oder, Wessen Pimmel ist das? fragt unser Autor angesichts der wunderbar leichten Geschichte über Lukas, 21, als Mädchen geborener Junge, gerade frisch verliebt, die Sabine Bernardi als „Gender-Blockbuster“ (Tagesspiegel) unter dem Titel „Romeos“ verfilmt hat. Am 10. November startet er bei uns in den Kinos.

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später als vorgesehen lebst (was genau eigentlich, das Nichtidentische? Womit identisch diese „Identität“?), und du schaust dir wilde, fremde Menschen (wahrscheinlich Männer) an, und fragst dich, voller Ernst, während du Lukas zuschaust, was sie damals getan haben, als sie diesen Dauerständer hatten, der, eine echte Überraschung, total nervte. „Gehen Sie kalt duschen.“ Soll ich lachen oder weinen? Nee, klar doch. Dabei mag ich meinen Ständer! Ignorieren – funktioniert bei Lukas, das ist getestet, das stimmt, es funktioniert. Zeitweise. Wie das ist? Stell dir vor, dir als Transmann Fragen stellen zu müssen, die sich ein ca. Vierzehn- (mittlerweile Zwölf-, keine Ahnung, Zehn?-) Jähriger so in seinem Leben stellt, allerdings nicht sofort beantworten musste. Du bist halt nur, ahem, etwas „älter“. Mhm. Die Antworten sind vielleicht dringlicher und auf manche Fragen gibt es keine. Warum dieser Film so ‚anders‘ ist? Bestimmt nicht, weil’s um einen Transmann geht, sondern weil er den Schlaglöchern, mit denen der vorgebliche AndersdaseinFilm so aufwartet, ein Schnippchen schlägt: Nummer eins, der Transmann stirbt nicht und bleibt auch sonst recht gut erhalten. Nummer zwei, der Transmann weiß, wer er ist und was er will. Nummer drei, der Transmann ist kein gebeuteltes Machoarschloch bar jeder alternativen Vorstellung von Männlichkeit. Nummer vier, Sexismus unter Schwulen, trau dich da mal ran, wer Regisseur_in genannt werden will – Sabine Bernardi traute sich. Da bleibt zu hoffen, dass auch englisch untertitelt wird, für die Romeos da draußen und all die, denen sie etwas bedeuten. Fight, fight! s

Romeos von Sabine Bernardi DE 2011, 94 Minuten, dt. OF Pro-Fun Media, www.pro-fun.de Im Kino ab 10. November 2011

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s Äve, watt is datt schön in Kölle … Bei flottem Beat das Tanzbein schwingen, bis Dir blümerant wird. Lukas staunt. Lost in Kleinstadthöhle. Sähen wir seinen Blick aus dem geschlossenen Autofenster, an der Kamera vorbei, als erste Einstellung, manch eine/r dächte bei sich: Näh, watt’n lecker Jung! Und, aha, eine versteckte Milieustudie anno 2010, die Romeos in Köln von Sabine Bernardi. Wenn Lukas, noch im Schwestern(!)wohnheim untergebracht, den aufrechten Gang vor dem Spiegel übt, lässt er die Luft raus, dieser Typ da, und muss Tittenmonstrositäten vor dem Schrankspiegel betrachten. Aber dann, in voller Prollbreite: Fabulous Fabio im neongelben Cabrio! Lukas und Fabio spielen Autorennen, „… infantil …“ zischt es irgendwo von der Rückbank. Lukas beste Freundin knutscht mit ihren Freundinnen, recht häufig und zielstrebig. Meine liebsten Szenen in diesem gelungenen Film aber sind die im Tanzschuppen. Wie kann jemand nur die ersten Nächte seines Lebens auf Tanzflächen vergessen inmitten halb- (hie und da auch dreiviertel-) nackter Jungs und Strobolicht? „Show us, O Lord, Your kindness“, überschreibt John Rechy das fünfte Kapitel seiner „Rushes“ (1979). Well, well, well – wenn Köln schon kein Rushes zu bieten hat für seine Romeos (falls doch, drop a note), so immerhin laute Inseln aus wortlosen Körpern, auf deren Suche sich schon, selbsterklärt, Mishima Yukio in „Sun & Steel“ befunden hatte, 1970 publiziert, im Jahr seines spektakulär idiotischen Selbstmordes à la seppuku. Es ist ja nicht so, dass mensch als Transmann schon immer diesen Geschmack (eine Frage des Stils?) gehabt hätte. Zuerst darfst Du Dich nicht wundern, dass Du bestimmten Menschen klar machen musst, etwas „irre“ zu sein, geschlechtlich ta-del-los verwirrt, Rotkäppchen halt, im Genderwald der Geschichte (das „Irresein“ wird doch tatsächlich mit einem Initialbuchstaben plus Nummer in Katalogen verschiedener Versionen erfasst, Foucault ahoi!). Währenddessen vermisst Lukas seinen Körper im doppelten Wortsinn. Zuerst Bauch, Bizeps, Beine, Arsch. Lukas misst und trägt ein: irgendwas Komma 34 Zentimeter. Nicht aufrecht gehen zu dürfen sollte niemand aushalten sollen müssen, weil es nicht in eine Demokratie passt, die diesen Namen verdient. „Sach ma’, hackt’s?“ Genau! Dagegen sind ein paar Hantel-Übungen Freizeit, Alter … Aber wenn du dich plötzlich in der Lage befindest, nicht mehr weiter zu wissen, weil du diese zweite erste Pubertät, verdammte Kacke, nun mal erst


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Atombombe in g-Moll „War Requiem“, Derek Jarmans Verfilmung des pazifistischen Meisterwerks von Benjamin Britten, lief in Deutschland nie im Kino und ist nun zum ersten Mal auf DVD zu haben. Ein queerer Bilder- und Musikrausch mit Tilda Swinton, Laurence Olivier (in seiner letzten Rolle) und Nathaniel Parker über den Horror des Krieges.

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von K l aus K a l ch sch m i d

s Ein Moment von aufrüttelnder, ebenso bestürzender wie faszinierender Gewalt: Gerade noch hatte der Chor Dies Irae, den Tag des Zorns, „den großen Tag, so bitter ohne Maßen“ beschworen, da folgt im Bild für eine halbe Minute die Erinnerung an den schlimmsten Tag des Zweiten Weltkriegs. Denn auf einem plötzlichen, gigantischen g-Moll-Akkord der Blechbläser in höchster Lautstärke und Schärfe explodiert eine Atombombe, und ihr weißer Pilz lässt Auge und Ohr im Innersten erschauern. Derek Jarmans Verfilmung von Benjamin Brittens „War Requiem“, das den lateinischen Text der Totenmesse kombiniert, überlagert oder kontrastiert mit Gedichten des britischen Dichters Wilfred Owen, der 25-jährig im ersten Weltkrieg fiel, findet hier ihren Höhepunkt: Der erste Teil des Libera me, beginnend und endend mit einem Meer aus Totenköpfen, war gemäß dem „Marsch, langsam beginnend und immer rascher werdend“, so Britten, bis zu diesem Moment eine zunehmend schneller geschnittene, apokalyptische Montage aus brutalsten, blutigsten Kriegsbildern zwischen Afghanistan und Europa, aus verschiedensten Kämpfen und Transporten Schwerverletzter, die in stereotypes Marschieren münden, und in ein filmisches Feuergefecht, in dem zum Knattern der Akkorde und einem nicht enden wollenden Trommelwirbel aus allen Rohren geschossen wird. Diese rhythmische Montage spiegelt, was den Film als Ganzes auszeichnet – eine poetische, mal zärtliche, dann wieder enorm brutale Collage mit dem roten Faden der fiktiven Erzählung von Owens Soldatenleben, das mit seiner Rekrutierung auf einem Kasernenhof im Mittelteil des Kyrie beginnt. Die waffenstarrend harte Unerbittlichkeit des Krieges der Männer kontrastiert mit den weichen Traumsequenzen aus dem Leben von Krankenschwestern, die Schmerzen mildern und den Tod verhindern helfen. Den Bildern von Bajonetten, die an Soldaten ausgegeben werden, stehen Frauenhände gegenüber, die Verbände schneiden und auskochen. Dazwischen schneidet Jarman neutralisierend S/W-Dokumentaraufnahmen des Chors der Uraufführung, die lippensynchron das „War Requiem“ singen. Mit einem seltsam irrealen Arbeitslager, in dem junge Männer weiße Steine schürfen, als seien sie Salz, während Regen einsetzt, danach aber blauer Himmel herrscht, endet diese erste Sequenz des Dies Irae. Jarman überhöht seine Bilder mit mehrfach wiederkehrenden Leitmotiven: einer Trompete als militärischer Fanfare, die zugleich für die Posaune des Jüngsten Gerichts steht, aber auch Kinderspielzeug oder Instrument der Verteidigung sein kann; roten Mohnblüten für Vergänglichkeit oder der Intensität von Blut; Stahlhelm und das Buch des Lebens, aus dem im Offertorium schließlich Gras wächst; und nicht zuletzt einer Kerze, die zum Schluss mancher Teile des Requiems immer wieder erlischt, am Ende aber als ewiges Licht leuchtet. Der Soundtrack dieses Film ist die legendäre erste Studioeinspielung des „War Requiem“ unter Leitung des Komponisten, mit seinem Lebensgefährten, dem Tenor Peter Pears, dem deutschen Bariton Dietrich Fischer-Dieskau und der russischen Sopranistin Galina Vish­nevskaya, also Vertretern der ehemaligen Kriegsparteien als Solisten, wie sich Britten dies gewünscht hatte. Sie entstand schon ein dreiviertel Jahr nach der Uraufführung, die am 30. Mai 1962 in Coventry zum Gedenken der Zerstörung der Kathedrale am 14. November 1941 und zur Einweihung des neu errichteten Gotteshauses stattfand. Den drei entscheidenden Schichten von Benjamin Brittens Requiem – der lateinische Text der Totenmesse, gesungen vom Sopran und dem großen gemischten Chor mit dem vollen Orchester; Gedichte Winfred Owens, vertont für Bariton und/oder Tenor, begleitet von einem Kammerorchester; dazu Knabenchor und Orgel, schwebend überirdisch unschuldig – setzt Jarman zahlreiche Bild-Ebenen entgegen. Teilweise synkronisiert er sie minutiös zu einer Musik, die ihm lange vor den Dreharbeiten gut vertraut war, die er beim Schnitt von The Last of England, seinem vorangegange37


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nen Film, hörte, die er aber aus rechtlichen und Kostengründen bisher nie verwenden konnte. Noch bevor der erste Ton erklingt, sehen wir einen alten Soldaten im Rollstuhl (Laurence Olivier) und seine Krankenschwester (Tilda Swinton). Er zeigt ihr das alte Foto einer Schwester samt getrockneter roter Mohnblüte. Freilich ist der Film kaum aus seiner Perspektive als Rückblende zu deuten, denn die zentrale Figur, der Dichter Owen, ist schon am Anfang als Toter auf einem Altar aufgebahrt. Jarman erzählt aber auch von einem unbekannten Soldaten (Owen Teale), einem deutschen Soldaten (Sean Bean), von deren Müttern, zeigt die Männer als kleine Jungs, wie sie Soldaten spielen, und entfacht ein Feuerwerk an Dokumentarmaterial und solchem, das er, gefilmt in Super 8, als Erinnerungen, Träume, Visionen und Rückblenden einmontiert. Jarmans Muse Tilda Swinton ist auch die Muse dieses Films. Ihr vertraut er Anfang und Ende sowie zentrale Szenen an. Der Altar des Beginns kehrt mehrfach wieder – bis hin zum Schluss, wenn der unbekannte Soldat, Christus gleich, nur mit weißem Lendentuch bekleidet erscheint und die Schwester verklärt auf seine Zehen blickt – wie Maria Magdalena vor der Gründonnerstags-Zeremonie der Fußwaschung auf Jesus. Tilda Swinton schließt am Ende auch die Tore zum Paradies hinter sich und ist die einzige, die auf die Musik hörend mit Mimik und Gestik reagieren darf: in einer siebenminütigen ungeschnittenen Sequenz verfällt sie zum von Britten hell und hart strahlend vertonten Sanctus zunehmend vom Lächeln ins Weinen, um im unmittelbar folgenden Benedictus selig mit geschlossenen Augen den Kopf voll von vielen langen dünnen Zöpfen hin- und her zu wiegen. Schon zu Beginn 38

schreit sie wie im Stummfilm mit weit aufgerissenem Mund an der Leiche Owens, dessen Schwester sie offensichtlich ist. Wie viele (nicht nur die Montage-)Sequenzen des Films ist auch dies ein Eisenstein-Zitat. Dann aber hält sie sich mit vier Fingern die Augen zu, ausgerechnet bei: „Lux perpetua eis – das ewige Licht leuchte ihnen!“. Manche Sequenz nimmt Jarman ganz wörtlich, etwa die Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham, die bei Owen und Britten im Offertorium nicht mit einem Tieropfer endet, sondern mit den Worten: „Aber der Alte wollte nichts hören, erschlug sodann / Den Sohn und halb Europas Samen, Mann um Mann“. Jarman zeigt diese Szene als grelle Stummfilmsequenz mit der Ermordung Wilfred Owens – stellvertretend für die jungen Männer seiner Generation im ersten Weltkrieg, beklatscht von lemurenhaften alten Männern im Gehrock. Das „Be slowly lifted up, thou long black arm – Du langer schwarzer Arm, sei langsam aufgerichtet“ entkleidet Jarman seiner Symbolhaftigkeit und zeigt realistisch einen schlammverschmierten Soldaten, vor Schmerzen stumm schreiend, dem der Ärmel von der schwarzverbrannten, blutenden Schulterwunde geschnitten wird, während ein Kamerad ihm das Gesicht streichelt, sichtlich eine Wohltat für den Gemarterten. Schon die Geste, mit der Owen zu Beginn dem unbekannten Soldaten, der auf einem Nagel marschieren musste, die Schuhe auszieht, später die zärtliche Fürsorge der Männer für einander, sich rasierend, sich waschend – all dies hat etwas ganz zart angedeutet Homoerotisches. Enorm anrührend ist auch die tragischste Szene des ganzen Films, das Lacrimosa. In einem zerbombten großbürgerlichen Wohnzimmer spielt der unbekannte Soldat in einer irrealen, von

Sonnenlicht durchbrochenen Szene Klavier, während ihm der deutsche Soldat einen Schneeball auf den Rücken wirft. Bevor die beiden noch eine Schneeballschlacht beginnen, schießt der wachhabende Offizier (Owen) dem Deutschen in die erhobene Hand. Der ersticht im Reflex mit einem Dolch den anderen und wird selbst vom Bajonett des Offiziers hingerichtet. Langsam fällt dieser in die Knie und bricht in langes Weinen aus, die Szene wird buchstäblich zum Lacrimosa. Das Ende mit Christbaum, Kindern und Misteln schneidenden Soldaten könnte höhnisch und kitschig wirken, wäre da nicht wie schon zuvor beim Verweis auf Sonne und Schnee des Textes auch hier der wörtliche Bezug: „Heiliger Jesus, Heiland du, schenke ihnen ewige Ruh’“. Wenn am Ende bei Britten/Owen die beiden Soldaten im Jenseits balsamisch singend sich versöhnen, dann findet bei Jarman eine christliche Apotheose statt. „Ich bin der Feind, den du getötet hast, mein Freund“, singt der Bariton und der deutsche Soldat blickt staubverschmiert seinem ehemaligen Feind wie vom Donner gerührt ins Auge und legt später, nachdem er einen symbolischen Kriegsgräber-Friedhof durchschritten hat, einen Kranz aus roten Mohnblüten nieder: vor einem lebenden Bild mit vier Soldaten vor einem Altar, auf dem der unbekannte Soldat steht – in roter Toga über nacktem Oberkörper mit Heiligenschein und Fahne in der Hand, Zitat des berühmten Freskos „Der auferstandene Christus“ von Piero della Francesca. s

War Requiem von Derek Jarman UK 1989, 92 Minuten, OmU Auf DVD bei der Editon Salzgeber, www.salzgeber.de www.derek-jarman.de


film-flirt

Der Moment Sch r i f tst e l l e r se h en F i lm e: Ch r ist oph K l i m k e

screenshot: youtube

Christoph Klimke lebt als Schriftsteller und Dramaturg in Berlin. Zuletzt erschienen im Querverlag „Nachrichten von den Geliebten“ (mit Mario Wirz) und „Nicht ohne meine Pfoten“ (mit Sarah Mondegrin). Für die SISSY hält er einen Moment in Pasolinis „Teorema“ an.

s „Was halten Sie davon, wenn Ihnen der Kapitalist die Fabrik schenkt?“ Mit dieser Frage eines Journalisten an die Fabrikarbeiter beginnt Pier Paolo Pasolinis Film Teorema. Aber die Arbeiter wissen mit diesem Geschenk nichts anzufangen – und das im Jahre 1968. Da hätten andere Regisseure die roten Fahnen schwenken lassen. Doch der Reihe nach: Eine Familie lebt in ihrer Villa in Mailand vor sich hin. Vater, Mutter, Sohn, Tochter und Dienstmädchen haben einander nichts mehr zu sagen. Da klingelt der Postbote Angelino und überbringt ein Telegramm. Das Hausmädchen leitet die frohe Kunden an die Familie am Esstisch weiter, die Kamera fährt auf die Schrift: „Ankomme morgen.“ Und tatsächlich kommt ein schöner Fremder am nächsten Tag und macht sich in der reichen Einöde breit. Als sei er die Projektionsfläche der ungelebten Wünsche, hat nun jeder der Reihe nach Sex mit ihm. Alles ist plötzlich anders. Als der Gast so seltsam wieder verschwindet, wie er gekommen ist, weiß jeder in diesem Haus, so wie bisher kann ich nicht weiterleben. Das ist der Moment dieser Parabel. Wie kann ein Leben ohne Dionysos aussehen oder will ich selbst Dionysos sein? Der Vater wird nicht nur seine Fabrik verschenken. Er wird am Ende einen nahezu biblischen Abgang haben. Was wird aus seiner Frau, aus der Tochter, die eigentlich nur ihren Vater lieben will? Und dem Sohn, der mit dem Fremden die Bilder von Francis Bacon anschaut? Übrigens: Wer Pasolinis ersten Film Accattone kennt, wird sich an die Szene erinnern, in der der kleine Zuhälter Accattone mit seinen Freunden auf der Straße kämpft: Sie schlagen sich nicht, sie boxen nicht gegeneinander, nein, sie ringen mit sich, einander fest umklammert, und wälzen sich im Dreck. Solche körperlichen Verkeilungen hat Bacon gemalt. Den größten Sprung wagen der Vater und das Dienstmädchen in Teorema. Der eine verlässt seine Welt vollkommen, die andere kehrt um in ihre alte Welt des Glaubens und der Wunder. Der Film endet mit einem Schrei: „Was mein Schrei auch bedeuten mag, er soll jedes mögliche Ende überdauern“.

Als ich an der Ernst-Busch-Hochschule in Berlin und der Theatre Academy in Helsinki unterrichtet habe, zeigte ich Teorema den neuen Studenten immer genau bis zu dem Moment, an dem der Gast geht: Die Studenten sollten die Geschichte der Protagonisten weiter erzählen. So hatten wir am Ende so viele Versionen wie Studenten. Dann führte ich Pasolinis Wege des Vaters, der Mutter, der Tochter, des Sohnes und des Dienstmädchens vor. Die Phantasie der meisten jungen Leute, von denen keiner je einen Pasolini-Film gesehen hatte, erwies sich als ziemlich blass. Übrigens, machen wir alten Film-Hasen uns da nichts vor: Pasolini, Fassbinder, Tarkowski, Regisseure, zu deren Filmen wir in die Programmkinos gepilgert sind, sind offensichtlich selbst bei Hochschülern, die Regie oder Choreographie studieren, vergessen. Mir war das gar nicht so unrecht, konnte ich so doch ganz im Sinne Pasolinis gegen diese Generation polemisieren, die sich auch nur bürgerlich um sich selbst dreht. Wahrscheinlich werden ihre Kinder, die ihnen gerade den Ökobrei in den Nacken kotzen, eines Tages gegen diese Nichtssager ihre Stimme erheben und das 11.Gebot verkünden: Zornig sollst Du sein und ungerecht oder ein Fremder wie in Pasolinis Teorema! s

Teorema von Pier Paolo Pasolini IT 1968, 105 Minuten, OF Auf DVD als Import

Nachrichten von den Geliebten von Christoph Klimke und Mario Wirz, 208 Seiten, Querverlag 2009, www.querverlag.de

Nicht ohne meine Pfoten! von Christoph Klimke und Sarah Mondegrin, 224 Seiten, Querverlag 2011, www.querverlag.de

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frisch ausgepack t

Neu auf DVD von M a i k e Sch u ltz (ms), Ja n K ü n em u n d (jk), Ch r ist oph M e y r i ng (cm) u n d R i ng o Rösen e r (r r)

THE FIRST TIME – BEDINGUNGSLOSE LIEBE DE 2011, Regie: Timmy Ehegötz, Edition Salzgeber

„Wenn aus Liebe Hass wird!“ Darunter macht es der Original-Trailer der Filmemacher nicht. Aber wenn Jugendliche einen Film über Jugendliche machen, darf es ruhig pathetisch werden (siehe Dolan, unten). Und deshalb wird hier auch viel geweint, gelästert, geschrien, gezweifelt, gesimst, genervt und schon immer gewusst. Und das ist besonders und außergewöhnlich. Schüler, die „einfach mal“ einen Film machen wollen, gibt’s viele. Am Ende aber ein geschlossenes 90-MinutenDrama vorzulegen, grenzt an ein kleines Wunder. Auch wenn es vor allem am unermüdlichen Einsatz eines Einzelnen hängt, der Regie macht, das Drehbuch schreibt, die Hauptrolle spielt, die anderen Darsteller aussucht, produziert und am Ende noch das Ergebnis vermarktet. Der heißt hier Timmy Ehegötz und er spielt Billy, der sich zum ersten Mal in einen Jungen verliebt, von ihm betrogen wird, an der Welt verzweifelt und am Ende wieder neuen Mut schöpft. Das ist aus dem 16-jährigen Leben gegriffen und enthält eine wichtige Botschaft an andere 16-Jährige, die ihnen Erwachsene nicht erzählen können. Erwachsene interessieren hier sowieso kaum. Wenn, dann sind sie so klischeehaft gezeichnet wie sonst Jugendliche im Film. Zum Beispiel die Nachbarin, die zur Mutter sagt: „Dein opulentes Mal muss ja erst mal abkühlen, bevor du es einfrieren kannst!“  jk

HOWL – DAS GEHEUL US 2010, Regie: Rob Epstein & Jeffrey Friedman, Alive

„Epstein und Friedmans postulierte Absicht, ‚Howl durch den Film einer jüngeren Generation zugänglich zu machen‘, scheint im richtigen Moment und mit den richtigen Zutaten auf den Zeitgeist getroffen zu sein. Allerdings scheitert der Film in seinen Animationssequenzen, die die Regisseure dazu benutzen 40

wollten, den Text des Gedichts in Bilder zu übersetzen, völlig. Und das weniger technisch als schlicht daran, dass man sich im amerikanischen Mainstream-Kino auf die Nichtdarstellbarkeit von pornografischen Inhalten geeinigt hat. So werden heilige fickende Motorradfahrer zu psychedelisch ange­ schmier­ten Blumen und Bienchen und jedes Mal, wenn jemand bläst, ist eine in Sonnenlicht zerfließende Trompete zu sehen. Im Film sagt ein als Zeuge im Prozess berufener Literaturwissenschaftler: ‚Poesie lässt sich nicht in Prosa übersetzen, sonst wäre sie keine Poesie.‘ Quot erat demonstrandum. Trotzdem ist Howl mehr als sehenswert, vor allem wegen des fantastischen Ensembles: Franco wird von unter anderem Treat Williams, David Strat­ hairn, Bob Balaban und der wie immer fabelhaften Mary-Louise Parker dabei unterstützt, Ginsberg und sein Gedicht einmal mehr ins postmodern unterhaltsame Nirwana zu kultivieren. Schockierend ist das nicht mehr, aber schön bunt.“ (Peter Schmidt in SISSY 4/10)

KUSS DER SPINNENFRAU BR/US 1985, Regie: Hector Babenco, Concorde

Luis Molina (William Hurt), ein extrem divenhafter und eher apolitischer Homosexueller, und Valentin Arregui (Raul Julia), ein Revolutionär mit Machoallüren, sitzen − der eine wegen Verführung eines Minderjährigen, der andere aufgrund seines aktiven politischen Widerstandes − während der 1970er Jahre im Folterknast einer südamerikanischen Militärdiktatur als Zellengenossen miteinander ein, geraten aber wegen ihres offenkundigen Mangels an Gemeinsamkeiten zunächst nur aneinander. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Luis Valentin nahezu ununterbrochen mit der akribischen Nacherzählung eines kitschigen Liebesfilms beschallt, der sich dann auch noch als übelste Nazipropaganda entpuppt. Dennoch findet notgedrungen zwischen den beiden − und zwar in mehrfacher Hinsicht − eine Annäherung statt, die am Ende in eine wirkliche Solidarität mit überraschendem Widerstandspotential mündet. − Die im Juli dieses Jahres erschienene, üppig ausgestattete Doppel-DVD animiert zum Kennenlernen oder

zum Wiedersehen eines nunmehr bereist über 25 Jahre alten schwulen Filmklassikers, der jedoch alles andere als angejahrt wirkt, sondern vielmehr durch sein raffiniertes Spiel mit Realität und Fiktion, seine überaus kluge Analyse der Beziehung zwischen viriler Revolutionsattitüde und vermeintlich apolitischer Tuntigkeit, sowie seine bis dato kaum übertroffene Radikalität immer noch zu beeindrucken versteht. Das gelungene Making-Of liefert darüber hinaus ausgesprochen spannende Informationen aus der Entstehungsgeschichte des Films − etwa die, dass Regisseur Hector Babenco den Romanautor Manuel Puig monatelang mit Eiscreme verführte, bis dieser ihm endlich die Filmrechte überließ, dass ursprünglich Burt Lancaster für die Rolle Molinas vorgesehen war und bereits im Fummel Textproben veranstaltete, dass William Hurt zunächst alles dafür tat, um Molina spielen zu dürfen, sich während der katastrophal verlaufenden Dreharbeiten dann aber − selbst ganz Diva − vollkommen mit seinem Regisseur überwarf, dass die nicht minder katastrophale 14-monatige Postproduktion beinahe noch zum Scheitern des gesamten Projekts führte und dass der durchschlagende internationale Erfolg des Films (Einladung nach Cannes, Oscar für Hauptdarsteller William Hurt, OscarNominierungen für Regie, Drehbuch und als Bester Film, zahlreiche weitere Auszeichnungen) schließlich ein wahrhaftes Kinowunder darstellte.  cm

DREI DE 2010, Regie: Tom Tykwer, Warner Home Video

„Tom Tykwer dreht eine kleine Geschichte über ein Berliner Heteropaar, das sich unabhängig voneinander und voreinander geheim gehalten in einen Mann verliebt. Denselben Mann. Die Frage, die man sich angesichts des Ergebnisses stellt, ist, ob sich der Film mit allen formalen Konsequenzen für das gesellschaftliche Thema interessiert (also tatsächlich einen ‚queeren‘ Entwurf wagt), oder ob er sich (mit allen formalen Konsequenzen) für eine vertrackte, getrickste, verblüffende, provozierende, täuschende kleine Kinogeschichte interessiert. Auf beiden Ebenen hängt der Film


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einer Uneigentlichkeit nach. So wie die meisten Berliner KellnerInnen ‚eigentlich‘ was anderes machen, machen auch die Figuren in diesem Film, die man ja alle lieb haben soll, irgendwas und wollen eigentlich was anderes machen. Und auch der Film selbst erzählt etwas und hält sich permanent offen, ob er nicht eigentlich was anderes erzählen will: Stammzellenforschung zum Beispiel, Tod, Kunst, Ethikrat. Und dieses Offenhalten als Haltung hat nichts damit zu tun, dass man mit Offenheit ins Außen, ins (meinetwegen) ‚Leben‘, ins Unerforschte und Unkontrollierte schaut. Wie üblich bei Tykwer steckt Drei voller kleiner Taschenspielertricks, gestrickter Geschichtchen, Filmzitate, kleiner Gags – all das, um immer wieder die Möglichkeiten des Kinos und eine Freiheit im Umgang mit ihnen zu behaupten. Und hinter dieser Behauptung steckt eigentlich der Kontrollwahn des Knöpfchendrückers, ein etwas verzweifelter Versuch, Menschen zu verblüffen und zu bezaubern, um von ihnen geliebt zu werden.“ (jk in SISSY 4/10)

L-SHORTS DIE VIERTE DE, UK, SE, USA 2009–2010, Edition Salzgeber

Na, wenn da mal nicht jemand in den deutschen Soap-Gründen gewildert hat: Der schönste Film der neuen Sammlung L-Shorts – Die Vierte kann gleich drei bekannte Fernsehgesichter aufbieten. In Verbotene Liebe spielten Vanessa Jung und Verena Zimmermann die zweieiigen Zwillinge Jana und Nico. In der preisgekrönten lesbischen Liebesgeschichte Lady Pochoir von Petra Clever (lange als Regisseurin für Verbotene Liebe und Alles was zählt tätig) buhlen sie nun um dieselbe Frau: StreetArt-Aktivistin Iv (Nadine Rennack aus Alles was zählt). Und während Zimmermann am Vorabend im Ersten nur traurig vor sich hin schmachtet, durfte sie hier gleich eine vielversprechende Bettszene absolvieren. Sexy Damen sind aber nicht alles, was die neue KurzfilmDVD so gelungen macht: Diese Auswahl vermag es, jeden noch so verunglückten Sofa-Abend zu retten. Ob Blähungen bei der Paartherapie, die heißeste Hotline des PC-Fachhandels oder recycelte Dildos als pfiffige Geschäftsidee – es darf gelacht werden. 88 Minuten lang. Wenn der Fisch-verrückte Sohnemann die neue Liebhaberin seiner Mutter mobbt (Hammerhai) und die Partnerin ihrer Liebsten gesteht, dass sie das geplante Kind lieber auf natürlichem Wege gezeugt hat (Geburtstag), kann einem das Lachen aber auch durchaus mal im Halse stecken bleiben. Aber so konstant unterhaltsamen Tiefgang hatte lange keine Kurzfilm-Kollektion mehr vorzuweisen.  ms

STRAPPED US 2010, Regie: Joseph Graham, Pro-Fun Media

Es gibt ein sehr schönes Intro zu diesem Film: eine Hausfassade, nachts, an der der Regen herunter rinnt; langsam fährt die Kamera auf ein dunkles Fenster zu, verschwindet im Schwarz und befindet sich plötzlich im Inneren eines labyrinthischen Hauses, das sie – genau wie der Held dieses Films – bis zum Schluss nicht mehr verlassen wird. Im Inneren wird die eigentliche Geschichte nun angeworfen, sie bewegt sich von Episode zu Episode wie der Stricher von Freier zu Freier. Strapped ist ein im hohen Maße geschriebener Film; die Bilder, die Schauspieler, die Musik müssen auf Low-Budget-Ebene hinterher das alles nur noch umsetzen, was Joseph Graham sich ausgedacht hat. Das ist nicht so einfach, denn das Vorbild heißt eher Hitchcock als Cassavetes. Und doch bleibt die Atmosphäre präsent, eine Nacht, ein Fluss erotischer Episoden, eine symbolische Abwärtsspirale durch das Innere einer Hausund Plot-Konstruktion. Am Ende soll sein ambivalent-schillernder Held, der für jeden Freier einen anderen Namen annimmt und eine andere Wunde heilt, doch seine schwule Identität finden – denn „queer“ sein könne man ja nur auf der Grundlage der Erfolge der Schwulenbewegung, trichtert ihm der alte Schwulenrechtler ein, bevor er ihn fickt und bezahlt. Bei dieser konservativen Pointe hätte man sich und dem Helden dann doch einen Hinterausgang aus diesem ansonsten schön dekorierten Filmgebäude gewünscht.  jk

DER KÖNIG DER FLUCHTEN FR 2009, Regie: Alain Guiraudie, Edition Salzgeber

Es gibt Filme, die sprechen in einer so ungewöhnlich poetischen Sprache, dass es eine Herausforderung ist, sie in eine prosaische oder kritische Form zu bringen. Der König der Fluchten von Alain Guiraudie ist so einer. Trotzdem sei es versucht: Armand lebt in einer sommerleichten, aber melancholischen Welt Südfrankreichs. In dieser Welt verkauft der einfühlsame und behäbige Vertreter Agrartechnik an die Landwirte seiner Region. Natürlich kennt er sie alle, sie sind ihm seit Jahren vertraut. Wenn ihm danach ist, bleibt er mit seinem Auto stehen und hält ein Nickerchen. Es kümmert niemanden. Selbst sein Chef bleibt dem auf frischer Tat Ertappten gegenüber von ausgesprochener

Gelassenheit. Kein Problem also mit dem Job, nur die leidliche Konkurrenz, die dem Agrarvertreter lang behütete Gebiete und Kunden streitig machen will, fordert den 43-Jährigen. Aber Armand hadert mit sich. Denn für ihn ist sein Leben keine Selbstverständlichkeit mehr. Obwohl er sein Schwulsein ungezwungen auslebt, steckt er in der Midlifecrisis. Besonders, als die 16-jährige Curly, die er zufälligerweise aus den Händen vierer Peiniger befreit, zum Auslöser eines völlig neuen Gefühls wird. Ist das ein Traum? Sie verliebt sich unsterblich in ihren Beschützer und muss ihn vor ihrem Vater, aber auch vor den zahllosen schwulen alten und durch eine Zauberwurzel dauernd geilen Männern verteidigen. Ihre Liebe ist unerwünscht. Armand flieht mir ihr, kostet von der Zauberwurzel und kann damit zum ersten Mal genüsslich in den Körper einer Frau versinken. Liegt darin die Lösung seiner Krise? Regisseur Alain Guiraudie verführt uns in eine Bilderwelt, die nicht einfach in eine Abfolge von Sätze übersetzt werden kann. Seine Bilder sperren sich einer genauen sprachlichen Wiedergabe, weil sie träumen. Es gibt nur einen Weg hinein, kaum aber einen hinaus, man klemmt fest und wundert sich. Darin liegt eine bemerkenswerte poetische Kraft, die Alain Guiraudie mit einem ausgewählten Ensemble und Laien herzustellen vermag. Guiraudie setzt dabei nicht auf Hochglanzfiguren, sondern auf die Gewöhnlichkeit seiner Protagonisten, die sich in dem südfranzösischen Sommernachtstraum der Betörung hingeben.   rr

I KILLED MY MOTHER CA 2009, Regie: Xavier Dolan, Indigo / Good Movies

River Phoenix hängt übergroß in Huberts Jugendzimmer, in dem er schwülstige Verse schreibt, nachdem Mama mal wieder gemein zu ihm war. Ausziehen darf er nicht, denn sein Geld von Oma kriegt er erst, wenn er volljährig ist. Also heißt es: weiterleben mit dieser uncoolen Mutter in ihren schrecklichen Pullovern, in der geschmacklos eingerichteten Wohnung. So existentiell diese Situation für einen 16-Jährigen, so unbedingt die Geste, daraus mit sechzehn einen Film zu machen. Xavier Dolan, der niedliche Hipster mit dem immensen Filmzitateschatz, versucht gar nicht zu beschönigen, dass das alles amateurhaft gemacht ist, mit ein bisschen Geld, das er als Kinderdarsteller verdient hat. Die ganze Festivalwelt lag ihm danach allerdings zu Füßen. Schreiben, drehen, spielen. So einfach konnte das plötzlich sein. Und direkt danach der nächste Film (Herzensbrecher). Genau diese Unbedingtheit im Zugriff 41


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auf das Medium wird bewundert in Zeiten, in denen Filme komplex finanziert werden und zu vielen Ansprüchen genügen müssen, um in den meisten Fällen wirklich radikal persönlich auszufallen. Die Frage wird sein, wie lange der Flirt des Arthouse-Mainstreams mit diesem doch sehr kompromisslosen Queer-Filmer anhalten oder ob er sich doch bald wie andere in der Schwulenkram-Nische befinden wird. Ozon hat das durch ständiges Hakenschlagen bislang hinbekommen – fraglich, ob das überhaupt erstrebenswert ist. Hoffen wir für Dolan, dass es ein Leben nach dem Hype gibt und dass ihm die Filmzitate für seine Geschichten niemals ausgehen werden. „Ich habe zwar eine Krise – aber ich habe wenigstens Geschmack!“ (Hubert in I Killed My Mother).  jk

KICKOFF UK 2010, Regie: Rikki Beadle-Blair, Pro-Fun Media

Beim Fußball geht es für Männer um alles. Da spielen Ball und Tore eigentlich nur Nebenrollen. Denn, seien wir ehrlich, auf dem Platz heißt es, seinen Mann zu stehen und vor den anderen 21 Herren eine gute kämpferische Figur zu machen. Geht das schief, ist das Geheule groß und es braucht schon das eine oder andere Folgespiel, um wieder in Form zu kommen. Ist das Dilemma für den gemeinen Hetero lediglich mit viel Wortakrobatik und diversen Foulspielen in den Griff zu bekommen, steht der Homosexuelle Archer, der zum ersten Mal Kapitän eines schwulen Fußballteams ist, vor einer riesigen Aufgabe. Zwar erhält er endlich die Chance, mit Klischees aufzuräumen und das zu tun, was er am meisten liebt (gewinnen!), er muss aber vorher seiner chaotischen Mannschaft etwas über Männlichkeit auf den Platz beibringen. Dabei hat er weder mit flamboyanten Förderern, hysterischen One-Night-Stands, noch mit seinem „Out & Proud“-Boyfriend gerechnet, der den Jungs vorweg pinkfarbene Outfits verpasst. Zu allem Überfluss treffen sie in ihrem ersten Spiel auf die miesesten Falschspieler der Stadt: Einen Torwart auf der Flucht vor der Polizei, einen Verteidiger und dessen Junkie-Bruder, einen Mittelfeldspieler, aggressiv wie ein Zwergpinscher und einen Möchtegern-Beckham samt Freundin am Spielfeldrand. Nun ist Homosexualität im Fußball längst schon abgefeiert. Mit Männer wie wir und 11 Men Out ist der immer gleiche Emanzipationskampf in der Filmwelt angekommen. Kick Off von Rikki Beadle-Blair ist da erfrischend anders. Weder müssen sich hier Homosexuelle als Störenfriede fühlen, noch geht es allein um Gewinnen oder Verlieren, denn auch die Heteros haben so 42

ihre Probleme. Gekonnt und ganz ohne Langeweile gelingt es Beadle-Blair, die Geschichten auch jenseits des Fußballplatzes zum Thema zu machen. Am Ende freut man sich über einen erfrischend anderen Fußballfilm, in dem der Schiedsrichter die meiste Angst hat und sexuelle Vorlieben auch unter den Schwulen zunächst geklärt werden müssen.  rr

OFFENE HERZEN FR 1998, Regie: Sébastien Lifshitz, Edition Salzgeber

„Rémi, 18, nordafrikanischer Abstammung, empfindet Langeweile. Auf dem Gymnasium, beim Gelegenheitsjob, in der dunklen Wohnung. Da kommt das Casting bei Marc, dem Regisseur, gerade richtig. Hier kann Rémi kurz entfliehen: der Monotonie seines Lebens, dem kranken Vater, den er zwar aufrichtig liebt, dessen Versehrtheit ihn aber sehr fordert. Beim Schauspiel zeigt Rémi Talent, da verschwindet kurz die Perspektivlosigkeit als ständiger Begleiter. Und der Junge taucht ein in ganz neue Erfahrungen, auch sexueller Art. Mit Marc wird er schlafen, dann wieder mit Frauen, und daraufhin trotzdem neue Männer kennen lernen. Die Straßen von Paris sind nun sein Spielplatz … Es ist im Gegensatz zu Sommer wie Winter … oder Plein Sud, Lifshitz’ bisher letzter Arbeit, nicht nur durch das nächtliche Paris ein recht düsterer Film geworden. Weil auch seine Hauptfigur, der die Zuneigung seines Schöpfers sicher ist, trotz seiner Jugend abgründiger angelegt ist: Rémi findet sich in Pornokinos wieder, er wird die Schule schwänzen, dem eifersüchtigen Marc aus dem Weg gehen, nach dem nächsten schnellen schwulen Fick wieder am Esstisch beim sterbenskranken Vater sitzen. Da irritiert und rührt es an, wenn der ihm mit großer Zärtlichkeit den Kopf streichelt. Rémi schließlich ist reifer, aber noch lange nicht angekommen. Dieses Thema des Ausprobierens, des Suchens, des Mäanderns, des Bewusstwerdens seiner Herkunft, seiner Zugehörigkeit – das ist Lifshitz’ Thema.“ (Michael Eckhardt in SISSY 2/11)

IS IT JUST ME? USA 2010, Regie: J. C. Calciano, Pro-Fun Media

Blaine ist auch insofern ein hoffnungsloser Romantiker, als er die Hoffnung auf Romantik und ehrliche Zuneigung in Gestalt eines gleichgesinnten Partners fast schon aufgegeben hat. Bis er eines Abends in einem

Chat Room den frisch nach L. A. gezogenen Texaner Xander kennen lernt und im Verlauf eines stundenlangen Telefonats in ihm einen Seelenverwandten entdeckt. Als Blaine danach sein Notebook herunterfahren will, fährt stattdessen seine Laune schlagartig in den Keller. Denn er bemerkt, dass er soeben versehentlich mit dem Fotoprofil seines Mitbewohners Cameron unterwegs war, und der stellt äußerlich wie charakterlich so ziemlich sein Gegenteil dar, nämlich eine Art besonders oberflächlichen California Dreamboy. Blaine bittet nun Cameron, ihn zu seinem ersten Date mit Xander zu begleiten. Cameron soll nämlich den Texaner zunächst durch sein unterbelichtetes Gerede abschrecken und danach mit Blaine verkuppeln. Kein guter Plan, denn Xander scheint voll auf Cameron abzufahren und damit den äußeren Werten zum Sieg über die inneren zu verhelfen … Der schüchternsensible Künstler, der hedonistische SzeneMuskelmann, die verständnisvolle beste Freundin, der treuherzige Naturbursche vom Lande und der lebenskluge Altschwule – hier werden die Klischeebilder des MainstreamGay-Kinos alle noch einmal reanimiert. Und zwar in so ungebrochener Form, dass man beinahe meinen könnte, dabei sei Ironie im Spiel. Darf man diese Emanzipationsgeschichte von daher getrost als Schnulze einstufen, so kann man ihr dennoch eine gute Portion an Charme und Witz nicht absprechen. Zudem hält den Zuschauer mitunter eine merkwürdige Art des Genießens bei der Stange, die ihn zuweilen sogar eine ganze Episode des ZDF-Traumschiffs durchhalten lässt und die man vielleicht als „Erotik der Konvention“ bezeichnen könnte: Man weiß schon ab Minute drei, wie es weitergehen und worauf es hinauslaufen wird, aber man will dann auch sehen, dass es genauso kommt.  cm

HOUSE OF BOYS LU/DE/NL 2010, Regie: Jean-Claude Schlim, Lighthouse Home Entertainment

„House of Boys erzählt die Geschichte des Anfangs von Aids. 1984 zieht der 18-jährige Frank aus der Provinz nach Amsterdam und fängt an, im ‚House of Boys‘, einem Stripclub und Bordell, zu tanzen. Udo Kier gibt die Puffmutter ‚Madame‘ mit Verve und Lust an dicken Pinselstrichen. Bald verliebt sich Frank in seinen eigentlich heterosexuellen Zimmergenossen Jake – und der sich auch in ihn. Aber aus der großen Liebesgeschichte wird nichts, denn bald entwickelt Jake merkwürdige Symptome. Auch Stephen Fry hat einen kurzen, rührenden Gastauftritt in House of Boys als verzweifelter Arzt, der Aids nichts anderes als


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Trost entgegenzusetzen hat.“ (Paul Schulz in SISSY 4/10) „Ich habe relativ schnell zugesagt. Weil der Film wichtig ist, finde ich. Der Beginn von Aids ist kein Thema, das im Kino viel behandelt worden wäre. Und House of Boys macht das, ohne vor den schwierigen Fragen oder dem Elend zurückzuschrecken, das damit auch verbunden war. Er versucht das in seiner Komplexität darzustellen. Deswegen wollte ich ihn gern machen.“ (Udo Kier in SISSY 4/10)

KOMPLIZEN CH/FR 2009, Regie: Frédéric Mermoud, Edition Salzgeber

In Lyon treibt nahe am Ufer der Rhône die Leiche eines sehr jungen Mannes bäuchlings auf dem schlammigen Wasser. Inspektor Hervé Cagan und seine Kollegin Karine Mangin finden schnell heraus, dass es sich dabei um den leblosen Körper Vincent Bouviers handelt, der sein Geld als Callboy verdiente − zunächst allein und dann im Gespann mit seiner Freundin Rebecca. Von der Schülerin fehlt indessen jede Spur. Auf der Suche nach ihr und Vincents Mörder geraten die beiden Polizisten immer tiefer in eine zwielichtige Parallelwelt hinein, die gleich hinter der dünnen Fassade bürgerlicher Wohlanständigkeit verborgen liegt. Frédéric Mermouds ebenso spannender wie elegant inszenierter Thriller überzeugt vor allem durch die schauspielerischen Leistungen seiner beiden Hauptdarstellerpaare, deren zeitlich versetzte Geschichten in zwei parallel verlaufenden, einander stetig abwechselnden Handlungssträngen erzählt werden, wodurch sich ein faszinierender Gegenüberstellungseffekt einstellt. Denn während die Jugendlichen,

deren bedingungslose, äußerst anrührende und dabei immer glaubwürdige Komplizenschaft an Bonnie & Clyde erinnert, schließlich durch ihren Gefühlsüberschwang in die Katastrophe schlittern, leiden die nunmehr etwas in die Jahre gekommenen Ermittler, die leicht deren Eltern sein könnten, gerade unter einem Mangel an emotionaler Nähe. Das eigentümlich unklare Verhältnis zwischen den beiden Partnerlosen, die manchmal wie Leidesgenossen, zuweilen wie Kumpels und häufig wie ein vertrautes Ehepaar wirken, macht sie zu einem der interessantesten Kriminalistenduos der letzten Zeit.  cm

JUST ONE TIME

heimlich in Anthony verknallt. Was mit einer fixen Idee beginnt, entwickelt sich zu einem Reigen von Missverständnissen, an dessen Ende vor allem eine Erkenntnis steht: Hetero bleibt Hetero, und Liebe ist sowieso viel wichtiger als Sex. Immerhin freunden sich die zunächst homophoben Löschkönige mit New Yorks Schwulenszene an, so hat es Anthony-Darsteller Lane Janger ins Drehbuch geschrieben. Der Ex-Freund von David Burtka (How I Met Your Mother), mit dem Janger Zwillinge großgezogen hat, führte auch Regie in Just One Time. 1999 war das. Erst jetzt ist die lange verschollene Mainstream-Komödie auf DVD erschienen.  ms

SAGAT

US 1999, Regie: Lane Janger, Pro-Fun Media

FR 2011, Regie: Pascal Roche & Jérôme M. Oliveira, Pro-

Irgendwie fühlt sich dieser Film gleich vertraut an. Man hatte sie ja schon vermisst, diese unvergleichliche Weite-Hemden-im-New-Yorker-Village-Optik, wie sie nur die Neunzigerjahre hervorbringen konnten. Tatsächlich wirkt Just One Time ein wenig wie eine besonders lange Folge Friends. Was den doch recht flachen Inhalt gut erträglich macht. Die Freunde sind in diesem Fall Feuerwehrmann Anthony mit seiner Crew auf der einen, und die beiden Quoten-Homos des Viertels, Michelle und Victor, auf der anderen Seite. Anthony steht kurz vor der Hochzeit mit seiner Traumfrau, der Rechtsanwältin Amy. Bevor die beiden vor den katholischen Altar treten, soll sie ihm aber noch eine Fantasie erfüllen: Einen flotten Dreier mit einer anderen Frau. Amy sagt zu, unter einer Bedingung: Wenn schon gleichgeschlechtliches Anfassen, dann bitte auch für ihren zukünftigen Gatten. Immerhin ist ihr Nachbar Victor schon lange

Fun Media

„Jedes Sexsymbol hat seine Zeit. Und da ist Sagat gerade ein ziemlich spannendes Beispiel. Wenn sein Körper eine Geschichte erzählt, dann ist es die einer allumfassenden Selbsterschaffung, durchaus als Rache für die Stigmata, die er in seiner Heimatkleinstadt Cognac als schwuler, tuntiger Teenie erfahren musste. Da hat eine Verwandlung stattgefunden, mithilfe von Steroiden, Sex und Undergroundregisseuren. Letztere erzählen von Disziplin und Intelligenz, Psychologen von Geschlechterrollenübertreibung und –inszenierung (Marilyns Titten = Sagats Arsch) und Pornofilmproduzenten von Klassik und Exotik. Was Sagat dazu selbst erzählt, ist viel spannender und lässt sein Bild noch mal ganz anders schillern: Tatsächlich bezeichnet er sich als Transsexuellen, der nach seiner Sissy-Jugend zwei Optionen gehabt

Ob brandneu oder wieder aufgelegter Klassiker … Wir haben (fast) alles. Und was wir nicht am Lager haben, besorgen wir gerne. Auch aus dem Ausland.

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hätte: endweder eine ‚richtige Frau‘ oder ein ‚richtiger Mann‘ zu werden. Letzteres war sein Weg und wurde mit immensen Hilfmitteln erreicht. Am Ende kann er es als eigene Leistung erklären, das Objekt der Begierde anderer geworden zu sein. Joe Dallesandro sollte immer so aussehen, als sei ihm seine Schönheit gar nicht bewusst. François Sagat muss beim Modellieren seines Körpers seinen Bewunderern und Inszenierern immer einen Schritt voraus sein, ein auf ewig mit sich selbst beschäftigter ‚Megalomaniac‘ (Sagat). Und das weiß er alles und deshalb wird ihm auch kein Dokumentarfilm nahe kommen. Ein weithin sichtbares Rätsel zu bleiben, darum geht’s.“ (Richard Garay in SISSY 2/11)

WAR REQUIEM UK 1989, Regie: Derek Jarman, Edition Salzgeber

„War Requiem“, Derek Jarmans Verfilmung des pazifistischen Meisterwerks von Benjamin Britten, lief in Deutschland nie im Kino und ist nun zum ersten Mal auf DVD zu haben. Ein queerer Bilder- und Musikrausch mit Tilda Swinton, Laurence Olivier (in seiner letzten Rolle) und Nathaniel Parker über den Horror des Krieges (siehe Seite 36).

DECAMERON – EROTISCHE EPISODEN AUS DEM MITTELALTER PASOLINIS TOLLDREISTE GESCHICHTEN – THE CANTERBURY TALES EROTISCHE GESCHICHTEN AUS 1001 NACHT – ARABIAN NIGHTS IT/FR 1970 / 1972 / 1973, Regie: Pier Paolo Pasolini, EuroVideo

Das hatte damals schon für einiges Stirnrunzeln gesorgt: Der strenge linke Intellektuelle Pasolini dreht Softsexfilme. Kritiker meckern: „Wie unpolitisch!“ Und dann hagelt es Preise bei den großen Filmfestivals für diese losen, episodischen Erzählungen von untreuen Frauen, geilen Alten, gehörnten Ehemännern, verführten Nonnen, missbrauchten Sklavinnen und erpressten Sodomitern. Natürlich hatte das System, zumindest bei Pasolini. Volksnähe dürfte eine seiner größten Sehnsüchte gewesen sein, Sinnlichkeit die andere. Und beides hat er in der sogenannten Trilogie des Lebens, die nun endlich wieder in einer deutschen DVD-Ausgabe erhältlich ist, erreicht. Die Vorlagen sind zwar nichts weniger als Weltliteratur, aber Pasolini ignoriert daran all das, was im gymnasialen Unterricht als „Intention“ und „literaturgeschichtliche Bedeutung“ herausgearbeitet würde. Im Decamerone geht’s bei ihm nicht um die Pest, in den Caterbury Tales nicht um den Glaubensmissbrauch. Alles läuft viel simpler darauf hinaus, rätselhaft schöne Menschen möglichst schnell zu entkleiden, sie dem Tod und dem übrigen Ernst des Lebens ein Schnippchen schlagen zu lassen, sie hemmungslos Unzucht treiben, blödeln (vor allem sein Lieblingsschauspieler Ninetto Davoli ist dafür zuständig) oder furzen zu lassen. Oft hat das das Niveau abgestandener Zoten, und richtig zur Sache geht es sexuell natürlich auch nicht, aber die Filme leben – auch heute noch – von einer eigenartigen Spannung: Auf der einen Seite stehen die aufwendigen erzählerischen Konstruktionen, die verschachtelten Anordnungen von Anekdoten, Rahmen- und Binnenerzählungen, kleinen Pointen und großen Bögen – auf der anderen Seite das Spiel der Laien, durchweg faszinierenden Entdeckungen des Regisseurs aus allen Teilen der Welt, hintergründig schön und unbelastet vom Film-Nimbus. Die Uneinheitlichkeit der Darstellung wird artifiziell überlagert durch die Nachsynchronisation (weshalb auch völlig egal ist, dass man bei dieser Ausgabe keine OmU-Fassungen hat, da man von einer Originalsprache nicht mehr sprechen kann), was den eigenen Reiz dieses riskanten Erzählens noch verstärkt. Die Kameramänner machen großartige Bilder, Ennio Morricones Musik fährt auch einiges auf, sogar Tricksequenzen werden eingearbeitet – und gleichzeitig haben alle Filme auch eine dokumentarische Qualität, öffnen sich immer wieder für die Realität des Schauspiels, der Landschaft, des Augenblicks. Am besten funktioniert das im Meisterwerk der Erotischen Geschichten aus 1001 Nacht, in dem eine ganze Welt aus Menschen, Gegenständen, Erzählgattungen und Sinneseindrücken zueinander gebracht wird, am Ende taucht ein Löwe auf, der Dämon fliegt durch die Luft, jemand singt auf Arabisch und ein Junge freut sich, dass der König, der mit ihm schlafen will, sich bei näherem Hinfassen doch als Frau herausstellt …  jk

Die neue Saison beginnt – wir freuen uns auf Euch!

Contracorriente – Gegen den Strom von Javier FuentesLeón · Gigola von Laure Charpentier · Auf der Suche von Jan Krüger · The Four-Faced Liar von Jacob Chase · Private Romeo von Alan Brown · Fjellet – Der Berg von Ole Giæver Mit freundlicher Unterstütung durch

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rubrik

Spezialeinrichtungsbedarf von T hom a s O t t

s „Halleluja, die gibt’s noch!“ überschrieb Christine Wunnicke in der letzten SISSY ihre Liebeserklärung an Max & Milian in München. Da war ich neidisch! Würde sich in der Schwabenmetropole jemand finden, der uns so toll findet und das auch noch so formulieren kann? Kaum … Weshalb ich das jetzt hier auch gleich selbst schreibe … Der Neid ist verflogen, denn Max & Milian hat im Juli Insolvenz angemeldet. Man kann (sollte zwischenzeitlich kein Wunder geschehen sein) den Max&Milian-Artikel von Frau Wunnicke jetzt als Nachruf lesen … Wieder einer weniger, nach Köln (Ganymed/Zeus) und New York (Oscar Wilde Bookshop), nach Amsterdam (Intermale) und San Francisco (A Different Light) – um nur ein paar wenige der Läden zu nennen, die in den letzten Jahren geschlossen haben … Ich könnte jetzt „Hurra! Uns gibt’s noch!“ schreiben. Und erklären, warum wir so einzigartig, bedeutsam und unverzichtbar für die „Szene“ oder irgendein schwul-lesbischqueeres Irgendwas sind. Nur: Es scheint immer weniger Leute zu geben, die das so sehen. Und wenn hier schon der Ladeninhaber selbst schreibt, dann soll es doch bitteschön keine realitätsferne Selbstbeweihräucherungsorgie werden. Eigenlob riecht bekanntlich komisch. Jammern hilft auch nicht weiter. Und ein Appell an eine Solidarität – von wem auch immer! – hat immer ein bisschen was von Betteln. Nicht mein Ding … Also? „Man muss zumindest versuchen zu beschreiben, was man nicht verändern kann“ (Rainer Werner Fassbinder – noch so an Bayer!): Ganz offensichtlich sind „schwule Buchläden“ (bzw. das, was draus geworden ist: schwul/lesbisch/queere Medienläden) vom Aussterben bedroht. Weltweit. Was zum „Reichwerden“ nie getaugt hat, wirft mittlerweile vielerorts nicht einmal das Notwen-

digste zum Überleben ab. „Schwule Buchläden sind so lange eine Notwendigkeit, bis die Homosexuellen so emanzipiert sind, dass es einer solchen Spezialeinrichtung nicht mehr bedarf“. Ganz ehrlich: So oder so ähnlich haben wir selbst das „damals“ formuliert. Es deutet das eine oder andere darauf hin, dass man sagen könnte: „Wir haben uns’re Schuldigkeit getan, wir können geh’n …“ Stimmt’s? „Menschen des gleichen Geschlechts zu lieben, ist in den letzten Jahren zu einem erfolgreichen Lifestyle geworden“ (Formulierung aus einer „queeren“ Werbebroschüre). Wenn das so ist, dann wäre im Zuge der Markteinführung des „gleichgeschlechtlichen Lifestyles“ die Homosexualität als solche verschwunden. Emanzipation geglückt: Patient tot! Wozu dann „schwule Buchläden“? Aber auch: wozu dann „Homosexual’s Film Quarterlys“? Wozu eine Community, wozu ein Reden über Identität? Und natürlich: Es ist nicht nur der „homosexuelle“ (Buch)-Handel, der solche und ähnliche Probleme hat. Der größte Fluss Brasiliens heißt nun mal Amazonas, und wir leben in einer globalisierten, vernetzten Welt. Lesen ist eine ein bisschen antiquierte Kulturtechnik. Und Filme muss man nicht (als DVD) kaufen … Mit all dem werden wir leben und umgehen müssen. Es wäre auch absurd, so etwas wie Denkmalschutz oder Arterhaltungsprogramme für unsereins zu fordern. Die Voraussetzungen für ein Überleben auch unter ganz und gar geänderten Umständen müssen wir, die „Macher“ solcher Läden, schon selbst schaffen. Nur soll halt niemand sagen, er hätte es nicht geahnt! Klartext: Wer zu der Minderheit gehört, die solche Laden-„Dinosaurier“ ernsthaft schätzt, sollte sich klar sein, dass wir von Lobeshymnen nicht leben können. Wer den Laden mit „Oh mein Gott, es ist echt toll, dass es Euch noch gibt“, betritt, sollte ihn nicht mit „Diese Gay-City-Maps kosten nichts,

privat

In unserer „Profil“-Rubrik stellen wir Heft für Heft Kinos und Medienläden vor, die für Queer-CinemaInteressierte die fachkompetente Grundversorgung leisten. Normalerweise schwärmt darüber jemand, der diese Einrichtung schätzen gelernt hat. Im Fall des Stuttgarter Erlkönig-Ladens schreibt der Besitzer diesmal selbst, in eigener Sache. Aus gutem Grund.

Thomas Ott

oder? Habt Ihr da zufällig noch Toronto und Sheffield?“ wieder verlassen. Oder: Es wird niemand gezwungen, sich auf Äste zu setzen. Aber wer die Aussicht von dort liebt, sollte die Säge zu Hause lassen! Wir besorgen jedes lieferbare Buch. Jeden lieferbaren Film. Auch nicht Lieferbares ist selten ein Problem. Man kann auch im Internet bestellen. Wir verschicken auch … Ende des Mantras. Nix Halleluja, Christine. Scheiße ist das alles! Tschüss Max. Tschüss Milian. Tschüss Jan & Miriam!

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kinos Nicht-heterosexuelle Filme können Sie unter anderem in den folgenden Kinos sehen. Die Auswahl wird laufend ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!

aalen  Kino

am Kocher Schleifbrückenstraße 15, 07361/5559994  Aschaffenburg  Casino filmtheater Ohmbachsgasse 1, 06021/4510772  Augsburg  CinemaxX Willy-BrandtPlatz 2, 01805/24636299  Bad Füssing  Filmgalerie Sonnenstraße 4, 08531/980555  bamberg  lichtspiel Untere Königstraße 34, 0951/26785  Berlin  arsenal Potsdamer Straße 2, 030/26955100 · Kino International Karl-Marx-Allee 33, 030/24756011 · Xenon Kino Kolonnenstraße 5–6, 030/78001530 · Cinemaxx Potsdamer Platz Potsdamer Straße 5, 01805/24636299 · eiszeit Zeughofstraße 20, 030/6116016 · FSK am Oranienplatz Segitzdamm 2, 030/6142464 · Tilsiter Lichtspiele Richard-Sorge-Straße 25a, 030/4268129  Bielefeld  CinemaxX Ostwestfalenplatz 1, 0521/5833583  bochum  Endstation Kino im Bhf. Langendreer Wallbaumweg 108, 0234/6871620  braunschweig  C1 Cinema Lange Straße 60  Bremen  Kino 46 Waller Heerstraße 46, 0421/3876731 · CinemaxX Breitenweg 27, 01805/24636299  dortmund  schauburg Brückstraße 66, 0231/9565606 · sweetsixteen Immermannstraße 29, 0231/9106623  Dresden  Kid – Kino im Dach Schandauer Straße 64, 0351/3107373 · CinemaxX Hüblerstraße 8, 01805/24636299  Essen  CinemaxX Berliner Platz 4–5, 01805/24636299  Esslingen  Kommunales Kino Maille 4–9, 0711/31059510  Frankfurt/Main  Mal Seh’n Adlerflychtstraße 6, 069/5970845 · Orfeos Erben Hamburger Allee 45, 069/70769100 Freiburg  Kommunales Kino Urachstraße 40, 0761/709033 · CinemaxX Bertholdstraße 50, 01805/24636299  Göttingen  Kino Lumière Geismar Landstraße 19, 0551/484523  Hamburg  Metropolis Kino Steindamm 52–54, 040/342353 · CinemaxX wandsbek Quarree 8–10, 01805/24636299 · B-Movie Brigittenstraße 5, 040/4305867 · 3001 Schanzenstraße 75–77, 040/437679  Hannover  cinemaxx Nikolaistraße 8, 01805/24636299 · kino im künstlerhaus Sophienstraße 2, 0511/16845522  karlsruhe  Kinemathek Karlsruhe Kino im Prinz-Max-Palais Karlstraße 10, 0721/25041   Kiel  Die Pumpe – Kommunales Kino Haßstraße 22, 0431/2007650 · CinemaxX Kaistraße 54–56, 01805/24636299 · Traum Kino Grasweg 48, 0431/544450  Köln filmpalette Lübecker Straße 15, 0221/122112 · Kölner Filmhaus Maybachstraße 111, 0221/2227100   Konstanz  Zebra Kino Joseph-Belli-Weg 5, 07531/60162  Leipzig  Passage Kino Hainstraße 19 a, 0341/2173865 · Schaubühne Lindenfels Karl-Heine-Straße, 0341/4846211  magdeburg  Cinemaxx Kantstraße 6, 01805/24636299   Mannheim  Cinema Quadrat Collinistraße 5, 0621/1223454  Marburg  Cineplex Biegenstraße 1a, 06421/17300  München  Neues Arena Filmtheater HansSachs-Straße 7, 089/2603265 · City Kino Sonnenstraße 12, 089/591983 · CinemaxX Isartorplatz 8, 01805/24636299  Münster  Cinema Filmtheater Warendorfer Straße 45–47, 0251/30300  Nürnberg  Kommkino Königstraße 93, 0911/2448889  Offenbach  CinemaxX Berliner Straße 210, 01805/24636299  Oldenburg  Cine K Bahnhofstraße 11, 0441/2489646 · CinemaxX Stau 79–85, 01805/24636299  Potsdam Thalia Arthouse Rudolf-Breitscheid-Straße 50, 0331/7437020  Regensburg Wintergarten Andreasstraße 28, 0941/2980963 · CinemaxX Friedenstraße 25, 01805/24636299  Saarbrücken  kino achteinhalb Nauwieser Straße 19, 0681/3908880 · Kino im Filmhaus Mainzer Straße 8, 0681/372570  Schweinfurt KuK – Kino und Kneipe Ignaz-Schön-Straße 32, 09721/82358  Stuttgart Cinemaxx an der Liederhalle RobertBosch-Platz 1, 01805/24636299  Trier Broadway Filmtheater Paulinstraße 18, 0651/96657200  Weiterstadt  Kommunales Kino Carl-Ulrich-Straße 9–11 / Bürgerzentrum, 06150/12185  Wuppertal  CinemaxX Bundesallee 250, 01805/24636299 1181  Würzburg CinemaxX Veitshöchheimer Straße 5a, 01805/24636299

Impressum Herausgeber  Björn Koll Verlag  Salzgeber & Co. Medien GmbH Mehringdamm 33 · 10961 Berlin Telefon 030 / 285 290 90 · Telefax 030 / 285 290 99 Redaktion  Jan Künemund, presse@salzgeber.de Art Director  Johann Peter Werth, werth@salzgeber.de Autoren Beatrice Behn, B. D. Binder, Gunther Geltinger, Malte Göbel, Klaus Kalchschmid, Christoph Klimke, Jan Künemund, Angelina Maccarone, Christoph Meyring, Tomas Ott, Tobias Rauscher, Ringo Rösener, Daniel Sander, Manuel Schubert, Maike Schultz, Christian Weber, Sascha Westphal Dank an Jan Krüger, Robert Schweizer Anzeigen Jan Nurja, nurja@salzgeber.de Es gilt die Anzeigenpreisliste 01/2011 (www.sissymag.de/media). SISSY erscheint alle drei Monate, jeweils für den Zeitraum Dezember/ Januar/Februar – März/April/Mai – Juni/Juli/August – September/ Oktober/November. Auflage: 40.000 Exemplare (Druckauflage). Druck  Möller Druck, Berlin Rechte  Vervielfältigung, Speicherung, Weiterverarbeitung oder Nutzung sowohl der Texte als auch der Bilder zu kommerziellen Zwecken bedürfen einer schriftlichen Genehmigung des Herausgebers. Bezugsquellen  deutschlandweit in den schwul-lesbischen Buchläden, in den CinemaxX-Kinos in Augsburg, Berlin, Bielefeld, Bremen, Dresden, Essen, Hamburg, Hannover, Magdeburg, Mannheim, München, Oldenburg, Stuttgart, Wuppertal. potsdam Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“. berlin BarbieBar, Deutsche Film- und Fernsehakademie. bochum Orlando. kiel Birdcage. hamburg Café Gnosa, Café unter den Linden. köln Café ERA, Bastard Bar, Kunsthochschule für Medien. münchen Moro, Kraftakt, Sub e.V.. stuttgart Rubens Home, Jakobstube. fr ankfurt/main Bar Central. leipzig Rosa Archiv, Rosa Linde e.V.. düsseldorf Café Seitensprung. hannover Café Caldo, Café Konrad. mainz Bar jeder Sicht. nürnberg Fliederlich e.V.. dresden Gerede e.V.. Wenn Sie die SISSY ebenfalls auslegen möchten, freuen wir uns. Eine kurze E-Mail genügt! Haftung  Für gelistete Termine können wir keine Garantie geben. Die Angaben entsprechen dem Stand des Drucklegungstages. Bildnachweise  Die Bildrechte liegen bei den jeweiligen Anbietern. Abo  Sie können SISSY kostenfrei abonnieren: abo@sissymag.de

Auch das noch …

Zum Schütteln: Die schillernde Verwandschaft.

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ISSN 1868-4009

robert schweizer

Berlin  b_books Lübbenerstraße 14, 030/6117844 · Bruno’s Bülowstraße 106, 030/61500385 · Bruno’s Schönhauser Allee 131, 030/61500387 · Dussmann Friedrichstraße 90 · Galerie Janssen Pariser Straße 45, 030/8811590 · KaDeWe Tauentzienstraße 21–24 · Media Markt Alexa Grunerstraße 20 · Media Markt Neukölln Karl-Marx-Straße 66 · Negativeland Dunckerstraße 9 · Prinz Eisenherz Buchladen Lietzenburger Straße 9a, 030/3139936 · Saturn alexanderplatz Alexanderplatz 7 · Saturn Europacenter Tauentzienstraße 9 · Video World Kottbusser Damm 73 · Videodrom Fürbringer Straße 17  bochum  saturn Kortumstraße 72  darmstadt  saturn Ludwigplatz 6  Dortmund  Litfass der Buchladen Münsterstraße 107, 0231/834724  Düsseldorf  Bookxxx Bismarckstraße 86, 0211/356750 · Saturn Königsallee 56 · Saturn Am Wehrhahn 1  Essen  Müller Limbecker Straße 59–65 Frankfurt/ main  Oscar Wilde Buchhandlung Alte Gasse 51, 069/281260 · Saturn Zeil 121  Hamburg  Buchladen Männerschwarm Lange Reihe 102, 040/436093 · Bruno’s Lange Reihe/Danziger Straße 70, 040/98238081 · Empire Megastore Bahrenfelder Straße 242–244 · Media Markt PaulNevermann-Platz 15  Köln  Bruno’s Kettengasse 20, 0221/2725637 · Media Markt Hohe Straße 121 · Saturn Hansaring 97 · Saturn Hohe Straße 41–53 · Videotaxi Hohenzollernring 75–77  leipzig  Lehmanns Buchhandlung Grimmaische Straße 10  Mannheim  Der Andere Buchladen M2 1, 0621/21755  München  Bruno’s Thalkirchner Straße 4, 089/97603858 · Lillemor’s Frauenbuchladen Barerstraße 70, 089/2721205 · Saturn Schwanthalerstraße 115 · Saturn Neuhauser Straße 39  nürnberg  Müller Königstraße 26  Stuttgart  Buchladen Erlkönig Nesenbachstraße 52, 0711/639139  trier  media markt Ostallee 3–5  Tübingen  Frauenbuchladen Thalestris Bursagasse 2, 07071/26590  Wien  Buchhandlung Löwenherz Berggasse 8, + 43/1/13172982  Würzburg  Müller Dominikanerplatz 4


»Corinna Harfouch ist in ihrer Mischung aus Pragmatismus, leiser Unsicherheit und erwachender Lebenslust die schauspielerische Wiederentdeckung der Berlinale!« die zeit »Jan Krüger setzt mit großer Stilsicherheit sein Werk konsequent fort.« critic.de »Corinna Harfouch und der junge Nico Rogner spielen auf Augenhöhe ein paar wider Willen. Stark!« player A b 10. Nov e m ber im KiNo!


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