SISSY – Homosexual’s Film Quarterly

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sissy

Homosexual’s Film Quarterly Ausgabe acht · Dezember 2010 bis Februar 2011 · kostenlos

s Zugfahrt: Treibende Blüten  s Zimmerservice: Rom in Zentralperspektive  s Im Striplokal: Die 33 Palmen des Udo Kier  s Dritter Bildungsweg: Der Duft des Verbotenen  s Klarinettenstunde: Das Auschwitz-Komitee tagt  s Im Plattenbau: Das schönste Gefühl von allen  s Zum Heulen: Engelhafte Hipster und heilige Motorradfahrer  s Kündigung: Eine Nomadin auf Ischia  s Waisenknabe: Jung und ahnunglos  s Imagine: Weinende Männer  s Verwandlungskünstler: Die Gesänge des João Pedro Rodrigues  s Gay-History-Box: Schenk sie Deiner Schule!  s Knöpfchendrücker: Mach dir keinen Stress!  s Spottdrossel: Das bin ja ich!


25.

TEDDY AWARD Der queere Filmpreis der Berlinale JUBILÄUMSGALA

am Freitag, 18. Februar 2010 ab 21:00 Uhr

GROSSE JUBILÄUMSPARTY ab 23:00 Uhr

Tickets erhältlich ab Dezember 2010 www.teddyaward.tv info@teddyaward.tv


vorspann

Sissy acht Nur wenige Filme werden zu Klassikern und damit zu einem Teil kollektiver Geschichte. Beautiful Thing ist so ein Fall. Ein Film, der gleichzeitig gemeinsame Erfahrungen widergespiegelt und sie durch Schönheit und Poesie erträglich gemacht hat. Jamie und Ste Arm in Arm und die Herausforderungen der Welt vor ihren Augen – das ist ein Bild, das für immer stehen bleiben könnte. Junge Beatles und junge Beatniks, schwule Geschichten und schwule Geschichte, Liebe in den Anfangszeiten von HIV und Coming-Out in den 1990ern – das ist der eine, historische Schwerpunkt des nicht-heterosexuellen Kinos der nächsten drei Monate. Auf der anderen Seite steht die wie aus allen Zusammenhängen herausgefallene Poesie der Bildmagier, delirierend wie bei João Pedro Rodrigues, verschlungen wie bei Zero Chou oder durchgeknallt wie bei Scud. Aus dem Schwärmen kommt die SISSY so oder so nicht heraus. Denn wenn man mit dem Schwärmen aufhört, ist das traurig. Und wenn ein Schwärmer verstummt, umso mehr. Die SISSY musste sich im September von ihrem Autor Martin Büsser verabschieden, der bei aller scharfsinnigen Analyse von Pop-Phänomenen, Subkulturen, queerer und antiqueerer Öffentlichkeiten nie das Schwärmen z.B. über seine Lieblingsfilme vergessen hat. In der SISSY beschäftigte sich Martin u.a. mit einem sexy Herrendoppel aus der Kunstwelt (With Gilbert & George), mit der Aus „Before Stonewall“ (Greta Schiller, Robert Rosenberg und Andrea Weiss, 1984), Frage, was Coming-Out mit Rockmusik zu tun Teil der DVD-Box „Gay History“ (siehe Seite 34 f.) hat (Der Mann, der Yngve liebte) und zuletzt mit schwulen Punks (Mein wunderbarer Waschsalon). Jetzt müssen andere da weitermachen, wo er aufgehört hat – mit den, wie er es nannte, „Beiträgen zur avancierten Gegenwartskultur“. Mit einem wachen und wertschätzenden Blick zurück und mit Lust auf die Magie neuer Bilder wünschen wir viel Spaß mit der neuen SISSY!

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mein dvd -regal

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Ralf R端hmeyer

Ralf R端hmeyer, Fotograf

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kino

EINFACHE FAHRT von M a i k e Sch u ltz

Taiwans einzige offen lesbische Regisseurin Zero Chou zaubert epische Meisterwerke, mit denen sie schon auf der Berlinale begeisterte. Am 17. Dezember läuft „Drifting Flowers“ in der L-Filmnacht.

Spider Lilies

von Zero Chou TW 2007, 94 Minuten, OF Parasol Pictures Releasing, www.parasolpictures.co.uk

Auf DVD

als Import-DVD

Drifting FLowers

von Zero Chou TW 2007, 97 Minuten, OmU Edition Salzgeber, www.salzgeber.de

Im Kino

L-Filmnacht im Dezember www.l-filmnacht.de

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kino

s Ich sitze im Zug. Bäume, Felder und Flüsse fliegen am Fenster vorbei, auf der ICE-Strecke von Berlin nach Köln. Dieser Weg in die frühere Heimat ist auch immer eine Reise in die Vergangenheit. Und dann läuft da dieser Film auf meinem Laptop. Eine Frau steht in einem Zug. Etwas verloren torkelt sie durch den Gang und blickt in die Richtung, aus der sie gekommen ist: in das schwarze Loch eines Tunnels, das immer kleiner und kleiner wird. Ich wünsche mir eine große Leinwand in mein Abteil, doch der Bahn-Bedienstete hat nur Kaffee. Egal. Längst bin ich hinein gesaugt in die Welt von Drifting Flowers, die doch nirgendwo passender zum Einsatz kommen könnte als hier. Die Eisenbahnfahrt ist das verbindende Element im Episodenfilm der taiwanesischen Regisseurin Zero Chou. In drei Kapiteln und individuellen Perspektiven erzählt sie von drei Frauen, deren Lebenswege sich zu verschiedenen Zeitpunkten kreuzen. Der Tunnel ist zugleich Schnittbild wie Metapher für Übergang und Veränderung. Die Wehmut fährt immer mit, auch jedes Mal, wenn ich über diese Gleise rase. Als Erinnerung an die Leerstelle zwischen Weggehen und Angekommensein. Drifting Flowers beginnt mit einem kleinen Mädchen, Meigo (Pai Chih-Ying). Sie lebt mit ihrer älteren Schwester Jing (Serena Fang) zusammen, die blind ist und sich als Barsängerin durchschlägt, begleitet von der androgynen Akkordeonistin Diego (Chao Yi-Lan). Zwischen ihnen entspinnt sich eine komplizierte Dreiecksgeschichte: Als Diego und Jing sich näherkommen, flüchtet die eifersüchtige Meigo zu einer Pflegefamilie. Schon länger macht das Sozialamt Druck, weil Jing ihre kleine Schwester zu den nächtlichen Auftritten mitnimmt. Nun soll sie abseits von Jings extravagantem Lebensstil aufwachsen, den sie längst mehr verinnerlicht hat als alle ahnen. Bereits in der ersten Episode entwirft Chou ein Pulverfass der Emotionen, doch kaum entzündet, gleitet der Zuschauer bereits ins nächste Drama: Diego und Jing treten bei einer Hochzeit auf. Gefeiert wird hier freilich eine Scheinehe, in Wirklichkeit lieben Braut Lily (Lu Yi-Ching) und Bräutigam Yen (Sam Wang) beide gleichgeschlechtliche Partner. Und doch überdauert die Jahre nur jenes Band, das sie aus Angst vor ihren Familien eingegangen sind. „Lily“, so das zweite Kapitel, ist die Frau, deren Tunnelblick schon im Prolog so berührt hat. Alt geworden, leidet sie an Alzheimer und trauert ihrer längst verflossenen Geliebten Ocean hinterher. Bis der schwule, ebenfalls verlassene Gatte zurückkehrt und eine seltsame Symbiose mit ihr eingeht: Die demente Lily hält ihn für Ocean. Und Yen lässt es geschehen, für ein wenig Wärme und Geborgenheit. Denn er ist HIV-positiv und Lily seine letzte Zuflucht. Wie sie einem Leben hinterher weint, das er am liebsten loswerden würde, ist wohl die berührendste von Chous Erzählungen. Virtuos schließt sie den Kreis mit einer letzten, die Verbindung zwischen Diego und Lily klärenden Episode: Im Rückblick sieht man Diego als pubertierenden Tomboy, der sich heimlich die Brüste abbindet. Ihr Bruder will sie deshalb vom Familienbesitz, einem Puppentheaterbetrieb, enterben. Nur Lily, die bei der Jahrmarktkonkurrenz als Sängerin auftritt, stört Diegos Gender-Verwirrung nicht. „Liebe ist Liebe“, sagt sie ihr bei einem scheuen Coming-Out-Kuss, „egal ob Junge oder Mädchen“. Es ist der gleiche Satz, den auch Meigo sagen wird, als sie ein Teenager ist und im selben Zug wie die alte Dame Lily sitzt. Wohin sie fahren, ist ebenso ungewiss wie der Verbleib von Lilys großer Liebe Ocean, doch Zero Chou wirft viel größere Fragen auf, als eine erneute Begegnung beantworten könnte: Nach dem Konflikt zwischen familiärer Verantwortung und Selbstverwirklichung etwa. Gesellschaftliche Ausgrenzung wird bei ihr nicht nur durch Homosexualität und unangepasste Geschlechterrollen, sondern auch durch Behinderung erfahrbar. Themen, die bereits ihr Vorgängerfilm Spider Lilies verarbeitet hat. Auf der langen Zugfahrt schaue ich es mir noch einmal an, das Drama um die Online-Stripperin Jade (Rainie Yang) und die Tätowie-

rerin Takeko (Isabella Leong). Auch bei ihnen geht es um das Wiedersehen mit einer Jugendliebe. Und auch hier wird die Beziehung von der Sorge um einen behinderten Bruder überschattet. Als Überbau der Tragödie dient ein Erdbeben, wie es Zero Chou früher schon mal in einem Dokumentarfilm geschildert hatte – und eine geheimnisvolle Lilientätowierung. Eine Klebefolienkopie davon liegt noch immer in meiner Schreibtisch-Schublade. Vor drei Jahren bekam ich sie geschenkt, kurz nachdem mich dieser ICE unwiderruflich nach Berlin gebracht hatte. Zum ersten Mal erlebte ich die Verleihung des Teddy Awards und sogleich gewann ihn eine Frau: Zero Chou. Nur ein Jahr später zeigte die gelernte Journalistin bereits ihr nächstes Werk bei der Berlinale. Drifting Flowers. Wieder ein Blumentitel. Als Metapher für Menschen, die in verschiedene Richtungen wachsen und doch immer wieder zu ihren Wurzeln zurückfinden. Fließend, mit einem unverkennbaren Gespür für Besetzung und das Verweben von Handlungsfäden, findet Chou dafür den richtigen Rhythmus. „There has always been the fragrance of flowers“, singt Jing für ihre kleine Schwester, wenn die sie am Arm durch dunkle Straßen führt. Und die junge Diego trällert mit Lily auf der Kirmesbühne im Duett: „This train is marching on with no regrets.“ Ihre Bilder zusätzlich in Musik zu übersetzen, ist typisch für die Asiatin. Die Lieder spiegeln nicht nur Gefühle, sie verankern auch die kulturelle Identität ihrer Figuren. Das war schon in Spider Lilies mit einem Song über die Jasminblüte so. Vieles hat Chou aber auch bewusst anders gemacht. Während in der Hauptrolle von Spider Lilies mit Rainie Yang noch ein taiwanesischer Superstar glänzte, suchte sie für Drifting Flowers eine Newcomerin aus: Chao Yi-Lan, ein überzeugendes Nachwuchstalent von der Schauspielschule Taipeh und repräsentativer für die Lesben in ihrer Heimat, die laut Chou mehrheitlich Butch-Typen sind. Anstelle der modernen Metropole mit ihren Webcams und Körperkulten sollte diesmal das Kleinstadtleben als Kulisse dienen, wo die Ausgrenzung von Minderheiten am präsentesten ist. Als einzige offen lesbische Filmemacherin Taiwans sind Chous Arbeiten stets

Liebe ist Liebe, egal ob Junge oder Mädchen. auch politisch. „Wenn sie dazu beitragen, Schwule und Lesben ihren Familien näher zu bringen, würde mir das viel bedeuten“, hat sie einmal gesagt. Zusammen mit ihrer langjährigen Partnerin Hoho Liu träumt Zero Chou sogar davon, für alle sechs Farben der Regenbogenflagge einen Film zu drehen. Eine Drei-Farben-Trilogie ist ihnen mit Drifting Flowers (2008, rot), Spider Lilies (2007, grün) und Chous preisgekröntem Debüt Splendid Float (2004, gelb) über Drag Queens bereits geglückt, teils sogar mit Finanzierungshilfe der Regierung. Fehlen noch orange, violett und blau. Blau wie die Sehnsucht, die Chous Protagonisten verkörpern. Es gibt da diese Szene, in der Yen seine Gattin Lily sucht. Ziellos läuft er durch die Straßen rund um das Altersheim und kommt dabei an einer Wand vorbei, an der eine lange Reihe grüner Poster glänzt – die Filmplakate von Spider Lilies, hier allerdings mit zwei Männern als Motiv. Chou zitiert sich selbst in der Schwulenwelt. Es ist nur ein Detail, ein netter Gag. Und macht doch deutlich, wie klein die Szene oftmals ist. Dass darin auch eine Begrenzung liegt, lässt sich in Berlin oder Köln schnell vergessen. So wunderbar melancholisch und schön anzusehen Chous Filme auch sind: Ihre Filme sind stets als Parabeln über das Vergessen lesbar, das so heilsam wie schmerzhaft sein kann. Die einsame Frau im Zug, sie lebt in ihrer Erinnerung. Auch ich erinnere mich jetzt, ich bin fast da. Und mit jedem Kilometer rauschen mehr Bilder ins Bewusstsein. s 7


capelight

kino

Bilderliebe von A n dr é W en dl e r

Alba und Natasha begegnen sich vor einem Hotel in Rom und beschließen, für eine Nacht ein Zimmer zu teilen. Julio Medem, im europäischen Autorenfilm der Fachmann fürs Erotische, schließt sich mit seinen Figuren für einen Film lang in das Hotelzimmer ein und lässt dort Bilder aufeinander reagieren. „Room In Rome“ läuft im Januar in der L-Filmnacht.

s Wir blicken aus einer sehr hohen Vogelperspektive in eine Straße, nur spärlich von wenigen hellen Lampen erleuchtet, gesäumt von schon etwas verfallenen Gebäuden, geschmückt mit Pilastern und Köpfen im Halbrelief, als zwei Schatten darin auftauchen, die wir zunächst nur anhand ihrer Stimmen identifizieren können und während wir noch versuchen ihre Akzente zuzuordnen, begleitet die Kamera ihre Annäherungsversuche mit einem langsamen Schwenk, der sie immer in der Mitte des Bildes hält und schließlich auf einem dunkel gepflasterten Platz ankommt, fast genau unterhalb der Kamera, die nun die beiden Frauen zeigt: Die dunkelhaarige Frau trägt ein schwarz-gelb kariertes Hemd und Sneakers, die blonde ein flatterndes blaues Kleid und Heels und beide werden dramatisch von 8

rechts beleuchtet, heben sich deutlich und sehr plastisch von der dunklen Straße ab, als sie plötzlich nach oben schauen, genau in die Kamera, in welche die Dunkelhaarige mit dem Finger zeigt und ruft, „Siehst du? Da ist mein Zimmer!“, in dem die Nacht offenbar enden soll, wozu sich die blonde Frau allerdings noch nicht recht entschließen will, schließlich aber dem Drängen der Dunkelhaarigen nachgibt und mit ihr das Bild nach unten verlässt, was von der Kamera mit einer langsamen Bewegung nach hinten oben beantwortet wird, im Zuge derer noch einmal der Straßenzug ins Bild kommt, eine Terrasse mit Pflanzen und Tischchen und schließlich jener Room in Rome, der zugleich der (Titel des) Film(s) ist und nun nach einem Schwenk der Kamera quer durch ihn hindurch von den beiden Frauen betreten wird, die sich umsehen, ein Getränk aus der Minibar nehmen, auf die Terrasse hinaustreten und von der Kamera von innen heraus durch das Fenster, wiederum gehüllt in fast goldenes, sehr kontraststarkes Licht, gefilmt werden. Punkt. Schnitt. Fünfminütige Plansequenzen am Anfang eines Filmes werden unweigerlich zu dessen Programm. Sie führen die Choreographie aus Licht, Menschen, Kamera, Räumen und Orten vor, die sich Film nennt und die sich sonst gern unsichtbar macht. Der Film hält sich an dieses Programm zwischen Microsoft Bing und humanistischer Zentralperspektive: „Der Künstler muss zu jeder Zeit wissen, was er darstellt.“ Eine antike Plastik auf dem Nachttisch, Natasha mit Bademantel wie diese, ein vielsagendes Lachen Albas und schon verschwindet die Figur in der Tasche. Der Raum wird zugeschüttet mit (Klischee-) Bildern, die gegen Ende eingepackt und abtransportiert werden. An zwei gegenüberliegenden Wänden hängen Bilder, die nicht nur immer wieder ins Bild gesetzt, sondern von den Figuren betrachtet und kommentiert werden und sich mit ihren bruchstückhaften Lebenserzählungen verbinden. Die notwendigen Fremdreferenzen werden immer als Bilder beigebracht: Satellitenbilder aus dem Internet, die Homepage der Schauspielerin Natasha auf der vollen Kinoleinwand, ein Handyvideo, der Fernsehschirm. Diese sprechenden, bedeutsamen Oberflächen werden zu den Wänden des Zimmers, sie werden kommentiert, gelesen, interpretiert und verschoben. Sie geraten mit den Wandbildern aneinander. Auf dem einen, einem Renaissancegemälde, ist ein Symposium im Hause der Medici zu sehen, auf dem unter anderem Leon Battista Alberti, einer der Erfinder der Zentralperspektive zu sehen ist, der dem Verlobten Natashas ähnlich sehen soll. Das andere antike Bild zeigt die Agora von Athen und enthält eine Frau, die Natasha zum Verwechseln ähnlich sieht. „Was war zuerst da – das Bild oder deine Geschichte? – Gute Frage!“, heißt es einmal. Je länger wir in diesem Zimmer herumlungern, desto fraglicher wird, ob es zwischen dem Bild und der Geschichte überhaupt einen Unterschied gibt, geben kann. Wie die Lebensgeschichten der Frauen nur anhand diverser elektronischer Bilder rekonstruiert und plausibilisiert werden können, wird ihre Zukunft ganz in die Bilder des Raumes gelegt: Da schießt einer der Liebesengel von der Decke einen (un)sichtbaren Pfeil mitten in Albas Herz, den Natasha zusammen mit uns imaginär wieder herausziehen muss. s

Room In Rome

von Julio Medem ES 2010, 109 Minuten, OmU Capelight, www.capelight.de

Im Kino

L-Filmnacht im Januar www.l-filmnacht.de


kino

Lehrjahre von K e r st i n W e l z en h ei m e r

Eine Studentin mit Kinderstar-Vergangenheit sucht das richtige Leben und landet übergangsweise im Bett ihrer attraktiven Professorin. Dass das funktionieren kann, aber nicht ausreicht, um ein selbstständiges Wesen zu werden, hat Regisseurin Fernanda Cardoso in edlen Bildern, mit zwei tollen Darstellerinnen und klugen Dialogsätzen ausformuliert. „Bloomington“ läuft im Februar in der L-Filmnacht.

Bloomington

von Fernanda Cardoso US 2010, 83 Minuten, OmU Edition Salzgeber, www.salzgeber.de

Im Kino

edition salzgeber

L-Filmnacht im Februar www.l-filmnacht.de

s Eine dominante Lehrerin mit akkurat frisiertem Dutt, kurzem Rock und halb aufgeknöpfter Bluse, die an ihrem Pult sitzend lasziv an ihrem Bleistift knabbert. Eine Vorstellung, derer sich in diesem Genre nicht wenige Male bedient wurde und von der trotzdem nach wie vor eine Faszination ausgeht. Eine Faszination, die durch das Recht begrenzt ist und durch den Duft des Verbotenen, hier die Anziehung zu einem Menschen in einer übergeordneten Position, begünstigt wird. Diese Fantasie, die schon oft zuvor bebildert wurde, erlebt in Fernanda Cardosos Bloomington ein filmisches Revival. Bleibt nur die Frage, ob es einer weiteren Darstellung dieser komplexen Thematik bedarf und ob jene eine lohnende Ergänzung der bestehenden Titelliste darstellt. Jacqueline (Sarah Stouffer), Anfang zwanzig und ehemaliger Kinderstar der Sci-Fi-Serie „Neptune 26“, kommt nach Bloomington, um ihren College-Abschluss zu machen und ihre Unabhängigkeit zu erlangen. Überfordert in der neuen Welt, in der sie sich mit Lerngruppen und Fans herumschlagen muss, die in ihr nur den „child star“ aus längst vergangenen Tagen sehen, lernt sie die selbstbewusste Professorin Catherine Stark (Allison McAtee) kennen, deren Ruf als Womanizerin und Lady-Killerin ihr voraus eilt. Bereits nach zwei kurzen Gesprächen und zwölf Minuten Filmzeit bittet Miss Stark Jackie zu sich nach Hause. Die Liaison beginnt. Die beiden Charaktere gewinnen an Form während der liebevollen, jedoch wenig facettenreichen Darstellung ihrer Zweisamkeit, die durch Vergangenheitsbewältigung und die Kluft ihres Altersunterschiedes geprägt ist. Den Zuschauer beschleicht das Gefühl, dass die Studentin in der Professorin eher

nach einer mütterlichen Figur als nach einem gleichgestellten Partner sucht; wenn Catherine, mit einem schwarzen Trenchcoat bekleidet, den ganzen Weg zu Jacquelines Familie fährt, um diese nach einem handfesten Streit aus dem Umfeld der „es nur gut meinenden“ aber ignoranten Mutter zu holen, fällt Jackie, die sich heute ebenfalls beim Griff in den Kleiderschrank für den schwarzen Trench entschieden hat, ihr weinend in die Arme, die ihre Mutter ihr nicht mehr öffnet. Als Jackie dann einen Anruf ihres alten Managers erhält, der ihr ein Script und die Rolle für ein Remake von „Neptune 26“ in L.A. anbietet, finden sie und Catherine sich am Scheideweg wieder, doch am Scheideweg von was? Was führen die beiden eigentlich und könnten sie es auch über die Distanz hinweg führen? Allison McAtte (Iron Man, CSI, Nip/Tuck) und Sarah Stouffer (Slacker P.I., Faces of Beautiful You), Mistress-Lipstick-Lesbian und Schoolgirl-Lipstick-Lesbian par excellence, glänzen mit überzeugender Schauspielleistung und glaubhaft dargestellten intimen Momenten vor dem Kamin oder in der Schulbibliothek. Wer jedoch nach der Emotionalität in der bildlichen Darstellung und der sensiblen Zeichnung der Protagonisten gleich wie in Loving Annabelle sucht, in dem das Machtgefüge der beiden Darstellerinnen trotz des Lehrerin-Schülerin-Verhältnisses ausgeglichen scheint, wird enttäuscht. Das Coming-of-Age-Drama Bloomington, ein durchaus unterhaltsamer und sehenswerter Film, bei dem man nicht eine Sekunde das Gefühl des Fremdschämens haben muss, wird wahrscheinlich demgegenüber nicht viel länger als bis zum Abspann im Gedächtnis bleiben. s 9


kino

„Ich bin, glaube ich, ganz normal geblieben“ I n t e rv i ew: Pau l Sch u lz

filmlichter

Udo Kier, Deutschlands einziger queerer Weltstar, ist schon ausgesprochen wach, wenn man ihn morgens um acht in L.A. anruft. Ein Gespräch über den Anfang von Aids, die Mitte von Nichts und das Ende von Freundschaften.

„Morgen fliege ich nach Prag und spiele dort den Papst“: Puffmutter „Madame“ (Udo Kier)

sissy: Herr Kier, Sie spielen in „House of Boys“ „Madame“, den Besitzer eines Stripclubs und Bordells in Amsterdam. Eine Rolle, in der Sie auch in Drag zu sehen sind und singen. Das hat sicher Spaß gemacht. Udo Kier: Das war ganz unterhaltsam, ja. Aber es ist ja nicht so, als hätte ich das vorher noch nie gemacht. Ich habe schon an Michael Caines Seite im Kleid vor einer Kamera gestanden (in The Debtors – Red.) und habe ja auch mit Christoph Schlingensief schon in Drag gedreht. Da habe ich allerdings nie so gut ausgesehen.

Udo Kier Udo Kier (65) ist einer der meistbeschäftigten Schauspieler der Welt und hat schon mit Fassbinder, Schlingensief, Gus von Sant, Lars von Trier und Madonna gearbeitet. Berühmt wurde er Anfang der 70er Jahre als Hauptdarsteller von „Andy Warhols Dracula“ und „Andy Warhols Frankenstein“. In den letzten Jahren dreht er oft mit Guy Maddin und Lars von Trier. Aber auch in deutschen Produktionen ist die queere Ikone immer wieder zu sehen. So hat er unter anderem im erfolgreichsten Tatort des letzten Jahre, „Plattgemacht“, einen Obdachlosen gespielt, war Ensemblemitglied von Dany Levys „Das Leben ist zu lang“ und in 44 Folgen der Kinderserie „4 gegen Z“ als böser Zauberer zu sehen. Gerade verfilmt er mit Timo Vuorensola ein Drehbuch der Finnin Johanna Sinisalo: „Iron Sky“. Darin spielt Kier einen Nazi auf dem Mond.

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s House of Boys erzählt die Geschichte des Anfangs von Aids. 1984 zieht der 18-jährige Frank aus der Provinz nach Amsterdam und fängt an, im „House of Boys“, einem Stripclub und Bordell, zu tanzen. Udo Kier gibt die Puffmutter „Madame“ mit Verve und Lust an dicken Pinselstrichen. Bald verliebt sich Frank in seinen eigentlich heterosexuellen Zimmergenossen Jake – und der sich auch in ihn. Aber aus der großen Liebesgeschichte wird nichts, denn bald entwickelt Jake merkwürdige Symptome. Auch Stephen Fry hat einen kurzen, rührenden Gastauftritt in House of Boys als verzweifelter Arzt, der Aids nichts anderes als Trost entgegenzusetzen hat. Jean-Claude Schlims erster Spielfilm startet am 2. Dezember in den Kinos und ist im Dezember auch in der GayFilmnacht zu sehen.

House of Boys

von Jean-Claude Schlim LU/DE/NL 2010, 113 Minuten, DF Filmlichter, www.filmlichter.de

Im Kino

Gay-Filmnacht im Dezember www.gay-filmnacht.de Deutscher Kinostart: 2. Dezember

Woran liegt es, dass das jetzt anders ist? Wir hatten eine sehr gute Maske bei House of Boys, das sollte ich vielleicht zuerst sagen. Aber die ist nicht dafür verantwortlich, wie ich als „Madame“ aussehe. Dragqueen-Make-Up ist ja eine Kunst für sich. Damit braucht man ein bisschen Erfahrung, wie wir gemerkt haben. Wir haben die Innenansichten des Clubs im „Startreff“ in Köln gedreht, einem Travestieladen, den es schon ewig gibt. Und als unser Maskenbildner mit mir fertig war, haben die Mädels dort gesagt: „So geht das aber nicht! Du siehst ja grauenvoll aus, Udo. So kommst du nicht auf unsere Bühne.“ Also ist die Crew essen gegangen und die haben mich nach allen Mitteln der Kunst zurechtgemacht. Das hat zwei oder drei Stunden gedauert. Als sie fertig waren, bin ich in das Restaurant gegangen, in dem die Crew saß, und keiner hat mich erkannt. Da wusste ich, das geht so. Und so haben wir mich dann auch gedreht.


kino

Warum? Weil der Film wichtig ist, finde ich. Der Beginn von Aids ist kein Thema, das im Kino viel behandelt worden wäre. Und House of Boys macht das, ohne vor den schwierigen Fragen oder dem Elend zurückzuschrecken, das damit auch verbunden war. Er versucht das in seiner Komplexität darzustellen. Deswegen wollte ich ihn gern machen. Und ich kenne Schlim und mag ihn ganz gern. So was hilft mir immer bei Entscheidungen. Von den jungen Darstellern kannte ich keinen, aber insgesamt war das eine schöne Arbeit. Sie arbeite(te)n oft mit denselben Regisseuren: Fassbinder, Gus van Sant, Guy Maddin, Schlingensief oder auch immer wieder Lars von Trier zum Beispiel. Weil …? Weil das ein schönes Arbeiten ist. Warum sollte man es sonst machen? Alle guten Regisseure, die ich kenne, die ihre eigenen Stoffe umsetzen, arbeiten mit ihrer Filmfamilie. Und egal ob ich bei Lars von Trier zwei Sätze sagen kann oder eine größere Rolle habe, ich weiß, ich bin dabei. Wir haben gerade erst Melancholia abgedreht, mit Kirsten Dunst, Charlotte Rampling, John Hurt und so. Wieder eine richtig schöne Arbeit. Ich freue mich immer, wenn ich mit Lars arbeiten kann. Was schätzen Kollegen und Regisseure an Ihnen? Ich bin, glaube ich, relativ normal geblieben. Ich komme ans Set, um zu arbeiten und bringe Ruhe und Gelassenheit mit. Sonst kann ich mich vor der Kamera auch nicht so loslassen. Ich füge mich, egal was für ein Ruf mir manchmal in den Medien so angehängt wird, ganz gut in Teams ein. Und ich bin nach wie vor neugierig und arbeite gern und oft nicht des Geldes wegen. Zusätzlich bin ich verlässlich und kann gut mit Menschen. Und bin nicht zimperlich beim Drehen. In Deutschland sind Sie vor allem für ihre Arbeiten mit Fassbinder und Schlingensief bekannt. Ich habe inzwischen auch schon mit vielen anderen deutschen Regisseuren gearbeitet, aber Fassbinder kannte ich schon Anfang der 60er, als er noch nichts gemacht hatte, das machte die Zusammenarbeit sehr leicht. Und Christoph war derjenige, der mich in seine deutsche Filmfamilie aufgenommen hat, als ich schon in Hollywood war. Egomania mit Tilda Swinton seinerzeit, das ist immer noch einer meiner liebsten Filme. Fehlt Ihnen Schlingensief? Natürlich. Sehr. Er war ja nicht nur mein Regisseur, sondern auch ein sehr guter Freund von mir. Aber über Trauer kann man nicht sprechen, das ist ein Gefühl, das man nicht in der Öffentlichkeit ausleben kann. Das ist privat. Sie hatten sich vor ein paar Jahren mal sehr gestritten. Worum ging es da? Wir hatten uns nicht gestritten. Es war einfach nur ein riesiges Missverständnis. Ich wollte nach einer Feier mit meiner Freundin Nicolette Krebitz in Berlin einen gemeinsamen Wagen nehmen und wir warteten auf den, als mich jemand von der Seite ansprach, es täte ihm ja alles so schrecklich leid wegen Christoph. Ich ging davon aus, das sei ein Freund von Christoph und habe gesagt: „Was tut dir leid?

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Sie haben mit dem Regisseur und Drehbuchautor von „House of Boys“, Jean-Claude Schlim, zum ersten Mal bei „Shadow of the Vampire“ gearbeitet. Das ist zehn Jahre her. Gab es die Idee zu „House of Boys“ damals schon? Der Film speist sich ja aus Schlims eigenen Erfahrungen, also nehme ich an, dass es die Idee dazu auch damals schon gegeben hat, ja. Aber konkret wurde es vor ein paar Jahren, als er mir das Drehbuch gab. Ich hab relativ schnell zugesagt.

Jake (Benn Northover) und Dr. Marsh (Stephen Fry)

Der ist heute operiert worden und es ist doch alles super verlaufen.“ Das war aber kein Freund von Christoph, sondern ein Reporter vom „Berliner Kurier“. Auf deren Titelseite hieß es am nächsten Morgen: „Udo Kier gesteht unter Tränen: Mein Freund Christoph Schlingensief hat Krebs!“ Als ob ich schon jemals irgendwem irgendwas unter Tränen gestanden hätte! Und schon gar nicht das. Blödsinn! Das wurde innerhalb weniger Stunden von jeder, aber wirklich jeder deutschen Zeitung nachgedruckt, unter Berufung auf den „Kurier“. Und ich stand als indiskreter Schwätzer da, der seinen Mund nicht halten kann, weil er sich wichtig machen will. Ich glaube nicht, dass Christoph das gedacht hat, aber jedenfalls hatten wir danach anderthalb Jahre keinen Kontakt. Haben Sie noch einmal mit ihm gesprochen, bevor er starb? Ja, das habe ich. Wir haben uns noch gesprochen. Das war auch gut und wichtig. Ich sollte auch Überraschungsgast auf seiner Hochzeit sein, was mir aber leider nicht möglich war. Da kam ein Drehplan dazwischen. Was drehen Sie denn gerade? Viel. Morgen fliege ich nach Prag und spiele dort den Papst. Danach Köln und dann ein paar Tage Berlin. Ich kann jetzt innerhalb eines Jahres einen Bordellbesitzer, einen Obdachlosen und Bela Bartok spielen und unter anderem mit Dani Levy, Fatih Akin und Werner Herzog arbeiten. Alles Rollen, die ich nicht ablehnen wollte. Es ist ja nicht die Regel, dass ich soviel arbeite. Was machen Sie denn, wenn Sie nicht arbeiten? Ich kann ganz gut zu Hause sein. Ich sammele Kunst, in zwei Häusern hier in L.A. und Santa Monica. Warhol, Trockel, Bisky, alles. Ich habe Hunde. Ich habe gerade 33 Palmen gepflanzt. Ich kann mich beschäftigen, danke der Nachfrage (lacht). Sie haben vor ein paar Jahren eine alte Schule im sächsischen Gehren, mitten im Nirgendwo, gekauft. Wieso? Die habe ich entdeckt, als wir da Lulu und Jimi gedreht haben. Wieder: Ich brauche Platz. Und Gehren ist mein Schloss. Da ist ein Teil meiner Kunst. Vielleicht zieh ich da auch mal hin. Aber erstmal will ich da jetzt mit Isabella Rosselini einen Film drehen, ein Märchen, das passt da ganz gut hin, so in die Mitte von Nichts. Und dann gibt’s da jede Menge frische Luft. Vielleicht eröffne ich ja dort eine Pension und lasse Amerikaner aus L.A. da hinkommen, aus dem Smog. An jedem offenen Fenster ein Amerikaner, der einfach nur atmet. Das ist doch ein schönes Bild, oder? s

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kino

IdentitätsKlezmer von j e ssic a e l l en

Bisher waren die Filme des französischen Regisseurs Jean-Jacques Zilbermann in Deutschland – wenn überhaupt – nur auf Festivals zu sehen, was sich mit diesem Juwel einer schwulen jüdisch-arabischen Komödie endlich ändern wird. „Das verrückte Liebesleben des Simon Eskenazy“ läuft im Januar in der Gay-Filmnacht.

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Simon Eskenazy (Antoine de Caunes, großes Foto); Naim (Mehdi Debhi) und Bella (Judith Magre, kleines Foto links)

s Wer die Vorgängerin Une femme est un homme comme les autre (Eine Frau ist ein Mann wie jeder andere auch) gesehen hat, kennt ihn schon: den chaotischen Klarinettisten Simon Eskenazy. Damals war es der hübschen Rosalie aus streng religiösem, jüdischen Hause gelungen, den Unwilligen unter den Traubaldachin zu schleifen und sich – ein einmaliger Ausrutscher – von ihm schwängern zu lassen. Doch Simon konnte und wollte nicht von den Männern lassen. Rosalie kehrte ihm und Frankreich den Rücken und rächte sich, indem sie Simon den Zugang zu seinem Sohn verwehrte. Und nun die Fortsetzung: Dass seine Ex es sich nach zehn Jahren bis auf weiteres anders überlegt hat und Simon zur zweiten Hochzeit einlädt, während dieser um die Zuneigung seines koscheren Sprösslings buhlen muss, der mit seinem Vater anfangs so gar nichts am Hut hat, ist noch das geringste seiner Probleme. Eine Amerika-Tournee steht bevor, als sich seine Mutter Bella die Hüfte bricht und nach dem Krankenhausaufenthalt zu ihm zieht. Bald ist das ganze Auschwitz-Komitee in Simons Wohnung versammelt, dessen Vorsitzende sie ist. Damit nicht genug: Die rigide Krankenschwester, die Simon einstellt, und ihre bettlägerige Patientin hassen einander von Herzen. Simon träumt von trauter Zweisamkeit mit Rafael, dem schüchternen Philosophiestudenten, der sich gerade entschlossen hat, seine Frau zu verlassen. Er gefällt sogar Bella. Doch leider zeigt sich, dass Rafael nicht gerade ein Ausbund an Temperament, um nicht zu sagen eine wandelnde Schlaftablette ist. Und so wacht Simon am Morgen des 14. Juli neben Naim, der sicherlich schönsten Transe mit algerischem Migrationshintergrund, die Paris zu bieten hat, auf, die er als Bedienung in einem Kabarett abgeschleppt hat. Simon will den Onenightstand, so schnell wie möglich loswerden, doch Naim lässt sich nicht so einfach entsorgen. Unversehens hat er sich in Simons Herz und bald auch in seinem Leben eingenistet. Naim ist empört, wie respektlos Simon seine Mutter behandelt. Seine erste Maßnahme ist die Vertreibung der unsympathischen Krankenschwester, als deren Ersatz er sich kurz darauf präsentiert. Bella ist begeistert von der Studentin „Habiba“, die ihr Haarpflegetipps gibt und sie liebevoll umsorgt. Bella lernt wieder gehen, sogar tanzen – aber dann stirbt sie unerwartet, und mit ihr Naims/Habibas Aufgabe. Doch ob Begräbnis oder Hochzeit – immer taucht eine geheimnisvolle Schönheit auf, die Simon den Kopf verdreht … kein anderer als Naim, der Perfektionist als Femme Fatale im exklusiven Fummel. Naim ist die eigentliche Zentralfigur der Geschichte. Mühelos spielt sein Darsteller Mehdi Debhi, ein Student am Conservatoire

National, gestandene Stars wie Antoine de Caunes (Simon) und Elsa Zylberstein (Rosalie) an die Wand. Regisseur Zilbermann wählte ihn unter mehr als 300 Kandidaten beim Casting aus und bewies damit ein gutes Händchen. Nur scheinbar eine Nebenrolle, zieht Naim – wie bei vergleichbaren Molièrefiguren – mit leichter Hand die Fäden des Geschehens. Weil ein Paradiesvogel wie Naim so gar nicht in Simons braven Lebensentwurf integrierbar ist, löst er widersprüchliche Gefühle aus: Begehren und Abwehr. Simon sehnt sich nach der schwulen Variante bürgerlicher Beschaulichkeit, wie Rafael sie verkörpert, aber braucht lange, um sich einzugestehen, dass sie nicht zu ihm passt, ihn sogar langweilt. Wenn Simon Naim vor Rafaels Augen küsst, ist das schon ziemlich grausam und sagt viel über Simons Unfähigkeit aus, ehrlich zu sich selbst und anderen zu sein. Andererseits ähnelt Rafael auch in dieser Situation einem Schaf auf der Weide. Naim dagegen entzieht sich und taucht überraschend da auf, wo und wann man ihn am wenigsten erwartet. Er ist zweifellos in Simon verliebt, aber niemals verleugnet er sich selbst. Er spielt mit den vielen Masken, die alle ein Stück von ihm, ein Aspekt seiner Persönlichkeit sind. Voller ironischem Stolz und mit viel Lust an der Provokation macht er sich einen Spaß daraus, Simons ohnehin nicht gerade übersichtliches Leben noch mehr durcheinander zu wirbeln; dabei reizt Zilbermann das Konfliktpotential der jüdisch/arabischen Konstellation nicht einmal aus. Bemerkenswert, wie der Regisseur die vielen Handlungsstränge, jüdisches Milieu und die multikulti-schwule Liebesgeschichte miteinander verbindet, ohne je die Kontrolle zu verlieren. Die Komik ist eher leise, selbstironisch und durch Bellas Tod gebrochen. Das Happy-End gönnt man den Überlebenden dieser Tour de Force um so mehr. s

Das verrückte Liebesleben des Simon Eskenazy

von Jean-Jacques Zilbermann FR 2009, 100 Minuten, OmU Edition Salzgeber, www.salzgeber.de

Im Kino

Gay-Filmnacht im Januar www.gay-filmnacht.de

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edition salzgeber

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starkes stück von M ich a e l Sol l or z

Mit der kleinen Liebesgeschichte von Jamie und Ste, den Nachbarjungs aus der Hochhaussiedlung, rührte „Beautiful Thing“ seit 1996 ungezählte Filmfanherzen. Ein Feelgoodmovie aus schwierigen Umständen, Coming-Out-Klassiker und ein kleines Stück Utopia, ohne das man, wie unser Autor weiß, nicht menschenwürdig leben kann. Wer „Beautiful Thing“ nicht kennt, hat was verpasst und kann das nachholen: im Februar in der Gay-Filmnacht.

Beautiful Thing

von Hettie MacDonald UK 1996, 90 Minuten, DF Edition Salzgeber, www.salzgeber.de

Im Kino

Gay-Filmnacht im Februar www.gay-filmnacht.de

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kino

s „Was glotzt du so, du Weichei?“ – So fängt das Drama schon an. Die Jungs in seiner Klasse mobben Jamie. Gemessen an dem Terror, dem er in der Schule jeden Tag ausgesetzt ist, macht der Sechzehnjährige noch einen erstaunlich unversehrten Eindruck. Seine Gegend ist nichts für Schwache; lerne, dich zu wehren, sonst gehst du kaputt. Und Jamie hat eine grandiose Lehrmeisterin – seine Mutter Sandra. Die ist, natürlich neben der Liebe, in dem kleinen, starken Kinostück der Star, die Seele; ihre energische Präsenz macht es unverwechselbar. Sie jobbt im Pub, ein strammes Weibsbild, fünfunddreißig, die Kippe zwischen den Lippen. Manchmal werden ihre Augen eng, dann sieht sie aus wie ein misstrauisches Tier, das man nicht zum Feind haben möchte. Sie hat Haare auf den Zähnen und würde sich gewiss auch kloppen. Selbst noch fast ein Kind, als sie ihren Jamie bekam, liebt sie den Jungen heute über alles. Doch er überfordert sie auch, zumal sie große Pläne hat, raus will aus dem Dreck, eine eigene Kneipe betreiben, umziehen in eine bessere Gegend. Diesem Ehrgeiz opfert sie sogar ihren Lover; eine bittere Szene, als sie ihm sagt, dass er nicht mehr kommen soll. Dabei war er doch immer gut zu ihr und sie hatten Spaß, und nun steht er da mit seiner traurigen Blume und seinen langen Haaren, eigentlich ein guter Fang, aber eben nicht gut genug. Nur einmal ist kurz von Jamies Vater die Rede. „Bin ich wie mein Dad?“, fragt Jamie, und Mutter Sandra antwortet: „Nein, du bist wie ich.“ Ansonsten spielt der Alte keine Rolle; sie verdrücken sich eben. Auch die andern Wohnungen im Block beherbergen nicht gerade Musterfamilien. Der Ton ist rau und keineswegs nur herzlich. „Verpiss dich, du Fotze!“, knurrt der trunksüchtige Nachbar hinter seiner Wohnungstür, als ihn Mutter Sandra durch den Briefschlitz zur Rede stellen will, weil er seinen Sohn wieder geschlagen hat, den stillen Steven, der in Jamies Klasse geht – und in den sich Jamie verliebt. Um dem Nachbarjungen zu helfen, holt ihn Mutter Sandra für die Nacht rüber zu sich. „Ich fürchte, du musst das Bett mit Jamie teilen.“ Jamie kann sein Glück kaum fassen, so nimmt das Schicksal seinen schönen Lauf. Wem legt schon seine Mutter den ersten Geliebten ins Bett? Der schwule Mann und Mutti – ein Thema von Format. Wo lägen Schrecken und Gelächter dichter beieinander? Denn sie sind ja nicht immer gute Freundinnen, denkt man bloß an die greise Anne Bancroft in Torch Song Trilogy, wie sie in der Küche Harvey Fierstein zur Schnecke macht, oder, noch eine Liga monströser, Katherine Hep­burn in Suddenly, Last Summer aus dem Jahre 1959, zu dem Gore Vidal und Tennessee Williams das Drehbuch schrieben. Beautiful Thing geht ebenfalls auf ein Theaterstück zurück. Es erlebte seine Uraufführung 1993 in London unter der Regie von Hettie McDonald, die drei Jahre später den Film realisieren konnte. Neben dem erfrischenden Soundtrack und den schnellen, deftigen Dialogen bezieht er seine mitreißende Energie auch aus der genauen Kenntnis des Milieus und seiner Akteure. Bevor der 1968 in Liverpool geborene Autor Jonathan Harvey vom Schreiben leben konnte, war er Grundschullehrer in Thamesmead, eben jener Hochhaussiedlung in Londons Südosten, wo auch Beautiful Thing entstand und schon Stanley Kubrick Teile von A Clockwork Orange drehte. Thamesmead steht für durchmischte Ethnien, Sozialhilfe und Suff. Noch nirgends sind die tristen Tableaus einfühlsamer ausgebreitet worden als im New British Cinema, in den Arbeiten von Mike Leigh, Stephen Frears oder Ken Loach. Bei schwächeren Regisseuren, darunter manchem deutschen Nachahmer, scheint soziales Elend oft nur die Kulisse abzugeben, und nicht immer erkennt man hinterher – abgesehen vom Unterhaltungsanspruch – weiterführende künstlerische Absichten. Beautiful Thing ist in der Hinsicht vollkommen unzweideutig. Hier geht es um eine klare Botschaft, einen Auftrag. Der Film will seinen Zuschauern Bilder geben, die Zuversicht stiften und ermutigen. Nimm den Kopf hoch und geh deinen Weg, auch bei hartem

Gegenwind. Denn selbst im milderen Klima spürbarer Liberalisierung bleibt das Coming-Out individuell meistens ein harter Brocken. Nicht zufällig fällt einem der gleichnamige DDR-Spielfilm ein. Für Regisseur Heiner Carow war der provokante Schlachtruf des Dramatikers Friedrich Wolf, „Kunst ist Waffe“, keineswegs nur ideologische Phrase, sondern er sah sich mit seiner Arbeit an der Seite der Menschen in ihrem Ringen um ein besseres Leben. Über seine Zuschauer zu sozialistischen Zeiten hat er einmal gesagt: „Sie waren nicht viel reicher und nicht viel ärmer, sie mussten ihre Kohlen rein tragen und sorgten sich um ihre Kinder und saßen manchmal weinend zu Hause, weil sie nicht wussten, wie sie das alles schaffen sollten. Ich war immer sicher, die Leute zu kennen, zu denen ich rede.“ In diesem Sinne sind Beautiful Thing und Coming Out auch darin spürbar wesensverwandt: Sie entstanden in einem Gefühl der Verbundenheit und Verantwortung. „Es wird nach einem happy end / Im Film jewöhnlich abjeblendt“, schrieb Kurt Tucholsky in der Weltbühne über ein ehernes Gesetz des Kintopps. Achtzig Jahre ist das her – und gilt noch immer. Wie gerne man Jamie und Steven zuschaut in ihrer arglosen Unschuld, dem behutsamen Vortasten aufs verminte Feld erster Zärtlichkeit. Noch ist alles drin. Man wünscht ihnen den Hauptgewinn. Und hat man nicht das große Glück, Beautiful Thing mit heißen Ohren im Sozialkundeunterricht anschauen zu dürfen, sondern erst reiferen Alters im Lichtspielhaus, fragt man sich natürlich bange, was den kleinen Helden noch bevorsteht. Werden sie alles richtig machen? Wie lange wird es mit ihnen halten? Müssen sie raus aus der Hochhaussiedlung, und wie werden sie zwanzig Jahre später leben in ihrer kleinen Wohnung, mit dem Theaterabonnement und zwei Perserkatzen? Nein, wir fragen lieber nicht. „Und darum wird beim happy end / Im Film jewöhnlich abjeblendt.“ Zuvor aber noch dieses unvergessliche Schlussbild, mit dem sich Beautiful Thing in die Filmgeschichte einschreibt. „Komm, tanz mit mir“, sagt Jamie nach all dem durchlittenen Kummer mit der Selbst­ annahme, und als sein Liebster im Hof vor aller Augen der Aufforderung folgt, betreten wir das Reich Utopia, ohne das niemand wirklich menschenwürdig leben kann. Dieses Schlussbild ist ein großes Gleichnis. Wer davon nicht berührt wird, dem hat sein Leben noch keinen Mut abverlangt, zum Beispiel den Mut, draußen die Hand des anderen nicht loszulassen, oder den Mut, sich zu küssen, auf einer belebten Straße und bitte nicht bloß zu Karneval. Selbst wer die Verfolgung des Andersartigen in der Ära Westerwelle & Wowereit für überwunden erklärt, weil ihm das OpferGebarme unsexy scheint, wird still für sich einsehen, wie zielsicher diese einfache Szene der beiden eng umarmt tanzenden Jungs in das Herz unserer gemeinsamen Erfahrung vordringt. Denn die Kinder sind, noch immer, in Gefahr. Deswegen nimmt Mutter Sandra die Hand der verdrehten schwarzen Nachbarstochter. Die Frauen ergreifen wortlos Partei, solidarisieren sich, indem sie gleichfalls zu tanzen beginnen, langsam und umschlungen. „Dream A Little Dream Of Me“, erklingt dazu, und die Nachbarn glotzen. Die Kamera fährt die Parade ab. Da ist nicht viel Freude zu entdecken, bestenfalls Erstaunen, Belustigung, Fassungslosigkeit, aber eben auch Häme, Abscheu, reichlich unverhohlene Missbilligung. Aber so, wie Mutter Sandra trotzig die Versammelten mustert und voller Kampflust ihr Kinn vorstreckt, wird es kein Aas mehr wagen, den ersten Stein zu werfen. Ungefähr auf diesem „Zivilisationsstand“ befinden sich ein paar westeuropäische Gesellschaften, in denen es sich aushalten lässt. Jedoch schon in Budapest schützt die Polizei zum CSD die tapfere kleine Schar Demonstranten mit hohen Zäunen vor dem schäumenden Volkszorn. Machen wir uns nichts vor. Die Zeit, in der keine Coming-Out-Filme mehr entstehen müssen, und zwar nirgendwo auf unserer Welt – diese Zeit liegt noch in weiter Ferne. s

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Heul doch! von Pet e r Sch m i d t

Rob Epstein und Jeffrey Friedman legen mit „Howl – Das Geheul“ im Januar den ultimativen Allen Ginsberg Film vor. Ein Anlass für SISSY sich mal anzugucken, welchen Einfluss die Beat-Generation in den letzten 50 Jahren auf das Kino hatte und weiter haben wird. Eine kleine Bestandsaufnahme. 16


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s Neal Cassady lief in der Nacht des 3. Februar 1968 etwas außerhalb von San Miguel de Allende in Mexiko im Regen die Bahngleise entlang, als er beschloss, dass er jetzt zu müde sei, um weiterzugehen. Er legte sich hin. Wenig später fiel er auf Grund der Mischung aus Alkohol und Drogen in seinem Blut in ein Koma und wachte nie wieder auf. Cassady war 41, als er starb, und einen erheblichen Teil seines Lebens betrunken gewesen. 1955 begann der 27-jährige Allen Ginsberg ein Gedicht zu schreiben, dessen „heimlicher Held“ Cassady war: „Howl“. Lange gab der Dichter vor, „Howl – Das Geheul“ in einem einzigen wilden Rausch verfasst zu haben, denn so las es sich. In Wahrheit arbeitete Ginsberg mehrere Monate an dem Text, den er kurz nach Fertigstellung in einem Cafe in San Francisco erstmals öffentlich vortrug. 1957 wurden 520 in England gedruckte Exemplare von „Howl and other poems“ vom amerikanischen Zoll beschlagnahmt und Ginsbergs Verleger Lawrence Ferlinghetti wegen „Obszönität“ angeklagt. Besonders die Zeilen, in denen Ginsberg beschrieb, wie „engelhafte Hipster“ sich von „heiligen Motorradfahrern in den Arsch ficken“ ließen und dabei „vor Freude schrien“, hatten es der Anklage angetan. Im selben Jahr gestand Ginsberg einem Journalisten: „Das, wovor ich mich am meisten fürchtete, war immer, was mein Vater bloß denken würde. Darüber, was da so drin stand. Aber da ich nie daran gedacht hatte, „Howl“ zu veröffentlichen, nahm ich an, ich könne auch einfach schreiben was ich wollte.“ Falsch gedacht. 2010 ist „Howl“ das vielleicht bekannteste Werk der amerikanischen Poesie der letzten 60 Jahre. Alle paar Jahre klagen an irgendeinem amerikanischen College mal wieder Eltern, weil sie nicht wollen, dass ihre Kinder Ginsbergs „Geheul“ zu hören bekommen. Sie verlieren jedes Mal, denn schon 1957 ist im Prozess gegen Ferlinghetti geklärt worden, dass „Howl“ mehr ist als die Summe seiner teils kruden Worte: ein Kunstwerk, das es zu schützen gilt, das Porträt einer Generation, die Innenansicht der ersten amerikanischen CounterCulture: der Beat-Generation. Diesen Durchbruch im Kampf um die Meinungs- und Redefreiheit machen die Oscar-Preisträger Rob Epstein und Jeffrey Friedman jetzt zur Grundlage ihres ersten Spielfilms. Howl wurde im Wettbewerb der Berlinale 2010 präsentiert und lief im letzten Herbst vielbeachtet, positiv besprochen und gut besucht in den amerikanischen Kinos. James Franco, der im Film Allen Ginsberg spielt, war im Februar für fünf Tage das Hauptgesprächsthema unter Schwulen in Berlin und nahm zum Abschluss einen Teddy für seinen überaus queeren Kurzfilm The Feast of Stephen mit nach Hause. Im Film benutzen die Regisseure den ersten öffentlichen Vortrag von „Howl“ und den Prozess um den Text nicht nur, um eine Ginsberg-Biografie zu erzählen, sondern auch dazu, das gesellschaftliche Spannungsfeld, in dem sich die „Beats“1 bewegten, darzustellen und den selbstbewussten Umgang der Gruppe mit Homosexualität zu illustrieren. Epsteins und Friedmans postulierte Absicht, „‚Howl‘ durch den Film einer jüngeren Generation zugänglich zu machen“, scheint im richtigen Moment und mit den richtigen Zutaten auf den Zeitgeist getroffen zu sein. Allerdings scheitert der Film in seinen Animationssequenzen, die die Regisseure dazu benutzen wollten, den Text des Gedichts in Bilder zu übersetzen, völlig. Und das weniger technisch als schlicht daran, dass man sich im amerikanischen MainstreamKino auf die Nichtdarstellbarkeit von pornografischen Inhalten geeinigt hat. So werden heilige fickende Motorradfahrer zu psychedelisch angeschmierten Blumen und Bienchen und jedes Mal, wenn jemand bläst, ist eine in Sonnenlicht zerfließende Trompete zu sehen. Im Film sagt ein als Zeuge im Prozess berufener Literaturwissenschaftler: „Poesie lässt sich nicht in Prosa übersetzen, sonst wäre sie pandora film

Peter Orlovsky (Aaron Tveit) und Allen Ginsberg (James Franco)

1  „Beats“ war die Eigenbezeichnung, das gebräuchlichere „Beatniks“ ein Schimpfwort der konservativen Öffentlichkeit.

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Allen Ginsberg (James Franco)

keine Poesie.“ Quot erat demonstrandum. Trotzdem ist Howl mehr als sehenswert, vor allem wegen des fantastischen Ensembles: Franco wird unter anderem von Treat Williams, David Strathairn, Bob Balaban und der wie immer fabelhaften Mary-Louise Parker dabei unterstützt, Ginsberg und sein Gedicht einmal mehr ins postmodern unterhaltsame Nirwana zu kultivieren. Schockierend ist das nicht mehr, aber schön bunt. Die cineastische Legendenbildung um „Die Beat-Generation“ begann schon 1959, als der Film Die Haltlosen in die amerikanischen Kinos kam, in dem sich Busenwunder Mami van Doren von einem Beat vergewaltigen lassen muss und Louis Armstrong eine bürgertaugliche Version des Beat spielen darf, der sich zum Jazz ungefähr so verhält wie der Rock zum Punk. Zwei Jahre zuvor war Jack Kerouacs „On the Road“ erschienen und hatte ihn, Cassidy, der die Grundlage für die Hauptfigur von „On the Road“ ist, und mit ihnen alle Beats zu Ikonen der amerikanischen (Gegen-)Kultur gemacht. Im gleichen Jahr, in dem „Die Haltlosen“ dem Mainstream-Publikum ein Zerrbild der Gruppe zeigte, veröffentlichten die so Verunglimpften ihren einzigen eigenen Film: Pull My Daisy. Der von Jack Kerouac als Regisseur verantwortete Halbstünder veranschaulicht, wie der Besuch eines Bischofs bei einem bürgerlichen Paar von den Beat-Freunden desselben torpediert wird. Ginsberg, sein Lebensgefährte Peter Orlovsky und ihre Freunde spielen sich selbst und haben einen Heidenspaß an der Überhöhung ihrer inzwischen öffentlichen Images. Während der 60er und 70er Jahre nahm der Einfluss der im Beat postulierten Werte Freiheit, Zärtlichkeit und Selbsterforschung ohne Rücksicht auf Verluste oder Moral stetig zu. Blumenkinder, freie Liebe oder das von Ginsberg mit initiierte Auftauchen von Zen und Buddhismus in der amerikanischen Kultur, das Autorenkino der 60er und 70er, die Etablierung von Beatpapst William S. Burroughs als literarische Größe, Hunter S. Thompsons von „On the Road“ inspirierter New Journalism oder der 1975 mit fünf Oscars ausgezeichnete Einer flog übers Kuckucksnest nach der Romanvorlage von Ken Kesey – nichts davon wäre ohne die Beat-Bewegung denkbar gewesen. „Man musste erst die Grenzen der Wahrnehmung auflösen, bevor man weiterdenken konnte“, hat es Burroughs einmal umschrieben. Diese deutlichen Zeichen der gesellschaftlichen Wirksamkeit wurden erst 1980 erstmals in einen Spielfilm verpackt. In John Byrums Heart Beat spielt Nick Nolte Neal Cassady, Sissy Spacek seine Frau Carolyn, auf deren Memoiren der Film basiert, und John Heard darf als Jack Kerouac die egomanischen Seiten seiner Figur ausstellen. Der Claim zum Film, “They shocked us. They outraged us. They didn’t do anything wrong. They just did it first.”, zeigt, dass der Einfluss der Beats auf die gesamte amerikanische Kultur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts längst Allgemeingut war. 18

Seitdem haben sich unzählige amerikanische Filme mit den Beats auseinandergesetzt und auch ihre Werke sind mehrfach verfilmt worden. Die bekanntesten sind The Last Time I Committed Suicide mit Keanu Reeves, David Cronenbergs Naked Lunch von 1991 und Noah Buschels Neal Cassady von 2007. Ein unentdeckter Schatz: Beat aus dem Jahr 2000, in dem Courtney Love Joan Vollmer Burroughs spielt. Der als Ehedrama angelegte und in Deutschland unter dem Titel Extreme Beat auf DVD veröffentlichte Indiestreifen gibt überraschenderweise Kiefer Sutherland die Gelegenheit, als mittelalter, tuntiger Williams S. Burroughs zu brillieren. Für Neu- oder Quereinsteiger ins Thema gibt es einen Schwung sehr erhellender Dokus. The Beat Generation von 1987 war einer der ersten Filme der Edition Salzgeber und ist auch heute noch sehr sehenswert. In dem gerade auf DVD wiederveröffentlichten Die Beat Generation – Wie alles anfing und im amerikanischen sehr viel origineller betitelten The Source von 1999 spielt Johnny Depp passenderweise Jack Kerouac und Dennis Hopper darf Allen Ginsbergs Texte zu seinen eigenen machen. Beide Filme strotzen vor Originalaufnahmen mit den Vertretern der Beats und bespiegeln eindrucksvoll, wie lebendig deren Werte auch im neuen Jahrtausend sind. Für 2011 ist die Neuverfilmung von „On the Road“ von Walter Salles mit Sam Riley in der Hauptrolle in Arbeit. Neal Cassady scheint auch über dreißig Jahre nach seinem Tod sehr lebendig zu sein. Es darf also weiter geheult werden. Das ist eine gute Sache. s

Howl – Das Geheul

von Rob Epstein und Jeffrey Friedman US 2010, 90 Minuten, DF Pandora Film, www.pandorafilm.de

Im Kino

ab 6. Januar 2011

Die Beatgeneration – Wie alles anfing

von Chuck Workman US 1998, 85 Minuten, OmU

Auf DVD

Ascot Elite, www.ascot-elite.de

Wie ich zum ersten Mal Selbstmord beging von Stephen Kay US 1997, 89 Minuten, DF

Auf DVD

Kinowelt, www.arthaus.de

Naked Lunch

von David Cronenberg CA/UK/JP 1991, 110 Minuten, DF

Auf DVD

Kinowelt, www.arthaus.de


Ab 2.12. im Kino – alle Infos unter houseofboys.de Auch am 17. & 20.12. in der Gay-Filmnacht im CinemaxX


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Muttermord von Joh a n n Wa sse r

Das kanadische Wunderkind Xavier Dolan schrieb mit sechzehn sein erstes Drehbuch, eine halbbiografische Geschichte um ein gestörtes Mutter-Sohn-Verhältnis. Damit sorgt er seit der Premiere in Cannes 2009 für Furore. Nun kommt „I Killed My Mother“ endlich auch in die deutschen Kinos. Eine Annäherung.

s Eine Szene, wie sie so oder ähnlich jeder kennt, der sich als Jugendlicher für seine Eltern geschämt hat oder zumindest von ihnen genervt war: Mutter und Sohn sitzen am Küchentisch und die Frau im geschmacklosen Pullover isst recht unbeholfen ein Brötchen, Reste des cremigen Belags bleiben in ihren Mundwinkeln hängen. Der Sohn verdreht nur die Augen und weist sie auf ihren Fauxpax hin. Überhaupt hat der 16-jährige Hubert dauernd was an ihr auszusetzen: Wenn sie sich während der Autofahrt am Steuer schminkt, wenn sie nicht zuhört oder Dinge vergisst, wenn sie ihre Soaps im Fernsehen ansieht. In der Schule behauptet er, seine Mutter sei tot. In ebenso brillanten wie bösartigen Dialogen breiten Mutter und Sohn ihr neurotisches Verhältnis aus, das durchaus ambivalent ist. Wenn ihr jemand etwas antun würde, wäre Hubert zum Rachemord bereit. Und trotzdem kann er locker 100 Leute aufzählen, die er mehr liebt als sie. Einer von ihnen ist sein Freund Antonin, mit dem er seit zwei Monaten zusammen ist. Seine Mutter erfährt das nebenbei im Sonnenstudio, von Antonins Mutter. Und während sie sich mit ihrem Sohn wegen jeder Kleinigkeit in die Haare kriegt, versucht er sein eigenes verwirrendes Leben auf die Reihe zu bringen. Gespielt und inszeniert wird dieser Hubert von Xavier Dolan. Das Buch schrieb er ebenfalls, es basiert lose auf der Beziehung zu seiner eigenen Mutter. Im Mai 2009 hatte der Film seine Weltpremiere auf dem Filmfest in Cannes, wo er gleich drei Preise abräumte. Und über Nacht wurde aus einem 20-jährigen Jungen das Phänomen Xavier Dolan, das kanadische Wunderkind. Jung, smart, wahnsinnig gutaussehend, aber auch leicht arrogant, wurde er zunächst in Frankreich, dann weltweit zum Festival- und Mediendarling. Im vergangenen Februar ging der Film dann sogar als kanadischer Beitrag ins OscarRennen für den besten nichtenglischsprachigen Film. Da war Xavier Dolan nach US-amerikanischem Recht noch nicht einmal volljährig. Geboren wurde der Sohn eines Schauspielers am 20. März 1989 in Québec. Als Kind spielte er in zahlreichen kanadischen Filmen und Serien mit, bevor er mit sechzehn ein Drehbuch schrieb, in einem Alter also, in dem die anderen Jungs eher mit Hormonen und dem Erkunden des eigenen Körpers und denen anderer beschäftigt sind und sich ihre libidinöse Kreativität aufs Verfassen schwülstiger Gedichte beschränkt. Es war sein erstes Drehbuch und sein erster Film, ohne jedes Vorwissen, finanziert von den 150.000 Dollar, die er sich als Kinderstar verdient hatte. Woher hatte er mit sechzehn dieses Selbstvertrauen? „Das ist weniger Selbstvertrauen als Ignoranz. Der Film hat etwas Amateurhaftes. Das heißt nicht, dass ich nicht stolz auf einige Ideen darin bin, aber es war doch eher ein Suchen nach einer eigener Handschrift, eine Art Experiment.“ Eines freilich, das ihn auf den Roten Teppich in Cannes und danach so ziemlich jedes Filmfest dieser Welt brachte. Das deutlichste Ergebnis dieses Ausprobierens, sein prägnantestes Stilmittel sind Szenen von oft banaler Alltäglichkeit, die durch Zeitlupe und den Einsatz musikalischer Motive überhöht werden. Sie sind zugleich schön, fast zu schön, und tieftraurig. 20

Aber so formal ungewöhnlich sie auch scheinen, neu sind sie nicht. Mit ganz ähnlichem Effekt (und ähnlichem Score) hat das auch schon Wong Kar-Wai in In the Mood for Love getan. Das macht Xaviers Szenen freilich nicht weniger berückend. Auch sein zweiter Film Heartbeats, den er gleich im Anschluss drehte und der im Frühjahr in den deutschen Kinos anlaufen wird, sei zum Teil autobiografisch, sagt Xavier. „Nicht eins zu eins, aber für mich ist Liebeskummer wie eine Platte mit einem Sprung – alles wiederholt sich immer wieder. Ich werde in Liebesdingen einfach nicht erwachsen. Auch wenn ich es in der Theorie besser weiß, benehme ich mich doch noch immer wie ein unbeholfener Teenager.“ Er kokettiert überhaupt gern mit seinem Alter. Wenn er Fragen nach der Bedeutung seiner Filme nicht mag, sagt er gern Sätze wie „Ich bin jung. Ich habe keine Ahnung, was ich tue.“ Wie arbeitest du? „Ich schreibe und dann drehe ich.“ So einfach? „Ja. Bisher zumindest. Aber es ist einfach, weil es ignorant ist. Es ist jung und unbedarft und frei und liebevoll. Filmemachen ist für mich wie Liebemachen, ich denke nicht viel darüber nach. Es sind einfach Dinge, die raus müssen.“ Deshalb fing er auch sofort nach dem Erfolg in Cannes mit seinem zweiten Film an. „Es war mir unvorstellbar, nach I Killed My Mother warten zu müssen, bis ich den nächsten Film machen kann. Das ist für mich kein Job. Es ist eine Droge, eine Lebenseinstellung. Mein Modus Vivendi.“ Und auch der dritte Film ist bereits in Arbeit. Lawrence Always wird noch ambitionierter. „Ein tragischer Liebesfilm über einen Mann, der zur Frau werden will und seine Verlobte bittet, bei ihm zu bleiben und ihm bei seiner Transformation beizustehen.“ Und mit einem ironischen Grinsen fügt er hinzu: „Nicht biografisch.“ Und er plant diesmal auch nicht, selbst mitzuspielen. Überhaupt scheint die Schauspielerei ein sensibles Thema zu sein. Auf die offensichtlich nervige Frage, ob er auch wieder für andere Regisseure vor der Kamera stehen wird, verdreht er ganz Hubert-isch die Augen. „Ich werde einfach nicht als Schauspieler gesehen. Ich bekomme keine Anfragen. Wenn mich jemand fragen würde, würde ich ja sagen. Vielleicht denken sie, ich sei ein Laiendarsteller oder einfach nur schlecht und ein Loser, der sich in seinen Filmen selbst besetzt, weil er sonst keine Rollen bekommt.“ Wenn man leise Zweifel anbringt, schnaubt er verächtlich: „Das ist die Realität! All die Preise waren für den Film, nicht für meine Performance.“ Die Aversion gegen den Vergleich mit seiner Generation hat Xavier mit Hubert gemein: „Hör auf, mich mit den anderen zu vergleichen. Ich bin nicht wie sie!“, schreit der seine Mutter an und man kann nur ahnen, worauf Xavier damit in seiner eigenen Biographie anspielt. Denn da will er sich nicht so richtig festlegen: „Einiges passierte so in meinem Leben, aber das ist heute längst anders. Und ich habe viel dazu erfunden.“ Vielleicht erklärt das auch den Hype um ihn, als Filmemacher und als Person. Klar, da ist die Faszination fürs Wunderkind, die Entdeckung eines Talents quasi aus dem Nichts, der Drang zum Geniekult, aber es ist mehr. Da ist endlich wieder einer, der sich was traut, mit einem unbedingten Stilwillen. Und einer, der seine Neurosen und seinen Herzschmerz mit jugendlicher Grandezza und Übertreibung in Bilder verwandelt, die zum Sterben schön sind. Wong Kar-Wai fällt da ein, aber auch Tom Ford. Nur ist Xavier Dolan halb so alt wie sie. Kaum auszumalen, was aus ihm noch werden kann. Möge er nicht allzu schnell erwachsen werden. s I Killed My Mother

von Xavier Dolan CA 2009, 100 Minuten, Fassung Kool Film, www.koolfilm.de

Im Kino

ab 3. Februar


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A Crying Boy Sa sch a W e st ph a l

Dass sich die Queer-Artistin Sam Taylor-Wood ausgerechnet den jungen John Lennon als Helden ihres ersten Spielfilms auswählt, konnte man nicht unbedingt erwarten. Aber wie sie ihn inszeniert, ist durchaus doppelbödig. „Nowhere Boy“ startet am 8. Dezember in den Kinos.

s „Crying Men“ – „Weinende Männer“, so heißt eine Serie von Photographien der englischen Filmemacherin, Photographin und Videokünstlerin Sam Taylor-Wood aus dem Jahr 2002. Auf 28 großformatigen Photographien zeigt sie Männer beim Weinen. Einige von ihnen sind in Tränen aufgelöst, andere versuchen, ihre Emotionen unter Kontrolle zu bringen. Ein paar machen Anstalten, ihre Gesichter hinter erhobenen Händen und Armen zu verbergen, wieder andere blicken direkt in die Kamera. Doch etwas haben diese Bilder trotz allem gemeinsam: Jedes von ihnen ist Spiel und Inszenierung, und keines zeigt einen anonymen Fremden. Alle Porträtierten sind berühmte Schauspieler, die der Betrachter der Photoserie schon unzählige Male gesehen hat, nur eben so noch nicht. Die Stars spielen zwar für Sam Taylor-Woods Kamera nur eine Rolle, ganz so wie sonst auch. Aber dabei zeigen sie eine Verletzlichkeit, die etwas Subversives hat. Männer weinen in der abendländischen Welt nicht – zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Tränen gelten immer noch als ein Zeichen von Schwäche, als Blöße, die sich niemand geben möchte. Sie sind einfach nicht mit dem bürgerlichen, protestantisch geprägten Bild von Männlichkeit vereinbar, das unsere Kultur in den vergangenen 200 Jahren so nachhaltig geformt hat. Seit den späten 60er Jahren hat dieses Bild zwar immer mehr Risse bekommen. Doch noch ist seine Tyrannei nicht Vergangenheit; und das verleiht der Serie „Crying Men“ solch eine Kraft. Sam TaylorWood inszeniert, mehr noch zelebriert ein anderes, ein empfindsameres Ideal. Ihre Bilder konfrontieren den Betrachter mit einer Männlichkeit, die sich öffnet statt sich zu verschließen, die auf Ehrlichkeit und Emotionen statt auf Macht und Stärke fußt. Die Tränen ihrer Models sind irritierend und verführerisch, verstörend und ergreifend, und sie höhlen als stete Tropfen den Stein im kontrollierten Herzen der westlichen Gesellschaft aus. Noch einmal geht der von Aaron Johnson gespielte John Lennon durch den Park, den er in den letzten drei Jahren so oft durchquert 22

hat … jedes Mal, wenn er auf dem Weg vom Haus seiner Tante Mimi unterwegs zu Julia, seiner Mutter, war, die ihn einst, da war er gerade fünf Jahre alt, ihrer Schwester überlassen hatte. Die Wunden, die dieser Verrat hinterlassen hatte, begannen gerade erst zu heilen. Doch dann hat ein Auto Julia, die nach einem gemeinsamen Tag mit Mimi auf dem Weg nach Hause war, aus dem Leben gerissen. Nun ist John wieder alleine mit seiner Tante und seinen Erinnerungen. Also kehrt er, vielleicht zum letzten Mal, in den Park zurück. Aus dem aufsässigen, seine Verlorenheit hinter einer Maske aus Anmaßung und Unverschämtheit verbergenden Jungen ist der John Lennon geworden, der schon wenige Jahre später zur Pop-Ikone werden sollte. Doch an diesem Nachmittag setzt Lennon sich einfach unter einen der großen Bäume ins Gras und raucht. Zwischen den Zügen spielt er mit der Zigarette in seinen Fingern, während sein Blick ins Nichts geht. In einer Großaufnahme, die alles um ihn herum zu Schemen macht und in Aaron Johnsons Gesicht eine ganze Welt entdeckt, füllen sich seine Augen nach und nach mit Tränen. Für einen Moment steht die Zeit in Sam Taylor-Woods erstem langen Spielfilm still. Ginge es alleine nach den Regeln Hollywoods und seiner Nachahmer auf der ganzen Welt, wäre diese kleine Szene gänzlich überflüssig und wahrscheinlich auch nie gedreht worden. Schließlich erzählt sie nichts. Doch ohne sie wäre Nowhere Boy nichts als ein weiteres freudianisches Musikerporträt wie so viele andere aus den vergangenen Jahren. Schon zuvor zeigt Sam Taylor-Wood mehrmals einen weinenden John Lennon. In diesen Tränen entladen sich die Dramen und Tragödien seiner Kindheit und Jugend. Es sind Momente klassischer Kino-Sentimentalität. Nicht so diese eine Großaufnahme, die einen Bogen zu Taylor-Woods „Crying Men“-Zyklus spannt: Aaron Johnson weint die Tränen einer von ihren Masken befreiten Männlichkeit. Es sind hermaphroditische Tränen. Durch sie wird das Biopic zum transgressiven Kunstwerk. s

Nowhere Boy

von Sam Taylor Wood GB/CA 2009, 98 Minuten, DF/OmU Senator, www.www.senator.de

Im Kino

ab 8. Dezember


kino

Ins Offene von ja n k ü n em u n d

peripher filmverleih

In Benoit Jacquots Spielfilm „Villa Amalia“ (Kinostart am 25.11.) gibt eine rätselhafte Heldin ihr bisheriges Leben auf und macht sich auf den Weg in etwas Neues (zum Beispiel eine Affäre mit einer Frau). Isabelle Huppert gibt dieser Heldin ein unergründliches Gesicht und der Film fiebert unbeirrt und traumhaft schön durch seine geheimnisvolle Geschichte.

s Ich höre auf. Ich verlasse dich. Mit uns ist es vorbei. Ich verkaufe alles. Ich kündige. Es ist aus. Eine Frau macht einen sauberen Schnitt, trennt sich von Mann, Karriere, Wohnung, ihrem Auto, ihrem Telefon, ihrem Klavier, ihrer Frisur. Auf die Frage nach dem Warum reagiert sie den ganzen Film hindurch al­lergisch. Gut, es ist etwas vorgefallen – sie hat gesehen, wie ihr Mann eine andere Frau küsst – aber die Bewegung dieser Frau ins Geheimnisvolle ist nicht allein durch diesen Vorfall motiviert. Benoit Jacquots Film über seine nomadische Heldin inszeniert exzessiv (wie andere vorher auch) das Gesicht und den Körper der Schauspielerin Isabelle Huppert als perfekte Projektionsflächen, in denen permanent Bewegung herrscht, die aber nichts von sich aus bedeuten oder einfach lesbar wären. Die kleine Welt um die Figur Eliane Hidenstein verrät genausowenig, warum sie so verlassenswert ist – wir sehen sie nur als Ensemble zu verkaufender, aufzugebener Dinge. Eben noch sagt die Pianistin und Komponis-

tin, dass das Klavier ihr Beruf ist, so wird es einige Szenen später schon in den LKW der Speditionsfirma verfrachtet. Scheint ihr Auto gerade noch der Schutzraum gewesen zu sein, in dem sich ihre Wut über die Untreue ihres Mannes in einem lauten Schrei äußern lässt, so wird es wenig später beim Autohändler abgegeben. Nie sieht man Eliane Hidenstein, die ihren Namen schon zuvor in „Ann Hidden“ geändert hat und später nochmal in „Anna“ ändern wird, etwas kaufen. Immer wieder dagegen zu Müllcontainern laufen, in die sie scheinbar neue Dinge wieder entsorgt. Sehr deutlich wird gezeigt, wie diese Figur zum Subjekt wird, in dem sie sich von festen Verbindungen löst. Doch Villa Amalia ist kein Sozialdrama. Der Moment des Schnitts, der die frühere von der neuen Ann-Eliane trennt, ist ganz bewusst ein Film-Moment. Es ist Nacht, es regnet, es gibt eine Autoverfolgungsfahrt, eine verbotene Entdeckung, eine verlorene Frau auf der Straße, das plötzliche Auftreten eines alten Freundes aus der Kindheit, eine dramatisierte Verunsicherung im Straßenla-

ternenlicht, ein Wegkippen des Alltags, ein leichtes Bildfieber. Danach soll – mit großer Entschiedenheit – alles anders werden und wir sehen, wie Ann-Eliane das anstellt. „Es ist gar nicht so einfach, heute zu verschwinden!“, sagt ihr Freund. Aber sie tut ihr Möglichstes, vermeidet alles, was sie bindet, festhält, lokalisierbar macht, auch den Freund. Sie wählt die Rolle der Nomadin wie eine Bebilderung der feministischen Figur Rosi Braidottis als Annahme und Subjektposition ihrer Ort- und Identitätslosigkeit. Sie spricht Deutsch in Deutschland und Italienisch in Italien, sie macht ohne Aufhebens aus Ann Anna, sie taucht ins Meer ein wie vorher in ihr kommunales Schwimmbad, sie spielt auf herumstehenden, verstimmten Klavieren, sie schreckt in Hotelzimmern neben neuen Männern aus dem Schlaf auf. Sie verschwindet nicht nur, sie wird zum Geheimnis. Nach ungefähr einer Stunde taucht die Villa Amalia aus dem Filmtitel auf. Ein verlassenes Haus auf Ischia, das nur noch dem Berg gehört, an dem es hängt. Es blickt, filmwirksam rot getüncht wie zuvor Anna filmwirksam taubengrau gekleidet, aufs Meer hinaus. Man sieht nicht, wie sie es bezieht, Möbel kauft, herrichtet. Es steht da einfach, im Film. Ein junges Paar taucht auf, von dem bald nur noch die Frau in der Geschichte bleibt, Giulia. Mit Giulia ist Anna plötzlich zusammen, ohne dass das (ein Klassiker des lesbischen Films!) der Schritt von einer falschen Identität in eine gleichgeschlechtliche richtige wäre. Giulia findet, dass Annas Gesicht „aus einer anderen Welt“ kommt. Kurz bevor sich Anna mit einem erneuten Aufreißen der Villa-Amalia-Jalousien aus dem Film verabschiedet, ohne dass damit angedeutet würde, dass sie einen neuen Ort, eine neue Identität angenommen hätte (es ist, wie Ekkehard Knörer geschrieben hat, einfach eine Geste, ein Schlussbild „ins Offene“), führt sie die Geschichte noch einmal in die Eliane-Vergangenheit. Sie begegnet ihrem Vater, der die Familie damals verlassen hat. In Elianes Gesicht kämpfen das kindliche Trauma und das neue Verständnis für den Vater, der kurz nach ihrer Geburt gegangen war, gekündigt hatte, der losließ, mit dem es aus war, der keine Lust hatte auf Baby, Kind, Vorhänge vor jedem Fenster, katholische Tränen und gutes Essen. Er sagt: „Sowas wie eine normale Existenz gibt es nicht.“ s Villa Amalia

von Benoit Jacqout CH/FR 2010, 102 Minuten, OmU Peripher Fimverleih, www.peripherfilm.de

Im Kino

ab 25. November

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kino

„Besingen will ich, wie sich Gestalten in andere Körper wandelten.“ Ovid: „Metamorphosen“

Göttliche Verwandlungen von Sa sch a W e st ph a l

Der portugiesische Filmemacher João Pedro Rodrigues ist ein freier Radikaler des Weltkinos. Seine Filme sind autark, wild, sexy und kümmern sich wenig um ein Phantom namens Realismus. Mit „To Die Like A Man“ kommt nach „O Fantasma“ und „Two Drifters“ auch sein dritter Spielfilm, den viele für seinen schönsten halten, in die deutschen Kinos. Unser Autor unternimmt aus diesem Anlass den anspruchsvollen Versuch, sich der Filmsprache des Regisseurs anzunähern. 24


Links: Tonia (Fernando Santos) in „To Die Like A Man“

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s Eine gewisse Tendenz zum Kargen und Strengen war im Kino des vergangenen Jahrzehnts nicht zu übersehen. Viele der Filme und auch der Regisseure, die in jenen Jahren auf den größeren und kleineren Festivals ästhetische wie künstlerische Maßstäbe setzten, verband ein eher nüchterner Blick und eine deutliche Vorliebe für lange, exakt kadrierte Einstellungen. So setzte man sich ab von den Produkten der Industrie und konnte sich damit zumindest einer grundsätzlichen Wertschätzung in gewissen Cinephilen- und Kritikerkreisen sicher sein. Jenseits aller spezifischen Eigenarten der einzelnen Filme und der individuellen Präferenzen ihrer Macher schälte sich so ein vereinheitlichter Stil heraus, der mehr und mehr zum Markenzeichen des cineastischen Widerstands wurde. Man formierte sich und stand dem ewigen Widersacher wenigstens im Punkte Globalisierung in nichts nach. Auf welcher Seite dieser Frontlinien der portugiesische Filmemacher João Pedro Rodrigues zu finden ist, steht erst einmal außer Frage. Schon ein flüchtiger Blick in seine in der amerikanischen Filmzeitschrift „Film Comment“ veröffentlichte Top Ten der Nuller Jahre sagt schließlich alles. Da stehen Filme von Eugène Green und Valeska Grisebach, von Christian Petzold und Angela Schanelec neben Werken von Pedro Costa und Alain Guiraudie, von Jacques Nolot und Straub-Huillet. Allein Apichatpong Weerasethakuls Blissfully Yours und John Gianvitos höchst eigenwilliges Epos The Mad Songs of Fernanda Hussein fallen ein wenig aus dem Rahmen und verweisen auf eine zweite Seite in Rodrigues’ Kino-Kosmos. Auch João Pedro Rodrigues’ eigene Arbeiten fügen sich zumindest stilistisch durchaus in das vorherrschende Bild ein. Immer wieder verweilt der Blick der Kamera etwas länger auf einer Landschaft oder einem Gesicht als unbedingt nötig wäre … und welch ein Blick das erst ist. Jede noch so beiläufige Einstellung ist von einer absoluten kompositorischen Perfektion, jede noch so expressive Kamerafahrt folgt einem strengen visuellen Versmaß. Doch das ist eben nur die eine Seite. Auf der anderen stehen Geschichten und Schnitte, Bewegungen ins Irreale und radikale, die Wirklichkeit negierende statt spiegelnde Leerstellen. All das will so gar nicht zu dem im Weltkino dominanten nüchternen Ton passen. Jeder der drei langen Spielfilme, die João Pedro Rodrigues in der vergangenen Dekade realisieren konnte, hat etwas Delirierendes. Seine Erzählungen und seine Figuren sind ganz im Gegensatz zu seinen Bildern eben nicht kontrolliert, sondern durch und durch unbändig und maßlos. Sie entziehen sich gängigen rationalen und psychologischen Erklärungsmustern mit einer Vehemenz, die ihresgleichen sucht. Die Realität wird durchlässig für das Mythische und die Berührung mit ihm verwandelt sie. Nichts ist auf ewig festgelegt und festgeschrieben, alles kann in etwas anderes transformiert werden, und niemand muss sein Leben lang der Gleiche bleiben. Sérgio, dem Ricardo Meneses seinen Körper gibt, ist nahezu immer unterwegs. Sein ganzes Leben ist ein unablässiges Cruising, eine unausgesetzte Suche nach Männern und Müll, nach fetischisierten Gegenständen und elementaren Gefühlen. Sein Revier, das er als Müllmann und als drifter durch eine Welt des anonymen Sex wieder und wieder durchstreift, wird in O Fantasma zu einem rätselhaften Transitraum, eher einem verstörenden Nicht-Raum, der weder bruchlos der alltäglichen Realität noch ganz dem Reich Mythos gewordener Triebe angehört. Es ist ein Universum des ewigen Dazwischen, in dem Sérgio nach und nach seine menschliche Identität aufgibt, sich zunächst in einen Hund und letzten Endes in ein Phantom, ein Fantasma der Nacht, verwandelt. Ein schwarzer Dobermann läuft unruhig den Flur einer Wohnung entlang. Es zieht ihn mit aller Macht zu einer verschlossenen Tür. Aus dem Raum dahinter dringen kaum definierbare Laute auf den Flur. Was den Hund derart in Aufregung versetzt, offenbart dann

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Oben: Sérgio (Ricardo Meneses) in „O Fantasma“; unten: Odete (Ana Cristina de Oliveira) in „Two Drifters“

ein Schnitt: Ein Mann in einem schwarzen Ganzkörper-Latexanzug penetriert einen anderen, mit Handschellen gefesselten Mann und drückt ihm dabei ein Tuch auf den Mund. Er lässt seiner Begierde freien Lauf. Der Andere ist ihm ausgeliefert, wehrlos, nur ein Objekt eines Triebs, der nichts als seine Befriedigung kennt. In diesen ersten Momenten von João Pedro Rodrigues’ Spielfilmdebüt ist Sérgios Metamorphose schon nahezu abgeschlossen. Seine frühere Persönlichkeit hat er abgestreift, nun ist er nichts als dieser schwarz glänzende Anzug, ein Wesen ohne Hemmungen und ohne Sprache, dem Dobermann auf dem Flur näher als dem Mann in seiner Gewalt. Als er etwas ablässt von dem namenlosen Anderen, ein erneuter Schnitt, nun durch Raum und Zeit. Ein Müllwagen fährt durch das nächtliche Lissabon. Einer der beiden Männer, die hinten auf den kleinen Plattformen stehen, ist Sérgio. Er kommt aus dem Nichts der Nacht und wird am Ende auch wieder in ihm verschwinden. Mit den Menschen um ihn herum verbindet diesen jungen Mann fast nichts. Fatima, eine seiner Arbeitskolleginnen, ist sichtlich an ihm interessiert, aber er tut so, als nehme er die Signale nicht wahr. Als er schließlich doch reagiert, ist sie ob seiner animalischen Ungehemmtheit, seiner wilden Rohheit, entsetzt und stößt ihn von sich. Aber das berührt ihn längst nicht mehr. Sérgio, der zuvor nur Gefühle für den auf dem Gelände der Einsatzzentrale der Müllabfuhr lebenden Hund hatte, ist nun besessen von einem jungen Mann, bei dem er einmal Sperrmüll abgeholt hat. Aber auch dem kann er sich nur gleich einem Hund nähern, lauernd und schnüffelnd. Selbst die Sehnsucht schlägt um in ein rein instinktives Begehren. Einmal dringt er nachts in dessen leeres Zimmer ein und uriniert auf das Bett. Das Revier ist markiert, später wird er das Objekt seiner Begierde eben dort überwältigen und aus dem Fenster 25


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schmeißen. Danach gibt es für das Geschöpf, das einst Sérgio war, nur noch die Müllhalde, über die er streunt wie ein herrenloser Hund. Wie Sérgio ist auch Ana Cristina de Oliveiras Odete in João Pedro Rodrigues’ gleichnamigen zweiten Film eine Besessene, eine die Welt nach ihrem Willen formende Stalkerin. Sie, die Tag für Tag auf Rollschuhen durch die Gänge eines Supermarkts fährt und damit ihr Geld verdient, hat nur einen Wunsch. Sie will unbedingt ein Kind bekommen. Nur will ihr Freund, ein Sicherheitsmann im selben Supermarkt, davon nichts wissen. Also schmeißt sie ihn aus ihrer Wohnung und ihrem Leben. Aber da ist auch noch der 21-jährige Pedro, der im gleichen Haus gewohnt hat und gerade erst bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Kurz zuvor hatten er und sein Geliebter Rui noch in einer nächtlichen Hochzeitstravestie Ringe getauscht … bis dass der Tod sie scheide. Minuten später war es dann so weit. Nun weht ein seltsamer Wind durch Odetes kleine Souterrainwohnung, ein Wind des Wandels, der sie auch weiter begleiten wird. Schon bald darauf ist Odete sicher, dass sie und Pedro sich unsterblich geliebt haben und dass sie sein Kind unter ihrem Herzen trägt. Nichts bringt sie von all dem ab, und der Wind ist von nun an ihr treuester Gefährte. Er trägt sie in Pedros Welt, erst einmal zu seiner verwitweten Mutter und schließlich auch zu Rui. Beide wollen ihr eigentlich nicht glauben und doch können sie sich ihr nicht entziehen. Selbst Ruis Selbstmordversuch bringt ihn letztlich nur näher zu ihr, die Pedro ähnlicher und ähnlicher wird, die sich die Haare so schneiden lässt, wie er sie trug, und seinen Kleiderschrank plündert. Am Ende haben sie und der Tote es dann geschafft. Sie ist mit Rui in dessen Wohnung und schläft mit ihm wie einst Pedro. Vor langer Zeit schon hatte António Cipiao (Fernando Santos) beschlossen, eine andere zu werden. Zusammen mit dem NachtclubBesitzer Teixeira hat er Tonia geschaffen. Als glamouröse Drag Queen mit einer langen blonden Lockenperücke war Tonia über Jahre hinweg der große Star des Clubs. Nur wird sie nun langsam älter und älter. Jenny, eine atemberaubende afrikanische Transsexuelle, einst von Tonia entdeckt, macht ihr den Platz und den Ruhm streitig. Zudem hatten Tonia immer Kraft und Mut gefehlt, ihre Verwandlung endgültig zu machen. Den letzten operativen Eingriff, der aus ihr tatsächlich eine Frau gemacht hätte, hat sie wieder und wieder hinausgeschoben. Antónios Wille hat Tonia erschaffen und dafür er hat unendlich viel in Kauf genommen, Schmerzen und Einsamkeit, den Verlust seines einzigen Sohnes, der sich von Tonia voller Verzweiflung und Wut abgewendet hat, und als streng gläubiger Katholik die Angst vor der Strafe Gottes. Aber über eines hatte auch Tonia keine Macht. Ihren Körper konnte sie nicht allein aus eigener Kraft vollständig umformen, und so ist sie schließlich nach überaus schmerzvollen Brustimplantaten auf etwa halbem Wege stehengeblieben. Nun sind es gerade diese Implantate, die Tonia mit aller Macht das Zerbrechliche, das Unfertige, ihrer Identität wie auch ihres Lebens, vor Augen führen. Aus einem Furunkel direkt an der linken Brustwarze fließt beinahe unablässig ein milchig-rotes Sekret. Eiter, Blut und Silikon vermischen sich zur einer Milch des Leidens und des Todes. Wie so viele andere Schmerzen und Verletzungen verheimlicht Tonia auch diese neue Wunde ihrer Wandlung so lange wie nur eben möglich. Doch dann bricht sie zusammen und kommt ins Krankenhaus. Die Implantate haben sich entzündet und müssen aus ihrem vom HIV geschwächten Körper heraus. Eine erneute Verwandlung steht bevor, und wieder trifft sie eine radikale Entscheidung: Tonia, die immer auch ein Ideal und ein Traum war, muss ganz verschwinden, und Antonio kehrt zurück, um als ein Mann zu sterben. O Fantasma, Odete, der in Deutschland unter dem Titel Two Drifters erschienen ist, und Morrrer Como Um Homem (To Die Like a Man) – sie alle sind Kapitel, oder eigentlich eher filmische Gesänge in einer noch längst nicht abgeschlossenen Chronik der Verwandlungen. Allerdings erzählt João Pedro Rodrigues anders als Ovid keinen bis in seine Gegenwart reichenden Schöpfungsmythos. Seine

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kino

Oben: „O Fantasma“; Mitte: „Two Drifters“; unten: „To Die Like A Man“

„Metamorphosen“ sind eher moderne Apokryphen, Alternativen zu den dominanten Erzählungen unserer Zeit und Welt. Die Götter, die bei Ovid noch der Motor allen Wandels sind, die den Menschen eine andere Gestalt geben und sie damit entweder strafen oder erhöhen, sind verschwunden. Zunächst wurden sie verdrängt von dem einen dreifaltigen Gott und seinen Heiligen, und dann sind sie vergessen worden. Die einzige Verwandlung, die das Christentum kennt und die João Pedro Rodrigues in einem gloriosen Moment am Ende von Morrer Como Um Homem auf seine wundervoll idiosynkratische Weise zitiert, kommt nach dem Tod. Wer schon im Leben ein anderer oder eine andere werden will, ist auf sich selbst gestellt. Sérgios Phantomwerdung, die Transmigration von Pedros Seele in den Körper von Odete und Tonias Passion, die nur in einer Wiederauferstehung gipfeln kann – João Pedro Rodrigues’ Filme erzählen


kino

von göttlichen Ereignissen in einer Welt ohne Gott. Psychologische Interpretationen verbieten sich also ganz von selbst, erst recht, wenn Rodrigues sie wie in Odete selbst andeutet. Für die Ärzte in dem Krankenhaus, in dem Odete nach einem Zusammenbruch landet, steht die Diagnose bald fest: Ihre Schwangerschaft sei nur Schein, eine Einbildung, das physische Produkt einer überaus seltenen psychischen Störung, die aber mit Hilfe von Medikamenten durchaus heilbar sei. Doch der Gedanke an eine Heilung hat in Rodrigues’ Zwischenwelt etwas gänzlich Abwegiges. Er ist mit einer normativen Vorstellung von Normalität verbunden, gegen die diese Filme mit aller Macht ankämpfen. Ideen und Fantasien werden in ihnen eben nicht nur im Kopf geboren. Sie sind keinesfalls nur Ausdruck bewusster und unbewusster Prozesse in der menschlichen Psyche. Auch der Körper, das Fleisch, hat seine ihm eigenen Fantasmen. Die Idee des „Neuen Fleisches“, der David Cronenberg solange in seinen Filmen nachgegangen ist, erlebt in den Arbeiten João Pedro Rodrigues’ seine Metamorphose. Aus den aus dem Geist der modernen Wissenschaft und Technik geborenen SciFi- und Horror­szenarien des kanadischen Filmemachers werden im ursprünglichsten Sinne melo-dramatische Fiebervisionen. Die Gesellschaft mag ihre eingefahrenen und oft auch festgeschriebenen Vorstellungen haben. Doch in Wahrheit sind sowohl das Geschlecht und der Körper eines Menschen als auch das, was gemeinhin als Identität gilt, nahezu unendlich wandel- und verwandelbar. Das Flüchtige und Unbeständige des nur scheinbar Festen nährt ein überwältigendes, namenloses Begehren, in Sérgio wie in Odete und Tonia. Es ist eine Sehnsucht nach Freiheit jenseits der Grenzen des Vorbestimmten. Sérgio muss zum schwarzen Latexwesen, zu einem aus dem Menschen heraus gebrochenen Hund werden, Odete muss eins mit Pedro sein, und Tonia wird ihre tiefe Liebe für die Liebe erst nach ihrer letzten, der ultimativen Verwandlung ganz ausleben können. João Pedro Rodrigues’ Kino der Metamorphosen ist aber nicht nur eins der menschlichen Verwandlungen. Seine Filme selbst sind in einem ständigen Wandel begriffen. Auch in ihnen ist nichts festgefügt. Genregrenzen werden zwar immer wieder gezogen, aber nur um sie dann zu durchbrechen, das eine Genre mit dem anderen kurzzuschließen und einen Prozess in Gang zu halten, der fast einem Perpetuum mobile ewiger Transformation gleichkommt. Der enigmatische Erstling O Fantasma ist dabei ohne Frage noch seine am deutlichsten in sich geschlossene Arbeit, die eine klare Linie oder – wie Ekkehard Knörer es einmal formuliert hat – „ein Gesetz“ hat. Es ist die Linie vom Dunkel ins Dunkel und das Gesetz des Triebs. Alleine der Einsatz der Musik, die Songs, die Sérgios Gang aus der Welt begleiten, lassen diesen filmischen Vektor ein wenig brüchig werden. In ihnen offenbart sich schon Rodrigues’ Hang zum Melos, zu einem Erzählen, das aus der Musik geboren ist, und damit auch zum Musical. In Odete tritt er dann umso deutlicher in den Vordergrund. Mit „Moon River“, dem so berauschend traurigen Song aus Blakes Edwards Verfilmung von Truman Capotes „Breakfast at Tiffany’s“, hat er ein fast schon wagnerisches Leitmotiv, das nicht nur für Ruis und Pedros Liebe steht. Dieser Song hält vielmehr zusammen, was ansonsten mit aller Kraft auseinanderstrebt: das Melodramatische und das Satirische, das Sentimentale und das Kühl-Beobachtete. Schon in der ersten Szene des Films, in der sich Rui und Pedro voneinander verabschieden und nicht ahnen, dass es für immer ist, reizt João Pedro Rodrigues so ziemlich jedes Klischee des Melodramatischen aus. Natürlich muss in dem Moment, in dem Rui den toten, blutüberströmten Pedro ein letztes Mal in seinen Armen hält, wie aus dem Nichts ein Wolkenbruch einsetzen. Ovids Götter mögen verschwunden und vergessen sein, aber angesichts einer Liebe wie dieser muss sich der Himmel öffnen. Was wie Ironie wirkt, gibt aber in Wahrheit dem Melodram zurück, was des Melodrams ist. Auch das ist ein elementarer Teil von João Pedro Rodrigues’ fortwährendem Metamorphosen-Projekt. Die Entwicklung von O Fantasma zu Morrer Como Um Homem ist eine der Öffnung und dabei eine konsequenter erzählerischer Wandlungen. Die innere Bewegung des Films folgt weiterhin der einer Metamorphose. Allerdings tritt an die Stelle des einen Gesangs ein vielstimmiger Choral. João Pedro Rodrigues fächert Tonias Geschichte in eine Folge von Szenen und Variationen auf. Das Grundmotiv ist – frei nach dem Titel eines Lieds von Charles Aznavour – die Frage: „Was macht eine Frau eine Frau?“ Alles in Rodrigues’ grandiosem MeloDrama verweist auf die Konstruktionen von Weiblichkeit, die in der Welt der Transvestiten und Transsexuellen sich ganz augenfällig als eben solche erweisen. Das Weibliche ist in der patriarchalischen Gesellschaft immer etwas Gemachtes, etwas durch Abgrenzung Erschaffenes, entweder erzwungen durch männliche Erwartungen oder aus eigener Kraft geboren. Tonias tragisches Scheitern und ihr später, dann aber wahrhaft göttlicher Triumph sind der Stoff eines großartigen, zutiefst erschütternden Klagegesangs, der sich schlussendlich nur in eine ebenso grandiose, zutiefst ergreifende Utopie verwandeln kann. s

Filmografie João Pedro Rodrigues O Pastor (1988, Kurzfilm) Parabéns! (1997, Kurzfilm) Viagem À Expo (1998, Dokumentarfilm) O Fantasma (2000) Odete / Two Drifters (2005) China, China (2007, Kurzfilm) Morrer Como Um Homem / To Die Like A Man (2009)

O Fantasma

von João Pedro Rodrigues PT 2000, 90 Minuten, OmU

Auf DVD

Edition Salzgeber, www.salzgeber.de

Two Drifters – Odete

von João Pedro Rodrigues PT 2005, 98 Minuten, OmU

Auf DVD

Pro-Fun Media, www.pro-fun.de

To Die Like A Man

von João Pedro Rodrigues PT/FR 2009, 135 Minuten, OmU Edition Salzgeber, www.salzgeber.de

Im Kino

Frühjahr 2011

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kino

Mauerparkbier Von Ja n K ü n em u n d

Tom Tykwer ist wieder zurück in Deutschland und dreht eine kleine Berliner Geschichte über drei ineinander verliebte Menschen. Wenigstens ist das der Ausgangspunkt. Denn dem leichten Liebes- und Beziehungsmodell stehen große Diskurse über erste und letzte Dinge gegenüber. Im Kino ab 23.12.

Drei

von Tom Tykwer DE 2010, 119 Minuten, dt. OF X Verleih, www.x-verleih.de

im Kino

ab 23. Dezember

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s Eigentlich möchte man diesen Film gut finden, ihn verteidigen gegen die Detail-Nörgler und die an seinem Thema Nicht-Interessierten. Ausgerechnet Tom Tykwer, der Kino als geschlossenes System zu begreifen scheint und sich gerne darin einschließt, versucht einen offenen, verspielten Essay über die mutmaßlich nächstliegende Außenwelt, über die gebildeten, selbstständigen, kultur- (also an der Vermittlung von „Leben“) interessierten, mit den „Identitätlichkeiten“ (Blixa Bargeld) hadernden und daher immer an ihrem Tun zweifelnden und Ich-Bedenken tragenden westeuropäischen Intellektuellen und ihrer Suche nach der Leichtigkeit. Und dreht eine kleine Geschichte über ein Berliner Heteropaar, das sich unabhängig voneinander und voreinander geheim gehalten in einen Mann verliebt. Denselben Mann. Sind wir in unserer Gesellschaft schon so weit?, fragt das Presseheft. Merkwürdigerweise nicht, sagen die Beteiligten. Interessiert uns das?, wird das Kinopublikum fragen. Eine Frage, die man sich tatsächlich angesichts des Ergebnisses stellt, ist allerdings, ob sich der Film mit allen formalen Konsequenzen für das gesellschaftliche Thema interessiert (also tatsächlich einen ‚queeren‘ Entwurf wagt), oder ob er sich (mit allen formalen Konsequenzen) für eine vertrackte, getrickste, verblüffende, provozierende, täuschende kleine Kinogeschichte interessiert. Auf beiden Ebenen hängt der Film einer Uneigentlichkeit nach. So wie die meisten Berliner KellnerInnen „eigentlich“ was anderes machen, machen auch die Figuren in diesem Film, die man ja alle lieb haben soll, irgendwas und wollen eigentlich was anderes machen. Und auch der Film selbst erzählt etwas und hält sich permanent offen, ob er nicht eigentlich was anderes erzählen will: Stammzellenforschung zum Beispiel, Tod, Kunst, Ethikrat. Und dieses Offenhalten als Haltung hat nichts damit zu tun, dass man mit Offenheit ins Außen, ins (meinetwegen) „Leben“, ins Unerforschte und Unkontrollierte schaut. Wie üblich bei Tykwer steckt Drei voller kleiner Taschenspielertricks, gestrickter Geschichtchen, Filmzitate, kleiner Gags – all das, um immer wieder die Möglichkeiten des Kinos und eine Freiheit im Umgang mit ihnen zu behaupten. Und hinter dieser Behauptung steckt eigentlich der Kontrollwahn des Knöpfchendrückers, ein etwas verzweifelter Versuch, Menschen zu verblüffen


kino

„Aufregender cineastischer Genremix” SPIEGEL.DE

„Erweckt ein brilliantes Gedicht zum Leben” THE NEW YORK TIMES

„Mutig, engagiert und einfallsreich” LOS ANGELES TIMES

DAS GEDICHT EINER GENERATION DER BEAT EINER REVOLUTION

JAMES FRANCO x verleih

ist

und zu bezaubern, um von ihnen geliebt zu werden: Scherenschnitte, Engel über Berlin, Zahlenmystik in Splitscreen, Stummfilmgefake (der inflationäre „aged film“ Effekt) usw. Man kennt das alles (und erträgt es – auch mit mehr Nachsicht – genauso wenig) in filmstudentischen Arbeiten, die immer Handwerk zeigen wollen und doch eigentlich von einer Sehnsucht nach den Knöpfchen zeugen, die man einfach nur drücken muss. Und genügte das alles bei Tykwer noch nicht, so müssen die einzelnen Frank-Griebe-glatten Bilder so süffig geschnitten und mit Musik eingefettet werden, dass nur ja kein Stehenbleiben, Abstand nehmen und Augenwandern entsteht. Was anderes als das, was ein Tykwer will, soll man denn im absurden Bild einer Leichenwagenkutscherin Sophie Rois auf der Straße des 17. Junis in Schwarzweiß entdecken? Trotzdem möchte ich das mögen. Möchte das ernst nehmen als Bewegung ins Kleine, Zärtliche, Naheliegende, Leichte von drei Menschen, die sich finden und das Sich-Gefunden-Haben noch lösen müssen. Wie nervig und doch ok die Freiheit in einem Sonntagnachmittag-Mauerpark-Bier erzählt wird. Wie richtig das permanente Ins-Theater/Ballett/Kino/Museum-Laufen und das Keine-HaltungFinden zu TV-Bildern aus Bagdad und Kabul ausgestellt wird. Wie schön das Bild der Hochspannungsleitungen ist, über die die schwere Erzählung einer prototypischen Beziehung gelegt wird. Und wie echt diese drei Schauspieler das spielen und wie schön sie in diesem Film auf die Leinwand gebracht werden, auch wenn sie dabei (so das Schlussbild) nur die Petrischale unter dem Erzählermikroskop ausfüllen. Einen derartig abgeschlossenen, zusammengezurrten Entwurf über Freies und Offenes – das knirscht. Aber es macht mal einer und füllt das auf mit einer Materialschlacht aus Diskursen, mit denen unser Nachdenken über Freiheit zu tun hat. In 20 Jahren werden wir wahrscheinlich sagen: Ja, so war das, so waren wir damals. Jetzt, im Kino, muss man den Wert des Genervtseins sehen und erkennen, dass ein Geschichtchenstricker einen gerade „verhandelt“, wie es in der Drei-Sprache so schön heißt. „Mach dir keinen Stress!“, sagt Adam zu Simon nach dem Sex. Schön. Aber es geht weiter: „Du musst dich nur verabschieden.“ Und noch weiter: „Von deinem deterministischen Biologieverständnis.“ Ist ja gut. s 29

ALLEN GINSBERG

DAS GEHEUL Ein Film von ROB EPSTEIN & JEFFREY FRIEDMAN www.pandorafilm.de

AB 6. JANUAR IM KINO


dvd

EINER MUSS ES JA MACHEN I n t e rv i ew: Na n d o Roh n e r

Scud, der Künstlername des Regisseurs, Produzenten und Drehbuchautors Danny Cheng Wan-Cheung, wirkt auf uns genauso eigenartig wie für Kenner des Hongkong-Kinos die offene Thematisierung von Homosexualität und die expliziten Nacktszenen in seinen Filmen. Womit aber noch nicht ansatzweise umrissen wäre, wie wild, poetisch und originell Scud seine Kinogeschichten erzählt. Gerade sind die ersten beiden Spielfilme einer geplanten Trilogie in Deutschland auf DVD erschienen („Permanent Residence“ und „Amphetamine“). Also hat sich SISSY mal mit Scud getroffen und erfahren, unter welchen Bedingungen seine Filme in Hongkong entstehen.

sissy: Hallo Scud, schön, dass Sie sich für uns Zeit nehmen. Wie kommt man eigentlich darauf, sich so zu nennen (englisch für „jagen“)? Scud: Das geht auf meinen chinesischen Namen zurück, der übersetzt „Jagende Wolken” bedeutet. Aha. Und wer steckt hinter diesem Künstlernamen? Ein ziemlich einsamer Mensch. Jemand, der viele Dinge macht, die andere Menschen nicht interessieren. Zum Beispiel als Filmemacher zu arbeiten. Zum Beispiel solche Filme wie meine zu machen, mit denen man kein Geld verdient, was mir ja völlig klar ist, denn ich mache keine Filme, um damit Geld zu verdienen und finanziere sie komplett selbst. Aber wenn man mit seinen Filmen nicht viel Geld verdient, dann ist man eben zwangsläufig einsam (lacht). Aber warum finanzieren Sie denn Ihre Filme komplett selbst? Um künstlerisch unabhängig zu sein, das war schon immer mein Traum. Ich will mir keine Gedanken darüber machen müssen, was andere Leute über mich und meine Filme denken. Außerdem gab es da eine traumatische Erfahrung: Bei meinem ersten Film habe ich mir Geld von meiner Mutter geborgt, was für beide Seiten nicht sonderlich befriedigend war. Allein, um mir nie wieder Geld von meiner Mutter borgen zu müssen, finanziere ich seitdem meine Filme selbst! (lacht). Wenn man etwas über künstlerische Arbeit in China hört, ist oft von Zensur die Rede. In Ihren Filmen geht es explizit um Homosexualität. Wie schwierig ist es, sich im Hongkong-Kino mit diesem Thema zu befassen? Die Filme zu drehen ist nicht sonderlich schwer. Aber an den Kinokassen hat man damit natürlich keinen Erfolg. Doch für mich ist das in Ordnung. Die Schwulen in Hongkong trauen sich zwar nicht, sich

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dvd

Permanent Residence

von Scud HK/CH 2009, 112 Minuten, OmU

Amphetamine

von Scud HK/CH 2010, 97 Minuten, OmU

Auf DVD

pro-fun media (3)

beide bei Pro-Fun Media, www.pro-fun.de

Großes Foto links: „Permanent Residence“; kleine Fotos rechts: „Amphetamine“

die Filme im Kino anzusehen, aber später kaufen sie die DVDs und sehen sie zu Hause, wo niemand sie deswegen verurteilt. Und die Vorstellung, dass meine Filme im Geheimen wahrgenommen und geliebt werden, ist sehr befriedigend. Darsteller im Film frontal nackt zu zeigen ist ja im Hongkong-Kino normalerweise nicht üblich, Sie machen das aber ständig. Ist das als Provokation gemeint? Nein, ganz und gar nicht. Ich bin immer wieder überrascht, wenn solche Szenen für einen Skandal sorgen (lacht). Für mich sind sie etwas vollkommen Normales, sie dienen der Story und der Atmosphäre des Films. Skandale beweisen nur, wie konservativ die Zuschauer in Hongkong sind, im europäischen Kino würden solche Szenen keine derartige Reaktion nach sich ziehen. Weshalb ich als Filmemacher auch eher eine Nähe zum europäischen Kino verspüre und weniger zum Kino aus Hongkong oder Asien im Allgemeinen. Macht Ihnen denn die Filmcrew keine Schwierigkeiten, wenn homoerotische oder die vorhin angesprochenen Nacktszenen gedreht werden sollen? Nein, das ist noch nie passiert. Ein Gegenbeispiel: Bei Permanent Residence habe ich mit Herman Yau als Kameramann gearbeitet, der in Hongkong selbst ein bekannter Regisseur ist und außerdem ein glücklich verheirateter Mann. Im Film gibt es eine intensive Liebesszene zwischen den beiden Hauptdarstellern, bei der ich mir nicht sicher war, ob man sie auch wirklich so intensiv umsetzen sollte. Doch Herman bestand darauf, weil er sich sicher war, dass die Szene im fertigen Film sehr romantisch wirken würde. Er wollte sie sogar noch intensiver haben. Er hat sich trotz anderer sexueller Vorlieben völlig in den Film und in meine Intention hineinversetzt. Das ist für mich als Regisseur eine tolle Erfahrung.

Wenn man einen genaueren Blick auf die alten Martial-Arts-Filme, aber auch auf die Hongkong-Gangsterfilme der 80er und 90er Jahre wirft, dann spürt man in all diesen Filmen eine latente Homosexualität. Ist sich das Publikum in Hongkong dessen bewusst, oder wird dies eher ignoriert oder sogar verdrängt? Ich bin mir nicht sicher, wie ich darauf antworten soll. Ich denke, Homosexualität wurde schon immer im Hongkong-Kino behandelt. Nur wurde sie dem Publikum auf eine andere, eine indirekte Art präsentiert, als Männerfreundschaft zum Beispiel oder als eingeschworene Bruderschaft. Explizite Homosexualität gab es in Filmen nur, um darüber Witze zu reißen. Über viele Jahre hinweg hat es in Hongkong keinen einzigen Film gegeben, in dem Homosexualität als solche im Mittelpunkt stand. Also gehen Sie ins andere Extrem, stellen Schwulsein explizit zur Schau und legen dadurch die existierenden gesellschaftlichen Vorurteile offen? Nein. Ich verfolge mit all meinen Filmen keine soziale oder politische Intention. Ich möchte einfach nur eine gute Geschichte erzählen, die es meiner Meinung nach wert ist, erzählt zu werden. Selbstverständlich würde es mich freuen, wenn Menschen durch meine Filme toleranter und verständnisvoller werden. Mir geht es dabei aber nicht nur um Homosexualität, sondern um den Menschen an sich und seine Entfaltungsmöglichkeiten als Individuum. Ich versuche Filme zu machen, die mehr als nur Gay-Movies sind und auch anders funktionieren, als man es vielleicht von dieser Art von Filmen erwarten würde. Ich gehe neue Wege und erzähle ungewöhnliche Geschichten. Wenn andere Filmemacher es nicht machen, dann muss ich es halt tun. s 31


dvd

Süßwasser von Gu n t h e r Ge lt i nge r

GM Films

In der allgemeinen Feier des aktuellen philippinischen Kinos wird der Filmemacher Aureaus Solito meist etwas übergangen, obwohl sein Debütfilm „The Blossoming Of Maximo Oliveiros“ 2006 den SpielfilmTeddy der Berlinale erhielt. Die ‚neue Welle‘ des philippinischen Kinos ist tatsächlich eine queere Bewegung, fast alle Regisseure berufen sich auf den legendären Lino Brocka, dessen „Macho Dancer“ 1988 ein eigenes Queerfilm-Genre begründete. Solitos letzter Film „Boy“, der jetzt in Deutschland auf DVD erscheint, versteht sich als Würdigung und gleichzeitig Dekonstruktion des Macho-Dancer-Genres.

s Bis Boy das Lokal der Macho-Dancer betritt, besteht seine Welt aus den schmiegsamsten aller Elemente: aus Träumen, Worten und Wasser. Von seinen drängenden erotischen Phantasien erleichtert er sich mit der Hand, und was davon bleibt, versucht er, in einem Kurs für kreatives Schreiben in Sprache umzusetzen. Doch am ehesten scheinen ihn die stummen, rätselhaft schönen Fische zu verstehen, die er in Aquarien züchtet. Boys Zimmer ist eine Halbwelt aus Wasser und den Gedankenlabyrinthen eines Achtzehnjährigen. In diesem Privatraum ist der filmische Blick auf die Hauptfigur ein vielfach gebrochener, gespiegelt in den Glasscheiben der Becken, durchkreuzt von den schillernden Leibern tropischer Muschelbarsche. Als Boy mit großer Hingabe ein neues Aquarium einrichtet, ist das Bild zweigeteilt: über der Wasseroberfläche die Wirklichkeit mit Boys tatsächlich knabenhaftem Gesicht, darunter das Reich der Fische und Vorstellungen. Das Biotop, erklärt er, bilde die Bedingungen der Natur nach. Auch seine Gedichte sind Biotope, ein individueller Lebensraum in einer zerstörten oder von Zerstörung bedrohten Umwelt. Ein Biotop stellt das Natürliche künstlich her, um es zu erhalten, es ist ein Derivat von etwas 32

Verlorenem. Boys Unterwasserlandschaften symbolisieren den Versuch, die Kindheit ins Erwachsensein hinüberzuretten, und Auraeus Solitos Film bildet das visuelle Aquarium dafür, eine intakte, aber stilisierte Welt, die sich farbmächtig gegen die Wüste der Realität stellt. Solitos letzter Film The Blossoming Of Maximo Oliveiros, der mit dem Teddy Award 2006 ausgezeichnet wurde, lebt von der Nähe der Kamera zu den Protagonisten, die sich nicht scheut, bei aller Schönheit des jungen Helden Maxi auch den Dreck seiner Lebenswelt in Szene zu setzen. In Boy geht der Regisseur nun einen gegenteiligen Weg: Das Glas der Aquarienwelt verwehrt dem Betrachter das Eintauchen in Boys Innenleben und lässt das von Armut und vormaliger politischer Repression geprägte Äußere einer philippinischen Großstadt wie eine Kulisse erscheinen, eine Art urbanes Ozeanarium und Gegenbild zum Biotop des Kinderzimmers, ebenso ästhetisch überhöht und dominiert von einem abwesenden Vater sowie einer ununterbrochen plappernden Gluckenmutter, die Boys schmalen Mund kaum zum Reden bringt. Als zu Beginn der Macho-Dancer die Bühne des einschlägigen Lokals betritt, steht dieser Mund vor Verwirrung halb offen. Amphibisch träge vollführt Aries seinen


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erotischen Tanz, und Boy flüchtet auf die Toilette, um seine Erektion zu entlasten, die härteste seines bisherigen Lebens beim Anblick von Jungen, die einen Harten haben, während sie durch ihr hartes Leben tanzen, wie es später in einem seiner noch eher hilflosen Gedichte heißt. Die Sichtblende am Urinal verbirgt seine Begierde und Angst, nur Belinda, die Puffmutter, sieht beides und nennt den Preis für Aries. Hier könnte die von Brüchen und Enttäuschungen geprägte Geschichte eines Jungen beginnen, der seine sexuelle Identität sucht und einen Stricher findet, dessen Zuneigung sich am eigenen Kaufwert bemisst. Doch die Fährte ist eine Falle, in die der Zuschauer tappt, während sein Blick von den makellosen Körpern ge- und verführt wird. Der Macho-Dancer mit seiner harten, laut Belinda an entscheidender Stelle übergroßen Männlichkeit erweist sich als Maskerade – unzählige Kamerablicke auf Aries’ Unterhose und in ein Gesicht, das derart erfüllt von ungestümen Verlangen nicht minder boyish ist, lassen am XL-Panzer des Strichers zweifeln. Nur, wer fest an die Notwendigkeit seines Biotops glaubt, findet die künstlichen – oder künstlerischen – Mittel, es zu erschaffen. Hartnäckig verweigert der Regisseur alles Kaputte in der Welt des jungen Paares und ordnet Dramaturgie und Ästhetik seines Films dem Rausch der Verliebtheit unter. Das Knirschen möglicher Risse wird vom Gesäusel der Liebeslieder übertönt: Die Welt muss lernen, dass die Antwort Liebe ist, singt eine der Drag-Queens in der Show, und der Film folgt fast trotzig diesem Trugschluss. Nur die Geräusche der Aquarien in Boys Zimmer heben sich als eigenständige Ebene vom süßlichen Soundtrack ab: ein unterschwelliges Gluckern und Dröhnen aus dem Wasser. Hindurch beobachtet Solitos Kamera in der Silvesternacht den ersten Kuss, der von der Mutter unterbrochen wird. Mehrere Male entzieht sich Boy der Verführungstaktik des angeblichen Strichers, wie ein Junge, der sich vor einer nicht mehr kindgemäßen Aufgabe schmollend in die Ecke setzt. Als Aries ihn endlich überwältigt, vollzieht sich das Erste Mal gleichsam unter Wasser, in Boys Biotop; die Bewegungen der Körper verschmelzen mit denen der Fische, so genannter Teufelsangeln, die im Vordergrund durchs Bild stechen, anmutig, fremdartig und mit ihren nadelförmigen Leibern ein wenig bedrohlich. Später nimmt Aries Boy mit zu sich nach Hause, und wieder sind es die jugendlichen Körper mit ihrer Illusion ewigen Begehrens, die alles Schäbige des sozialen Milieus überstrahlen: Betrunken umtanzen sie sich in der Baracke, während an der Wand das Bild der Jungfrau Maria über die Reinheit der Szenen wacht, in denen Boy seine Unschuld verliert. Als er am nächsten Morgen ins grelle Licht blinzelt, sieht er zum ersten Mal nicht mehr kindlich aus: blass, abgefickt und versoffen kotzt er in eine Ecke. Die Kamera springt zurück und nimmt eine jähe Distanz zu den Figuren ein. Halb vom Gerümpel verstellt zeigt sie, wie Aries Boy die Schuhe bindet. Es ist Neujahr, das Feuerwerk längst verraucht, die aufgewallten Gefühle erkaltet. Ich will nach Hause, sagt Boy, wie einer, der sich verlaufen hat. Das Gedicht, das er später seiner Schreibgruppe vorstellt, hat er aus Liebeskummer verfasst. Es heißt B(u)oyancy, in den deutschen Untertiteln mit „Beschwingtheit“ übersetzt, und bündelt den Schwung eines jungen Dichters, der seine Sprache vom Wasser gelernt hat und von der Schwerelosigkeit der Fische. s Boy

von Auraeus Solito PH 2009, 80 Minuten, OmU

Auf DVD

GM Films, www.gmfilms.de

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ALLE FREIHEITEN NUR MIT GUMMI! Olivier (32)

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edition salzgeber

„Before Stonewall“ (Greta Schiller, Robert Rosenberg und Andrea Weiss, 1984)

Die eigene Geschichte von Ch r ist oph M e y r i ng

Die schwulen und lesbischen Bürgerrechtsbewegungen seit Ende der 1960er Jahre haben immer wieder auf eine Lücke in den Geschichtsbüchern und im Bewusstsein der homosexuellen ‚Community‘ hingewiesen: Es gibt kaum Dokumente einer ‚eigenen Geschichte‘, dagegen massenweise falsche und klischeehafte Bilder, die sich der Mainstream vom schwulen und lesbischen Leben gemacht hat. Seitdem sind einige Dokumentarfilme entstanden, die diese Lücke erfolgreich geschlossen haben – die DVD-Box „Gay History“ versammelt fünf von ihnen.

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s Wie stellt sich die Lage der Lesben und Schwulen gegenwärtig dar? Keine einfache Frage, denn zuerst ist zu fragen, wo eigentlich? Verlässt man nämlich die Grenzen der demokratisch geprägten westlichen Welt, ja verlässt man auch nur die Grenzen West- und Mitteleuropas, dann präsentiert sich die Lage gar nicht mehr rosig: Wer beispielsweise schon am anderen Ufer des Grenzflusses Oder vom anderen Ufer ist, hat nicht sonderlich viel Grund, sich im ursprünglichen wie im übertragenen Wortsinn „gay“ zu verhalten. Und betrachtet man das Ganze aus der Weltraumperspektive, so färbt sich der weitaus größte Teil unseres Globus ziemlich düster ein. In den übelsten Weltgegenden müssen diejenigen, die ihre Neigungen zum eigenen Geschlecht nicht sorgsam genug verbergen, sogar um ihr Leben fürchten, manche verlieren es tatsächlich. Und hierzulande? Hier, so darf mit Fug und Recht behauptet werden, hat sich die Lage während der letzten Jahre ziemlich gebessert, sowohl was die rechtliche Stellung der Homosexuellen betrifft als auch ihre gesellschaftliche Akzeptanz: FernsehmoderatoInnen, SchauspielerInnen, ProfessorInnen, Bürgermeister und selbst Minister outen sich mehr oder auch weniger freiwillig als andersrum, und das ist im sprichwörtlichen Sinne sicher auch gut so. Kaum eine Vorabendserie, die nicht mindestens eine gutgelaunte Lesbe oder ein gutgebautes Schwulenpaar gute und schlechte Zeiten durchleben lässt. Schon geht mancherorts die Rede davon, dass nun doch – bitteschön – alles erreicht sei. Die bunten Paraden anlässlich des Christopher Street Days, die alljährlich die Innenstädte bundesdeutscher Metropolen und sogar kleinerer Großstädte lautstark durchziehen, so heißt es zuweilen, seien auch nur noch nostalgischfolkloristische Party-Events, die ihren politischen Zweck, sofern sie denn überhaupt noch einen verfolgten, längst eingebüßt hätten. Nicht nur bei vielen jüngere Homos rufen Vokabeln wie „Community“ und Parolen wie „Fight for Gay Rights!“ bestenfalls Befremden hervor, als „Bewegungslesbe“ oder „Berufsschwuler“ möchte niemand mehr identifiziert werden, schon gar nicht aufgrund des Kleidungsstils. Und zu Recht möchte sich auch niemand mehr eine bestimmte schwule oder lesbische Identität aufzwingen lassen, schließlich ist man ein Individuum und kein wandelndes Klischeebild. Dass nun alles erreicht und in Butter sei, würden – allein aufgrund der objektiv zu beurteilenden Rechtslage – nun aber ernsthaft nicht einmal die größten Optimistinnen und gutgläubigsten Schönfärber behaupten, zumal auch niemand mehr so naiv ist, an einen ungebrochenen, linear verlaufenden Fortschritt zum Guten zu glauben, der im historischen Prozess auch eine gewisse Singularität beanspruchen könnte. Rückschläge also gibt es, und einige lassen sich sicherlich benennen. So kehrt mit dem Erstarken des Religiösen spürbar auch ein Erstarken religiös motivierter oder religiös verbrämter Ressentiments wieder, die sich zum Teil in offener Aggression artikulieren. Gewalttätigkeiten gegen Homosexuelle sind keineswegs aus dem Straßenbild verschwunden. Protagonisten einer sich als revolutionär gebärdenden Hip-Hop-Kultur, unter ihnen intellektuelle Größen wie Eminem und Bushido, kokettieren – immerhin kapitalistisch bauernschlau – mit dumpfestem Schwulenhass, während sie gleichzeitig heulsusig eine ach so problematische Jugend zu Markte tragen. Ihre jugendlichen Fans, die sich inszenieren als kämen sie aus der tiefsten Bronx, nicht selten aber in Hamburg-Eppendorf oder BerlinGrunewald das Gymnasium besuchen, finden etwas „schwul“, wenn sie etwas bescheuert finden, eine sprachliche Praxis, die für den sprachgewandten „Zeit“-Kolumnisten Harald Martenstein erheiternder Weise rein gar nichts mit einer Abneigung gegen Schwule zu tun hat. Und Lesben, die es immer noch wagen, sich nicht wie eine Infotainment-Tussi zu stylen, sind sowieso trampelige „Kampflesben“. Merkwürdige Tendenzen artikulieren sich aber auch – immer noch oder wieder verstärkt? – unter den Betroffenen selbst, sofern sie sich überhaupt als Betroffene fühlen. Denn, wie schon ein flüchtiger Blick in eine Internet-Kontaktbörse wie „Gayromeo“ lehrt, verkehrt dort eine mehr als unrealistische Anzahl von Bisexuellen, offenbar

weil – die durch fünf Profilfotos mit „Freundinnen“ unterstrichene – Bisexualität die Profilinhaber unschwuler oder im mathematisch exakten Sinne halb so schwul erscheinen lässt. Gesucht werden dann gerne „Normale“ oder „normal Gebliebene“ (wer oder was bildet hier die Norm?), da man sich selbst ja auch mit dem Gütesiegelbegriff „heterolike“ annonciert, der rein logisch betrachtet nichts anderes als (Selbst-) Abneigung offenbart und insofern auf die Vorschlagsliste zum Unwort des Jahres gehört. Und abgesehen von der vielfach erwünschten Distanz zur „Szene“ – von der man immer schon gerne gewusst hätte, wo sie nun jetzt gerade wieder tobt, und ob man eigentlich dazu gehört, wenn man gelegentlich am Wochenende an einschlägigen Orten das Tanzbein schwingt – hat sich in vielen Profilen ein regelrechter, in mackerhaft-aggressiver Tonlage vorgetragener Tuntenhass kultiviert: „Gender Trouble“ war gestern!? Die Lage, so will es – wie ohnehin meistens – scheinen, ist also unübersichtlich und – zwischen Zweckoptimismus und Kulturpessimismus hin und her schwankend – schwer zu beurteilen. Wenn das Gegenwärtige unklar ist, dann lohnt vielleicht ein Blick in die Vergangenheit, die immer kurz vor Weihnachten Hochkonjunktur hat, und zwar in Gestalt ebenso dickleibiger wie geschichtsschwangerer Empfehlungen für den Gabentisch. Populär- sowie hochwissenschaftliche Schmöker historischen Inhalts, zu nicht unbeträchtlichem Teil von Guido Knopp herausgegeben, stapeln sich nun wieder in den Buchläden: „Hitlers Helfer“, „Hitlers Frauen“, „Hitlers Kinder“, „Hitlers Kinder antworten“, „Die Geschichte Europas“, „Chronik der Weltgeschichte“, „Chronik der Deutschen“, „Chronik des 20. Jahrhunderts“ etc. pp. Beworben werden die lehrreichen Werke häufig mit schulmeisterlich-hochtönenden Sätzen wie: „Nur wer die Grundlagen der eigenen Kultur kennt, entwickelt ein Verständnis für sich selbst und die eigene Identität“, oder solchen, in denen sich „die eigenen Wurzeln“ und ihre „Bedeutung für die Wahrnehmung der Gegenwart“ fest eingewurzelt haben. Ungeachtet der schwierigen Frage, inwieweit nun der Investiturstreit (1076–1122) oder der Siebenjährige Krieg (1756–1763) ganz real in die eigene Biographie intervenierten und dieserart an der Persönlichkeitsbildung mitwirkten, entbehren diese Aussagen mitunter ja nicht eines gewissen Wahrheitsgehaltes. Vielleicht aber dürfen historische Rückblicke ja zunächst auch einfach nur interessant und faszinierend sein. Die von der Edition Salzgeber herausgebrachte, gerade erschienene DVD-Box Gay History, eine filmische „Emanzipationsgeschichte des 20. Jahrhunderts“, ist es auf jeden Fall – womit sich dieser Text, passend zum Thema, nun frühzeitig und offenherzig als schriftliche Dauerwerbesendung geoutet hat. Und zwar reinsten Gewissens, denn die auf fünf DVDs im Schuber versammelten Dokumentarfilme dürfen mittlerweile mit Recht Klassiker-Status für sich in Anspruch nehmen. Zeitlich am frühesten innerhalb dieser „Chronik der Homos“ setzt Greta Schillers Before Stonewall (USA 1984, Co-Regie: Robert Rosenberg, Erzählerin: Rita Mae Brown) an, der es gemäß seines Titels unternimmt, die Geschichte der amerikanischen Lesben und Schwulen vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu den befreienden Krawallen rund um die Schwulenbar „Stonewall“ am 27. Juni im New Yorker Greenwich Village, die das Modell für die heutigen CSD-Paraden bilden, in Form einer Mixtur aus Zeitdokumenten (darunter z. T. äußerst komische Sequenzen aus alten Hollywood-Filmen) und Interviews mithilfe einer ordnenden Erzählstimme zu rekonstruieren. Man erfährt dabei u.a., dass der Begriff „gay“ zunächst alle gesellschaftlich Randständigen bezeichnete, dass sich während der 1920er bis zur großen Depression der 1930er Jahre in Teilen einiger Metropolen (in New Yorks Harlem und Greenwich Village, San Franciscos Barbary Coast und New Orleans’ French Quarter) der erste homosexuelle Underground bildete, und dass der Zweite Weltkrieg dem homosexuellen Selbstverständnis überraschender Weise eher zuträglich war. Ausgerechnet über ihren Dienst in der Armee nämlich erfuhren viele aus der Provinz stammende Lesben und Schwule erstmals, dass sie 35


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Von oben: „The Times of Harvey Milk“ (Rob Epstein, 1984); „Common Threads – Stories From The Quilt“ (Robert Epstein und Jeffrey Friedman, 1989); „Paragraph 175“ (Robert Epstein und Jeffrey Friedman, 2000), „Verzaubert“ (Dorothée von Diepenbroick, Jörg Fockele, Jens Golombek, Dirk Hauska, Sylke Jehna, Claudia Kaltenbach, Ulrich Prehn, Johanna Reutter und Katrin Schmersahl, 1992) 36

nicht die einzigen „Perversen“ und somit vielleicht gar nicht pervers waren. Da Frauen infolge kriegsbedingten Männermangels zu dieser Zeit an der Heimatfront in zivilen und militärischen Funktionen sehr gefragt waren, emanzipierten sich vor allem die Lesben, wie eine Zeitzeugin im Interview eindrucksvoll bestätigt: „Mein Bataillon war zu 97% lesbisch!“ Ferner berichtet sie von einer Episode, in der General Eisenhower ihr die Anweisung gab, alle Lesben aus ihrer Einheit zu entfernen. Auf ihren Einwand hin, dass dann die meisten, sie eingeschlossen, den Dienst quittieren müssten, sah sich der Kriegsheld schließlich kleinlaut zum Rückzug animiert: „Vergessen Sie den Befehl.“ Nach der Schilderung der düsteren McCarthy-Ära während der späten 1940er und frühen 1950er Jahre, in der Homosexuelle als potentielle Spione Moskaus verfolgt wurden („Unter McCarthy hatte man als Schwuler das Gefühl, man sei eine Mata Hari“), endet der Film mit den ersten Ansätzen eines homosexuellen Selbstbewusstseins (in Gestalt von Interessensverbänden und Zeitschriften wie „Out“ und „Mattachine Revue“), welche durch die Bürgerrechtsbewegungen der 50er und 60er („Black Power“, Women’s Liberation“, Hippiebewegung) wesentlich katalysiert wurden. Eine Galionsfigur der amerikanischen Lesben- und Schwulenbewegung stellt Rob Epsteins Oscar-prämierter Dokumentarfilm The Times of Harvey Milk (USA 1984, Erzähler: Harvey Fierstein) mit dem besagten Aktivisten und späteren Stadtrat von San Francisco in den Mittelpunkt. Das Charisma Milks, dessen Leben und Wirken von seinen Anfängen als Inhaber eines kleinen Fotoladens im CastroViertel bis hin zu seiner Ermordung im Rathaus durch eine Montage von zeitgenössischen Medienberichten mit Interviews und Erzählerkommentaren nachgezeichnet wird, blitzt immer dann am eindrucksvollsten auf, wenn die Kamera ihn redend und argumentierend zeigt. In diesen Momenten wird klar, warum er so erfolgreich Menschen überzeugen und Massen mobilisieren konnte. Haarsträubendes ist zum Ende zu erfahren, sofern der erzkonservative Ex-Stadtrat Dan White, der Milk sowie den liberalen Bürgermeister George Moscone am 27.11.1978 nacheinander durch mehrere Kugeln in ihren Amtszimmern niederstreckte und auf beide noch schoss, als sie bereits am Boden lagen, im Gerichtsverfahren erfolgreich mildernde Umstände geltend machen konnte. Nach nur acht Jahren Haft war er schon im Jahr 1984 wieder auf freiem Fuß. Den achtziger Jahren, der Dekade von Aids, wendet sich Robert Epsteins und Jeffrey Friedmans ebenfalls mit dem Oscar ausgezeichneter Dokumentarfilm Common Threads – Stories From The Quilt (USA 1989, Erzähler: Dustin Hoffman, Musik: Bobby McFerrin) zu. Den Ausgangspunkt der Darstellung bildet der „Auds-MemorialQuilt“, eine riesiges, aus tausenden, von den Hinterbliebenen für die Opfer gestalteten Einzelsegmenten zusammengesetztes, 1987 begonnenes und seitdem stetig expandierendes Textil-Kunstwerk, das 1996 letztmals auf der National Mall in Washington D.C. ausgebreitet wurde. Der Blick der Filmemacher geht zunächst vom Großen aufs Kleine, dergestalt, dass durch Interviews mit Hinterbliebenen mehrere, sehr unterschiedliche und bewegende Einzelschicksale – darunter ein drogensüchtiger Ehemann, ein hämophiles Kind, ein schwuler Vater – vorgestellt werden. Sofern diese Einzelschicksale mit der damaligen gesellschaftlich-politischen Situation, die durch allerhand filmische Zeitdokumente verständlich gemacht wird, auf tragische Weise eng verwoben sind, setzt sich aus den biographischen Puzzleteilen nach und nach schließlich eine Geschichte der Krankheit im Amerika der 1980er Jahre zusammen. Und diese Geschichte stellt kein Ruhmesblatt für die Administration des seinerzeit amtierenden Präsidenten Ronald Reagan dar, der das Wort Aids 1985 – als sich schon Tausende mit dem Virus angesteckt hatten – erstmals überhaupt aussprach und wenig Neigung zeigte, ausreichend finanzielle Mittel für die Erforschung und Bekämpfung der „Schwulenpest“ zur Verfügung zu stellen. 1989, zum Zeitpunkt der Entstehung des Films, belief sich die Anzahl der Infizierten bereits auf über 100.000,


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ca. 59.000 Menschen waren bereits gestorben, mehr als im Vietnamkrieg. Eine Erfahrung, die man sonst tatsächlich nur aus Kriegszeiten kennt, machten damals vor allem schwule Männer, denn nicht wenige verloren binnen kurzer Zeit ihren gesamten Freundeskreis. Eine große Rolle spielt der Krieg, in diesem Fall der Zweite Weltkrieg, auch im vielfach preisgekrönten und 2000 im Rahmen der Berlinale uraufgeführten Dokumentarfilm Paragraph 175 (GB/DE/USA 2000, Erzähler: Rupert Everett), mit der sich die Amerikaner Epstein und Friedman (mit Hilfe des Historikers Klaus Müller) nun einer dezidiert deutschen Problematik annehmen. Der Film versucht eine bewusst offen gelassene und deshalb skandalöse Lücke der Geschichtsschreibung zumindest ansatzweise zu schließen und kommt dabei, wie er selbst zugibt, fast schon zu spät. Denn die meisten Betroffenen, in erster Linie homosexuelle Männer, waren zum Zeitpunkt der Dreharbeiten schon altersbedingt verstorben. Die wenigen aber, die den Nazi-Terror überstanden haben (etwa 100.000 Homosexuelle sind inhaftiert und gefoltert worden, darunter 10.000–15.000 in Konzentrationslagern; Von diesen haben nur etwa zehn überlebt) und über ihre Verfolgung und Misshandlung während dieser Schreckenszeit noch vor der Kamera Auskunft geben konnten, tun dies in unglaublich eindringlicher und ebenso unterschiedlicher Art und Weise: Ein Zeitzeuge wirkt fast heiter, ein anderer analytisch-abwägend, der nächste greisenhaft-sanftmütig, ein weiterer lässt Scham (!) erkennen, gibt an, noch mit niemandem über seine Erlebnisse gesprochen zu haben, und fängt im Verlauf seiner Erinnerungen bitterlich an zu weinen – und nur einer schreit seinen gerechten Zorn über das erlittene Unrecht laut aus sich heraus. Stark wirkt der Film aber auch darin, dass er mitdokumentiert, wie die Opfer zum Sprechen ermutigt wurden und wo ihre Auskunftsbereitschaft endete. Der Anfang des Films, der durchgängig mit faszinierenden historischen Bilddokumenten aufwartet, schildert die – auch für die Homosexuellen beiderlei Geschlechts – goldenen 20er-Jahre, in denen der – ursprünglich aus dem preußischen Landrecht von 1794 stammende, in der Folgezeit mehrfach ver- und entschärfte und tatsächlich erst 1994 vollständig aufgehobene – Diskriminierungsparagraph 175 weitgehend ignoriert wurde. „Man konnte“, so die einzige Zeitzeugin über die Lage im Weimar-Berlin, „tun, was man wollte.“ Umso erschreckender wirkt dann der Rückfall in die Barbarei der Naziherrschaft. Ebenfalls mit der Nazi-, darüber hinaus aber auch mit der Nachkriegszeit, den 1950er und 1960er Jahren, beschäftigt sich Verzaubert (DE 1993), der letzte und einzige (rein) deutsche der fünf Dokumentarfilme, der vor allem auf – nicht minder eindrucksvolle – Zeitzeugeninterviews setzt, die durch historische – allerdings zumeist fotografische – Bilddokumente ergänzt werden. Dass der sieben Jahre früher als der methodisch ähnlich verfahrende Paragraph 175 entstandene Streifen allein visuell etwas weniger professionell und aufwendig anmutet, stellt eher ein Wunder als ein Manko dar, sofern er von neun Hamburger Studierenden unter schwierigen finanziellen Bedingungen realisiert wurde. Den Titel der filmischen Kraftanstrengung erklärt gleich zu Anfang eine der Interviewten, die den neumodischen Begriffen „schwul“ und „lesbisch“ wenig abgewinnen kann und „verzaubert“ eindeutig zauberhafter findet. Eine andere, deren tragische Vergangenheit merkliche Züge von Verbitterung hinterlassen hat, bezeichnet die Verzauberten durchgängig in ihrer historischen Terminologie als „Freundschaftsfrauen“ bzw. „Freundschaftsmänner“. Einer dieser älteren Freundschaftsmänner, der die Hölle von Auschwitz überlebt hat, beschreibt seine Zeit im Lager dann – mehr erschütternder als befremdlicher Weise – als insgesamt gar nicht so schlimm, offenbar um nicht so viel Aufhebens von seinem Schicksal zu machen. Verzaubert versteht aber nicht nur zu erschüttern, sondern auch zu bezaubern, z.B. dann, wenn die sehr unterschiedlichen älteren Damen und Herren zum Teil in norddeutschem Dialekt mit viel Charme und Witz davon berichten, wie sie über lange Zeit ihre soziale Umwelt getäuscht und die Obrigkeit ausgetrickst haben. Und fast wie nebenbei setzt sich aus den Interviewaussagen ein verschüttetes oder bewusst verdrängtes, auf jeden Fall aber faszinierendes Stück Hamburger Stadtgeschichte zusammen, das bis weit in die Zeit der jungen Bundesrepublik hineinreicht. Dass, wie auch zu erfahren ist, die Verhaftungen aufgrund des weiterhin wirksamen § 175 noch nach Kriegsende anhielten und selbst vor KZ-Überlebenden nicht halt machten, woraufhin sich einige von ihnen das Leben nahmen, bedeutet für unseren Staat allerdings eine ausgesprochene Schande, die nur ungern angesprochen wird. Abgesehen davon, dass man tatsächlich froh ist, im Hier und Jetzt zu leben – in diesem Fall wirkt der berüchtigte Satz von der „Gnade der späten Geburt“ gar nicht mehr so abwegig –, mag sich nach Durchsicht der fünf großartigen Dokumentarfilme mitunter auch die eine oder andere Einsicht vermittelt haben. Vielleicht diese, dass es eine klar definierbare lesbische oder schwule Identität wohl zu keiner Zeit gegeben hat, sondern vielmehr schon immer zahlreiche höchst unterschiedliche Lebens- und Selbstentwürfe nebeneinander existierten. Vielleicht aber auch jene, dass ohne einen massenhaften, solidarischen und entschlossenen Zusammenschluss von Lesben und Schwulen – unter- und miteinander –, man nenne dies nun Community oder sonst wie, niemals auch nur der geringste Fortschritt zum Besseren erzielt wurde. Ist das jetzt schon Geschichtsbewusstsein? s

Gay History

Emanzipationsgeschichte des 20. Jahrhunderts. 5 DVDs im Schuber.

Before Stonewall

von Greta Schiller, Robert Rosenberg, Andrea Weiss US 1984, 87 Minuten, OmU

Box und Einzel-DVDs bei der Edition Salzgeber, www.salzgeber.de

The Tmes of Harvey Milk von Robert Epstein US 1984, 90 Minuten, OmU

Common Threads – Stories from the Quilt

von Robert Epstein, Jeffrey Friedman US 1989, 79 Minuten, DF, OmU

Paragraph 175

von Robert Epstein, Jeffrey Friedman US 1999, 75 Minuten, OmU

Before Stonewall

von Dorothée von Diepenbroick, Jörg Fockele, Jens Golombek, Dirk Hauska, Sylke Jehna, Claudia Kaltenbach, Ulrich Prehn, Johanna Reutter, Katrin Schmersahl DE 1992, 89 Minuten, dt. OF

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nachruf

Martin Büsser (1968–2010) von Bi rgit Bi n de r

Am 23. September ist Martin Büsser gestorben. Der Autor, Journalist, Herausgeber, Musiker war ein leidenschaftlicher und unvergleichlicher Zusammen-Denker von Queer- und Poptheorie. Aus einem Streit mit ihm über die angebliche DVD-Brache im Arthousebereich wurde sehr schnell eine Freundschaft, wenig später konnten wir ihn schon als Autor für die SISSY gewinnen. Erinnerungen an eine Stimme, die uns fehlt.

Scans aus dem Bildroman „Der Junge von nebenan“ von Martin Büsser, erschienen im Verbrecher Verlag 2009, 108 Seiten, broschur. (www.verbrecherei.de). 38


nachruf

„Wer die Gefühle verbieten will, die möglicherweise zur Flucht führen können, setzt stets schon voraus, den eigentlich richtigen Weg, also ‚die Realität‘ zu kennen und ist gefährlich nahe an jenen inzwischen geflügelten Worten von Arno Schmidt: ‚Nur die Phantasielosen flüchten in die Realität und zerschellen dann, wie billich, daran.‘“ Martin Büsser: „The Art of Noise – Eine kleine Geschichte der Sound Culture“, in: testcard #3, S. 18.

s Seine Stimme sprach über die Musik, die er liebte und auflegte im Radio, in Texten über Film & Kunst, zuletzt hinterließ er uns einen queeren Bildroman, „Der Junge von nebenan“. Als Mitbegründer des Ventil-Verlags gab er ab 1995 die „testcard“ mit heraus, fast scheint es, als sei eine bestimmte Zeit mit ihm gegangen. Ich habe nicht das Glück gehabt, Martin Büsser sagen zu können, wie singulär entscheidend er wohl nicht nur für mein Leben war und immer wieder ist, wenn ich seine Texte lese, Zeichnungen anschaue oder seine Stimme höre. Ich habe eines Abends nach der Todesnachricht geweint, weil ich mit Wucht erkannte: Wir alle haben ein Archiv verloren und sind jetzt zurückgeworfen auf das, was er uns hinterlassen hat und das, was wir auch daraus und damit und deswegen in unserem Leben entstehen lassen. In Nachrufen können wir lesen, dass Martin Büsser, Autor und Verleger, DJ, Zeichner, Theoretiker, Künstler, popkultureller Ethnologe ohne Spiegel und darum konzentriert und kritisch selbstreflexiv seinen Regionen gegenüber – sei es örtlich, politisch, geschlechtlich – sich immer wieder eingemischt, Diskurszeit bis aufs äußerste genutzt hat, und wie uneitel er sich artikulierte. Martin Büsser schrieb regelmäßig Plattenkritiken für „Intro“, hielt beißende Vorträge wie „Geschlechterverhältnisse in Punk- und Hardcore-Szene“ im Jenseits-der-Geschlechtergrenze-Podcast der ag queerstudies hamburg („Diese Hymne auf den Analverkehr, Frankie goes to Hollywood, ‚RELAX, don’t do it – if you wanna come, …‘“) oder schreibt „Fragmente einer Porno-Komparatistik“, deren Analyse offenbart, was ihr Titel verspricht „For Your Pleasure“ (testcard #17: „sex“). Seit ich diesen Text gelesen habe, bekomme ich immer häufiger die Fresse auf und sage: Ich bin schwul und transgender und das ist o.k. so, und ja, manchmal, da macht mir das Freude. Martin Büssers Tod erinnert daran, wie wenigen Menschen, die sich Männer nennen, sich manche von uns nahe fühlen können. So nahe, dass zu wissen, dass es nur einen von ihnen gegeben haben mag, der die Zartheit und Schärfe besaß, uns Diskurszeit zu geben und immer wieder für sie zu sprechen gut genug ist, um weiter zu machen. So gut genug, dass ich den Satz „Selbst wenn es“ (das Leben!) „die meiste Zeit zum Kotzen ist“ aus „Lang leben die Könige! Vom Ereignis des Kingen“ (in: Hot Topic, hg. Von Sonja Eismann, Ventil Verlag) streichen mag, wenn es einen Martin Büsser zu geben vermochte auf diesem Planeten.

Im Paradox, dass wir nicht nur (mit) Punk leben, wortwörtlich und qua Etymologie dieses Wortes (Knastslang, „vergewaltigte Mitinsassen und Schwule“), während Homophobie immer wieder an die Oberfläche dessen gerät, was unter Punk verstanden werden sollte und wird. Ein Paradox, das abstrahiert bedeutet, dass die allerorts stattfindenden Auslöschungen unserer queeren Geschichte als „der Geschichte“ zugehörig verramscht werden anstatt daraus die revolutionären Splitter in unseren Leben zusammenzusetzen, „If the kids are united“. „schnell, sexy, schön, vergänglich“ zitiert Martin Büsser Diedrich Diedrichsen in einem Vortrag („Testcard und Popkritik in Deuschland“). Auch wenn Martin Büsser dieses Wort einmal „leidig“ nannte, „schnell, sexy, schön, vergänglich“, mit einem kritischen Gedächtnis AUTHENTISCH warst Du auch. Deine „Lipstick Traces“ sollen uns noch lange haften bleiben und in Atem halten. RIP Martin Büsser. s

Martin Büsser: Geschlechterverhältnisse in der Punk- und HardcoreSzene. Podcast-Vortrag vom 07. Mai 2008, AGQueerStudies, Hamburg: www.agqueerstudies.de/martin-busser-geschlechterverhaltnisse-in-der-punk-und-hardcore-szene Martin Büsser: „Testcard“ und Popkritik in Deutschland. Vortrag im Wiener „Depot“, Juli 1998: www.txt.de/testcard/buesser www.pechsaftha.de www.testcard.de www.icantrelaxin.de

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filmflirt

Der Moment F r i e dr ich K röh n k e f l i rt et m it „C a po t e“

s Ach wer von uns ist schon ein Truman Capote! Du nicht und ich nicht … Plötzlich in der New Yorker Literatenszene aufschlagender blonder Knirps, der scheinbar ein kleiner Junge ist und jedenfalls ein von Gott begnadeter Erzähler. Du nicht und ich nicht. Verfasser wundervoller Geschichten aus den Südstaaten über verrückte Knäblein und ihnen in Verrücktheit nicht nachstehende alte Damen. Autor von Geschichten wie „A Christmas Memory“ und „A Diamond Guitar“, für die zu danken man jedes Jahr einmal seine Urne tätscheln und küssen sollte. Du nicht und ich nicht der auf Partys umringte boshafte Plauderer mit der Fistelstimme. Und doch … Wir mögen es, meine Freundin und ich, im Xenon zu sitzen. Biopics! Wir mögen überhaupt das Xenon, aber erst recht, wenn Biopics gezeigt werden. Nach dem über Kinsey letztens, dem über Françoise Sagan unlängst setzen wir uns genüsslich, den kleinen großen Capote zu sehen, Autos von früher und wogende Weizenfelder, den Tod und den Tratsch. Da sitzen wir in den hinfälligen Sesseln, ich trink mein Bier aus der Dose, und nach und nach, irritiert, bemerken wir, es ist ein schlimmer Film, und bemerken wir: Das bin ja ich! Das bist ja du … Alles ist da, wie ich es kenne! … Der Klassenkasper, der später zum Schwulen wird, gefangen in seinem Kerker aus Angeberei, Parodie, Geschwätz und Begabung. Der eitle Schriftsteller, der, fasziniert von den gewalttätigen schönen Biestern, Umgang mit ihnen pflegt, verliebt in sie ist, sie zugleich, schlau, als Stoff, als Material nutzt, froh ist, sie auch wieder fallen lassen zu können. Die Freundin, die da ist, wenn er die dummen Kriminellen mit den blitzenden Augen los sein will. Und ohne die er nichts wäre. Und die, ohne so viel Wind zu machen, ihrerseits Beachtliches leistet … Eine alles dieses bis zum Äußersten treibende Parabel: die hilflose Faszination, die Blasiertheit, die Freundin, sogar meine Phantasien vom Elektrischen Stuhl – aber als wahre Geschichte um Leben und Tod und so sehr trist, ein so sehr harter Film. Und all das ist so genau gearbeitet, jede Farbe, jeder Schal, jeder schale Scherz. Und all das spielt uns mit dem Gewicht einer ganzen Persönlichkeit Philip Seymour Hoffman, den wir schon als Gegenspieler des jungen Tom Ripley im 1950er Italien liebten, manchmal so fotografiert, dass man nur das Gesicht dessen, mit dem er redet, sieht und von T.C. nur die große Brille – und spielt uns Catherine Keener als Harper Lee wie so eine Art Christa Wolf aus Amerika … 40

sony pictures

Kaum jemand hat in Deutschland hinreißendere Geschichten über die tragikomische Sehnsucht nicht mehr ganz so junger Herren nach dem moralisch beanstandeten Glück geschrieben. Auch das Kino spielt bei Friedrich Kröhnke immer eine Rolle. In dem bekanntesten seiner vielen Romane erzählt Friedrich Kröhnke vom Leben und Sterben seiner besten Freundin „Helen“ als Geschichte der Kinofilme, die sie gemeinsam gesehen haben („Wie in schönen Filmen“). Es folgte eine Novelle über die mythenumwobene letzte Highway-Fahrt des Regisseurs Murnau („Murnau. Eine Fahrt“). Zuletzt erschien „Ein Geheimnisbuch“.

Betreten erkennt der Schriftsteller Kröhnke aus Berlin: Du Schreck, auch ich bin Capote. Und wohl ein paar mehr, die sich während des Abspanns aus dem Xenon schleichen, die haben sich auch ertappt gefühlt … Und wir sitzen noch drin und wünschten so sehr, wir wären gleich zu Anfang in das schöne alte Auto gestiegen, du ans Steuer, versteht sich, und wären aus Kansas weggefahren, du und ich, Harper Lee und T.C. Durch besagte Weizenfelder immer nach Süden, abends Wein und Motels und den Fatalitäten der Gier nach jugendlichen Männern entkommen – nach Alabama und in die Kindheit. Niemand wäre erschossen worden, niemand hingerichtet und noch jede Spottdrossel am Leben. s

Capote

Wie in schönen Filmen

von Bennett Miller US/CA 2005, 110 Minuten, DF

von Friedrich Kröhnke Roman, 156 Seiten

Auf DVD

Ammann Verlag, www.ammann.ch

Sony Pictures Home Entert., www.sphe.de

Murnau

Ein Geheimnisbuch

von Friedrich Kröhnke Novelle, 72 Seiten

von Friedrich Kröhnke Roman, 144 Seiten

Rimbaud Verlag, www.rimbaud.de

Ammann Verlag, www.ammann.ch


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Neu auf DVD Von M a i k e Sch u ltz (M S), Ch r ist oph M e y r i ng (CM), Pet e r Sch m i d t (pe sch) u n d Ja n K ü n em u n d (JK)

PEPI, LUCI, BOM UND DER REST DER BANDE

Du sollst nicht lieben IL/FR/DE 2009, Regie: Haim Tabakman, Edition Salzgeber

ES 1980, Regie: Pedro Almodóvar, Universum

Nachdem Pepi (Carmen Maura) in ihrer Wohnung von einem fiesen Polizisten, der ihre kleine DopePlantage auf dem Balkon erspäht hat, rüde vergewaltigt worden ist, sinnt sie auf Vergeltung. Zu diesem Zweck heuert sie ihre Freundin Bom (Olvido „Alaska“ Gara) und deren Kumpels von der Punk-Band „Bomitoni“ an. Die schlagen mit dem Zwillingsbruder des gesetzlosen Gesetzeshüters aber leider den Falschen krankenhausreif. Immer noch rachedurstig machen sich Pepi und Bom daraufhin an die Polizistengattin Luci (Eva Siva) heran, vorgeblich, um bei ihr Strickunterricht zu nehmen. Überraschenderweise outet sich die äußerlich so biedere Hausfrau im Verlauf der verkrampften Handarbeitsversuche als knallharte Masochistin. Da sie somit bestens in das Beuteraster der dominanten Bom passt – „Vierzig und schlaff, genau wie ich’s mag!“ – verlässt sie kurzentschlossen ihren Gatten, um der minderjährigen Punkerin fortan als Sexsklavin dienstbar zu sein. Gemeinsam machen Pepi, Luci und Bom nun die aufblühende Undergroundszene Madrids unsicher. Bis Luci plötzlich von der Bildfläche verschwindet … Da der Regisseur damals noch hauptberuflich bei der staatlichen Telefónica beschäftigt war, konnte Pedro Almodóvars Kinoerstling aus dem Jahr 1980 nur am späten Nachmittag und an Wochenenden gedreht werden. Der Comic-hafte, schrillbunte Streifen, der zuweilen an die Trash-Movies John Waters’ erinnert, ist noch unverkennbar ein Produkt der Subkulturbewegung „Movida madilena“, lässt aber bereits die Handschrift des Meisters erkennen. Zahlreiche Tabubrüche – inhaltlicher wie technischer Art – scheinen dabei einkalkuliert. Denn, so Almodóvar selbst: „Wenn ein Film ein oder zwei Fehler hat, ist das nur ein unvollkommener Film. Wenn dagegen diese Fehler derart überhand nehmen, wird es zum Stil.“ Gemeinsam mit Zerrissene Umarmungen ergänzt Pepi, Luci, Bom (OmU) die sehr ansprechend ausgestattete große Pedro-Almodóvar-Edition, deren letzte Lücke demnächst mit der DVD-Version des nekrophilen Stierkampfdramas Matador (1986) geschlossen werden wird.  cm

Der Jerusalemer Fleischer Aaron, ultraorthodoxer Jude, verheiratet und Vater von drei Kindern, verliebt sich in Ezri, einen 22-jährigen Jeshiva-Schüler, den er als Lehrling in seinem Geschäft anstellt und in seine Familie aufnimmt, nachdem der Regen ihn ihm vor die Füße gespült hat. „Tabakman schafft es mit für einen Debütanten traumhafter Sicherheit, weder Aarons Liebe zu Ezri, noch die zu seiner Familie und zu seinem Gott zu denunzieren, sondern zeigt, unterstützt von einem wunderbaren Ensemble, wo die Schwierigkeiten liegen, wenn das Herz größer wird als der Verstand erlaubt. Sein Hauptdarsteller Zohar Strauss ist für seine Bravourleistung mit dem Darstellerpreis des Jerusalemer Filmfestivals bedacht worden und der israelische Popstar Ran Danker liefert als Ezri eine nicht nur den Augen schmeichelnde Vorstellung ab. Der stilistisch vielleicht am ehesten mit Rosselini und dem cinéma verité vergleichbare Film lässt seine Darsteller in Ruhe und überfrachtet seine Bilder nicht. Tabakman weiß um das Potential seiner Geschichte und tut gut daran, ihm zu vertrauen.“ (Paul Schulz in der SISSY 1/10)

TOO MUCH PUSSY! FEMINIST SLUTS IN THE QUEER X SHOW FR 2010, Regie: Emilie Jouvet, GM Films

Bei diesen Feministinnen würden Alice Schwarzer sicher die (Achsel-)Haare zu Berge stehen: Eine Sexarbeiterin, eine Stripperin und ein paar Pornostars ziehen gemeinsam mit anderen willigen Damen aus, der Welt das Fürchten zu nehmen. Vor der eigenen Vagina etwa, die bei Performance-Shows vom Publikum ertastet und mit einer Lupe beguckt werden darf. Um eine sex-positive Einstellung zu vermitteln, touren die sieben Frauen im Bus quer durch Europa, zeigen ihren Gebärmutterhals auf Berliner Bauwagenplätzen und führen Fesselspiele in Pariser Underground-Clubs vor. Wenn es sein muss auch schon mal mit der Herrentoilette als

Backstage-Bereich, wie bei den Outgames in Kopenhagen. Die französische Fotografin und Regisseurin Emilie Jouvet (One Night Stand) hat die Aktivistinnen einen Sommer lang begleitet und daraus die sehenswerte Doku Too Much Pussy! Feminist Sluts In The Queer X Show gemacht. Auch dass Wendy Delorme & Co es mit ihren provokanten Auftritten nicht immer leicht haben, zeigt der Film: „Too Much Pussy!“ lautet die Reaktion eines prüden Clubbetreibers, der den Frauen kurzerhand die Bühnenzeit kürzt. Unterwegs bekommen sie sms von der Freundin zu Hause, tauschen Vergewaltigungsfantasien aus und haben – natürlich – Sex. Nur schade, dass der DVD als Bonusmaterial nicht die unzensierte Fassung beiliegt, die Jouvet für das Pornfilmfestival Berlin gedreht hat. ms

THE OWLS US 2010, Regie: Cheryl Dunye, Pro-Fun Media

Was bleibt, wenn eine Gruppe wie Riot Grrrls in die Jahre kommt? Wenn vom Sex,-Drugs&Rockn’Roll-Leben nur noch die Alkoholsucht übrig ist? Viel weiser sind die Frauen in Cheryl Dunyes Film mit dem Alter jedenfalls nicht geworden, wie es der Titel (Older Wiser Lesbians = OWLs) verheißt. In ihrem Berlinale-Beitrag 2010 erzählt die Teddy-Gewinnerin (The Watermelon Woman) von der fiktiven Lesbenband Screech. Früher besangen die vier Musikerinnen die feministische Revolution, nun bröckeln Karriere, Beziehungen und Freundschaft: Frontfrau Iris ertränkt ihre Profilsucht in Cocktails, während ihre Ex MJ einsam vor dem Laptop masturbiert; Carol und Lily kompensieren ihre Entfremdung dagegen mit einem Kinderwunsch. Als bei einer Party ein Mädchen stirbt und Carols Gärtnerin anfängt, unangenehme Fragen zu stellen, müssen sich die Frauen erneut zusammenraufen. In einer raffinierten Genre-Kreuzung aus Thriller und pseudo-dokumentarischen Interviews wird der Todesfall rekonstruiert – und offenbart sich nur als Gipfel eines Eisbergs aus unausgesprochenen Problemen. Teamwork ist alles bei The Owls, auch hinter der Kamera. Cheryl Dunye und ihre Produzenten luden vorm Dreh eine Gruppe queerer Künstler ein. So entstand das vielversprechende „Parliament Collective“, das die Geschichte gemein41


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sam entwickelte – und mit Darstellerinnen wie Guinevere Turner (Go Fish, The L Word), Lisa Gornick (Tick Tock Lullaby) und Deak Evgenikos (Itty Bitty Titty Committee) viele bekannte Gesichter der Szene versammelt. ms

DAKAN – SCHICKSAL GN/FR 1997, Regie: Mohamed Camara, Edition Salzgeber

Logline: „Der erste schwule Film aus Westafrika.“ Und beim emanzipierten Draufblick auf eine der vielen Diskriminierungsregionen klingt da auch ein „Na endlich!“ mit. Doch hier wird nichts nachgeholt, sondern poetisch und soziologisch präzise kontextualisiert. Eine Liebe zweier Männer in Guinea ist keine Sensation, hat aber andere Konsequenzen für das Umfeld und die Liebenden, und das zeigt dieser Spielfilm mit einem milden, sehr humanistischen Blick. Für die Eltern steht die wirtschaftliche und soziale Existenz auf dem Spiel, und die beiden von ihren Familien geliebten Jungs brechen unter diesem Druck zusammen, obwohl sie sich ihrer selbst und ihrer Gefühle völlig sicher sind. Im Zeigen, wie sie versuchen, Gefühl und Verantwortung zusammenzubringen, fängt der Film sehr uneuropäisch an zu schweben – im Treiben von Fischerboten, im Rauschen des Urwaldregens, in den Trancen der Heilungsrituale, im Sound der fantastischen Musik von Sory Kouyate. Und nicht zuletzt im strahlenden Lächeln, mit dem Sory der fassungslosen Ärztin erklärt, warum er in der Schule einen Schwächeanfall hatte: „Ich bin in einen Jungen verliebt!“ jk

blick sorgt. Vierter Hauptdarsteller: das Ravine House von Drew Mandel, das Absonderung und völlige Durchdringung erzählt – es steht in Toronto und ist einer von vielen Unbehausungen, die Egoyan als Drehorte nutzt. Es gibt den ängstlichen Blick frei auf das Unergründliche in den makellosen Gesichtern von Moore und Seyfried und die maßlose Grausamkeit, die sie sich und anderen aus lauter Anziehung antun. Dazwischen: Bilder von großer Schönheit, kristalline Wintermärchenstimmung, kratzende Orchesterwellen. Die Lesbe wieder als böse Verführerin, werden viele sagen. Kaltes Formexperiment, andere. Aber der Hauch aus giftiger Schönheit hängt noch in der Luft, nachdem man sich die Augen gerieben hat. jk

PLAN B AR 2009, Regie: Marco Berger, Pro-Fun Media

Patrik 1,5 SE 2008, Regie: Ella Lemhagen, Edition Salzgeber

Ein schwules Paar möchte bürgerlich werden und die Adoptionsbehörde bedient ihren Kinderwunsch gemeinerweise mit einem 15-jährigen homophoben, kleinkriminellen Teenager. „Es gelingt Ella Lemhagen, aus einem simplen dramaturgischen Einfall ein Drama zu kreieren, das auf vielen verschiedenen Ebenen funktioniert: Schonungslos entlarvt sie die Verlogenheit des schönen Scheins, in dem sich die Nachbarschaft des Männerpaares ihr warmes Nest errichtet hat. Und nicht minder behutsam nutzt sie den pöbelnden Teenager in diesem Mikrokosmos als Spiegel, um ein Psychogramm der beiden Hauptfiguren zu zeichnen.“ (Maike Schultz in SISSY 3/10)

CHLOE

Permanent Residence,

US/CA/FR 2009, Regie: Atom Egoyan, Kinowelt

HK 2009, Regie: Scud, Pro-Fun Media

Dana Stevens schrieb im Slate Magazine, es gäbe zwei gute Gründe, sich Chloe anzusehen: die nackte Amanda Seyfried und die nackte Julianne Moore. So was traut man sich hierzulande ja höchstens als Zitat aufzuschreiben. Wobei die Nacktheit in diesem Film äußerst vielschichtig ist, wie immer alles in Atom Egoyans Filmen äußerst vielschichtig ist, weswegen es auch immer homoerotische Untertöne darin gibt, weil es überhaupt vor allem Untertöne darin gibt. Das ist nicht nur ein Erotikthriller über zwei Frauen und einen Mann, sondern eine sich immer weiter zusammenziehende Studie über das ständige Eingreifen in die Intimität des Anderen, darüber, dass nichts in Körpern und Gesichtern eindeutig lesbar ist und dass Transparenz auf keinen Fall für Durch-

Normalerweise warten Filmemacher ja ein bisschen, bevor sie sich einen 8 ½ in ihrer Filmografie gönnen. Schließlich will man ja was zu erzählen haben, bevor man so was macht. Das chinesische Regiewunderkind Scud, das bei der Berlinale 2010 mit seinem erst dritten Film Amphetamine positiv auffiel, erzählt in seinem zweiten, semiautobiografischen Werk aber einfach die Geschichte seines ersten Films: Junges IT-Genie kommt nach Hongkong, um dort einen Baseballfilm zu drehen, der sich nicht so recht zwischen Sport und Softcorepornografie entscheiden mag und ein Kritikererfolg wird. Parallel verliebt er sich in den heterosexuellen Windson und sieht keinen Stich, auch wenn die beiden schönen Männer ständig miteinander ringen, baden, schmusen und Händ-

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chenhalten. Man muss das verstehen: Was bei uns auf erotischer Ebene aussieht wie die schwule Version von Schulmädchenreport, ist für asiatische Augen Die 100 Tage von Sodom und sein Regisseur deswegen eine gefeierte Skandalnudel. Gefeiert wohl und auch vor allem dafür, das er so ein fantastischer Handwerker ist. Permanent Residence strotzt vor tollen, interessanten Bildern, die man sehr gern ansieht, auch wenn sie keinen erzählerischen Sinn haben. Wenn Scud den irgendwann finden sollte, wird er ein echtes Meisterwerk drehen. Bis dahin kann er gern weiter Filme machen, die nur aussehen, als wären sie welche. pesch

Wolfgang Tillmans bedauert (in der „Zeit“ nicht abgedruckt) das vernachlässigte Arschloch des Heteromannes, Tom Tykwer (Drei) kümmert sich darum und Lynn Shelton (Humpday) lässt ihre Männer zumindest darüber reden … Heteromännlichkeit steht gerade mancherorts als solche zur Disposition. In Marco Bergers Film ist Schwulsein wenigstens ein Plan B, wenn Plan A heißt: die Freundin an sich binden. Brunos Freundin ist abgehauen und er versucht absurderweise die Verführung ihres Freundes, weil er gehört hat, dass der auch Männer mag. Soweit so Story. Und funktioniert ja auch alles gar nicht. Wie sich das Ganze aber entwickelt, langsam, eindringlich, schüchtern, ohne dass sich der Film jemals über die in ihrer Männlichkeit verunsicherten Jungs lustig macht, ist berührend und besonders. Natürlich interessiert das am Ende wieder nur die schwulen Filmfans. Aber so einfach sind diese Grenzen eben nur im Zielgruppenmarketing zu ziehen. jk

AMPHETAMIN HK 2010, Regie: Scud, Pro-Fun Media

Daniel, ein erfolgreicher und wohlhabender Finanzmanager, ist gerade erst nach Hong Kong in ein schickes Penthouse gezogen, als er dem hübschen Kafka begegnet, der ihn sofort magisch anzieht. Die Attraktion ist durchaus beidseitig. Kafka allerdings, der als Schwimmtrainer arbeitet und aus der Unterschicht stammt, ähnelt den Texten seines berühmten Namensvetters insofern, als er sehr unzugänglich und rätselhaft wirkt. Bald findet Daniel heraus, dass Kafka süchtig nach Amphetamin ist. Doch dies scheint nicht sein ein-


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ziges Geheimnis zu sein … Obwohl die zuweilen allzu pathetischen Dialoge nicht gerade nobelpreisverdächtig anmuten und auch die Bildsymbolik des Films wenig mit kafkaesker Vieldeutigkeit zu tun hat, versteht diese Lie­ besgeschichte durchaus zu verführen. Denn sie ist äußerst aufwendig und rasant gefilmt und überrascht durch blitzlichtartige Vorausdeutungen und Rückblenden im Stil der Videoclip-Ästhetik. Vor allem innerhalb der Sequenz, in der sich die beiden Protagonisten am Gummiseil todesmutig von einer Hafenbrücke in die Tiefe stürzen, agiert die Kamera wie auf Droge und erzeugt ein Schwindelgefühl, das nicht nur Akrophobikern den Angstschweiß auf die Stirn treiben wird. cm

TAXI ZUM KLO – JUBILÄUMSEDITION DE 1980, Regie: Frank Ripploh, Pro-Fun Media

„Taxi to the Toilet sahen in New York 200.000 Besucher. Eingespielt hatte er allein dort 1 Million Dollar. In Boston wurde er zum besten fremdsprachigen Film gekürt. In der BRD wurde er ebenfalls Kult. In den Kinos. Auf den Festivals (Hof, dann Saarbrücken mit dem renommierten Max-Ophüls-Preis). Aber weil das damals alles so war, bräuchte das heute nicht interessieren. Das Sensationelle ist doch, dass das, was Film-Einmalereignis der frühen achtziger Jahre war, auch heute funktioniert. Aus dem Stand. Jedenfalls bei mir. Mehr kann ich ja nicht sagen. Ich rede doch keinem etwas ein. Aber ich gönne allen die Fahrt mit dem Taxi zum Klo.“ (Dietrich Kuhlbrodt in SISSY 3/10)

LOVE OF SIAM TH 2007, Regie: Chookiat Sakveerakul, Pro-Fun Media

„Meine Seele zittert / Mein Herz bebt vor Angst.“ Sowas singt eine Schülerband aus lauter Jungs, die noch kaum einen Flaum über der Oberlippe haben. Das ist pathetisch und süß zugleich. Und so sind die ganzen 150 Minuten dieses Films. Es geht – aber so richtig! – um die Liebe. Und im Mittelpunkt steht ein schwuler Teenager, der seit Kindertagen in den Nachbarsjungen verliebt ist. Jetzt ist Mew Sänger, Komponist und Texter besagter Schülerband und am Siam Square trifft der den zwischenzeitlich verlorenen Freund Tong wieder – und nun zittert seine Seele und sein Herz bebt. Das ist ganz schön gewagt für thailändisches Mainstreamkino. Und das Publikum, das geschickt in eine übliche (also heterosexuelle) Teenieromanze gelockt wurde, musste wohl auch ganz

schön schlucken, hat der Regisseur erzählt. Erzählt wird aber noch viel mehr, mit ziemlich viel Personal. Über Liebe und Trauer und Liebe und Enttäuschungen und Liebe. Und am Ende steht folgerichtig kein Coming-Out und schon gar kein erlösender Sex, sondern ein LiebesBekenntnis. Und die Kamera zeigt, wie sich Fliegen auf Strohhalmen aus der Limonade retten und wie jemand beim Christbaumschmücken nach langer Überlegung lieber eine männliche als eine weibliche Figur aufhängt. Das ist sehr süß und ein bisschen pathetisch. jk

nerlich längst abgestreift hat. Bis Mama ihn mit dem hübschen Gärtner Bilal (Salim Kechiouche) im Bett erwischen kann, ist es da noch ein weiter Weg. Auf dem das Mamasöhnchen unter anderem das Angebot seiner besten lesbischen Freundin annimmt, mit ihr ein Kind zu zeugen und sie zu heiraten. Am Ende sind alle glücklich geoutet und Oma, Enkel, beide Väter und beide Mütter tollen zusammen am Strand herum. Für den ersten tunesischen Film zum Thema Homosexualität überhaupt ein gewagtes Statement. pesch

Peacock

SUNDAY, BLOODY SUNDAY

USA 2010, Regie: Michael Lander, Kinowelt

UK 1971, Regie: John Schlesinger, CMV Laservision

Es ist absolut nachvollziehbar, warum Peacock mit guten Schauspielern um sich werfen kann. Ellen Page, Susan Sarandon und Bill Pullman haben in Michael Landers als Thriller getarnter 50er-JahreCharakterstudie jede Menge wunderbarer Dinge zu arbeiten und sind als junge Mutter, alternde Matrone und irrer Postangestellter gegen ihren eigentlichen Typ besetzt. Stinken allerdings auch alle gegen Cillian Murphy ab. Denn der darf als Hauptfigur mit gespaltener Persönlichkeit gleich zwei tolle Rollen spielen: John, einen etwas mausigen Kleinstadtbewohner, und Emma, eine etwas mausige Kleinstadtbewohnerin, die sich dringend von ihrer männlichen Persönlichkeitshälfte emanzipieren möchte und dafür allerlei Übles anzettelt, wovon der Herr im Körper jedoch nichts weiß. Es ist nach Breakfast on Pluto schon das zweite Mal, dass Murphy als weibliches Wesen absolut überzeugt und wenn die Qualität seiner Darbietungen so bleibt, darf er das gern noch öfter machen. Peacock erfreut neben seinem fantastischen Ensemble vor allem dadurch, dass er so komplex und geduldig erzählt ist. Manche Menschen werden das langweilig finden, SISSY findet das unglaublich toll. pesch

John Schlesingers klassisches Drama über eine fragile Dreierbeziehung zweier Männer und einer Frau. „Selbst in der privilegierten Welt, in der sich David, Bob und Alex bewegen, scheinen die in den 60er Jahren gelebten Freiheiten nach und nach zu schwinden. Der Traum einer ganzen Gesellschaft von einem Leben in Offenheit ist schon wieder zu einem Vorrecht einer Klasse geworden. Aber in John Schlesingers Film bleibt er trotz allem lebendig, in der Selbstverständlichkeit, mit der David und Bob ihr Begehren ausleben, und in dem innigen, von Liebe und Zärtlichkeit erfüllten Kuss, mit dem Peter Finch und Murray Head Kinogeschichte geschrieben haben.“ (Sascha Westphal in SISSY 3/10)

Le Fil – Spur unserer Sehnsucht FR/BE/TN 2009, Regie: Mehdi Ben Attia, Pro-Fun Media

Der Pressetext behauptet: „Kurz nach dem Tod seines Vaters kehrt der attraktive Jungarchitekt Malik (Antonin Stahly) in seine Heimat Tunesien zurück – und in den Schoß seiner Mutter.“ Unschöne ödipale Vorstellung. Auch wenn Maliks Mama von der immer noch hinreißenden Claudia Cardinale gespielt wird. Zutreffend ist: Malik kommt aus Frankreich zurück nach Tunesien und damit auch zurück in eine Welt voller Moralvorstellungen, die er in-

A Love To Hide FR 2005, Regie: Christian Faure, CMV Laservision

Außer Bent gibt es keine herausragenden Spielfilme über Schwule im Dritten Reich. Das ändert auch A Love to Hide nicht, aber sehen sollte man diesen französischen Fernsehfilm zur gleichen Thematik deswegen trotzdem. Denn auch wenn Christian Faures Werk bei weitem nicht die Schlagkraft von Aimee und Jaguar entwickelt, weil er auch gleich noch die Geschichte der Juden unter dem Vichy-Regime erzählen muss, bietet A Love To Hide mit Jérémie Renier und Bruno Todeschini zwei großartige Hauptdarsteller, die der komplizierten Geschichte einfache, emotional stimmige Augenblicke entgegenhalten, bis irgendwer oder auch alle im Publikum heulen. Weil die Liebesgeschichte so schön und so kompliziert ist und das Paar vom Schicksal so ungerecht behandelt wird. Eine gelungene Geschichtsstunde mit zwei wirklich guten Schauspielern in den Hauptrollen. Passt so. pesch 43


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HEMMUNGSLOS – INFIDELES FR 2009, Regie: Claude Pérès, Edition Salzgeber

Dieser Claude Pérès ist ein merkwürdiger Typ. Verständlicherweise interessiert er sich für Sex und ebenso verständlicherweise will er mit einem anderen attraktiven Mann Sex haben. Und weil er sich für einen Filmemacher hält, ist es verständlich, dass er über das Thema Sex einen Film drehen will. Da gibt es allerdings ein kleines Problem: Claude Pérès ist Franzose. Und da gehören definierte Bauchmuskeln frei nach Barthes zu den Mythen des Alltags und das Objekt der Begierde ist nach Lacan ein kleines „a“, das grundsätzlich durch einen Mangel strukturiert ist. Jetzt steht ihm zwar mit Marcel Schlutt ein pornografisch versierter, äußerst entspannter Lust-Profi gegenüber, der völlig unkompliziert alles Naheliegende mitmacht, aber Herr Pérès muss noch durch verschiedene Phasen der Reflexion, der Verwirrtheiten und Ohnmachtsanfälle (kein Witz!) hindurch, bis er endlich die Play-Taste seiner Kamera und einen Bezug zu seiner eigenen Geilheit findet. Das ist alles hochgradig skurril, gar nicht so unsexy (weil es sich der Sache so kompliziert langsam nähert) und intellektuell nicht wirklich befriedigend. Da aber über den Sex, den man sieht, auch geredet wird, kann die FSK sowas auch 16-Jährigen empfehlen. Das Schönste an dem Film ist auf jeden Fall der Joint danach. jk

Lucky Bastard USA 2009, Regie: Everett Lewis, Pro-Fun Media

Everett Lewis hat schon ein paar wirklich gute Filme gemacht: The Natural History of Parking Lots zum Beispiel, mit dem er vor 20 Jahren debütierte. Oder die feine L.A.-PunkLiebesgeschichte Luster, die inzwischen aber auch schon acht Jahre alt ist. Sein neuer Film Lucky Bastard hat vor allem ein Problem: Er nimmt sich ein bisschen wichtig. Die Geschichte vom Innenarchitekten Rusty, der sich in eine männliche Crackhure verliebt, obwohl er einen netten und ansehnlichen Mann zu Hause hat, ist eine von einem offenbar infantilen Mittelstands-Homosexuellen amerikanischer Prägung, dessen therapeutisches Laufband zwei Stufen zu niedrig eingestellt ist und der sich deswegen eine Zeit lang relativ albern aufführt. Mehr war nicht. Zwischendurch darf Dale Dymkoski als besagte Crackhure einen der peinlicheren Monologe der Filmgeschichte herunterkaspern und natürlich ziehen sich alle ständig aus und 44

die Frauenfiguren sind völlig überzeichnet. Den Film trotz all dem angucken kann man, wenn man Hauptdarsteller Patrick Tatten niedlich findet, was einem Großteil der schwulen Weltbevölkerung nicht schwer fallen dürfte. Oder wenn man sich schon immer gewünscht hat, vorspulen zu können, wenn sich hübsche Männer bescheuert benehmen. pesch

WASSER UND BLUT US 2009, Regie: John G. Young, Bildkraft

Ein schwuler Teenager aus New York muss nach dem Tod seiner Mutter zu seiner Tante in den ländlichen Süden ziehen, wo er als ultimativer Außenseiter behandelt wird. „Die Messlatte ist fix gelegt, und zwar hoch. William Faulkner, Flannery O’Connor, James Baldwin. Das ganz große Fish-Out-Of-Water-SüdstaatenDrama soll Wasser und Blut sein. Der deutsche Titel des Films spielt fein mit der Dickflüssigkeit und damit verbundenen Sprichwörtlichkeit beider Substanzen und fasst die (Wahl-)Familiengeschichte, die der Film auch ist, so gut zusammen. Schön. Traurig.“ (Paul Schulz in SISSY 3/10)

Alex und der Löwe D 2010, Regie: Yuri Gárate, Pro-Fun Media

André Schneider muss sich sehr, sehr lieb haben. Anders ist es kaum zu erklären, dass er sich als Produzent bei Alex und der Löwe nicht nur als Drehbuchautor und CoRegisseur, sondern auch gleich noch als einen von zwei Hauptdarstellern engagiert hat. Oder vielleicht doch: Der Film hatte mit nur 25.000 Euro kein wirklich vorhandenes Budget. Solche monitären Verhältnisse zwingen einen wahrscheinlich zu geradezu Streisandscher Personalökonomie. Die muss ja aber nichts Schlechtes sein und hat bei Alex und der Löwe auch keinerlei Einfluss auf den Spaßfaktor des Films, der ist extrem hoch. Was vor allem am Script der Screwball-Komödie liegt. Und am anderen Hauptdarsteller. Der heißt Marcel Schlutt und ist eigentlich eher für Erwachsenenunterhaltung bekannt. Macht aber in Alex und der Löwe schauspielerisch eine ausgesprochen gute Figur, während der Rest des Ensembles ein bisschen almodóvarisch übersteuert rüberkommt oder einfach seine lustigen Texte aufsagt. Insgesamt: Hübscher kleiner Berlin-Film, der seine handwerklichen Schwächen durch den Einsatz seines Personals ganz gut auszugleichen in der Lage ist.  pesch

Männer Al Dente IT 2010, Regie: Ferzan Ozpetek, Prokino

Ein Pastafabrikantensohn will sich outen, doch sein Bruder kommt ihm zuvor und lässt ihn dadurch mit der Verantwortung sitzen. „Mit Männer al dente ist der Filmstoff Homosexualität mitten im italienischen Mainstream angekommen. Und mit Ozpetek ist es ein türkischer schwuler Regisseur, der es am besten schafft, die heterosexuelle italienische Gesellschaft abzubilden und dabei die besten Schauspieler des Landes einzubinden. Nichts an der Darstellung von Homosexualität ist mutig oder provokant. Tommaso und seine römischen Homo-Freunde sehen so aus, als seien sie gerade aus der Lacoste-Werbung gepurzelt: reich, jung, schön, muskulös und erfolgreich. Das Wichtigste ist weiterhin die Familie, erweitert um die schwulen Freunde.“ (Malte Göbel in SISSY 2/10)

I LOVE YOU, PHILLIP MORRIS US 2009, Regie: John Requa & Glenn Ficarra, Prokino

„Eine dieser Geschichten, die für ein Drehbuch eigentlich zu übertrieben klingen – und doch wahr sind. Denn tatsächlich gibt es diesen Steven Ray Russell, den Carrey verkörpert, wirklich: einen aufrecht-christlichen Familienvater, der nach dem Coming-Out radikal sein Leben ändert und schließlich sein Geld als Trickbetrüger verdient. Im Gefängnis verliebt er sich in Phillip Morris (Ewan McGregor) – und bricht nach dessen Entlassung immer wieder aus, um bei ihm zu sein. Schön mitzuerleben, wie Jim Carrey auf dem schmalen Grat zwischen dramatischen Liebesbeweisen und albernen Grimassen mit vollem Körpereinsatz darum kämpft, vielleicht doch noch zur Schwulenikone zu werden.“ (Patrick Heidmann in SISSY 4/09)

PORNOGRAPHY: EIN THRILLER US 2009, Regie: David Kittredge, Bildkraft

Drei Männer fallen ihrer Suche nach echten Gefühlen hinter pornografischen Bildern zum Opfer. „Wie ein Katalog postmoderner Ängste entwickelt sich dieser merkwürdig auf sein männliches, körper- und wahrheitsbesessenes Personal beschränkte Thriller. Überall finden sich Spuren von Überwachung, von Dé-


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jà-Vus, von Geschichten hinter Geschichten, laufen Recherchen nach der Wahrheit ins Leere bzw. führen zu noch größeren Rätseln, die umso mehr Angst machen. Kein Krimi ist das, in dem ein Sherlock Holmes (oder meinetwegen Donald Strachey) Licht ins Dunkel bringt, hier greift die Dunkelheit erst durch den Versuch, sie aufzuhellen, so richtig um sich.“ (Jan Künemund in SISSY 2/10)

Hoffnung auf ein gutes Ende aufrecht zu halten. Ein zutiefst bewegender, nachdenklich machender und im besten Sinne seelenvoller Film, den jeder gesehen haben sollte.“ (Patrick Heidmann in SISSY 1/10)

EDGAR ALAN POE’S UNTERGANG DES HAUSES USHER

„Der Regisseur Stijn Coninx interpretiert Jeanine als eine Frau voller Widersprüche. Provokant und ängstlich, stolz und selbstzweiflerisch, freiheitsliebend und auf der Suche nach einer festen Struktur, die sie hält und vor sich selbst schützt. Unentschlossen und voller Sehnsucht nach Verbindlichkeit, ist sie ständig auf der Flucht: vor der lieblosen Mutter flieht sie mit der Schwester im Tagtraum nach Afrika, vor der Verliebtheit ihrer Freundin auf der Kunsthochschule, die für Selbstverwirklichung steht, hinter die Klostermauer zur Selbstverneinung, zu der sie aber auch nicht fähig ist. Sie rebelliert, besteht auf ihre individuelle Kreativität, wird berühmt, verlässt das Kloster und zieht, noch immer voller Abwehr, mit ihrer Freundin zusammen. Mit allem ist sie vollständig überfordert. Am meisten jedoch damit, dass ihre Karriere, die so phänomenal begann, an eben jenen Instanzen scheitert, die sie anfangs förderten - den Medien und der Kirche. Ohne ihr Habit ist sie einfach nur eine junge Frau mit einer guten Stimme.“ (Jessica Ellen in SISSY 3/10)

US 2008, Regie: David DeCoteau, Pro-Fun Media

Dieser Film ist Trash. Und da gibt es auch kein Aber. „Ein David DeCoteau Film“ steht über dem Titel und das ist nun wirklich kein Gütesiegel – völlig zurecht hat der Herr den Spitznamen „Schlockmeister“, was in richtigem Deutsch sowas wie „Ramschhändler“ heißt. Was hier verramscht wird, ist allerdings gute Literatur: Poes klassische Geschichte von Victor, der seinen Jugendfreund Roderick Usher und dessen Schwester nicht vor Zerfall und Todestrieb retten kann. Das dämonische Schloss in dieser Videovariante ist also ein braves Backsteingemäuer und der moribunde Hausherr trägt zur Entschlüsselbarkeit seiner Verfassung Sonnenbrille. Der andere Posterboy gibt den Victor und wird dramatisch von toten Klempnern, Malern und Gärtnern in knappen Unterhosen verfolgt, welchen immer nur halb (nämlich hinten) herunterrutschen. Irgendetwas Geschlechtliches passiert beim Untergang des Hauses Abercrombie & Fitch nicht und die horrormäßigen Dialoge werden Tonmeister sei Dank von merkwürdigen Störgeräuschen übertönt. Alles Weitere ist eine Sache des Fetischs (Posterkörper & Unterhosen). Weitere „David DeCoteau Poe Verfilmungen“ sind bereits verbrochen, u.a. The Raven und Pit & Pendulum. The Horror! The Horror! jk

PRECIOUS – DAS LEBEN IST KOSTBAR US 2009, Regie: Lee Daniels, Prokino

„Die 16-jährige Precious, die eigentlich Claireece heißt, träumt von Glamour, von tollen Kleidern und einem Leben im Rampenlicht. Doch die Realität sieht anders aus. Mit rauer Authentizität, ergänzt um einen Hauch magischen Realismus, gelingt Lee Daniels das Kunststück, in unvergesslichen Bildern nicht nur mit erschütternder Wucht von der Grausamkeit der menschlichen Existenz zu erzählen, sondern auch ebenso zart wie liebevoll die

SŒUR SOURIRE – DIE SINGENDE NONNE FR 2009, Regie: Stijn Coninx, Edition Salzgeber

L-Shorts – Die Zweite DE, PL, NL, CA, US, FR 2002–09, Edition Salzgeber

Ein bisschen wirken die Geschichten in L-Shorts – Die Zweite wie die PuzzleTeile einer lesbischen Biografie, nur dass jeder Lebensabschnitt eine andere Protagonistin hat. Da ist das junge Mädchen in der Wüste, das sich zu einer Spielkameradin hingezogen fühlt (Das Eselmädchen); die College-Studentin, die sich nicht traut, sich vor ihrer Mutter zu outen (wie High School Musical in queer: Wie sage ich es nur?) ; die spielsüchtige Midlife-Crisis-Frau an ihrem 40. Geburtstag (Abnehmender Merkur); und schließlich die alte Dame, die der Enkelin ihrer verstorbenen Geliebten begegnet (Im Sommer sitzen die Alten). So abwechslungsreich wie die Altersgruppen kommen im zweiten Teil der Kurzfilmreihe „Die Besten aus der L-Filmnacht“ auch die Themen daher. Vielleicht liegt es an den sieben Regisseurinnen, die fast alle

aus einem anderen Land stammen: In Polen kommt es zur unschönen Möbel-Übergabe bei der Ex-Freundin (Am Ende der Straße), die USLesbe lädt sich potenzielle Partnerinnen zum Casting ein (Interview mit meiner neuen Freundin) und eine Französin beobachtet ihre Nachbarin durch ein Loch in der Badezimmerwand (Nebenan). Sexy, melancholisch und herrlich schräg: So kann die Mischung ruhig weitergehen. Vor allem, wenn die Frauen so stark sind wie Farouzi auf ihrem Esel. ms

YNGLINGE DK, SE, IS 2006–08, Edition Salzgeber

Carsten, ein dänischer Teenager, verliebt sich in den Vater seiner Freundin und entdeckt dabei seine Homosexualität (Erwachen, Regie: Christian Tafdrup). Love, ein Schwede Anfang der Zwanzig, möchte endlich seine Jungfräulichkeit verlieren, wird aber in der Wohnung eines Fremden, den er auf der Straße aufgegabelt hat, brutal vergewaltigt. (Mein Name ist Love, Regie: David Färdmar). Nach mehreren Versuchen mit Frauen gesteht der junge Isländer Gudni Geir seiner dominanten Mutter endlich, dass er schwul ist. Sie empfindet diese Tatsache irritierender Weise als ein Geschenk des Himmels (Mama weiß es am besten, Regie: Barði Guðmundsson). Auf einem dänischen Autobahnrastplatz filmt der halbwüchsige Rasmus einen Familienvater beim Cruising und verfolgt ihn bis nach Hause, um ihn zu erpressen. Statt Geld bekommt Rasmus im Wohnungsflur seinen ersten Sex (Ynglinge, Regie: Mikkel Munch-Fals). Vier filmische ComingOut-Kurzgeschichten, die kaum etwas erzählen und die sicherlich kaum etwas Neues erzählen. Das ist aber unwichtig, denn die Gesichter der durchweg hervorragenden Darstellerinnen und Darsteller erzählen so viel, so nuanciert und so glaubwürdig, dass sich jeder positive Eindruck, den das skandinavische Kino in den letzten Jahren hinterlassen hat, aufs Eindrucksvollste bestätigt. cm

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Berlin  b_books Lübbenerstraße 14, 030/6117844 · Bruno’s Bülowstraße 106, 030/61500385 · Bruno’s Schönhauser Allee 131, 030/61500387 · Dussmann Friedrichstraße 90 · Galerie Janssen Pariser Straße 45, 030/8811590 · KaDeWe Tauentzienstraße 21–24 · Media Markt Alexa Grunerstraße 20 · Media Markt Neukölln Karl-Marx-Straße 66 · Negativeland Dunckerstraße 9 · Prinz Eisenherz Buchladen Lietzenburger Straße 9a, 030/3139936 · Saturn alexanderplatz Alexanderplatz 7 · Saturn Europacenter Tauentzienstraße 9 · Video World Kottbusser Damm 73 · Videodrom Fürbringer Straße 17  bochum  saturn Kortumstraße 72  darmstadt  saturn Ludwigplatz 6  Dortmund  Litfass der Buchladen Münsterstraße 107, 0231/834724  Düsseldorf  Bookxxx Bismarckstraße 86, 0211/356750 · Saturn Königsallee 56 · Saturn Am Wehrhahn 1  Essen  Müller Limbecker Straße 59–65 Frankfurt/main  Oscar Wilde Buchhandlung Alte Gasse 51, 069/281260 · Saturn Zeil 121  Hamburg  Buchladen Männerschwarm Lange Reihe 102, 040/436093 · Bruno’s Lange Reihe/Danziger Straße 70, 040/98238081 · Clemens Clemens-Schultz-Straße 77 · Empire Megastore Bahrenfelder Straße 242–244 · Media Markt Paul-Nevermann-Platz 15  Köln  Bruno’s Kettengasse 20, 0221/2725637 · Media Markt Hohe Straße 121 · Saturn Hansaring 97 · Saturn Hohe Straße 41–53 · Videotaxi Hohenzollernring 75–77  leipzig  Lehmanns Buchhandlung Grimmaische Straße 10  Mannheim  Der Andere Buchladen M2 1, 0621/21755  München  Bruno’s Thalkirchner Straße 4, 089/97603858 · Lillemor’s Frauenbuchladen Barerstraße 70, 089/2721205 · Max & Milian Ickstattstraße 2, 089/2603320 · Saturn Schwanthalerstraße 115 · Saturn Neuhauser Straße 39  nürnberg  Müller Königstraße 26  Stuttgart  Buchladen Erlkönig Nesenbachstraße 52, 0711/639139  trier  media markt Ostallee 3–5  Tübingen  Frauenbuchladen Thalestris Bursagasse 2, 07071/26590  Wien  Buchhandlung Löwenherz Berggasse 8, + 43/1/13172982  Würzburg  Müller Dominikanerplatz 4

Impressum Herausgeber  Björn Koll Verlag

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Birgit Binder, Jessica Ellen, Gunther Geltinger, Friedrich Kröhnke, Jan Künemund, Christoph Meyring, Nando Rohner, Ralf Rühmeyer, Peter Schmidt, Paul Schulz, Maike Schultz, Michael Sollorz, Johann Wasser, Kerstin Welzenheimer, André Wendler, Sascha Westphal

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SISSY erscheint alle drei Monate, jeweils für den Zeitraum Dezember/ Januar/Februar – März/April/Mai – Juni/Juli/August – September/ Oktober/November. Auflage: 40.000 Exemplare (Druckauflage).

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deutschlandweit in den schwul-lesbischen Buchläden, in den CinemaxXKinos in Augsburg, Berlin, Bielefeld, Bremen, Dresden, Essen, Freiburg, Hamburg, Hannover, Kiel, Magdeburg, Mannheim, München, Offenbach, Oldenburg, Stuttgart, Wuppertal. Außerdem hier: Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ (Potsdam), Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin, Orlando (Bochum), Birdcage (Kiel), Café Gnosa (Hamburg), Café ERA (Köln), Kunsthochschule für Medien Köln. Wenn Sie die SISSY ebenfalls auslegen möchten: Eine kurze E-Mail genügt!

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aalen  Kino am Kocher Schleifbrückenstraße 15, 07361/5559994  Aschaffenburg  Casino filmtheater Ohmbachsgasse 1, 06021/4510772  Augsburg  CinemaxX Willy-Brandt-Platz 2, 01805/24636299  Berlin  arsenal Potsdamer Straße 2, 030/26955100 · Kino International Karl-Marx-Allee 33, 030/24756011 · Xenon Kino Kolonnenstraße 5–6, 030/78001530 · Cinemaxx Potsdamer Platz Potsdamer Straße 5, 01805/24636299 · eiszeit Zeughofstraße 20, 030/6116016 · FSK am Oranienplatz Segitzdamm 2, 030/6142464  Bielefeld  CinemaxX Ostwestfalenplatz 1, 0521/5833583  bochum  Endstation Kino im Bhf. Langendreer Wallbaumweg 108, 0234/6871620 Bremen  Kino 46 Waller Heerstraße 46, 0421/3876731 · CinemaxX Breitenweg 27, 01805/24636299  dortmund  schauburg Brückstraße 66, 0231/9565606  Dresden  Kid – Kino im Dach Schandauer Straße 64, 0351/3107373 · CinemaxX Hüblerstraße 8, 01805/24636299  Essen  CinemaxX Berliner Platz 4–5, 01805/24636299  Esslingen  Kommunales Kino Maille 4–9, 0711/31059510  Frankfurt/Main  Mal Seh’n Adlerflychtstraße 6, 069/5970845 · Orfeos Erben Hamburger Allee 45, 069/70769100 Freiburg  Kommunales Kino Urachstraße 40, 0761/709033 · CinemaxX Bertholdstraße 50, 01805/24636299  Göttingen  Kino Lumière Geismar Landstraße 19, 0551/484523  Hamburg  Metropolis Kino Steindamm 52–54, 040/342353 · CinemaxX wandsbek Quarree 8–10, 01805/24636299  Hannover  Apollo Studio Limmerstraße 50, 0511/452438 · cinemaxx Nikolaistraße 8, 01805/24636299 · kino im künstlerhaus Sophienstraße 2, 0511/16845522  karlsruhe  Kinemathek Karlsruhe Kino im Prinz-Max-Palais Karlstraße 10, 0721/25041   Kiel  Die Pumpe – Kommunales Kino Haßstraße 22, 0431/2007650 · CinemaxX Kaistraße 54–56, 01805/24636299 · Traum Kino Grasweg 48, 0431/544450  Köln filmpalette Lübecker Straße 15, 0221/122112 · Kölner Filmhaus Maybachstraße 111, 0221/2227100   Konstanz  Zebra Kino Joseph-Belli-Weg 5, 07531/60162  Leipzig  Passage Kino Hainstraße 19 a, 0341/2173865  magdeburg  Cinemaxx Kantstraße 6, 01805/24636299   Mannheim  Cinema Quadrat Collinistraße 5, 0621/1223454  Marburg  Cineplex Biegenstraße 1a, 06421/17300  München  Neues Arena Filmtheater Hans-SachsStraße 7, 089/2603265 · City Kino Sonnenstraße 12, 089/591983 · CinemaxX Isartorplatz 8, 01805/24636299  Münster  Cinema Filmtheater Warendorfer Straße 45–47, 0251/30300  Nürnberg  Kommkino Königstraße 93, 0911/2448889  Offenbach  CinemaxX Berliner Straße 210, 01805/24636299  Oldenburg  Cine K Bahnhofstraße 11, 0441/2489646 · CinemaxX Stau 79–85, 01805/24636299  Potsdam Thalia Arthouse Rudolf-Breitscheid-Straße 50, 0331/7437020  Regensburg Wintergarten Andreasstraße 28, 0941/2980963 · CinemaxX Friedenstraße 25, 01805/24636299  Saarbrücken  kino achteinhalb Nauwieser Straße 19, 0681/3908880 · Kino im Filmhaus Mainzer Straße 8, 0681/372570  Schweinfurt KuK – Kino und Kneipe Ignaz-SchönStraße 32, 09721/82358  Stuttgart Cinemaxx an der Liederhalle Robert-Bosch-Platz 1, 01805/24636299  Trier Broadway Filmtheater Paulinstraße 18, 0651/96657200  Weiterstadt  Kommunales Kino Carl-Ulrich-Straße 9–11 / Bürgerzentrum, 06150/12185  Wuppertal  CinemaxX Bundesallee 250, 01805/24636299 1181  Würzburg CinemaxX Veitshöchheimer Straße 5a, 01805/24636299

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ISSN 1868-4009

Auch das noch …

SISSY freut sich über Nachwuchs: Gustav. 46


Tabu Kinderprostitution.

„Hauptdarsteller Garbacz macht diesen Film zu einem Ereignis.“ radio eins

„Wirklich ein starkes Stück realistisches Gegenwartskino.“ siegessäule

„Ein tief suggestiver, berührender Film.“ tagesspiegel

„Eindrucksvoll!“

süddeutsche zeitung

BESTER SCHAUSPIELER Karlovy Vary

BESTER SCHAUSPIELER Polish Film Festival

FILMPREIS FÜR KINDERRECHTE Unabhängiges Filmfest Osnabrück

AB 4. DEZEMBER AUF DVD!

Tomek ist fünfzehn. Der aufgeweckte Junge lebt an der polnisch– deutschen Grenze und ist es gewohnt, für sich selbst zu sorgen. Die Eltern, Lehrer und Priester sind schlechte Vorbilder und interessieren sich nicht für Tomeks Träume. Um die geliebten Sterne zu beobachten, fehlt in der Schule ein Obervatorium und dafür das Geld. Um die Ansprüche seiner ersten Freundin zu befriedigen

ebenfalls. Sein bester Freund Ciemny lässt sich im Grenzgebiet an deutsche Sextouristen vermitteln. Auch Tomek sieht bald, dass das eine Möglichkeit ist, schnell an Geld zu kommen. Nach den ersten Erfahrungen auf dem Strich lernt er schnell, wie das Geschäft funktioniert. Zu spät muss er erkennen, dass alles im Leben seinen Preis hat. Und der Preis, den Tomek zu zahlen hat, ist hoch.


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