RU 172 072 075 The Dodo-Trail

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THEMENSCHWERPUNKT | Trail-Running

gut 350 Mutige nehmen die 25 Kilometer in Angriff und das Gros der Masse, nämlich knapp 1.000 Sportler, reizt die 10-Kilometer-Variante. Etwa 200 Meldungen verzeichnet der Fun Run. Zurück zum Dodo. Er hat seine Pflicht erfüllt, und die Teilnehmer der 25-Kilometer-Strecke finden sich gut aufgewärmt am Start ein. Der Kommunikation- und Marketing-Direktor Yannick Doger de Speville hält noch eine kurze Ansprache über den Respekt vor der Natur, das freundschaftliche Miteinander und den Spirit des Trail-Laufens, dann schickt er mit einem lauten Knall die Meute auf den Kurs. Nach zwei Kilometern sind die schlammverschmierten Schuhe von der ersten Bachdurchquerung nass. So beginnt die Tortur mit dem Berganstieg Nummer eins. Ruhe stellt sich im Feld ein, dann durchbricht eine helle Stimme den leise keuchenden Chor. „Kann mir jemand sagen, wie lange wir jetzt schon unterwegs sind?“

Der Dodo-Trail auf Mauritius

THE DUTCH KILLED THE DODO

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FOTOS: JOCHEN SCHMITZ

Auf dem kleinen Parkplatz im Black-River-Gorges-Nationalpark liegt eine junge Frau auf dem Boden und gibt sich yogaähnlichen Übungen hin. Das, was sie da macht, sieht zwar gekonnt aus, doch zwischen all den markanten Läuferbeinen mutet es irgendwie merkwürdig an. Es ist kurz vor 8.00 Uhr an diesem letzen Sonntag im Juli 2015. Die mauritische Sonne schafft es nur stellenweise, durch das dichte Blätterdach hindurchzudringen. Allerdings ist es schon hell genug für die Offiziellen, somit zeichnen sie ohne künstliches Licht die Startnummern der Teilnehmer zur Kontrolle ab.

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a kommt aus dem Wald ein mannshohes Maskottchen in Gestalt eines Dodo gestakst, jenem längst ausgestorbenen flugunfähigen Vogel, der nur hier auf Mauritius und auf der Nachbarinsel Réunion vorkam. Schnell werden Fotoapparate und Handys gezückt, um ihn, mit oder ohne „Beistand“, abzulichten. Der Dodo jedoch hat es eilig, zusammen mit einer Trainerin soll er die Meute für ein Warm-up begeistern. Und tatsächlich, das ungleiche Duo schafft es, die Umstehenden zu animieren.

FOTO: JOCHEN SCHMITZ

von Jochen Schmitz

Ungläubige Blicke kreuzen sich auf der Suche nach der Fragestellerin. Diese wiederholt ihr Anliegen und outet sich so. Es ist die junge Yoga-Dame aus dem Startareal. „Keine 15 Minuten“, schmettert ihr ein mit jeglicher Technik ausgestatteter Mittfünfziger entgegen. Allgemeines Kopfschütteln. Dann flüchtet jeder wieder in seine eigene Welt, die Wiederholungstäter – von denen es hier viele gibt – wissen, was sie erwartet, die Frischlinge bekommen langsam eine

leidvolle Vorstellung. Doch zur Motivation bedarf es nur eines kurzen Aufblickens in die unfassbar attraktive Natur. Das Mittelfeld der 25er ist gerade einmal seit 70 Minuten auf dem Track, da spurtet an ihm in beneidenswerter Frische Ricky Lightfoot vorbei. Seinem Laufstil ist nicht anzusehen, dass bereits knapp 30 Kilometer in den Beinen stecken. Der Brite gewann das Rennen über den langen Kanten mit einem Streckenrekord im Jahr zuvor und ließ im Gespräch mit RUNNING – Das Laufmagazin am Vorabend des Wettkampfes keinen Zweifel über seine Ambitionen zur Titelverteidigung aufkommen. Das Talent aus Maryport mit der Vorliebe für Speiseeis und Fell Races hat für die Überholten sogar noch aufmunternde Worte im Gepäck. Nach sechs Kilometern über akzeptabel passierbare Wege präsentiert sich auf etwa 600 Meter Höhe der erste Verpflegungspunkt. Die Spezialitäten des Hauses sind neben einer atemberaubenden Sicht auf das bisher Geleistete, Käsewürfel, die aufgrund der Temperaturen um die 25 Grad mit ihrer Beschaffenheit kämpfen. Noch ein Schluck Cola auf den Gouda, dann heißt es ab zum freien Fall – es geht wieder hinunter auf Ausgangsniveau. Nun allerdings über schmale Pfade, die von Wurzelwerk gespickt sind. Teilweise ist es so steil, dass Seile zur Hilfe genommen werden. Wem das nicht reicht, der funktioniert abgestorbene Äste in Natur-Trail-Stöcke um.

All das geschieht im Rahmen des exotischen Dodo Trail inmitten des Indischen Ozeans. 2011 fand seine erste Austragung statt. Seitdem freuen sich die Organisatoren über den stetig wachsenden Zuspruch. Zur Auswahl stehen mittlerweile die Distanzen 50 Kilometer (mit über 3.500 Höhenmetern), 25 Kilometer (über 1.500 Höhenmeter), 10 Kilometer (mit über 500 Höhenmetern) und ein Fun-Run über 5 Kilometer. Die heuer aus weltweit 16 Ländern angereisten Teilnehmer entscheiden sich mit knapp 100 Startern für die Langdistanz,

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Der Dodo Der Dodo war ein etwa einen Meter großer und 20 Kilogramm schwerer, flugunfähiger Vogel, der lediglich auf den Inseln Mauritus und Réunion bis etwa zum Jahr 1690 vorkam. Aufgrund seiner schwachen Brustmuskulatur konnte er sich nicht in die Luft erheben. Diese Tatsache verdammte ihn dazu, auf dem Boden zu brüten, was wiederum zu seinem Verhängnis wurde. Verwilderte Haustiere sowie auf die Insel eingeschleppte Ratten plünderten seine Nester. Wer sich auf Mauritius mit den Einheimischen über ihr Wappentier unterhält, hört allerdings eine andere Variante, warum der Dodo nicht mehr existiert. Bei ihnen heißt es „the Dutch killed the Dodo“, was darauf beruht, dass das Fleisch des Vogels den holländischen Seefahrern für ihre langen Fahrten als Proviant gedient haben soll.

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Nachdem sich der Pulk endlich mal wieder in der Horizontalen vorankämpfen darf, fällt mir in der Ferne eine Reflexion auf. Als wir uns dieser nähern, erkenne ich die Ursache. Ein Kampfrichter sitzt gemütlich auf einem Plastikstuhl und hält mit seinem Fernglas nach den Teilnehmern Ausschau, um ihre Startnummern an einen zweiten Helfer zur Kontrolle durchzugeben. An dieser Stelle befindet sich auch der nächste Versorgungsposten. Selbst wenn es von hier nur noch neun Kilometer bis ins Ziel sind, liegt die größte Herausforderung noch vor uns. Der Tourelle du Tamarin wartet zur Überquerung. Seine Höhe von etwa 560 Metern ist nicht die Knacknuss, vielmehr sind es seine technisch extrem delikaten Auf- und Abstiege. Es scheint so, als wolle der Berg testen, ob wir seiner würdig sind, dazu lässt er uns an seiner Flanke an einigen Ausläufern die Hörner abstoßen. Zum ersten Mal in diesem Wettbewerb zwingt die Streckenführung zahlreiche Starter auf alle viere. Bevor wir dem Tourelle du Tamarin gänzlich verfallen, dürfen wir an der letzten Verpflegungsstelle noch einmal durchpusten. Die Aussicht hinunter auf die blaue Farbvielfalt des Indischen Ozeans ist himmlisch, der Blick hoch zum Gipfel teuflisch. Von Cathy gibt es keine Spur. Schade, hoffentlich macht ihr die Unerfahrenheit keinen Strich durch die Rechnung. Ich warte noch eine Iso-Drink-Länge, dann wird es ernst. Wie kann etwas so unendlich erschöpfend und zugleich so beispiellos schön sein? Der schmale Steig avanciert zur kräftezehrenden Kletterpartie. Mit jedem Meter, den sich der Tross in die Höhe schraubt, gestaltet sich das Panorama fantastischer. Noch einmal ziehen wir uns per Seil nahezu in den Himmel, dann ist es geschafft. Keuchend stehen

die Sportler mit in den Hüften gestemmten Händen auf der Bergkrone. Jeder verweilt hier, bis zum Horizont blickend. Der Tuschkasten der Natur breitet seine gesamte Palette an Grün- und Blautönen aus.

Ende der Odyssee noch einen hüfttiefen Bach als Hindernis gewählt. Nach der Durchquerung sind wir ausreichend dekoriert und dürfen jetzt so, sehr zur Freude des Publikums, der Medaillenausgabe entgegeneilen.

Unten im Tal ist das Zielgelände ganz klein auszumachen. Der Gedanke, zu guter Letzt dort die Füße hochlegen zu dürfen, animiert. Zuerst kletternd, dann springend und irgendwann endlich wieder laufend, nähern wir uns der Finishline. Durch die mittlerweile sehr starke Sonneneinstrahlung sind Schuhe und Textilien wieder vollkommen getrocknet. Folgerichtig ist somit der Matsch von den Beinen abgebröckelt. Doch welcher Zuschauer will solch geleckte Teilnehmer bei einem Trail-Run sehen? Also hat der Veranstalter kurz vor dem

Im Reich der erschöpften Helden präsentieren sich Unternehmen wie MCB, Swan oder MTPA. Ohne ihre Unterstützung wäre ein solches Event nicht finanzierbar. Am Stand der Heritage Resorts komme ich mit dem Communication Executive Guillaume Lefébure ins Gespräch. Mich interessiert, warum sein Arbeitgeber den Dodo Trail sponsort. „Wir möchten den Sport- sowie den grünen Tourismus auf der Insel fördern. Das Konzept dieses Rennens passt mit seiner Philosophie zu Mensch und Natur zu unserer Firmenideologie.“ Si-

FOTOS: JOCHEN SCHMITZ · VLH

Jetzt kann ich meine Neugier nicht mehr zügeln und spreche sie kurze Zeit später an. Die junge Dame heißt Cathy. „Ich komme aus Südafrika, genauer gesagt aus der Kapregion, und bin mit meinen Freunden hier“, verrät sie. Das ist nichts Ungewöhnliches, viele Touristen von dort sind auf Mauritius, da die Flugzeit von Kapstadt auf die Insel lediglich fünf Stunden beträgt. „Meine Leute sind schon in den letzten Jahren beim Dodo gewesen und schwärmten mir so lange davon vor, bis ich zugesagt habe, mitzukommen. Deshalb stehe ich hier mit Dir im Nichts“, lächelt sie und klettert über den nächsten Felsbrocken.

Als ich nachfrage, erfahre ich, dass ihre Begleiter als ambitionierte Trail-Läufer über die 50-Kilometer-Strecke gestartet sind. „Ich laufe viel mit meinem Hund, aber eher auf der Straße. Außerdem mache ich Wassersport wie Kite-Surfen und zelebriere Yoga am Strand“, erklärt das Energiebündel. Bevor wir uns auf einem schmalen Pfad aus den Augen verlieren, gesteht sie mir noch: „Dies ist mein erster Wettkampf überhaupt.“

FOTOS: JOCHEN SCHMITZ · WIKIMEDIA COMMONS

Zwischen all diesem nahezu unbeholfenen Gewusel flitzen gekonnt die Verfolger Ricky Lightfoots hindurch. Sie zeigen Verständnis für die Amateure, kein Geschubse, keine blöde Bemerkung. Alles ist so, wie es Yannick Doger de Speville beim Start betonte: Hier treffen sich Freunde mit der Schnittmenge OutdoorSport. Manchmal wird ein Miteinander vonnöten, wenn sich beispielweise eine Passage als zu anspruchsvoll erweist. Auch bei einer Doppel-Leiter zum Überwinden eines hohen Zaunes ist Hilfsbereitschaft angesagt. Als ich beim Herunterklettern meinen Vordermann stütze, erspähe ich auf der gegenüberliegenden Seite auf Augenhöhe ein Paar rosa Laufschuhe. Sie gehören zur Yoga-Lady.

cherlich dient es auch dazu, die Teilnehmer als Gäste in die stillvollen Ferienanlagen der Heritage Resorts zu locken. Beim Royal Raid, einem weiteren Trail auf der Insel, ist die Touristikgruppe Naiade mit ähnlichen Ambitionen engagiert. Mir zieht der Duft von herrlich herzhaftem Essen in die Nase. Er kommt aus dem großen Zelt, wo alle Finisher an einem Buffet reichlich zugreifen dürfen. Mit einem maßlos überladenen Teller jongliere ich entlang der vollbesetzten Tische. Etwas entfernt, erblicke ich den Eis lutschenden Ricky auf einer Bank. Längst hat es sich herumgesprochen, dass er mit ziemlich deutlichem Abstand gewann. Allerdings sitzt er nicht alleine dort, Cathy leistet ihm Gesellschaft. Noch während ich auf die beiden

zusteuere, wirft sie mir ein „wo bleibst Du denn, ich warte hier schon seit über einer halben Stunde auf Dich“ entgegen. Wie sie das gemacht hat? Keine Ahnung, aber eine Yoga-Praktizierende nennt man in Indien auch Yogini, was so viel wie Zauberin bedeutet.

To-dos auf Mauritius • Freitagsabend zum Tamarin Public Beach (keine Touristen, nur Einheimische) • die kleine Insel Île aux Aigrettes mit ihrer fabelhaften Tierwelt besuchen • Kitesurfen oder Stand-up-Paddling in einem der großen Resorts ausprobieren • Barfußlaufen auf einem der weitläufigen Golfanlagen (um Erlaubnis bitten) • Besichtigung einer der großen Zuckerrohrplantangen oder Zuckerrohrfabriken

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