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REPORTAGE | Einer von 11.122

von Eva Krusat

Wenn man am Rande eines Marathons steht und die Menschen laufen sieht, ertappt man sich möglicherweise dabei, dass man den Stil der Vorbeiziehenden analysiert, die Haltung beurteilt und die Pace mit der eigenen vergleicht. Dinge, die offensichtlich sind. Dinge, die man von außen bewerten kann. Was man nicht sieht, ist, welche persönlichen Fügungen sich hinter dem Läufer verbergen. Was den Menschen und den Sport zusammengebracht hat. Jeder Mensch hat seine ganz eigene Geschichte.

eim Frankfurt Marathon 2014 haben 11.122 Finisher die Ziellinie überquert. 11.122 Sportler bedeuten 11.122 Geschichten. Eine davon ist die von Martin Hildermann, Startnummer 9189, grünes Shirt, rotes Käppi. Ein ganz normaler Mann, Jahrgang 1985, Zielzeit vier Stunden. Ein ganz normaler Läufer? Einer von 11.122!

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Vom Bootcamp in Mittelamerika zum Frankfurt Marathon 174

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FOTO: SILAS STEIN

Einer von 11.122

Die Story von Martin beginnt in Belize, einem mittelamerikanischen Zwergstaat mit knapp 331.000 Einwohnern. Sie beginnt in einer Isolationshaftzelle, einem Loch ohne Fenster, ohne Komfort, das Klo ein Eimer in der Ecke. Dort sitzt Martin, nachdem er bei einem Einbruch in eine Bäckerei 370 Dollar erbeutet hat. Eigentlich wollte er in Belize alles anders machen. Ein Neuanfang, frei von den Altlasten aus Deutschland und mit einem geregelten Job als Rettungssanitäter, dem Beruf, in dem Martin seine Ausbildung gemacht hat und in dem er in seiner Heimat – selbst zu den Zeiten ohne seine Vorstrafen – nie eine Festanstellung fand.

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Was ihn erwartet, ist eine Mischung aus hartem körperlichen Drill und intensiver Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Das Vorbild für den therapeutischen Teil bildet das spirituelle Zwölf-Punkte-Modell der Anonymen Alkoholiker, das mit einem leicht spirituellen Anklang auf Selbsterkenntnis, Sühne und Vergebung basiert. Eine Verweigerung wird nicht geduldet. Erzeugt der Häftling Probleme oder gibt es Schwierigkeiten mit ihm, folgen die Konsequenzen sofort. Wer nicht spurt, fliegt raus. Martin lässt sich darauf ein. ■ Die Anklageschrift, die Martin in Belize hinter die Gitter brachte.

Für die Anreise zu einem Vorstellungsgespräch fehlt ihm das Geld, und statt sich auf legale Weise etwas zu verdienen, bricht er in eine Bäckerei ein und landet nun auch in Belize im Knast, wo er als einziger Gefangener mit weißer Hautfarbe von Wärtern und Mithäftlingen gleichermaßen gegängelt und schikaniert wird. Irgendwann kommt es zur offenen Konfrontation. Ein Vollzugsbeamter verwehrt ihm den Durchgang zu seiner Arbeitsstelle. Für Martin, der dort unbedingt anwesend sein muss, um nicht bestraft zu werden, ein Affront. Das Wortgefecht entgleist, Martin landet in der Isolationszelle zur Einzelhaft. Von dort hinaus gibt es nur zwei Wege. Entweder die harte Tour in dieser Zelle oder die Teilnahme an einem viermonatigen Bootcamp und danach wieder normale Haft. Der Deutsche entscheidet sich für Letzteres.

„Die Botschaft ist klar: Es gibt klare Regeln, die man befolgen muss. Da heißt es, mach hundert Liegestütze, dann mach ich hundert Liegestütze. Ohne irgendeine Möglichkeit, sich herauszureden oder auf sonstige Art um die Strafen herumzudrücken.“ Für Martin, den verurteilten Kleinkriminellen und Betrüger, ist das „die Rettung“, wie er selber sagt. „Vorher habe ich mich immer wie ein Aal durchs Leben geschlängelt. Ich bin immer mit allem irgendwie durchgekommen. Aber da gab es klare Regeln, eine klare Struktur. Das musste ich lernen.“ Rückblick ins Jahr 2002: Unser Protagonist hat den Realschulabschluss in der Tasche. Er lässt sich zum Sanitäter ausbilden und arbeitet im Rettungsdienst. Die begehrte Festanstellung aber bekommt Martin nicht. Weil er seinen Traumjob nicht aufgeben möchte, hangelt er sich von Mini-Jobs, stundenweiser Beschäftigung auf geringfügiger Basis und befristeten Teilzeitstellen von Rettungswache zu Rettungswache und

von Stadt zu Stadt. Um finanziell über die Runden zu kommen, arbeitet er nebenbei als Beikoch und im Callcenter. Trotzdem ist das Geld immer knapp. Irgendwann entdeckt er, dass man auch dann mit einer EC-Karte bezahlen kann, wenn das Konto nicht gedeckt ist und dass es im Internet sowie in Geschäften möglich ist, Waren auf Rechnung oder per Finanzierung zu kaufen. Aber Martin hat nicht genug Geld, um die Raten zu tilgen. Die Schulden häufen sich an, und irgendwann bricht alles zusammen. Er wird im Laufe zweier Jahre zu zwei Freiheitsstrafen auf Bewährung verurteilt.

■ Martin bei seinem Jail-Run im Jahr 2014 ...

Es ist ihm zu diesem Zeitpunkt durchaus klar, dass es so nicht weitergehen kann. Er versucht, einen Schlussstrich zu ziehen und sich zu ändern. Ein Umzug nach Österreich soll ihm dabei helfen. Hier kennt ihn niemand, hier kann er noch einmal ganz neu anfangen. So einfach ist es dort dann eben doch nicht. Der Plan, eine Lehre als Koch zu beginnen, scheitert. Stattdessen folgen erneut Gelegenheitsjobs. Martin ist Taxifahrer. Martin ist Türsteher. Und Martin ist Rettungssanitäter. Unbezahlt. In diesem, seinem eigentlichen Beruf findet er keine Anstellung. Also arbeitet er ehrenamtlich. Und dann kommt der Brief vom Gericht. Martin soll nach Deutschland zurückkehren. In seiner Abwesenheit wurde er erneut verurteilt, insgesamt beläuft sich seine Freiheitsstrafe nun auf etwa dreineinhalb Jahre. Er bekommt Panik. Bei Wikipedia sucht er nach Ländern, deren Einreisebestim-

mungen lax genug sind, um ihm auf die schnelle ein neues Zuhause zu bieten. Er findet Belize. Ein paar Tage später sitzt Martin im Flugzeug. Belize. Martin schwitzt. Er macht Liegestütze, wenn die Wärter im Camp es verlangen. Er redet über die Fehler seiner Vergangenheit. Er sagt nicht länger, dass die Umstände Schuld waren, son-

■ ... und kurz vor dem Zieleinlauf beim Triathlon in Goch.

dern sucht die Schuld jetzt bei sich. Er schreibt Briefe an die Menschen, denen er Schaden zugefügt hat. Und er begreift, dass letztlich er es ist, der die Verantwortung für sein Leben trägt. Er allein. Martin beschließt, sein Leben zu ändern. Er will nicht mehr davonlaufen. Kurz vor Ende seiner Zeit im Bootcamp kontaktiert er das Bundeskriminalamt und bittet darum, seine in Deutschland

noch offene Haftstrafe antreten zu dürfen. Im Mai 2012 kehrt er zurück und landet direkt im geschlossenen Vollzug. Deutsche Gefängnisse unterscheiden sich massiv von Bootcamps in mittelamerikanischen Staaten. In Belize gab es wenig Essen und reichlich Bewegung, in Deutschland ist es andersherum. Martin, der während seiner Zeit im Boot-

Persönliche Ziele erreichen r Fit fü Training sives mpf intennd Wettka u

Das spezifische Leistungs-

■ Links: Das Gefängnis, in dem Martin in Belize einsaß. Rechts: Die zwölf Schritte der Anonymen Alkoholiker als Grundlage des Programms im Bootcamp.

FOTOS: MARTIN HILDERMANN

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run -shop.com Stunden finisht er und ist wahnsinnig glücklich. Das erste Mal in seinem Leben hat er auf etwas Bestimmtes hingearbeitet, sich angestrengt und etwas zu Ende gebracht. „Unglaublich“, wie er sagt.

■ Zwei glückliche Vereinskollegen beim Marathon in Frankfurt.

camp 60 Kilo abnahm, bekommt Angst, dass er hier wieder zunimmt. So starke Angst, dass er eine Essstörung entwickelt. Ein Mann mit einer Essstörung ist im System des deutschen Strafvollzugs kein drängendes Problem. Die ohnehin begrenzten Therapieplätze gehen eher an Gewalttäter. Martin muss sich selber helfen. Jeder Gefangene darf täglich für eine Stunde in den Freihof, einen zubetonierten Platz mit 180 Metern Umfang. Dort beginnt Martin, zu laufen. Anfangs schämt er sich aufgrund seiner mangelnden Kondition fürchterlich vor den anderen Gefangenen, aber Stück für Stück gewinnt er Selbstvertrauen. Nach einigen Monaten seines Einsitzens richtet die JVA Geldern einen Zehn-Kilometer-Lauf innerhalb der Mauern aus. Martins sportliches Ziel. Nach 1:17

Der Rest der Geschichte des Läufers in Frankfurt mit der Nummer 9189 klingt wie aus einem Lehrbuch für erfolgreiche Strafresozialisierung entnommen. Da Martin als vorbestrafter Rettungssanitäter nach seiner Entlassung auf dem ohnehin angespannten Arbeitsmarkt chancenlos ist, verzichtet er auf die vorzeitige Entlassung, die ihm wegen guter Führung zuerkannt wird und beginnt im Gefängnis eine Lehre als Industriemechaniker. Nebenher betreibt er weiterhin Sport. Um ihn zu unterstützen, nimmt die Anstalt Kontakt zur Triathlonabteilung des SV 19 Straelen auf. Nach kurzer Bedenkzeit beschließt der Verein, Martin ungeachtet seiner Vergangenheit und aller damit verbundenen Ressentiments eine Chance zu geben und lädt ihn ein, am Training teilzunehmen. Zu diesem Zweck darf Martin, obwohl er immer noch inhaftiert ist, die Anstalt mehrfach wöchentlich verlassen. Als im letzten Jahr der Jail-Run erneut stattfindet, nimmt Martin wieder teil. Diesmal läuft er die zehn Kilometer in knapp über 50 Minuten. Und er steckt sich größere Ziele. Der Frankfurt Marathon soll es sein. Nur er und die 42,195 Kilometer. Als es Ende Oktober so weit ist, läuft er die Strecke in knapp über

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vier Stunden. Im Sommer 2015 wird Martin entlassen. In der Tasche hat er dann einen zweiten Berufsabschluss. Vor allem aber hat er eine Perspektive. Er hat über den Sport Freunde gefunden, ein soziales Netz aufgebaut, das ihn hält und es ihm erleichtern wird, nach dem Gefängnis wieder Anschluss an die Gesellschaft zu finden und nicht mit der Stigmatisierung eines Ex-Häftlings vor verschlossenen Türen zu stehen.

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„Da jeder meine Vergangenheit kennt, brauche ich mich nicht verstellen und kann einfach ich sein. Ich freue mich, endlich meinen Platz gefunden zu haben“, sagt Martin am Ende einer langen Odyssee, die ihn von Deutschland über Österreich in ein dunkles Loch am anderen Ende der Welt und schließlich zu sich selbst geführt hat. Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte. Hinter jedem Läufer verbirgt sich ein eigenes Schicksal. Dies ist die Geschichte von Martin Hildermann, einem ganz normalen Läufer. Einem von 11.122.

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■ Martin hat es geschafft. Er hofft, dass seine Geschichte andere Menschen motiviert. Bei Interesse stellt die Redaktion gerne Kontakt zu ihm her.

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RUNNING | 3/2015

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