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REPORTAGE | Laufen im All

LAUFEN IM ALL von Edith Zuschmann

Sie laufen, sie fahren auf dem Ergometer, sie stemmen Gewichte. Während einer Mission im All zählt das tägliche körperliche Training zu den wichtigsten Alltagsbeschäftigungen eines Astronauten. Dabei geht es nicht darum, dem geliebten Hobby nachzukomen – es ist die Lebensversicherung im All, und das vor allem bei der Rückkehr zur Erde. Warum das so ist und wie ein Raumfahrttraining vonstattengeht, das schilderte RUNNING – Das Laufmagazin einer der drei European Space Agency Astronauten Fitnesstrainer, André Rosenberger.

LAUFEN IM ALL

ein Job als Exercise Specialist oder auf „neudeutsch“ Astronauten-Trainer hat Seltenheitswert. Aktuell gibt es nur drei Stellen innerhalb der European Space Agency. Das liegt am doch sehr exklusiven Klientel: den Astronauten. André Rosenberger betreut seit gut zwei Jahren Weltraumfahrer vor, während und nach ihren Allmissionen.

S

Schwerelos

bei Notfällen, bei denen die Astronauten schnellstmöglich auf die Erde zurückkehren müssen, ist die körperliche Fitness entscheidend, um sich aus der Landungskapsel selbstständig zu befreien.“

Trainees müssen ein technisch korrektes Krafttraining umsetzen können. Nur so ist sicherzustellen, dass es während der Mission zu keinen Verletzungen kommt“, verdeutlicht Rosenberger.

Bestmögliche Vorbereitung

Schnell Routine finden

Dieser Tatsache sind sich die Astronauten bewusst. Dementsprechend richten sie bereits vor der Reise in den Weltraum ihren Alltag ganz auf dieses entscheidende Kriterium aus. Einmal pro Jahr durchlaufen sie einen umfangreichen Fitness-Test. Dabei werden neben der Ausdauer und Kraft die Balance, Koordination und Beweglichkeit evaluiert. Die Ergebnisse weisen André Rosenberger die Richtung für die Erstellung der individuellen Trainingspläne. Das Ziel ist klar: den Körper bestmöglich auf die bevorstehenden sechs Monate im All vorzubereiten. Ebenso gilt es, die Belastungen im All abzusichern. „Unsere

Die ersten Tage außerhalb der Erdatmosphäre: Der Körper des Weltraumfahrers braucht Zeit, um sich auf die ungewohnten physikalischen Vorzeichen einzustellen. Trotzdem muss er bereits innerhalb kürzester Zeit in seine Trainingsroutine finden, denn das rund zweistündige Programm zählt zu den Fixpunkten des Weltraum-Alltages. Dafür stehen drei Geräte zur Verfügung. Sie gehören zur Grundausstattung jeder Raumstation. „Fallen diese Trainingsgegenstände längerfristig aus, so muss laut den Raumfahrtregeln die Besatzung umgehend auf die Erde zurück. Ihre Gesundheit steht auf dem Spiel.“

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FOTO: ESA

FOTOS: ESA · SXC

Eine große Verantwortung Die an ihn gerichtete Aufgabenstellung lautet: seine Athleten so aufzubauen, dass sie mit der höchstmöglichen körperlichen Fitness ins All reisen, wieder fit auf die Erde zurückkehren und die Akklimatisierung so rasch wie möglich bewältigen. Das ist ein sehr verantwortungsvoller Auftrag. „Die tägliche körperliche Betätigung ist für die Astronauten überlebensnotwendig. Nur so können sie im schwerelosen Zustand die Leistungsfähigkeit des Herz-KreislaufSystems und der Muskulatur aufrechterhalten, um sich nach ihrer Rückkehr zur Erde wieder rasch an das Gravitationsfeld der Erde zu gewöhnen,“ erklärt Rosenberger und ergänzt: „Vor allem

■ Der deutsche Astronaut Alexander Gerst beim Training im All.

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REPORTAGE | Laufen im All

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André Rosenberger André Rosenberger ist einer von derzeit drei Trainern bei der European Space Agency, die dafür verantwortlich sind, Weltraumfahrer für ihre Missionen und die Zeit danach fit zu machen.

treten. Ähnlich verhält es sich bei der Bedienung des Laufbandes: Ein Gurt wird über Hüfte und Schultern angelegt. Mithilfe von elastischen Bungee-Seilen fixiert sich der Astronaut in den Ankern, die am Gerät angebracht sind. Diese Konstruktion zieht den Nutzer nach jedem Abdruck wieder zurück aufs Band. So wird die Schwerelosigkeit überlistet. „Je kürzer die Seile, desto stärker die Spannung und höher die Belastungsintensität, da der Läufer so annähernd sein gesamtes Körpergewicht tragen kann“, führt der Experte aus.

Für die Kraft

Gute und schlechte Tage

Zur Aktivierung sämtlicher Muskelgruppen steht ein Kraftgerät mit Vakuumzylindern bereit. „Diese Trainingsform gilt als die große Herausforderung für Trainer und Astronaut gleichermaßen“, weiß Rosenberger. „Aufgrund der Schwerelosigkeit muss bei Beinübungen zum jeweiligen Übungsgewicht zusätzlich das Körpergewicht hinzugerechnet werden, um annähernd den gleichen Effekt wie auf der Erde zu erzielen. Diese Steigerung funktioniert natürlich nicht sofort. Es bedarf einer progressiven Erhöhung des Gewichts, wobei wir am Anfang dem Astronauten die Steuerung überlassen. Er kann als Einziger beurteilen, wie er in den ersten Tagen und Wochen bestmöglich mit der Trainingsbelastung zurechtkommt.“

Im All zu laufen, erscheint im ersten Moment wie ein leichtfüßiges Dahinschweben. „In den ersten Wochen kämpfen die Astronauten mit der individuellen Justierung ihres Gurtes“, gibt Rosenberger zu bedenken. „Durch das ständige Herunterziehen auf’s Laufband entstehen an Schultern und Hüfte häufig unangenehme Scheuerstellen. Zudem muss der Astronaut möglichst bald einen für sein Herz-Kreislauf-System passenden Trainingsreiz setzen, um dem Verlust der Ausdauerfähigkeit entgegenzuwirken.“ Passend zur aktuellen körperlichen Verfassung können die Astronauten aus mehreren Trainingsprotokollen von André Rosenberger und seinen Kollegen wählen. „Auch im Weltraum hat man bessere und weniger gute Tage“, meint André lachend.

mehrheitlich via E-Mail statt. Eine große Herausforderung, vor allem wenn es um die Erklärung komplexer Bewegungsabläufe oder Trainingsangaben geht. Daher freut sich André Rosenberger ganz besonders auf die drei einstündigen Live-Schaltungen zur Raumstation. „Wir haben dank einer Audio- und Video-Live-Schaltung die Möglichkeit, in Echtzeit unseren Trainees ein Feedback zu geben, ob sie etwa ihre Kraftübungen korrekt umsetzen. Das sind großartige Momente für mich“, so der Sportwissenschaftler. Neigt sich die Mission dem Ende zu, steigt beim sportlichen Betreuerstab erneut die Spannung. Haben es die Astronauten zu ihrer höchsten Leistungsform geschafft? Sind sie in der bestmöglichen körperlichen Verfassung, um gesund auf die Erde zurückzukehren?

Prozent ist die Folge, welcher natürlich einen negativen Einfluss auf die Leistung des Herzens hat. Daher ist das ständige Feedback der Astronauten zur Intensität ihres Trainings wichtig für uns“, schildert Rosenberger. Um keine unnötigen Schwierigkeiten hervorzurufen, lautet die Vorgabe der Exercise Crew: nicht über der – auf der Erde gemessenen – maximale Herzfrequenz arbeiten. Gemeinsam mit den Flight Surgeons, den betreuenden Ärzten der WeltraumCrew, analysieren die Sportwissenschaftler penibel das Training. „Im Team können wir bestmöglich für die Gesundheit der Astronauten sorgen.“

Per E-Mail, Audio und Video Während einer Mission findet die Kommunikation zwischen der Weltraumstation und dem Exercise-Specialist-Büro

Tag der Wahrheit Nach sechs Monaten im All kommt der Tag der Wahrheit. Um das Gesundheitsrisiko der Astronauten so gering wie möglich zu halten, werden die Angekommenen durch ein Hilfsteam aus der Kapsel getragen. Denn nach dem Motto „Use it or loose it“ hat der Körper im All verlernt, aktiv Blut aus den Beinen ins Gehirn zu pumpen. Das war im schwerelosen Zustand nicht in dem Maße notwendig. Es dauert einige Tage, bis sich der Organismus wieder an die physikalischen Gesetze der Erde gewöhnt hat. „Je besser der Weltraumfahrer im All trainiert hat, desto schneller erholt er sich“, weiß Rosenberger, fügt aber hinzu, „dass die Erholungsphasen sehr individuell sind. Je nach Körpersystem kann es Tage oder sogar Monate dauern.“

Für das Herz-Kreislauf-System Für das Training des Herz-KreislaufSystems stehen der Weltraumbesatzung zwei weitere Geräte zur Verfügung: ein Fahrradergometer und ein Laufband. Wobei das Space-Ergometer wenig mit einem Erd-Standfahrrad gemeinsam hat. „Es verfügt weder über Lenker noch Sattel. Diese sind aufgrund der Schwerelosigkeit unnötig“, so Rosenberger. Stattdessen macht sich der Trainierende mit einem Gurt am Gerät fest, steigt in die Klickpedale und beginnt zu

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Die Belastungssteuerung erfolgt via Watt, Geschwindigkeit oder Zeit. Parallel dazu erfassen die Trainees ihre Herzfrequenz. „Ein direkter Vergleich mit den Herzfrequenzbereichen auf der Erde wird allerdings erschwert, denn der Körper leitet Gegenmaßnahmen ein, um die durch die Schwerelosigkeit resultierende Flüssigkeitsverschiebung in Richtung Oberkörper und Kopf auszugleichen. Ein Blutvolumenverlust von bis zu 20

■ Drei Geräte stehen den Astronauten für ihre körperlichen Aktivitäten in der Weltraumstation zur Verfügung.

FOTOS: SXC · ESA · JAMES BLAIR/NASA/JSC

Im Team für das Team

Ab ins Wasser Umgehend nach ihrer Rückkehr hilft ein umfangreiches stationäres Rehabilitationsprogramm den Astronauten, sich wieder physisch und psychisch einzuleben. Dabei wird erneut täglich an der

Fitness gearbeitet. „Die tiefliegende Rückenmuskulatur, die zur Stabilisierung der Wirbelsäule wichtig ist, und auch die Motorik zählen zu den wichtigsten Komponenten.“ Begonnen wird meist mit Schwimmeinheiten, denn das Medium Wasser gleicht am ehesten dem schwerelosen Zustand. Nach dieser Eingewöhnung geht es in den FitnessRaum. Dank der gezielt geführten Aufbauarbeit passen sich die Muskeln rasch wieder an die herrschenden Erdkräfte an, und die ersten Laufeinheiten werden wieder möglich.

Erfahrungen für die Erdbevölkerung „Die längste Regenerationsphase benötigen die Knochen. Das kann je nach Menschentyp und Knochenregion mehrere Monate dauern, um den Ausgangswert wieder zu erreichen“, so Rosenberger, und er ergänzt: „Untersuchungen zeigen, dass einige Astronauten noch über Jahre unter ihrem alten Niveau liegen können.“ Studiendaten aus der Arbeit mit Astronauten werden fortlaufend gesammelt und analysiert. Viele davon finden bereits in den unterschiedlichsten Bereichen Anwendung. „Was die sportwissenschaftlichen Erkenntnisse für Athleten angeht, stehen wir erst am Anfang. Noch ist die Anzahl der betreuten Personen zu gering, um daraus generelle, evidente Aussagen zu tätigen.“

notwendig. Zudem wird das HerzKreislauf-System weniger beansprucht. Somit kann sich das System rascher erholen, die Regeneration wird entscheidend gefördert.

Kein Entkommen Außerdem gilt, dass monotones Training im All und auf der Erde keine Leistungssteigerung bringt. Es müssen ständig unterschiedliche physiologische Systeme gereizt werden. Ein ausschließliches Krafttraining würde dem Astronauten wahrscheinlich helfen, heil auf die Erde zurückzukommen, aber durch den Verlust der Ausdauerfähigkeit wären für ihn selbst kürzeste Strecken nicht machbar. Im Gegenzug scheint ein ausschließliches Ausdauerprogramm nicht genügend, um bei einsetzender Gravitation ein Smartphone zu halten. Einmal mehr wird klar, dass es selbst in den unendlichen Weiten des Weltraums für die Menschheit vor dem aktiven Tun kein Entkommen gibt. Im Gegenteil: Es muss noch ernsthafter betrieben werden.

Wie die Profis Eine sehr spannende Erkenntnis konnte er bereits aus seiner Arbeit ziehen: Die meisten Astronauten sind Piloten oder Wissenschaftler und keine Profiathleten. Trotzdem schaffen sie es während der Mission, mehr als zwei Stunden pro Tag zu trainieren. „Unserer Meinung nach ist das auf die Schwerelosigkeit zurückzuführen“, so der Wissenschaftler. Aufgrund der fehlenden Gravitation ist zwischen den Einheiten so gut wie keine Muskelanstrengung

■ Alexander Gerst war von Mai bis November 2014 mit zwei weiteren Raumfahrern im Weltall.

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REPORTAGE | Laufen im All

IM GESPRÄCH MIT … NASA-Astronautin

KAREN NYBERG von Edith Zuschmann

Die US-amerikanische Forscherin Karen Nyberg gehört seit 2000 dem NASA-Astronautenprogramm an. 2013 verbrachte sie nahezu ein halbes Jahr als Bordingenieurin auf der Internationalen Raumstation ISS. Es dauerte für uns endlose Monate mit viel Schriftverkehr und Telefonaten bis es zum folgenden Interview kam. Dann erzählte Nyberg RUNNING – Das Laufmagazin exklusiv von ihren sportlichen Aktivitäten im All.

RUNNING: Wie steuerten Sie ihr Training? Nyberg: Eine große Rolle spielt dabei die Belastung durch das Körpergewicht. Das wird durch das Gurtsystem und die elastischen Seile am Laufband gesteuert. Ich stieg mit etwa 50 Prozent meines Körpergewichts ein. Bis zum Ende der Mission erreichte ich etwa 90 Prozent. Hinzu kamen die Vorgaben unserer Fitness-Trainer, Intervalle oder NegativSplits zu laufen. RUNNING: Wie oft pro Woche liefen Sie? Nyberg: Durchschnittlich vier Mal. An den anderen drei Tagen nutzte ich das Ergometer.

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RUNNING: Was war die längste Distanz, die Sie am Stück zurückgelegt haben? Nyberg: 13 Meilen. RUNNING: Einen Halbmarathon auf einem Laufband zu bewältigen, ist eher eine monotone Angelegenheit. Wie haben Sie sich abgelenkt? Nyberg (lacht): Mit TV-Shows auf meinem iPad. In diesen sechs Monaten sah ich mir unzählige Shows an, so viel wie noch nie in meinem Leben. RUNNING: Wie reagierte Ihr Körper nach Ihrer Rückkehr aus dem All? Nyberg: Sportmedizinische Tests zeigten, dass mein VO2max sowie andere sportphysiologische Werte fast gleich geblieben waren. Doch das Laufen an sich fiel mir sehr schwer. Ich kann mich noch gut an die ersten zwei Meilen erin-

nern, sie fühlten sich furchtbar an. Es dauerte einige Monate, bis ich wieder längere Strecken laufen konnte. Das alte Laufgefühl ist aber bis heute nicht wiedergekommen.

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RUNNING: Woran liegt das? Nyberg: Das weiß ich leider nicht. Aber es wird mich nicht davon abhalten, wieder an Halbmarathons oder sogar an einem Marathon teilzunehmen. RUNNING: Dafür wünschen wir Ihnen alles Gute. Danke für das Gespräch.

FOTOS: NASA

Edith Zuschmann/RUNNING: Sie verbrachten 166 Tage im Weltraum. Wie haben Sie die Laufbandeinheiten in Erinnerung? Karen Nyberg: Ich brauchte einige Zeit, um mich an das Gurtsystem des Laufbandes zu gewöhnen. Anfangs ging ich nur auf dem Laufband. Nach und nach begann ich dann, zu laufen.


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