RUNNING - Das Laufmagazin Nr. 163 | Katrin von null auf zehn

Page 1

TITELSTORY | Von null auf zehn

l l u n n o v n i r t a K n h e z auf

eine Wende grundsätzlicher Art herbeizuführen. Im Januar wurde Katrin auf eine Aktion der in ihrer Region erscheinenden Tageszeitung aufmerksam, in deren Rahmen Nichtsportler

»Ich musste erst wieder lernen, ein Bewusstsein für meinen Körper und meine eigenen Bedürfnisse zu erlangen.« innerhalb eines Zeitraums von 15 Wochen in die Lage gebracht werden sollten, den Uhldinger Pfahlbau-10er am Bodensee an einem Stück zu absolvieren. „Ich erinnerte mich, wie gut mir das regelmäßige Laufen vor fünf Jahren getan hatte. Und wie ich im Nachhinein erkennen durfte, war der ‚Gruppenzwang‘ für mich richtig und wichtig, die Lauftermine einzuhalten und mich auch aufzuraffen, wenn es mir mal nicht so gut ging“, kommentiert Katrin ihren Entschluss, Teilnehmerin dieser Aktion zu werden.

von Andreas Schur

Katrin (Name von der Redaktion geändert) fühlte sich ständig müde und erschöpft. Nicht vom Sport. Diesem hatte die Frau in den Vierzigern – bis auf ein paar Fahrten mit dem Rad – seit fünf Jahren nicht mehr nachgeeifert. Es waren die Anforderungen als alleinerziehende Mutter zweier Töchter im Teenager-Alter, ihr berufliches Engagement und die Angst, erneut in eine Depression zu rutschen. Im November 2013 zückte ihr Arzt den berühmten Block mit den gelben Scheinen. Diagnose: allgemeine Erschöpfung, Ruhe dringend verordnet.

M

Zuvor hatte sie lange Zeit immer wiederkehrende psychosomatische Signale ignoriert – Kopfschmerzen, Erbrechen, Angstzustände. Es war an der Zeit,

136

RUNNING | 5/2014

FOTOS: ANDREAS SCHUR

it offenen Augen auf den Abgrund zuzulaufen, das wollte Katrin nicht mehr akzeptieren. Noch im Winter meldete sie sich zu einem Yoga-Kurs an. „In einer Übung sollten wir Teilnehmer eine Bewegung im eigenen Rhythmus weiterführen. Ich habe angefangen, zu weinen. Ich konnte es nicht. Ich wusste nicht, was mein eigener Rhythmus ist. Ich fühlte mich die ganzen letzten Jahre „fremdgetaktet“. Ich musste erst wieder lernen, ein Bewusstsein für meinen Körper und meine eigenen Bedürfnisse zu erlangen.“ Yoga war der Einstieg in ein neues Körpergefühl, das Erlernen von Atemtechniken eine neue, wertvolle Erfahrung.

Nach einer Kick-off-Veranstaltung unter Leitung des Lauftrainers Karl Duck vom veranstaltenden Verein TSV Mühlhofen Mitte Januar, in der die Teilnehmer der Aktion über Grundsätze der Trainingslehre, die notwendige Standardausrüstung und eine Übersicht über den konkreten Trainingsplan der nächsten 15 Wochen unterrichtet wurden, stand Katrin am 25. Januar dieses Jahres das erste Mal seit fünf Jahren wieder in den Laufschuhen. Ab diesem Zeitpunkt gab es zwei- bis dreimal Bewegung pro Woche. Unter fachkundiger Anleitung hieß es vorerst: Walking kommt vor Running. „Die ersten beiden Einheiten nur walkend zurückzulegen, war der richtige Einstieg“, erläutert Katrin und zeigt sich von der Zweckmäßigkeit des sanften Beginns unter der fachkundigen Anleitung der Trainer des TSV Mühlhofen überzeugt. Unter Gleichgesinnten war es für Katrin einfacher, wieder in den Laufsport einzusteigen. Das Gefühl nach dem ersten Training beschreibt sie wie

folgt: „Ich war geschafft, aber glücklich!“ Das Vertrauen in die Gruppe zu haben, dass sie niemand unter Druck setzen wollte und sie Leistungsansprüchen aus der Gruppe gerecht werden musste, fiel Katrin zu Beginn nicht leicht. „Ich fühlte mich wohler, mich zuerst am Ende des Feldes aufzuhalten. Lieber alle und alles im Blick behalten.“ Ab dem dritten Termin wechselten die Teilnehmer in behutsamen Intervallen von zunächst einer Minute, später in immer länger werdenden Etappen in den Laufschritt. Hinzu kamen „Hausaufgaben“ für Laufeinheiten außerhalb der Gruppen. Katrin wurde von ihrer 14-jährigen Tochter motiviert, mit ihr diese gemeinsam zu absolvieren: ein weiteres Plus für das enge MutterTochter-Verhältnis. Innerhalb der kommenden neun Wochen wurden die Gehpausen kürzer, die Lauf-Intervalle peu à peu länger. In den letzten drei Wochen der Vorbereitung kamen moderate Tempo-Blöcke hinzu, um neue behutsame Reize zu setzen. Die erprobte Vorge-


TITELSTORY | Von null auf zehn

an sich? Eine Herausforderung annehmen, mit unvorhergesehenen Schwierigkeiten umgehen, Selbstzweifel besiegen, um letztendlich zu triumphieren und wieder ein Stück zu wachsen. Das gelingt aber nur den Tapferen, die sich der Herausforderung stellen.

hensweise des Trainerstabs rund um Chef-Organisator Karl Duck zeigte bald Erfolge: Mit jedem Schritt wurden Selbstzweifel bei Katrin in Selbstbewusstsein gewandelt, sie stieg sogar in eine schnellere Laufgruppe ein. Schritt für Schritt hin zum Erfolg und zu mehr Körperbewusstsein. Schritt für Schritt heraus aus der Stressmühle. Seit vier Monaten hatte Katrin nun kein stressbedingtes Erbrechen mehr. Und das ohne Einnahme von Antidepressiva, die ihr zuvor für die Eindämmung der Beschwerden halfen. Am 10. Mai stand Katrin an der Startlinie in Unteruhldingen. Die Angst vor größeren Menschenansammlungen, die ihr vor einigen Jahren zu schaffen machte, konnte sie weitestgehend ablegen. Trotzdem herrschte bei ihr ein Spannungsgefühl zwischen Freude und Nervosität. Der Startschuss fällt, langsam setzt sich auch das hintere Feld in Bewegung … „Zum Anfang des Laufs war es schwierig, ohne die gewohnte Gruppe den eigenen Rhythmus zu finden. Ich war unsicher, ob ich mir die Kräfte richtig einteilen würde“, beschreibt Katrin ihre

»Zum Anfang des Laufs war es schwierig, ohne die gewohnte Gruppe den eigenen Rhythmus zu finden. Ich war unsicher, ob ich mir die Kräfte richtig einteilen würde.«

138

Bedenken zu Beginn der zehn Kilometer. Begleitet von ihrem Freund waren diese ersten Kilometer eine weitere Station auf dem Weg, den eigenen Rhythmus zu „erspüren“. Das Gefühl, das richtige Maß zu finden, damit die Kräfte bis zum Erreichen des Ziels halten, ist schließlich kein spezifisches Phänomen einer Wettkampfsituation, sondern es hilft auch, Anforderungen in Beruf, Familie und sonstigen Situationen zu meistern. Zwischen Kilometer sechs und sieben an einem Anstieg wurde Katrins neues Bewusstsein auf die Probe gestellt: Das Atmen fiel schwer, Selbstzweifel stiegen auf. „Ich habe zu dieser Phase des Laufes aktiv auf mich eingeredet: Ich bin der Situation nicht ausgeliefert, ich kann sie selbst steuern. Ich brauche keine Angst zu haben, niemand wird mir etwas zuleide tun.“ Die Atemübungen aus dem Yoga haben geholfen, damit sich Katrin wieder fing, indem sie tief in den Bauch hinein atmete. „Das Gefühl, das ich mich selbst lenken konnte, nicht ausgeliefert zu sein und selbst- statt fremdbestimmt zu sein, war hinterher schon ein richtig gutes Gefühl“, sagt Katrin und zeigt sich sichtlich erleichtert, nicht das Rennen abgebrochen, sondern sich durchgerungen und in den Griff bekommen zu haben. In etwas über einer Stunde erreichte sie das Ziel am Hafen in Unteruhldingen. Erleichtert, glücklich und auch stolz, es geschafft zu haben. Ist ein Laufwettkampf nicht ein Spiegel für unser Leben

X CELERATED R ECOVERY TARGETED S UPPORT

»Ich habe über das ,Von 0 auf 10’-Programm für den Alltag gelernt: nämlich ,Stop’ zu sagen, innezuhalten und dann meinen eigenen Rhythmus aufzunehmen.«

STABILYX ™ TIGHT

barer sowie ausgeglichener“, fasst Katrin ihren Lauflernprozess zusammen. An dieser Stelle aufzuhören, ohne die positiven Erlebnisse zu vertiefen, das kommt für die frischgebackene Wiedereinsteigerin nicht infrage. Sie nimmt jetzt regelmäßig inmitten netter Menschen am Lauftreff teil und … „Andreas, meinst Du, ich schaffe auch einen Halbmarathon?“ – „Katrin, Du schaffst alles, was Du Dir vorzustellen vermagst!“

◗ Mit einem glücklichen Lächeln auf zu neuen Ufern.

RUNNING | 5/2014

CW-X®’s patentiertes Support Web™ unterstützt die Zusammenarbeit von Muskeln und Bändern zur Stabilisierung des Kniegelenks. Bietet dem unteren Abdominalbereich, der Hüfte und Lende extra Support für zusätzliche Stabilität und Kraft des Rumpfbereichs.

Den Taping Support, welcher üblicherweise auf verletzte Muskelpartien aufgebracht wird, appliziert die Tight auch auf unverletzte Muskelpartien, um Verletzungen vorzubeugen.

FOTOS: ANDREAS SCHUR

◗ Wiedereinsteigerin Katrin beim Training in ihrer Laufgruppe.

Zehn Kilometer geschafft, Ziel erreicht, also aufhören? „Das schlechte Gefühl habe ich im Wald bei dem Lauf zurückgelassen. Ich habe über das ,Von 0 auf 10‘-Programm für den Alltag gelernt: nämlich ,Stop‘ zu sagen, innezuhalten und dann meinen eigenen Rhythmus aufzunehmen. Auch körperlich habe ich nun ein besseres Gefühl, bin konditionell fitter und insgesamt belast-

ab 15. August 2014 erhältlich bei


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.