RUNNING Nr. 171 | Kapstadt

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TITELSTORY | Kapstadt Marathon

eine Mischung aus ruhespendender Oase sowie „place to be“ für örtliche Charaktere aller Art. Außerdem liegt es ideal, innerhalb weniger Minuten sind wir per pedes im Start- und Zielbereich des Marathons. Damit wir an diesem offiziell teilnehmen dürfen, gilt es zuvor, die Formalitäten zu erledigen. „Das ist mit Abstand die schönste Laufmesse, auf der ich jemals war“, entfährt es Guido, als er beim Abholen der Startnummer aus den Räumlichkeiten durch die riesige Fensterfront direkt auf die Wellen des hellblauen Ozeans linst.

Alles gewonnen und alles verloren in Kapstadt

Es ist Freitag und das Abendprogramm schon lange beschlossene Sache. Der Habour Market in Hout Bay (nur wenige Autominuten südlich von Kapstadt) steht bei den Einheimischen derzeit zum Wochenende hoch im Kurs. In den Fischhallen lässt sich zwischen Trödel, Cocktailbar und Live-Musik ganz hervorragend speisen. An diesem inspirierenden Ort wird die Marschroute für die nächsten Tage festgelegt. Morgen schauen wir uns die Trail-Rennen an. Guido verzichtet schlauerweise auf seinen Start, da er in der Vorbereitung lange mit einer Erkältung laborierte. Am Sonntag sind wir dann selbst auf der Straße, die restliche Zeit dient dem Sightseeing. Doch zuvor gibt es auf dem Heimweg fix noch einen Sundowner an der edlen Bar des Kitima at the Kronendal. Über 22 sowie 11 Kilometer mit 1.100 respektive 570 Höhenmetern ziehen sich die Geländeparcous am Samstag entlang der Hänge oberhalb der Stadt.

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Als ich Monate später der South-African-Airways-Maschine entsteige, erwartet mich mein Kompagnon bereits am Flughafen. Natürlich ist er bereits einige Tage früher angereist, zur Studie von Land und Leuten. Um auch wirklich

Die Metropole an der Tafelbucht ist mehr als die V&A Waterfront, das für die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 erbaute Stadion und die Long Street. Gerade im September, wenn in Südafrika Frühling ist, weiß der Botanische Garten Kirstenbosch im Vorort Newlands zu gefallen. Beim Besuch der bunten Häuserfassaden des Stadtteils Bo-Kaap halten Sie Ausschau nach kleinen Essständen zum Ende der Straßen, an ihnen lässt sich gut und günstig Energie tanken. Wer auf einen vertrauenerweckenden Taxifahrer trifft, sollte ihn bitten, seinen ganz persönlich favorisierten Aussichtpunkt auf Kapstadt anzusteuern. Ein solcher Kurzausflug ist verhältnismäßig günstig und ermöglicht neue Perspektiven abseits der Touristenpfade. Als wir am Morgen des 20.09.2015 um kurz nach 5.30 Uhr auf die Straße treten, herrscht noch Dunkelheit. Nur das Veranstaltungsgelände vor dem von einem deutschen Architekturbüro konzipierten Cape-Town-Stadium ist hell erleuchtet und zieht die Läufer an wie eine Lampe die Mücken. Auf einem einge-

ganz nah an der Bevölkerung zu sein und Insider-Wissen abzugreifen, empfiehlt es sich, über eine Vermittlung bei privaten Gastgebern unterzukommen. Natürlich offeriert der Hotspot Südafrikas vom legendären Belmond Mount Nelson Hotel (hier sich unbedingt mal eine Tea Time gönnen) bis zum einfachen Hostel alle denkbaren Nächtigungsmöglichkeiten. Unsere Airbnb-Hauwirtin für die nächsten Tage ist Vourn, ein ehemaliges Model im besten Alter. Ihr erfrischend stylish eingerichtetes Domizil im Stadtteil Green Point am Fuße des Signal Hill ist

FOTOS: JOCHEN SCHMITZ

Wer fünf Reisepässe besitzt, in 111 Tagen den Globus umfuhr und zahlreiche Jahre in Afrika mit Expeditionen in die Wüste verbrachte, dem muss schon eine besonders schmackhafte Lockspeise vorsetzt werden, damit er sich für einen Marathon fern seiner Heimat Deutschland begeistert. Mein Köder hieß: Kapstadt. Und Guido nahm ihn sofort auf. Da kann man noch so weltgewandt sein, wenn es um die Mother-City geht, verklären sich die Blicke.

ei anschließenden Gesprächen stellte sich heraus, dass am Tag vor dem 42-Kilometer-Rennen noch Geländeläufe im Schatten des Tafelberges im Rahmenprogramm stehen. Guido mit seinen Erfahrungen bei Ultras und mehrtägigen Trail-Events hielt all diesen Verlockungen einfach nicht stand. Somit war die Sache geritzt.

FOTO: JACO WOLMARANS

von Jochen Schmitz

Auch wenn die Sicht auf Robben Island (auf der Gefängnisinsel saß Nelson Mandela nahezu zwei Jahrzehnte ein) immer wieder von den körperlichen Strapazen ablenkt, so sind die Läufe nicht zu unterschätzen. Keine Wolke am Himmel und Temperaturen von 25 Grad zum Wettkampfende tun ihr Übriges. Einen Doppelstart von Trail-Run und Marathon sollten deshalb nur gut Trainierte in Erwägung ziehen.

■ Kapstadt hat eine ausgeprägte Graffiti-Szene. Hier zu sehen das blaue Mandela-Mural in der Canterbury Street.

■ Verpflegungsstation an der City Hall. Gerade auf den letzten Kilometern werden viele Sehenswürdigkeiten erlaufen.

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zäunten Trainingsplatz am Helen Suzman Boulevard werden alle Teilnehmer in ihre Startblöcke eingeteilt, bevor es so sortiert im Gänsemarsch auf die Straße zur Startlinie geht. Zögerlich vertreibt der Morgen die Finsternis. Eine als Einhorn verkleidete Läuferin pustet schnell noch ein paar Seifenblasen über das Athletenfeld, dann kracht um Punkt 7.00 Uhr die Starterpistole. Langsam setzt sich der Tross in Richtung Downtown in Bewegung. Noch gehört die Stadt ganz den Läufern. Hier und da torkelt eine Nachtgestalt in Richtung Heimat. Zuschauer haben sich kaum eingefunden. Wahrscheinlich müssen die Einheimischen erst einmal verdauen, dass ihre Springboks tags zuvor bei der Rugby-Weltmeisterschaft gegen Japan dramatisch verloren. Nach dieser kurzen Stippvisite im Herzen der City führt der Kurs hinaus in das Industriegebiet von Foreshore. Das Ambiente wirkt für einen Marathon ziemlich ungewöhnlich. Plötzlich stehen Lehrjungen in Warnwesten am Straßenrand und strecken johlend ihre Helme in die Luft. Jetzt ist neben den Augen auch die Nase gefordert, sie versucht die Mischung aus Meerwasser, Öl sowie Räucherfisch auseinanderzudividieren. An riesigen Containerschiffen vorbei passieren wir einen Güterbahnhof, bevor das Arbeiterviertel Woodstock Abwechslung bietet. Eigentlich empfiehlt es sich nicht, um diese Tageszeit hier zu sein. Im Schutz der Läufergemeinde ist das jedoch überhaupt

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■ Guido hat es geschafft: Besonnen gehandelt und sich mit einer Medaille belohnt.

gar kein Problem – und bei einer der üblichen Stadtrundfahrten würde man hier wohl kaum vorbeischauen. Somit hat das Ganze sein Gutes. Wer sich für Graffitis interessiert, kommt in Woodstock auf seine Kosten. Generell ist Kapstadt eine Hochburg dieser Subkultur. Ob Fan oder nicht, das blaue Mandela-Mural in der Canterbury Street ist ein Muss (nahe der Technischen Universität). Tipp: Gegenüber bei Charly’s Bakery einen Cup Cake kaufen und beim Verzehr die Wandmalerei bestaunen. Bisher ist die Streckenführung gar nicht so wie erwartet. Jedoch ist gerade in dieser Stadt nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen. Dementsprechend holt der Marathon den reiseverwöhnten Touristen auf den Boden der Tatsachen zurück. Auch dieses wunderschöne Fleckchen Erde kämpft mit seinen Problemen, und die sind lange noch nicht alle ausgestanden. Wem solch schweres Gedankengut beim Sport nicht passt, der schielt einfach rüber zum Tafelberg. Das Felsplateau scheint minütlich sein Aussehen zu ändern, omnipräsent prägt es die Szenerie. Unzählige Touren führen auf den Berg, dabei empfiehlt es sich, sein Können richtig einzuschätzen. Es wird kolportiert, dass auf ihm schon mehr Menschen ihr Leben ließen als am Mount Everest. So sehr mich das alles fasziniert, so sehr ist Guido mit sich selbst beschäftig. Es läuft bei ihm im wahrsten Sinne des Wortes nicht rund. Die bereits erwähnte

Nach dem Duschen warte ich noch eine gute halbe Stunde, dann treffe ich die Entscheidung, wieder zum Zielgelände zu gehen. Ich öffne gerade die Tür, da kommt mir ein total demolierter Guido entgegen, in der linken eine Dose Fanta, in der Rechten einen Fünf-Liter-Kanister Wasser und – eine Medaille um den Hals! „Es ist alles gut, aber lass mich in

mäßige Vorbereitung sowie ein Anflug von Grippe zeichnen sich dafür verantwortlich. Zur Stimmungslage passt das Wetter, der Himmel ist düster, hin und wieder nieselt es. Ein Fluss namens Swartrivier geleitet uns jetzt in südlicher Richtung. Guido wird immer stiller. Knapp hinter Kilometer 20 trifft er den einzig richtigen Entschluss: „Ich steige beim Halbmarathon aus. Fahre mit einem Taxi zurück. Lieber ein DNF in der Ergebnisliste als gesundheitliche Konsequenzen.“ Diese Traute muss man haben, denke ich und wir verabreden Zeitund Treffpunkt im Zielbereich. Auf dem Rückweg windet sich der Kurs unterhalb der Universität of Cape Town entlang. Wer mal beim Two Oceans Marathon, einem Ultra-Klassiker, dabei sein durfte, dem kommt diese Gegend bekannt vor. Auf den Sportanlagen der Lehranstalt gleich hier um die Ecke finishen nach 56 Kilometern die Teilnehmer – hoffentlich. Die Bevölkerung der drittgrößten Stadt Südafrikas ist mittlerweile überwiegend erwacht, was sich am Straßenrand bemerkbar macht. Zahlreiche Hände strecken den Aktiven, ganz unabhängig von den offiziellen Verpflegungsstellen, Obst, Süßigkeiten oder gekochte Kartoffeln entgegen. Durch solche Gesten wird wiederholt deutlich, wie sehr diese Nation dem Lauf-Virus verfallen ist. Castle of Good Hope, City Hall und The Company’s Garden sind etwas später nur einige der Sehenswürdigkeiten, die

Ruhe.“ Soweit erst mal der Informationsaustausch. Gut 30 Minuten später darf ich dann mehr erfahren. Ein Taxi ließ sich beim Halbmarathon-Verpflegungsposten nicht organisieren, der Besenwagen war noch ewig entfernt (das Zeitlimit für den Marathon lag bei 7:00 Stunden), öffentliche Verkehrsmittel

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Quick-Facts:

Unterkünfte in Kapstadt sind in jeglicher Kategorie gut per Internet oder im Reisebüro buchbar. In diesem Jahr finishten 4.306 Läufer den Sanlam Cape Town Marathon. Für gewöhnlich ist er nicht ausgebucht, eine frühzeitige Anmeldung scheint jedoch ratsam. Von Air Berlin bis Virgin Atlantic werden Flugmöglichkeiten nach Südafrika angeboten. Wer nach einem guten Preis-LeistungsVerhältnis unter der Prämisse der Zeitersparnis sucht, sollte sich auch bei South African Airways erkundigen. Interessierte, die es sich bequemer machen wollen, gönnen sich ein Gesamtpaket bei einem Laufreiseanbieter, selbst das ist möglich.

schienen unerreichbar. Also päppelte sich der Gute mit Festem und Flüssigem auf, legte eine ausgiebige Pause ein, um dann walkend sowie langsam laufend das Rennen zu Ende zu bringen. „‚My brother, don’t worry, you will make it, good bless you‘, rief mir unterwegs ein Obdachloser zu, das hat mich unendlich motiviert“, stammelt Guido mit noch immer leeren Augen. Beim Abendessen sind alle Schmerzen vergessen. Wir lassen es uns gut gehen, trinken einen Roten vom hiesigen Weingut „Allesverloren“. Die tragische Geschichte hinter dem originellen Namen besagt, dass der erste Winzer des Anwesens nach einem auswärtigen Geschäftstermin seinen Hof abgebrannt und die Farm zerstört vorfand. Statt zu resignieren, wurde alles wieder errichtet. Mit Erfolg, nach einer mühevollen Phase, erhielten die Weine mehrfach Auszeichnungen. Irgendwie passt genau dieser Tropfen zum heutigen Tag.

n o h t a r a M T S E W A IV V 22. Mai 20E1ss6en - Bottrop - Gladbeck Gelsenkirchen -

hon - 10 km - Citylauf Marathon - Halbmarat

FOTOS: JOCHEN SCHMITZ

■ Das Cape-Town-Stadium bildet eine würdige Kulisse auf den finalen Metern zum Ziel.

bei einer Schlaufe durch die Innenstadt abgehakt werden. Die finalen Kilometer führen zurück nach Sea Point. Schnell noch ein Blick auf den weiten Ozean, dann kommt zum Schlussspurt auf dem Green-Point-A-Track-Gelände sogar die Sonne raus. Was jetzt zum Glück noch fehlt, ist Guido, doch der ist nicht da. Nach einer Stunde erfolglosen Suchens gehe ich zu unserer Unterkunft, in der Hoffnung ihn dort zu treffen. Vourn wartet schon, ein gut gekühltes Fläschchen Weißwein mit ihr. Meine Erwartungen erfüllen sich besorgniserregender Weise leider nicht.

www.vivawest-marathon.de

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