Päng! #4

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№ 04

F Ü R D I E W I R K L I C H K E I T G I B T E S K E I N E N E R S AT Z

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A U S G A B E № 04 _ F R Ü H L I N G 2 0 1 3

04

EURO

6

FRÜHLING 2013

www.paengmagazin.de

BÜHNE FREI

r ein Zeit fü F T HE NEUES

BÜHNE FREI


Päng! immer rechtzeitig noch vor dem Handel im Briefkasten haben? Und die limitierten Päng!Buttons abgreifen?

DA S M ÖCH TE ICH www.paengmagazin.de/abo

L L I W H C I ER T S ER IN SE

D AV I D Z I M T _ M A R K B O H L E _ K U R T J U N G


EDITORIAL _ 1

BÜHNE FREI

Es sind noch 5 Minuten, als wir hinter die Bühne gehen. 5 Minuten, bevor sich der Saal öffnet und die Gäste hereinstürmen, um das Ergebnis unserer Arbeit zu sehen. Die Gedanken schlagen Purzelbäume, unser Herzschlag übertönt alles bisher Gewesene. 5 Minuten, bis es heißt: Bühne frei für ein neues Heft. Wir gehen ein letztes Mal in uns. Das vergangene halbe Jahr zieht in Gedankenblitzen an uns vorbei. Zu dem Moment, als klar wurde: Wir machen das! Zu all dem Wahnsinn, der darauf folgte. Tausend Sachen, die wir noch nie gemacht und von denen wir keinen blassen Schimmer hatten. Freude über die Eigendynamik. Absolutes Durchdrehen beim Sehen der ersten Ergebnisse. Nervenzusammenbrüche, Nachtschichten, Herzkasper, Verantwortung für ne Menge Leute. Und immer wieder die Frage: Kriegen wir das alles hin? Das Heft ist gedruckt und liegt bereit, die Releaseparty beginnt in wenigen Sekunden. Der Vorhang öffnet sich. Wir treten auf die Bühne, stellvertretend für die über 50 Pängster, die an diesem Baby mit gewerkelt und mit gezittert haben. Minuten später hält jeder im Saal Päng! zum ersten Mal in den Händen. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Ein Jahr ist das mittlerweile her und jetzt haltet Ihr die Nr. 4 in der Hand. Ihr habt uns regelrecht umgehauen mit Eurem Feedback, Eurer Unterstützung und Euren Ideen. Was wir gelernt haben? Dass es sich lohnt, mutig zu sein und der Welt mit Leidenschaft zu begegnen. Und deshalb haben wir uns genau dieses Thema zum vierten Heft gemacht: Wir waren unterwegs, um herauszufinden, welchen Träumen Ihr da draußen nachgeht. Was sich dabei schnell herausgestellt hat: Ob als Straßenkünstler, Entwicklungshelfer, Zirkusmensch, Märchenschlossbetreiber, Asylrecht-Protestler oder Postpornoproduzentin – es geht nicht darum, was andere von Deiner Idee halten. Nur wenn man verrückt genug ist etwas durchzuziehen, kann man jemanden damit erreichen. In diesem Sinne – manchmal muss man einfach machen! Es kann nichts passieren, außer, dass vielleicht etwas Tolles dabei rauskommt.

Viel Freude beim Lesen von Päng! Josephine Götz & Cathrin Gehle


facebook.com/DorfkindVideos


I N H A LT _ 3

Inhalt KAPITEL

№1

Das wilde Leben

KAPITEL

№2

Selber machen

KAPITEL

№3

Alles außer Kunst

7

Aus der Pistole geschossen U-Bahn-Poet

69

Päng!Werkstatt Ich baue mir ein Boot

89

Trickkiste Dein Laserschwert

8

Ein Bild, das ich nicht vergesse Ein falsches Wort

72

Aus alt mach neu Rückzug, Baby!

90

Päng!Spiel Fame and Fans

10

Hereinspaziert Der Bastler aus Brooklyn

77

Glitzerklub

92

Billy Elliot

16

Junge Schriftsteller zu Wort HELLROT

80

Päng!Schnupperkurs How to be a Straßenkünstler

94

Päng!Rätsel

84

Kleine Wehwehchen Lampenfieber

95

Impressum

96

Abgang

18

Mein Hobby Rock 'n' Roll Wrestling

52

Navid kann warten Besuch im Flüchtlingscamp

32

Haitian Heroes

40

Manege frei

55

Frei.Raum Baustellenromantik

45

Fritz Schleyerbachs persönliches Märchenschloss

28

Menschen erzählen Der Ghostwriter

22

Päng!Projekt Häppchenweise

58

Päng!Trip 40 Festivals in 40 Wochen

62

Ich laufe gegen eine Wand

2007 startet Ansgar Rudolf das Musikprojekt 'hasta la otra méxico!'. Heute übernimmt Séverine den Gesang und Daniel die Gitarre. Ansgar kümmert sich um Elektronik, Synthesizer und Klavier. Das Video zu ihrer jüngsten Veröffentlichung »Colour« wurde in der wunderschönen Mecklenburger Seenplatte rund um Neustrelitz gedreht (Geheimtipp!) Ach und sie suchen gerade einen neuen Schlagzeuger aus Berlin. Bandinfo: www.hastalaotramexico.de


4 _ DAS WILDE LEBEN

F O T O Alexander Manz


DAS WILDE LEBEN _ 5

KAPITEL

№1

Das wilde Leben Ihr müsst darauf vertrauen, dass sich die Punkte in Eurem Leben verbinden werden. Ihr müsst an irgendetwas glauben: an Eure Courage, Euer Karma, Schicksal, das Leben, was auch immer. Das wird Euch das Vertrauen geben, Eurem Herzen zu folgen. Es wird Euch abseits der ausgetretenen Pfade führen – und das wird den Unterschied machen. STEVE JOBS


10 _ DAS WILDE LEBEN

Hereinspaziert I N T E R V I E W Stephanie Dietze _ T E X T Antonia Bellmann _ F O T O S Jonas Hein


DAS WILDE LEBEN _ 11

Wer Zach besucht, kommt aus dem Staunen erst mal nicht mehr raus. So beeindruckend ist dieser lichtdurchflutete große Raum mit den deckenhohen Fenstern und der eingezogenen zweiten Ebene. Vor zwei Jahren zog der junge Architekt und Bastler nach Red Hook in Brooklyn. Seitdem werkelt er in seiner Freizeit gern an Regalen, die bis zur Decke reichen, Tischen aus Türen und von der Wand hängenden Fahrradständern. Im Gespräch erzählt uns Zach, warum Red Hook genau der Ort ist, an dem er leben will, und warum letztens eine ganze Band auf seinem Tisch spielte.

W O W, S C H Ö N E W O H N U N G ! W I E H A S T D U D I E E N T D E C K T, MUSS TES T DU L ANGE DANACH SUCHEN ? Ich habe schon an so vielen verschiedenen Orten gewohnt und mich jedes Mal in eher spezielleren Wohnsituationen wiedergefunden – aber New York war besonders schwierig. Immobilien sind hier extrem knapp und ich habe monatelang Fremde in Bars angesprochen und bin durch die Straßen gewandert, bis ich endlich auf dieses Gebäude gestoßen bin. Im Endeffekt hatte ich einfach Glück: Die Wohnung wurde genau an dem Tag zur Untermiete frei, als ich zufällig hineinlief und mich sofort verliebte. WIR SIND NEUGIERIG AUF DIE GESCHICHTE DIESES HAUSES. WIE KÖNNEN WIR SIE UNS VORSTELLEN ? Das Gebäude ist eine alte Industrieanlage . Hier waren schon eine Konservenfirma und eine Kofferfabrik drin. Vor ungefähr zehn Jahren wurden die Gebäude der Nachbarschaft dann zu Wohnhäusern umfunktioniert, nachdem sie lange Zeit leer standen. Viele Wohnungen sind wie die hier – mit riesigen Fenstern und einem Zwischengeschoss, das in den Raum herein ragt. Die meisten Bewohner in diesen Gebäuden sind Künstler, Musiker, Fotografen oder Designer, weshalb viele interessante und schöne Sachen in diesen Räumen geschehen. Am Ende des Flurs wohnt zum Beispiel ein Gerber, der in der unteren Ebene der Wohnung seine Werkstatt eingerichtet hat. Die ist vollgehängt mit wunderschönen Fellen, Sätteln und Gürteln, überall liegen Werkzeuge und uralte Arbeitsausrüstung herum. Gleich gegenüber liegt ein Fotostu-

dio, das komplett mit weißen Vorhängen ausgehängt ist. Ich bin irgendwas dazwischen, denk ich mal. HAS T DU HIER VIEL VER ÄNDERT? Es war eigentlich ein leerer Raum, als ich eingezogen bin. Die Vormieter hatten zwar schon eine Küche eingebaut, aber ansonsten gab es nur die Zwischenetage und diesen wunderschönen Holzboden. Gleich nach dem Neuanstrich habe ich in der zweiten Etage zwei Schlafzimmer eingerichtet. Dann hatte ich das Problem, wie man zu beiden separat hochkommt. Also habe ich kurzerhand die Leiter, die beide Stockwerke verbindet, abmontiert und Rollen dran geschraubt, damit man sie problemlos hin- und herschieben konnte. Das war die erste große Veränderung, aber es gibt eigentlich ständig Projekte hier: Eine Wand als Bücherregal, die konstant wächst, verschiedene Versionen von Fahrradständern, mehrere misslungene oder halbfertige Möbelstücke, außerdem ein paar Lichtexperimente. MIT WEM WOHNS T DU SO ZUSAMMEN ? WIE FUNK TIONIERT DAS ZUSAMMENLEBEN IN DIESER WOHNUNG? Ha! Gerade wohne ich mit einem Deutschen zusammen. Wir verstehen uns ziemlich gut. Ich habe hier schon mit den unterschiedlichsten Leuten zusammengewohnt, und jeder von denen hat seinen persönlichen Einfluss auf die Wohnung gehabt, was ich genial finde. Natürlich ist es ein ziemlich offener Raum, der wenig Privatsphäre ermöglicht, von daher müssen sich die Mitbewohner entweder richtig nahe stehen oder


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ziemlich schnell enge Freunde werden. Bis jetzt hatte ich echt viel Glück. Diese Wohnung und diese Nachbarschaft wirken wie eine Art Filter, der mir geniale Menschen bringt. Jeder, der Spaß an der Idee hat, in so einer speziellen Nachbarschaft zu wohnen, ist höchstwahrscheinlich auch jemand, mit dem ich mich gut verstehen würde. WA S M A C H T D E I N E N A C H B A R S C H A F T S O B E S O N D E R S ? Red Hook ist völlig anders als der Rest von Brooklyn. Ab 1800 war das hier ein Industriegebiet, dann verlor es an Bedeutung und lag eine Zeit lang völlig verlassen da. Heute gibt es hier wieder viel Produktion und nur wenige Wohngebiete, außerdem ist es völlig von der Stadt abgeschnitten, weil es von Wasser und Autobahnen umgeben ist. Red Hook hat ein paar fabelhafte Sachen hervorgebracht, etwa New Yorks bestes Bier, Brennereien und Kaffee, viele Möbel und Zimmerarbeiten, Kunst und Musik, eine tolle urbane Farm, ein paar schöne Restaurants und Bars. Diese Nachbarschaft ist voller unterschiedlicher Leute und eher wie eine kleine Stadt. Und wegen eben dieser Balance glaube ich, dass sie trotz Gentrifizierung eine Chance hat, weiterhin so bestehen zu bleiben. Zumindest hoffe ich das sehr. D U K O M M S T U R S P R Ü N G L I C H A U S E I N E R K L E I N E N B E R G S TA D T I N C O L O R A D O . W I E G E FÄ L LT D I R D A S S TA D T L E B E N ? Ich glaube, ich werde mich nie richtig an die Stadt gewöhnen. All das, was über das Stadtleben gesagt wird, stimmt: die Energie, die Farben, der Dreck, das Chaos – aber das sind alles Manhattan-Klischees. Ich bin echt froh darüber, in Brook-

lyn zu wohnen, weil man es nicht in eine Schublade stecken kann. Obwohl es sich ständig verändert, kommen hier immer wieder spezielle und unerwartete Dinge vor. Wie dieses kleine Bluegrass-Countrymusik-Konzert, das hier in einer hundert Jahre alten Dockerkneipe im sonst so ausgestorbenen Hafenviertel stattgefunden hat. Das ist so unglaublich New Yorkfremd. Klar passiert das hier genau wie überall sonst auch, dass solche seltenen Menschen und Ereignisse immer mehr aus der Stadt ins Umland verdrängt werden, aber ab und zu gibt es diese genialen Sonderfälle. ER Z ÄHL UNS DOCH MAL DIE GESCHICHTE ZU DEM TÜRTISCH. Was ich von Anfang an total an diesem Gebäude geliebt habe, waren die riesigen Panzertüren in allen Gängen. Eine lag verwahrlost im Hof rum, also habe ich den Hausmeister gefragt, ob ich sie klauen darf. Der hat mir dann sogar geholfen, das fast 200 Kilo schwere Teil in die Wohnung zu hieven, wo es mein erstes Möbelstück wurde. Ich hatte auch noch ein paar große Stahlräder, die perfekt zu der Tür passten, aber die waren leider total verrostet. Über Elektrolyse hatte ich mal was gelesen – man lässt Strom durch ein Wasserbad mit Backpulver laufen und die chemische Reaktion löst dann den Rost von dem Stahl. Genau das wollte ich ausprobieren. Eine Woche lang stand ich bei uns im Hof mit ein paar gigantischen Rädern in einer blubbernden Badewanne, aus der überall Eisenstangen hingen, die mit lauter Kabeln und einer großen, brummenden Batterie verbunden waren … meine Nachbarn dachten bestimmt, ich wäre völlig bekloppt oder ein Terrorist oder beides. Hat aber alles gut funktioniert. Rollender 200 Kilo-Türtisch: check!


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N AT Ü R L I C H I S T E S E I N Z I E M L I C H O F F E N E R R A U M , D E R W E N I G P R I VAT S P H Ä R E E R M Ö G L I C H T, V O N DAHER MÜSSEN SICH DIE MITBEWOHNER ENT WEDER RICHTIG NAHE S TEHEN ODER ZIEMLICH SCHNELL ENGE FREUNDE WERDEN.


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IS T DIR DIE SCHÖNHEIT DEINER WOHNUNG I M A L LTA G N O C H B E W U S S T ? Auf jeden Fall! Meine Stimmungen hängen total von meinem Umfeld ab, so was wie Sonnenlicht und Sichtweite und Raum über meinem Kopf sind essentiell, damit ich mich wohl fühlen kann. Ich schätze mich jeden Tag aufs Neue glücklich. Sogar als ich im letzten Winter für ein paar Monate die Gasrechnung nicht bezahlen konnte – ich weiß noch genau, wie idiotisch stolz ich darauf war, dass ich zitternd in dicke Decken gewickelt in einem wunderschönen Fabrikgebäude saß, von dem aus ich den Hubschraubern auf der andern Flussseite vor der Manhattan Skyline beim Landen zuschauen konnte. Es ist einfach ein Ort, von dem man sich leicht verzaubern lassen kann. L E T Z T E N S H A B T I H R H I E R E I N K O N Z E R T V E R A N S TA LT E T. WIE K AM ES DA ZU? Schon als ich eingezogen bin, hatte ich die Vision, den Raum auch für Veranstaltungen zu nutzen. Es schien einfach eine toller Ort dafür zu sein. Ein paar Partys und Dinners habe ich auch organisiert, aber nichts wirklich Außergewöhnliches. Dann habe ich über einen Freund eines ehemaligen Mitbewohners Trevor kennengelernt. Er hat eine Band und war sofort daran interessiert, mit ein paar Freunden eine Show auf die Beine zu stellen und hat sich dann sofort ans Organisieren gemacht. Neben Trevors Band mit ihren verrückten, experimentellen Gesängen gab es elektronische PJ Harvey-Adaptionen und diesen bluesigen Folk-Sänger aus Philadelphia. Stell eine Band auf den Türtisch, schraub ein bisschen an der Beleuchtung und füll den Raum mit Leuten – er ist wie verwandelt. Es war ein unglaublich toller Abend.

J E D E R , D E R S PA S S A N D E R I D E E H AT, I N S O E I N E R SPEZIELLEN NACHBARSCHAF T ZU WOHNEN, IST H Ö C H S T WA H R S C H E I N L I C H A U C H J E M A N D , M I T D E M ICH MICH GUT VERS TEHEN WÜRDE.



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ยกay, ca r am V O N Florian Schuh


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ba!

MEIN HOBBY: ROCK'N'ROLL WRES TLING

Krachende Beats, Schweiß, nackte Haut und Schnaps für alle: Die Galactic Trash Wrestling Alliance serviert auf ihrer Tour die Quintessenz des Rock 'n' Roll.


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»W E R E INM A L BE IM BA S H WA R , KOMM T IM N Ä CH S T E JA HR MI T DR E I F R E UNDE N W IE DE R«

Das Publikum drängt sich an die Seile, anfeuernd schlagen von allen Seiten Handflächen auf den Boden des Rings. Headcrusher liegt scheinbar benommen in der Ecke, hingestreckt im hautengen, schwarzen Outfit, die mächtigen Arme schlaff zur Seite, die wirren Haare über seiner silbernen Hockeymaske hängend. Flaming Moonsault? Gamma Ray Flash Attack? Mit welchem Special-Move hat ihn sein Gegner eben auf die Matte geschickt? Gerade noch vermeintlich am Ende, fliegt Fireball ihm nun mit einem Sprungtritt gegen den Brustkorb. Kurz darauf liegt dieser nach einem missglückten Angriff wiederum selbst am Boden. Sprünge, Würgegriffe und schmerzverzerrte Gesichter als geplantes Kampfsporttheater – was bei diesem Spektakel, anders als beim Wrestling im Fernsehen, außen vor bleibt, ist die große Hochglanzshow mit TV-Superstars, Werbung und Saalsprechern im Smoking. Der Rock 'n' Roll Wrestling Bash ist rau, trashig und lärmend.

Kein smarter »Are you ready to rumble«-Moderator leitet die Kämpfe des Abends ein. Mit einem Lebendgewicht weit jenseits der hundert Kilo, freiem Oberkörper und einem hölzernen Voodoo-Talisman behängt, betritt der Ansager den Ring und erklärt kurz: »Erlaubt ist alles – auf eigenes Risiko«, ergänzt dann aber noch: »Und bitte kein Bier in den Ring schütten.« Die einzige Regel der Veranstaltung, die den Kämpfern wenigstens ein Mindestmaß an Sicherheit bieten soll, wird allerdings ein gefühltes Dutzend Mal gebrochen. Die Akteure arbeiten hart für die ausgelassene Stimmung. Salti, Sprünge und Würfe folgen einer exakt einstudierten Choreografie. »Eine hoch sportliche und perfekt getimte Trash-Show«, fasst Carlos Martinez, der Kopf hinter dem Ganzen, es zusammen und fügt in der Sprache des Events hinzu: »Kaum zu glauben, wie viele Leute sich diesen Gehirndünnschiss reinziehen.« Wie überall, wo Menschen an ihre körperlichen Grenzen gehen, kann einiges schiefgehen. Carlos selbst weiß das genau. Bei einem Kampf gegen einen 180 Kilo-Widersacher wurde er schwer verletzt und musste lange darauf warten, wieder in den Ring steigen zu dürfen.


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Als moderner Freakshow-Ersatz tourte die Galactic Trash Wrestling Alliance bisher zehn Mal durch Deutschland und Österreich. Und was als Support-Show für das Konzert begann, ist mittlerweile längst das eigentliche Event geworden. Die Band El Brujo's Gore-Chestra spielt nicht nur in den Pausen, sondern begleitet auch rhythmisch die Dynamik des Kampfes, vom Beginn bis zum dramatischen Höhepunkt. »Wer einmal beim Bash war, kommt im nächsten Jahr mit drei Freunden wieder«, meint Carlos. Anders als beim klassischen Wrestling, dessen Faszination eher spätpubertäre Jungs erliegen, ist das Publikum hier um die 30 und frauenlastiger – dabei offen für jeden und alles: Auch Junggesellinnenabschiede und Rentnergeburtstage wurden bereits gefeiert. Bei den Protagonisten selbst beschränkt sich die Frauenquote auf die Ringrichterin und zwei Stripperinnen, die bei jedem Rockkonzert abgedroschenes Beiwerk darstellen würden, in dem ironischen Umfeld des Wrestling-Bashs aber nicht weiter auffallen. Seit 2003 zieht Carlos mit seiner rund 20-köpfigen Entourage, darunter überwiegend professionelle Wrestler, durchs Land. Inspiriert sind die Kämpfe vom Lucha Libre, einer mexikanischen Form des Wrestlings, die dort ähnlich religiöse Züge wie der deutsche Fußball annimmt. Hier soll, anders als beim Vorbild, ein Charakter fieser als der andere sein. Sympa-

thieträger gibt es kaum. Geboren im Carinanebel, auf dem Pluto oder in Transylvanien? Im Jahr 1867 oder gleich 666 vor Christus? Bevor die neue Runde eingeläutet wird, werden die Biografien der Kämpfer verlesen. Wo beim klassischen Wrestling Patrioten, Holzfäller oder Superhelden in den Ring steigen, sind es hier Vogelscheuchen, ein LSD-Team oder der mythische Chupacabra aus Mexiko. Partyvolk, Rocker, Filmfreaks, Trash-Fans, Curiosity Seeker – das Publikum steht direkt am Ring und ist damit Teil der Show. Wer seinem Favoriten helfen will, kann schon mal das Bein des Gegners festhalten. Die Nähe zum Geschehen, das unmittelbare Dabeisein ist das, was die besondere Atmosphäre des Events ausmacht. Einige Fans mit ausgefallenen Masken sehen ihren Idolen zum Verwechseln ähnlich. »Ein kleines Stück Zuhause, nur mit mehr Rock 'n' Roll«, meint ein maskierter Zuschauer aus Mexiko. Noch einmal wird der Menge eingeheizt. Der maskierte Sänger der Band führt seinen Sklaven und Titelverteidiger zum Ring: den Hund-Mann Chupacabra. Kaum zu bändigen zerrt er an seiner Kette, um gleich darauf auf Hillbilly Bruiser loszustürmen, einen Hinterwäldler in bester amerikanischer Südstaatenmanier. Chupacabra siegt – auch wenn er sicher nicht der Favoriten der Herzen ist. Aber das hier ist eben auch kein Musical mit Happy End à la »Rocky«, sondern große Trash-Kunst.


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PÄNG!TRIP

40 WOCHEN, 40 FESTIVALS F E S T I VA L- M A R AT H O N Christine ist ziemlich hart im Nehmen. In 40 Wochen besuchte sie 40 verschiedene Festivals auf der ganzen Welt – vom paradiesisch gelegenen Saint Lucia Jazz Festival in der Karibik, der berühmten Tomatenschlacht La Tomatina im spanischen Buñol bis zum legendären Wacken Open Air. Was sich auf ihrer Expedition von Festival-Klischees wie Schlammlandschaften und vollgepinkelten Zeltwänden bewahrheitet hat, erzählt sie uns hier.


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Foto: Nina Hüpen-Bestendonk

DER PL AN In 40 Wochen möchte ich 40 Festivals auf der ganzen Welt besuchen – ein gewagter Selbstversuch. Dabei möchte ich alles mitnehmen, in muffigen Zelten schlafen, kaum fließend Wasser haben und zur Defäkation in einen bestialisch stinkenden Chemiekasten gehen. Früher, zu Woodstock-Zeiten, da ging man noch auf Festivals, um zu protestieren gegen Krieg, Ungerechtigkeit, die Elterngeneration und alles, was gerade so angefallen ist. Heute geht man auf ein Festival, weil man das Erlebnis will. Nicht nur die Musik, sondern auch das Drumherum an sich. Ich möchte herausfinden, was Millionen von Festivalgänger jedes Jahr bewegt, ihren Alltag hinter sich zu lassen, um sich mehrere Tage in einer Gemeinschaft zusammenzufinden, in der es nur eine Regel gibt: Spaß haben. Mich interessieren die Menschen, die einem vor und hinter der Bühne begegnen: Wie erlebt der Flaschensammler das Punkfestival? Wovon träumt die Strawberry Queen aus Florida? Und was haben der schwedische Philosophiestudent und das Metalgirl in einem fremden Zelt zu suchen? Kommt das Gefühl der grenzenlosen Freiheit auf jedem Festival? Ich werde es herausfinden. DIE VORBEREITUNG Neben deutschen Klassikern wie Rock am Ring, Melt! Festival und die Fusion – wo lohnt es sich hinzugehen? Ich mache mich erst mal ans Recherchieren. Das paradiesisch gelegene Saint Lucia Jazz Festival in der Karibik? Das Filmfestival in Lappland? Oder das legendäre Wacken Open Air? Meine Auswahl fällt möglichst bunt aus, so vielfältig wie Festivals eben auch sind. Dann die Frage: Was nehme ich mit? Natürlich möchte ich für Regen, Schlamm und Hitze gerüstet sein, einigermaßen hübsch rumlaufen und nicht nur Dosenravioli essen. Andererseits möchte ich so wenig wie möglich mitnehmen. Tagelang feile ich an meiner Packliste, packe meinen Koffer ein Dutzend Mal neu und bin am Ende sicher, das ich bestimmt irgendwas vergessen habe. Hier meine Basics und absoluten Musthaves: Eintrittskarte, Bargeld, Zelt, Isomatte, Schlafsack, Kopfkissen, Heringe und Hammer, Vorhängeschloss, Müllsäcke, Taschenlampe, Zahnputzzeug, Haarbürste, Deo, Sonnencreme, Klopapier, Feuchttücher, Insektenspray, Après-Lotion, Trockenshampoo, Dosen-/Flaschenöffner, Besteck, Salz und Pfeffer, Campingkocher, Sonnenbrille, Kopfbedeckung, Badesachen, Regenjacke, Gummistiefel, Kondome, Pflaster, Aspirin, Pinzette, Taschenmesser, und last but not least: Gaffa-Tape.


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D I E E TA P P E N Es geht los in Florida, am Strand von Miami South Beach, wo ich mit 500 halbnackten Männern die heißeste Schwulenparty im Winter feiere. Danach folgen 18 weitere Länder. Das Gourmet-Festival in Griechenland, der St. Patricks Day in Dublin und natürlich die deutschen Festivalklassiker wie Rock am Ring und Rock im Park. Musikfestivals, Spaßfestivals, Kulturfestivals und traditionelle Festivals wie die Viehscheid und das Oktoberfest, welches ich aber nicht in München sondern in Amerika feiere. Nie vergessen werde ich die Republik KaZantip. Eine Feierrepublik mit Verfassung, Visumspflicht und einem Präsidenten. Dort, wo ich angefangen habe, höre ich auch wieder auf: in Amerika. In Tennessee beim Maultierfestival in Westmoreland, stolpere ich zufällig über Johnny Cashs Grab. DIE HEIMKEHR Nach 40 Festivals brauche ich erst mal einige Zeit, um mich auszuruhen und zu verstehen, was für ein unglaubliches Abenteuer ich da erlebt habe. Es gab so viele, manchmal auch einfach nur kleine, wunderbare Momente. Wenn ich im Kornfeld stand und den krassesten Regenbogen meines Lebens gesehen habe. Oder wenn ich eine Gänsehaut vor der Bühne bekam, weil der Song so grandios war. Ich hab für zehn Jahre im Voraus gelacht und mich wieder an selbstverständlichen Kleinigkeiten erfreut.

Außerdem habe ich herausgefunden, wie ich am liebsten feiere – nämlich bewusst, wenn ich Bock habe. Wenn die Rahmenbedienungen für mich stimmen. Dazu gehören Freunde. Es gibt zwar keinen Ort, an dem man einfacher in eine Gesellschaft aufgenommen wird als bei einem Festival, trotzdem ist es etwas ganz anderes, wenn die eigenen Freunde dabei sind. Ich habe gemerkt, dass ich eigentlich doch recht schüchtern bin und es mich jedes Mal aufs Neue viel Überwindung gekostet hat, auf eine große Gruppe zuzugehen. Natürlich gab es Momente, in denen ich richtig schlecht gelaunt war und die ganzen fröhlichen Menschen haben es nur noch schlimmer gemacht. W E N N M A N D I E PA R T Y Z U E I N E M D A U E R Z U S TA N D M A C H T, F Ü H LT S I C H D A S F E I E R N N I C H T M E H R W I E F E I E R N A N . M A N K ANN NICHT JEDES WOCHENENDE ZUM GEILS TEN DES JAHRES MACHEN. DAS IST REIN KÖRPERLICH NICHT M Ö G L I C H U N D A U C H M E N TA L N I C H T V E R K R A F T B A R . M A N C H M A L S A S S I C H E I N FA C H N U R D A U N D H A B E B E O B A C H T E T. Auf Festivals lebt man in seiner eigenen Welt, umgeben von tausend fröhlichen Menschen. Manche würden gerne für immer in diesem entschleunigten Paralleluniversum bleiben. Mit Alltag hat das nichts zu tun. Und das ist genau das


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Tolle daran: Nichts muss funktionieren auĂ&#x;er SpaĂ&#x;. Sein wie man sein mĂśchte, sagen, was man denkt, anziehen, was einem gefällt, hĂśren, auf was man Lust hat, und tun, was man fĂźhlt. Feiern ist fĂźhlen. Sich selbst fĂźhlen. Den Job loslassen, die Verantwortung abgeben und sich nur noch um Grillfleisch und kĂźhles Bier kĂźmmern, bewusst die Kontrolle verlieren und sich treiben lassen. Und dabei nicht allein sein. Um dieses Feeling zu bekommen, muss jeder selbst herausfinden, was er zum Feiern braucht. Der eine will seinen Alkohol, der andere seine Drogen, der dritte gute Musik und der vierte ein bisschen Liebe. Es gibt fĂźr jede Musikrichtung vom Bluegrass bis zum Jodeln ein Festival Man kann auch in Japan Penisse feiern, in Finnland drei Tage lang Luftgitarre spielen oder in Thailand Affen anbeten. Das ist das SchĂśne daran: Es ist fĂźr jeden etwas dabei.

DIE MOR AL VON DER GESCHICHT t Es gibt tatsächlich Festivalbesucher, die ausschlieĂ&#x;lich wegen der Musik kommen. t .FUBMGBOT LĂšOOFO EVSDIBVT LVMUJWJFSU TFJO t %BT 8FUUFS JTU WĂšMMJH FHBM BCFS TP FJO CJTTDIFO "MLPIPM JTU TDIPO HVU um leichter das Dixi-Klo zu ertragen. t (BO[ TJDIFS JTU 0IOF &JOUSJUUTLBSUFO 4DIMBGTBDL 8BTTFS Sonnencreme und genĂźgend Bargeld läuft gar nichts. t 'FTUJWBMT TJOE UFVSFS HFXPSEFO *N %VSDITDIOJUU NVTT NBO &VSP fĂźr ein Ticket hinlegen. t 8PPETUPDL WFSTVT 8FC ;FJUBMUFS %JF )ĂŠOEF HFIFO WPS EFS #Ă IOF immer noch in die HĂśhe, nur haben sie keine Henna-Tattoos mehr und formen seltener ein Peace-Zeichen, sondern bedienen den AuslĂśser einer Kamera oder eines Smartphones. t (BO[ LMBS EFS CFTUF .PNFOU BVG FJOFN 'FTUJWBM 8FOO EJF 4POOF BVGHFIU Wenn man kaum noch stehen kann, tausend Blasen an den FĂźĂ&#x;en und RĂźckenschmerzen hat, aber die Musik, die Stimmung, die Farbe des Himmels so geil ist, dass man einfach nicht gehen kann. Eher bricht man auf der Tanzfläche zusammen und sagt sich: ÂťI don’t care, I love it!ÂŤ

C H R I S T I N E N E D E R (*1985) ist Social-Media-Expertin. Mit Smartphone und Laptop bewaffnet startet sie immer wieder ambitionierte Selbstversuche. Nachdem sie 90 Nächte in 90 Betten verbracht hat, schrieb sie nun das Buch 40 FESTIVALS IN 40 WOCHEN (Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag). Darßber hinaus arbeitet sie als freie Journalistin und schreibt an ihrem Blog. Wenn sie nicht gerade die Welt erkundet, pendelt sie zwischen Mßnchen und Berlin. www.lilies-diary.com


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T E X T Frankziska Schramm _ I L L U S T R A T I O N Asuka Grün

ICH LAUFE GEGEN EINE WAND Ich laufe gegen eine Wand. Ich tue das nicht metaphorisch, sondern ganz real. Die Wand ist sehr weiß und sehr hoch, und wenn ich ganz nah vor ihr stehe, scheint sie sich ins Unendliche auszudehnen. Ich stemme mich dagegen, aber sie weicht keinen Millimeter. Ich fluche. Die Wand gehört zu einem großen, hellen Raum, in dem normalerweise Yoga unterrichtet wird. Heute ist hier Schauspieltraining und dafür muss diese Wand jetzt herhalten. Ich nehme Anlauf und werfe mich mit der Schulter dagegen. Ich laufe noch einmal. Und noch einmal. Es tut weh. Ich lasse meine Stirn an die Wand fallen. Auch das tut weh. Ich schlage mit der Hand dagegen, nehme wieder etwas Anlauf, lasse mich dagegen knallen, wieder und wieder. Dass ich meinem Körper etwas abverlange, ist neu. Zu Hause bin ich sonst in meinem Kopf, dort sind meine Muskeln trainiert, dort bin ich wach und schnell. Mein Körper ist die große Unbekannte. Mich erstaunt das Geräusch meiner nackten Füße auf dem Holzboden, die Wucht des Aufpralls, der von der Schulter bis in die Füße läuft, die Augen, die sich für Sekunden schließen. Ein Schauspieler muss seinen Körper genau kennen, so wie Simone, mein Coach. Wenn sie gegen eine Wand läuft, sieht es so aus, als hätte sie nie etwas anderes getan. Ich arbeite mich an der Wand ab, bis ich nicht mehr kann. Ich lege mich auf den Boden, mir ist schwindlig, aber mein Körper fühlt sich erstaunlich leicht an, fast schwerelos. Als ich später wieder auf der Straße stehe, denke ich darüber nach, was passiert ist. Ich bin gegen eine Wand gelaufen. Es hat Spaß gemacht. Vielleicht bekomme ich blaue Flecken. Einige Wochen zuvor: An einem langweiligen Sonntagabend zappe ich durch die Kanäle und bleibe bei einer Castingshow hängen. Ich bin verblüfft, als ich feststelle, dass ich die junge Frau mit dem bodenlangen Rock kenne, zumindest flüchtig. Seit ich sie zuletzt vor sieben, acht Jahren gesehen habe, hat sie sich kaum verändert. Sie war ein durchschnittlicher Teenager, genau wie ich, nur jetzt singt sie vor tausenden von Menschen auf einer Bühne.

Ich unterhalte mich mit einer Freundin. Wir sind uns einig, dass es Leute gibt, die eben Glück haben. Weil sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Weil sie einen Freundeskreis haben, der sie unterstützt. Weil sie ein kleines bisschen mutiger sind als wir Durchschnittsmenschen. Aber ist es so einfach? Wer hält uns eigentlich davon ab, das zu tun, was wir eigentlich wollen? Wir sitzen uns gegenüber, Simone und ich. Wir kneten unsere Körper, das ist das Aufwärmritual. Wir fangen bei den Füßen an, gehen über Beine und Hüfte nach oben und landen schließlich bei Schultern, Nacken, Gesicht, Ohrläppchen. SIMONE IS T S CH AUSPIE L E R IN UND E S GE WOHN T, DINGE Z U T UN, DIE VON AUS SE N BE T R A CH T E T ME R K W ÜR DIG E R S CHE INE N. SIE W IR D DA F ÜR S OG A R BE Z A HLT. SIE S CHR E I T AUF DE R BÜHNE , SIE W E IN T, IHR L ÄUF T RO T Z AUS DE R N A SE . SIE DA R F DA S, A L S S CH AUSPIE L E R IN, UND ICH DA R F E S A B HE U T E AUCH. Dass ich Schauspielunterricht nehme, war so nicht geplant, aber jetzt, da ich es tue, frage ich mich, warum ich nicht schon viel früher darauf gekommen bin. Ich mag es, meine Texte vorzutragen. Ich mag den Klang meiner Stimme und ich mag es, wenn Menschen mir zuhören. Ich habe nur keine Ahnung, wohin mit meinem Körper, wenn ich auf der Bühne stehe. Woher ich auf einmal den Mut genommen habe, mir einen Coach zu suchen, weiß ich nicht genau. Ich weiß nur, dass es nicht gut um mich steht. Der Verlust einer Trennung liegt mir schwer im Magen, ich habe fünf Kilo abgenommen und kann mich darüber so überhaupt nicht freuen. Hinzu kommt die Leere, die nach Abgabe meiner Abschlussarbeit zurückgeblieben ist, und die Angst vor der Zukunft, die mir voll an die Nieren geht. Simone macht Aufwärmübungen für die Stimme vor. Ich mache es nach. Wir miauen wie Katzenbabys. Wir tun so, als würden wir leckere Dinge essen. Wir prusten wie Pferde. Ich sabbere ein wenig, ich darf das. Ich bin bei einem Vorstel-


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lungsgespräch und habe das Gefühl, völlig am falschen Ort zu sein. Ich sage ab. Ich löse mein Sparkonto auf. Es hat mich seit eh und je genervt, dass das Geld dort liegt und auf Vermehrung lauert. Jetzt kaufe ich mir eine gelbe Hose. Ich backe Kuchen und mache oben drauf dick Schokolade und bunte Zuckerstreusel. Mein Magen lächelt. ICH E R Z Ä HL E ME INE N F R E UNDE N, DA S S ICH JE T Z T S CH A US P IE L UN T E R R ICH T NE HME . »W IE S O DA S , W IL L S T DU JE T Z T S CH A U S P IE L E R IN W E R DE N ?« , F R A GE N S IE . ICH F ÜHL E MICH MIS S V E R S TA NDE N. Simone und ich machen die Großspiel-Übung. Sie ruft mir Begriffe zu und ich mache spontan das, was mir dazu einfällt. Es gibt nur eine Regel: Alle Bewegungen müssen so groß wie möglich sein. Simone sagt, zu Beginn ihrer Schauspielausbildung hat sie diese Übung gehasst. Simone ruft »Delphin« und ich schwimme flippermäßig durch den Raum. Sie ruft »Welle« und ich werfe mich zu Boden und rolle mich über den Parkettboden. Simone ruft »Nikolaus« und ich trage einen imaginären Sack und fuchtle böse vor imaginären Kindergesichtern herum. Die Großspiel-Übung kostet Überwindung, aber sie ist noch lange nichts im Gegensatz zu dem, was wir in den nächsten Wochen machen. Wir arbeiten an einem meiner Gedichte. Ich hasse es. Es ist nur Simone, die mir zusieht, aber mein Körper ist nervös. Die Zeilen, die ich auswendig gelernt habe, purzeln durcheinander. Ich habe dieses Gedicht geschrieben, ich habe es für den Unterricht ausgewählt, ich wollte es machen. Jetzt erscheint es mir kitschig. Dumm. Unfassbar peinlich. Habe ich das geschrieben?

In den nächsten Wochen ringe ich mit mir. Der Widerstand in mir wächst, die Angst plustert sich auf, mein Kopf wehrt sich. Am liebsten würde ich Simone anrufen und sagen: »Tut mir leid, aber Schauspielen ist einfach nichts für mich. Lass uns Freunde bleiben.« Ich tue es nicht. Die Peinlichkeit ist eine schwarze Katze. Sie folgt mir auf Schritt und Tritt. Sie flüstert mir zu, dass ich keinesfalls auf einem überfüllten Gehweg stehen bleiben kann, um einem Straßenmusiker zuzuhören. Sie sitzt in meinem Zimmer und deutet vorwurfsvoll auf die Staubflusen in der Ecke. Sie verbietet mir meine Freunde anzurufen, nur um ihnen zu sagen, wie gern ich sie habe. Peinlich, peinlich, peinlich, sagt die Katze und schüttelt den Kopf. DIE P E INL ICHK E I T WA R IMME R DA IN ME INE M L E BE N, A BE R S IE WA R E HE R E INE UNRUHIGE BE W E GUNG, E T WA S , DA S M A N NUR A U S DE N A UGE N W INK E L N WA HR NIMM T. Jetzt sehe ich, wie viel Raum diese schwarze Katze hat, wie sie ständig um meine Beine streicht und mich dieses nicht tun und jenes vermeiden lässt. Ich stöpsele mir Musik ins Ohr und tanze nachts um halb zehn auf dem U-Bahnsteig. Peinlich, peinlich, peinlich, sagt die Katze, aber ich kann sie Gott sei Dank nicht hören. Ich sehe Castingshows, ich kann nicht anders. Die Kandidaten sagen Sätze in die Kamera – Sätze, die sie von anderen Kandidaten in anderen Castingshows gelernt haben.


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auf, der sich von der Flasche gelöst hat, und schmeiße ihn in den Papierkorb. Simone grinst. Jetzt ist die Einrichtung dran. Ich hebe einen Stuhl hoch über meinen Kopf und lasse ihn auf den Boden krachen. Ich erschrecke. Ich schleudere den Stuhl gegen die Wand und zucke wieder zusammen. Es ist laut. Ich mache diese Geräusche. Ich bin der Urheber dieses unanständig lauten Lärms. Ich lasse den Stuhl mit Wucht auf einen Tisch fallen. Die Tischplatte geht kaputt, sie platzt an einer Stelle auf, ein drei Zentimeter großer Riss. Zu Hause esse und trinke ich und falle völlig erschöpft in mein Bett. Es ist meine Idee gewesen, es krachen zu lassen. Simone hat die Idee aufgegriffen und zu etwas Konkretem gemacht. Ich habe Angst vor der Kraft, die in mir schlummert.

Sie erzählen in unterschiedlichen Variationen ein und dieselbe Geschichte: Dass sie diese einmalige Chance nutzen wollen. Jetzt oder nie. Dass sie endlich das machen wollen, was sie immer schon tun wollten. Und dann laufen sie diesen Gang hinunter, in Zeitlupe. Die Tür öffnet sich und sie treten aus dem Schatten hinein ins Scheinwerferlicht. Ist es möglich, dass eine Fernsehshow ein Leben verändert? Ist es möglich, sich bewusst für einen Punkt zu entscheiden, an dem sich das Blatt wendet? Oder sind es immer nur Richtungen, die man einschlagen kann – Wege, auf die man sich begibt, ohne jedoch sagen zu können, wo man ankommt? Ich will nicht berühmt werden. Ich möchte auch von keiner Jury gemustert und beurteilt werden. Ich will die sein, die ich bin. Wir haben den Raum gewechselt, wir sind jetzt im AggroZimmer. »Du wolltest doch den ganzen Laden zerlegen, oder?«, fragt Simone und ich nicke. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das kann. Ich habe noch nie Kaugummi unter eine Parkbank geklebt. Ich habe nie an Fassaden geschmiert oder U-Bahn-Sitze aufgeschlitzt. Einmal habe ich ein Buch geklaut, aus Versehen, ich bin zurück in die Buchhandlung und habe bezahlt. Und jetzt soll ich Dinge gegen die Wand werfen – im Ernst? Ich probiere mich an einer Wasserflasche. Es knallt, als sie gegen die Wand klatscht, sie ist halbvoll und ein wenig Wasser tropft raus. Ich werfe noch einmal. Und noch einmal. Ich habe Schiss, dass sie platzt, aber so eine Flasche ist erstaunlich robust. Ich lege meine ganze Kraft in den Arm. Und meine Wut. Ich schreie. Ich schwitze. Es knallt wieder und wieder, bis die Flasche tatsächlich aufgibt. Ich hebe den Papierring

Ich kaufe auf dem Markt drei riesige Bündel Petersilie. Anschließend sitze ich zwei Stunden in der Küche, hacke die Petersilie und friere sie ein. »Du siehst glücklich aus«, sagt meine Mitbewohnerin. Am Telefon spreche ich mit meinen Eltern. Ich sage ihnen, dass sie sich keine Sorgen um mich machen müssen, und habe das Gefühl, noch nie so klar gewesen zu sein. Mein Ex-Freund kommt und holt seine Sachen bei mir ab. Ich halte ihm einen Karton hin, sage: »Vorsicht, ist schwer.« Er nimmt ihn wortlos entgegen. Wir lächeln scheu. S IMONE IS T ME INE K U T S CHE . S IE F R A G T, W OHIN ICH W IL L . S IE R E A GIE R T A UF DA S , WA S ICH T UE . S IE BR ING T MICH VON P UNK T A Z U P UNK T B UND VON DOR T N A CH C. Wir zerlegen mein Gedicht in kleine Teile, die wir schließlich wieder zusammensetzen. Als ich es vortrage, nach vier Wochen Arbeit, ist es, als könnte ich fliegen. Ich lasse mich tragen vom Rhythmus meiner Worte, von der Erinnerung meines Körpers. Ich weiß, was ich sagen will und warum. Und zu wem. Ich schreibe Bewerbungen. Es hagelt Absagen. Ich laufe gegen eine Wand, denke ich. Ich laufe gegen eine beschissene Wand, die keinen Millimeter nachgibt. In meinem Kopf wird es bedrohlich eng. Ich denke an die sehr weiße, sehr harte Wand im Yoga-Studio und muss plötzlich lächeln. Ich habe keinen einzigen blauen Fleck davongetragen.

F R A N Z I S K A S C H R A M M (*1985) ist seit Neuestem eine Meisterin im Ausdrücken ihrer Gefühle und Talente. Das verdankt sie Schauspielerin und Coach Simone Jäger (www.weichewiese.de). Und ihrer neuen Entschlossenheit, Dinge, die sich in ihrem Kopf festgesetzt haben, endlich anzugehen. Jetzt ist sie schon mitten in ihrer nächsten Herausforderung: Ein Volontariat in München machen – und vielleicht öfter mal ein Gedicht vortragen.


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F O T O Farina Kuklinski


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KAPITEL

â„–2

Selber machen Wanting to be someone else is a waste of the person you are. KURT COBAIN


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A U S A LT M A C H N E U Auch die größten Künstler brauchen einen Rückzugort, um sich zu entspannen und neue Inspiration zu sammeln. Du entdeckst einen Holzverschlag, eine Gartenlaube oder einen alten Wohnwagen? Greif zu, bevor es jemand anderes tut! Unsere Artdirektorin Cathrin stieß zufällig auf solch einen Rohdiamanten und wurde, nachdem sie den perfekten Platz für ihn fand – auf einer Lichtung vor einem kleinen Bach – im letzten Sommer am Wochenende nur noch selten in der Stadt gesichtet. Wir zeigen, wie man aus solch einem alten Schatz mit ein bisschen Geschick eine Wohlfühloase zaubern kann.


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RAUM FÜR IDEEN Damit Deine Gedanken frei umherschwirren können, brauchst Du Platz. Reiß alles raus, was sperrig ist und Dich einengt. Cathrin hat aus ihrem Wohnwagen das Bad entfernt – echte Hippies brauchen so etwas nicht. An dessen Stelle gibt es jetzt einen großen Essplatz mit Küche, an dem auch Freunde gerne Platz nehmen (und eigentlich nie wieder weg wollen). Zu übermütig solltest Du bei der Entrümpelung allerdings nicht werden – überlege, was später einmal nützlich sein könnte, auch wenn es jetzt unnötig wirkt. Die Heizung ist so ein Fall. Gemütlich soll es schließlich zu jeder Jahreszeit sein.

ALLES FASSADE Beim Spermüll gibt’s schöne alte Möbel für lau, der Trödel-Händler um die Ecke will dafür nur wenig. Ordentlich geputzt, mit Holzfarbe oder neuen Griffen aufgemotzt (gibt es öfters auf Flohmärkten), hast Du ein einzigartiges Schmuckstück. Achte darauf, dass Du vor anderen nicht zu sehr von Deiner neuen Kommode schwärmst. Wer sich in Möbel verliebt, wird komisch angeguckt.

SCHÖNER SCHNICKSCHNACK Kerzen, Vasen, Vogelkäfige – Mutti hatte Recht: Deko gibt jedem Ort eine Seele. Und meistens sind genau die Dinge am schönsten, die ursprünglich eine andere Funktion hatten. Kaffeedosen und Flaschen, in denen jetzt Blumen stecken, Dosen aus fremden Ländern, die zu Kerzen werden, Vogelkäfige, in denen jetzt ein nachgemachter Piepmatz sitzt. Aber: Übertreib es nicht. Lieber sorgfältig ein paar Stücke herauspicken, als einen Ramschladen draus machen. Kissen machen aus einer ollen Couch mit schwerfälligem Muster eine einladende Sitzecke. Je stärker sie sich vom Muster abheben, desto besser. Farbige und kunstvolle Kissen kriegst Du in jedem Einrichtungsladen. Oder noch besser: Kissenfüllung und Stoff kaufen und selber nähen!


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FRISCHE FARBE Um Deinem Baby frisches Leben einzuhauchen braucht es zuallererst einen neuen Anstrich. Sag dem beigebraunen 70er-Look Ade und mach die Farbtöpfe auf. Außen nimmst Du dazu wetterfesten Lack (hier: Gold-Lack für außen und türkisfarbigen Acryl-Lack). Vorher füllst Du eventuelle Lecks mit Abdichtmasse für Dächer und Boote. Auch schönen alten Einrichtungsgegenständen kannst Du mit Acryl-Lack frischen Charme geben. Cathrin hat die hölzernen Wandschränke weiß angemalt, was den Raum größer und offener wirken lässt. Wichtig: Erst anschleifen, dann lackieren. Warte auf ein paar schöne Tage, damit die Farbe in Ruhe trocknen und auslüften kann.

SAY MY NAME Etwas, in das Du so viel Zeit und Mühen steckst, verdient einen Namen. Erstens weil es einfach Spaß macht, sich ausgefallene oder bewusst bodenständige Namen einfallen zu lassen: Gertrud, Lutz oder vielleicht Annabelle? Zweitens, weil Du schelmisch in dich hinein lachen kannst, wenn Deine Freunde grübeln, wer wohl dieser Unbekannte ist, mit dem Du seit neuestem so viel Zeit verbringst. Einfach zum Anbringen und quasi unverwüstlich sind Buchstaben aus Outdoor-Klebefolie, die auch für Autobeschriftungen verwendet wird. Die kriegt man beim Werbemittelhersteller, der den Schriftzug auf Wunsch auch gleich ausschneidet.

HER MIT DEM KLEISTER! Geschmackloser Plastikverkleidung und grauen Wänden kannst Du mit schönen Tapeten zu Leibe rücken. Ein paar bunte Reste reichen schon. Als Collage zusammengesetzt ergeben sie ein neues Ganzes und schaffen im Handumdrehen eine heimelige Atmosphäre. Kleine, unscheinbare Ecken, die Du mit farbiger Tapete schmückst, werden so auf einmal zu etwas Besonderem. Am besten gelingt das Klebevergnügen mit Kleister. Je nach Dicke der Tapeten solltest Du zu der Packung für extra schwere Tapeten greifen.

T E X T Stephanie Dietze _ F O T O S Alexander Manz


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T E X T Jamie Mossengren _ I L L U S T R A T I O N Björn Steinmetzler

HOW TO BE A STRASSENKÜNSTLER Straßenkünstler werden oft in dieselbe Schublade gesteckt wie Bettler. Tatsächlich ist die Straßenkunst einer der ältesten Berufe der Menschheit und es gibt tatsächlich Menschen, die davon leben. Doch wie stellt man eine Show zusammen, um am Ende möglichst viele Kröten im Hut zu haben? Straßenkünstler Jamey erklärt uns, wie es geht. Achtung, Ansteckungsgefahr: Für alle, die gerne Menschen unterhalten, ist der Beruf des Straßenkünsters eine echte Alternative.


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PÄNG!KURS

1. A U F G E H T ’ S ! Zuallererst solltest Du herausfinden, ob Straßenkunst etwas für Dich ist. Es wird gute und schlechte Tage geben, die Du nur mit einer gehörigen Portion Selbstvertrauen, Entschlossenheit und Mut überstehst. Es kommt vor, dass Leute einfach gehen oder sich über Dich lustig machen – und Du trotzdem erhobenen Hauptes weitermachen musst. Die Straßenkunst ist eine der härtesten und gleichzeitig tollsten Jobs, die ich mir vorstellen kann. An vielen, vielen Tagen kommst Du mit einem breiten Grinsen nach Hause, an anderen mit Tränen in den Augen.

dann brauchst Du eine Erlaubnis oder eine Haftpflichtversicherung. Meist kannst Du alle wichtigen Informationen im Netz finden. Wenn Du keine Information für Straßenkünstler findest, versuche es einfach und bitte um Verzeihung, falls Du erwischt wirst.

Wenn Du jetzt denkst, das ist es, dann brauchst Du eine gute Show. Schreibe Dir deine Tricks zunächst genau auf. Wenn Du zufrieden bist, übe sie vor deiner Familie und Freunden. Ist Dir das schon peinlich, ist der Job nichts für dich. Auf der Straße gehört es dazu, von völlig Fremden beschimpft und ignoriert zu werden.

4. SOUNDTR ACK FÜR DEINE SHOW Eine Lautsprecheranlage ist nicht zwingend erforderlich, aber sehr nützlich. Es gibt einige Anlagen, die speziell für Straßenkünstler gemacht sind. Die billigste und einfachste ist »Amp Can« von Fender. Sie wird zwar nicht mehr produziert, aber oft kann man sie bei Ebay günstig erstehen. Du kannst jeden MP3-Player daran anschließen und so Deine Show-Musik abspielen.

2. SCHICKE TRICKS Mach eine Liste aller Tricks, die Du in deiner Show haben möchtest. Es sollten nur Tricks sein, die zu 95 % klappen. Es ergibt keinen Sinn, Tricks zu zeigen, die man nicht beim ersten oder spätestens zweiten Mal hinkriegt. Einige der einfachsten Tricks imponieren dem Publikum manchmal mehr, als die schwersten Tricks es je schaffen. Egal ob Du Jonglier-, Einrad- oder Zaubertricks bzw. Deine Zirkus-Fertigkeiten zeigen möchtest: Nicht das Was zählt, sondern das Wie. Ein Künstler kann mit ein paar einfachen Tricks zehnmal so viel einnehmen wie jemand, der sehr schwierige Tricks zeigt. Der wichtige Unterscheid liegt im Präsentieren seiner Tricks, dass er mit dem Publikum redet und es zum Lachen bringt. Aber das ist alles eine Frage der Übung. 3. DIE PERFEK TE BORDS TEINMANEGE Der richtige Standort ist der Schlüssel zum Erfolg. Märkte und Rummelplätze sind in der Regel am besten, weil die meisten Menschen dort hingehen und auch Zeit haben zu verweilen. Jeder Platz mit vielen Touristen ist gut geeignet. Sogar ein gut besuchter Strand an einem schönen, warmen Tag kann eine richtig gute Location sein. Hauptsache: viele Menschen. Theoretisch kannst Du als Straßenkünstler auf der ganzen Welt auftreten, allerdings eignen sich manche Orte besser als andere. Viele Plätze haben Gesetze und Verordnungen,

Wenn Du neu bist, halte Dich ruhig an die Konkurrenz. Andere haben das Feld bereits gesichtet und wissen, wo sich eine Show lohnt. Denke immer daran, dass Ihr im Wettbewerb um die Gunst des Publikums steht. Sei stets freundlich und respektvoll gegenüber den anderen Straßenkünstlern.

Zudem lohnt sich ein Mikrofon. Die billigste und einfachste Variante sind normale Mikrofone mit Kabel. Besser sind schnurlose Mikrofone, da Du frei sprechen und Dich voll auf Dein Publikum konzentrieren kannst. Beachte dabei, dass Du eine große, schwere (wasserdichte!) Batterie an Deinem Körper tragen musst. Ein gutes Mikrophon lässt Deine Show gleich viel professioneller aussehen. Wenn Du Dir am Anfang keine Sound-Anlage leisten kannst, nutze einfach Deine starke, laute Stimme, bis Du genügend Geld gespart hast. 5. DIE GROSSE KUNS T – LEUTE KÖDERN Ein Publikum anzulocken ist mit Abstand der schwerste Teil der Show. Wenn Du erst einmal ein Publikum hast, ist es meist einfach, es zu halten, besonders wenn Du nicht aufhörst, mit ihm zu reden und es zu unterhalten. Wichtig dabei: Publikum lockt noch mehr Publikum. Nutze Hütchen, ein Seil oder Kreide, um Deine Bühne zu kreieren. So wissen Deine Zuschauer, wo sie stehen oder sitzen können. Während Du das tust, bitte jeden, der die Show sehen möchte, ganz nach vorne zu kommen. Es gibt nichts Schlimmeres als ein verstreutes Publikum – das wirkt, als ob Du nicht wirklich gut bist. Beginne mit ein paar leichten Aufwärmtricks oder etwas anderem, womit vorbeigehende Leute


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auf Dich aufmerksam werden. Baue schon mal das Equipment für Deinen finalen großen Trick auf, in meinem Fall ist es ein sehr hohes Einrad. Auch Flammen sind ein guter Blickfang und locken Publikum an. Erinnere Dein Publikum daran, dass es eine Live-Show sieht, keine aufgezeichnete Fernsehsendung – und dass auch Du Gefühle hast. Wenn sie gut gelaunt sind, wirst Du ihnen diese positive Energie zurückgeben. Sag ihnen, dass sie klatschen, rufen und schreien sollen, wenn ihnen etwas gefällt. Wenn ihnen etwas nicht gefällt, tja, dann sollen sie trotzdem klatschen! Mache einen Klatsch-Test mit ihnen, zähle bis drei und lasse sie so viel Lärm wie möglich machen. Das bringt Dir ein größeres Publikum, mehr Spaß und Du kannst die Show beginnen. 6 . T H E S H O W M U S T G O O N – H A LT E D E I N P U B L I K U M Jetzt ist es an der Zeit, Deinem Publikum einige Deiner coolen Tricks zu zeigen. Während Du einen Trick vorbereitest, erkläre, was Du gleich zeigen wirst. Vergiss nicht, immer wieder zu betonen, wie schwer es ist – auch wenn das nicht stimmt. Je mehr Witze Du über die Tricks machen kannst, desto mehr Publikum bleibt bei Dir stehen. Ich setze zum Beispiel ein Perücke und eine Pilotenbrille zu dem Song »Stayin’ Alive« auf, um die Leute zum Lachen zu bringen. Wenn Du einen Fehler machst, mach einen Witz darüber. Sag »Das war ein Fehler ... ungefähr so wie mein Bruder und meine Schwester!« Strahle positive Energie aus und stecke so die Leute damit an. Wenn Du mal einen schlechten Tag hast, ist es vielleicht besser, an diesem Tag nicht aufzutreten. Menschen merken es, ob jemand arbeitet, weil es ihm Spaß macht, oder ob er nur das Geld will. 7. S TA N D I N G O VAT I O N S F Ü R D E I N G R O S S E S F I N A L E Deine Show muss ein Ende haben, ein großes Finale. Hier solltest Du Deinen besten oder gefährlichsten Trick zeigen. Ein hohes Einrad eignet sich dafür gut, natürlich gilt: je höher desto besser. Generell geht alles, was gefährlich aussieht, beispielsweise mit Fackeln oder Messern jonglieren. Mit Fackeln oder Messern auf einem sehr hohen Einrad jonglieren wäre natürlich noch besser. Zeig zum großen Finale den beeindruckendsten Trick, den Du beherrschst. Das kann auch eine schwerere Version eines vorigen Tricks sein, zum Beispiel indem Du einen Freiwilligen mit einbeziehst. Während Du aufbaust und Dich auf den Trick vorbereitest, achte darauf,

zu erzählen, wie schwer dieser Trick ist und dass nicht viele Menschen auf der Welt das schaffen. Erzähl, was alles passieren könnte, falls es Dir nicht gelingt: Du könntest Deine Beine brechen oder impotent werden. Je mehr Spannung Du aufbaust, desto besser. Und dann, kurz vor dem entscheidenden Showdown, ist es Zeit für die Hut-Rede. 8 . C A S H F Ü R D I E TÄ S C H Jetzt heißt es Stargage oder Hungerlohn. Die Hut-Rede ist der Teil der Show, in dem Du um Geld bittest. In diesem Augenblick entscheidet der Zuschauer, ob er Dir Scheine oder Münzen gibt. Machst Du es richtig, kannst Du mehr als 50 Euro verdienen. Wirkt es unbeholfen, kriegst Du vielleicht zehn Euro zusammen. Zuerst musst Du den Leuten klarmachen, dass dies Dein Broterwerb ist und Dich niemand dafür bezahlt, außer Deine Zuschauer. Erkläre, dass Du kein Bettler bist, sondern dass Du ihnen Unterhaltung geboten, sie zum Lachen gebracht hast. Der zweite Teil ist der wichtigste. Erzähle Deinem Publikum, wie viel Du wert bist. Setze hoch an, so zehn Euro. Einige Leute werden Dir wirklich so viel geben, der Rest wird um die fünf Euro oder etwas weniger sein. Setzt Du tief an, bekommst Du nichts als Wechselgeld. Einmal habe ich während einer Show vergessen zu sagen, wie viel sie mir geben sollen und ich bekam nur Kleingeld. Letztendlich habe ich ein Viertel von dem bekommen, was ich sonst kriege. Am Ende dankst Du Deinen Zuschauern dafür, dass sie bis zum Ende zugesehen haben. Erzähl ihnen, dass sie ein tolles Publikum sind. Nach der Hut-Rede zeigst Du das große Finale, bleibst mit Deinem Hut stehen und dankst den Leuten, während sie Geld hineinlegen. 9. G E T T I N G R I C H I S N O T F O R S I S S I E S Obwohl ich nicht mehr so viel Geld wie in meinem alten Ingenieurs-Job verdiene, bin ich jetzt glücklicher, weil ich den Leuten ein gutes Gefühl geben kann und sie zum Lachen bringe. Ich freue mich aufs Arbeiten, anstatt mich davor zu drücken. Wenn Du Deinen Job hasst und glaubst, dass Du unterhalten kannst, probier es aus. Im schlimmsten Fall musst Du nur wieder zurück in Deinen alten Job. Viel Glück und viel Spaß!

CHECKLISTE S C H Ö N E S W E T T E R _ P O S I T I V E E I N S T E L L U N G _ G U T G E L A U N T E S P U B L I K U M _ F E T T E L O C AT I O N PA S S E N D E TA G E S Z E I T _ W E N I G KO N K U R R E N Z


SELBER MACHEN _ 83

J A M E Y M O S S E N G R E N (*1979) wächst in Minnesota auf, macht einen Bachelor in Maschinenbau, zieht nach Kalifornien und arbeitet für eine Firma, die Medizinprodukte herstellt. Nach vier Jahren kündigt er, fest entschlossen, sein Geld von nun an auf der Straße zu verdienen. Er fährt zum Venice Beach, um Straßenkünstler zu beobachten. Heute macht er in Sydney täglich seine Show mit Einradtricks. Auch in seiner Freizeit fährt er noch gerne Einrad – dann allerdings offroad. www.uniproshow.com


84 _ KLEINE WEHWECHEN

IT'S SHOWTIME, BABY! Du stehst hinter dem schweren Vorhang und lugst verstohlen durch einen Spalt in den sich füllenden Saal. Du schnürst Dir die Schuhe für den Sportwettkampf, für den Du so lange trainiert hast. Du wartest während der Trauung Deines besten Freundes auf den Einsatz, um den Hochzeitsmarsch einzuleiten. Es gibt diese Momente im Leben, in denen man alles perfekt machen möchte – und plötzlich: Panik. Die Hände sind klitschnass, Dir wackeln die Knie und pinkeln könntest Du auch schon wieder. Kein Grund, den Flattermann zu machen – Lampenfieber überfällt die ältesten Showhasen. Wie Du die Nacht vorm großen Auftritt trotzdem gut schlummern und Dein Zittern auf ein gesundes Minimum reduzieren kannst, zeigen wir Dir hier.

PIPI-ALARM Du hast Dein aufwändig genähtes Kostüm angezogen und bist schnurstracks auf dem Weg zur Bühne. Plötzlich drückt die Blase. Um dem zu entgehen, solltest Du vorher genug, aber nicht zu viel trinken. Mach während Deiner Vorbereitungen, solange noch ausreichend Zeit ist, bewusst eine Pinkelpause. So weißt Du später, dass es nur die Nervosität ist, die nach draußen will. Geht es endlich los, sind Deine Gedanken sowieso woanders und der Drang ist verflogen.

SCHLAFLOS VON 0:00 - 06:00 UHR Du liegst wach und starrst schon ewig auf Deine Raufasertapete. In Deinem Kopf spielst Du Deinen großen Auftritt durch, immer und immer wieder. Mal läuft alles glatt, mal katastrophal. Wie soll man bei dieser Hektik im Oberstübchen einschlafen? Wichtig ist jetzt: Lenk Deine Gedanken lieber in eine andere Richtung, als ohne Ergebnis über etwas zu spekulieren. Lies Dein Lieblingsbuch, bis Dir die Augen zufallen. Lausche einem Abenteuer der Drei Fragezeichen. Oder stell Dir noch einmal ganz genau vor, was Du in der letzten Woche morgens, mittags und abends gegessen hast. Und am besten auch, wie lecker es war.

S T E P H A N I E D I E T Z E (*1986) ist eher beunruhigt, wenn sie vor Sport-Wettkämpfen oder Auftritten beim Familienfest kein Lampenfieber hat. Genau einmal ist ihr das passiert – das Ergebnis war katastrophal. Über die Jahre hat sie gelernt, Lampenfieber als Bestandteil wichtiger Momente zu sehen.


SELBER MACHEN _ 85

SCHLOTTERIGE KNIE Bisher lief alles wie am Schnürchen. Doch auf einmal, so scheint es, können Deine Knie Dein Gewicht nicht mehr tragen. Zeig ihnen, dass sie es können. Hüpf auf der Stelle locker auf und ab. Mach ein paar Kicks zu allen Seiten, wie Bruce Lee zu seinen besten Zeiten. So bekommst Du Dein Körpergefühl zurück und wirst gleichzeitig entspannter.

WA S S E R FA L L H Ä N D E

BYE-BYE, KREISLAUFKOLLAPS

Die Aufregung kurz vorm Rampenlicht

Hastig atmest Du ein und aus. Dein Herz bebt so laut und schnell, dass Du das

versetzt Deinen Körper in Alarmbereitschaft.

Gefühl hast, Godzilla spielt Sackhüpfen vor dem Haus. Um wenige Minuten vor

Deine Hände werden schwitzig. Wenn noch

Deinem Auftritt wieder runterzukommen, setze ganz gezielt die Bauchatmung ein.

Zeit ist, halte sie unter fließend kaltes Wasser.

Lege eine Hand flach unter Deinen Bauchnabel. Atme tief ein und stell Dir vor,

Wer nicht nur feuchte, sondern fast schon

wie Dein Atem langsam hinunter zu Deiner Hand wandert und sie vom Bauch

klitschnasse Hände hat, kann es mit Baby-

wegdrückt. Und jetzt der Rückweg: Konzentriere Dich auf den Weg der Luft zurück

puder oder Cremes mit Methenamin aus der

nach außen. Wie Deine Hand wieder sinkt und Dein Atem durch die Nasenlöcher

Apotheke versuchen. Gegen den Stress hilft:

strömt. Lass Dir bewusst Zeit dafür. Wiederhole diese Etappen, bis Du wieder ruhig

Lenk Dich ab, sprich mit jemandem über den

wie ein Bergsee bist.

letzten Urlaub oder laufe im Galopp einmal den Gang hoch und runter.

GEDANKENSTRUDEL Du kannst es kaum noch aushalten, Deine Gedanken schlagen Purzelbäume und all die herumwuselnden Menschen in der Nähe machen es nicht gerade besser? Zur Ruhe kommst Du mit einer Gedankendusche. Mach die Augen zu und stell Dir vor, Du stehst unter einer Dusche, die all Deine Gedanken und Bilder im Kopf von Dir abwäscht und den Abfluss hinunterspült. Sind sie verschwunden, lass die Augen geschlossen und das Wasser noch ein bisschen plätschern. Jetzt kann es losgehen: Mach die Augen auf, bring Dich in Position und zeig, was Du kannst!

T E X T Stephanie Dietze & Kerstin Pasemann _ I L L U S T R A T I O N Marina Friedrich


86 _ SELBER MACHEN

F O T O Friederike Franze


ALLES AUSSER KUNST _ 87

KAPITEL

№3

Alles außer Kunst Hau mal auf die Pauke, jeder soll Dich hör'n, magst Du auch die Nachbarn spät am Abend stör'n, lass die Wände wackeln und den Staub zu Boden fall'n, bis die Fenster offenstehen und die Türen knall'n. KINDERLIED


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Fame & Fans S P I E L Stella Brikey _ I L L U S T R A T I O N Janna Klävers

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PÄNG!SPIEL _ 91

Wer davon träumt, ein Pop- oder Rockstar zu sein, hat genau zwei Möglichkeiten: Entweder man macht bei einer Castingshows mit oder man probiert es auf »herkömmliche Weise« und spielt sich mit seiner Garagenband die Hände blutig – immer in der Hoffnung, eines Tages entdeckt zu werden. Wer kommt schneller ans Ziel und kriegt einen Plattenvertrag, den Fame, die Fans? Unser kleines Spiel wird es zeigen …

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94 _ PÄNG!RÄTSEL

FILM AB!

1 »Diese bekackten Amateure.« 2 »Niemand hat mich geschickt. Ich bin mein eigener Auftraggeber.« 3 »1984 wird man in jeder Apotheke Plutonium kaufen können.« 4 »Bei einem unehrlichen Mann wie mir könnt ihr darauf vertrauen, dass er unehrlich ist ... ehrlich!« 5 »Du bist wütend, weil du in Frauenkleidern rumlaufen musst.« 6 »Verfluch mich noch mal!« 7 »Der beste Freund eines Mannes ist seine Mutter.« 8 »Ich habe eine Wassermelone getragen!« 9 »Du hast mich in einer seltsamen Phase meines Lebens getroffen.« 10 »Durch die Tür hinaus, zur linken Reihe, jeder nur ein Kreuz!« 11 »Den Tod als Gewissheit, geringe Aussicht auf Erfolg – worauf warten wir noch?« 12 »Hamburger! Der Grundstein eines jeden nahrhaften Frühstücks!« 13 »Der ist doch zu blöd, ne Muschi in nem Puff zu finden.« 14 »Ich werde ihm ein Angebot machen, das er nicht ablehnen kann.« 15 »Küss mich! Küss mich, als wäre es das letzte Mal!« 16 »Denn wenn ihr glaubt, Mick Jagger würde mit 50 noch rumzappeln und einen auf Rockstar machen, irrt ihr euch leider gewaltig!« 17 »Sie sammeln sich da draußen, als ob sie einen Plan hätten.«

R Ä T S E L Stephanie Dietze _ I L L U S T R A T I O N Jan Anderson

Liebe Generation Flimmerkiste, das Leben schreibt immer noch die besten Geschichten. Aber manchmal – kennt Ihr das? – fehlt zum richtigen Moment der filmreife Spruch. Doch damit ist jetzt Schluss: Stöbere in Deiner Kopf-Videothek herum und ordne diese Knallersprüche dem richtigen Streifen zu. Klappe, die erste – und Action!


Päng! immer rechtzeitig noch vor dem Handel im Briefkasten haben? Und die limitierten Päng!Buttons abgreifen?

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