MAG 33: La bohème

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MAG 33

Guanqun Yu singt MimĂŹ


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Editorial

Theaterspass für alle Sehr verehrtes Publikum, wir haben unser Ensemblemitglied Ruben Drole gefragt, was eigentlich eine gute Kinder­oper ausmache, und er hat geantwortet: Sie müsse auch für Erwachsene lustig sein! Erst wenn sie auf mehreren Ebenen funktioniere, sei sie richtig gut. Das ist na­ tür­­lich leichter gesagt als getan. Jahr für Jahr suchen wir für unsere Familien­opernPosition nach einer Geschichte, die Kinder anspricht und fesselt, aber auch den Eltern und Grosseltern Spass macht, denn die begleiten ja oft unsere jungen Gäste ins Theater. Unser Stück muss grossformatig angelegt sein, denn wir präsentieren es auf unserer Hauptbühne mit dem ganzen Theaterzauber, den eine Opernbühne aufzu­ bieten hat. Die Musik soll dem künstlerischen Anspruch unseres Opernhauses genü­ gen, aber auch für die Kinder und Erwachsenen zugänglich sein, die zum ersten Mal in die Oper gehen. Einen zugkräftigen Titel soll das Stück natürlich auch noch haben, denn wir spielen es in einer Saison so oft wie keine andere Produktion. In den vergangenen Jahren haben wir mit der Schatzinsel, dem Gespenst von Canterville und Robin Hood auf literarische Klassiker gesetzt. In dieser Spielzeit jedoch stellen wir Ihnen mit Das verzauberte Schwein des englischen Erfolgskompo­nisten Jonathan Dove eine Märchengeschichte vor, die kaum jemand kennt, die aber min­ destens genauso viel Spannung, skurrilen Witz und Farbigkeit besitzt wie die bewähr­ ten Klassiker. Sie handelt von der schönen Prinzessin Flora, die im Gegensatz zu ihren beiden grossen Schwestern leider ein Schwein heiraten muss. Das findet sie nach dem ersten Schock aber gar nicht mehr so schlimm, denn sie darf nun Dinge tun, die ihr als Prinzessin immer verboten waren – zum Beispiel sich schmutzig machen und im Schlamm baden. Ausserdem erweist sich das Schwein, wie sich das für ein Märchen gehört, als ein verzauberter Prinz. Bis Flora den allerdings heiraten darf, muss sie viele schwere Prüfungen bestehen. Auch was den Musikstil des Stücks angeht, haben wir mit dem Verzauberten Schwein etwas Spezielles gewagt: Obwohl das Stück von unseren Ensemblemitgliedern, also ausgebildeten Opernsängern, auf die Bühne gebracht wird, ist es eigentlich eher ein Musical als eine Oper. Lassen Sie sich also überraschen, wenn sich am 14. Novem­ ber der Premierenvorhang zu unserem neuen Musik-Märchen hebt. Ruben Drole, den Sie bestimmt schon als Papageno am Opernhaus Zürich erlebt haben, übernimmt übrigens die Rolle des Schweins und kann daher selbst dazu beitragen, dass dieser Theaterspass auch für die Erwachsenen lustig wird. Das verzauberte Schwein ist nicht die einzige Premiere, die das Opernhaus in diesem Monat zu bieten hat. Mit einer Neuproduktion von Puccinis La bohème steht ausserdem einer der populärsten Operntitel des Repertoires überhaupt auf dem Pro­ gramm. Zum ersten Mal wird der norwegische Regisseur Ole Anders Tand­berg in Zürich inszenieren, am Dirigentenpult gibt der Italiener Giampaolo Bisanti ebenfalls sein Zürcher Debüt. Und wir sind stolz, Ihnen den hochgehandelten ameri­kanischen Tenor Michael Fabiano in der Partie des Rodolfo präsentieren zu können, die Mimì an seiner Seite ist die Chinesin Guanqun Yu. Zu allen Künstlern, Werken und Hinter­ grundthemen versorgt unsere aktuelle MAG-Ausgabe Sie, wie immer, mit ausführli­ chen Informationen. Wir wünschen viel Vergnügen bei der Lektüre. MAG 33/ Oktober 2015 Unser Titelbild zeigt Guanqun Yu, ein Porträt der Sängerin finden Sie auf Seite 24 (Foto Florian Kalotay)

Claus Spahn

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Ariadne auf Naxos

TV

erleben Sie ausgewählte

23.10.2015

RichaRd StRauSS – ariadne auf Naxos

opern- und Ballettaufführungen

15.11.2015

aRRigo Boito – Mefistofele

live und kostenlos

12.12.2015

SeRgej PRokofjeW – der feurige engel

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19.03.2016

giuSePPe VeRdi – un ballo in maschera

12.06.2016

MaRiuS PetiPa / iVaN Liška – Le corsaire

26.06.2016

fRoMeNtaL haLéVy – La juive

31.07.2016

RichaRd WagNeR – die Meistersinger von Nürnberg

2015

2016


Inhalt

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Gibt es heute noch Bohemiens wie in Giacomo Puccinis Oper La bohème? Eine Umfrage unter Kunst- und Kulturschaffenden

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Der norwegische Regisseur Ole Anders Tandberg inszeniert die Künstleroper La bohème. Den Traum, ein grosser Künstler zu sein, kennt er aus seiner eigenen Jugend. Ein Gespräch

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­  Ein Schwein auf der Opernbühne? Na klar! Am 14. November hat unser Kindermusical Das verzauberte Schwein Premiere. Ein Gespräch mit Regisseurin Claudia Blersch und «ihrem» Schwein – Ruben Drole

— 40

Philharmonia Records veröffentlicht das Gesamtwerk für Klavier und Orchester von Sergej Rachmaninow. Ein Gespräch mit Lise de la Salle und Fabio Luisi

Opernhaus aktuell — 6 Drei Fragen an Andreas Homoki — 7 Der Fragebogen — 8 Wie machen Sie das, Herr Bogatu? — 9 Die geniale Stelle — 28  Volker Hagedorn trifft... — 34  Meine Rolle — 38 Kalendarium und Serviceteil — 43 Sibylle Berg — 48

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Ein schneller Blick nach oben...

Fotos: Danielle Liniger

...und schon weiss man, was gerade gesungen wird. Übertitel sind eine grosse Hilfe für das Opernpublikum. Aber wie kommen sie da oben taktgenau hin? In einer Mini-Kabine im zweiten Rang sitzt unsere Übertitel-Inspizientin Silva Christoff, liest Abend für Abend den Klavierauszug mit und fährt jeden Titel per Hand auf ein in den Noten eingetragenes Zeichen hin ab.


Opernhaus aktuell

Wiederaufnahme «Les Pêcheurs de perles» Opernkenner wissen es längst: Georges Bizets Les Pêcheurs de perles offenbart viele kostbare musikalische Perlen; neben dem berühmten Freundschafts­ duett und der Romanze Nadirs sind es vor allem die Chöre der Perlenfischer, die mitreissen. Die Geschichte spielt im Milieu der gefährlichen Perlenfische­ rei. Hier treffen die ehemaligen Jugend­ freunde Zurga (Etienne Dupuis) und Nadir (Frédéric Antoun) erneut auf­ einander. Einst liebten sie dieselbe Frau, beschlossen aber zugunsten ihrer Freund­schaft, auf die Liebe zu dieser Frau zu verzichten. Doch als ihre Ju­ gend­liebe Léïla (Rosa Feola) zur Prieste­rin geweiht wird, flammt die alte Rivalität wieder auf... Wiederaufnahme: 25 Okt 2015 Weitere Vorstellungen: 28, 31 Okt, 6, 8 Nov 2015

Liederabend Nina Stemme Bevor Nina Stemme als grausame Prin­ zes­sin Turandot auf die Zürcher Opern­bühne zurückkehrt, ist die welt­ weit gefeierte Sopranistin in einem Liederabend zu hören. Gemeinsam mit ihrem Pianisten Matti Hirvonen inter­ Les Pêcheurs de perles

Nina Stemme

pre­­­­­tiert sie Werke von Johannes Brahms, Richard Wagner und Jean Sibelius sowie selten gehörte Raritäten der Schwestern Nadia und Lili Boulanger. Nicht verpassen! Donnerstag, 3 Dez 2015, 19 Uhr

2. Philharmonisches Konzert Er gehört zu den vielversprechendsten Dirigenten seiner Generation: der Vene­ zolaner Rafael Payare, Jahrgang 1980. Wie Gustavo Dudamel ist auch Payare ein Absolvent des berühmten musi­ kalischen Jugendförderungsprogramms «El Sistema» und spielte zunächst als Hornist im Simón Bolívar Youth Orchestra. Startschuss für seine Karriere als Dirigent war ein erster Preis beim

prestigeträchtigen Nikolaj-Malko-Wett­ bewerb in Kopenhagen, worauf er von Dirigentenpersönlichkeiten wie Lorin Maazel und Daniel Barenboim intensiv gefördert wurde. Mittlerweile leitet er Top-Orchester wie die Wiener und Münchner Philharmoniker sowie die Lon­don Symphony und Chicago Sympho­ny. Am Zürcher Opernhaus er­ ar­beitet Payare nun Dmitri Schosta­ kowitschs zehnte Sinfonie und das erste Klavierkonzert von Johannes Brahms. Als Solistin stellt sich die junge Russin Anna Vinnitskaya vor: Sie gewann unter anderem den ersten Preis beim Königin-­ Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel und einen ECHO-Klassik. 2. Philharmonisches Konzert Sonntag, 29 Nov 2015, 18 Uhr, Opernhaus

Ballettgespräch Im ersten Ballettgespräch dieser Saison präsentieren Michael Küster und Christian Spuck neue Mitglieder des Balletts Zürich und des Junior Balletts. Filipe Portugal spricht über seine jüngste Choreografie, die im Rahmen des neuen Ballettabends Restless zur Uraufführung kommt – und getanzt wird natürlich auch! Sonntag, 29 Nov 2015, 11.15 Uhr, Studiobühne

«Wozzeck» in London «The result was overwhelming», resü­ mier ­te Classical Source nach dem kon­zer­tanten Zürcher Gastspiel mit Bergs Wozzeck am 2. Oktober in der Londoner Royal Festival Hall. Times online lobte Fabio Luisi und das Orchester: «Zurich Opera’s orchestra have this score under their skin. (...) Luisi kept it crisp, clear and sprung.» Sensationell (Times online) sei auch der Wozzeck von Leigh Melrose gewe­ sen, der für den erkrankten Christian Gerhaher eingesprungen ist. Frenetisch gefeiert wurde aber auch das restliche Ensemble mit Gun-Brit Barkmin, Wolfgang-Ablinger Sperrhacke, Lars Woldt, Brandon Jovanovich, Mauro Peter und Irène Friedli.

Fotos: Suzanne Schwiertz / Tanja Niemann

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Drei Fragen an Andreas Homoki

Man muss weglassen können

Foto: Stefan Deuber

Herr Homoki, in unserem neuen Wozzeck war zu erleben, wie wichtig ein Bühnenbild für eine Opernpro­ duk­tion sein kann. Welcher Art ist eigentlich die Arbeitsbeziehung zwischen einem Regisseur und einem Bühnenbildner? Sie lebt vom offenen Austausch auf Augenhöhe. Oft liest man ja in Kritiken, der Regisseur habe sich vom Bühnenbildner einen Raum «bauen lassen». Das klingt dann so, also ob der Bühnenbildner ausführender Mitarbeiter des Regisseurs sei. Das ist natürlich falsch. Die beiden sind Partner und entwickeln ihre Ideen gemeinsam. Auf sehr unterschiedliche Weise: Manchmal redet man zwei, drei Tage, dann geht der Bühnenbildner nach Hause und bringt zum nächsten Treffen ein perfektes Ergebnis mit. Manchmal probiert man in einem langwierigen Prozess die unterschiedlichsten Ideen aus und ertüftelt am Ende das Modell gemeinsam. Im Idealfall soll eine eigenständige Welt entstehen, die aus sich selbst heraus lebt und in der Bühne, Szene und Kostüme nicht voneinander zu trennen sind. Alles muss sich gegenseitig durchdringen. Die fantasievollsten Kostümentwürfe nützen nichts, solange sie lediglich als Dekoration für einen Menschen fungieren und nicht das schaffen, worauf es wirklich ankommt – eine Figur! Das Kostüm lässt sich vom szenischen Figurenentwurf im Raum nicht trennen. Wieviel ist im Produktionsprozess erreicht, wenn das Bühnenbild steht? Ich würde sagen, wenn ich einen Bühnen­bild-Entwurf habe, ist Drei­ viertel dessen, was die Aufführung ausmacht, bereits skizziert. Als Regisseur muss ich dem dann natürlich noch ge­ recht werden. Ein Bühnenbildkonzept – so stark es auch sein mag – kann immer nur ein Versprechen sein. Löst der Regisseur es szenisch nicht ein, funktioniert es nicht. Dafür muss man risikobereit sein, denn jedes gute

Bühnen­bild hat seine Tücken. Gute Bühnenbilder fordern einen Regisseur und konfrontieren ihn mit Widerständen. Diese Widerstände sind produktiv, sie führen meist zu Lösungen, die auch für mich als Regisseur oft unvor­her­­ gesehen und interessant sind. Regisseu­re, die solchen Widerständen ausweichen, aus Angst, ohne scheinbar notwendige Dinge wie einen Stuhl, eine Tür oder ein Schwert eine Szene nicht inszenieren zu können, werden über ein allzu braves und vorhersehbares Resultat nicht hin­ aus­­kommen. Das ist leider sehr häufig zu beobachten. Als Regisseur und Bühnen­bildner muss man weglassen können und bereit sein, liebgewonnene Ideen immer wieder zu überprüfen und notfalls auch über Bord zu werfen. Kill Your Darlings! Ich weiss gar nicht, woher dieser Spruch stammt, aber er stimmt. Ich denke, das gilt für jede Art künstlerischer Arbeit. In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Regisseur der Kopf einer Pro­ duktion. Sie erklären jetzt, warum das Bühnenbild so ausserordentlich wich­tig ist. Wer ist dann am Ende der Chef im Ring? Mit meinen Ausstattern treffe ich grund­ sätzlich alle Entscheidungen gemeinsam. Voraussetzung ist natürlich unbedingtes Vertrauen in die Kompetenzen des anderen. So weiss auch mein Büh­ nen­­bildner, dass am Ende ich es bin, der eine Idee inszenieren muss. Des­halb hat das letzte Wort in der Hierarchie einer Produktion immer der Regisseur. Er muss die konzeptionellen Ge­­danken ein­lösen. Ein Bühnenbild, das zwar auf einem Foto toll aussieht, in dem sich das Stück und die Figuren aber nicht ent­­falten können, führt zwangs­läufig zu einer langweiligen Aufführung. Hochkarätige Inszenierungen sind nur in kreativer gleichberechtigter Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Bühnenbildner möglich.

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Fragebogen

Christopher Parker Was fällt Ihnen auf, wenn Sie in Zürich ankommen? Immer wieder faszinierend finde ich, wie unterschiedlich Zürich zu den verschiedenen Jahreszeiten aussieht. Die Energie und Lebensfreude in den Sommermonaten. Das Märchenland im Dezember. Zürich ist immer eine Postkartenidylle. Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück? Freunde zu haben, die mich unterstützen und mir fern von Zuhause die Familie ersetzen. Was wäre das grösste Unglück? Ernstlich zu erkranken und meine Tänzerlaufbahn beenden zu müssen. Welche Balletterfahrungen haben Sie geprägt? Die Arbeit mit einigen der berühmtesten Choreografen der Welt. Und die Reiseziele unserer Gastpiele, von denen ich nicht im Traum gedacht hätte, sie jemals mit eigenen Augen zu sehen. Wer ist Ihr Lieblingsschriftsteller? Immer wieder Christopher Isherwood. Sein Roman Goodbye to Berlin ist ein schillerndes Porträt der deutschen Hauptstadt am Vorabend des 2. Weltkrieges. Ihre Lieblingsfilme? Io sono l’amore von Luca Guadagnino. Ein tragische Liebesgeschichte, die in Mailand und der Villa Necchi Campiglio spielt. Sehenswert auch wegen meiner Lieblingsschauspielerin Tilda Swinton und der Musik von John Adams.

Christopher Parker tanzt im Ballett Zürich und ist zur Zeit im neuen Ballettabend «Gods and Dogs» zu sehen.

Ihr liebstes Laster? Second-Hand-Läden. Alte Möbel. Das Brockenhaus könnte ich fünf Mal pro Woche besuchen. Meine kleine Wohnung platzt jetzt schon aus allen Nähten, und in meinem Keller warten noch viele tolle Möbel auf ihr nächstes Leben.

Welchen überflüssigen Gegenstand in Ihrer Wohnung lieben Sie am meisten? Die alten Jahrgänge des Wallpaper*Magazins. Welche Eigenschaften schätzen Sie bei Ihren künstlerischen Partnern? Ich bewundere Menschen, die sich nicht nur mit Leidenschaft und Hingabe ihrer Arbeit widmen, sondern auch für Spass zu haben sind. Beim Ballett Zürich freut mich, wie wir uns gegenseitig unterstützen und als Team zusammenstehen. Welche menschlichen Schwächen entschuldigen Sie? Unpünktlichkeit (aber nicht zu lange!) In was verlieben Sie sich bei einem Menschen? Ich glaube an Horoskope und dass viele Dinge in den Sternen stehen. Aber mich fasziniert, wenn Selbstbewusstsein und Kreativität mit einem Sinn für Gemeinschaft und Hilfsbereitschaft verbunden sind. Was ist das Besondere am Ballettabend Gods and Dogs? Das ist ein Traumabend für Tänzer und Publikum! William Forsythes In the Middle ist eines seiner tollsten Stücke und aufregend zu tanzen, auch wenn es einen als Tänzer an die physischen Grenzen führt. Mit Jiří Kylián an seiner Choreografie Gods and Dogs zu arbeiten war eine grosse Inspiration, und die bei Ohad Naharins Minus 16 geforderte Gaga-Tanztechnik vermittelt eine tolle Vorstellung davon, was Tanz alles sein kann. Nennen Sie drei Gründe, warum das Leben schön ist! Wenn man gesund und glücklich ist, und wenn man geliebt wird, lassen sich viel mehr als drei Gründe finden.

Foto: Stefan Deuber

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Wie machen Sie das, Herr Bogatu?

Grenzen setzen und öffnen

Illustration: Laura Jurt

Ansprüche und Grenzen waren in den vergangenen Wochen unser grosses Problem. Die Ballettproduktion In the Middle, Somewhat Elevated – ich hatte in der letzten Kolumne bereits darüber geschrieben – stellte Ansprüche, die durch die Dekoration der Salzburger Gastspielproduktion Norma begrenzt wurden. Und am Ende kam unerwartet auch noch die Norma selbst an ihre Grenzen. Aber alles der Reihe nach… Im Ballett In the Middle, Somewhat Elevated sollte entgegen den ursprünglichen Plänen die Bühne plötzlich bis zur Rückwand nutzbar sein. Dort stand jedoch das riesige Portal der Norma, das sich nicht schnell auseinander nehmen lässt, und wir den Wunsch deshalb nicht erfüllen konnten. Die Emotionen schlugen hoch, aber am Ende konnten wir durch geschicktes Rangieren einen Meter mehr Platz für die Tänzer herausholen, und das Ballett kam uns so weit entgegen, dass wir das Portal an der Rückwand stehen lassen konnten. Die Lösung klingt naheliegend, war aber alles andere als einfach zu erreichen, da alle – sowohl im künstlerischen als auch im technischen Bereich – ihr Bestes geben möchten und deswegen ihre Grenzen und Ansprüche verteidigen müssen. Das Problem war kaum gelöst, da ging es dann mit der Norma weiter, die sich uns als ressourcenverschlingender Problemfall präsentierte. Zum einen stand die Dekoration bei uns zum allerersten Mal auf einer Bühne und musste noch an allen Ecken und Enden angepasst, verschönert und abgeändert werden, zum anderen erwiesen sich viele bautechnische Lösungen als nicht theatergerecht und (viel schlimmer!) als nicht sicher. Wir hatten im Vorfeld versucht, auf die Bauweise des Bühnenbildes beim französischen Hersteller Einfluss zu nehmen, mussten aber auf der Bühne feststellen, dass das Bühnenbild unseren Ansprüchen nicht gerecht wurde. Die Auswirkungen waren verheerend. Allein dadurch, dass Bauteile nicht wie von uns vorgeschlagen durch Scharniere mit Steckstift, sondern durch Hunderte von Inbusschrauben zusammengehalten wurden, musste das Bühnenbild in grossen Teilen zwischen den Proben und Vorstellungen zusammengebaut auf der Bühne bleiben. Denn eine Steckverbindung steckt und löst man in 1-2 Sekunden, eine Inbusschraube beansprucht das Dreissigfache an Zeit. Und das bei über hundert Verbindungen… Dadurch mussten wir auch die Verschönerungen, Anpassungen und Reparaturen mit erheblichem Aufwand auf der Bühne realisieren, anstatt die Teile einfach schnell mal zwischen den Proben in die Werkstätten bringen zu können. Als wir wenige Tage vor der Premiere herausfanden, dass der Boden des über den Orchestergraben hinausragenden Bühnenbildes für eine Belastung durch den Chor nicht ausreichend dimensioniert, d.h. zu wenig stabil gebaut war, mussten wir Grenzen setzen und dem Chor untersagen, diesen Bereich zu betreten. Was natürlich postwendend als «unacceptable» von der Regie zurückgewiesen wurde. Aber dieses Problem wurde von Marc Linke, unserem Bühnenmeister, gelöst, der innert weniger Stunden bei einem Bauunternehmen zusätzliche Stützen organisierte und den Boden damit stützte. Durch die Stützen entstanden im sehr kleinen, voll besetzten Orchester­ graben Sicht- und Platzprobleme, die nur dank des guten Willens der Musiker gelöst werden konnten. Sie öffneten ihre Grenzen und gewährten den Stützen Platz. Sebastian Bogatu ist Technischer Direktor am Opernhaus Zürich

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Illustration: Benjamin G端del


12 La bohème

Gibt es noch eine Boheme? Mit «La bohème» hat Giacomo Puccini einer jungen Künstlergeneration ein Denkmal gesetzt, die sich den Gesetzen des Kunstmarkts und des bürgerlichen Lebens verweigert, ihre Träume lebt und ohne Rücksicht auf Verluste das Leben feiert. Wir wollten wissen, ob eine solche Bewegung auch heute noch existiert und haben Kunst- und Kulturschaffende gefragt Illustration Benjamin Güdel

James Koch Executive Director der Galerie Hauser & Wirth

Das Boheme-Leben steht ja traditionell für die Befreiung von bürgerlichen Konventio­ nen und Hierarchien, und dieses Aufbegehren gegen erstarrte Lebensformen spielt in der Kunst bis heute eine wichtige Rolle: Jeder interessante Künstler reflektiert die ge­sellschaftlichen Zusammenhänge, in denen er sich bewegt und stellt Normen in Frage. Heute gibt es allerdings eine grössere Vielfalt an Lebensformen als im 19. Jahr­ hundert, wenn ich da, nur als Beispiel, an die Genderdebatte denke und die alternati­ ven Lebens­pläne, die aus ihr erwachsen. Künstler mit einem bohemehaften Lebensstil findet man, wie früher auch, vor allem im grossstädtischen Milieu, weil dort gesellschaft­ liche De­batten am unmittelbarsten spürbar sind. Viele dieser Künstler können nach wie vor nicht von ihrer Arbeit leben und schlagen sich mit Aushilfsjobs durch oder be­dienen im Café. Da hat sich zum Paris des 19. Jahrhunderts gar nicht so viel verän­ dert, auch wenn am Kunstmarkt sehr viel Geld bewegt wird. Es gibt natürlich auch Künstler, die ein Bohemeleben nur noch als Folklore zelebrieren und gleichzeitig mit einem eminenten Reichtum ein angenehmes Leben führen, das am Ende bürgerlicher ist als das, von dem sie sich vermeintlich abgrenzen. Da wird dann auch das Boheme­ dasein als reine Luxusattitüde unserer Konsumwelt erkennbar. Aber das hat mit den Idealen der Boheme gar nichts mehr zu tun.

Isabelle Menke Ensemblemitglied am Schauspielhaus Zürich

Boheme? Da hätten Sie besser jemanden aus der Freien Szene gefragt... Am Schauspielhaus lebe ich ja wie die Made im Speck! Aber in meiner Jugend gab es natürlich Zeiten, in denen ich nachts mit einer freien Theatergruppe probte und tagsüber jobbte. Das Geld, das ich verdiente, hat gerade mal für Schwarzbrot, Reis und Schokolade ge­reicht. Immer aufs Geld zu achten hat genervt, aber es war zumindest nicht peinlich, da die Anderen ja auch keines hatten. Durch Europa bin ich per Autostopp gereist, und in Salzburg, wo ich studiert habe, teilten wir uns zu fünft eine Dreizimmerwohnung. Derjenige, der gerade Besuch von seinem Liebsten hatte, bekam das Einzel-


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zimmer, die anderen mussten teilen. Geheizt haben wir mit einem Kachelofen, und das Holz klauten wir auf einer Baustelle um die Ecke! Oder wir haben uns abends im Mozarteum einschliessen lassen, um zu proben – da war es ja geheizt!

Adrian Notz Direktor des Cabaret Voltaire

Heute gibt es keine Boheme mehr, die sich im Cabaret Voltaire trifft. Aber unser Lokal im Zürcher Niederdorf ist der Geburtsort von Dada, und die Begründer von Dada können durchaus als Boheme verstanden werden. Auf der einen Seite gab es Figuren wie Tristan Tzara oder Marcel Janco, die in einem bürgerlichen Milieu aufge­ wachsen sind und sich von diesem abkapselten. Andere Dadaisten wie Hugo Ball waren extreme Künstlerpersönlichkeiten und setzten ihre ganze Existenz für die Kunst aufs Spiel. Was heute auf jeden Fall existiert, ist die Sehnsucht nach einer Boheme. Im Cabaret Voltaire gehen wir dieser Sehnuscht nach. Hugo Ball sagte, er suche nach Menschen, die sich orgiastisch dem Gegensatz all dessen hingeben, was nutz- und brauchbar sei. In diesem Sinn verstehen wir das Cabaret Voltaire auch heute als einen Ort, der sich der Nutzbarkeit entziehen soll und an dem man sich gehen lassen darf. Unsere grosse Absinth-Auswahl soll dabei nicht unbedingt dem künstlerischen Schaffensrausch Vorschub leisten, aber Cafébetrieb und Alkohol haben sicher einen wichtigen sozialen Aspekt – und sind deshalb ein Motiv der Boheme. Sie erleichtern das Networking und das Entstehen von kollektiven Ideen, in einer Zeit, die insbesondere in der Kunst vor allem Individualisten hervorbringt. Interessanterweise hat das Caba­ ret Voltaire, als Gebärsaal von Dada, eigentlich genau die Funktion, die sich die SVP heute gross für ihre Schweiz auf die Fahne schreibt: Es ist sauber, ordentlich und sicher – oder wie es Hugo Ball sagte: «Die Schweiz ist ein Vogelkäfig, umgeben von brüllenden Löwen». Damit will ich sagen, dass eine Umgebung, die völlig gegen den Dada- oder den Boheme-Gedanken ist, diesen erst ermöglicht! Andererseits sind Ge­ sellschaftsschichten wie das Grossbürgertum im 19. Jahrhundert heute nicht mehr die Feindbilder subversiver Kunst. Die Kunst als System hat eher einen Teil ihrer Eigen­ ständigkeit eingebüsst, indem sie sich bei der Politik, der Wirtschaft oder den Medien anbiedert. Diese Abhängigkeit von anderen Systemen ist heute das «Feindbild», von dem sich der Bohemien unabhängig machen will.

Jeremy Gloor Freier Autor und Stammgast im Café Grande

Da ich Romantiker bin, halte ich gerne an der Vorstellung fest, dass es die Boheme heute noch gibt. Allerdings muss man den Begriff neu fassen: Es geht nicht mehr in erster Linie um Künstlerfiguren, sondern um all diejenigen, die das Bedürfnis haben, jenseits grosser Unternehmen neue Impulse zu setzen. Ich habe mich selbständig gemacht, weil ich entscheiden will, wann und mit wem ich arbeite. Durch diese Freiheit entsteht erst der Raum, um kreativ zu sein. Es gibt Zeiten, in denen ich mit wenig Geld durchkommen muss und mir genau überlege, wie viele Kaffees oder Drinks ich mir leisten kann. Es ist der Preis, den ich für die kreative Freiheit zu zahlen bereit bin. Im Café Grande, wo ich mich oft zum Arbeiten aufhalte, suche ich bewusst Ablenkung und soziale Kontakte. Es existiert dort eine Community von Leuten, die einen ähnlichen Lebensstil verfolgen, es entwickeln sich Freundschaften und man versucht, sich gegenseitig zu unterstützen. Wenn man die heutige Boheme in Zürich noch als solche beschreiben darf, ist sie doch viel weniger als die ursprüngliche Boheme aus einer Not entstanden. Wir leben im Bewusstsein, dass es uns gut geht – und es ist bemerkenswert, für wie viele Ideen und Projekte finanzielle Unterstützung zu finden ist.


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Nicolas Walker Initiator des Kulturmagazins «Quottom»

Ist die Zürcher Jugend wirklich so glücklich und zufrieden, wie viele meinen? Ich be­obachte eher eine Ungewissheit über Sinn und Unsinn des eigenen Lebens. Unsere Zeit gibt uns wahrlich Gründe gegen etwas zu sein, doch wir wissen nicht mehr, wofür wir tatsächlich einstehen sollen. Wir verharren in Stagnation, während die Dinge schnell, fluid und vernetzt sind. Ich glaube, dass es den Wunsch des Andersseins, wie ihn die Boheme des 19. Jahrhunderts verfolgte, nach wie vor gibt, dass er aber oft in Frustration endet, weil der Underground rasend schnell kommerzialisiert wird. Das Angepasste und das Subversive stehen sich nicht mehr nach dem Schwarz/Weiss-Prinzip gegenüber. Quottom, unser Kulturmagazin, ist ebenfalls schwer einzuordnen. Bei der Gründung des Magazins im Kollektiv – wir waren damals alle um die zwanzig Jahre alt – war es vor allem unser Ziel, der Generation Y (englisch: «Why»), also uns selbst, eine Plattform zu geben. Wir hatten das Gefühl, etwas zu sagen zu haben und wollten uns eine Art Spielwiese dafür schaffen. Und die sollte ein hochwertiges, handfestes Print-Produkt sein. Aber dafür ernteten wir auch Kritik: Warum wirkt euer Magazin so erwachsen? Seid doch jung und druckt euer Magazin auf WC-Papier! Vor fünfzig Jahren hätte man mit so etwas vielleicht noch provoziert. Aber unser Anspruch ist es eher, ernst genommen zu werden. Provokation oder die antibürgerliche Einstellung der ehemaligen Bohemiens reichen heute nicht mehr aus. Das ist nicht mehr die Ästhetik, mit der wir unserer Welt gerecht werden können. Eine Eigenschaft, die wir sicher nach wie vor mit der klassischen Boheme gemeinsam haben, ist die Leidenschaft für unsere Sache. Finanzieller Erfolg steht nicht an erster Stelle. Leben können wir von unserem Magazin ohnehin nicht. In diesem Sinn dürfen wir uns wohl als Bohemiens bezeichnen!

Georgette Dee Diseuse

Ich denke, eine Boheme wie zu Puccinis Zeiten gibt es nicht mehr wirklich, da sich die sozialen Unterschiede in Westeuropa doch grundlegend verändert haben. Aber grosse Liebe zwischen Arm und Reich, zwischen «Nichtdazugehörenden» und «Dazugehörenden», gibt es schon noch – endet leider oft wie eine Oper... Aber Liebe ist Liebe ist Liebe, und ihre Macht bleibt gewaltige Lebensmusik.

Dana Grigorcea Schriftstellerin

Wenn es eine Boheme gibt in Zürich, wo ist ihr Café Momus? Ich streife gedanklich durch unsere Stadt, an der Seite von Puccinis Rodolfo und seinen Freunden, die auch in den klassischen Lumpen nicht weiter auffällig erscheinen. Es sind nur Männer, diese Künstler, und ihre Begleitung sind eine brave Näherin und eine anständige Kokotte – auch nicht weiter anstössig heutzutage, jedem das Seine. Nur, wo geht es hier zum Café Momus? Dass früher das Odeon ein Angelpunkt des Künstlerischen war, kennt man heute leider nur aus der Literaturgeschichte, genauso wie man die alten Wiener Cafés erinnert und die legendären Orte in Paris. Im vorkommunistischen Bukarest gab es eine ganze Strasse voller solcher Cafés, und die Caféhausbetreiber buhlten um die Poeten – die in der bürgerlichen Gesellschaft noch ihre Funktion hatten und nicht einfach nur über den Markt beurteilt wurden –, sie spendierten ihnen einen «CaféPlus», also einen Kleinen Schwarzen, gefolgt von unzähligen Gläsern: Wasser, immer an den besten Tischen platziert, gut sichtbar für die zahlenden Gäste. Als wir in Berlin wohnten, lebten wir in einer kleinen Kreuzberger Wohnung und verkehrten im Café


La bohème 15

Zitrone um die Ecke, wo es im Winter recht warm war. Wir hatten da unseren angestammten Tisch, an dem wir schrieben und Brettspiele spielten, ab und zu empfingen wir dort Freunde. Zürich nun erschien uns ungleich viel sonniger, ich glaube, es war auch schon Sommer, als wir herkamen, die Stadt fast schon mediterran. Mein Mann trommelte ein paar Künstlerfreunde zusammen, Schriftsteller, Maler, Musiker, und wir fuhren hinaus auf den Zürisee mit dem alten Boot eines berühmten Autors. Wir hatten Champagner, und eine schon angeheiterte Musetta, die mit hohen Absätzen an Bord stieg, hatte Kristallgläser mitgebracht. Ich sehe uns noch im rötlichen Licht des Sonnenuntergangs, das Boot still auf dem See, der so glatt war wie ein Spiegel: Wir sassen mit leeren Gläsern und glänzenden Augen in der Dämmerung, einer von uns hatte gerade ein Gedicht rezitiert. Und nach einer längeren Pause sagte mein Mann, damals noch mein Verlobter: «Siehst du, das ist Zürich!»

Sibylle Berg Schriftstellerin

Sibylle Berg hat sich ebenfalls die Frage nach der Boheme von heute gestellt und be­ ­­antwortet sie in ihrer aktuellen Kolumne an gewohnter Stelle auf Seite 48.

Jet z t en e les l37 Pr o b it a n z z.c

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Der Amerikaner Michael Fabiano gehört zu den internationalen Senkrechtstartern unter den Tenören. Am Opernhaus Zürich debütiert er jetzt als Rodolfo in «La bohème». Ein Gespräch über Opern-­ Leidenschaft und Zielstrebigkeit

Michael Fabiano, Sie sind 31 Jahre alt und gehören bereits zu den erfolgreichsten Tenören weltweit. Wie haben Sie das geschafft? Dabei wollte ich gar nicht Opernsänger werden! Ich dachte immer, ich würde einmal in der Automobilindustrie arbeiten, denn ich bin ein grosser Auto-­ Freak! Ich fahre einen BMW M3. Die Leidenschaft für schnelle Autos teile ich also mit dem Komponisten von La bohème! Giacomo Puccini liebte ja auch schnelle Wagen. Musik habe ich in meiner Jugend nur als Hobby verfolgt. Aber mein erster Gesangslehrer, George Shirley, sagte mir: «Michael, du hast eine tolle Stimme und deshalb eine Verantwortung gegenüber dem Publikum!». Das überzeugte mich, und ich beschloss, mein Lebensziel zu ändern. Wenn ich ein Ziel habe, verfolge ich es, bis ich es erreicht habe. Ich überlegte mir also, wie ich es schaffen könnte, eine Gesangs-­Karriere aufzubauen. Gleichzeitig dachte ich darüber nach, was ich dafür tun kann, dass die Kunstform Oper überleben wird. Sehen Sie denn die Kunstform Oper in Gefahr? Ich glaube fest daran, dass sie Zukunft hat! Aber das ist ein sehr wichtiges Thema für mich. In Nordamerika, wo ich herkomme, wird die Oper nicht vom Staat subventioniert wie in Euro­pa. Dort ist es die Aufgabe der Künstler, das Publikum immer wieder davon zu über­zeugen, dass Oper eine der gross­ artigs­ten und vielseitigsten Kunstformen ist. Wenn wir das nicht schaffen, wird die Oper aussterben. Hübsche Noten singen reicht dazu nicht aus. Deshalb gehe ich an Schulen und spreche mit Kindern über Oper. Ich betätige mich politisch und versuche das Interesse der vielen wis­senschaftlichen und kulturellen Mi­li­ eus, die sich von der Oper angespro­chen fühlen könnten, zu gewinnen. Oper droht immer mehr zur Kunst für eine Rand­­gruppe zu werden – und das darf nicht passieren! Ist die Oper in Amerika nicht längst vom Hollywood-Kino in den Schatten gestellt worden?

Foto: Arielle Doneson

Ich kenne Rodolfos Leidenschaft gut


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Genau da liegt ja das Problem. Heute geht alles so schnell. Alle fünf Minuten wird Facebook gecheckt und getweetet, keiner kann mehr stillsitzen. Das hat dazu geführt, dass viele Menschen nur noch für kurze Zeit aufmerksam sein können. Meine Aufgabe als Sänger ist es deshalb, das Publikum davon zu überzeugen, dass sie sich auf Paradise Island befinden, wenn sie in die Oper gehen. Oper ist das Gegenteil des alltäglichen Lebens, und es lohnt sich, fünf Stunden lang in einer Wagner-Oper zu sitzen. Ich glaube allerdings, dass die gegenwärtige Generation schwieriger davon zu überzeugen ist als die Generation, die jetzt gerade heranwächst. Wann wurde Ihnen klar, dass Sie mit dem Singen den richtigen Weg ein­ geschlagen haben? Das kann ich so einfach nicht sagen. Es war eine Folge von wichtigen Erfah­r un­ gen, Erfolgen, aber auch Momenten des Scheiterns. Die Fehler, die man macht, sind letztlich wichtiger als die Erfolge, weil man daran am meisten lernt und sich dadurch für grössere Herausforderungen in der Zukunft wappnet. Das Scheitern ist auch ein grosses Thema von Rodolfo in La bohème, eine Partie, mit der Sie etwa an der Metropolitan Opera gefeiert wurden... Was glauben Sie, warum ich La bohème liebe? Weil ich mich mit Rodolfo so gut identifizieren kann. Vor allem sind wir beide sehr leidenschaftlich! Genau wie er sollte ich meine Emotionen manch­mal zügeln, aber das gelingt mir leider nicht immer. Es gibt viele Pa­ rallelen zwischen Rodolfo und mir, aber im Gegensatz zu ihm habe ich mit meiner Karriere bisher glücklicherweise Erfolg gehabt! Um in Ihrem Alter bereits so erfolgreich zu sein, braucht es bestimmt viel Fleiss, Ehrgeiz und Disziplin. Geben Sie sich wie der Bohemien Rodolfo hin und wieder auch dem Müssiggang hin? Natürlich habe ich neben dem Gesang viele Hobbies, meine Leidenschaft für Autos zum Beispiel. Aber um ehrlich zu

sein: jeder hat ein Privatleben. Ich finde es nicht so interessant, darüber zu sprechen. Viel wichtiger scheint mir, dass man das Singen nicht als Arbeit, sondern als Freude auffasst. Vor kurzem haben Sie für den Blog «OperAthletic» ein Interview zum Thema Gesundheit und Fitness gegeben. Ist das ein Thema für junge Sänger? Vor zehn Jahren habe ich deutlich mehr gewogen als heute. Jetzt fühle ich mich wohl in meiner Haut. Der Körper ist der Tempel eines Sängers, er muss gesund sein. Zudem leben wir heute in einer stark visuell geprägten Welt, und als Künstler, der auf der Bühne steht, möchte ich auch in dieser Hinsicht ein Vorbild sein. Haben Sie selber Vorbilder? Nein, jedenfalls keine Sänger. Arturo Toscanini ist ein Vorbild für mich... Sie sind am Dirigieren interessiert? Im Moment konzentriere ich mich aufs Singen. Das ist jetzt an der Reihe. Wenn meine Zeit als Sänger vorbei ist, kommt vielleicht etwas Neues. Ich glaube aber, dass alle erfolgreichen Menschen über alternative Pfade nachdenken sollten. Erst wenn man eine oder zwei Alternativen im Hinterkopf hat, kann man sich so richtig in seine Tätigkeit stürzen. Wenn meiner Stimme morgen etwas zustossen würde, wäre das natürlich furchtbar! Aber ich hätte dann wenigstens einen Plan B und einen Plan C. Das ist mein Weg, meinen Job weniger anstrengend zu machen. Das englische Wort «rigor», Strenge, das Sie gerade so betont haben, ist auch bezeichnend für Ihre Arbeitshaltung bei den Bohème-Proben... Ich bin sehr präzise. Mit der Musik, aber auch mit den Menschen, mit denen ich arbeite. Diese Gründlichkeit erwarte ich von ihnen ebenfalls. «Rigor» ist mein zweiter Name! Das Gespräch führte Fabio Dietsche

«Wenn ich ein Ziel habe, verfolge ich es, bis ich es erreicht habe»


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Ein Traum vom Künstlerleben Der Norweger Ole Anders Tandberg inszeniert «La bohème» von Giacomo Puccini. Ein Gespräch über nordische Paris-Fantasien, Trugbilder von kreativen Karrieren und freier Liebe und die Muse als Lieblings-Illusion aller Künstler Probenfotos Danielle Liniger

Ole Anders Tandberg, La bohème ist Ihre erste Inszenierung am Opernhaus Zürich. Worum geht es in diesem Stück und was fasziniert Sie daran? Als Atheist und Existenzialist berührt es mich, wie in diesem Stück die Fragilität des Lebens dargestellt wird. Es geht um eine junge Liebe, die mit dem tragischen Tod von Mimì abrupt endet. Mimì stirbt, bevor sie wirklich gelebt hat. Innerhalb einer sehr kurzen und intensiven Zeitspanne erfahren Rodolfo und Mimì das höchste Liebesglück. Und in dieser Liebe zueinander finden sie den Sinn des Lebens. Aber es zeichnet sich schon ab, dass Mimì sterben wird. Wenn sie am Ende der Oper, nach der Trennung von Rodolfo, zu ihm zurückkommt, um zu sterben, finden wir die gegenteilige Situation vor: das Leben hat jeden Sinn verloren. Für einen Moment flackert er noch einmal auf – aber der Tod naht unausweichlich. Liegt es an dieser Spannung zwischen höchstem Liebesglück und dem Wissen um dessen Endlichkeit, dass Puccinis Oper uns immer wieder so stark berührt? Ich denke ja – und zwar weil uns gezeigt wird, wie das Leben nun einmal ist. Universal betrachtet, ist dem Einzelnen eine ungeheuer kurze Lebenszeit beschieden. Innerhalb dieser kurzen Zeit leben, lieben und sterben wir. Puccinis Oper lässt uns zwar nicht direkt über diese grossen Fragen nachdenken, aber sie lässt sie uns fühlen. Und diese Gefühle gehen jeden Interpreten und jeden Zuschauer unmittelbar etwas an. Deshalb ist das Werk so beliebt.

rechts: Regisseur Ole Anders Tandberg probt «La bohème»

Weil die Oper so beliebt ist, hat sich in den Köpfen der Zuschauer eine genaue Vorstellung festgesetzt, wie La bohème zu sein habe. Im 20. Jahrhundert hat insbesondere die Inszenierung von Franco Zeffirelli die Rezeption geprägt. Was bedeutet es für einen Regisseur, sich einem solch bekannten Stück zu stellen? Ich glaube, dass diese Vorstellung, wie eine Bohème-Inszenierung sein soll, vor allem damit zusammenhängt, dass die Handlung in Paris spielt, einem Ort mit grosser mythischer Ausstrahlung. Gerade kulturinteressierte Menschen haben eine genaue Vorstellung von Paris – und zwar von dem Paris, das sie aus der Kunst, dem Film, der Literatur und den Anekdoten kennen. Viele haben eine romantische Vorstellung vom Mythos Paris – und wenn eine Inszenierung von La bohème dieser Vorstellung gerecht wird, fühlt es sich richtig an. Dazu kommt, dass Puccini es wie kaum ein anderer verstand, für das Theater zu schreiben. Seine Partitur, die er




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mit höchster Präzision bis ins Detail ausgearbeitet hat, impliziert oft schon die szenischen Vorgän­ge, und das Libretto ist voll von realistischen Details. Zu diesem Realismus muss man sich als Regisseur verhalten. Es hat für mich keinen Sinn, sich diametral dagegenzustellen. Um zu einer eigenen Interpretation von Puccinis Werk zu kommen, habe ich mich deshalb gefragt, inwiefern das Stück etwas mit meinem eigenen Leben zu tun hat. Und haben Sie Parallelen gefunden? Zum Glück habe ich die Situation von Rodolfo nie erlebt, der dabei zusehen muss, wie seine grosse Liebe vor seinen Augen stirbt! Aber für mich ist wichtig, dass La bohème ein Stück über die Zeit der Jugend ist, in der noch alles im Leben möglich zu sein scheint. Die Gruppe von Bohemiens, um die es in diesem Stück geht, setzt sich aus sehr jungen Menschen zusammen, die ihre ersten Liebeserfahrungen machen und die noch voller Optimismus davon träumen, die Welt verändern und beherrschen zu können. Und das erinnert mich stark daran, wie ich selbst als Jugendlicher war. Ich habe in Norwegen gelebt und verzweifelt davon geträumt, nach Paris zu gehen und ein berühmter Künstler zu werden! Und Erlend, meinem Bühnenbildner, ging es damals genauso. Er wollte ein berühmter Maler werden... Sie haben also die Situation, in der sich die vier Künstlerfreunde zu Beginn von Puccinis Oper befinden, in Ihrer Jugend selbst erlebt? ...wie wahrscheinlich viele andere junge Menschen auch, die davon träumen, grosse Künstler zu werden! Puccinis Oper beginnt mit dem Thema des Scheiterns. Rodolfo versucht an einem Drama zu schreiben, und Marcello malt an einem Bild; aber ihre Wohnung ist eiskalt, weil sie mit ihrer Arbeit kein Geld verdienen und weder Brennholz noch Essen kaufen, geschweige denn ihre Miete bezahlen können. Von einem grossen Künstlerdasein sind sie also weit entfernt. Aufgrund der Pa­ral­lelen zu meiner eigenen Jugend beginnt das Stück bei uns in einem kleinen norwegischen Volkshaus, auf dessen Bühne die vier Künstlerfreunde ihr eigenes Theater zur Aufführung bringen wollen. Rodolfo schreibt das Stück, Marcello entwirft das Bühnenbild, Schaunard ist für die Musik und Colline, der Philosoph, für die Dramaturgie zuständig. Das zweite Bild der Oper spielt im Quartier Latin, wo die Bohemiens den Weihnachtsabend feiern. Wie finden Sie in Ihrer Inszenierung den Weg aus dem norwegischen Volkshaus nach Paris? Mit dem zweiten Bild komponierte Puccini eine grandiose Grossstadt-Szene, die in einer Stadt spielt, in der er bis dahin nie gewesen war. Seine eigenen Erfah­r un­gen mit der Grossstadt machte er in Mailand – damals selber noch ein erfolg­loser Musik­student. Was Puccini in Musik umsetzt, ist also nicht seine reale Paris-Erfahrung, sondern seine Paris-Fantasie! Und genau so geht es in unserer Inszenierung Rodolfo. Aus der Trunkenheit der ersten Begegnung mit Mimì träumt er den Traum vom Künstlerleben in Paris. Dieser Traum, als Künstler in Paris zu leben, ist ja auch zu einem Mythos geworden, den wir in unserer In­szenierung thematisieren. Die fast absurd vielschichtige Musik, die Puccini für dieses zweite Bild schrieb, bestätigt uns in unserem Vorhaben, dieses Bild, das aus lauter gleichzeitigen, sich überlagernden Handlungen besteht, als grosse Traum­sequenz zu entwerfen. Befinden wir uns im dritten Bild wieder auf dem Boden der Tatsachen? Zu Beginn des dritten Bilds etabliert Puccini eine neue Atmosphäre, die schon darauf hindeutet, dass sich die Stimmung zwischen Mimì und Rodolfo verändert hat. Der Ort der Handlung, ein Zollhäuschen am Pariser Stadtrand, mag etwas seltsam gewählt erscheinen, aber für die Atmosphäre ist er genau richtig; es herrscht eine eisige, unangenehme Kälte. Nach dem grossen Künstlertraum im zweiten Bild herrscht hier wieder das Thema des Scheiterns vor. Musetta und Marcello streiten,

«Ich habe verzweifelt davon geträumt nach Paris zu gehen und ein berühmter Künstler zu werden!»

linke Seite: Michael Fabiano und Guanqun Yu als Rodolfo und Mimì oben: Shelley Jackson als Musetta


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Auf der Probe: Erik Anstine, Michael Fabiano, Adrian Timpau, Andrei Bondarenko

Rodolfo ist eifersüchtig und realisiert gleichzeitig, dass Mimì sehr krank ist – und dass er dieser Situation nicht gewachsen ist. Die beiden entscheiden, sich zu trennen. In unserer Inszenierung ist der ganze Beginn des Bilds mit den Zöllnern, Milchfrauen und Marktfahrern, Teil des Theaterstücks, das Rodolfo und Marcello auf die Bühne des Volkshauses zu bringen versuchen. Aber Rodolfo ist unzufrieden mit dem Ergebnis. Auch seine künstlerischen Ambitionen drohen zu scheitern... Als Bohemien ist Rodolfo von seinen künstlerischen Ambitionen besessen. Opfert er ihnen seine grosse Liebe Mimì? Es gibt eine Anekdote über Edvard Munch, der zum Kreis der Osloer Boheme gehörte. Als er nach einem romantischen Rendezvous mit einer Frau ins Bett gehen wollte und sie gerade dabei war, ihre Strümpfe auszuziehen, bat er sie, in dieser Position zu bleiben. Er begann, sie zu zeichnen – und als er damit fertig war, be­­ dankte er sich und schickte sie weg. Er hatte komplett vergessen, wozu sie eigent­lich da war! Auch Rodolfo sieht Mimì immer im Kontext seines künstlerischen Schaffens. Wenn er sie im zweiten Bild seinen Freunden vorstellt, sagt er: «Ich bin der Poet, und sie ist die Poesie»... Das heisst also, Mimì ist in Puccinis Oper eine konstruierte Idealfigur. Puccini und seine Librettisten verschmolzen in ihr die Charaktere von zwei ver­schie­ denen Frauen aus Henri Murgers Vorlage. Wie gehen Sie in Ihrer Inszenierung mit dieser Frauengestalt um, in der Rodolfo «den Traum, den er immer träumen wollte» erkennt?


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Ich habe zunächst tatsächlich darüber nachgedacht, ob Mimì nur in den Träumen des Dichters existiert, oder ob sie eine Frau aus dem Drama sein könnte, das er gerade schreibt. Ich habe dann aber gemerkt, dass der tragische Schluss der Oper seine Wirkung verlieren würde, wenn Mimì keine real existierende Figur wäre. Das Problem liegt darin, dass Rodolfo Mimì idealisiert. Er stilisiert sie zu einem Teil seines perfekten Lebenstraums – und verliebt sich in diese idealisierte Frau. Im dritten Bild stellt sich jedoch heraus, dass Mimì krank ist und wirkliche Liebe, Zuwendung und Fürsorge benötigt. Um diese Realität zu begreifen und sich ihr zu stellen, ist Rodolfo zu jung. Weil er mit der Realität überfordert ist, reagiert er mit Eifersucht und völlig unerwachsen. Er sieht zu diesem Zeitpunkt keine andere Möglichkeit, als sich von ihr zu trennen. Und wenn er schliesslich realisiert, was passiert, ist es zu spät... Das ist die grosse Tragik dieses Stücks. Und der eigentliche Konflikt des Bohemiens: Einerseits will er erwachsen werden und etwas erreichen – und auf der anderen Seite will er völlige Freiheit haben, und tun und lassen können, was er will. Im vierten Bild leben die vier Bohemiens noch einmal ausgelassen ihre Freiheit aus, geben sich ganz dem Spiel hin... ...und dann kommt plötzlich der volle Ernst des Lebens zur Tür herein. Um dem Traum zu entfliehen und sich der Realität zu stellen ist es dann zu spät. Es bleiben nur wenige Stunden bis zu Mimìs Tod. Das Paradoxe dieser Schlusssituation ist, dass erst die Gewissheit, dass Mimì sterben wird, der vergangenen Zeit der Liebe ihre volle Bedeutung gibt! Neben der zentralen Liebesgeschichte zwischen Mimì und Rodolfo gibt es in La bohème aber mit Marcello und Musetta ein zweites Paar, das eine ganz andere Vorstellung von Liebe zu haben scheint... Wenn Musetta im zweiten Bild mit ihrem alten reichen Liebhaber Alcindoro auftritt und alle Blicke auf sich zieht, gibt sie sich eigentlich als Exhibitionistin preis. Man kann das so interpretieren, als würde sie das nur tun, um Marcello eifersüchtig zu machen. Ich glaube aber, dass sie das wirklich geniesst! Die freie Vorstellung von Liebe, die Musetta und Marcello haben, hängt für mich wieder mit meiner ei­ ge­­­nen Jugend zusammen: ich bin während der 70er-Jahre aufgewachsen. Viele von uns hatten damals das Gefühl, dass wir durch unsere Vorstellungen von freier Liebe die Welt revolutionieren würden! Aber im Grunde waren wir genau so eifersüchtig wie alle anderen auch. Ich glaube, wenn Musetta und Marcello vor das gleiche existenzielle Problem gestellt würden wie Rodolfo und Mimì, würde ihnen ihre freie Einstellung in der Liebe – die vordergründig besser zu funktionieren scheint – nicht viel bringen. Henri Murger beschreibt im Vorwort zu seinen Scènes de la vie de bohème das Leben der falschen Boheme, das in der Bedeutungslosigkeit endet, und das Leben der wahren Boheme, das nur ein Übergangsstadium zum Erfolg ist. Im letzten Kapitel von Murgers Buch sind Rodolfo und Marcello etablierte Künstler geworden. Zeichnet sich diese Entwicklung auch in der Oper ab? Was Rodolfo angeht, glaube ich, dass er nach dem Tod von Mimì endlich sein Drama schreiben kann. Die Muse inspiriert nur dann, wenn sie abwesend ist und wenn man von ihr träumen kann. Wenn sie krank im Zimmer steht und einen mit den rea­ len Problemen des Lebens konfrontiert, ist das nicht möglich... Aber Mimì ist doch keine Muse, sie ist eine reale Frau! Die Muse ist eine grosse Einbildung des westlichen Künstlers, die ihm im besten Fall zum Erfolg verhilft; und sie ist eine Lieblingsgestalt des westlichen Publikums, weil die Geschichten, die von einer Muse inspiriert sind, die schönsten sind! Das Gespräch führte Fabio Dietsche

La bohème Oper von Giacomo Puccini Musikalische Leitung Giampaolo Bisanti Inszenierung Ole Anders Tandberg Bühnenbild Erlend Birkeland Kostüme Maria Geber Lichtgestaltung Franck Evin Choreinstudierung Ernst Raffelsberger Dramaturgie Fabio Dietsche Rodolfo Michael Fabiano, Benjamin Bernheim Marcello Andrei Bondarenko Schaunard Adrian Timpau Colline Erik Anstine Mimì Guanqun Yu Musetta Shelley Jackson Benoît Pavel Daniluk Alcindoro Valeriy Murga Parpignol Tae-Jin Park Sergente Charles de Keyser Doganiere Bastian Thomas Kohl Philharmonia Zürich Chor der Oper Zürich, Zusatzchor und SoprAlti, Kinderchor der Oper Zürich Statistenverein am Opernhaus Zürich Premiere 1 Nov 2015 Weitere Vorstellungen 5, 8, 11, 15, 17, 20, 25, 28 Nov; 1, 4, 8 Dez 2015 Unterstützt von den Freunden der Oper Zürich


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Mimì ist ein Teil von mir Guanqun Yu gilt als eine der grossen Sopranhoffnungen der jüngeren Generation und ist regelmässiger Gast an den internationalen Opernhäusern. Puccinis Mimì ist ihre bisher persönlichste Rolle

E

in Apfel zwischen Probe und Interview müsse genügen, sagt Guanqun Yu bei der Begrüssung. Sie kommt an diesem Nachmittag als Zuhörerin aus einer Norma-Probe und beginnt zu leuchten, als sie von der Hauptdarstellerin spricht. Cecilia Bartolis Bühnenpräsenz sei «umwerfend», alles, was sie mit der ita­lie­nischen Operntradition in Verbindung bringe, setze diese Darstellerin um. «Stim­me, Körpersprache und die musikalische Dramaturgie sind eins.» Hier könne sie anknüpfen, «beobachten und lernen». Das gilt auch dann, wenn sie selbst auf der Bühne steht und sich mit den Kolleginnen und Kollegen des Ensembles auf die Suche nach einer gemeinsamen Spielhaltung begibt. Zur Zeit wird La bohème geprobt, Guanqun Yu verkörpert zum zweiten Mal in ihrer Laufbahn Mimì und wird mit ei­ nem neuen Zugang zur Figur konfrontiert. Ole Anders Tandberg, der Regisseur, habe die Vision, Mimì als «starke» und le­bens­kluge Frau zu zeigen. Statt die Figur als Opfer ihrer Verhältnisse ins Licht zu stellen, wird ihr Lebensdurst betont. Sie packt trotz Krankheit die Chance beim Schopf, liebt – und ist für einen kurzen Moment in ihrem Leben glücklich. Selbst in der Sterbeszene denkt sie pragmatisch. Den lang ersehnten Muff deutet sie als Geschenk Rodolfos und versieht ihren Dank mit dem Hinweis auf den unverschämten Preis des Prunkstücks. Wer Puccini aufmerksam liest, stösst auf die Brüche in der zur Märtyrerin der Liebe stilisierten Mimì – und auf die Banalität des Realen bis in den Tod hinein. Den Muff hat in Wirklichkeit Musetta beschafft und dafür ihren Schmuck veräussert. Sie deckt die Notlüge Rodolfos.

«Mimì ist ein Teil von mir», sagt Guanqun Yu. Sie hat in der Zeit, als sie Mitglied des Opernstudios am Teatro Comunale in Bologna war, selbst eine un­geheizte Un­ ter­kunft bewohnt und weiss inzwischen, wie ungemütlich es in Nord­italien werden kann, wenn es Bindfäden regnet und der Nebel durch die Ritzen kriecht. Auch Mimì friert in der Kälte jenes entscheiden­ den Weihnachtsabends, als sie Rodolfo kennenlernt. Darin eine Pa­rallele zu sehen, klinge vielleicht anmas­send, sagt Guanqun Yu und sucht nach differenzierteren Worten über das «Reale» in dieser Figur, die ihr viel näher sei als die vielen «vorneh­ men Contessen» der Opernliteratur. Das Leben einer working poor, wie es die Blumenstickerin Mimì verkörpert, ruft nach einer besonderen Musik. Denn die Figur verkörpert stets das Andere. Höchst ökonomisch verfährt der Kompo­ nist, der auch Szenograf ist, mit dem Einsatz seiner Mittel. Die letzte Szene etwa gleicht einer in Musik gesetzten Krankengeschichte. Diese greift auf Reminiszenzen von früher zurück und führt diese mit der Erzählerin zusammen in die Degression. Meisterhaft. Die Interpretin der Mimì redet sich ins Feuer. «Puccini komponiert magische Musik. Sie trifft mich ungeschützt.» Wir unterhalten uns auf Englisch, das sich Guanqun Yu wie das Italienische in kurzer Zeit angeeignet hat. Hinter die­ ­ser Leichtigkeit verbirgt sich ein gerüttelt Mass an Intelligenz und ebensolches Durch­­setzungsvermögen. Denn der Weg zur erfolgreichen Sängerin war keineswegs vorgezeichnet. Die Chinesin Guanqun Yu wuchs in der Provinz in einer Durch­­schnitts­­familie auf, in der die Musik Ne­ben­­­sache war. «Ich spielte zwar Ak­kor­ deon, tat dies aber ungern. Der Klang war


La bohème 25

«Puccini komponiert magische Musik, sie trifft mich ungeschützt»

einfach nicht meine Sache.» Ausserdem ge­steht sie freimütig, sie sei schlicht zu «faul» gewesen, um «neun» Stunden am Tag zu üben. Zum Singen hatte sie ein Leh­rer ermuntert, als sie im Rahmen ihrer Ausbildung als Musiklehrerin auf der Suche nach sich selbst war. Damals be­ geg­ne­­te sie auch zum ersten Mal einer Oper – Bizets Carmen in einer Aufnahme mit Agnes Baltsa. «Das hat mein Leben verän­dert. Ich wusste: das will ich machen. Singen!» Dabei durfte sie auf Menschen zählen, denen sie viel verdankt. An erster Stelle erwähnt sie «Madame Zou», eine Doyenne der westlichen Oper und deren Vermittlung. Sie sei heute «99 Jahre alt und unterrichtet immer noch. Sie hat die Grundlage für meinen Gesang geschaffen. Damals war ich zwanzig Jahre alt und ah­nungslos». Als ihren «Musikcoach» wie­ ­derum bezeichnet sie Fugen Wei, einen ausgewiesenen Pianisten und Opernspezialisten, den sie bis heute regelmässig auf­­sucht, wenn etwa eine neu Rolle ansteht und es darum geht, deren musikali­ sche Faktur zu ergründen. Linienführung und Spannungsbögen erschliessen sich aus der Partitur und werden dann in die eige­ ­ne Stimme überführt – und nicht umgekehrt, betont Guanqun Yu. Ebenso regelmässig trifft sie in China die Gesangspädagogin Dandan Li, um mit ihr ganz konkrete stimmliche Sachver­ hal­te zu klären: Konsonanten etwa ver­­ schwen­den Luft. Wie kann man deutlich artikulieren und trotzdem Atem sparen? Wie weit bzw. eng soll der Rachenraum sein, damit Luft und Ton natürlich flies­ sen? Jeder Kiefer und jede Gesichtsform ist anders, die Kopfhaltung ist entsprechend anzupassen, um eine Überstreckung bzw. eine Kompression des Rachen­raums zu vermeiden. Man fühlt sich an den 1906 verstorbenen Manuel García und seine einzigartige Gesangsmethode erinnert. Er gilt als der wegweisende Gesangslehrer des 19. Jahrhunderts, ist jedoch im Laufe des 20. Jahrhunderts und der Etablierung so­­genannt grosser Stimmen in Vergessen­ heit geraten. Ein aufgerissener Rachen unterstütze weder das Singen tiefer noch hoher Töne, hielt er in einem seiner Lehrwerke fest. «Im letzteren Fall kann es den

Sänger dazu verleiten zu schreien, aber das ist kein Gesang. Das Gesicht verliert seinen Reiz, und die Stimme produziert einen gewalttätigen und gewöhnlichen Ton. Der Rachen sollte als wahrer Mund des Sängers betrachtet werden.» Singen ohne überflüssige Muskelbewegung ist gewissermassen Kunst, die Kunst verbirgt. Sie wird in jüngster Zeit wieder vermehrt gefördert und bahnt sich ihren Weg auch zum traditionellen Re­ per­­toire. Fanden sich bewegliche Stimmen, denen Leichtigkeit attestiert wird, vor allem im Umfeld der historisch informierten Praxis und der zeitgenössischen Musik ein, treten sie heute auch auf den Bühnen traditionsreicher Opernhäuser auf. Guanqun Yu zählt dazu und verkörpert eine Sängerinnengeneration, die sehr wohl schätzt, was ihre Vorgängerinnen geleistet haben und leisten. Dennoch liegt ihr viel daran, sie selbst zu sein und mit der Stimme sorgfältig umzugehen. Dazu gehöre, sich regelmässig ausserhalb des Opernbetriebs zu bewegen und die Aussensicht von Personen des Vertrauens ein­ zuholen, so die Sängerin. Dafür reist sie nach China, obwohl sie ihren Wohnsitz 2009 nach Bologna ver­legt hat. Ihre Kultur sei ihr wichtig, auch wenn ihre Praxiserfahrungen mit der Darstellungskunst der traditionellen Peking-Oper weit zurückliegen und sie nicht gedenke, darauf zurückzukommen. Bolog­na ist zu ihrem Rückzugsort geworden. Dort lege sie die Füsse hoch und huldige dem «dolce far niente», sagt Guanquan Yu in lupenreinem Italienisch. Die italieni­ sche Küche, die aus einer einfachen Pasta ein himmlisches Gericht zaubert, erinnert sie an die Alchemie der Garküchen ihres Landes. Auch in China haben Essen und Geselligkeit einen hohen Stellenwert. Dabei wird ausführlich, laut und mit den Händen geredet. So betrachtet, ist sie auch in Bologna immer ein stückweit zu Hause. Corinne Holtz


Foto: T+T Fotografie / Tanja Dorendorf


Wiederaufnahme 27

La traviata In der Wiederaufnahme der Insze­ nierung von David Hermann ist die Titelpartie prominent besetzt: Die lettische Sopranistin Marina Rebeka, die am Opernhaus Zürich zuletzt als Donna Anna zu erleben war, hat die Violetta Valéry bereits am Londoner Covent Garden, der Wiener Staatsoper, der Deutschen Oper Berlin, bei den Münchner Osterfestspielen und an der Metropolitan Opera New York ver­ körpert; sie wird am 10., 18., 21. und 27. November in Zürich zu hören sein. Die Vorstellungen am 13. und 15. November übernimmt die russische Sopranistin Irina Lungu, die erstmals in Zürich gastiert, die Violetta aber bereits in Wien, beim Festival d’ Aix-enProvence, am Teatro San Carlo in Neapel und am Teatro Real in Madrid gesungen hat; die Sängerin ist zudem häufiger Gast an der Mailänder Scala. Den Alfredo singt wie schon in der Premiere Pavol Breslik, als sein Vater Germont ist George Petean zu hören, der hier in Zürich bereits als Rigoletto Erfolge feiern konnte. Die musikalische Leitung hat John Fiore. Wiederaufnahme: 10 Nov 2015 Weitere Vorstellungen: 13, 15, 18, 21, 27 Nov 2015


28 Die geniale Stelle

Die ehrbare Hure Drei Takte aus Giuseppe Verdis «La traviata»

Die Verhältnisse sind ja ganz klar. Jedenfalls scheint es Monsieur Germont so, wenn er sich auf den Weg macht, um die peinliche Affäre, auf die sich sein Sohn eingelassen hat, aus der Welt zu schaffen: Die Halbweltdame hat sich den Sohn aus gutem Hause geangelt und lebt nun auf dessen Kosten in Saus und Braus. Es wird also genügen, ihr auf angemessen strenge Weise klarzumachen, dass sie den Mann, den sie verführt hat, in Ruhe zu lassen habe. Vielleicht muss man ihr eine kleine Abfindung zahlen, aber dann ist der Skandal aus der Welt geschafft. Aber diese Welt ist nicht so einfach, wie es sich Monsieur Germont vorstellt. Sein kurzer Besuch, der auf schnelle und für ihn schmerzlose Weise den Missgriff seines Sohnes ungeschehen machen und alles wieder einrenken soll, konfrontiert ihn mit einer völlig neuen Erfahrung: Da ist zunächst die Überraschung, dass jene Halbwelt­ dame nicht die verworfene, ausschliesslich auf Sinnlichkeit und finanziellen Gewinn fixierte Person ist, die er anzutreffen erwartete. Ganz unerwartet ist für ihn, dass er in dem Augenblick, wo seine Mission erfüllt ist, in dem Moment, da Violetta zustimmt, den geliebten Mann zu verlassen, einer schockierenden Wahrheit ansichtig wird, einen Moment erlebt, nach dem nichts in seinem Leben mehr sein wird, wie es vorher war. Mit dem Hinweis auf seine Tochter, deren Lebensglück durch den gesellschaftlichen Skandal zerstört wäre, kann er Violetta zum Verzicht bewegen. Aber im selben Augen­ blick wird ihm klar, dass er damit Violetta alle Hoffnungen auf Glück zerstört. Verdi hat den Moment, wo ihn diese Erkenntnis wie ein Schock überfällt, drastisch auskom­ poniert: In einer ruhig-resignativen Es-Dur Passage erklärt Violetta, dass sie Alfred aufgeben wird. Aber das Ende ihrer Passage verfehlt die lang vorbereitete Kadenz in Es-Dur, weil mit Germonts Gesangseinsatz die Tonart ruckartig nach es-Moll wech­ selt, also in eine Tonart, die trostlosen Schmerz und äusserste Todesnähe symbolisiert. Der Beginn von Germonts Phrase ist ausserdem durch schneidende Dissonanzen ge­kennzeichnet: Das Wort «piangi» (weine!) fordert das konventionelle Seufzermo­ tiv, die kleine Sekunde, die das Hauptmaterial für Germonts Phrase bildet, geradezu heraus. Aber Verdi kehrt die Richtung des Motivs um, es ist nicht ein trauervoll herab­ sinkendes Motiv, sondern ein schneidend dissonanter Vorhalt, der hier mehrfach das musikalische Gewebe durchdringt. Die Musik macht unüberhörbar deutlich: Germonts Mitleid ist nicht geheuchelt, es ist nicht einmal Mitleid, was er empfindet, sondern ein tiefer Schmerz, der ihn im Innersten aufwühlt. Er hat erkannt, dass die gesellschaft­ lichen Konventionen, an die er bis eben noch zweifelsfrei glaubte, unmenschlich sind, weil sie ihn zu unmenschlichem Handeln zwingen. Die Verhältnisse, die ihm eben noch so klar zu sein schienen, erweisen sich nun als ein Netz, in dem er gefangen ist. Die klangschöne Harmonie zwischen den beiden Singstimmen, die sich im weiteren Verlauf des Duetts entfaltet, lässt für einen Moment die Möglichkeit eines anderen Ausgangs aufscheinen, eines Auswegs aus dem Dilemma, aber das ist illusorisch. Germont hat die Konventionen dieser Gesellschaft nicht geschaffen, er kann sie auch nicht ausser Kraft setzen, er ist ihnen unterworfen, und sollte sich etwas ändern, müsste das Ganze verändert werden. Das kann Germont nicht einmal denken, und so wird er sein bisheriges Leben weiterleben, aber nie wird er vergessen, was er hier erfahren hat: dass die Ordnung dieses Lebens auf einer Lüge basiert. Werner Hintze



Das verzauberte S Am 14. November hat das Kindermusical «Das verzauberte Schwein» am Opernhaus Premiere. Claudia Blersch inszeniert, Ruben Drole singt das Schwein. Ein Gespräch über moderne Märchen, Mädchen als Heldinnen und ein Schwein, das eigentlich ein Prinz ist. Illustrationen Pia Valär


Schwein


32 Das verzauberte Schwein

Claudia Blersch, Ruben Drole, worum geht es im Verzauberten Schwein, und was ist aus Eurer Perspektive das Interessante an diesem Kindermusical? Ruben Drole: Mein allererster Eindruck war: Das ist ein tolles Ding, da will ich mit­ machen! Die Autoren haben von verschiedenen Märchen geklaut, es ist ein Konglomerat von tollen Sachen, die auch manchmal ein bisschen veräppelt werden. Wieso nicht auf diese Art ein neues Märchen machen? Claudia Blersch: Ich mochte vor allem den witzigen Titel: Das verzauberte Schwein, da sieht man sofort etwas vor sich. Es stecken tatsächlich mehrere Märchen in diesem Stück, etwa der Froschkönig und Hans im Glück. Zu Anfang warten drei Prinzessin­ nen darauf, dass endlich ein Mann für sie vorbeikommt. Das erinnert ein bisschen an Dornröschen, denn die Mädchen möchten, wenn man so will, wachgeküsst werden. Das passiert, indem ihr Vater, König Hildebrand, in den Krieg zieht und seinen Töchtern verbietet, in einen bestimmten Raum zu gehen. Was sie natürlich sofort tun, kaum dass Papa weg ist. Dort gibt es ein geheimnisvolles sprechendes Buch, in dem die Prinzessinnen erfahren, wen sie heiraten werden. Während das Buch Mab und Dot Könige verspricht, soll Flora, die jüngste Schwester, ein Schwein heiraten. Darüber ist sie zunächst verzweifelt, muss dann aber fest­stellen, dass das Schwein sehr nett ist und es grossen Spass macht, sich mit ihm im Schlamm herumzuwälzen. R.D.: Und siehe da, das Schwein ist eigentlich ein verzauberter Prinz! An dieser Stelle könnte das Stück mit einem Happy End aufhören, aber eine böse Hexe, die den Prinzen einst verzaubert hatte, weil er ihre Tochter Adelaide nicht heiraten wollte, mischt sich ein... C.B.: Gerade als Flora ihr Schicksal an der Seite eines Schweins akzeptiert hat – was sehr schön ist, weil sie nun lauter Dinge tun kann, die sie vorher nicht tun durfte –, verschwindet das Schwein wieder, und Flora muss eine weite Reise machen und Prüfungen bestehen, um ihren Prinzen vor der Hexe zu retten. Dabei hat sie, wie immer im Märchen, Helfer: das Ehepaar Nordwind, den Mond, die Sonne, den Tag. Wie gelingt es Flora, den Fluch der bösen Alten Frau zu lösen? R.D.: Durch «Liebe, Langmut und Vertrauen»! Flora muss erst das Schwein lieben lernen, so, wie es ist. Daran glaubt das Schwein selbst übrigens nicht; es wundert sich, dass es von einer Prinzessin akzeptiert wird. Da steckt auch etwas von Die Schöne und das Biest drin. Das Schwein lernt durch Floras Liebe, sich selbst anzunehmen. C.B.: Aber auch das Scheitern ist wichtig: Man muss als Kind scheitern, sonst lernt man nichts. Auch Flora muss erst einmal an ihrer eigenen Neugier und Ungeduld scheitern, bevor sie drei Paar Eisenschuhe durchlaufen und ihren Prinzen retten kann. Eigentlich ist das Stück für singende Schauspieler und zwei Opernsänger kom­ poniert. Die beiden Opernsänger sind Flora und – ausgerechnet – das Schwein! Ist es nicht eine köstliche Ironie des Komponisten Jonathan Dove, dass gerade das Schwein so wunderbar dramatische, aber auch lyrisch-romantische Gesangslinien hat, also musikalisch auch empfindsam gezeichnet ist? R.D.: Mir scheint es fast, als habe das Schwein innerhalb dieses komischen Stücks die «tragische» Rolle – wie ein tragisches Intermezzo innerhalb einer Opera buffa. Immer wenn das Schwein auftritt, singt es in es-Moll. Diese Tonart bleibt bestimmend für alle Szenen bis zum grossen Liebesduett mit Flora, da hellt sich die Musik zum ersten Mal nach E-Dur auf: Hier zeigt sich das Schwein Flora zum ersten Mal in seiner wahren Gestalt, nämlich als Prinz bzw. sogar König des Nordens. Dennoch hat das Schwein viele komische Momente – auch durch die Posaune, die ihm zugeordnet ist... R.D.: Ja, die spielt immer das gleiche Motiv, wenn das Schwein auftritt. Ich finde die Musik grundsätzlich super. Sie ist modern, aber sehr gut hörbar. Das Stück ist von A bis Z sehr gut gemacht. C.B.: Und es gibt Ohrwürmer ohne Ende!


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Wie findet Ihr es, dass wir jetzt im Opernhaus ein Musical spielen? R.D.: Sehr gut, gerade für unser junges Publikum! Wer weiss denn, wo die Oper in 20 Jahren ist? C.B.: Für die Kinder ist es nicht entscheidend, ob wir das nun Musical nennen oder Oper. Es muss eine gute Show sein, ein Erlebnis, an das sie sich gern erinnern. Was macht ein gutes Kinderstück aus? R.D.: Dass es auch für die Erwachsenen lustig ist! Es muss auf mehreren Ebenen funktionieren, dann ist es richtig gut. C.B.: Es braucht eine gute Geschichte, der die Kinder folgen können, und natürlich Action; aber auch ein Happy End und eine Protagonistin, mit der sich die Kinder identifizieren können. R.D.: Dass eine weibliche Figur die Heldin ist, passt gut in unsere Zeit. Das Mädchen nimmt sehr viel auf sich, um den Mann zu retten. Das Schwein liegt ja immer nur rum und wartet, bis es gerettet wird. C.B.: Natürlich gibt es auch andere Märchen, in denen die Mädchen die Heldinnen sind; aber so extrem wie hier ist das selten. Eine Reise in die Welt machen sonst eher die Jungs an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Es gefällt mir sehr, dass hier ein Mädchen aus dem überzuckerten Palast hinaus muss, Schweine trifft, im Schlamm badet und die Erfahrung macht, dass das Glück anders ist als gedacht. Warum funktionieren Märchen bei Kindern so gut? R.D.: Sie sind nicht nur schön, sie können auch grausam sein. Aber ich merke das jetzt schon bei meinen eigenen Kindern: Die gehen anders damit um, für die sind viele Dinge, die uns grausam vorkommen, gar kein Problem. C.B.: Die Unterscheidung von Gut und Böse akzeptieren Kinder problemlos. Wir wollen in unserer Aufführung die Bösen, also die Alte Frau und ihre Tochter Adelaide, durchaus böse zeigen und der Märchensymbolik folgen. R.D.: Sehr spannend an meiner Figur ist ja, dass sie sich im Laufe des Stücks so sehr entwickelt. Wenn das Schwein zum ersten Mal auftritt, dann könnte es gut sein, dass die Kinder sich erst mal ein bisschen vor dieser Figur fürchten... C.B.: Das Schwein ist ein Guter, der zunächst unter der Maske des Bösen erscheint; ein schöner Kontrast zu den beiden anderen Königen, die die Schwestern Mab und Dot heiraten sollen. Die sind erstmal lustig, auf Dauer aber viel weniger interessant. Claudia, gemeinsam mit deinem Bühnenbildner Wolfgang Gussmann hast du die Geschichte in eine Zirkuswelt versetzt. Warum? C.B.: Es ist eine grosse Herausforderung, eine Geschichte mit so vielen verschiede­ nen Spielorten in eine theatralische Form zu bringen. Zum Teil werden ja Situatio­nen sogar parallel erzählt, wenn Flora auf der Reise ist und zwischen­durch immer wieder gezeigt wird, wie Adelaide und die Alte Frau das Schwein in ihrer Gewalt haben. Der Zirkus bildet dafür den Rahmen. Mit dem Zirkus assoziiert man Figuren wie Clowns oder den Zirkusdirektor. Das Schwein bringt dann eine Realität in den Zirkus, mit der man erst mal nicht gerechnet hat. Der Zirkus lässt zu, dass verschiedenste Nummern stattfinden – hier ist alles möglich! Ich selbst war als Kind ein grosser Zirkusfan, für mich war das eine Traumwelt, in die ich mich sehr gut hineinversetzen konnte. Die Clowns und Charlie Chaplin – das waren Helden meiner Kindheit. Das Gespräch führte Beate Breidenbach

Das verzauberte Schwein von Jonathan Dove Musikalische Leitung Carrie-Ann Matheson Inszenierung Claudia Blersch Bühnenbild Wolfgang Gussmann Kostüme Wolfgang Gussmann Susana Mendoza Bühnenbildmitarbeit Thomas Bruner Lichtgestaltung Franck Evin Choreinstudierung Jürg Hämmerli Dramaturgie Beate Breidenbach König Hildebrand Cheyne Davidson Mab  Ivana Rusko Dot  Lin Shi Flora  Julia Riley Das Buch des Schicksals Judit Kutasi/Judith Schmid Der König des Westens Alex Lawrence Der König des Ostens / Die Sonne Martin Zysset Das Schwein Ruben Drole Herr und Frau Nordwind Reinhard Mayr Judith Schmid Die Alte Frau Irène Friedli Adelaide, ihre Tochter Deanna Breiwick Der Mond David Margulis Der Tag  Sen Guo Philharmonia Zürich Chorzuzüger Premiere 14 Nov 2015 Weitere Vorstellungen 22, 29 Nov, 5, 26, 29 Dez, 2, 10, 17 Jan, 13 März 2016 Unterstützt durch


34 Volker Hagedorn trifft…

Jonathan Dove Jonathan Dove schreibt Musik, die beim Publikum ankommt. Der Engländer gehört inzwischen zu den meistgespielten Opernkomponisten der Gegenwart. Am Opernhaus Zürich erlebt sein Musical «Das verzauberte Schwein» die schweizerische Erstaufführung.

B

oys’ Entrance steht in grauen Stein gemeisselt über der Seitentür, aber es ist lange her, dass Schulknaben das hohe Ziegelgebäude betraten. Im späten 19. Jahrhundert nämlich, als Bethnal Green noch ein respektables Viertel im Osten von London war und nicht ein Kuddelmuddel aus Ladenbaracken, Autowerk­ stätten, rissigen Neubauten und Resten aus grosser Zeit wie diese Schule, aus deren Boys’ Entrance jetzt ein ziemlich grosser Junge kommt, helle Augen, schlaksig, grinsend, in Jeans, gerade mal 55 Jahre jung: Jonathan Dove. «If you are prepared to travel to the East End of London», hatte er gemailt, als wohne er weit weg und nicht bloss vier Stationen vom Zentrum entfernt. Aber es ist eine andere Welt – ärmer und viel lebendiger als die Strassen zwischen St. Pauls und Marble Arch. Das Londoner Zen­ trum erstickt im Geld erstickt, da gibt es ausser zähfliessendem Verkehr nur noch teure Läden und Ökosnackbars. In Bethnal Green brodelt dagegen das Leben, das ganz normal exotische, hier leben Emigranten aus Bangladesch, Afrika, dem Nahen Osten. Und seit 20 Jahren lebt hier der Komponist Jonathan Dove, der jetzt Hunger hat und in seinem winzigen Stammcafé an der Hackney Road zwei Spiegeleier und ein quietschgrünes Getränk bestellt, nachgewürzt vom Dieseldunst der Busse draussen. Der Mann ist bester Laune, schliesslich werden in diesem Jahr zehn von seinen Opern an sechzehn Häusern neu produziert, auch in Zürich, wo The Enchanted Pig, eine Oper für Kinder und Familien, erstmals unter dem Titel Das verzauberte Schwein den deutschsprachigen Raum erreicht. Vor neun Jahren grunzte es erstmals, im Londoner Theater Young Vic. «Wir sagten nicht, dass das eine Art Oper ist», meint Jonathan, «sonst wäre das Theaterpublikum nicht gekommen.» Die Leute kamen dann so gerne zu diesem musical tale, dass die Produktion – sechs Instrumentalisten, acht Sänger für mehr als zwanzig Rollen – es auf 150 Aufführungen brachte und sogar in New York gastierte. «Zarte Lyrik, kecke Weisen, walzernde Duette und elaborierte Ensembles» fand die New York Times da gekonnt gemischt. An Komik fehlt es sowieso nicht, wenn Herr und Frau Nordwind als altes Ehepaar duettieren: «Ich lieb die Wickler, die sie trägt/ ich lieb es, dass er sich nicht pflegt.» «Schwer zu sagen, ob Witze funktionieren», meint Jonathan. «Wenn du ein paar Leuten etwas probehalber vorspielst, lacht keiner. Erst in einer grösseren Gruppe fängt das Lachen an.» Er testet so etwas gern mit Freunden in seinem Loft, zu dem wir jetzt aus der Hackney Road hinaufsteigen. Der einstige Schulkorridor im dritten Stock ist so hoch, dass das Fahrrad des Komponisten am Seil von der Decke hängen kann. Der Saal daneben, mit hohen Fenstern nach Süden, hat Platz für ein Podest mit Flügel, Küche und Esstisch. Jona­ than macht sich Pfefferminztee und erzählt, warum Comedy in der Musik für ihn so wichtig ist. «Ich fing an als Korrepetitor für Opern, ich liebte es, wenn das Publikum bei Verdis Falstaff und Rossinis Barbiere lachte, und fragte mich, wo die Komik in der Oper später geblieben ist.» Ausgerechnet mit einer Emigrantengeschichte hat er sie dann für sich wieder ge­funden. Da gab es die wahre Geschichte des iranischen Flüchtlings, der jahrelang im Pariser Flughafen Charles de Gaulle lebte. Rund um diesen Gestrandeten schufen Jonathan Dove und seine Librettistin April de Angelis eine Komödie der Wartenden, die ein Unwetter am Boden festhält. Flight bedient sich gediegen bei John Adams, Bernstein und Britten und wurde nach der Uraufführung 1998 in Glyndebourne viel­


Volker Hagedorn trifft… 35

fach nachgespielt, jüngst auch in Londons Holland Park, und das in Zeiten, da einem zum Stichwort «Flüchtling» eher keine Komödien einfallen. «Zur Zeit würde ich dieses Sujet wohl eher nicht wählen», meint Jonathan. Die Geschichte des Flüchtlings ist eigentlich keine Komödie. Der Darsteller, Countertenor, erzählt sogar – Fiktion – von einem Zwillingsbruder, der die Flucht im Fahrwerk eines Jets nicht überlebte. «Am Tag einer der Vorstellungen in London passierte genau das in der Wirklichkeit. Ein blinder Passagier kam um.» Niemand fand deswegen Flight zynisch, im Gegenteil. «Die Leute reagieren auf die Flüchtlingsgeschichte innerhalb dieser Oper stärker als vor siebzehn Jahren. Das Thema ist uns näher gekommen.» Und Jonathans musika­ lische Sprache ist so beschaffen, dass jeder ihr mühelos folgen kann. «Ich bin ja kein respektabler Modernist. Meine Musik ist modal, oft diatonisch, es ist das, was ich selbst hören möchte, wenn auch nicht alle Kritiker. I’m trying to write myself a good night out», sagt er so selbstbewusst wie bescheiden. Er ist kein Populist, der die Avantgarde verachtet, eher ein unbefangener Umsteiger aus einer Familie, in der es ausser ihm nur Architekten gab und gibt. Seine Mutter spielte Klavier, und das brachte ihn auf den Weg. «Zuerst habe ich die Sachen nachgespielt, Debussys Clair de lune und Händels Largo.» Making things up, wie er seine frühen Komponier­ versuche nennt, kam etwas später. «Mit zwölf spielte ich Orgel in der Kirche, aber ich übte nicht gern und dachte mir lieber selbst etwas aus. Als Teenager baute er Spielzeugtheater, Modelle, in denen er Szenenwechsel und Beleuchtung ausprobierte. Im Londoner Center for Young Musicians lernte er neben dem Klavierspiel auch Bratsche. Und mit sechzehn spielte er im Jugendorchester Mahlers Erste. Dirigent war der neunzehnjährige Simon Rattle. Eben der, der im Sommer 2015 Monster in the Maze von Jonathan Dove in Berlin, London und Aix-en-Provence realisiert hat. Es ist ein Musiktheater um die Sagenfigur des Minotaurus, konzipiert für Profis und Schüler in Chören wie im Orchester, das in Konzertsälen wie auf Bühnen funktioniert, eben die Art community opera, mit der Dove ebensoviel Erfahrung hat wie mit Fernsehopern. Letzteres Genre ist mittlerweile weggespart worden, aber Dove erreichte vor dreizehn Jahren bei der BBC mit When she died, einer halbdokumentarischen Oper zur Massentrauer um Lady Diana, eine Million Zuschauer. «Oper ist kein schwer zu verstehendes Medium, wenn sie eine Ge­schichte erzählt, die dich interessiert. Ich habe grosse Leidenschaft für das Geschich­ tenerzählen, und ich kann das mit Musik.» Seinen eigenen Ton hat er erst lange nach dem Musikstudium gefunden, als er Musik für zwei Tänzer komponierte und plötzlich etwas herauskam, von dem er dachte: «Das ist, was ich selbst hören möchte.» Da war Jonathan fast dreissig. Es stellte sich heraus, dass das andere auch hören und, wie die Edition Peters, sogar drucken moch­ ten. Bis jetzt hat Jonathan Dove alleine 28 Bühnenwerke geschrieben, mit Sujets von Apollo 11 bis zu Pinocchio, die ihn in der vorigen Saison auf Platz vier der meistge­ spielten lebenden Opernkomponisten brachten. Wenn er neu anfängt mit einer Oper, denkt er zuerst nach, wie sich die Ereignisse für die Protagonisten anfühlen, und sucht nach der Klangwelt, den passenden Or­ chester­farben. «Wenn die klar werden, bewege ich mich auf die Stimme zu, bis die Worte erscheinen. Wenn die Worte auf die Klangwelt treffen, ergeben sich die Melo­ dien.» Und die probiert er dann hier oben am Flügel aus, singend bis in die Altlage, Sopranstimmen pfeift er, führt das alles Freunden vor, nimmt es auf, hört es sich an. «Das hilft mir, ein Stück zu formen.» Nur einmal hat er das nicht getan: Beim zweiten Akt des Verzauberten Schweins. Und? «Beim Probelauf mit Kindern ging alles gut, bis auf zwei Stellen im zweiten Akt. Kinderreaktionen sind aufrichtig. Das meiste fan­den sie spannend, aber da fingen sie an, ungeduldig zu werden, sie schwankten wie Seeanemonen im Ozean. Ich liebte diese Stellen, aber ich habe sie gestrichen.» Er will einfach, dass die Leute «a good time» haben, so wie unsere Stunde hier. Am Ende erklärt er mir den Weg nach unten, man kann sich in der alten Schule leicht verlaufen, dann setzt er sich an seine nächste Oper, mit Blick auf ihren Schauplatz: Marx in London.



Wiederaufnahme 37

Foto: Gregory Batardon

Giselle «Giselle ist so gut, dass man stets Dinge entdeckt, die man vorher nicht ge­sehen hat.» Der grosse Choreograf George Balanchine brachte so die Faszination jenes Meisterwerks auf den Punkt, das auch fast 175 Jahre nach seiner Uraufführung als Inbegriff des romantischen Balletts gilt – die Geschichte des einfachen Bauernmädchens Giselle, das den untreuen Herzog Albrecht auch über den Tod hinaus liebt. So bewahrt sie ihn vor der Rache der gespenstischen Wilis, die ihn in einen erbarmungslosen, tödlichen Tanz hineinziehen wollen. Für das Ballett Zürich choreografierte Ballettlegende Patrice Bart in der vorigen Saison eine neue Version von Adolphe Adams Ballett, die auf der Originalchoreografie von Jean Coralli und Jules Perrot beruht. Unser Foto zeigt Yen Han (Giselle), Viktorina Kapitonova (Myrtha) und Denis Vieira (Albrecht). Die musikalische Leitung der Wiederaufnahme hat Paul Conelly. (Siehe auch unsere Rubrik «Meine Rolle» auf Seite 38). Wiederaufnahme: 22 Nov 2015 Weitere Vorstellungen: 2, 5, 17 Dez 2015, 2, 10, 16, 22 Jan 2016


38 Meine Rolle

Kalt und doch sehnsüchtig Ballettsolistin Viktorina Kapitonova über die Figur der Myrtha in Adolphe Adams «Giselle»

Viktorina Kapitonova stammt aus Russland und ist seit 2010 Mitglied des Balletts Zürich. Zur Zeit tanzt sie im Ballettabend «Gods and Dogs» und war zuletzt u.a. als Anna Karenina, Giselle und Myrtha zu erleben.

Zu den anspruchsvollsten Rollen meines Repertoires gehört die Myrtha im Ballett Giselle. Myrtha ist die Königin der Wilis, jener an gebrochenem Herzen gestorbenen Mädchen, die als gespenstische Nachtwesen untreue Liebhaber in einen todbringenden Tanz hineinziehen. Einzig und allein von dem Wunsch nach Rache angetrieben, locken sie die jungen Männer in die Finsternis, um sie ins Verderben zu stürzen. Und dieses Schicksal hat Myrtha auch für Herzog Albrecht vorgesehen, dessen Untreue das Winzer­mädchen Giselle in den frühen Tod getrieben hat. Als Albrecht an Giselles Grab erscheint, erteilt Myrtha Giselle und den Wilis den Auftrag, auch ihn in einen Todesrausch zu tanzen. Doch Giselle schützt ihn, indem sie ihn unter das Grabkreuz drängt, wo die Magie Myrthas nicht wirkt, solange, bis die Geisterstunde vorüber und der Fluch gebannt ist. Ich stelle mir vor, dass auch Myrthas Herz einst auf schreckliche Weise gebrochen wurde. Und man kann darüber rätseln, wie sie zur Anführerin der Wilis geworden sein mag, die als Formation streng unter dem Regiment ihrer Königin agieren: Sie vollführen Linien, Kreise – die «Elfenringe» – , formieren sich in Blöcken und langen Reihen. Ich habe diese Rolle noch in Russland vorbereitet, sie dann aber erst Anfang dieses Jahres hier in Zürich zum ersten Mal auf der Bühne verkörpert. Als Tänzerin stehe ich nicht nur vor der Herausforderung, Myrthas Charakter mit meinen Bewegungen glaubhaften Ausdruck zu verleihen, sondern dieser physisch sehr anspruchsvollen Rolle auch technisch gerecht zu werden. Ausdruck von Myrthas Macht ist ein mit Sprüngen gespicktes Solo. Da erfordern die Bewegungen sehr viel Kraft, und die Kunst besteht natürlich darin, sie für das Publikum ganz leicht aussehen zu lassen. Die Faszination des romantischen Balletts beruht ja zu einem wesentlichen Teil auf dem Eindruck absoluter Schwerelosigkeit. Das Schöne bei einer Wiederaufnahme ist, dass sich der Körper nach ein paar Proben an die technischen Details einer Rolle erinnert. So kann ich mich jetzt noch mehr darauf konzentrieren, den Charakter der Figur stärker mit der Bewegung zu verbinden. Myrtha scheint von einem Panzer aus marmorner Kühle umgeben zu sein, aber wir erleben sie nicht nur in einer Mischung aus Kälte und Perfektion, sondern auch als zerbrechliche Frau, die sich nach Liebe sehnt – zum Beispiel, wenn sie bei ihrem ersten Auftritt auf Spitze über die Bühne zu schweben scheint. Deshalb versuche ich immer, eine Balance herzustellen und sie nicht als absolut bösartig zu zeigen. Ihrer Vorstellung von Gerechtigkeit will sie mit aller Kraft und Entschlossenheit zu ihrem Recht verhelfen. Das Flehen Albrechts und das Bitten Giselles stossen bei ihr auf taube Ohren. Myrtha zeigt uns unsere dunklen Seiten und führt uns vor Augen, dass wir uns in Dämonen verwandeln, wenn wir nicht – wie Giselle – vergeben können und taub gegenüber der Bitte nach Mitleid sind. Viel Konzentration verwende ich auf den mimischen Anteil dieser Rolle. Da muss ich mich jedes Mal sehr fokussieren, um diesen kalten und regungslosen Gesichtsausdruck herzustellen und ihn – was noch schwieriger ist – auch den ganzen Akt über durchzuhalten. Doch ebenso wichtig ist die Körpersprache, die sich dem Publikum zum Beispiel in der Haltung der Arme, der Neigung des Kopfes und der Spannung des Rückens mitteilt. Meinem eigenen Naturell, das gebe ich gerne zu, liegt die kalte Myrtha allerdings eher fern, und so bin ich überglücklich, dass ich immer wieder auch als Giselle auftreten kann, die mich mit ihrer Zartheit, Hingabe und Grösse stets aufs Neue bewegt. Viktorina Kapitonova


Illustration: Lina M端ller


Schlicht und natürlich Die Pianistin Lise de la Salle, Fabio Luisi und die Philharmonia Zürich veröffentlichen ihren Rachmaninow-Zyklus auf CD. Ein Gespräch über interpretatorische Ideale den bringt Lise durch ihr Spiel ideal zum Ausdruck. Als wir hier in Zürich unsere Konzert­reihen planten, habe ich sie ge­ fragt, ob sie sämtliche Werke für Klavier und Orchester von Rach­­mani­now mit uns einstudieren möchte. Und dann haben Sie, Frau De la Salle, inner­halb von zwei Jahren fünf grosse Konzerte für Klavier und Orchester einstudiert, die allerhöchste Anfor­­de­ rungen an jeden Interpreten stellen? Lise de la Salle: Tatsächlich hatte ich bis dahin nur das zweite Klavier­­konzert von Rachmaninow gespielt und seine Paganini-Variationen…

Foto: Monika Rittershaus

Herr Luisi, wie ist die Zusammen­­ arbeit mit Lise de la Salle zu­­stande­ge­­­­ kommen, und warum fiel Ihre ge­­ mein­­­­sa­me Wahl auf Sergej Rachma­­­­ ninow? Fabio Luisi: Lise und ich kennen uns seit Jahren, und wir hatten bereits früher einmal die Gelegenheit, das zweite Klavier­konzert von Rachmani­now zu er­ arbeiten. Schon damals fand ich ein­­zig­ artig, wie Lise diese Musik interpretiert. Sie klingt bei ihr so schlicht und natür­ lich, wie Rach­maninow meiner Meinung nach klingen soll. Er hat ja wahrlich keine leichte Musik komponiert, aber sie hat einen sehr natürlichen Fluss. Und


Philharmonia Zürich 41

«Manche spielen diese Musik, als schmiere man auf einen süssen Cupcake noch Honig und Sahne» Lise de la Salle

FL: Innerhalb von zwei Jahren hat sie für mich… (schickt ihr eine Kuss­hand) …die drei anderen Konzerte ge­lernt, was in der Tat eine Höchst­leis­tung ist. Insbesondere das dritte Kon­zert ist sehr lang und eines der schwierigsten Kla­vier­­ konzerte überhaupt. LdlS: Meine frühere Klavierlehrerin sagte mir immer: «Du musst Rachmani­ nows drittes Konzert lernen, bevor du dreissig bist!» Und ich ant­wor­tete ihr jedes Mal, dass ich das nie tun werde und sehr gut ohne dieses Konzert leben könne. Als die Anfrage von Fabio kam, dachte ich kurz: «Vielleicht können wir das Gesamtwerk ohne das dritte Konzert machen…?» (lacht). Aber dann habe ich angefangen, es zu lernen. Jetzt sollte ich eigentlich meine Lehrerin anrufen und ihr sagen, dass das dritte Klavierkonzert inzwischen zu meinen Lieblingsstücken zählt! Experten behaupten, dass das dritte Konzert das mit den meisten Noten pro Sekunde überhaupt sei. FL: Kann sein. Die Technik beherrscht Lise ohnehin. Aber sie meistert auch die musikalischen Herausforde­r un­­gen. Am schwierigsten ist es, den Über­­blick über die vielen Themen und langen melodischen Linien zu behalten, alles durchzugestalten und zusam­men­zu­ halten. Ich weiss nicht, wie sie Stücke lernt, aber ich habe das Gefühl, dass sie darüber gar nicht nachdenken muss, so sehr ist sie mit der Musik vertraut. LdlS: Ich glaube, Fabio und ich haben sehr ähnliche Vorstellungen davon, wie Rachmaninows Musik klingen soll. Das Problem ist ja, dass sie von vielen Pianisten völlig übertrieben interpre­ tiert wird. Oft klingt es, als ob man auf einen süssen Cupcake noch Honig, Butter und Sahne draufschmiere. Spielt man die Stücke so, klingen sie kitschig und geschmacklos. Aber Rachmaninow hat alles niedergeschrieben, was er hören wollte. Es steht alles in den No­ ten, man muss da nichts hinzuerfinden. Kritiker behaupten, Rachmaninow habe «Supersalonmusik» geschrieben oder wie Arnold Schönberg sagte «Filmmusik». Ist da etwas dran?

FL: Es gibt grossartige Film­musik! Und zwar von genialen Komponisten wie Erich Wolfgang Korngold oder Dmitri Scho­­sta­kowitsch. Rachma­ni­nows Konzer­te sind sicher nicht als Film­ musik gedacht. Dass sie aber, wie sich mehrfach gezeigt hat, fürs Kino ge­ eignet sind, muss ihm nicht als Minus­ punkt an­gerechnet werden. Was den Kitsch betrifft, kann ich Lise nur zustim­men: Der Kitsch ist das Zuviel! Natürlich kann man Rachmani­now kitschig spielen. Aber man kann auch Brahms oder Chopin kitschig spie­len. Übertriebene Süsslichkeit hat also nicht primär etwas mit Rachmani­now zu tun. Im Gegenteil: Harmonisch ist Rachmaninows Musik komplex und sehr farbig, aber die Melodien sind im Grunde simpel. Gerade melodisch ist seine Musik von einer grossen Schlicht­ heit. Als Interpreten müssen wir dafür sorgen, dass dies erkennbar bleibt. Fühlt man sich nicht trotzdem ein bis­schen wie ein Filmstar, wenn man den Beginn von «Rach Zwei» spielt? LdlS: Es ist ein gutes Gefühl! (lacht). Natürlich ist der Grat zwischen einem gut gespielten und einem kitschigen Rachmaninow sehr schmal. Man darf die Emotionalität dieser Musik voll auskosten und auch ein bisschen in Atmosphäre schwelgen, aber man muss immer wieder auf die Natürlichkeit zurückkommen. Ihr besonderes Interesse gilt dem Klang. Es heisst, Sie seien jemand, der immer nach dem perfekten Klang suche. LdlS: Was ist schon der perfek­te Klang? Aber es stimmt, ich beschäftige mich viel mit dem Wesen des Klangs, insbeson­ dere bei Rachmaninow. Das Klavier ist ja eigentlich ein Per­kussions­instru­ment: Wenn der Klang einmal produziert ist, kann man ihn nicht mehr verändern. Deshalb muss man wenigstens durch den Einsatz des Pedals, durch Verände­ rungen in der Hand, die nicht die Melo­die spielt, durch Phrasierungen und so weiter die Illusion erzeugen, dass sich der Klang verändert.


42 Philharmonia Zürich

«Jede Note mit der nächsten wirklich kantabel zu verbinden, ist auf dem Klavier grausam schwer» Fabio Luisi

Die 3-CD-Box mit den Klavierkonzerten Nr. 1 bis 4 und den Paganini-Variationen von Sergej Rachmaninow erscheint im November weltweit im Handel und ist im Foyer des Opernhauses erhältlich. Weitere Informationen, Hörproben, Videotrailer, Fotogalerie und eine Bestellfunktion finden Sie unter www.philharmoniarecords.com

Sie vergleichen Ihr Klavierspiel gerne mit dem Gesang… LdlS: Ich vergleiche mich nicht damit, aber es ist mein klangliches Ideal. FL: Wir sollten das alle tun! Alle Instru­ mente imitieren letztlich die mensch­­ liche Gesangsstimme. Auf dem Klavier ist das aber aus den Gründen, die Lise gerade genannt hat, besonders schwie­ rig. Eine lange Rachmaninow-­Phrase zu gestalten und dabei wirklich jede Note mit der nächsten kantabel zu verbinden, ist auf dem Klavier grausam schwer. Herr Luisi, Sie waren selbst Pianist. Fällt es Ihnen leicht, am Pult zu stehen und auf eine Pianistin einzu­ gehen, die vielleicht andere inter­ pretatorische Vorstellungen hat? FL: Ja und nein. Es ist eine Heraus­­for­ de­r ung. Eine gute Musikerin wie Lise hat immer eine Logik in ihrem Spiel. Sie weiss, wo eine Phrase anfängt und hinführt. Wenn diese grundsätzliche Logik vorhanden ist, kann dasselbe Werk auf sehr viele ver­schiedene Arten ge­ spielt werden. Das zweite Konzert von Rachmaninow habe ich zum Beispiel auch mit Ivo Pogorelich aufgeführt. Er ist ein hochinteressanter Musiker, aber das pure Gegenteil von Lise! Er ist extrem. Lise spielt eher «meinen» Rachmaninow, Ivo eher «seinen». Aber ich kann beiden gut folgen, weil beide das Werk in sich logisch gestalten. Richtig schwierig wird es hingegen, wenn jemand völlig erratisch spielt. Dann verstehe ich musikalisch nicht, was er will. Das ist bei Lise und mir glück­ licherweise nie der Fall. Welche Herausforderungen stellen die Rachmaninow-Konzerte an die Or­ chestermusiker? FL: Das Orchester hat hier keine beglei­ tende Funktion, sondern wichtige Aufgaben! Insbesondere das dritte und das vierte Konzert ähneln Sinfonien mit obligatem Klavier. Es besteht also die Gefahr, dass die Orchestermusiker ihre Aufgabe unterschätzen. Aber meine Philharmonia-Musiker machen es wun­ der­­bar! Sie sind präzise, neugierig und geniessen es dabei auch noch zu spielen!

Rachmaninow schrieb das erste Kla­ vier­­konzert 1891, als er noch Student in Moskau war. Die Rhapsodie über ein Thema von Paganini ist in den dreissiger-Jahren in seiner Villa am Vierwaldstättersee entstanden. Welche stilistische Entwicklung nimmt Rachmaninows Œuvre? FL: Das erste Klavierkonzert ist ein sehr raffiniertes Werk, aber es ist noch eher konventionell gearbeitet. Das Zweite ist, vor allem was die Be­hand­lung des Orchesters angeht, schon we­­sent­­­lich moderner. Das Dritte hat die Ausmasse einer grossen Sinfonie, man findet darin viel Neues. Das Vierte ist für mich das Schönste von allen und rhythmisch hochinteressant. Man merkt den ame­­ rikanischen Einfluss, zum Teil kommt es richtig jazzig daher. LdlS: Im vierten Konzert gibt es nicht so viele Klavier-Soli im her­kömm­lichen Sinn und auch weniger lange Kadenzen. Oft hat sogar das Orchester die grossen Linien zu spielen, während dem Solisten mehr kleine Einwürfe und ornamen­tale Elemente zukommen. Wie Fabio schon sagte, ist es stark von rhythmischen Strukturen geprägt. Welches Konzert ist Ihr persönlicher Favorit? FL: Was die Tradition des klassischen Klavierkonzerts angeht, ist das Dritte wahrscheinlich der Höhepunkt in Rachmaninows Schaffen. Man fühlt darin am stärksten den Willen, ein Meisterwerk zu schreiben. Und das ist es auch. Aber ich vermisse darin ein bisschen die Frische des ersten und die Kühnheit des vierten Konzerts. Wird es schwer, diese fünf Werke in Ihrem Repertoire zu halten? LdlS: Im Moment ist alles sehr präsent in meinem Gedächtnis. Ich hoffe, das bleibt noch lange so! Das Gespräch führte Fabio Dietsche


Kalendarium 43

Oktober 2O15 23 Fr The Turn of the Screw 20.00

Oper von Benjamin Britten Freitag-Abo A, Preise D

24 Sa Führung durch das Opernhaus 14.00

Treffpunkt Billettkasse, CHF 10

Familien-Workshop

14.30

GODS AND DOGS Ballettsaal A, CHF 20

Rumpelstilzchen

16.00

Ab 4 Jahren, Studiobühne, CHF 25

Gods and Dogs

19.00

Choreografien von William Forsythe, Jiří Kylián und Ohad Naharin Ballett-Abo klein, Preise B

25 So New Creations 14.00

Junior Ballett, Preise H

Rumpelstilzchen

14.00

Ab 4 Jahren, Studiobühne, CHF 25

31 Sa Ballett-Führung mit Mini-Workshops 14.00

Treffpunkt Billettkasse, CHF 10

Führung durch das Opernhaus

14.15

Treffpunkt Billettkasse, CHF 10

Familien-Workshop

14.30

LES PÊCHEURS DE PERLES Für 6- bis 12-Jährige und ihre Eltern Treffpunkt Billettkasse, CHF 20

Les Pêcheurs de perles

19.00 Oper von Georges Bizet AMAG-Volksvorstellung Preise H

November 2O15 So Brunchkonzert 1

11.15

«Wien um 1900» Kammerkonzert mit anschliessendem Brunch im Restaurant Belcanto, Spiegelsaal, CHF 60

Familien-Workshop

14.30

LES PÊCHEURS DE PERLES Treffpunkt Billettkasse, CHF 20

Familien-Workshop GODS AND DOGS 14.30

Ballettsaal A, CHF 20

Les Pêcheurs de perles Wiederaufnahme 20.00

Oper von Georges Bizet Sonntag-Abo C, Preise E

26 Mo Liederabend Anne Schwanewilms 19.00 Malcolm Martineau, Klavier

Mode·Leder·Pelze Kaiserstrasse 42 D-79761 W a l d s h u t Tel. 0049 7751 3486 www.kueblerpelz.com

Lieder-Abo, CHF 60

28 Mi Les Pêcheurs de perles

19.00

Oper von Georges Bizet Französische Oper-Abo, Preise E

29 Do Der Schauspieldirektor

18.30 Komödie mit Musik von W. A. Mozart Koproduktion mit dem Theater Kanton Zürich Hauptbühne Opernhaus, CHF 50/35

Der Schauspieldirektor

Komödie mit Musik von W. A. Mozart Koproduktion mit dem Theater Kanton Zürich Hauptbühne Opernhaus, CHF 50/35

3O Fr Gods and Dogs

19.30

Choreografien von William Forsythe, Jiří Kylián und Ohad Naharin Freitag-Abo B, Preise B

Samtnerz/grey

20.30


44 Kalendarium So 1  La bohème Premiere

19.00

Oper von Giacomo Puccini Premièren-Abo A, Preise F

15 So La bohème

14.00

Mo Lunchkonzert 2

12.00

«Wien um 1900», Kammermusik am Mittag Spiegelsaal, CHF 20

Stücke entdecken

14.30

Do 5  La bohème

19.30

Oper von Giacomo Puccini Premièren-Abo B, Preise E

Fr 6  Les Pêcheurs de perles

19.00

Oper von Georges Bizet Kombi-Abo, Preise E

Sa 7  Stücke entdecken

14.30

Gods and Dogs

19.30

Choreografien von William Forsythe, Jiří Kylián und Ohad Naharin Misch-Abo C, Preise B

So 8  Les Pêcheurs de perles

14.00

Oper von Georges Bizet Sonntag-Abo A, Preise E

DAS VERZAUBERTE SCHWEIN Für 7- bis 12-Jährige, Studiobühne, CHF 20

La traviata

20.00

Oper von Giuseppe Verdi Belcanto-Abo, Preise E

17 Di La bohème

19.30

Oper von Giacomo Puccini Dienstag-Abo B, Preise E

18 Mi Stücke entdecken

14.30

DAS VERZAUBERTE SCHWEIN Für 7- bis 12-Jährige, Studiobühne, CHF 20

La traviata

19.00

Oper von Giuseppe Verdi Misch-Abo A, Preise E

2O Fr La bohème

19.00

Oper von Giacomo Puccini Freitag-Abo B, Preise E

Stücke entdecken

14.30

DAS VERZAUBERTE SCHWEIN Für 7- bis 12-Jährige, Studiobühne, CHF 20

La bohème

20.00

Oper von Giacomo Puccini Sonntag-Abo D, Preise E

1O Di La traviata Wiederaufnahme

19.00

Oper von Giuseppe Verdi Dienstag-Abo C, Preise E

11 Mi Stücke entdecken 14.30

DAS VERZAUBERTE SCHWEIN Für 7- bis 12-Jährige, Studiobühne, CHF 20

La bohème

19.00

Oper von Giacomo Puccini Mittwoch-Abo B, Preise E

(Foto: Priska Ketterer/LUCERNE FESTIVAL)

DAS VERZAUBERTE SCHWEIN Für 7- bis 12-Jährige, Studiobühne, CHF 20

Oper von Giacomo Puccini Sonntag-Abo B, Preise E

LUCERNE FESTIVAL AM PIANO 21. – 29. November 2015

Tickets für das Oster-Festival 2016 erhältlich ab 9. November 20 15

Unvergessliche Konzertmomente mit den Meisterpianisten

13 Fr La traviata

Piotr Anderszewski | Angela Hewitt, Festival Strings Lucerne | Pavel Kolesnikov | Denis Kozhukhin | Radu Lupu | Pierre Pincemaille | Maurizio Pollini | Lise de la Salle | Olga Scheps | Sir András Schiff | Jean-Yves Thibaudet u. a.

14 Sa Stücke entdecken

... und lange Jazznächte in Luzerns schönsten Bars

19.30

14.30

Oper von Giuseppe Verdi, Preise E

DAS VERZAUBERTE SCHWEIN Für 7- bis 12-Jährige, Studiobühne, CHF 20

Das verzauberte Schwein Premiere

17.00

Kinderoper von Jonathan Dove Kindervorstellung, Preise K

Piano Off-Stage | 24. – 29. November 2015 Karten sowie Informationen zum vollständigen Programm: +41 (0)41 226 44 80 | www.lucernefestival.ch Hauptsponsor


Kalendarium 45

21 Sa Ballette entdecken 14.30

GISELLE, Treffpunkt Billettkasse, CHF 20

Geschichten erzählen mit Musik 15.30

Oper von Giuseppe Verdi Samstag-Abo, Preise E

22 So Einführungsmatinee

11.15

Ein Gespräch mit dem Produktionsteam von «Il viaggio a Reims» Bernhard Theater, CHF 10

Brunchkonzert

11.15 «Streichtrios»

Kammerkonzert mit anschliessendem Brunch im Restaurant Belcanto, Spiegelsaal, CHF 60

Das verzauberte Schwein 14.00

18.00

2. Philharmonisches Konzert Rafael Payare, Dirigent, Anna Vinnitskaya, Klavier Opernhaus, Konzert-Abo, Preise P1

TURANDOT, Studiobühne, CHF 12/20

La traviata

20.00

29 So Brahms / Schostakowitsch

Kinderoper von Jonathan Dove Kindervorstellung, Preise K

Dezember 2O15 Musikalischer Adventskalender: 1. bis 23. Dezember, jeweils 17.3O im Foyer des Opernhauses Eintritt frei www.opernhaus.ch/advent

Di La bohème 1

19.00

Oper von Giacomo Puccini, Dienstag-Abo A, Preise E

Mi Giselle 2

19.00

Ballett von Patrice Bart nach Jean Coralli und Jules Perrot, Musik von Adolphe Adam Mittwoch-Abo B, Preise D

Geschichten erzählen mit Musik

Do 3  Liederabend Nina Stemme

Fr 4  Führung Kostümabteilung

15.30

TURANDOT, Studiobühne, CHF 12/20

Giselle Wiederaufnahme

20.00

Ballett von Patrice Bart nach Jean Coralli und Jules Perrot, Musik von Adolphe Adam Ballett-Abo Gross, Preise D

23 Mo Lunchkonzert 12.00

«Streichtrios», Spiegelsaal, CHF 20

25 Mi Führung Werkstätten 15.30

Treffpunkt Billettkasse, CHF 20

La bohème 20.00

Oper von Giacomo Puccini Mittwoch-Abo A, Preise E

27 Fr La traviata 19.00

Oper von Giuseppe Verdi Italienische Oper-Abo, Preise E

28 Sa Führung durch das Opernhaus 14.30

Treffpunkt Billettkasse, CHF 10

La bohème

19.00

Oper von Giacomo Puccini Misch-Abo B, Preise E

29 So Das verzauberte Schwein

11.00

Kinderoper von Jonathan Dove Kindervorstellung, Preise K

Ballettgespräch

11.15

Studiobühne, CHF 10

19.00

15.00

Lieder-Abo, Preise A; Matti Hirvonen, Klavier

Treffpunkt Billettkasse, CHF 20

Führung Bühnentechnik 16.00

Treffpunkt Billettkasse, CHF 20

La bohème

19.30

Oper von Giacomo Puccini Italienische Oper-Abo, Preise E

Sa 5  Das verzauberte Schwein

10.30

Kinderoper von Jonathan Dove Kindervorstellung, Preise K

Ballett-Führung mit Mini-Workshops 14.00

Treffpunkt Billettkasse, CHF 10

Führung durch das Opernhaus

Geschichten erzählen mit Musik

14.15

15.30

Treffpunkt Billettkasse, CHF 10

TURANDOT, Studiobühne, CHF 12/20

Giselle

19.00

Ballett von Patrice Bart nach Jean Coralli und Jules Perrot, Musik von Adolphe Adam Samstag-Abo, Preise D

Opernhaustag

Die Werkeinführung findet jeweils 45 min. vor der Vorstellung statt.


46 Serviceteil

Billettkasse

Billettpreise und Platzkategorien

Öffnungszeiten: Mo–Sa 11.00 Uhr bis Vorstellungsbeginn, an Tagen ohne Vorstellung bis 18.00 Uhr. Sonntags jeweils ab 1,5 Stunden vor Vorstellungsbeginn. T +41 44 268 66 66, Mo-Sa, 11.30 – 18.00 Uhr / tickets@opernhaus.ch Opernhaus Zürich AG, Falkenstrasse 1, CH-8008 Zürich

1

2

3

Preisstufe A

92

76

65

43

16

AMAG-Volksvorstellungen

Preisstufe B

141

126

113

56

20

Die AMAG-Volksvorstellung ermöglicht es Theaterliebhabern, das Opernhaus Zürich zu einem deutlich reduzierten Preis zu be­suchen. Die regelmässig stattfindenden AMAG-Volksvor­stel­lungen werden in der kalendarischen Übersicht dieses Magazins, online in unserem Monatsspielplan sowie per News­letter an­gekündigt. Die MAG-­ Volksvorstellungen gelangen jeweils einen Monat vorher in den Verkauf. Fällt der Tag des Verkaufsbeginns auf einen Sonn- oder Feier­tag, beginnt der Vorverkauf am Öffnungstag davor. Schriftliche Kartenbestellungen sind nicht möglich. Der Maximalbezug für diese Vorstellungen liegt bei 4 Karten pro Person.

Preisstufe C

169

152

130

56

20

Preisstufe D

198

173

152

92

32

Preisstufe E

230

192

168

95

35

Preisstufe F

270

216

184

98

38

Preisstufe G

320

250

220

98

38

Preisstufe VV

75

59

44

25

15

Kinderoper K

60

50

40

30

20

Preisstufe P1

95

80

65

50

35

Preisstufe P2

Opernhaus-Tag  Das Opernhaus Zürich für Kurzentschlossene: Am Opernhaustag erhalten Sie 5O% Ermässigung für die gekennzeichnete Vorstellung. Fällt der Opernhaustag auf einen Sonntag, können die ermässigten Tickets bereits ab Samstag erworben werden. Die Termine finden Sie im Kalendarium dieses Magazins und werden Ihnen auf Wunsch regelmässig per E-Mail mitgeteilt. Newsletter abonnieren unter: www.opernhaus.ch/newsletter

4 5

125

105

85

65

40

Legi (Preisstufen A-C)

35

25

20

18

13

Legi (Preisstufen D-G)

45

33

25

20

15

Alle Preise in CHF

R BA

Stark vergünstigte Tickets, Probenbesuche, interessante Einblicke hinter die Kulissen und mit Gleichgesinnten die neuesten Opern- und Ballettproduktionen besuchen: all das und mehr bietet der Club Jung für junge Leute zwischen 16 und 26 Jahren. Die Mitgliedschaft ist kostenlos und unverbindlich (einmalige Aufnahmegebühr von CHF 20). Club Jung-Mitglieder erhalten Last-Minute-Karten ab 30 Minuten vor der Vorstellung für CHF 15. Auch stehen ihnen bereits im Vor­ verkauf Karten zum Preis von CHF 15 für ausgewählte Vorstellungen zur Verfügung. Spezielle Veranstaltungen wie Probenbesuche oder Workshops geben einen exklusiven Einblick hinter die Kulissen und sind für Clubmitglieder kostenlos. Der Club Jung-Newsletter informiert regelmässig über die aktuellen Angebote und Aktionen. Details zur Mitgliedschaft im Club Jung und zum aktuellen Programm finden Sie auf www.opernhaus.ch/clubjung.

KINO

Club Jung

Ermässigungen

4.11.15

Das Opernhaus Zürich bietet unterschiedliche Ermässigungen für Kinder, Schüler, Studenten, Lernende und KulturLegi-Inhaber, AHV- und IV-Bezüger. Informationen hierzu finden Sie unter www.opernhaus.ch/besuch oder in unserem Sai­son­­buch.

MAG Abonnieren  MAG, das Opernhaus-Magazin, erscheint zehnmal pro Saison und liegt zur kostenlosen Mitnahme im Opernhaus aus. Sie können das Opernhaus-Magazin abonnieren: zum Preis von CHF 38 bei einer inländischen Adresse und CHF 55 bei einer ausländischen Adresse senden wir Ihnen jede Ausgabe druckfrisch zu. Bestellungen unter: T +41 44 268 66 66 oder tickets@opernhaus.ch.

Badenerstr. 173 Zürich

kinohoudini.ch


Serviceteil 47

Impressum

Sponsoren

Magazin des Opernhauses Zürich Falkenstrasse 1, 8008 Zürich www.opernhaus.ch T + 41 44 268 64 00

Unsere Vorstellungen werden ermöglicht dank der Subvention des Kantons Zürich sowie den Beiträgen der Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Zug und Aargau im Rahmen der interkanto­n alen Kulturlastenvereinbarung und den Kantonen Nidwalden und Obwalden.

Intendant Andreas Homoki

Partner

ab

Generalmusikdirektor Fabio Luisi Ballettdirektor Christian Spuck Verantwortlich Claus Spahn Sabine Turner Redaktion Beate Breidenbach Kathrin Brunner Fabio Dietsche Michael Küster Claus Spahn Gestaltung Carole Bolli Florian Streit Fotografie Stefan Deuber Danielle Liniger Florian Kalotay Bildredaktion Christian Güntlisberger Anzeigen Nathalie Maier Schriftkonzept und Logo Studio Geissbühler Druck Multicolor Print AG Illustrationen Laura Jurt Lina Müller

Produktionssponsoren

Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung

Evelyn und Herbert Axelrod

Else von Sick Stiftung

Freunde der Oper Zürich

Swiss Casinos Zürich AG

Walter Haefner Stiftung Swiss Re

Förderer

Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG

Confiserie Teuscher Frankfurter Bankgesellschaft (Schweiz) AG

Projektsponsoren

Garmin Switzerland

AMAG Automobil- und Motoren AG

Horego AG

Baugarten Stiftung

Istituto Italiano di Cultura Zurigo

Familie Christa und Rudi Bindella

Sir Peter Jonas

René und Susanne Braginsky-Stiftung

Luzius R. Sprüngli

Clariant Foundation

Elisabeth Stüdli Stiftung

Freunde des Balletts Zürich

Zürcher Theaterverein

Max Kohler Stiftung Ringier AG Georg und Bertha Schwyzer-Winiker-Stiftung Zürcher Festspielstiftung Zürcher Kantonalbank Gönner Abegg Holding AG Accenture AG Josef Ackermann Alfons’ Blumenmarkt Allreal Ars Rhenia Stiftung ART MENTOR FOUNDATION LUCERNE Familie Thomas Bär Berenberg Schweiz Beyer Chronometrie AG Elektro Compagnoni AG Stiftung Melinda Esterházy de Galantha Fitnessparks Migros Zürich Fritz Gerber Stiftung Ernst Göhner Stiftung Egon-und-Ingrid-Hug-Stiftung Walter B. Kielholz Stiftung KPMG AG Landis & Gyr Stiftung Lindt und Sprüngli (Schweiz) AG Stiftung Mercator Schweiz Fondation Les Mûrons Neue Zürcher Zeitung AG Notenstein Privatbank AG


Sibylle Berg denkt über Operngefühle nach

Verkannte Künstler gibt es nicht Gibt es heute noch Bohemiens wie in Giacomo Puccinis Oper La bohème? Junge Künstler, erfolglos aber enthusiastisch, lungern an Holztischen in Kellern herum, reden konspirativ, trinken Wein aus Pappkartons und planen die Weltrevolution. Dann organisieren sie ein alternatives Festival mit gotischem Ausdruckstanz, Action­ painting und Orgie. Süss. Genauso stellt man sich das doch vor, als normal werk­tätiger Angestellter, das Leben der Boheme. Aber schon in vergangenen Zeiten entsprang die romantische Sicht auf die Künstler eher dem Wunsch des Betrachters. Es gibt sicher heute Gruppen junger Menschen, die auf der Suche nach der eigenen Neuerfindung sind. Sie besetzen Industrieareale, malen, machen Theater, sind reizend und denken, sie könnten die Welt verändern. Es ist vollkommen egal, ob sie kommerziell erfolgreich sind, denn die Kraft des An-sich-Glaubens ist so gross, dass es eine Erregung auslöst, die nie mehr wieder­ kehren wird. Das Sitzen und Planen, die Diskussionen und die Reinheit der Gedanken, der Wille, etwas nie Dagewesenes zu schaffen, wird sich verlieren wie sich fast alles ver­liert und abnutzt, woran man in der Jugend glaubte. Junge Künstler sind nicht erfolg­los, sie sind einfach nur – jung! Im Älterwerden ändert sich die Lage drastisch. Alles, was an einem jungen Men­ schen reizend wirkt, die vehementen Reden, die schmutzige Kleidung, das Rauchen und Hungrigsein, wird ab Ende Dreissig tragisch. Wenn man es dann nicht geschafft hat, von seiner Kunst zu leben, ist man nicht verkannt, sondern schlicht nicht gut ge­ nug, um einen Konsumenten von seiner Arbeit zu überzeugen. Ich wage die Be­haup­ tung: Ausser in sehr entlegenen Ecken der Welt – vielleicht irgendwo am Amazonas ohne Internetzugang – gibt es heute keine verkannten Künstler mehr. Zu einfach ist der Zugang zur Öffentlichkeit und zu gross die Nachfrage nach Investment­möglich­ keiten in der Kunst. Zu vernetzt ist die Welt. Wenn irgendetwas heute auch nur den Geruch von kommerzieller Verwertbarkeit verbreitet, wird es publiziert, ausgestellt, aufgeführt. Sicher gilt, dass im Zeitalter der galoppierenden Zeitlosigkeit Kunst, die den kleinsten gemeinsamen Nenner befriedigt, kommerziell erfolgreicher ist als anspruchsvolle. Fifty Shades of Grey und die Kino-­ Blockbuster versus Marlene Streeruwitz und Arthouse Film. Bekannt sind die weniger finanziell erfolgreichen dennoch. Die globalisierte Welt kennt keine Geheimtipps mehr. Alles wird sofort vom grossen Schwamm der nach Neuem lechzenden Weltbevölkerung aufgesogen. Ist man Künstler und erwachsen und hat es geschafft, von seiner Arbeit zu leben, geht es ums Überleben. Denn die Konkurrenz ist riesig und global. Jeder Künstler ist heute ein Unternehmen. Ist man weniger erfolgreich, muss man PR- , Steuer- und Vertriebsmanager in einer Person sein, sodass kaum mehr Zeit für die künstlerische Arbeit bleibt. Nimmt der finanzielle Erfolg zu, arbeiten mehr Menschen für einen, denen man nicht trauen sollte. Ausserdem muss man Vorträge halten, lehren und sich Medaillen anheften lassen. Alles wunderbar. Es widerspricht nur dem Bild der Bohe­ me-Clique. Natürlich kennen Künstler andere Künstler; natürlich gibt es immer wieder Kooperationen oder zufällige Treffen an Holztischen, in Ausnahmefällen auch erfolgreiche Künstlerkollektive. Die tolle Künstlergruppe jedoch, die sich zur Welt­ veränderung im Keller trifft, ist leider eine Fantasie wie die ewige romantische Liebe. Sibylle Berg

Illustration: Laura Jurt

48


DAS VERZAUBERTE SCHWEIN

Unterstützt durch

Das Hörbuch mit der Geschichte zum Stück und weitere Infos finden Sie auf www.opernhaus.ch/schwein Kindermusical ab 6 Jahren PR EMIER E 14 NOV 2O15



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