sam. Sachsen-Anhalt-Magazin, Ausgabe November 2010

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BERICHTE AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

Zeit zum Kuscheln

Bad Kösener Plüschtiere lassen nicht nur Kinderherzen höher schlagen Seite 10

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Stark für die Region.

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Aus meiner Sicht

unserem Gedächtnis ist nicht zu trauen. Neulich zeigte mir ein be-

freundeter Fotograf Aufnahmen aus seinem neuesten Bildband, der sich unter anderem der Magdeburger Wendegeschichte

Voller Elan ergriffen sie diese einmalige Chance und erfanden das mausgraue Land einfach neu. Damals vor 20 Jahren.

widmet. Etwas verständnislos betrachtete ich die Fotos. „Wann

Nur zwei Jahrzehnte haben uns das Bild der DDR-Tristesse ver-

spöttisch. Geradezu entsetzt starrte er mich an. Ob ich mich

den Optimismus der Wendezeit vergessen lassen. Wir haben

hast Du die denn geschossen, etwa nach dem Krieg?“ fragte ich denn nicht mehr erinnern könne. Das sei doch der Hasselbach-

platz und jenes der Bahnhof. Beides 1990 fotografiert. Damals vor 20 Jahren.

Und dann tröpfelte das Wiedererkennen so langsam aus

meinem Gedächtnis. Natürlich, der „Plättbolzen“ am Hasselbachplatz und die große Freifläche vor dem Bahnhof. Alles in

schmuddeliges Grau getaucht. Die Häuser angenagt vom Ruß der ehemaligen Industrieschlote.

Zwei Jahrzehnte ist das erst her. Und die Gesichter unserer

Städte haben sich völlig verändert – in einer fast unheimlichen

Geschwindigkeit. Aber was blieb den Planern und Architekten

gessen lassen. Aber sie haben uns auch die Begeisterung und uns eingerichtet in unserem neuen Land. Unser Blick hat sich gewöhnt. Gewöhnt an die liebevoll sanierten Altstädte mit

ihren hübschen Gassen und Straßen, an die neuen Plätze und

restaurierten Denkmäler. Wir haben uns gewöhnt an die Touristenbusse, die ihre Reisenden in unsere Städte bringen. Sie er-

freuen sich noch an der Architektur, an der wir längst blicklos vorbeigehen.

Und deshalb sollten wir uns erinnern. Damit wir wieder stolz sind auf das, was wir geschaffen haben. Heute nach 20 Jahren. Happy Birthday, Du schönes junges Sachsen-Anhalt!

1990 auch anderes übrig. Sie mussten retten, was schon dem

Verfall preisgegeben war. Es war die Zeit des großen Aufbruchs. Die Menschen im gerade aus der Taufe gehobenen Sachsen-

Anhalt suchten nach Identität, wollten sich zu Hause fühlen.

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 03/10

Redakteurin

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In diesem Heft

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Interview

„Das Glück der Einheit bewusst machen“ Im Gespräch mit dem Theologen Friedrich Schorlemmer…………….................................... 6

Spielwaren

Kuschelangriff auf die Weltspitze Hochwertige Materialien und naturgetreues Plüschtier-Design aus Bad Kösen...….………..……...10

Portrait

Der mit dem Wind kämpft In schwerer See hat Dr. Peter Transfeld Beutefahrer und Untiefen umschifft…………......... 14

Wohnungswirtschaft

Wer sich wohlfühlt, der bleibt auch Generationengerechtes Wohnen nach Maß und im Grünen.………..….....................……….……………..19

Tourismus-Tipp

Tagen, Tafeln, Trauen im Märchenschloss Schloßhotel Schkopau verführt mit unverwechselbarem Charme.....………….............................22

Einzelhandel

Einigkeit und Recht und Freiheit ?

Seite 6

Als Bürgerrechtler und Mitbegründer des Demokratischen Aufbruchs legte sich Friedrich Schorlemmer mit den DDR-Oberen an. Mit seinen mutigen Worten und Taten wurde er 1989 zu einer Symbolfigur der Wende. Als Querdenker mischt er sich noch immer in die aktuelle politische Debatte ein. „Demokratie lebt vom Mitmachen“, wirbt der Theologe und Publizist für bürgerschaftliches Engagement. Das Sachsen-Anhalt-Magazin fragte den langjährigen Leiter der Evangelischen Akademie Wittenberg nach seiner Bilanz der 20-jährigen Entwicklung von der staatlichen zur inneren Einheit Deutschlands.

Glücklichmacher hinter dem Ladentisch Von der „Bückwaren“-Verteilung zu westlicher Warenfülle………………………………….........................…26

Visionen

Zukunftsmusik im Ohr Autorenbeitrag von Finanzminister Jens Bullerjahn......................………..30

Nahverkehr

Auf 1 435 Millimetern unterwegs Seit vier Jahren bedient die Elbe-Saale-Bahn ihr 400 Kilometer langes Streckennetz……...……......32

Energiewirtschaft

Mit Wind und Wasser gut versorgt Städtische Werke Magdeburg haben sich zu einem stabilen Versorger entwickelt..…..…………37

Forschung

Geheimnis der Gase Sensoren im Keller können Hausbewohner vor Gefahren warnen..…................................................40

In der Traditon von Käthe Kruse

Seite 10

Sie sind Spielzeug, Sammelobjekte und sogar Haustierersatz - Plüschtiere aus Bad Kösen erfreuen kleine und große Herzen. Produziert werden sie an einem traditionsreichen Ort. Vor 112 Jahren gründete hier die legendäre Käthe Kruse ihre Puppenwerkstätten. Die Kösener Plüschtiere sind auf bestem Wege, ebenso berühmt zu werden. In ihrem naturgetreuen Design sind sie Weltspitze.


In diesem Heft

An der Saale hellem Strande

5

Seite 22

Luthers Land, Kernland deutscher Geschichte, Schatzkammer des Mittelalters, Barockmusik, Harzwandern, Elberadweg – das Reiseland Sachsen-Anhalt bietet Vielfalt. Mit pfiffigen Ideen locken Hotels und Gastronomie immer mehr Gäste ins Land. Kai-Ulf Sauske und sein Team erbringen in Schkopau den Beweis, dass aus einem scheinbar verwunschenen Märchenschloss ein märchenhaftes „Schloßhotel“ werden kann.

Im Dienste der Kunden

Seite 26 Impressum:

Die eine wollte Reichsbahnerin werden und landete bei der staatlichen DDRHandelsorganisation „HO“. Der andere erlernte den Beruf eines Elektroinstallateurs. Beide hätten es sich 1989 nicht träumen lassen, einmal einen Einzelhandelsmarkt zu leiten, in dem es (fast) alles zu kaufen gibt. Mit der DDR verschwanden die Mangelwirtschaft und das vertraute Einerlei in den Geschäften. Für Kerstin Muschiol und Thomas Eckert war es höchste Zeit zu handeln. Als Quereinsteiger und Jungunternehmer bauten die beiden Hallenser ihr eigenes Geschäft auf, auch Dank eines großen Partners.

HERAUSGEBER SAM. Sachsen-Anhalt-Magazin Verlag GbR Geschäftsführer: Michael Scholz, Wolfgang Preuß KONTAKT SAM. Sachsen-Anhalt-Magazin Verlag GbR Schilfbreite 3, 39120 Magdeburg Tel. 0391 63136-45, Fax 0391 63136-47 info@st-magazin.de www.sachsen-anhalt-magazin-verlag.de REDAKTIONSLEITUNG Christian Wohlt, Ute Semkat redaktion@st-magazin.de ANZEIGEN Ralf Harms Tel. 03943 5424-27 anzeigen@st-magazin.de FOTOGRAFIE Michael Uhlmann DRUCK Harzdruckerei GmbH, Wernigerode Schutzgebühr: 4,00 EUR

Unterwegs mit der Elbe-Saale-Bahn

Seite 32

Die Züge der Elbe-Saale-Bahn sind nicht zu übersehen. Seit knapp vier Jahren bringen die modernen Niederflurwagen der Bahn-Tochter Reisende zu Zielen in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Eine Kundenbetreuerin und ein Lokführer des Dienstleisters berichten aus ihrem Arbeitsalltag.

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Das Magazin und alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck – auch auszugsweise – ist nur mit schriftlicher Genehmigung und Quellenangabe gestattet. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder wird keinerlei Gewähr übernommen. Die namentlich gekennzeichneten Beiträge stehen in der Verantwortung des jeweiligen Autors. 2. Jahrgang 2010 ISSN 1868-9639


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Interview

„Manchem ist das Glück der Einheit gar nicht bewusst“ Im Gespräch mit dem Sachsen-Anhalt-Magazin sieht Theologe Schorlemmer Ost-West-Unterschiede zunehmend verblassen

Im Jahr 2010 feiern wir nicht nur 20 Jahre Deutsche Einheit, son-

Friedrich Schorlemmer: Ich habe mich sehr aktiv daran beteiligt,

Sehen Sie sich als Sachsen-Anhalter?

den. Im Jahr 1988 haben wir 20 Thesen formuliert, die wir dem

dern auch den 20. Wieder-Geburtstag des Landes Sachsen-Anhalt.

Friedrich Schorlemmer: Ich fühle mich in erster Linie als Mittel-

deutscher. Das „Land“ Sachsen-Anhalt ist künstlich. Mit meinem

Denken fühle ich mich als ein Nachfahre des aufgeklärt-liberalen Preußen. Ansonsten bin ich Altmärker.

Der Titel Ihres jüngsten Buches lautet: „Wohl dem, der Heimat hat“. Was ist für Sie Heimat?

Friedrich Schorlemmer: Heimat bedeutet immer etwas Umgrenztes, aber nichts Enges. Für mich ist es eine Landschaft, in einer be-

stimmten Zeit, mit bestimmten Menschen, Erfahrungen, Gerüchen,

diese Ein-Parteien-Diktatur mit Erlösungsanspruch loszuwerKirchentag in Halle vorlegten. Sie wurden später im Westen ver-

öffentlicht, weil das in der DDR nirgendwo erscheinen durfte. Mit uns wollte damals noch niemand reden. Dabei war der Auftakt zum Dialog bereits ein Jahr zuvor mit dem SPD-SED-Papier

„Der Streit der Ideologien“ gegeben – dank Gorbi. Erstmals hatten Kommunisten ihren alleinigen Wahrheitsanspruch relativiert. Das war der erste Schritt zum demokratischen Aufbruch.

In der Wendezeit waren Sie so etwas wie eine Symbolfigur des Wider-

stands gegen das alte System. Warum sind Sie nicht wie andere aus der Bürgerbewegung hauptberuflich in die Politik gegangen?

auch mit Gerichten – Heimat schmeckt, Heimat riecht, Heimat hat

Friedrich Schorlemmer: Ich bin nicht in die Politik gegangen, weil

mit Geschichte, die man in sich trägt. Sie hat immer mit Zeit und Ge-

abhängig machen, insbesondere nicht davon, ob andere Partei-

Farben und Höhenunterschiede. Heimat ist immer auch ein Raum

schichte zu tun. Und um es klar zu sagen: Bis zu meinem 45. Lebensjahr habe ich in der Deutschen Demokratischen Republik gelebt. Das

war – mit allen Schwierigkeiten – dann schließlich meine prägen-

de Heimat, nicht der SED-Staat. Man muss den Heimatbegriff von Heimattümelei befreien, ihn in den geschichtlichen Zusammenhang stellen, das Geistige und das Sinnliche mit im Blick habend.

Ihre berufliche und politische Heimat hatten Sie in der Lutherstadt Wittenberg gefunden.

Friedrich Schorlemmer: Im Jahr 1962 begann ich ein TheologieStudium an der Universität Halle-Wittenberg – in erster Linie aus politischen Gründen. Ich hatte erlebt, wie die Kirche diffamiert

wurde und wollte wissen: Was ist die Wahrheit? Ich lebte in einem

ich gern politisch tätig bleiben wollte. Dabei wollte ich mich nicht mitglieder mich gut finden. Ich wollte unabhängig bleiben. Außer-

dem war ich gern Pfarrer und wollte es bleiben, mich aber auch weiter einmischen. Auch in der Demokratie ist das Evangelium

politisch relevant. Das haben manche vergessen. Selbst unter den

Bedingungen der Freiheit muss die Kirche politisch bleiben, z.B.

wenn es um die Verbindung von Freiheit und Gerechtigkeit geht. In der Bibel steht: „Gott setzte dem Menschen einen Garten, dass er ihn bebaue und bewahre“. Wer das Bewahren vergisst, stürzt

nachfolgende Generationen in tödliche Krisen. Wer beispielsweise aus Profitgier solche Katastrophen verursacht wie im Golf

von Mexiko, öffnet den Höllenschlund. Wenn wir nicht anfangen, anders mit Energie umzugehen, also zu sparen und bescheidener zu leben, werden wir die Welt zerrütten.

Land der offiziellen Lügen. An verfallenden Häusern standen die

Die Menschen im Osten mussten gewaltige Umbrüche verkraften.

mit der Sowjetunion. Als Studentenpfarrer in Merseburg ging es

Welt zurückziehen und das Erreichte als normal ansehen?

großen Parolen vom Sieg des Sozialismus und der Freundschaft

mir darum, Menschen zur Mündigkeit zu helfen, weil Demokratie

Ist der Eindruck richtig, dass sich viele jetzt wieder in ihre kleine

von mündigen Menschen lebt. Direkte politische Arbeit gegen das

Friedrich Schorlemmer: Manchem ist es gar nicht mehr bewusst,

„Argument der Macht.“

linburg, Weißenfels, Wittenberg oder Naumburg konnten gerettet

System habe ich dann von Wittenberg aus betrieben – gegen das

Wann haben Sie gemerkt, dass es sich lohnt, gegen dieses System zu kämpfen?

welches Glück die Einheit bedeutet. Fast verfallene Städte wie Qued-

werden. Der Osten ist in vielem schöner wieder aufgebaut als der Westen. Man darf sich aber nicht täuschen lassen. Es sind oft schöne Hüllen. Die heile Welt trügt. Der Osten muss weiterhin alimentiert


Interview

und des Bieres, das nicht mehr trübe ist, hat sich die Einheit

gelohnt. Spaß beiseite: Denken wir nur an die Infrastruktur. Wer erinnert sich noch an die Probleme, in der DDR ein Telefon

zu bekommen? Wer erinnert sich noch an die schlechte Was-

serqualität oder das miese Angebot im Gemüseladen. Man

kriegt heutzutage Saatgut, man kann Ersatzteile kaufen... Wir dürfen nicht vergessen, in welcher Mangelwirtschaft wir lebten – bis hin zum „Sandpapier“ für den Hintern.

Und was hat die Einheit den Westdeutschen gebracht? Friedrich Schorlemmer: Für die war es doch ein Schnäppchen.

Wer klug war, hat hier investiert und Steuervorteile genutzt. Viele, die einmal aus dem Osten fortgegangen waren, konn-

ten ihre Rückführungsansprüche geltend machen. Es wäre besser gewesen, das Prinzip Entschädigung vor Rückgabe durchzusetzen. So hat es sehr viel böses Blut gegeben.

Warum soll der einfache Bürger im Westen – nennen wir

ihn mal Erwin Kowalski aus Essen – die Einheit gut finden? Friedrich Schorlemmer: Der findet die Einheit überhaupt

nicht gut. Der sagt sich, es wurde zuviel in den Osten hinein-

gepumpt. Für den war und bleiben die Neuen Länder ganz

weit weg. Nur etwa zehn Prozent der Westdeutschen hatten sich vor 1989 intensiv mit der DDR beschäftigt. Die anderen

hatten sich – wie wir auch – weitgehend mit der Trennung abgefunden. Die Westdeutschen waren für sich so reich

und schön, dass sie uns nicht mehr brauchten. Die hatten die Ostsee, die Nordsee und die Alpen, konnten in die gan-

ze Welt reisen und mit D-Mark bezahlen. Was willst du da werden. Wenn wir keine sozialen Unruhen wollen, müssen wir am Grundgesetzgebot der vergleichbaren Lebensverhältnisse fest-

mehr? Dann kamen die Ostdeutschen und wollten auch

halten. Leider ist es noch immer so, dass das wichtigste „Kapital“

Friedrich Schorlemmer, evangelischer Theologe

Mauer! Die Besten gehen weg, die Jungen, die Hochmotivierten.

Nach dem Studium der Theologie in Halle (Saale),

machen. Wir brauchen Industriepolitik, ohne Fehler der Planwirt-

dentenpfarrer in Merseburg, dann als Dozent am

Konkurrenz zu beseitigen. Auch das unterschiedliche Lohnniveau ist

der Schlosskirche in Wittenberg und schließlich

aus dem Osten weggeht: Seit 1990 gibt es Republikflucht ohne

und Publizist, wurde 1944 in Wittenberge geboren.

Zurück bleiben die Alten. Es wurde versäumt, Industriepolitik zu

war er als Vikar in Halle-West und später als Stu-

schaft. Leider wurde im Osten vieles platt gemacht, um unliebsame

Evangelischen Predigerseminar und Prediger an

fatal. Wer rechnen kann, geht in den Westen. So einfach ist das.

als Studienleiter an der Evangelischen Akademie

Woran machen Sie das „Glück der Einheit“ fest?

begründer des Demokratischen Aufbruchs in Dres-

Friedrich Schorlemmer: Zu sehen, was aus Sachsen-Anhalt, das so

preis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

derschönes Land mit so vielen Radwegen. Schon wegen der Radwege

sity in Austin/Texas.

häufig in den Negativschlagzeilen war, geworden ist. Es ist ein wun-

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 03/10

Wittenberg tätig. Am 21. August 1989 war er Mitden. 1993 wurde Schorlemmer mit dem FriedensSeit 2002 ist er Ehrendoktor der Concordia Univer-

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Interview

D-Mark und Rente, obwohl sie gar nicht eingezahlt hatten. Die Kon-

nicht arbeiten, heißt es dann. Auch das Gerechtigkeitsempfinden

Kowalski aus Essen sagen müssen, dass es ein großes historisches

den beiden Deutschländern entstand, einander vorlesen und erklä-

flikte waren programmiert. Man hätte von Anfang an auch Erwin Glück war, dass die Russen die Menschen in der DDR freigegeben haben und Europa nicht mehr die Schnittstelle der gefährlichsten Waffensysteme ist. Ich kann alle Westdeutschen, auch Herrn Kowalski, nur aufrufen: Kommt in den Osten und freut euch! Das ist

unser gemeinsames Heimatland. Ich bin ein Einheitsgewinner und muss deshalb meine Stimme für die Verlierer und für Ost-West-Verständigung erheben. Als sozialer Demokrat.

Wie steht es denn um das menschliche Zusammenwachsen – die innere Einheit also?

ist hier ausgeprägter. Es ist auch nötig, dass wir die Literatur, die in ren. Ein Beispiel: Wenn ein Westdeutscher Erich Loests Buch „Es geht

seinen Gang“ liest, versteht er vieles nicht. Es fängt so an, dass sich zwei Ehepaare treffen. Die Frau sagt zum Mann: „Bestimmt gibt´s Hemus oder Nathalie – wirst´s sehen.“ Wer soll das im Westen verstehen? In der DDR gab es zu bestimmten Zeiten nur wenige trinkbare Weißweinsorten zu kaufen – eben „Hemus“ oder „Nathalie“.

Die Bewertung der DDR bleibt ein Streitthema. Die Diskussion reicht von „Es war nicht alles schlecht“ bis „Es war ein Unrechtsstaat“. Was meinen Sie?

Friedrich Schorlemmer: Meine beiden Kinder sind mit Westdeut-

Friedrich Schorlemmer: Demokratie verlangt kritische Bürger

und Freuden junger Leute. Bei denen spielt das Thema Ost-West

sagt, sie möchte die Erfahrungen aus der DDR nicht missen, wird

schen verheiratet. Die haben die ganz normalen Schwierigkeiten keine Rolle mehr. Aber für andere, die noch die DDR als junge

Menschen bewusst erlebt haben, wird die innere Angleichung erst dann erreicht sein, wenn die ältere Generation nicht mehr da ist. Das wird noch mal 20 Jahre dauern. 40 Jahre nach 1989 haben

wir die Einheit. Die Einheit wird dann sein, wenn wir gemeinsam über das Gleiche lachen. Der herrliche Film „Good bye Lenin“ ist

ein treffliches Beispiel. Im Kino hat man genau gemerkt, wer aus Ost und wer aus West kam. Die einen haben sich bei bestimmten

Szenen scheckig gelacht, während andere entsetzt den Kopf geschüttelt haben. Dann war es wieder umgekehrt. Dass die Einheit

hier im Kleinen schon gelungen ist, zeigt die Tatsache, dass der Regisseur ein westdeutsch Sozialisierter ist.

Wo sehen Sie noch gravierende Unterschiede zwischen Ost und West? Friedrich Schorlemmer: Wir sind in vielem noch unterschiedlich. Die-

und sie verlangt redliche Erinnerung. Wenn Katharina Thalbach ihr vorgeworfen, sie würde Ostalgie betreiben. Eine Nischen-

gesellschaft hat ganz eigene Formen von Glück. Wenn jemand etwas im Handel ergattert hatte, war er darüber glücklich. Mit

einem Glas ungarischem Letscho konnte man Menschen be-

glücken. Ich will diese Mangelgesellschaft nicht zurück. Aber daran muss man sich doch erinnern dürfen ohne gleich gescholten zu

werden, die DDR zu verklären. Dass Mieten billig waren, sage ich

nicht mehr. Das war erkauft durch programmierten Häuserverfall. Aber: Jeder hatte ein Dach über dem Kopf. Alles war geregelt durch

den Staat und eine Partei, die für sich einen ausschließlichen Wahr-

heitsanspruch geltend machte. Im politischen Strafrecht gab es schlimmes Unrecht; aber deshalb war nicht alles Unrecht.

Das klingt, als seien Sie für einen Schlussstrich in der Diskussion über DDR-Unrecht?

se Unterschiede müssen wir weder betonen noch negativ bewer-

Friedrich Schorlemmer: Einen Schlussstrich gibt es in der Ge-

ren, woher wir kommen und warum wir so sind wie wir sind, ohne

Vergessen. Wir sollten doch jedes Jahr ein Fest feiern und uns

ten. Manchmal sind wir eben anders. Wir müssen einander erklädas gleich zu bewerten. Es gibt im Osten zum Beispiel noch ein

größeres Empörungspotenzial. So ist die Empörung der Ostdeut-

schen über immense Manager- und Intendantengehälter sehr viel größer als im Westen. Soviel wie die kriegen, können die doch gar

schichte nicht. Es geht um das Austarieren von Erinnern und freuen, dass wir die DDR los sind und nicht überall nach Über-

resten fahnden. Man muss Wunden pflegen, sie verheilen lassen, nicht immer wieder aufkratzen. Ich möchte Menschen Wandel zutrauen, zumuten und den auch honorieren.


Interview

...und akzeptieren, dass sich so mancher aus der Verantwortung stehlen kann?

Friedrich Schorlemmer: Es macht mich wütend, wenn ich über-

lege, dass vielleicht zwei Prozent wirklich gegen den Staat eingetreten sind. Die anderen 98 Prozent stellen sich jetzt hinten

mit an beim Widerstand. Von dieser Scheinheiligkeit habe ich die Schnauze voll. Es ist doch verständlich, dass sich die Leute

angepasst haben und um Karriere zu machen bereit waren, zum

Privaten anzupassen, nach der Einschaltquote schielend. Wenn man das Niveau nach unten drückt, bleibt es unten. Qualität

verlagert sich häufig nach 23 Uhr. Wenn den Leuten nichts anderes geboten wird, merken sie gar nicht, was ihnen vorenthalten wird. Und sie wollen dann nichts anderes mehr. Es gibt

nichts Schlimmeres, als dass Dumme nicht merken, wie dumm sie sind. Einige Sender leben von der Dummheit, mit dem Ziel weiterer Verdummung. Damit machen die Kohle.

Beispiel in die Kampfgruppe zu gehen oder in einer Blockpartei

Vielleicht bringt das die Zeit so mit sich?

zur Kenntnis nehmen, ohne es zu verschleiern.

Friedrich Schorlemmer: Wir dulden es. Was eine bestimmte Boule-

Es scheint mitunter so, dass viele Ostdeutsche die Vorzüge der De-

te – nicht nur die mit Acht-Klassen-Abschluss – glauben, was

unterzuschlüpfen. Ich möchte einfach, dass wir das differenziert

mokratie nicht zu würdigen wissen. Die Wahlbeteiligung sinkt, die Politikverdrossenheit wächst. Sind die Politiker daran selbst schuld?

Friedrich Schorlemmer: Die haben sicher ihren Anteil daran. Aber: Wenn die DDR noch weiterlebt, dann sicher in der ausgeprägten Meckerkultur. Die hat leider überlebt. Viele meckern, wollen sich

vardzeitung zuweilen bringt, ist menschenunwürdig. Viele Leuda steht. Auch das Kabarett überschreitet zuweilen Grenzen. So

wie Horst Köhler als Bundespräsident dargestellt und mit allem, was er sagte, karikiert wurde, das ging zu weit. Seinen Rücktritt

halte ich für falsch, keine Frage. Dass er die Schnauze voll hatte, kann ich aber gut verstehen.

aber nicht engagieren. Die SED wollte alles selbst bestimmen

Können Seiteneinsteiger wie Köhler in der Politik nichts mehr bewirken?

Das ist bei vielen haften geblieben. Wer heute sagt, die Politiker

Friedrich Schorlemmer: Ich finde, die Parteien sind gut beraten,

und nicht, dass die Bürger selbst Verantwortung übernehmen. sind für alles verantwortlich, die sind alle schlecht und können

wenn sie Seiteneinsteiger reinholen. Möglichst nicht wie Peter

Gründe eine neue, wenn dir die bestehenden nicht gefallen! Aber

digt. Für Parteikarrieren gilt: Wenn man Woche für Woche, Jahr

nichts, dem halte ich entgegen: Werde einer! Gehe in eine Partei!

engagiere dich! Die Demokratie bietet mehr Möglichkeiten, als

die Menschen wahrnehmen. Und ich kämpfe dafür, dass sich die

Menschen einmischen. Heute kann man sich einmischen, ohne dafür nach Bautzen oder in ein anderes Gefängnis zu kommen.

In den Medien wird Politik meist als permanenter Streitfall vorgeführt. Greift da eine gewisse Einseitigkeit um sich, die für eine

Demokratie typische Diskussionsprozesse fast nur in negativem Licht erscheinen lässt?

Friedrich Schorlemmer: Es gibt Qualitätvolles, besonders im Radio.

Leider fängt das Fernsehen – selbst das öffentlich-rechtliche – an, die Leute für dümmer zu halten als sie schon sind. Sie bemühen sich, sich den Soaps, der Sensationshascherei, dem Gesülze der

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Sodann; er hat Politik verulkt, dabei sich und das Amt beschäfür Jahr zu Parteiversammlungen geht, immer seinen Beitrag

bezahlt und sich engagiert, ist es verständlich, dass diese Leute auch einmal an die Reihe kommen wollen. Es ist aber ein Irrtum zu glauben, nur weil jemand so lange aktiv dabei ist, wäre

er auch zu Höherem fähig. So wie manche Bürgerrechtler dachten, sie wären zu politischen Ämtern berufen, bloß weil

sie gegen die SED waren. Das reicht nicht. Mut, gegen etwas einzutreten, ist wichtig. Aber man muss auch gestalten kön-

nen. Ein Mensch, der von Hause aus querulantisch ist, bleibt in der Diktatur als Einzelgänger widerständig-kompromisslos. In

der Demokratie muss er fähig sein, andere für etwas zu gewinnen, auszugleichen und zu integrieren – ohne zu intrigieren! Das Gespräch führte Christian Wohlt.

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Spielwaren

Bad Kösener Kuschelangriff auf die Weltspitze Familienunternehmen Schache setzt auf hochwertige Materialien und naturgetreues Plüschtier-Design Von Kirsten Hoffmann Ganz schön unförmig dieser Vogel mit dem dicken Körper, den

zu 80 Prozent in den Export. Der Rest fand hauptsächlich in der

mer wieder vornüber. Musternäherin Karla Bornschein hat

oft nur bis unter den Ladentisch. Nach der Wende allerdings

Stummelflügeln und den langen dünnen Beinen. Er kippt imeinen ganzen Haufen dieser Vögel vor sich liegen – und auch

einen Haufen an Erfahrung, was die Herstellung von Plüschspielzeug betrifft. Seit 1971 ist sie hier im Betrieb. Dessen Erzeugnisse – Plüsch- und Plastespielwaren – gingen zu DDR-Zeiten

Weihnachtszeit den Weg in die heimischen Läden. Und dort

schafften es die Spielwaren aus Bad Kösen auch kaum „auf“ die

Verkaufstische. Niemand fragte mehr nach ihnen, es gab nun buntes Spielzeug in Massen, noch dazu so billig.


Spielwaren

Designer Peter Straubel

tüftelt an Schnitten und am komplizierten

etwa vier bis sechs Gestaltungswochen kann es dauern, bis ein Tier in die Serienproduktion geht.

Innenleben der Tiere aus

Hochwertig in der Herstellung und naturgetreu im Aussehen

natürlichen Artgenossen

Traditionsbetrieb. Dabei hatte er nie beruflich mit Spielwaren

Plüsch, damit sie ihren ähnlich sehen.

Die Märchenfiguren zum Spielen, Sammeln und

Dekorieren werden in

aufwändiger Handarbeit und aus hochwertigen

Materialien hergestellt.

– mit dieser Firmenphilosophie rettete Helmut Schache den zu tun, bis er 1992 die Kösener Spielzeug GmbH von der Treuhand übernahm. Schache ist Bauexperte – und ausgestattet

mit unternehmerischer Kombinationsgabe, die ihn ahnen ließ: Überlebensfähig wird dieser Betrieb nur mit einem Produkt, das weit und breit nicht seines Gleichen findet. So wie die le-

gendären Käthe-Kruse-Puppen vor 100 Jahren ihren Siegeszug in die Kinderzimmer antraten. 1912 hatte Käthe Kruse ihre Puppenwerkstätten in Bad Kösen gegründet. Als sie 1949 in den

Westen ging, wurde daraus ein Volkseigener Betrieb, 1979 in VEB Kösener Spielzeug umbenannt.

Karla Bornschein schaut aus ihrem Fenster in die herrliche

Berg-und-Tal-Landschaft des Luftkurörtchens nahe der Grenze zu Thüringen. Einer Berg-und-Tal-Fahrt gleicht auch der Nach-

wende-Kurs der Plüschtiere aus Bad Kösen mit dramatischen

Höhen und Tiefen in den vergangenen 20 Jahren. Doch dass die Familie Schache ihr Unternehmen auch aus extremen Schief-

lagen wieder hinaus manövriert hat, schafft Vertrauen. Und so ist sich Karla Bornschein ganz sicher, dass sie hier in der Manu-

faktur im nächsten Jahr ihr 40-jähriges Dienstjubiläum feiern wird.

Klar kennt Kollege Peter Straubel auch die Firmengeschichte und -geschichten. Allerdings nicht aus eigenem Erleben. Der

Designer ist 25 Jahre jung und vor einem Jahr in die PlüschtierWelt eingezogen. Aber ebenso wie das Urgestein Karla Bornschein ist er ein Gewinn für den Betrieb. Er bringt neue Ideen

ein; das Know-how sozusagen, um an dem kniffligen „Innenle„Kiwi, wie die Frucht“, nennt Karla Bornschein den Namen des

Schnepfenstraußes aus den neuseeländischen Wäldern – und reißt den Nähfaden ab. Fertig. Sie stellt das neue Modell auf die

Füße. Erfolgreich: Er bleibt stehen, stützt sich dabei auf seinen langen Schnabel. „So macht er es auch in Natura“, hat Desig-

ner Peter Straubel recherchiert – im Berliner Zoo zum Beispiel. Was sich nicht als einfach erwies, Kiwis sind nachtaktiv. Aber da scheut der Spielzeuggestalter keine Mühen; er beobachtet ge-

nau, zeichnet jedes Detail auf. Der Kiwi soll ein neues Familienmitglied in der Kösener Plüschtier-Welt werden. Und hier fin-

den die webpelzigen Gesellen nur Aufnahme, wenn sie beinahe

zum Verwechseln „natürlich“ aussehen. Straubel ist mit diesem neuesten Modell schon ganz zufrieden. Bis zu 15 Mustertiere in

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ben“ der Tiere zu tüfteln und zu basteln. „Der Kundenwunsch

nach Beweglichkeit der Plüschtiere wird für uns immer mehr zur Herausforderung“, sagt Constance Schache.

Die 39-jährige führt jetzt die Geschäfte der Plüschtier-Welt, die sich amtlich „Kösener Spielzeug Manufaktur GmbH“

nennt. Die Schache-Familie hält eine fruchtbringende Verbindung von handwerklicher Tradition und innovativen Technologien, eine gute Mischung von Jung und Alt in der Belegschaft

wie auch in der Unternehmensleitung für unerlässlich. Gerade ist Helmut Schache 65 geworden und hat eine Rentner-

bank geschenkt bekommen. Auf der genießt er vorerst nur die Morgen- oder die Abendstunden. Die Tochter freut es. Den Rat des Sturmerprobten an ihrer Seite möchte sie nicht missen.

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Spielwaren

Drei Generationen „regieren“ die PlüschtierWelt: Helmut Schache, Tochter Constance und Enkelin Emelie.

Auf dem Weg dorthin geht es die vielfältigsten Bekanntschaften und Partnerschaften ein; mit

dem Naturschutzbund (NABU) zum Beispiel. Der nennt einen lebensgroßen Wolf made

in Bad Kösen sein eigen. Die Stiftung „Borneo Orangutan Survival Foundation“ (BOS) ließ einen täuschend echt aussehenden Orang-

Utan in der Plüschtier-Welt entwickeln. Auch

die Heinz-Sielmann-Stiftung war auf die

naturnahen Kösener Tiere aufmerksam

geworden. Auf ihren Auftrag hin wird derzeit an einem Luchs in Lebensgröße gearbeitet.

Beeindruckend ist auch die Kösener Kun-

denliste, die einige Prominenz zu bieten hat wie etwa den Modedesigner Rudolph

Moshammer zum Beispiel. Er ließ hier

seine heiß geliebte Hündin Daisy lebensecht gestalten. Die Yorkshire-Terrierin ist

dann in Serienproduktion gegangen und erfreut seitdem viele kleine und große

Herzen. Die Plüschtier-Welt spricht jedes Alter an. Kinder schmusen mit den Tie-

ren, Liebhaber sammeln sie, und manch einem sind sie gar der pflegeleichtere

Haustierersatz. Ein Verein hat den Harzer

Hütehund in Auftrag gegeben und ein Unternehmen die Pinguine, die es in seinem Firmenlogo hat. Atelierbesit-

zer bestellen lebensgroße Bären, Kühe, Wölfe, ..., andere Kunden wiederum die Die Plüschtier-Welt samt ihren 32 Mitarbeitern und drei Lehr-

lingen ist stolz auf die Designentwicklung in den vergangenen Jahren. Viele alte Bekannte aus der Tierserie bekamen im wah-

kuschelige Nachbildung ihres Lieblings-

tieres. Die Erfüllung von Sonderwünschen ist eine Spezialstrecke der Manufaktur.

ren Wortsinne neue Gesichter. Storch und Strauß aus Plüsch

Der Schlüssel, besser gesagt, das Schlüsselbund zum Erfolg, da

Stelzen Balance halten, und das weiche Kätzchen schmiegt sich

in den kurzfristigen Lieferzeiten, in der Kundenfreundlichkeit,

können jetzt gleich den Vögeln in freier Natur auf ihren dünnen

mit seinem Rundrücken ins Körbchen – wie lebensecht. Das Unternehmen aus Bad Kösen sieht sein Ziel, weltweit die Nummer 1 zu werden im naturgetreuen Design, schon zum Greifen nah.

sind sich Vater und Tochter Schache einig, liegt in der Flexibilität,

vor allem aber in der Qualität der Handarbeit. Selbst als Laie, der den Spielzeugherstellern über die Schultern schaut, kommt

man schnell zu der Erkenntnis: Keine Maschine, nur des Men-


Spielwaren

schen gestalterische Hand vermag es, diesen Plüschtieren et-

was von der Anmut und der Würde ihrer natürlich vorkommenden Artgenossen zu geben.

Dabei helfen aufwändige und teure Materialien wie die hoch-

wertigen Kunststoffaugen, die zum Teil exklusiv für die Kösener

Manufaktur angefertigt werden. Besten Webplüsch mit unterschiedlichen Farben, Haarlängen und Strukturen kaufen die Schaches in Deutschland, Belgien und Frankreich ein. Es gibt

Plüschtiere, für die werden bis zu 14 verschiedene Stoffe ver-

wendet. Manche Muster entwerfen die Haus-Designer selbst, die für die Giraffe zum Beispiel. Das geübte Auge der Arbeite-

rin an der Stanze erkennt sofort auf dem ausgerollten Stoff die

Muster der einzelnen Körperteile. Langhaarige Stoffe dagegen, wie das Fell von Daisy, müssen mit der Hand geschnitten werden, bevor die Näherinnen alle Teile miteinander verbinden. Ein Plüschtier kann aus bis zu 100 Einzelteilen bestehen.

Zunähen, Formen, Besticken, Kämmen, Sticken, Bemalen – den

Spielzeugherstellern wird man bei ihrer Arbeit über die Schultern schauen können, sobald die Schaches ihr Zukunftsprojekt

verwirklicht haben: die gläserne Schaumanufaktur inmitten

einer Erlebniswelt. Die soll in ein geschichtsträchtiges Gebäude einziehen, in dem zu Beginn des 19. Jahrhunderts die ersten

prominenten Gäste von Bad Kösen kurten. Sein altehrwürdiger

fachgeschäfte würden leider immer mehr von der Bildfläche

verschwinden. Zur Freude der Plüschtier-Welt hat sich aber das Einzelhandelsunternehmen manufactum für sie interessiert und in seinen Nobelkatalog aufgenommen.

Um stets über die individuellen Kundenwünsche wie auch die

Entwicklungen auf dem internationalen Spielzeugmarkt im

Bilde zu sein, ist die Kösener Manufaktur auf allen namhaften Messen präsent – in Nürnberg, New York, Paris, Birmingham...

Und dann gibt es ja auch immer noch Enkelin Emelie als TestKind. „Die Erlebnis- und Erfahrenswelt der Kinder hat sich grundlegend geändert“, weiß Großvater Schache. Und so trieb

ihn kurz vor dem 100-jährigen Jubiläum der Spielzeugherstellung

in Bad Kösen eine existenzielle Frage um: Wird das klassische Spielzeug überhaupt noch gebraucht?

Die Antworten, die die Schaches fanden, lässt die PlüschtierWelt optimistisch in die nächsten 100 Jahre blicken: Ja. Kinder

hören und lesen immer noch gern Märchen, spielen immer noch gern mit Puppen und kuscheln gern mit Plüschtieren – wie zu allen Zeiten. Allerdings, das möchte der Familienmensch Helmut Schache noch gesagt haben: „Sie brauchen auch die Eltern und Großeltern, die sie dabei liebevoll an die Hand nehmen.“ www.koesener.de

Name „Mutiger Ritter“ kann das Unternehmertum des Helmut Schache nicht treffender beschreiben. Schache ist überzeugt

von seinem Konzept und glaubt fest daran: Die Mischung aus

romantischer Natur, gesunder Luft, erholsamen Wellness-An-

Übrigens…

würdigen Ambiente werde die Gäste ganz bestimmt anspre-

– Mehr als ein Drittel aller Plüschtiere hat die

geboten und unterhaltsamem Erkenntnisgewinn im denkmalchen. Und soll seine Manufaktur noch bekannter machen.

Auszeichnung „Spiel gut“, viele Tiere erhielten Design-Preise.

Bislang gehen 45 Prozent der Kösener Plüschtiere in den Export,

– Bei der Materialauswahl wird großer Wert auf

in Sachsen-Anhalt. Das Geschäft läuft hauptsächlich über den

das Gros nach Japan. Von den übrigen 55 bleiben zwölf Prozent

Werksverkauf. Betriebsführungen, die Vater, Mutter und Tochter Schache selbst leiten, oft mit der siebenjährigen Emelie im

Schlepptau, zeigen ihnen immer wieder: Mit der Kenntnis über

die aufwändige Herstellung in Handarbeit wächst die Akzeptanz des hohen Preises. Da nimmt sich am Ende fast jeder ein Stück Plüschtier-Welt mit nach Hause.

Ansonsten ist es hierzulande nicht so einfach, außerhalb von Bad Kösen mit den lebensechten Plüschtieren Bekanntschaft

zu machen. Das hochwertige Sortiment, sagt Schache, passe nicht in die Verkaufsphilosophie der großen Warenhausketten

– „sofern die überhaupt eine haben.“ Und die kleinen Spielzeug-

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 03/10

Qualität und Sicherheit gelegt. Die Produkte ent-

werden vom TÜV überprüft.

sprechen der EN71, haben das CE-Zeichen und

– Die Plüschtiere, Puppen und Babyartikel aus Bad Kösen sind waschbar.

– Im Jahre 2000 kaufte das Unternehmen die „Silke Collection“ aus München. Seitdem werden in Bad

Kösen auch Frotteetiere für Babys und Puppen im Waldorfstil hergestellt

– Ein weiteres Standbein ist die Produktion von Lieb-

lingstieren als originalgetreue Nachbildungen. Gerade ist der Vertrag für Puppe und Hund aus dem Kinder-

trickfilm „Der kleine Mozart“ unterschrieben worden.

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Portrait

Der mit dem Wind kämpft In der schweren See der Nachwendezeit hat Dr. Peter Transfeld Beutefahrer und Untiefen umschifft Von Ute Semkat Peter Transfeld liebt das Segeln bei stürmischer See: „Es ist ein

vertretenden Forschungsdirektor Transfeld zum „vorläufigen

ten.“ Mit unverhohlener Begeisterung erzählt er von seinen

finden. Aber nur ein paar Freibeuter auf Kaperfahrt im Osten

Kampf. Man muss schon fit sein, um das Gleichgewicht zu halUrlaubsreisen gemeinsam mit Ehefrau Sigrid, bei denen der Skipper Transfeld immer weiter entfernte Ziele angesteuert

hat. Das Fahren in schwierigen Gewässern bestimmt auch das Arbeitsleben des Unternehmers Transfeld.

Der Kurs war richtig, zieht der Vorstandschef der ÖHMI Aktien-

Geschäftsführer“ bestellt und beauftragt, einen Käufer zu schauten vorbei. „Manche wollten mir Beratungsleistungen

aufdrücken, und wenn ich beharrlich nicht unterschrieb, prophezeiten sie mir den Untergang und knallten die Türen.“ Die

Erinnerung treibt Peter Transfeld ein Schmunzeln ins Gesicht, damals war ihm oft nicht nach Lachen zumute.

gesellschaft Magdeburg im Herbst 2010 eine vorsichtige Bilanz

Er hätte es einfacher haben können. Sein Kurs war schon Rich-

in dieser freundlich leisen, gleichwohl bestimmten Weise, ist je-

anbot. Freilich, in Magdeburg war die Familie. Also doch hier

der vergangenen zwei Jahrzehnte. Wenn der 63-Jährige spricht

der Satz gründlich geprüft und abgewogen, bevor er ihn in die Welt hinaus entlässt.

ÖHMI ist ein kleines Boot für die Weltwirtschaft, aber ein ge-

tung Westen angepeilt, wo ihm eine „große Firma“ einen Anker bleiben? Als erster Offizier auf einem unsicheren Schiff? Er entschied, sich dem Wind zu stellen: „Aber nur, wenn die Mannschaft hinter mir steht.“

wichtiges in der Magdeburger Wirtschaftsflotte. Die Einzel-

Die symbolische eine Mark reichte nicht aus

konzerns bedienen unterschiedlichste Geschäftsfelder vom

Es ist die hohe Zeit der Basisdemokratie, und Transfeld besteht

gen traditionell im Lebensmittelsektor sowie in den Zukunfts-

von der Treuhand vorgesetzt werden. „Vier Abteilungen waren für

unternehmen an Bord des Technologie- und DienstleistungsLaborbetrieb bis zum Anlagenbauer, die Kernkompetenzen liebranchen nachwachsende Rohstoffe und Umwelt. „Wer etwas

Innovatives mit Pflanzenöl machen will, geht nach Magdeburg“, bringt es der ÖHMI-Chef auf den Punkt. Er klappt den Laptop

auf und tippt auf die Umsatzkurve, die seit der Unternehmens-

gründung aufwärts strebt, in manchen Jahren mit alpinem Anstieg. Für das Krisenjahr 2009 zeigt sie immerhin noch drei Prozent Wachstum.

Der Kapitän ist stolz. Aber dann kommt dieser Satz: „Rückblickend, mit dem Wissen von heute, war die Übernahme des Unternehmens ein großes Abenteuer.“ Und bevor er das erläutert, muss

er erst noch etwas klarstellen: „Ich konnte an dieser Einheitseuphorie 1990 nicht teilhaben. Als die Leute noch jubelten, habe

ich schon überlegt: Was tun? Denn für mich war schon klar, was kommt.“

Was kam, als sich die sozialistische Planwirtschaft verabschiedet hatte, war die ernüchternde Bilanz, dass es für den DDR-

Forschungsbetrieb der Öl-, Hefe- und Margarineindustrie (aus den Anfangsbuchstaben wurde später der Name ÖHMI) kein seriöses Interesse gab. Die Treuhandanstalt hatte 1990 den stell-

auf einer geheimen Wahl, will seinen Kollegen nicht so einfach

mich. Die fünfte, die kaufmännische war dagegen. Die meinten, dass man für die Führung eines Unternehmens kaufmännische

Kenntnisse benötigt und auch von Vertrieb und Marketing etwas

verstehen muss.“ Wieder ein Schmunzeln: „Na, sie hatten völlig Recht.“

Und deshalb beugt sich der Ingenieur mit Diplom und Doktor-

titel noch einmal über Schulbücher. Fährt ein Jahr lang jeden Freitagabend gut 250 Kilometer bis ins thüringische Suhl und

studiert dort im Crashkurs BWL für Ost-Neumanager. Bis Sonntagnachmittag. „Montags habe ich dann mein frisches Wissen

im Betrieb gleich umgesetzt und meinen Leuten Aufträge erteilt.“

Da sich kein Investor findet und die Schließung des Unter-

nehmens droht, beschließt Peter Transfeld, die Firma selbst zu übernehmen. „Ich war überzeugt, aus uns kann man richtig et-

was machen.“ Geirrt hat er sich allerdings in der Hoffnung, die

Treuhand würde ihm den Betrieb für die symbolische eine Mark verkaufen, mit der sie schon so viel verscherbelt hatte. Doch

ihm präsentiert sie eine Rechnung über drei Millionen Mark. Die Banken winken ab. „Für einen Millionenkredit an einen ost-


Portrait

„Wer etwas Innovatives mit Pflanzenöl machen will, geht nach Magdeburg.“

ÖHMI-Chef Dr. Peter Transfeld hat das Magdeburger Unternehmen an neue Ufer geführt.

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 03/10

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Portrait

deutschen Existenzgründer reichten unsere Hellerau-Schrank-

Am 24. Juni 1992 kauften Dr. Transfeld und seine Kollegen Gun-

Sicherheiten aus.“

Management-buy-out. „Jetzt hatte ich auch für meine zwei Mit-

wand zu Hause, der Wartburg und die Segeljolle eben nicht als

In den Behörden des jungen Landes Sachsen-Anhalt herrscht

Anfang der 1990er Jahre dagegen die sprichwörtliche Aufbruchstimmung. Nachdem die Verhandlungen mit dem zuständigen Landwirtschaftsministerium bis auf den einen offenen Punkt

ther Börner und Dr. Frank Pudel die ÖHMI GmbH, ein klassisches

gesellschafter und ihre Familien die Verantwortung, dass sie ihr eingezahltes Stammkapital nicht verlieren.“ Die Gesellschafter mussten sich zur Übernahme aller 32 Mitarbeiter verpflichten, für jede Kündigung drohten 40  000 Mark Vertragsstrafe.

„Kredit“ abgeschlossen sind, erhält Transfeld einen Termin.

Für einen Moment hält Peter Transfeld inne, dann erzählt er be-

auf der Couch, und er fragt mich: Na, was haben Sie denn so

bin ich nachts um zwei nach Hause gekommen, und früh sechs

Direkt beim Finanzminister: „Da sitze ich bei Professor Böhmer vor? Ich habe ihm innerhalb einer Viertelstunde meine Vorstel-

lungen erklärt, er befragt noch die anwesenden Abteilungsleiter, ob etwas dagegen spricht. - Und dann hatte ich einen Kredit des Landes.“ Wolfgang Böhmer ist seit 2002 Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt.

Was zu essen auf den

Tisch kommt, soll nicht nur

schmecken, sondern muss auch hygienisch einwandfrei und ge-

sundheitlich unbedenklich sein. Im Labor der ÖHMI-Analytik

testen Bianca Denecke (links)

und Christine Trippler eine Speise-

ölprobe auf ihre Qualität.

tont sachlich: „Die ersten zehn Jahre waren ganz schön hart. Oft

Uhr war ich wieder in der Firma.“ Die kleine Segeljolle bleibt all diese Sommer in der Garage, das Familienleben reduziert sich auf allenfalls ein gemeinsames Sonntagsfrühstück. „Unser jüngerer Sohn ging noch zur Schule. Die Lasten der Erziehung hat

damals eindeutig meine Frau getragen, die ja ebenfalls berufs-


Portrait

tätig war“, macht Transfeld seiner Gattin ein Kompliment; sie ist

seit inzwischen 42 Ehejahren eine wichtige Konstante in seinem bewegten Leben.

mit dem inzwischen weltweit patentierten Bleichverfahren ÖHMI Bleach arbeitete. „Unsere Wettbewerber in der Branche hatten Kunden immer erzählt, das Verfahren würde eh` nicht

Aber sie wusste es ja, dass ihr Mann immer die Herausforde-

funktionieren.“

rung annimmt. Schon der Junge Peter aus dem alten Deich-

Ein 400jähriges Vorbild für Unternehmertum

er und heuerte gleich nach der Mechanikerlehre auf einem

Zehn Jahre schwere See und manchmal harter Gegenwind,

die engen DDR-Grenzen hinaus zu erweitern. Und er entdeck-

Transfeld holt endlich wieder sein Segelboot aus dem Schup-

wärterhäuschen an der Saale bei Tornitz suchte das AbenteuHochseeschiff an. Eine Chance, den Bewegungsradius über

te die nie mehr versiegende Lust am Segeln. Der gleichförmige Schiffsalltag dagegen verlor schon nach gut einem Jahr

seinen Reiz für ihn, und so ging der aufgeweckte junge Mann an Land und zum Maschinenbaustudium. Als Ingenieur auf der Volkswerft Stralsund meldete der 22-Jährige sein erstes

Patent an. Doch im Gefühl einer Flaute schloss er noch ein Fernstudium zum Diplominge-

nieur für Apparate- und Anlagenbau an und begann 1975 in

dem Betrieb zu arbeiten, dessen Chef er heute ist.

Bald vermisste er wieder frischen

Wind. Während sich Gleichalt-

rige ihre Datsche einrichteten, bat der inzwischen 36-Jährige an der Magdeburger Universität um

eine Aspirantur. „Wissen gibt eine

relative Freiheit“, ist Peter Transfeld überzeugt und hat dies auch

dann ist das Schiff ÖHMI auf sicherem Kurs, und Kapitän pen. Das vereinigte Deutschland erlebt er mit Verspätung, sein erster Wochenendeinkauf wird zur Entdeckungstour: „Die vol-

len Geschäfte, das Riesenangebot, das war doch alles an mir vorbei gegangen…“ Bis 1999 hat die Unternehmerfamilie auch immer noch auf 65 Quadratmetern Plattenbauwohnung gewohnt. Erst dann reicht die Muße für den Umzug in eine kom-

fortablere Mietwohnung mit phantastischem Blick auf den Elbstrom.

1999 war auch das Jahr, in dem ÖHMI eine Größe erreicht hat-

te, die eine Umstrukturierung zur Aktiengesellschaft sinnvoll machte. Peter Transfeld war nun Vorstandsvorsitzender, seine

Abteilungsleiter wurden Geschäftsführer. Außer den beiden

Mitgesellschaftern auch Dr. Sylvia Busch. Die Veterinärmedizinerin war 1991 zunächst auf einer ABM-Stelle ins Haus ge-

kommen. „Als ich sie zwei Jahre später zur Abteilungsleiterin

für die ÖHMI Analytik machte, war das eine Vertrauenssache“, erinnert sich der Unternehmenschef: „Und Frau Dr. Busch hat sich als ein Gewinn fürs Unternehmen erwiesen.“

seinen Söhnen „eingeimpft“.

Risiken wägt er gründlich ab. Dennoch hat nicht jedes Schiff

Drei Jahre lang forschte er an ei-

dung gemeinsam mit der Stadt Magdeburg, das Innovations-

nem Verfahren, wie man die in Ölraffinerien eingesetzte Bleicherde effizienter nutzen kann. Für

von ÖHMI sicher ankern können. Eine hoffnungsvolle Grünund Gründerzentrum Narossa, musste nach acht Jahren 2004 Insolvenz anmelden.

sein „Gegenstromprinzip“ gab es

Zum 400. Geburtstag von Magdeburgs berühmtem Sohn

stieg zum stellvertretenden For-

mal geschenkt. Die Großplastik zeigt den legendären Halbku-

1987 den Doktorhut und den Auf-

schungsdirektor in seinem „alten“ Betrieb. Die Ergebnisse seiner Doktorarbeit blieben allerdings im

Schreibtisch liegen. Nach der

Gründung von ÖHMI setzte der Erfinder auf dieses „Pfand“. Aller-

dings dauerte es noch bis 1997, bis erstmals eine Raffinerie - sie

steht in Nordrhein-Westfalen -

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 03/10

Otto von Guericke im Jahr 2002 hat ÖHMI der Stadt ein Denk-

gelversuch, mit dem der Gelehrte auf populäre Weise seine Entdeckung des Luftdrucks nachwies, nachdem er dafür zu-

nächst ausgelacht worden war. Das Kunstwerk steht mitten

im Stadtzentrum und ist viel mehr als eine honorige Geste: „Guericke ist für mich ein Vorbild für Unternehmertum“, erklärt Transfeld: „Er lehrt uns, dass man an einer Sache unbe-

irrt dranbleiben muss und nicht aufgeben darf, auch wenn man auf Widerstand stößt.“ Manchmal muss man eben auch gegen den Wind segeln.

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Portrait

ÖHMI: Alteingesessenes Unternehmen arbeitet in Zukunftsbranchen

Mit ihrer 60-jährigen Firmengeschichte gehört die ÖHMI Ak-

PPM Pilot Pflanzenöltechnologie Magdeburg e.V:

trieunternehmen der Stadt. Sie ist Nachfolger des 1950 ge-

als Verein, sind vier ÖHMI-Unternehmen und 20 weitere Un-

tiengesellschaft Magdeburg zu den alteingesessenen Indusgründeten Zentrallabors für die Öl- und Margarineindustrie, später DDR-Forschungszentrum der Branche mit führender Rolle für ganz Osteuropa. 1992 wurde der in eine eigenständige GmbH umgewandelte Forschungsbetrieb durch das Management gekauft.

Zur ÖHMI-Gruppe gehören heute sieben Unternehmen und

An Deutschlands einziger Ölmühle im Pilotmaßstab, betrieben ternehmen deutschlandweit beteiligt – von der Pflanzenzucht

über die Lebensmittelindustrie bis zum Anlagenbau. PPM ar-

beitet an Forschungsaufträgen zur Verarbeitung und Verwen-

dung von Pflanzenölen und neuen Ölsaaten für die Ernährung sowie zur energetischen und stofflichen Nutzung nachwachsender Rohstoffe. Auftraggeber sind private Unternehmen und die öffentliche Hand.

Beteiligungen im Technologie- und Dienstleistungssektor.

Unternehmen der Gruppe:

ÖHMI Bulgaria O.O.D.: Die Auslandstochter der ÖHMI-Grup-

ÖHMI Analytik GmbH: eines der größten akkreditierten Le-

ternehmen für die Zertifizierung nach dem Qualitätsstandard

bensmittel- und Umweltlabore Ostdeutschlands mit rund 500

Kunden. Geschäftsfeld: Analysen, Beratung zu Lebensmittel-

recht und -sicherheit sowie zu Qualitätsmanagement und bei der Produktentwicklung. Das Unternehmen vergibt das ÖHMIPrüfsiegel für regelmäßig kontrollierte Lebensmittelsicherheit.

www.oehmi-analytik.de

ÖHMI Engineering GmbH: Planung und Errichtung schlüs-

selfertiger Ölverarbeitungsanlagen einschließlich der Peripherie wie Energieerzeugung und Abwasserbehandlung. Seit 1992

wurden weltweit mehr als 30 Fabriken gebaut, der Exportanteil liegt über 50 Prozent. Mit dem weltweit in 25 Ländern patentierten Bleichverfahren ÖHMI bleach® können Pflanzenölverarbei-

www.ppm-magdeburg.de

pe hat ihr Hauptgeschäftsfeld in der Beratung bulgarischer UnDIN EN ISO 9001:2000. Der weltweit anerkannte Standard gilt

heute als Voraussetzung, um auf dem EU-Markt bestehen zu können.

Weiterhin gehören zur Gruppe die ÖHMI Service GmbH, die

auch Objekte für Drittfirmen managt, und die Halbkugelver-

such GmbH (Vermarktung des Modells zu Guerickes Halbkugelversuch)

www.oehmi-service.de

www.halbkugelversuch.de

Seit 1995 veranstaltet PPM jährlich einen Kongress für Nachwachsende Rohstoffe (Narossa-Kongress). Als internati-

ter effizienter produzieren als mit herkömmlichen Verfahren.

onal bekannte Plattform der Branche befördert der Kongress

Anlagentyp für kleinere Raffinationsleistungen entwickelt, ge-

ternehmen und Forschungseinrichtungen aus verschiedenen

Mit ÖHMI compact® wurde ein standardisierter platzsparender eignet auch für Standorte ohne verfügbares Fachpersonal.

www.oehmi-engineering.de

den Erfahrungsaustausch und die Zusammenarbeit von Un-

Ländern. 2010 hat der Narossa-Kongress erstmals zwei dotierte Preise an Nachwuchswissenschaftler vergeben.

ÖHMI EuroCert GmbH: eine der größten akkreditierten Zer-

Wirtschaftliche Entwicklung seit 1992:

Branchen zugelassen. Zertifizierung für Qualitäts- (QMS) und

tifizierungsstellen in Ostdeutschland, zur Prüfung in rund 40

Steigerung der Eigenleistung auf fast das Achtfache

Umweltmanagementsysteme (UMS) nach den international

Erhöhung der Beschäftigtenzahl auf knapp das Fünffache

weltweit anerkannten Regeln zur Qualitätssicherung umzuset-

2 000 Kunden weltweit

gültigen Normen des Standards DIN EN ISO. Mit dem Ziel, die zen, werden in allen Geschäftsprozessen Abläufe optimiert und

Synergieeffekte bei der Zusammenarbeit der Unternehmensbereiche ausgeschöpft.

www.oehmi-cert.de

Investitionen von rd. 7 Mio. Euro Patente in 25 Ländern

Markenrechte: ÖHMI, NAROSSA, PPM, Halbkugelversuch


Wohnungswirtschaft

Wer sich wohlfühlt, der bleibt auch hier wohnen 20 Jahre Wohnungswirtschaft: Generationengerechtes Wohnen nach Maß und im Grünen Von Cornelia Heller Gute Aussichten:

Fritz Schaumann ist zufriedener Mieter im Magdeburger Kannenstieg.

Fürs Foto spannt Fritz Schaumann noch einmal seinen großen

Mehr als 600 000 Wohnungen waren 1990 in Sachsen-Anhalt

blühenden Geranien in den Blumenkästen. „Früher konnte man

ten einen kaum vorstellbaren Sanierungs- und Modernisie-

ungewisse Ferne, da etwa, wo heute hochgewachsene Bäume

moderaten 90 Pfennig je Quadratmeter. Doch davon ließen sich

Sonnenschirm auf. Passend rot zum Gartenstuhl und den üppig von hier sogar die Domspitzen sehen“, weist seine Hand in eine im Wohngebiet stehen. Fritz Schaumann, der Rentner, liebt sei-

nen Magdeburger Kannenstieg, eine Plattenbausiedlung, die

Mitte der 1970er-Jahre am Stadtrand auf Feldgrund entstand. Moderne, heiß begehrte Wohnungen waren das damals für Tau-

sende Magdeburger aus den großen Schwermaschinenkombi-

naten. Schaumann kennt das Stadtgebiet dieser Zeit zwar nur vom Erzählen, er selbst kam erst 1990 aus Thüringen in die Elbestadt. Doch dort wie hier war der Zustand gleich.

Es sind Erinnerungen in Sepia, vergilbte Schwarz-weiß-Fotografien und Filme, die ein heute fast vergessenes Bild der

ostdeutschen Städte im Jahr eins nach der Wende zeichnen: putzbröckelnde Hausfassaden, Antennenwälder auf undich-

ten Dächern, baupolizeilich gesperrte Altbaubalkons, Grau die alles bestimmende Farbe im Straßenalltag.

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 03/10

in desolatem Zustand. Vier Jahrzehnte Mangelwirtschaft hat-

rungsstau auflaufen lassen. Das Mietniveau lag dabei zwar bei

keine nennenswerten Reparaturen, geschweige größere Bauaufgaben lösen. Es herrschte größter Wohnungsmangel. Und weder die Vermögensverhältnisse an Grund und Boden noch die Frage

der Altschulden waren geklärt. Eine denkbar schlechte Ausgangssituation für die sachsen-anhaltische Wohnungswirtschaft.

Fritz Schaumanns Wohnung in der Helene-Weigel-Straße 19 ist

an diesem warmen Septembertag im Jahr 2010 von Sonnen-

licht durchflutet, seine Stube hat er in hellen Farben gemütlich eingerichtet. Fernbedienung, Brille, Stift liegen griffbereit auf

dem Sofatischchen, er sitzt gern genau hier, das sieht man. Sein Weg von Thüringen zur Tochter nach Magdeburg vor genau 20

Jahren zeichnet die schwierigen Zeiten kurz nach der Wende nach. „Man brauchte eine Genehmigung. Ein einfacher Tausch der Wohnungen war undenkbar. Schließlich klappte ein

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Wohnungswirtschaft

Ringtausch zwischen Bayern, Thüringen und Magdeburg.“ Doch

die alte AWG-Wohnung im Kannenstieg war „einfach abgewohnt, die Türrahmen waren von Reißzwecken übersät, die Wände verunstaltet.“ Die Kinder halfen renovieren, schon bald konnte man

Einzug feiern. Doch dann offenbarten sich die wahren Mängel: drei nicht isolierte Außenwände brachten kalte Winter und Som-

mer, so „heiß wie im Backofen“. Es zog durch undichte Fenster, Sanitäranlagen und Heizung waren alt.

Das alles ist heute Geschichte. Die Metamorphose des Hauses der WBG Magdeburg-Stadtfeld e.G. hat Fritz Schaumann hautnah miterlebt. Sie steht beispielhaft für die vergangenen 20 Jah-

re, in denen sich in einem unvorstellbaren Kraftakt der 208 in den wohnungswirtschaftlichen Verbänden vdw und vdwg zusam-

mengeschlossenen kommunalen Wohnungsgesellschaften und -genossenschaften die Wohnungslandschaft in Sachsen-An-

halt grundlegend wandelte. Die Zahlen stehen dabei für sich: 15 Milliarden Euro flossen in 360 000 modernisierte Wohnungen, 50 000 Wohnungen wurden gemäß Altschuldenhilfege-

setz privatisiert, rund 70 000 Wohnungen rückübertragen und etwa 60 000 Wohnungen als Beitrag im Stadtumbau Ost ab-

gerissen. Es lässt sich wieder gut wohnen in Sachsen-Anhalt. Auch in der Helene-Weigel-Straße 19.

„Erst hat die Genossenschaft ab Mitte und Ende der 1990er-Jahre

die Heizung, die Bäder und Wasserstränge saniert, später kamen

neue Fenster und die Außendämmung nebst neuer Fassaden-

farbe hinzu.“ Das war schon enorm, doch nichts im Vergleich zu der Sanierung, die im vergangenen Jahr begann. Der mehr als

30 Jahre alte Sechsgeschosser wurde auf vier Etagen verkleinert, von vormals 96 Wohnungen wurden durch Um- und Rückbau 66 für Jung und Alt, in zwei Aufgängen hat man die Etagen fünf und

sechs belassen. Die geben heute Platz für vier sehr begehrte Pent-

anhaltische Wohnungswirtschaft heute und steht zu ihrem Wort

vom „guten und bezahlbaren Wohnen“. Denn: Wer sich wohlfühlt, bleibt. Davon erzählt auch die Wohngeschichte aus Lutherstadt Wittenberg.

Renate Gruber-Lieblich zog 1978 mit ihren zwei Kindern aus einem angrenzenden Neubauviertel in die Wittenberger Gagfah-Siedlung, sie wurde 1936 für die Arbeiter der ansässigen

ARADO-Flugzeugwerke „sehr solide, aber im Detail dann doch eher sparsam erbaut“, plaudert die lebhafte Dame.

Es gibt hellroten Früchtetee aus geblümten Tassen und viele Geschichten, die Renate Gruber-Lieblich von Wittenberg und

der Siedlung zu erzählen weiß. „Für die Kinder war es das Pa-

radies, die Gagfah mit ihren knapp 450 Wohnungen auf einem

fast dreieckigen Areal war schon immer ein grünes Viertel.“ Man kannte sich und half untereinander. Nach der Wende zog sogar

ihre Tochter in eine Nachbarwohnung, alles schien perfekt. Doch viele andere gingen, die Siedlung leerte sich. „Es gab inzwischen besseres“, erinnert sie sich. „Andere Häuser wurden bereits mo-

dernisiert.“ In der Gagfah hingegen tat sich nichts. So suchte sich jeder etwas anderes. Auch Renate Gruber-Lieblich. Die Siedlung

in Wittenbergs Süden verfiel sichtlich, die Klientel der Bewohner änderte sich. Es war ein Kommen und vor allem ein Gehen.

„Bis zu dem Tag, an dem in der Zeitung zu lesen war: Die Gagfah wird saniert.“ Lange hatte es ein Tauziehen um die Zukunft

der Siedlung gegeben. Die Einigung mit der Beteiligungsgesell-

schaft Immobilien Ost zu den Rückführungsansprüchen 2004 öffnete endlich die Türen für eine Sanierung durch die Witten-

berger Wohnungsbaugesellschaft WIWOG. In dem gebogenen

Wohnhaus in der Schillerstraße hat Renate Gruber-Lieblich

ihre Wunschwohnung in der 2. Etage mit herrlichem Balkon

house- und Maisonettewohnungen. Schaumann erzählt außer-

dem vom neuen Dach, dem Aufzug für alle, denen die Stufen zu

beschwerlich sind („Warum fahren Sie nicht runter?“), und davon, dass sein Balkon so groß und geräumig wie nie zuvor geworden

ist. Sommer auf Balkonien hat hier jeder. „Das ist eine Pracht!“, schwärmt er ungebremst. Den Schlusspunkt der Arbeiten der Genossenschaft mit insgesamt 2,3 Millionen Euro, 76 000 Euro davon Fördergelder aus dem Programm Stadtumbau Ost, setzten die neu bepflanzten Beete und Wiesen rund um den Block im

Frühjahr 2010. „ Heute“, sagt Fritz Schaumann und nimmt wieder

den Dom hinter dem Grün in den Blick, „ist unser Haus ein Aushängeschild für das Wohnen im Magdeburger Kannenstieg.“

Das Glück des Rentners über eine sanierte und sichere Wohnung teilen viele. 800 000 Mieterinnen und Mieter zählt die sachsen-

Zurück in die Wunschwohnung: Renate Gruber-Lieblich wohnt wieder in der Wittenberger Gagfah-Siedlung.


Wohnungswirtschaft

Gute Ideen: Architekten

planten die alte „Gagfah“ zu

einem modernen Wohnviertel um.

und idealem Wohnungszuschnitt gefunden. „Da haben die Ar-

Überhaupt wird das Wort „Betreuung“ in Zukunft eine noch

Früher waren hier drei winzige Wohnungen auf einer Etage.

ternehmen spielen. Dienstleistungen für Jung und Alt in en-

chitekten wirklich gute Ideen gehabt“, nickt sie anerkennend. Jetzt sind es zwei. Und die haben beide von den geänderten Grundrissen profitiert. Auf diese Weise wurde durch die WIWOG und ihren Sanierungsträger SALEG das ganze Viertel umgebaut, Wohnungen unterschiedlicher Größe sind so für alle Generationen entstanden.

Und das kommt an, von Anfang an gab es Wartelisten. „Ich habe

mir die Wohnung angeschaut, ausgemessen und ‚ja’ gesagt.“ Am

1. Dezember 2006 ist sie in ihr Viertel zurückgezogen. „Es war das

Beste, was ich tun konnte, die Siedlung hat sich so sehr zu ihrem

Vorteil verändert.“ Und dann gerät sie geradezu ins Schwärmen: „Die Bepflanzung der Beete. Das ganze Jahr hindurch blüht irgendwas... Die großen neuen Balkons... Die Wohnungsbetreuung der WIWOG ist vorbildlich, der Hausmeisterservice toll, die Gärtner von der WITRA. Was soll ich noch sagen?“, endet sie fast atemlos und

nimmt einen letzten Schluck vom roten Tee. „Eine solche Form der Betreuung ist wirklich selten. So wohnt man sonst nur privat.“

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 03/10

größere Rolle in der Arbeit der wohnungswirtschaftlichen Unger Zusammenarbeit mit sozialen Trägern wie bereits in vielen Städten Sachsen-Anhalts entstanden, werden ausgebaut, Be-

gegnungsstätten etwa, neue Formen des betreuten Wohnens oder junges Wohnen für Studenten mit Serviceleistungen für

alle. „Zukunftsfähige Projekte“ nennen das die Verbandschefs

beider Verbände, Jost Riecke und Ronald Meißner, und meinen damit auch die Fortsetzung der energetischen Sanierung der

Wohnungsbestände und einen der zukünftigen Alterstruktur des Landes angepassten Wohnungsbau. Rund 2,5 Milliarden Euro bis zum Jahr 2016 will man dafür ausgeben. Allerdings nur, wenn Entscheidungen wie die geplante Halbierung der Städtebauförderung für 2011 zur Konsolidierung des Bundes-

haushaltes nicht Realität werden. Es wäre das falsche Zeichen: „Stillstand“, sagen sie mit Nachdruck, „heißt Rückschritt.“ www.vdwvdgw.de

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Tourismus-Tipp

Tagen, Tafeln, Trauen im Märchenschloss am Saalestrand Das Schloßhotel-Schkopau bietet viele Überraschungen und genießt überregional einen ausgezeichneten Ruf Von Christian Wohlt

Was fällt einem beim Namen Schkopau ein? – Genau, die Plaste-und-Elaste-Werbung an der Autobahn. Dieses Image hatte der kleine Ort vor den Toren Halles, am Rande der malerischen Saale-Elster-Aue, allerdings nie verdient. Schließlich reicht seine Geschichte bis in das 12. Jahrhundert zurück. Der Name Schkopau erscheint zuerst auf einer Urkunde, die

Auch wenn kein blaues Blut durch seine Adern fließt, ist dem

1215 wird erstmalig eine Feudalburg erwähnt. Mit dieser be-

schichte und das in den vergangenen Jahren Geschaffene an-

am 4. Oktober 1177 in Merseburg ausgestellt wurde. Im Jahr

lehnte der Merseburger Bischof Thilo von Trotha seinen Bruder. Daraus wurde der Stammsitz der Familie, die die Burg zu einem prächtigen Schloss umbauen ließ.

heutigen Schlossherrn, Kai-Ulf Sauske, der Stolz auf die Gezumerken. Aus dem in DDR-Zeiten ungeliebten und schließ-

lich fast verfallenen Gebäudekomplex entstand ab 1996 ein modernes Vier-Sterne-Hotel. Die 54 Zimmer und Suiten sowie


Tourismus-Tipp

Liebevoll saniert,

präsentiert sich das

Schloss Schkopau als architektonisches

Glanzstück der Region.

Kai-Ulf Sauske und sein

Team laden die Gäste in die exklusive Welt eines Märchenschlosses ein.

die verschiedenen Einrichtungen des Hauses – dazu gehört

zählen dazu Theater- und Kabarettaufführungen, Stil- und Eti-

Komfort. Edle Salons in Grün, Blau und Rot sorgen für stil-

Kochkurse mit dem Küchenchef und vieles mehr.

zum Beispiel ein Beauty- und Wellnessbereich – bieten allen

volles Ambiente. Gut 40 Mitarbeiter kümmern sich um das

ketteseminare mit eigenem Hausbutler, das Musical-Dinner,

Wohl der Gäste.

Die insgesamt 60.000 Quadratmeter großen Außenanlagen

Überregionalen Ruf genießt das mehrfach ausgezeichnete

Schritte durch den hoteleigenen Park. Und wer möchte, kann

Restaurant des Hauses „Le Chateau”. Was Küchenchef Danny Habel auf den Teller zaubert, lässt selbst die verwöhntesten Gaumen jubilieren. Kein Wunder, dass die Verwöhn- und Über-

nachtungsarrangements nicht nur bei Weitgereisten regen Zuspruch finden. Auch viele Gäste aus der Umgebung kom-

laden zum Flanieren ein. Zum Saale-Ufer sind es nur wenige vom hauseigenen Anleger eine Bootspartie auf dem Fluss unternehmen. „Wir sind ein Haus für jedermann”, sagt Kai-Ulf Sauske. „Zu uns kommt man zum Kaffeetrinken oder wenn die Oma 80. Geburtstag hat.”

men ins Schloss, um gut zu speisen, ein entspanntes Wochen-

Für Business-Gäste bietet das Haus ein kreatives Umfeld. Ta-

zu besuchen. Neben Sommer- und Herbstfesten, Hochzeitsmes-

durch die dezente Integration modernster Tagungstechnik in

ende zu verbringen oder eine der mehr als 45 Veranstaltungen sen, der Großen Weihnachtsfeier und dem Neujahrskonzert

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 03/10

gungs- und Seminarteilnehmern wird effizientes Arbeiten den historischen Räumen zum Vergnügen. Die traditionelle

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Tourismus-Tipp

Küchenchef Danny Habel präsentiert eines seiner kulinarischen Meisterwerke.

Atmosphäre schafft zudem einen idealen Rahmen für festliche Bankette. Im Schloßhotel-Schkopau können die Gäste tagen und tafeln mit Stil in exklusivem Rahmen. Sauske

konnte zahlreiche Größen aus Politik und Wirtschaft sowie

sollte doch mal die Schwiegermutter für Zank und Streit sorgen dann gibt´s da ja auch noch den Turm oder das Burgverlies. www.schlosshotel-schkopau.de

weitere Prominente in seinem Haus begrüßen. Besonders

Eilige nutzen gern mal die Gelegenheit und schweben auf dem hauseigenen Hubschrauberlandeplatz ein. Mehrfach war das Haus schon Filmkulisse.

Ein wirklich einmaliges, märchenhaftes Ambiente bietet das

Schloßhotel-Schkopau für den schönsten Tag im Leben. In der hauseigenen Kapelle können sowohl katholische als auch evange-

Schloßhotel Schkopau

vor Ort. In diesem Jahr schlossen mehr als 100 Paare den Bund fürs

06258 Schkopau

lische Hochzeiten gefeiert werden. Das Standesamt ist ebenfalls

Am Schloß

Leben. Ein schönerer und harmonischerer Start ins Eheleben als in

Telefon: 03461 749 - 0

diesem exklusiven Rahmen lässt sich wohl kaum vorstellen. Und



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Einzelhandel

Erfolgreiche Glücklichmacher hinter dem Ladentisch Die Einführung der D-Mark brachte eine zweite Wende: von der „Bückwaren“-Verteilung zu westlicher Warenfülle Von Steffen Reichert

Das Jahr 1990 – nach Mauerfall und Grenzöffnung ist die DDR im Umbruch. Während viele noch über die kommende D-Mark diskutieren, ergreift Thomas Eckert die Initiative. Zu dieser Zeit ist Kersten Muschiol aus Halle noch im Babyjahr, doch auch sie spürt diese faszinierende Aufbruchstimmung und ahnt: Wenn sie wieder an ihren früheren Arbeitsplatz zurückkehrt, wird nichts mehr sein wie es war. Beide sind sie heute angekommen im größer gewordenen Deutschland. Der Weg dorthin war nicht immer eben, aber für Kersten Muschiol und Thomas Eckert hat er sich gelohnt.

Manchmal hat Thomas Eckert diese Tage verflucht. Das waren

mit ein wichtiger Arbeitgeber in der Region. Und er wurde der

Drogerie seiner Eltern im Laden half, anstatt sein Moped aus-

Neukauf-Markt in eigener Regie übernahm.

die Tage, an denen der heute 43-Jährige nach der Schule in der fahren zu können. Oder wenn es wieder darum ging, in den

Zeiten ostdeutscher Mangelwirtschaft Ware zu besorgen und Produkte herzustellen: sei es geleimte Wandfarbe oder Nagel-

lack, den die Eltern mischten, um den Kunden überhaupt etwas anbieten zu können. „Wir waren mehr Lager als Laden“, erinnert

sich der Unternehmer an jene Kindheits- und Jugendtage in

der Drogerie von Jeßnitz, eine knappe Autostunde nördlich von Halle. Eingekauft wurde Ware, wenn es welche gab - das war in Zeiten des Plans nicht immer planbar. Und so schien es für

Thomas Eckert geradezu selbstverständlich, dass seine Lehre ab 1982 nichts mit Handel zu tun haben sollte: Eckert lernte erst einmal Elektroinstallateur.

Aber dann gab es auch jene Tage, an denen er begriff, dass

der Handel, der Kontakt mit dem Kunden auch etwas Wunder-

bares ist. Dass es Spaß machen kann, am Ladentisch Wünsche

zu erfüllen und zufriedenen Kunden zu begegnen. Zurück vom Grundwehrdienst bei der Armee fiel der Entschluss, in das Geschäft seiner Eltern einzusteigen.

Chef von mehr als 80 Mitarbeitern Ende der achtziger Jahre ahnte noch niemand, dass die Men-

erste Ostdeutsche überhaupt, der im Raum Halle einen EdekaAn „wilde Zeiten“ erinnert sich der Familienvater zurückblickend. Die Grenze, die Deutschland Ost und Deutschland West jahrzehntelang geteilt hatte, war gerade gefallen, die

Menschen lagen sich vor Freude in den Armen. Noch disku-

tierte die Nation in jenem Frühjahr 1990, wie es in Sachen deutscher Einheit, wie es mit welchem Umtauschkurs weiter-

gehen sollte. Die Eckerts, Eltern wie Sohn, dachten da schon nach vorn. „Ein Bitterfelder Großhändler hatte erste, vorsichtige Kontakte mit dem Unternehmen in Minden aufgenommen und Waren importiert“, erzählt der Motorradfan über

jene bewegten Monate. Wie im Lauffeuer sprach sich herum, wenn wieder ein Lkw aus dem Westen eintraf: „Es wurde vom Lastwagen herunter verkauft“. Der damals übliche Kurs für

Westwaren gegen Ostgeld lag bei 1:5, die Menschen zahlten gern. Und als dann im Frühsommer 1990 endlich klar war, dass

die D-Mark Einzug halten würde, als mancher Händler ratlos

war, da fuhr Thomas Eckert nach Westberlin, um einen Preisauszeichner zu erwerben. Vorbei die Zeiten, in denen ein staat-

licher Endverbraucherpreis auf jedes Produkt gedruckt war. „Fair

bei den Preisen und kompromisslos bei der Qualität“, so lautete

Eckerts Motto – eine Devise, der er bis heute treu geblieben ist.

schen in Leipzig, Halle und Dessau bald zu Tausenden auf die

Im Zentrum: Rund um die Uhr geöffnet

sein könnte. Noch musste sich Eckert mit Kommissionsware

Inzwischen ist er seit mehr als 13 Jahren Unternehmer im ge-

gängen und mit so genannter Bückware herumplagen, die

ner Regie. Sein Markt in Halle ist und bleibt sein Flaggschiff. Und

Straßen gehen würden und Deutschland bald wieder eins

und grauen Behelfsverpackungen, mit endlosen Bestellvor-

„unterm Ladentisch“ gehandelt wurde. Und doch: Der Weg in die Drogerie seiner Eltern war einer der Schritte, der sein

Leben verändern sollte. Als selbstständiger Einzelhändler beschäftigt Eckert heute mehr als 80 Mitarbeiter und ist da-

nossenschaftlichen Edeka-Verbund. Drei Märkte führt er in eigedas nicht nur, weil er als einer von wenigen in ganz Deutschland 24 Stunden geöffnet hat. Mitten im Zentrum der Saalestadt

können Hallenser von Montag sieben bis Samstag 20 Uhr einkaufen. Ein Jahr lang hat er mit seinem Team an dem Konzept


Einzelhandel

Vertrautes im Warenkorb:

Marcus Moex (Leiter

der E-neukauf Filiale

in der Hallenser LudwigWucherer-Straße) und Marlies Schönherr

schätzen regionale Produkte.

gebastelt – in der Nacht, wenn ohnehin Waren in die Regale

Marken in die Regale zu bekommen. Die Kunden griffen lieber

geöffnet. Der Erfolg gibt ihm Recht. Rund 15 Prozent seines Um-

dieser Trend umgekehrt. „Die Kunden wissen wieder, was es in

nachgepackt werden, sind seit November 2007 auch die Kassen satzes in dem Markt erzielt Eckert in der Nacht.

Natürlich hat er lernen müssen, hat auch Niederlagen einge-

steckt. Doch mit jedem Stück, das seine Firma wuchs, ist auch

Eckert gewachsen. Irgendwann hat er begriffen, dass es ihm nicht hilft, wenn er als Chef derjenige ist, der die Getränke-

regale am schnellsten bestückt. „Das musste ich erst in den

Kopf kriegen, um ihn freizubekommen“, lacht er heute. Und er

weiß: Verantwortung übernehmen heißt auch Verantwortung übertragen.

zu Waren aus Hamburg, Köln oder München. Längst hat sich der Region gibt,“ sagt Eckert, „und sie verlangen danach.“

Es sind meist lange Tage, die er in seinen Märkten verbringt. Seine Frau arbeitet als Marktleiterin in Sandersdorf mit, seine

Tochter lernt im elterlichen Betrieb. Die 19-Jährige kam aus Überzeugung, aber auch, weil Eckert jungen Leuten generell gerne eine Chance gibt. Acht Azubis sind heute bei ihm beschäftigt. Er begleitet sie auf ihrem Weg. Aus eigener Erfahrung weiß er, wie wichtig Unterstützung ist.

Das Geschäft hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend

Vielleicht liegt es daran, dass Kersten Muschiol ihr Leben

den Jahren nach der Wende manchmal Mühe, ostdeutsche

ihr die Wünsche der Kunden schon immer wichtig waren.

gewandelt. Heute ist alles an Ware verfügbar. Doch hatte er in

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 03/10

lang im Handel gearbeitet hat. Vielleicht auch daran, dass

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Einzelhandel

Familiäre Atmosphäre:

Christine Hofmann und die anderen Mitarbeiter sorgen dafür, dass

Einkaufen zum Erlebnis wird.

Immerhin war die heute 54-Jährige zu DDR-Zeiten dafür

Die größte Herausforderung und der größte Unterschied zum

Handelsorganisation (HO) Produkte in Ungarn einzukaufen:

gutes Bier vorhanden, dann gibt es wieder keine Limonade,

zuständig, für die hallesche Niederlassung der staatlichen

Obstler der Sorte „Palinka“, Kräuterschnaps, Tomatenmark, Letscho... Begehrte Waren, die in der DDR traditionell „unter dem Ladentisch“ und selbst das nur bei guten Beziehungen gehandelt wurden – „Bückware“ hieß das dann. Auf jeden Fall

ist Kersten Muschiol seit drei Jahrzehnten damit beschäftigt, Kunden glücklich zu machen. „Der Einkauf soll und kann Erlebnis sein“, lautet das Credo der sympathischen Frau, die mit ih-

heutigen Geschäft ist das Beschaffen der Ware. Mal ist kein

Pflaumenmus, Nuss-Nougat-Creme „Nudossi“, Ketchup oder

Apfelsinen sind notorisch knapp. Und doch versuchen Ein-

käufer, Verkäuferinnen und Verwaltung den Mangel etwas zu

gestalten. „Wir haben versucht, die Ware gerecht zu verteilen und möglichst vielen Kunden etwas zukommen zu lassen“, erinnert sich die Unternehmerin an diese Zeit.

rem Neukauf-Markt im Süden von Halle jeden Tag rund 8 000

… und da war die DDR auf einmal verschwunden

eine Geschichte, wie sie wohl nur im Osten möglich ist. Die

Als mit dem Mauerfall die D-Mark und der Konsum im Osten

soll und heute Chefin von mehr als 30 Beschäftigten ist. Doch

Muschiol. Sie erlebt Währungsunion und deutsche Einheit im

Haushalte versorgt. Die Geschichte von Kersten Muschiol ist

Geschichte einer Frau, die beruflich eigentlich zur Reichsbahn weil die Bahn, weil Oberleitungen und Stellwerke die junge

Mecklenburgerin nicht ernsthaft interessieren, studiert sie in

der Bezirksstadt Halle lieber Volkswirtschaft. Sie kommt 1977 mit verwandtschaftlicher Unterstützung schließlich in der

HO-Verwaltung unter. „Ich habe von der Pike auf gelernt, was Handel in der DDR bedeutet“, erinnert sie sich an ihre ersten Jahre. Eine Erfahrung, von der sie noch heute zehrt.

Einzug halten, wird plötzlich alles anders. Auch für Kersten Babyjahr – „ein bisschen traurig, in jenen verrückten Wochen

nicht selbst mit verkaufen und nahe bei den Kunden sein zu

können.“ Und als sie dann im Frühjahr 1991 aus dem Erzie-

hungsurlaub zurückkehrt, da ist die DDR verschwunden, da gibt es die HO nicht mehr. Der neue, starke Partner heißt jetzt

Edeka: neue Waren, neue Märkte, eine ganz neue Philosophie. Aufbruchstimmung allerorten. Auch Kersten Muschiol will


Einzelhandel

nun da sein, wo es immer Spaß gemacht hat: in einem großen

Markt direkt bei den Kunden. So wird sie in jenen Tagen Markt-

leiterin und ist die nächsten zehn Jahre dafür verantwortlich, dass ausreichend Ware vorhanden und entsprechend präsen-

tiert, dass Personal eingewiesen wird und die Kunden wirklich zufrieden sind. Lange und harte Tage sind es, aber auch schöne und erfüllende. „Ich habe da noch einmal unendlich viel da-

zugelernt“, erzählt die Powerfrau Muschiol über ihren zweiten Beginn, jetzt in der einstigen Kaufhalle Böllberg.

Ganz klar, denn es ist ein spezielles Geschäft mit besonderen

Herausforderungen. Das Neubauviertel am Rande der Stadt, wie auch die Kaufhalle 1974 entstanden, wird umschlossen

von vielen kleinen schmucken Ein- und Zweifamilienhäuschen. Viele der Menschen im Kiez leben seit Jahrzehnten hier. Man kennt sich, man schätzt sich, man vertraut sich auch. „Gut 90

Ziel, weitere Geschäfte und Einzelhändler anzusiedeln. „Ich

sehe das eher als Ergänzung, nicht als Konkurrenz“, sagt sie. Denn wer, wie die Kunden dies formulieren, „mal eben zu Frau

Muschiol“ geht, der will mit einem Weg möglichst alles erledigen. Ein Konzept, das offenkundig funktioniert. Eine Bank-

filiale und eine Apotheke haben neben dem Supermarkt bereits ihren festen Platz gefunden.

Wenn sie spät abends, oft als Letzte, „ihren“ Markt verlässt und

wenn sie so einen Blick wirft auf die beleuchteten Fenster rings herum, dann freut sich Kersten Muschiol. Denn wenn es einen Slo-

gan aus dem DDR-Handel gibt, der auch heute noch Bestand hat, dann ist es der: „Gut gekauft, gern gekauft.“ Nur mit dem Unterschied, dass sie diesen Gedanken heute wirklich umsetzen kann. www.edeka.de

Prozent meiner Kunden kenne ich persönlich“, sagt Kersten Muschiol. Und 90 Prozent ihrer Kunden kennen sie. Das macht

es oft einfacher, weil man Wünsche und spezielle Bedürfnisse überblicken kann, man geht aufeinander zu. Und doch ist dies

Herausforderung zugleich. Denn natürlich will die Einzelhänd-

lerin mit neuen Dingen überraschen, will die Lust am Einkauf wecken.

Das hat sie geschafft, das wird im Viertel anerkannt. Und wahrscheinlich hat ihr das im Jahr 2000 eine wichtige Entscheidung

leichter gemacht, die sie in mitunter schlaflosen Nächten zu

treffen hatte. Die Entscheidung, ob sie sich vorstellen könnte, den Markt bei einer Privatisierung selbst zu übernehmen. Am Ende hat sie zugesagt. „Wenn ich da Nein gesagt hätte, hätte

ich mir das wahrscheinlich nie verzeihen können“, lacht sie im

Rückblick. Aber natürlich hat sie lange überlegt, denn schließlich geht es nicht nur um beträchtliche Umsätze, sondern auch

um viel Verantwortung für ihre Mitarbeiter. 30 Kolleginnen und Kollegen gehören heute zu ihrem Team – eine Mannschaft, die

über die Jahre gewachsen ist. Und natürlich wird auch ausgebildet, mischen sich Erfahrung und jugendlicher Elan. „Mein Markt ist das Zentrum“ Längst ist der gut 1 000 Quadratmeter große Supermarkt zu

einem festen Bestandteil des Wohnviertels geworden. „Mein Markt ist das Zentrum“, fasst Kersten Muschiol das in einem Satz selbstbewusst zusammen. Hier kommt man her, hier trifft

man sich, hier macht man auch ein Schwätzchen. Es gibt das neue Schäfer’s-Café, das sich inzwischen etabliert hat. In ihren Getränkemarkt hat Kersten Muschiol eine Post- und eine Lottofiliale integriert. Der Springbrunnen vor dem Markt lädt

an warmen Sommertagen zum Verweilen ein. Und schon ver-

handelt die Unternehmerin mit der Stadtverwaltung mit dem

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Händler mit Leib und Seele: Thomas Eckert war der erste Ostdeutsche, der einen Edeka-Markt in eigener Regie übernahm.

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Visionen

Auf halbem Wege mit Zukunftsmusik im Ohr Von Jens Bullerjahn, Minister der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt Am Abend des 31. August 1990 unterzeichneten Wolfgang

Die Landesregierung hat viel unternommen in den vergange-

schen Einigungsvertrag. Tausend Seiten deutsche Einheit, die

wir keine neuen Schulden aufgenommen, einen Tilgungsplan

Schäuble (West) und Günther Krause (Ost) den deutsch-deutregeln sollten, wie aus zwei Staaten einer wird – Webfehler inklusive. Was dann folgte, war der beispiellose Umbau eines ganzen Staates, der Wirtschaft, der Gesellschaft insgesamt. Dem

schauten viele mit Erleichterung, Freude, aber auch Skepsis zu. Der Umbau vollzog sich nicht ohne Schwierigkeiten und Brüche –

in der Gesellschaft nicht und auch nicht für die einzelnen Men-

schen. Die deutsche Einheit hat das Leben jedes Einzelnen von uns grundlegend verändert; unsere Kinder wuchsen in eine neue Gesellschaft hinein.

Heute, nach 20 Jahren, sehen wir den Weg, den wir zurückgelegt

haben. Wir sehen, dass der Umbau ein Aufbau war. Vor wenigen

Tagen hat mir der Bürgermeister von Landsberg eine Broschüre zugeschickt, in der die städtebauliche Entwicklung seiner Ge-

nen Jahren, um sich darauf vorzubereiten. Drei Jahre lang haben

erarbeitet, Vorsorge für schwierige Zeiten getroffen. Wir passen das Personal der Landesverwaltung an die veränderten demo-

graphischen Bedingungen an. Wir haben die Verwaltung auch organisatorisch gestrafft und ihre Leistungsfähigkeit verbessert. Diese Maßnahmen sind kein Selbstzweck. Sie haben das Ziel, Spielräume zu gewinnen für den Abbau unserer Schulden

und Raum zu schaffen für die Aufgaben, die für die weitere Entwicklungen des Landes wichtig sind: Investitionen in Wirt-

schaft, Schule, Bildung, Forschung und Familie. Die Politik wird auch in Zukunft Schwerpunkte setzen können, aber dabei dür-

fen uns die Ausgaben und Schulden nicht die Luft zum Atmen nehmen.

meinde dokumentiert wurde. Fotos von 1990 wurden denen von

„Nicht nur der Osten, auch der Westen hat sich verändert.“

können wir in allen gesellschaftlichen Bereichen feststellen: in

Nicht nur der Osten, auch der Westen hat sich verändert, und

tur, in der Wirtschaft. Ich denke, in der Summe können wir mit

stellt, die durch die verschärfte Globalisierung und eine verän-

heute gegenüber gestellt. Diesen augenfälligen Unterschied Schule und Hochschule, im Gesundheitswesen, in der InfrastrukStolz auf das blicken, was geschafft und geschaffen wurde.

„...die Löhne dagegen liegen im Schnitt deutlich niedriger.“ Die Veränderungen dauern an, wir sind noch nicht am Ziel: Trotz bedeutender Fortschritte hat der Osten noch nicht zum Wes-

ten aufschließen können. Das Bruttoinlandsprodukt ist in 20

Jahren um 233 Prozent gestiegen, beträgt aber pro Einwohner erst 74 Prozent des Durchschnitts der alten Bundesländer. Noch

wir sehen uns heute gemeinsam vor Aufgaben und Risiken ge-

derte Rolle Deutschlands in Europa und der Welt entstanden sind. Dafür ist die Finanz- und Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre ein deutliches Beispiel.

Milliarden wurden in Bewegung gesetzt, um mit Rettungs-

schirmen und Konjunkturpaketen die Märkte zu stabilisieren

und Arbeitsplätze zu retten. Inzwischen sind aber auch Erfolge sichtbar: Die Wirtschaft des Landes hat sich stabilisiert, die Arbeitslosenzahlen sinken wieder.

immer ist die Arbeitslosigkeit erheblich höher als im Westen,

„20 Jahre danach“ sollten wir deshalb nicht nur das in der Ver-

Mit rund 20 Milliarden Euro Schulden gehört Sachsen-Anhalt

en, die Entwicklung vorantreiben und zukunftsfest machen.

die Löhne dagegen liegen im Schnitt deutlich niedriger. Und: pro Kopf zu den am stärksten verschuldeten Bundesländern.

Wir wollen das ändern, denn wir wollen 2019, drei Jahrzehnte

gangenheit Erreichte würdigen, wir müssen nach vorne schau-

Wir sollten Leitbilder entwickeln, wie wir in zehn, 20 Jahren

leben wollen und die Schritte definieren, dorthin zu gelangen.

nach der Wende, auf eigenen Füßen stehen. Wir müssen das

Dazu müssen wir auch unsere politischen Strukturen über-

wird es nicht geben.

heute ist absehbar, dass der Ballungsraum Halle/Leipzig immer

ändern, denn 2019 läuft der Solidarpakt II aus. Einen dritten

prüfen, ob sie der künftigen Entwicklung dienlich sind. Schon stärker zu einer Metropolregion zusammenwächst.


Visionen

Im weiteren Umfeld zu diesem Verdichtungszentrum

bieten Entwicklungsräume wie Dresden, Magdeburg, Er-

furt oder Chemnitz eigenständige Wachstumsbeiträge. Metropolregionen sind die Motoren der wirtschaftlichen

und sozialen Entwicklung. Sie bilden die Zentren der deut-

schen und – weiter gefasst – der europäischen Wirtschaft. Die Vernetzung und gemeinsame Entwicklung Mittel-

deutschlands hat sich in den vergangenen Jahren ver-

stärkt. Wirtschaft, Wissenschaft und Politik fordern und erfordern eine engere Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinweg.

„Am Ende werden wir zu einer Fusion kommen.“ Diese verstärkte Kooperation gilt es zu fördern und zu entwickeln. Angesichts dieser Tendenzen, angesichts

auch der gewachsenen Identitäten in Mitteldeutsch-

land plädiere ich für eine Perspektive auf mittlere Sicht. Am Ende werden wir über eine immer stärkere Koope-

ration zu einer Fusion unserer Bundesländer kommen. Da wird es Widerstände geben, Beharrlichkeiten, Beden-

ken gegen diese Zukunftsmusik, doch die Tendenzen sprechen für sich.

Und schließlich: Vor 20 Jahren gab es auch Bedenken gegen Zukunftsmusik. Heute ist diese Zukunft

Gegenwart. Wir sind auf halbem Wege. In zwanzig Jahren wollen wir ein paar Schritte weiter sein.

Jens Bullerjahn, Jahrgang 1962, ist Finanzminister

und stellvertretender Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt. Der gebürtige Hallen-

ser ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Der SPD-Politiker gehört dem Landtag seit 1990

an, war u.a. Parlamentarischer Geschäftsführer

und Fraktionsvorsitzender. Seine Partei hat ihn zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im März 2011 nominiert.

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Nahverkehr

Auf 1 435 Millimetern in Sachsen-Anhalt unterwegs Seit vier Jahren bedient die Elbe-Saale-Bahn ihr 400 Kilometer langes Streckennetz Von Sabrina Gorges Das große Logo auf den roten Triebwagen der Baureihe 642 ist

Seit dem 10. Dezember 2006 gleiten im Namen der Elbe-Saale-

weißen Buchstaben, und zwei zartblaue Striche symbolisieren

Sachsen-Anhalt und Teile Niedersachsens, 21 neue Doppelstock-

kaum zu übersehen. „Elbe Saale Bahn“ steht dort in großen

die beiden bekanntesten Flüsse zwischen Arendsee und Zeitz. Und als das sachsen-anhaltische Landeswappen und der Slogan „Wir stehen früher auf“ ins Auge des Betrachters geraten, steht

zweifelsfrei fest: Dieses Verkehrsunternehmen zeigt gern, wo es seine Wurzeln hat. Doch damit nicht genug, mit regionalen

Namen wie „Anhaltisches Theater Dessau“, „Schloss Bernburg“, „Naturpark Drömling“ oder „Zoo Magdeburg“ weisen die Triebwagen auf Sehenswürdigkeiten entlang der Strecke hin.

Bahn 27 modern ausgestattete Niederflurtriebwagen durch wagen sind bestellt. Auf 1 435 Millimeter Spurbreite verbinden die Züge des Bahnunternehmens nicht nur die Landstriche

Altmark, Börde und Anhalt miteinander, sondern sind auch für

weitere Verkehrsdienstleistungen in Sachsen-Anhalt zuständig. „Abstecher“ ins Nachbarland Niedersachsen sind gewollt und

ein Teil des umfangreichen Kundenservices. Das Streckennetz der Elbe-Saale-Bahn ist rund vier Jahre nach Inbetriebnahme fast 400 Kilometer lang. Bis vorerst 2018 befördert die Elbe-


Nahverkehr

Bei der Elbe-Saale-Bahn arbeiten 170 Lokführer. Rolf Wellnitz ist

einer davon. Für den 60-Jährigen ist der Beruf eine Berufung.

Hohe Konzentration hat im

Lokführerstand oberste Priorität. Schließlich geht es um die

Sicherheit der Reisenden.

Lokführer Rolf Wellnitz ist ein

Routinier und lässt sich durch

nichts ablenken.

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Nahverkehr

Saale-Bahn Touristen, Pendler oder Schulklassen auf

dem Altmark-Börde-Anhalt-Netz und erfüllt dabei ganz selbstverständlich die Forderungen nach Qualität, Sauberkeit, Fahrkomfort und Pünktlichkeit.

Verena Spiller leistet dazu jeden Tag einen entscheiden-

den Beitrag. Die 48-Jährige ist das, was man umgangs-

sprachlich gern als Zugbegleiterin bezeichnet. „Offiziell

bin ich aber Kundenbetreuerin“, meint sie stolz. „Aber das sagt ja keiner.“ Dabei ist das Begleiten von Zügen nur ein Teil ihrer Arbeit. Sie achtet beim Ein- und Aussteigen darauf, dass sich niemand verletzt, räumt leere Kaffee-

becher und Fast-food-Reste weg, verteilt Broschüren und gibt vergessene Sachen im Fundbüro ab. Die ausgebildete Fachkraft für Eisenbahntransporttechnik trägt

eine schicke Uniform und hat ihr rotes Tuch adrett um

den Hals geknotet. „Ich bin Service- und Dienstleister.“

32 Dienstjahre hat die quirlige Frau aus Wefensleben im Bördekreis schon hinter sich. Früher, zu DDR-Zeiten, hat

sie noch mit der Trillerpfeife und einer Kelle am Bahn-

steig gestanden und den Zug freigegeben. „Jetzt bin ich voll und ganz für die Reisenden da.“

Die Arbeit in der Kundenbetreuung der Elbe-Saale-Bahn ist im Schichtbetrieb geregelt. „Wir haben aber keine

klassischen Schichten“, erzählt Verena Spiller. „Jeder Tag

ist anders.“ Auf dem Dienstauftrag ist der Schichtbeginn an diesem Tag mit 13.16 Uhr vermerkt. Eine unrunde Zahl, ebenso wie das Dienstende um 20.44 Uhr. Bevor sie

um 13.27 Uhr in den Zug von Magdeburg nach Wolfsburg steigt, hat sie sich telefonisch in der Leitstelle zum Dienst

gemeldet und sich über die aktuellen Besonderheiten informiert. Zwei Mal wird sie laut Plan an diesem Tag von

Magdeburg nach Wolfsburg fahren, eine Lieblingsstrecke hat sie nicht. Dafür ist sicher, dass „Guten Tag, ihr Fahr-

schein bitte“ der meistgesagte Satz in Verena Spillers Berufsleben ist. „Hundert Mal sage ich das bestimmt am Tag“, schmunzelt sie. „Wenn das reicht.“

Mit Bestimmtheit und viel Freundlichkeit: Die Kontrolle der Fahrscheine gehört für

Kundenbetreuerin Verena Spiller von der Elbe-Saale-Bahn zum täglichen Geschäft.

Die Reaktionen der Reisenden auf die Anwesenheit der Kunden-

Züge der Elbe-Saale-Bahn per Videokamera überwacht werden

bare Zugeinheit ist zwar Routine, der Umgang mit den Men-

Lokführer wie Rolf Wellnitz, die voller Hingabe einen Zug steu-

betreuerin sind unterschiedlich. Der Gang durch die überschau-

schen dagegen nicht. „In Berufen wie meinem merkt man erst, wie viele verschiedene Charaktere es gibt“, sagt die 48-Jährige. Einige wollen plauschen, andere Auskünfte zum Fahrplan und

wiederum andere pöbeln und spuken. „Es spielt keine Rolle, ob es hell oder dunkel ist“, erklärt sie. „Wenn angetrunkene Fuß-

ballfans oder aggressive Jugendliche in den Zug steigen, ist Fingerspitzengefühl gefragt.“ Angst habe sie keine, auch weil alle

und vorn im Führerhaus ein Lokführer sitzt.

ern und jedem Menschen gern erzählen, dass es ihr Traumbe-

ruf ist. „Ich bin in Güsten direkt neben der Bahnlinie geboren und familiär vorbelastet“, sagt der 60-Jährige. „Auch mein Onkel

steuerte eine Lok.“ Er trägt eine Brille, ist ein gemütlicher Mann und mit Leib und Seele Lokführer. Einmal hat er sogar bei einer polizeilichen Routinekontrolle unabsichtlich seinen

Lokführerschein vorgezeigt – und für Erheiterung bei den


Nahverkehr

Rolf Wellnitz gehört zum Team von Wolfgang Möhring, dem 80 Lokführer unterstellt sind. „Ich bin einer von insge-

samt zwei Teamleitern“, sagt Möhring. Insgesamt gibt es bei der Elbe-Saale-Bahn 170 Lokführer. Wellnitz hat aktuell 20 Zulassungen für verschiedene Baureihen. Er darf Die-

sel- und E-Loks fahren und auch Steuerwagen bedienen. Auf den Schulterklappen seines Uniformjacketts hat er drei rote Streifen, die Kennzeichnung für einen Strecken-

lokführer. Da in seinem Unternehmen nur Diesel-Triebwagen im Einsatz sind, darf er maximal 120 Stundenkilome-

ter fahren. „Aber ich erreiche diese Geschwindigkeit nur

selten, weil wir an vielen Bahnhöfen anhalten“, sagt er. Am liebsten ist er im Landesnorden unterwegs. Doch Rolf Wellnitz hat keine Zeit, sich die schöne Landschaft anzu-

gucken. „Zur allgemeinen Sicherheit findet im Führerhaus die totale Überwachung statt“, schmunzelte der 60-Jährige.

Um die Aufmerksamkeit des Lokführers sicher zu stellen, muss er in regelmäßigen Abständen einen Fußtaster betätigen. Tauchen entlang der Strecke Signale oder Sonder-

zeichen auf, muss er per Wachsamkeitsschalter bestätigen, dass er sie gesehen hat. „Wenn das alles nicht passiert und

die Warnsignale nicht wirken, setzt in Null-Komma-Nix die

Zwangsbremsung bis zum Stillstand des Zuges ein.“ Ein Fahrtenschreiber zeichnet alle Tätigkeiten auf, Radio ist

nicht erlaubt und auch sonst ist höchste Konzentration ge-

boten. „Jeder Lokführer ist froh, einen Kundenbetreuer im

Zug zu haben“, versicherte Rolf Wellnitz. „Da weiß man die Kunden in guten Händen.“

An die Elbe-Saale-Bahn, auch kurz ESA genannt, wurden bereits bei der offiziellen Inbetriebnahme im Dezember

2006 große Erwartungen geknüpft. „Den Fahrgästen soll ein attraktives Angebot mit gutem Service und hoher

Zuverlässigkeit angeboten werden“, erklärte Landesverkehrsminister Dr. Karl-Heinz Daehre (CDU) damals. Im

Jahr 2004 wurde das Teilnetz Altmark-Börde-Anhalt von der landeseigenen Nahverkehrsservice Sachsen-Anhalt

Beamten gesorgt. Als gelernter Diesellokschlosser besuchte

GmbH ausgeschrieben. Die DB Regio beteiligte sich mit dem Ab-

„ganz solide Ausbildung“, wie er es nennt. Am 20. Dezember

sche Einordnung aber nicht mehr ganz passte, firmierte die Toch-

Wellnitz die Lokfahrschule Weißenfels und absolvierte eine

1974 war er erstmals allein als Lokführer unterwegs, die Ausbildung zum Schlosser begann bereits 1967. Im Laufe der Zeit

besuchte er immer wieder Lehrgänge, um sich mit Loks neuer

Baureihen vertraut zu machen. „Aber das war noch gar nichts“, winkt er ab. „Nach der Wende hat für uns die Zeit des Lernens erst richtig angefangen.“

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 03/10

leger Harzbahn daran und erhielt den Auftrag. Da die geografiter-gesellschaft seit der Betriebsaufnahme als „Elbe Saale Bahn

GmbH“. Heute ist sie mit dem Markennamen „Elbe Saale Bahn“

voll in die DB Regio AG eingegliedert. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Magdeburg und beschäftigt rund 600 Mitarbeiter. www.elbe-saale-bahn.de

35


Wir sind

Sachsen-Anhalt

„Hier lohnt es sich noch Fuß zu fassen, wenn man mutige Ideen hat und Verantwortung übernimmt.“ Jürgen Bendler (57) ist Geschäftsführer der SLM Schweißtechnische Lehranstalt Magdeburg gGmbH. Seit zwei

Eine Gemeinschaftsaktion von Sachsen-Anhalt-Magazin und radio SAW. www.sachsen-anhalt-magazin-verlag.de www.radiosaw.de www.wir-sind-sachsen-anhalt.de

Jahrzehnten lenkt und leitet der diplomierte Schweißfachingenieur die Geschicke dieses Tochterunternehmens der Handwerkskammer, in dem seither rund 22 000 Fachkräfte eine Ausbildung absolviert haben. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die SLM einen Ruf erarbeitet, der weit über die Grenzen Sachsen-Anhalts hinausreicht.


Energiewirtschaft

Ungewöhnliche Perspektive:

Geschäftsführer Helmut Herdt

in einem der vier modernen

Kanalsaug- und -spülfahrzeuge.

Nur eine von vielen Investitionen seit

der SWM Magdeburg-Gründung 1993. Früher stand den Kollegen nur ein

Fahrzeug für die Reinigung des rund 1000 Kilometer langen

Abwassernetzes zur Verfügung.

Mit Wind und Wasser gut versorgt in die Zukunft Die Städtischen Werke Magdeburg GmbH haben sich zu einem stabilen Versorgungsunternehmen entwickelt Von Sabine Tacke Auf einen runden Geburtstag können die knapp 700 Mitar-

Das war die Ausgangssituation. Heute sind die SWM Magde-

deburg) in diesem Jahr noch nicht anstoßen. Doch trotzdem ist

Gas und Wärme verkauft und für die Abwasserentsorgung

beiter der Städtischen Werke Magdeburg GmbH (SWM Magdas Unternehmen ein waschechtes Wendekind. Am 19. Mai 1993

aus der Taufe gehoben, mussten die Klippen des Umbruchs überwunden werden. Bei der Gründung standen sämtliche Versorgungssysteme vor dem Kollaps. Die Mechaniker waren eigentlich Krisenmanager.

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 03/10

burg ein leistungsfähiges Unternehmen, das Strom, Wasser, verantwortlich ist. 2009 lagen die Umsatzerlöse bei immer-

hin 398 Millionen Euro. Aber wie gesagt, der Weg dahin war steinig. „Wir haben in den zurückliegenden 17 Jahren rund

eine Milliarde Euro investiert“, rechnet Helmut Herdt, der Sprecher der Geschäftsführung, zusammen.

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Energiewirtschaft

Herdt hat den Wandlungsprozess der SWM Magdeburg von

Nachdem Herdt sich mit der Bearbeitung der Vermögensfragen

die Geschicke der Stadtwerke in die Hand. „Eigentlich war das so

Tisch. Magdeburgs damaliger Oberbürgermeister Willi Polte

Anfang an miterlebt. Und mitgestaltet. Im März 1993 nahm er gar nicht geplant“, gesteht er freimütig. Der Jurist aus Detmold war 1991 nach Magdeburg gekommen, um im Bereich „Offene

Vermögensfragen“ zu arbeiten. „Ein halbes Jahr wollte ich

bleiben. Damals konnte ich nicht ahnen, dass ich den wesentlichen Teil meines Lebens in Magdeburg verbringen sollte“, erinnert er sich.

auseinandergesetzt hatte, kam das Thema Stadtwerke auf den hat den Detmolder schließlich überredet, dies gemeinsam mit

den damaligen Partnern zu organisieren. „Das war schon eine Riesenherausforderung, aber spannend“, resümiert Helmut

Herdt. „Zunächst mussten wir aus den alten DDR-Betrieben ein

Ganzes machen. Da gab es viel Unruhe bei den Belegschaften. Nach der Ankündigung, dass die MAWAG (Magdeburger


Energiewirtschaft

Wasser- und Abwassergesellschaft) aufgelöst werden soll,

des Bereichs Kanalreinigung sind gewissermaßen die Herren

ten einfach Existenzangst.“

unterirdisches Abwassernetz umfasst. Zum Vergleich: Das ent-

sind die Mitarbeiter auf die Straße gegangen. Die Leute hat-

Daran kann sich auch Olaf Peine noch lebhaft erinnern: „Keiner

der Magdeburger Unterwelt, die ein 1 080 Kilometer langes spricht in etwa der Strecke zwischen Magdeburg und Venedig.

wusste, wie es weitergeht, ob er seinen Job behalten kann.“

„Ich habe von 1983 bis 1985 bei der damaligen MAWAG Instand-

Peine arbeitet heute im Kanalnetzbetrieb. Seit 27 Jahren ist das

werke überführt wurde, bin ich dabei geblieben. Heute bin ich

Viele sind bei den SWM Magdeburg wieder eingestellt worden.

unterirdische Labyrinth sein Metier. Er und seine 16 Kollegen

haltungsmechaniker gelernt. Als der Betrieb 1994 in die StadtObermonteur“, erzählt er stolz.

Er kennt noch die Tücken, die ihn und seine Kollegen zu DDR-

Zeiten geplagt hatten. „An eine systematische Reinigung der Kanäle war gar nicht zu denken. Wir haben seit 1993 fast 15 Jahre gebraucht, um sie in Ordnung zu bringen.“

Nicht nur das Abwassernetz war marode, ebenso die Stromund Wasserversorgung. Herdt blickt zurück in die Zeit des Neu-

anfangs: „Als erstes mussten wir einen Masterplan aufstellen

und erheblich investieren. Kein geringes Problem für einen gerade gegründeten Betrieb.“ Doch die Banken spielten mit. „Und

auch unsere damaligen Partner haben uns beim Aufbau sehr

unterstützt.“ Also konnte gebaut werden: Der Hauptsammler und das Hauptpumpwerk „Nord“ mit dem Elbtunnel für das Abwasser wurde 1998 eingeweiht. Im Jahr darauf folgte das neue

Klärwerk in Gerwisch, das mit seinen pastellfarbigen Faultür-

men ein Hingucker ist. Das Hauptpumpwerk am Cracauer An-

ger ist entstanden, das Umspannwerk Magdeburg-Süd wurde saniert, das Müllheizkraftwerk Rothensee startete 2005 seinen

Betrieb. Alle Ver- und Entsorgungsleitungen sind inzwischen auf dem technisch neuesten Stand.

Jetzt kümmern sich die rund 700 SWM-Mitarbeiter um die Zu-

kunft. Herdt: „Wir streben mit dem Windenergieanlagenbauer Enercon am Standort Magdeburg-Rothensee eine weitere Kooperation an. Sauberer Strom spielt für uns eine immer größere

Rolle.“ Die SWM Magdeburg bieten ihren Kunden „SWM Natur Sorgt für optimale

Reinigung: der Hoch-

druckschlauch am Handelshafen. Mit ihm arbeiten die Kanalnetzmonteure Siegmund Höding und

Roland Dammahs (v.l.).

Zwar läuft hier nicht alles ganz geruch- dafür aber

reibungslos. Das Wichtigste

für Helmut Herdt und Obermonteur Olaf Peine (rechts)

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 03/10

Strom“ an. Damit backt zum Beispiel die Stendaler Landbäckerei in ihren 18 Magdeburger Filialen ihre Brötchen.

Der Naturstrom besteht zu 90 Prozent aus Wasserkraft eines österreichischen Anbieters. Die restlichen zehn Prozent

kommen aber aus Magdeburg – als Windkraft von der Firma

Enercon. So schont der saubere Strom nicht nur die Umwelt, sondern stärkt auch noch die lokal ansässige Wirtschaft.

www.sw-magdeburg.de

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Forschung

Den Geheimnissen der Gase auf der Spur Sensoren im Keller können Hausbewohner rechtzeitig vor gefährlichen Gasen warnen Von Annette Schneider-Solis Im Labor von Dr. Detlef Lazik im halleschen Helmholtz-Zentrum

Dessen Geburtsstunde schlug vor knapp zwölf Jahren, hier in

aufbauten, an denen er derzeit tüftelt. Darunter ist ein durch-

ten Sachsen-Anhalter wohl gerade über die Reste ihres Weih-

für Umweltforschung (UFZ) stehen gleich mehrere Versuchssichtiger Behälter, gefüllt mit Rindenmulch und durchzogen von

Silikonschläuchen. Der Laie staunt, doch für Lazik ist das scheinbare Gewirr kein Grund, den Überblick zu verlieren. Über einen Schlauch lässt er Gas in den Behälter strömen. Und umgehend

erscheint auf dem Display des angeschlossenen Notebooks

ein Signal. „Was wir hier sehen, ist ein neuartiger Gassensor“, fasst er die Demonstration ganz nüchtern zusammen. Es klingt wenig spektakulär, aber die Entwicklung dieses Gassensors ist schon eine kleine Sensation.

Halle. In der Weihnachtszeit des Jahres 1998, als sich die meisnachtsbratens hermachten, feierte Detlef Lazik in seinem Labor

den Durchbruch. Der Geophysiker und Hydrogeologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung beschäftigte sich damals

mit grundlegenden Fragen zur direkten Gasinjektion – einem

neuen Verfahrensansatz zur Vor-Ort-Sanierung kontaminierter

Grundwässer. Ein häufig diskutierter Nachteil des Konzeptes war, dass keine geeigneten Methoden zur Messung der Gaskonzentration im Grundwasserleiter und damit für die Verfahrenssteuerung zur Verfügung standen.


Forschung

Verwirrend ist das

Kabelgewirr nur für den

Laien. Dem Experten hilft es, exakte Daten über die Ausbreitung von Gasen zu gewinnen.

Zeitgleich untersuchte Detlef Lazik die geochemische Entwick-

rung erwies sich für den vorhandenen Teflonschlauch als zu

Dafür wurden Säulen mit Kippensediment mit Grundwässern

die Versuchsergebnisse enorm.

lung von sauren Kippensedimenten aus Braunkohletagebauen.

durchströmt. Um die in der Kippe ablaufenden Prozesse mög-

klein. Schon die geringsten äußeren Einwirkungen verfälschten

lichst gut im Labor nachzubilden, musste der Eintrag von Sau-

Zwischen Weihnachten und Silvester war das UFZ-Gebäude in

te Lazik sehr gasdichte, dickwandige Teflonschläuche für die

lich zum Frostschutz, die Laborlüftung war abgeschaltet. Über

erstoff in den Versuchsaufbau minimiert werden. Deshalb setzZu- und Abführung der Wässer zu beziehungsweise von den

Säulen ein. Nach etwa zwei bis drei Wochen aber bildeten sich

bräunliche Beläge auf der Innenseite der Ablaufschläuche – ein Zeichen für ausfallendes Eisenhydroxid, aber auch ein Indiz für

Sauerstoff, der offensichtlich durch die massive Schlauchwandung dringen konnte.

„Die Gasdiffusion sollte im Inneren eines gasgefüllten Mem-

branschlauchs zu einer messbaren Volumenänderung führen, wenn Gase die Membran unterschiedlich schnell durchdrin-

gen“, schlussfolgerte Detlef Lazik. Doch diese Volumenände-

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 03/10

Halle menschenleer. Keine Türen klappten, die Heizung lief ledigmehrere Tage gelang das, was zuvor noch nie geglückt war: in

Abhängigkeit der Konzentration von Sauerstoff, dem Lazik Stick-

stoff in einem Gefäß zusetzte, fing er unterschiedliche Mengen an Gas aus dem Teflonschlauch auf, der in das Gefäß getaucht war. Damit war ein neues Messverfahren geboren.

Zu den wichtigsten Forschungsfeldern des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Halle gehören derzeit Stoffwechselpro-

zesse im Boden, bei denen Kohlendioxid (CO2) entsteht. Eine direkte Messung des Gases in einem repräsentativen Bodenausschnitt liefert wichtige Informationen zur Aktivität dieses

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Forschung

Stoffwechsels. Ein aktuell bedeutungsvolles Anwendungsgebiet

sieht Detlef Lazik im Sicherheitsmonitoring für die geologische

Speicherung von überschüssigem CO2, das bei verschiedenen technologischen Prozessen entsteht – etwa bei der Kohleverbrennung. CCS heißt das Verfahren, das für „Carbon Capture and Storage“ steht, also die Abscheidung von Kohlendioxid zum Beispiel

aus Rauchgasen und dessen Speicherung im tiefen geologischen Untergrund. Daran wird gegenwärtig weltweit geforscht.

Akzeptanzprobleme für diese aus globaler Sicht durchaus

interessante Technologie resultieren unter anderem daher, dass kostengünstige sensorische Konzepte zur rechtzeitigen

Detektion von eventuell aus dem unterirdischen Speicher aufsteigendem Kohlendioxid fehlen. Wichtig wäre die Detek-

tion von CCS-CO2 noch während es im Boden aufsteigt, also noch

bevor es die Atmosphäre erreicht. Das zentrale Problem hierbei: Wie unterscheidet man das CCS-Kohlendioxid von dem „normalen“ CO2, das infolge von Bodenatmung natürlich entsteht?

Während die Bodenatmung Sauerstoff, verwertbares organisches Substrat und Bodenfeuchte voraussetzt und bei höheren CO2-

Die Speicherung von Kohlendioxid ist ein potentielles Einsatzfeld für den Gassensor, den Detlef Lazik entwickelt hat.

Konzentrationen zum Erliegen kommt, kann sich entweichendes

Bereits der Wellensittich diente dem Bergmann als Gassensor.

„Aus vulkanischen Gebieten ist bekannt, dass sich Keller mit CO2

detektiert. Die Folgen sind mitunter dramatisch.“

CCS-CO2 unter bestimmten Bedingungen im Boden aufstauen. füllen, wenn der Abfluss von aufsteigendem vulkanischen Koh-

Doch bis in unsere Tage werden Gasaustritte in Gruben zu spät

lendioxid in die Atmosphäre durch Niederschläge blockiert wird.“

Der Einsatz der Sensoren ist in natürlichen Systemen, in Fest-

Zur Unterscheidung zwischen beiden Komponenten setzt man

Anlagensteuerung und -sicherheit, im Bergbau oder anderswo

hauptsächlich Isotopenmethoden ein. Berücksichtigt man die

Größe der zu überwachenden Flächen, könnten derartige Techniken extrem teuer werden. „Scheinbar unglaublich – aber den-

noch möglich: membranbasierte Gassensoren sollten zukünftig

auch die Unterscheidung beider Komponenten ermöglichen – permanent, im Boden, kostengünstig und unabhängig von

stoffen, Gewässern oder der Gasphase, zum Brandschutz, zur möglich. Dabei ist die Geometrie des Sensors an das Messpro-

blem anpassbar. Das heißt: für die Messung von Gasen in Seen oder in Biomasse können Sonden eingesetzt werden, auf Depo-

nien und Gasspeichern sowie in CCS-Anlagen auch Messnetze, entlang von Pipelines beispielsweise Liniensensoren.

Unterschieden in der isotopischen Signatur beider Gaskompo-

Seit der Entwicklung der ersten Ideen hat Detlef Lazik sei-

im Labor bestätigt“, berichtet Detlef Lazik. Bestätigen sich die

Ende ist nicht in Sicht. Damit andere die Forschungsergebnis-

nenten. „Unsere Theorie wurde durch die ersten Experimente Ergebnisse auch in Feldversuchen, wäre ein wichtiger Schritt zu mehr Sicherheit und Akzeptanz für CCS getan.

Die Sensorik besitzt weite Einsatzmöglichkeiten, wobei Gase wie

beispielsweise Kohlendioxid, Sauerstoff, Methan oder Schwefel-

wasserstoff nach ein und demselben Prinzip detektiert werden. Ein Gassensor im Keller würde den Hausbewohner rechtzeitig

vor gefährlichen Gasen oder der in Räumen vor Bränden war-

nen. „Winzer gehen nicht wegen der romantischen Stimmung mit der Kerze in den Keller. Bei der Vergärung von Wein entsteht CO2, das sich im Keller erheblich aufkonzentrieren kann.

ne sensorischen Konzepte ständig weiterentwickelt. Und ein

se schon jetzt nutzen können, ist eine Ausgründung vorberei-

tet worden, die mit Mitteln des Helmholtz-Enterprise-Fonds und durch das Exis-Programm des Bundeswirtschaftsministe-

riums unterstützt wird. „Nachdem die ersten Prototypen auf

Messen mit viel Erfolg vorgestellt wurden,“ berichtet Lazik stolz, „haben wir zum 1. September 2009 die „Membranbasierte Gas-

sensoren UG (haftungsbeschränkt) – MeGaSen“ gegründet. Unser Ziel ist, die Technologie in den kommenden Jahren zur Marktreife zu bringen und international zu vermarkten.“

www.halle.ufz.de


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Abfahren, anhalten, abfahren ... Unsere St채rke: Tag f체r Tag bewegen wir ein ganzes Land. www.starker-nahverkehr.de



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