Diplom

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dem Computer fallen. Dass das Gegenwirken-Opfer nicht der Zufall ausgewählt hat, sondern vielleicht ein spezieller Algorithmus, der bestimmte Verhaltensmuster als problematisch identifiziert hat, ist für sie nicht ersichtlich. Sie machen nur ihren Job und führen Befehle aus. Die softwaregestützte Durchregelung des Alltags, das Schwinden menschlichen Ermessensspielraumes zugunsten algorithmisch generierter Handlungsanweisungen findet sich überall. Die Sachbearbeiter in Unternehmen oder Ämtern führen oft nur aus, was ihnen „die Software“ vorgibt. Sich gegen die Vorgabe zu entscheiden ist aufwendig und anstrengend, muss gerechtfertigt werden. Callcenter-Mitarbeiter folgen einem vorgegebenen Skript auf dem Bildschirm. Je nach Anliegen und Reaktion des Kunden wird einer anderen Verzweigung des Szenarios gefolgt. Es ist effizienter und gerechter, oder?

Tax auf überflüssige Daten Man muss genau hinsehen. Die Algorithmen, Software und Parameter werden von Menschen gemacht – meist Berater, gemietet bei einem Consulting-Unternehmen. Entsandt, um Sparpotentiale zu realisieren, Prozesse stromlinienförmig zu machen und – ganz wichtig – mehr auswertbare Daten zu erzeugen. Vorschriften werden zu Software. Der Mensch wird wie ein Ding behandelt, als Bündel von Merkmalen und Kategorien. Was tun? Die Erkenntnis, dass wir zu digitalen Menschenprofilen werden, ist nicht selbstverständlich. Wir sind es gewohnt, als Indi-

viduen behandelt zu werden. Die gesellschaftliche Debatte um das Recht des Menschen auf seine Daten wurde zuletzt vor fünfundzwanzig Jahren geführt. Damals war vieles, was heute üblich ist, erst schemenhaft sichtbar, als Science-FictionVision oder in angsteinflößenden Interviews mit Horst Herold. Jetzt ist es an der Zeit, den Faden wiederaufzunehmen. Neue soziale Normen sollten einer Gemeinschaft nicht ohne Debatte aufgezwungen werden. Es bedarf konkreter Gegenwehr. Die Algorithmen müssen auf Datendünger-Diät gesetzt und vergiftet werden. Im Privaten hilft digitale Selbstverteidigung. Wir sollten alle davon ausgehen, dass jedweder Datensatz, den wir irgendwo angeben, gegen uns verwendet wird. Sei es im Rahmen einer unerwünschten Profilerstellung, sei es, wenn er beim nächsten Datenskandal verlorengeht. Es gibt keinen guten Grund, außer in sehr eng begrenzten Fällen, überhaupt korrekte Daten anzugeben. Noch wichtiger ist ein nachdrückliches Eingreifen des Gesetzgebers. Dem Erstellen massenweiser Lebensprofile aus Vorratsdatenspeicherung und privaten Dateien durch Behörden wird hoffentlich das Verfassungsgericht einen Riegel vorschieben. Es ist jedoch erforderlich, dass auch Unternehmen bestimmte Arten der Persönlichkeitsprofilierung untersagt werden. Um eine DatenschutzBalance wirksam zu erzwingen, ist die Einführung einer aktiven, regelmäßigen Mitteilungspflicht von Behörden und Unternehmen über die gespeicherten Daten an jeden einzelnen Betroffenen notwendig.

Wir nennen es den Datenbrief. Dabei müssen nicht nur die Rohdaten mitgeteilt werden, sondern auch alle abgeleiteten Informationen, eben die extrahierten Merkmale und Profile, inklusive der Möglichkeit, sofort die Löschung zu verlangen. Zudem bedarf es der persönlichen Haftung der Geschäftsführung für Datenverbrechen, sowohl bei illegaler Weitergabe und Verarbeitung als auch bei Sicherheitsschwankungen. Der Effekt wäre eine Art TobinTax auf überflüssige Daten. Es lohnt sich dann nur noch, Daten aufzuheben, die wirklich notwendig sind. Das zu erwartende Gejammer der Profiteure sollte im öffentlichen Interesse geflissentlich ignoriert werden. Der alte Einwand, dass die Unternehmen abwandern und die Daten im Ausland verarbeitet werden, ist nichts weiter als ein Hinweis an den Gesetzgeber, dem vorzubeugen sowie auf europäischer und auch internationaler Ebene harte Vereinbarungen nach dem deutschem Vorbild durchzusetzen. »«


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