MFG - Das Magazin / Ausgabe 51

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MFG URBAN

Zu Gast in ST. Islam Integration ist an sich ein komplexes Thema. Und seit neuerdings durchgeknallte Glaubensfanatiker von Österreich aus in den Heiligen Krieg ziehen, wird über politisch-radikalen Islam heißer diskutiert denn je. Rund acht Prozent der St. Pöltner Bevölkerung gehören zur muslimischen Glaubensgemeinschaft. Eine Bestandsaufnahme.

Ö

sterreichs Neutralität ging lange Jahre Hand in Hand mit einer konsequenten „Wurschtigkeit“. Ausländische Terror-Chefs blieben unbehelligt, so lange sie im Land nicht kriminell auffielen. Doch in den letzten Jahren ist die Welt komplizierter geworden, Grenzen bieten nicht mal mehr vermeintlichen Schutz. Und nach 9/11 erlebten auch europäische Metropolen wie London und Madrid die Verletzlichkeit öffentlicher Verkehrsmittel. Kein Wunder, dass es am Durchschnittsösterreicher nicht spurlos vorbeigeht, wenn junge Menschen die hiesigen Annehmlichkeiten gegen ein Leben als Gotteskrieger eintauschen. Junge Menschen, die jahrelang hier leben, zur Schule gehen und dann plötzlich radikal werden, ihre sieben Zwetschken packen und in den Heiligen Krieg ziehen? Unglaublich und dennoch berichtete der österreichische Verfassungsschutz im August von rund 130 Personen, die von Österreich aus in Kriegsgebiete gereist sind, um dort an religiös-motivierten Kriegen teilzunehmen. Doch wie kommt es dazu? Und wie ist die Lage in St. Pölten und Umgebung?

GASTGEBER. Und aufgeschlossene Gesprächspartner: „Was hattet ihr vor eurem Besuch erwartet, was wir hier so machen?“

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Keine Hinweise? Ernst Fürlinger leitet das „Zentrum für Religion und Globalisierung“ an der Donau-Universität Krems. Im August veröffentlichte er auf Basis empirischer Forschung ein Werk über die „Muslimische Vielfalt in Niederösterreich“. Dabei untersuchte er, wie sich die Muslime organisieren. „Der politische Islam manifestiert sich in St. Pölten – wie im übrigen Österreich auch – in Form sunnitischislamistischer Organisationen und Bewegungen primär mit türkischer Herkunft, die auch jeweils Moscheevereine aufbauen“, so Fürlinger. In St. Pölten dominiere die große Moschee des muslimischen Dachverbands „Islamische Föderation“. Fürlinger betont, wie wichtig es ist, diese etablierten Organisationen von den wirklichen Problemquellen zu unterscheiden. Gefahr gehe nämlich vielmehr von „den einzelnen Personen und Splittergruppen aus, die zu den radikalen, salafistischen Strömungen gehören und die an ihren rechten Rändern zur djihadistischen, gewaltbereiten Szene übergehen.“ Aber sind derartige Gruppierungen in St. Pölten auch aktiv? „Bei meiner Feldforschung bin ich auf keine Hinweise gestoßen, dass solche Kreise in St. Pölten existieren. Jedoch hat mich das Landeskriminalamt NÖ damals informiert, dass sich sehr wohl radikalisierte Personen im muslimischen Spektrum in Niederösterreich aufhalten. Im Unterschied zu Wien bilden diese Personen aber in Niederösterreich keine Gruppen oder Institutionen“, so der Experte. Eine weitere Expertin auf dem Gebiet ist die St. Pöltnerin Susanne Fuhs, Sozialarbeiterin bei „Nordrand

Mobile Jugendarbeit St. Pölten“. Ihr Team arbeitet mit Kindern, die meistens zwischen 13 und 15 Jahren alt sind. Wie der Name Streetwork vermuten lässt, treten die Sozialarbeiter dabei auf den Straßen mit den Kindern in Kontakt – und bauen so über die Zeit zu den Kindern eine Vertrauensbeziehung auf. „Wir gehen ein Stück des Weges miteinander, reden mit den Kids über ganz verschiedene Dinge. Im Laufe der Zeit entsteht dann eine Vertrauensbasis und sie rücken im Fall des Falles auch mit ernsten Anliegen raus“, beschreibt Fuhs ihre Arbeit. Bei den Mädchen handelt es sich meist um klassische Mädchen-Themen wie die erste Liebe oder Verhütung. Die Burschen thematisieren meistens das Männlichkeitsbild, wie muss ein Mann sein, welches Verhalten wird erwartet. „Da spielt die Religion gar nicht primär eine Rolle, es geht grundsätzlich um Werte, die werden von der Familie im Rahmen der Erziehung weitergegeben, quasi über die Religion ins Leben der Kinder weitergereicht“, so Fuhs. Nach Syrien gegangen? Die Arbeit mit den Kids läuft anonym, es ist ein großer Vertrauensbeweis, wenn sich Kinder mit Sorgen oder Problemen an die Sozialarbeiter wenden. Ob auch über radikalen Islam gesprochen wird? „Bei den Kids ist das kaum ein Thema, die kriegen das, wenn überhaupt, dann nur durch die Eltern mit, wenn eben über Politik gesprochen wird. Viele kennen zum Beispiel die Türkei nur als Land, wo man Urlaub macht und entfernte Verwandte trifft. Aber es kommt schon vor, dass Kinder andeuten, dass sie


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