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ZEITLÄUFTE

8. Oktober 2009 DIE ZEIT Nr. 42

Vor 60 Jahren erlaubte Stalin den ostdeutschen Kommunisten die Gründung der DDR

Fotos: bpk; ullstein (u.)

Die Republik der Partei VON WOLFGANG ZANK

DANK AN DEN GROSSEN BRUDER: Ostberliner Volkspolizei huldigt im Dezember 1949 dem sowjetischen Diktator

A

m 16. September 1949 flogen die drei höchsten Funktionäre der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), Otto Grotewohl, Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht, nach Moskau. Vornehmlich als Dolmetscher war auch Fred Oelßner, Mitglied des Kleinen Sekretariats des Politbüros, mit von der Partie. Am Tag zuvor hatte der Bundestag in Bonn Konrad Adenauer zum ersten Kanzler der Bundesrepublik gewählt, die westdeutsche Staatsgründung war damit nahezu abgeschlossen. Schon seit Längerem hatte die SED-Führung in Moskau darauf gedrängt, in der Sowjetischen Besatzungszone ebenfalls einen Staat zu gründen. Aber Diktator Josef Stalin zögerte sein Plazet hinaus. Stalins Deutschland-Politik war mehrdeutig. Zum einen sorgte er dafür, dass seine Gefolgsleute von der KPD beziehungsweise SED in Ostdeutschland de facto eine Diktatur aufbauten. Gleichzeitig torpedierte er alliierte gesamtdeutsche Lösungen, da diese die sowjetische Machtposition in der Ostzone schwächen oder gar eliminieren würden. Zum anderen behielt er ganz Deutschland im Blick und hatte gehofft, die geplante Staatsgründung West als »Spaltung Deutschlands« massenwirksam denunzieren und durch das Anfachen einer »nationalen« Volksbewegung vereiteln zu können. Als dies alles nicht funktionierte, ordnete er im Sommer 1948 die Blockade West-Berlins an, um die USA, Frankreich und England zur Aufgabe des Weststaat-Projektes zu zwingen. Die Erpressung scheiterte, die Bundesrepublik wurde Realität. Am Nachmittag des 17. September 1949 konferierten die vier SED-Funktionäre mit Lawrentij Berija, Georgij Malenkow, Wjatscheslaw Molotow und anderen sowjetischen Spitzenpolitikern. Stalin nahm an der Sitzung nicht teil. Abends wurden die deutschen Gäste, wie Pieck notierte, mit »Kino im Speisesaal« unterhalten. Am nächsten Tag erkrankte er schwer: »Rheumatische Rückenschmerzen durch Zugluft im Auto […]. Kreml-Klinik: Untersuchung – 190 Blutdruck […], zurück ins Quartier, dort Blutabnahme durch Blutegel […]. Gürtelrose – linke Seite.« Bis zum 26. September musste er in Moskau das Bett hüten. Wilhelm Pieck verkörperte den Typus des Veteranen der Arbeiterbewegung. 1895 war der Tischler der SPD, 1918 dann der KPD beigetreten und rasch aufgestiegen. Er profilierte sich als Parteibeamter, immer fleißig, immer loyal der gerade verordneten Linie. Im Moskauer Exil wurde er 1935 Vorsitzender der KPD und 1946, nach der Zwangsvereinigung der SPD in der Sowjetischen Besatzungszone mit der KPD, einer der beiden Vorsitzenden der SED.

Grotewohl und Pieck stehen vorn – die Fäden hat Ulbricht in der Hand Als formal gleichberechtigter zweiter Vorsitzender stand ihm Otto Grotewohl zur Seite. Zu sagen hatte der wenig. Der ehemalige Buchdrucker, der vor 1933 für die SPD im Reichstag gesessen hatte, im Freistaat Braunschweig Minister gewesen war und sich während der Nazi-Zeit als Kaufmann durchgeschlagen hatte, diente vor allem als Galionsfigur. Er sollte den Anschein erwecken, dass es sich bei der SED um eine echte Vereinigungspartei handelte. Grotewohl spielte diese Rolle gut und akzeptierte die Umwandlung der SED in eine stalinistische »Partei neuen Typus«. Im September 1949 war Pieck 73 Jahre alt. Längst hielt der 56-jährige Walter Ulbricht alle Fäden in der Hand. Wie Pieck war er Tischler von Beruf gewesen. Er genoss das Vertrauen Moskaus und galt als effektiver Organisator. Als Vorsitzender des Kleinen Sekretariats des Politbüros sortierte er alle wichtigen Entscheidungen vor und steuerte den Parteiapparat. Die SED-Politiker hatten zur Vorbereitung der Treffen einen Brief an den »lieben Genossen Stalin« sowie eine längere Vorlage verfasst. Danach sah es in

den westlichen Besatzungszonen gar nicht gut aus. Handschriftlich hatte Pieck darauf vermerkt: »Von Die Westmächte hätten dort Maßnahmen »zur Zer- M.« Also vermutlich Molotow oder Malenkow. reißung Deutschlands und zur Kolonisierung des Es war durchaus realistisch, den neuen Staat in nur ihnen unterstehenden Teiles Deutschlands ergriffen«. sechs Tagen zu gründen. In der Sowjetischen Zone In betrügerischer Weise erweckten sie den Anschein, existierte nämlich bereits eine zentrale Verwaltung, bei der westdeutschen Regierung handele es sich um vor allem in Gestalt der Deutschen Wirtschaftskomeine demokratische deutsche Einrichtung. »Die am mission (DWK). Diese Behörde mit ihren 24 Haupt14. August durchgeführten Wahlen für den sogenann- verwaltungen konnte die weitgehend verstaatlichte ten Bundestag zeigen, daß ihnen dieser Massenbetrug Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche auf dem gelungen ist.« In der Tat, die den Westmächten »hö- Verordnungswege steuern. Daneben gab es die Zenrigen« Parteien erhielten 92 Prozent. Die KPD konn- tralverwaltungen für Justiz, Volksbildung und Inneres, te gerade eben noch die Fünfprozenthürde nehmen. auch diese mit diktatorischen Kompetenzen ausgestatWas tun? Um den Kampf gegen die Westmächte tet. Organisatorisch bestand daher die Gründung der »zu verbreitern und zu vertiefen, ist der Vorschlag auf DDR vor allem im Anschrauben neuer Schilder an Schaffung der Nationalen Front entstanden, für den den Zentraladministrationen: Aus ihnen wurden Miwir die Anregung vom Genossen St.[alin] erhielten«. nisterien der Deutschen Demokratischen Republik. Darüber hinaus ergebe »sich jetzt die Notwendigkeit, Die Sowjetische Militäradministration in Deutschin der Sowjetischen Besatzungszone mit der Bildung land (SMAD) gab die Richtung vor, seit März 1949 einer deutschen Regierung vorzugehen«. Diese sollte stand sie unter dem Kommando des Stalingrad-Vete»möglichst kurzfristig« herbeigeführt werden, »damit ranen General Wassilij Tschuikow. Nach der Grünnicht vom Westen her oder auch aus dem reaktionären dung der DDR wurde aus der SMAD eine Sowjetische Flügel der bürgerlichen Parteien Störungsmanöver Kontrollkommission. An der Art und Weise des Umunternommen werden«. Innerhalb von sechs Tagen gangs mit deutschen Behörden änderte sich wenig. hoffte man die notwendigen Beschlüsse durchzuzieDemokratische Legitimation musste dem neuen hen. Wahlen waren vorerst nicht vorgesehen, denn Staat der Deutsche Volksrat liefern. Dabei handelte es »die gegenwärtige Lage ist nicht günstig für die Durch- sich um ein 330 Personen umfassendes Gremium, welches der Dritte Deutführung von Wahlen«. sche Volkskongress im Sie könnten »zu gegebener Mai 1949 gewählt hatte. Zeit« nachgeholt werden. Derartige Volkskongresse »Verbesserte Lebensmittelzuteilung und Versorgung – der erste trat im Novemmit Textilien und andeber 1947 zusammen – rem« würden sich bis dasollten den Protest gegen hin günstig auswirken. die »Spaltungs- und VerAuf jeden Fall müssten sklavungspolitik der Westaber die bürgerlichen Parmächte« bündeln. teien »für die Aufstellung Der Dritte Volkskongress von Einheitslisten« gewonwar am 15. und 16. Mai nen werden. 1949 von der Bevölkerung Die SED-Funktionäre der Ostzone »gewählt« hatten allerdings auch eiworden. Jeder Stimmzettel OTTO GROTEWOHL (L.) UND WILHELM PIECK nige Wünsche an Moskau enthielt die Kandidatenim Oktober 1949 in Ost-Berlin liste sowie den folgenden aufgeschrieben, vor allem hofften sie auf wirtschaftText: »Ich bin für die Einliche Erleichterungen. Allzu deutlich hinkte der Le- heit Deutschlands und einen gerechten Friedensverbensstandard im Osten hinterher. Ein anderer wich- trag. Ich stimme darum für die nachstehende Kantiger Punkt waren die »Straflager«. 1949 gab es noch didatenliste zum Dritten Deutschen Volkskongress.« zehn sowjetische »Speziallager«, darunter die ehema- Im Gegensatz zu späteren DDR-Wahlen, bei denen ligen NS-KZs Buchenwald und Sachsenhausen. In ausweislich des amtlichen Endergebnisses derartige den Lagern saßen schätzungsweise noch rund hun- Einheitslisten immer um die 99 Prozent bekamen, derttausend Menschen ein, ehemalige Nazis, aber waren es im Mai 1949 nur 66 Prozent. Im Volkskongress und im daraus hervorgegangeauch viele sozialdemokratische SED-Gegner, Großbauern oder junge Leute, die bei Kundgebungen nen Volksrat hatte sich die SED scheinbar mit einer »gestört«, das heißt protestiert hatten. Etwa ein Drit- Minderheitsposition zufriedengegeben. Allerdings tel der Lagerinsassen starb aufgrund der oft barbari- waren auch die Massenorganisationen wie die Freie schen Haftbedingungen. Die Menschen waren im Deutsche Jugend (FDJ) oder der Freie Deutsche GeÜbrigen ohne Gerichtsurteil eingesperrt, verurteilte werkschaftsbund (FDGB) dabei: Für die FDJ saß Personen saßen in anderen Lagern oder Gefängnissen; unter anderem deren Vorsitzender Erich Honecker im Volksrat, wie FDGB-Chef Herbert Warnke ein die Speziallager waren also keineswegs »Straflager«. Das alles wirkte natürlich verheerend auf den Ruf verlässlicher Mann der Partei. Außerdem sorgte die der SED. Ihre Chefs schlugen daher in Moskau die SED schon 1948 für die Bildung von zwei neuen Auflösung der Lager vor. Auch baten sie darum, bis Parteien, die ebenfalls im Volksrat vertreten waren. Ende 1949 alle Kriegsgefangenen zu entlassen – eben- Eine National-Demokratische Partei Deutschlands falls ein Thema, das viele Familien schwer belastete. sollte als Auffangbecken für ehemalige WehrmachtAm 27. September, nach Piecks Genesung, gaben angehörige und nominelle Nazis dienen, während die die Sowjetführer auf einer zweiten Sitzung grünes Demokratische Bauernpartei Deutschlands auf dem Licht. Die Wünsche der Deutschen wurden erfüllt, Lande zu wirken hatte. Die Vorsitzenden Lothar Bolz die Straflager aufgelöst und die Kriegsgefangenen und Ernst Goldenbaum waren alte KPD-Kämpen freigelassen – »mit Ausnahme der von Militärge- und führten ihre Vereine treu im Schlepptau der SED. richten Verurteilten«. Derartige »Verurteilungen« Mithilfe dieser Parteien und der Massenorganisatiowaren zu Tausenden erfolgt, in Prozessen von zwan- nen verfügte die SED über eine solide Mehrheit. zigminütiger Dauer ohne Verteidiger. Die SowjetJetzt musste die SED nur noch mit der CDU und union konnte so die Arbeitskraft der Männer noch der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands bis 1955 für den Wiederaufbau des im Krieg von den (LDPD) verhandeln, die ebenfalls im Volksrat vertreten waren. Doch das ging flott. Man murrte zwar, Deutschen verwüsteten Landes ausbeuten. Am folgenden Tag flogen die Berliner zurück. In weil die Landtags- und Kommunalwahlen verschoben Piecks Gepäck lag eine lange Liste, welche die Staats- worden waren und es vorerst auch keine Wahlen zu gründung und Regierungsbildung detailliert regelte. einem DDR-Parlament geben sollte. Aber man zeigte

sich fügsam. Erneut galt das Argument, durch Mitmachen lasse sich Schlimmeres verhüten. Auch wirkte die Aussicht auf Ministersessel verführerisch. CDU-Vorsitzender war Otto Nuschke, vor 1933 Journalist, Mitglied des Preußischen Landtages und Hauptgeschäftsführer der Deutschen Staatspartei, des letzten Versuches einer bürgerlich-demokratischen Sammlung. Während des »Dritten Reiches« hatte man ihn mehrmals verhaftet. Doch 1949 war seine Widerstandskraft verbraucht. In den parteiinternen Auseinandersetzungen beruhigte Nuschke seine Freunde, die Verschiebung der Wahlen sei »nur von temporärer Bedeutung«. Auch hoffte er, durch die Gründung der DDR könne man der »DWK-Diktatur« entrinnen.

Erich Honecker verliest ein »Gelöbnis der deutschen Jugend« Immerhin legte die SED-Führung einen Termin für die Landtags-, Kommunal- und Volkskammerwahlen fest: 15. Oktober 1950. Sie fanden dann in der Tat ein Jahr nach der Republikgründung statt. Mit einer Einheitsliste. Wie der ehemalige Komintern-Inspekteur Gerhart Eisler schon am 4. Oktober 1949 auf einer Tagung des Parteivorstandes bemerkt hatte: »Als Marxisten müssen wir wissen: Wenn wir eine Regierung gründen, geben wir sie niemals wieder auf, weder durch Wahlen noch andere Methoden.« Ulbricht fügte hinzu: »Das haben einige noch nicht verstanden!« Der 7. Oktober 1949 wird schließlich zum offiziellen Gründungstag der Deutschen Demokratischen Republik. Um 12.44 Uhr eröffnet Pieck die 9. Tagung des Deutschen Volksrates im Festsaal des DWK-Gebäudes (vormals NS-Luftfahrtministerium und heute Sitz des Finanzministers). Punkt 1 der Tagesordnung: »Manifest der Nationalen Front des demokratischen Deutschlands«. Stalins Idee, alle Parteien in einer »Nationalen Front« zusammenzufassen, wird damit Genüge getan. Das Manifest fordert unter anderem: »Wiederherstellung der politischen und wirtschaftlichen Einheit Deutschlands durch: Beseitigung der Konstruktion des westdeutschen Staates […], Errichtung einer gesamtdeutschen Regierung der Deutschen Demokratischen Republik.« So versucht man zu suggerieren, die DDR sei kein Separatstaat, sondern der Kern eines neuen Deutschlands. Gleich anschließend konstituiert sich der Volksrat als Provisorische Volkskammer. Pieck eröffnet auch diese Sitzung, lässt aber Johannes Dieckmann von der LDPD zum Vorsitzenden wählen. Die Volkskammer absolviert ein beachtliches Pensum: Gesetz über die Provisorische Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, Gesetz über die Bildung einer Provisorischen Länderkammer – in formaler Analogie zum westdeutschen Bundesrat –, Gesetz über die Verfassung. Der Verfassungsentwurf ist den Abgeordneten seit Längerem bekannt, der Dritte Volkskongress hat ihn am 30. Mai bestätigt. Nun tritt er in Kraft. Teilweise geht es allerdings zu schnell. Als Dieckmann das Gesetz zur Länderkammer aufruft, kommentiert er: »Auch dieses Gesetz ist als Drucksache Nr. 3 zum Teil in den Händen der Mitglieder des Hauses.« Daraufhin ertönen »Lebhafte Zurufe: Nein, überhaupt nicht!«. Dieckmann erläutert, es handele sich um einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen, und verliest dessen fünf Artikel. Dann lässt er abstimmen und erklärt: »Auch dieses Gesetz hat einstimmige Annahme gefunden. (Beifall.)« Am 11. Oktober wird Pieck in einer gemeinsamen Sitzung von Volkskammer und Länderkammer zum ersten Präsidenten der DDR gewählt, einstimmig, versteht sich. Für den Abend haben Partei und FDJ zu großen Demonstrationen aufgerufen. Die Tägliche Rundschau, das deutschsprachige Organ der sowjetischen Besatzungsmacht, berichtet am nächsten Tag: »Bald vor Beginn der Kundgebung auf dem AugustBebel-Platz waren alle Straßen von unübersehbaren Menschenmassen überfüllt […]. Stürmischer Jubel

brauste auf, als der neue Staatspräsident, der alte, verdiente Arbeiterführer, an dem mit Feldblumen geschmücktem Rednerpult erschien und den hunderttausendstimmigen Chor ›Es lebe der Präsident unserer demokratischen Republik!‹ mit einem glücklichen Schwenken der Hand beantwortete.« Zuletzt dann der große Auftritt des FDJ-Vorsitzenden Erich Honecker: Zu einem Fackelzug hat er Zehntausende Jugendliche aus der ganzen DDR heranfahren lassen. Der immerhin schon 37-jährige Honecker verliest ein »Gelöbnis der deutschen Jugend« und verspricht der DDR die Treue. Otto Grotewohl wird Ministerpräsident und darf am 12. Oktober seine Regierung vorstellen. Ulbricht, Nuschke und der LDPD-Vorsitzende Hermann Kastner werden »gleichberechtigte Stellvertreter«. Allerdings ist Ulbricht gleichberechtigter: Sein Kleines Sekretariat des Politbüros erlässt am 17. Oktober die entscheidenden Richtlinien. Ihnen zufolge müssen »Gesetze und Verordnungen von Bedeutung« sowie Regierungsbeschlüsse vor ihrer Verabschiedung dem Politbüro beziehungsweise Ulbrichts Kleinem Sekretariat »zur Beschlußfassung« vorgelegt werden. Ein Ministerium für Staatssicherheit existiert noch nicht. Allerdings besteht in der Deutschen Verwaltung des Inneren eine entsprechende Hauptverwaltung zum Schutze des Volkseigentums unter Erich Mielke, dem späteren langjährigen Stasi-Chef. Für die geheime Aufrüstung ist Wilhelm Zaisser (1950 erster Stasi-Minister) zuständig. In der Gründungsstunde der DDR gibt es bereits paramilitärische »Bereitschaften der Volkspolizei«, Lehrgänge für kommende Offiziere und Unteroffiziere laufen an. Noch zögert die sowjetische Führung jedoch, Deutschen erneut schwere Waffen an die Hand zu geben.

So schnell die DDR entstanden ist, so schnell kollabiert sie Vier Jahrzehnte später, im Oktober 1989, ordnete Honecker, 1971 zum SED-Chef aufgestiegen, pompöse Feierlichkeiten zum vierzigjährigen Jubiläum der DDR an. Doch ausgerechnet sie wurden der Katalysator des Protestes, verschafften der Opposition den Durchbruch zur Massenbewegung – und läuteten den Untergang des SED-Regimes ein. Es war das Ende einer Diktatur auf tönernen Füßen. Nur durch massive Repression konnte die DDR aufgebaut werden. Nur sowjetische Panzer vermochten im Juni 1953 das SED-Regime an der Macht zu halten, und nur durch die Mauer in Berlin und einen Todesstreifen quer durch Deutschland ließ sich später die »Republikflucht« eindämmen. Die Hoffnung der SED, sich über ökonomische Erfolge Loyalität erkaufen zu können, erwies sich als illusorisch. Das starre Wirtschaftssystem produzierte bürokratischen Leerlauf, Lethargie und Materialverschwendung und blieb in veralteten Produktionsmethoden stecken. Ulbricht versuchte sich in den sechziger Jahren mit ökonomischen Reformen. Aber wie in den anderen Ländern des sowjetischen Blocks zeigte sich, dass dieses System nur konserviert oder abgeschafft werden konnte. Als dann im Herbst 1989 die Moskauer Führung unter Michail Gorbatschow es ablehnt, den »Arbeiter-und-Bauern-Staat« weiterhin militärisch zu stabilisieren, ist es mit der DDR vorbei. Sie fällt genauso schnell in sich zusammen, wie sie genau vierzig Jahre zuvor gegründet worden war.

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