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MEINUNG

8. Oktober 2009 DIE ZEIT Nr. 42

Fotos: Cinetext Bildarchiv (Sequenz mit Sam Neill aus »Jurassic Park III«, USA 2001, Regie: Joe Johnston); privat (u.)

DAMALS: 22.6.2001

Mittenmang Mit solch zarten Menschlein hätten die Monster wohl gern schon früher gespielt, und manches Männchen dabei auch gleich verspeist. Aber auf ein derart prächtiges Exemplar wie Sam Neill mussten die bissigen Velociraptoren reichlich achtzig Millionen Jahre lang warten, bis ihnen Hollywood endlich den Paläontologen Dr. Alan Grant vor die Zahnleiste schob. Das Bild, das wir dem Epos Jurassic Park III entnehmen, zeigt den momentan leicht verunsicherten Forscher in Gesellschaft dreier Fleischfresser, die auf Herkunft und Verdienste des Wissenschaftlers offenbar wenig Rücksicht zu nehmen bereit sind. So ist das im Dschungel, wäre der Betrachter geneigt zu sagen, fressen oder gefressen werden, wüsste der Zuschauer nicht zuverlässig, dass demnächst hinter dem nächsten Busch ein Held hervortreten wird, im Arm eine sehr blonde Frau, und den Bedrängten heraushauen wird. Wohl der Welt, die noch solche Retter kennt. WFG

Was sucht Hamlet am Hindukusch? Thea Dorns Polemik wider die Kritiker des deutschen Afghanistaneinsatzes ist töricht und falsch

Wenn Intellektuelle sich moralisch aufblasen und der, die »ein bisschen Frieden, ein bisschen ihre Mitmenschen belehren, bekommt man leicht Sonne, ein bisschen Liebe« wollten, sind töLust, den geistigen Heißluftballon mit der Nadel richt und stumpf. Sie ergänzen die Imponierzu pieksen. Die Autorin Thea Dorn hat sich in beschwörung von Hamlet, Sokrates und Jesus ihrem am 17. September 2009 in der ZEIT er- um den unfairen Tritt ans Schienbein. schienenen Artikel Vulgärpazifismus dieser Übung Thea Dorn scheint sich nicht vorstellen zu unterziehen wollen. Ihr Aufsatz geißelt Kultur- können, dass unter denen, die sie »Vulgärpazischaffende, die von der Bundesregierung den ra- fisten« nennt, genügend Erwachsene sind, deschestmöglichen Abzug aller in Afghanistan statio- nen es nie einfallen würde, sich mit dem Heilinierten deutschen Truppen fordern. Frau Dorn genschein des Gewaltverzichts zu schmücken. hält diesem Personenkreis, zu dem auch ich zähle, Die Gründe, die zumindest mich, vermutlich grimmig vor, es fehle da an Bereitschaft, für die auch einige andere unter denen, die sie anbetreffenden Ansichten Konsequenzen in Kauf zu greift, zu der Stellungnahme bewogen haben, nehmen. die sie uns verübelt, sind eben nicht moralisch, Als leuchtende Vorbilder empfiehlt sie uns Leute, sondern politisch, historisch, faktisch. Ich zahle die sie »Galionsfiguren« des »ernst gemeinten Pazi- in Deutschland Steuern und darf hier wählen fismus« nennt. Shakespeares Prinz Hamlet beispiels- gehen. Das ermächtigt mich dazu, mich für die weise, so erklärt sie, habe sich vor lauter Gewissens- Taten und Unterlassungen der Regierung diequal zwischen Sein oder Nichtsein nur schwer ent- ses Staates nicht nur unter biblischen, sokratischeiden können, anders als wir leichtfertigen Un- schen oder shakespeareschen Gesichtspunkten terzeichner des Abzugsaufrufs. Sokrates habe den zu interessieren. Giftbecher ausgetrunken; Jesus sei gemäß seinem Frau Dorn schreibt von zweifelsohne bewunGrundsatz gestorben, beim Geschlagenwerden die derungswürdigen Menschen, die in Afghanistan andere Wange hinzuhalten. Wir dagegen seien Figu- »für Bildung und Zivilgesellschaft kämpfen«, und ren, die »in Berlin, Köln oder am Bodensee« ihren davon, dass diese Leute ohne militärischen Schutz »Rotwein auch weiterhin in Ruhe genießen« möch- den Taliban ausgeliefert wären. Hat das Weltbild ten, wir hielten die Freiheit für »kostenlos«, es sei aber dieser Autorin Platz für Antiquitäten wie Völkeran der Zeit, »die Kinderdisco zu verlassen«. recht und souveräne Staaten? Ob irgendwo eine Die kleine Bußpredigt stellt sich bei nüchterner Armee einmarschiert, entscheiden nicht Hilfsorganisationen, sondern RegieBetrachtung als Musterbeispiel rungen. Der Sowjetunion hat ebenjenes hochtrabenden und kenntnisarmen Geredes heraus, das man ihr aggressives militärisches die Verfasserin aufs Korn nehmen Vorgehen in Afghanistan von wollte. Schon die Bildungsbrocken 1979 an empört vorgehalten. Die in ihrem Text verfehlen allesamt prosowjetische afghanische Redas Thema. Dass die Theatergestalt gierung, die gegen diesen EinHamlet sich erst spät dazu durchmarsch nicht laut wurde, war aber ringen kann, den ermordeten Vater wenigstens schon installiert, als zu rächen, hat mit Fragen der DIETMAR DATH lebt als die Rote Armee loszog. Der WesRechtmäßigkeit von Kampfeinsät- Schriftsteller in Freiburg ten dagegen hat seine (nicht überzen der Armee einer Demokratie und Frankfurt. Zuletzt trieben zuverlässigen) afghanichts tun – genauso wenig wie die erschien sein Roman nischen Freunde erst an die Hinrichtung des Sokrates, der »Sämmtliche Gedichte« Macht bringen müssen und hält nicht wegen Pazifismus, sondern sie jetzt mit Mühe dort. wegen Verführung der Jugend verWarum muss die Bundesurteilt wurde (und dessen Mut zum Tode statt von wehr Bildung und Zivilgesellschaft austiefer Friedfertigkeit eher von einem Ehrbegriff gerechnet in Afghanistan verteidigen und zehrte, den er mit jedem Krieger teilt, der nach nicht in Nordkorea? Wenn die Taliban eine verlorener Schlacht den Selbstmord wählt). Wenn bewaffnete Reise wert sind, warum geht man Frau Dorn die Ernsthaftigkeit politischen Den- dann gegen mörderische Schwulenhasser, kens überdies ernstlich daran messen will, inwie- Frauenschinder und Handabhacker nicht weit jenes den Vergleich mit Lehre und Lebensweg auch in Iran, Indonesien oder im Sudan vor? von Jesus Christus aushält, dann ist der Begriff Die vernünftige Antwort auf diese rhetori»Gesinnungsethik« für ihre Messlatte eine schwere schen Fragen, von denen der Himmel verUntertreibung. hüten möge, dass sie je mit »ja warum eiDenkt man diesen salbungsvollen Unfug gentlich nicht?« beantwortet werden, ist simweiter, so dürfen nur noch Vegetarier Tierquä- pel: Dass westliche Soldaten in Afghanistan lern in den Arm fallen, und wer von der Polizei herumlaufen, verdankt sich keineswegs der verlangt, sie solle Neonazis am Begehen von glühenden Liebe des Westens zu den MenStraftaten hindern, muss die Seriosität des An- schenrechten, sondern dem sogenannten liegens wohl damit beweisen, dass er sich vor die »Krieg gegen den Terror«. Wer das ausblenSpringerstiefel der Burschen wirft. Die Vorstel- det, redet unhistorisch und pflegt eine unlung, Kritik müsse durch physische Opferbereit- geschickte Opportunitätslogik: »Jetzt sind schaft beglaubigt werden, gehört in eine lange wir schon dort, da können wir auch einen und üble romantische deutsche Tradition von hübscheren Grund dafür suchen als die ProGewaltmystik, der die brachiale Tat grundsätz- paganda des peinlichen George W. Bush, den lich mehr gilt als das überlegte Wort. Das Miss- wir schnell vergessen wollen.« trauen gegen Kopfmenschen, die nicht gedient Nicht für hohe Ideale, sondern für statthaben und immer nur gescheit daherreden, die gehabte Entscheidungen globaler Machtpolitik Sozialneidphrase, die sich gegen ein sachliches hält heute jeder westliche Soldat, der in AfghaArgument darauf beruft, dessen Urheber trinke nistan stationiert ist, den Kopf hin. Die Entgern Rotwein, und schließlich die Burschikosi- scheidungselite der »Berliner Republik« will bei tät, die Pazifisten anfährt, sie seien kleine Kin- derlei nicht außen vor bleiben, aus strategi-

schen, prestigegebundenen, ökonomischen und sonstigen Erwägungen. Diese werden von einer angemaßten deutschen Verantwortung für das blutige Chaos, das der Weltkonflikt zwischen der Sowjetunion und dem Westen in Afghanistan hinterlassen hat, mehr verschleiert als erhellt. In Frankreich oder Großbritannien weiß jede Provinzredaktion, dass es nicht die Aufgabe politischer Publizistik ist, sich den Kopf der Kommandierenden zu zerbrechen. Die moderne Gesellschaft ist arbeitsteilig: Soldaten kämpfen; Intellektuelle kritisieren. Die Köpfe, die Frau Dorn attackiert, tun, was ihr Recht ist: Sie bestehen darauf, dass es für die Bundeswehr kein anderes Mandat geben soll als das der Landesverteidigung. Öffentliche Forderungen müssen nicht so for-

VON DIETMAR DATH

muliert sein, dass die Nöte der Machthaber mit einberechnet sind. Ich muss keine Eier legen können, um zu riechen, ob eins faul ist. Hat Frau Dorn wenigstens den Hamlet gelesen, aus dem sie zitiert? Am Ende stirbt der Held, nachdem zuvor seine Liebste, sein Vater, seine Mutter und sein Stiefvater das Zeitliche segnen mussten. Zum Schluss sind alle tot: Wenn Thea Dorn ausgerechnet dieses Drama als Gleichnis für die möglichen Resultate bundesdeutscher Auslandseinsätze wählt und dabei empfiehlt, sich wie der Dänenprinz zu verhalten, der mit seiner Grübelei ein Massensterben verursacht, weil er es sich schwerer macht als wir infantilen Neinsager, dann hat sie damit das ärgste Eigentor geschossen, das ihr als Polemikerin passieren konnte.

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WIDERSPRUCH

Kein Rot, nix Grün CDU und FDP wissen zu wenig von Solidarität VON WERNER BOHN »In Schwarz-Gelb steckt viel Rot-Grün,« meint Bernd Ulrich in seinem Artikel Ein komisches Gefühl (ZEIT Nr. 41/09). Und »die gesamte rot-grüne Modernisierung« sei »unumkehrbar geworden«. Das hoffen vielleicht jetzt viele, die über das Wahlergebnis vom 27. September erschrocken sind. Alles gar nicht so schlimm mit Merkel und Westerwelle? Denkste! Grün sind natürlich inzwischen alle, von ganz links bis rechts außen. Umweltschützer. Erdenretter. Klimaschoner. Theoretisch. Doch selbst die eingetragenen Grünen leben schon lange nicht mehr das, was sie predigen. Sie genießen den Wohlstand mit Waren aus aller Welt, gut geheizten Spieleparadiesen für ihre Kinder und Flugreisen auf die Kanaren – anders als ihre Gründungsmütter und -väter, die noch hutzelige Kartoffeln zogen und bei Parteitagen Socken strickten. Sie verteidigen ihre Steuerprivilegien für Windkraft und Solarzellen, obwohl dies die Arbeitslosen über die Stromrechnung finanzieren müssen. Rot sind inzwischen auch alle. Für Gerechtigkeit. Für die armen Leute in aller Welt und auch bei uns. Theoretisch. Doch als lange Zeit aktiver Genosse erlebe ich die Entfremdung der Funktionäre von der Basis in den Ortsvereinen, das argwöhnische Verteidigen von Privilegien, die Zigarren und die dicken Autos. Solches Grün und solches Rot sind tatsächlich Allgemeingut. Doch der tiefere Inhalt der sozialdemokratischen Idee, soziale Gerechtigkeit, und der ursprüngliche Beweggrund der grünen Abspalter von der SPD, die Erhaltung der Schöpfung, sehe ich nicht bei Schwarz-Gelb. Da liest man vielmehr von Wirtschaftswachstum – solches ist nur mit Ausbeutung der Erde und der Menschen möglich. Da hört man viel von der Freiheit des Einzelnen und der Arbeit, die sich wieder lohnen soll – solches geht immer auf Kosten der Schwachen. Wenn das Individuum wichtiger wird als die Gesellschaft, wenn die Spaltung der Gesellschaft immer weiter fortschreitet, dann habe ich nicht nur ein »komisches Gefühl«, sondern ziemlich übles Bauchweh. Werner Bohn ist Sozialdemokrat in Bad Sobernheim Jede Woche erscheint an dieser Stelle ein »Widerspruch« gegen einen Artikel aus dem politischen Ressort der ZEIT, verfasst von einem Redakteur, einem Politiker – oder einem ZEIT-Leser. Wer widersprechen will, schickt seine Replik (maximal 2000 Zeichen) an widerspruch@zeit.de Die Redaktion behält sich Auswahl und Kürzungen vor


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