Letzebuerger Land 07 du 17.02.2023

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Ultimatum Des désaccords dans la direction de la Maison du Grand-Duc jettent le trouble sur la gouvernabilité de l’institution. À quelques mois des élections, Xavier Bettel pose ses conditions

Sinn und Zweck der Armee Land-Gespräch mit Patrick Fautsch, der an den 2017 beschlossenen verteidigungspolitischen Leitlinien mitarbeitete

„D’Spill vun der Patronatssäit bedreiwen“ Bis Ende 2024 muss Luxemburg die EU-Richtlinie über Mindestlöhne umsetzen. Sie beinhaltet, dass die tarifvertragliche Abdeckung auf 80 Prozent erhöht werden soll. Davon ist Luxemburg noch weit entfernt

Homeoffice statt Backstube Baguettes und Vollkornbrot sind Kulturgut. Trotzdem sind zwei von drei Bäckereien auf Personalsuche

Le son et l’image Rencontre avec Adriano Lopes Da Silva et Steven Cruz, deux jeunes artistes, reflets d’une génération qui affirme son identité queer et n’a pas peur du succès

Den Sprung schaffen Wenig Menschen finden den Weg aus den Beschäftigungsinitiativen zurück auf den ersten Arbeitsmarkt. Ein Besuch im Süden des Landes

Foto: Sven Becker

Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft und Kultur

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70. Jahrgang 17.02.2023 ­

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Im Escher Geméisguart werden Kohlrabi gepflanzt

Kompostverteilung auf der Gleicht in Esch

Den Sprung schaffen Sarah Pepin

Wenig Menschen finden den Weg aus den Beschäftigungsinitiativen zurück auf den ersten Arbeitsmarkt. Ein Besuch im Süden des Landes Antonio steht auf den Feldern des Escher Geméisguart und blinzelt in die Sonne. Er nimmt eine große Schaufel, sticht sie in die mit Kompost befüllte Schubkarre und legt sie nieder. Der Kompost muss auf dem gesamten Feld verteilt werden, um den Boden aufzubereiten, denn die Bohnen-Jungpflanzen fürs Frühjahr werden bald hier gepflanzt. Antonio ist 54 und gebürtiger Kapverdier, er arbeitet seit dreizehn Jahren in verschiedenen Beschäftigungsinitiativen, momentan bei CIGL Esch im Gemüsegarten. Davor war er Jahrzehnte lang auf dem Bau tätig. Sambou steht neben ihm und zieht eine faulende Möhre aus den Haken des Rechens. Der 63-jährige Eritreer ist zum dritten Mal bei CIGL Esch angestellt. Das Team wirkt gutgelaunt, immerhin ist kein Wölkchen am Himmel zu sehen – allerdings urteilt David, der die Gruppe diese Woche als Teamchef begleitet, dass die Kompostschicht dünner und gleichmäßiger verteilt werden muss. Die Ursprungsidee der Beschäftigungsinitiativen wie CIGL liegt darin, schwer vermittelbaren Menschen eine Beschäftigung zu bieten und damit einen Weg – oder zumindest eine Perspektive ­– aus der Langzeitarbeitslosigkeit. Dabei rangieren die angebotenen Arbeiten von Kleinreparaturen über Gärtner- und Bauarbeiten, bis hin zur Möbelrestauration und dem Verkauf in den hauseigenen Secondhand-Läden. Der Escher Geméisguart, der seit 2015 existiert und ausschließ-

Gibt man Personen zu viel, fühlen sie sich womöglich dazu bewegt, es sich gemütlich zu machen, grummeln die Marktorientierten. Teilt man ein optimistischeres Menschenbild, herrscht die Auffassung vor, dass eigentlich alle Menschen, die einigermaßen gesund und fähig sind, in irgendeiner Weise an der Gesellschaft teilnehmen wollen

lich biologisches Obst und Gemüse anbaut, stellt derzeit 18 Menschen mit sehr heterogenen Profilen an. Sie alle haben die Prekarität gemein, denn die befristeten Verträge können nur bis maximal 24 Monate verlängert werden, dann ist Schluss. Zwei Jahre müssen vergehen, bis man wieder bei der gleichen Initiative Anstellung finden kann. Hauptziel ist neben einer psychosozialen Stabilisierung auch die Kompetenzentwicklung, die es den Menschen erlaubt, wieder eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden. Die Initiative als Sprungbett, quasi. Etwa ein Drittel der dort Beschäftigten schafft diesen Sprung, die Zahl schwankt in den letzten Jahren nur leicht, und ob sie als Erfolg verbucht werden kann, wird politisch debattiert. Den anderen zwei Drittel droht jedenfalls die erneute Arbeitslosigkeit – oder eine andere Initiative. Die staatlich finanzierten Strukturen CIGL und CIGR sind nach einer Reihe vernichtenden Audits aus dem Objectif Plein Emploi hervorgegangen und von den Gewerkschaften entwickelt worden. Inzwischen haben sie sich vom OGBL losgelöst und funktionieren eigenständig – auch ProActif und Forum pour l‘emploi haben nichts mehr mit dem LCGB zu tun. Dabei arbeiten die Initiativen eng mit den Gemeinden zusammen, in denen sie sich befinden, und werden von diesen finanziell mitgetragen. Im Gegenzug verrichten die Initiativen „für die Allgemeinheit nützliche Tätigkeiten“. Die

Hauptfinanzierung übernimmt jedoch das Arbeitsministerium und trägt die Lohnkosten und Sozialabgaben. Zu Zeiten des Objectif Plein Emploi wurden die Initiativen zum Teil noch als geschützte Alternative zum kapitalistischen System angepriesen, deren Ziel es gar nicht mehr sei, die Leute auf den ersten Markt zu reintegrieren. Heute versichern Koordinatoren ebenso wie das Arbeitsministerium, dass die Zielsetzung darin bestehe, den berühmten Sprung zu schaffen. Da die Realität zahlentechnisch eine andere ist, kann man die Effizienz der Maßnahme und ihre eigentliche Rolle jedoch zumindest in Frage stellen. Dass sie ein „Parkplatz“ für Menschen in einem gewissen Alter darstellen, die in der Produktionsgesellschaft nicht mehr zu gebrauchen sind, diese Idee wehrt das Arbeitsministerium ab. Trotzdem sei man sich bewusst, dass die Beschäftigungsinitiativen auch eine Art Lücke für Personen füllen, die in ein paar Jahren in Rente gehen und in der leistungsorientierten Privatwirtschaft kaum mehr Fuß fassen können, heißt es aus dem Ministerium. Und dass zumindest diese Leute einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen (und aus der Arbeitslosenstatistik gezogen worden sind). In einem der Treibhäuser neben dem Aufenthaltsraum wachsen Shiitake- und Austernpilze, in einem abgedunkelten Raum sprießt Chicorée in Kisten. Die Ernte des Geméisguart wird das ganze Jahr über für Gemüsekörbe und Küchen


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der Escher Maison Relais verwertet. Der Garten scheint mit seiner umweltbewussten Kreislaufwirtschaft, den pädagogischen Angeboten und dem biologischen Anspruch eine Art Vorzeigeprojekt des CIGL zu sein, der Stolz ist während der Führung durch den Garten spürbar. Nachdem der Kompost verteilt und die zarten Kohlrabi-Setzlinge gepflanzt wurden, ist Zeit für die Mittagspause. Die Mitarbeiter haben in dem aus der roten Escher Erde selbst gebauten Haus neben den Treibhäusern Platz genommen, um die von zwei Mitarbeiterinnen gekochte Lauchsuppe zu essen. Sie verdienen für die verschiedenen Aufgaben, die im Gartenanbau anfallen, den unqualifizierten Mindestlohn, der derzeit bei 2447,07 Euro brutto liegt – und mit dem es immer schwieriger wird, über die Runden zu kommen. Zwar sind sie wie alle Arbeitnehmer vom allgemeinen Arbeitsrecht geschützt. Einen Kollektivvertrag und die damit einhergehende gewerkschaftliche Repräsentanz gibt es für die Angestellten jedoch nicht – eine Ironie, da die Initiativen historisch den Gewerkschaften entstammen. „Eine richtige Lobby haben diese Menschen nicht“, sagt Nicolas van de Walle, Koordinator des CIGL Esch. Seitens des OGBL gebe es durchaus Verhandlungswillen, sagt Frédéric Krier, Mitglied des geschäftsführenden Vorstands beim OGBL. Zustande gekommen ist bisher nichts. Eine Mitarbeiterin des CIGL Esch verlässt das Team heute, sie hat einen Job gefunden. Matthieu Tassin, der joviale Chef des Geméisguart-Teams, freut sich für sie. Er bedauert jedoch, dass er vor allem den Älteren im Team keine längeren Verträge anbieten kann. „Hier wäre eine Ausnahmeregelung von Vorteil, sodass sie bis zu fünf Jahre hier bleiben könnten.“ Sie erfuhren während der zwei Jahren eine Wertschätzung, die beim Rückfall in die Arbeitslosigkeit wieder verloren ginge. Das sieht das Arbeitsrecht jedoch nicht vor, befristete Verträge dürfen laut Gemeinschaftsrecht nicht länger als 24 Monate dauern. „Es würde politisch mehr Sinn ergeben, wenn ein bisschen mehr Geld für eine Beschäftigungsmaßnahme ausgegeben würde, anstatt des Arbeitslosengeldes“, entgegnet der Präsident des CIGL-Esch François Remackel. Immerhin würde dann gearbeitet. Neben den herkömmlichen CDD gibt es für schwer vermittelbare Arbeitssuchende auch die sogenannten EMI-Verträge, die emplois d’insertion. Sie wurden 2017 vom damaligen Arbeitsminister Nicolas Schmit (LSAP) eingeführt und sind un-

befristeter Natur. Für sie gilt ein Mindestalter von 30 Jahren, der Beschäftigungsfonds zahlt die Lohnkosten für jüngere Angestellte eines solchen Vertrages drei Jahre lang gestaffelt zurück, für über 50-Jährige vollständig bis zum Renteneintritt. Gary Diderich (déi Lénk) plädiert für längerfristige Modelle dieser Art, und dafür, die Zahl der möglichen Anstellungen in den Initiativen auf eins zu begrenzen, damit sie nicht zum „Karussell“ werden.

stammt ursprünglich aus der Türkei und lebt seit 2008 mit ihrer Familie in Luxemburg. Obwohl sie ausgebildete Zahnärztin ist, wurde ihr türkisches Diplom hier nicht anerkannt. Sie freue sich, Neues bei CIGL zu lernen, doch in ihrem Herzen bleibe sie Zahnärztin, erzählt sie in fließendem Französisch. Trauer huscht über ihre Augen. Wenn ihr Vertrag beendet ist, wolle sie sich neu orientieren, am liebsten in Richtung pädagogische Fachkraft für Krippen.

Wie jeher scheint die Einschätzung der Natur des Menschen hier politisch wegweisend, wie eine Solidarwirtschaft aussehen könnte. Gibt man Personen zu viel, fühlen sie sich womöglich dazu bewegt, es sich gemütlich zu machen und sich nicht mehr anzustrengen, grummeln die Marktorientierten, und schieben den Vorwurf der unlauteren Konkurrenz gegenüber dem herkömmlichen Handwerk hinterher. Teilt man ein optimistischeres Menschenbild, herrscht die Auffassung vor, dass eigentlich alle Menschen, die einigermaßen gesund und fähig sind, in irgendeiner Weise an der Gesellschaft teilnehmen wollen; und der Staat auch jenen mit sozialen und gesundheitlichen Problemen diese Erfahrung geschützt ermöglichen sollte. Die Frage, wie vulnerable Menschen, die weit entfernt vom Arbeitsmarkt sind, sich langfristig beschäftigen, ist durch die Initiativen nur auf Zeit beantwortet.

Mittlerweile stellt Ipek mit ihrem Abschluss eine Ausnahme dar. „Die Profile der Menschen, die zu uns kommen, haben sich in den letzten zehn Jahren verändert“, sagt Kathy Nachtsheim, Koordinatorin des CIGL Differdingen. Sie seien insgesamt schwächer geworden, und die sozialen Probleme wie Sucht und Wohnungsnot hätten sich multipliziert. Die Anforderung, eine der Landessprachen zu beherrschen, wurde 2016 aus den Konventionen gestrichen, um mehr Inklusion zu ermöglichen, was zu größeren Kommunikationsschwierigkeiten innerhalb der Initiativen führt. Ein neues, realistisches „professionelles Projekt“ soll in der Zeit dort entstehen, weshalb die Angestellten individuelle Weiterbildungen vermittelt bekommen, vom Umgang mit dem Freischneider hin zu digitalen Kompetenzen.

Zahlen der Adem nach sind derzeit 15 760 Menschen als arbeitsuchend gemeldet (Stand Dezember 2022), davon 4 422 seit mehr als zwölf Monaten. Von letzteren sind fast zwei Drittel mehr als 45 Jahre alt. In den Beschäftigungsinitiativen finden momentan rund 2 000 Menschen Beschäftigung, eine Zahl, die sich seit 2006 mehr als verdreifacht hat. Die Adem hat die unterste Altersgrenze für eine Anstellung in einer Initiative auf 25 Jahre festgelegt. Den Großteil machen aber auch hier Personen über 45 ohne höheren Schulabschluss aus. Aber eben nicht nur. Mit kreisenden Bewegungen lässt Ipek die Schleifmaschine über die Kommode gleiten, die weiße Farbe ist fast vollständig abgetragen. Sie steht mit rotem Hörschutz in einem Atelier des CIGL Differdingen. Eine Handvoll Arbeiter/innen restaurieren hier gespendete Möbel, um sie im hauseigenen Okkasiounsbuttek anbieten zu können. „Ich habe hier eine neue Art gelernt, Kunst zu machen“, sagt die zierliche Frau mit Käppi und kristallblauen Augen. Sie ist fast 50 Jahre alt,

Die Frage, wie vulnerable Menschen, die weit entfernt vom Arbeitsmarkt sind, sich langfristig beschäftigen, ist durch die Initiativen nur auf Zeit beantwortet

Am Tisch nebenan bekommt ein Holzrahmen eine neue Lasur verpasst. Maria aus São Tomé ist eigentlich Küchenhilfe und Mutter von vier erwachsenen Kindern. Sie hat in Kantinen gearbeitet, findet aber nirgends mehr eine unbefristete Anstellung. Die 57-Jährige ist seit knapp einem Jahr in Differdingen angestellt und sagt vergnügt, sie sei im Gegensatz zu vielen jungen Menschen hochmotiviert. Nichtstun langweile sei, ihre Knochen würden unbeweglich dadurch. Hat sie denn gar keine Sorgen? Die gebe sie an Gott ab, antwortet sie fröhlich und wäscht den Rahmen mit Wasser ab. Einige Hundert Meter hinter dem CIGL-Gelände entsteht ein neuer Spielplatz. Fünf Männer, begleitet von einem Teamchef, bauen gerade eine Steinmauer, sie sind zwischen 43 und 60 Jahre alt und sprechen Portugiesisch miteinander. Einer zeigt auf sein Bein, das nach 22 Jahren auf dem Bau beeinträchtigt ist. Ein anderer wirkt in sich zurückgezogen. Kathy Nachtsheim steht ein paar Meter von ihnen entfernt und sagt: „Jeder weiß, wie schlimm es ist, nicht mehr gebraucht zu werden“.

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Sven Becker

Maria aus São Tomé ist seit etwas mehr als einem Jahr beim CIGL Differdingen

Rund 2 000 Menschen arbeiten derzeit in Beschäftigungsinitiativen


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LEITARTIKEL

GESELLSCHAFT

„Méi fräi!“

Übergeordnete Geister

Stéphanie Majerus

„Mein Ziel ist es, dass man sich nicht extra anstrengen muss für Klimaschutz, sondern, dass es einfach das Einfachste wird“, meinte die grüne Umweltministerin Joëlle Welfring unlängst in einem Interview mit Reporter. lu. Damit neue Routine entstehen, bedarf es Begrenzungen, um eingeübten Gewohnheiten entgegenzuwirken. Parteien thematisieren das ungern; im Vorwahlkampf geht die Angst vor dem Vorwurf der „Verbotspolitik“ um. Das hängt auch mit der Trivialisierung des Freiheitsbegriffs zusammen. Insbesondere während der Coronaproteste avancierte „Freiheit“ zu einem schalen Kampfbegriff. So etablierte sich der Luxemburger Kanal „Mim’s Freiheit“, der auf Facebook und Telegram Videos über Coronaproteste hochlud, in denen Aussagen zu hören sind wie: „das Recht auf freie Meinungsäusserung ist auf 1,5 Quadratkilometer beschränkt“. Die ADRnahe Influencerin Jessica Polfer stilisierte sich als Fürsprecherin von Impfgegner-Eltern, die Angst vor einem staatlichen Entzug des Sorgerechts hatten. Eine radikalisierte Minderheit lehnte sich gegen den Staat und gesellschaftliche Solidarität auf, um letztlich ihr eigenes Fürwahrhalten als verbindliche Autorität auszurufen. In der breiteren Gesellschaft kam es zu Konflikten rund um Begriffe wie „Freiheit“ und „Gemeinsinn“ – ein ungutes Sozialklima dessen Nachwehen die Wahlkampfdebatte tangieren werden. In den letzten Dekaden wurde der Freiheitsbegriff zu häufig mit freier Selbstentfaltung sowie gleichzeitigem AufAbstand-Halten der Bedürfnisse und Leiden der anderen verwechselt, wie der belgische Philosoph Jean-Pierre Wils analysiert. Freiheit heiße heute Ungebundenheit und Eigensinnigkeit. Wer aber genauer hinsehe, der stelle fest, dass unsere Freiheit mit sozialen Verabredungen, Normen und Restriktionen einhergeht. Für die Soziologen Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger garantiert ökonomische, politische und soziale Planung individuelle Freiheit: ein Sozialstaat der Zugang zu Bildung garantiert, Gesundheitsdienstleistungen und Katastrophenschutz leistet. Wasser, Nahrung, Energie sind ebenso Grundgüter, deren Zugang über demokratische und nicht über private Institutionen reguliert werden sollte, meint seinerseits Wils. Oftmals instrumentalisieren Parteien den Ichzentrierten Freiheitsbegriff. Aus der liberalen DP kommt ebenfalls nichts Substanzielles zum Freiheitsbegriff. Dabei beschwören sie ihn gelegentlich als zu ihrer Kernidentität zugehörig. In den Nuller-Jahren begnügte sie sich gar Postkarten mit einem prallen Busen in einem blauen BH zu verteilen, auf dem stand: „Méi fräi!“. Aber nicht nur die DP sieht Freiheit und Handlungsmacht in erster Linie darin, Produkte zu konsumieren und seinen Anspruch auf Dienstleistungen zu beanspruchen. Die CSV-Ko-Präsidentin Elisabeth Margue dehnte diesen Anspruch gar auf umweltverträgliches Handeln aus. Sie argumentierte im RTL-Background vor zwei Wochen: „Déi Leit, deenen et am mannste gutt geet, kënnen sech et am mannste leeschte Klimaschutz ze maachen“. Geringverdiener mögen kein Geld haben, um ihr Haus zu sanieren, in der Regel verbrauchen sie jedoch weniger Wohnfläche, haben keinen Pool im Garten oder Sauna im Keller. Einen Blick auf die Tabelle des World Overshoot day lässt ebenso an dieser Aussage zweifeln: Für Luxemburg wurde dieser auf Valentienstag berechnet, also vergangenen Dienstag. Mit steigendem Einkommen geht zumeist steigender Ressourcenverbrauch einher – das gilt für Mikro- und Makroökonomie. Eine unbequeme Tatsache für Parteien, die sich dem Klimaschutz annehmen. Insofern sollten sie also doch der Frage nachgehen, wie Verpflichtungen (und damit einhergehend Begrenzungen) und Freiheitsrechte möglichst harmonisch ineinanderwirken können.

Männer, politisch links Wählende und in Luxemburg Geborene sind deutlich weniger religiös – dieses Fazit zieht das Statec in einer gestern veröffentlichten Analyse. Im Vergleich zu 2008 ging der Anteil der einer Religion Zugehörigen von 75 Prozent auf 48 Prozent im Jahr 2020 zurück. Gleichzeitig sank der Anteil der Personen, die sich als religiös ausgeben, von 55 auf 37 Prozent. Nur fünf Prozent erachtet Religion als „sehr wichtig“, aber über acht Prozent betet täglich. Als religionslos bezeichnen sich 44 Prozent, als Atheisten 18 Prozent. Der Autor der Analyse, StatecDirektor Serge Allegrezza himself, gibt zu bedenken, dass die Fragebögen in einer Zeit erstellt wurden, als das Christentum kulturell dominierte. In einer interdisziplinären Studie sollten weitere Erhebungen zu Spiritualität außerhalb institutioneller Religion feinere Analysen ermöglichen. Bei den Religionszugehörigen kommen Katholiken mit 85 Prozent an erster Stelle, nur 2,7 Prozent sind Muslime. Der Autor gibt zu bedenken, dass die meisten hiesigen Katholiken eine Haltung „belonging without belief “ kennzeichnet – oder zumindest eine eher diffuse denn christlichtheologische Gottesvorstellung haben: 41 Prozent der Einwohner/ innen glauben an eine Art übergeordneten Geist. sm

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oder „17 Prozent unserer Jahres-Verteidigungsausgaben“. Hinzu kämen 3,4 Millionen für „nicht-letale“ Unterstützung der Ukraine, womit die 90 Millionen demnach Waffenlieferungen umfassen. Jeweils eine weitere Million Euro erhielten BosnienHerzegowina, Moldawien und Georgien für Ausgaben zum Schutz vor „hybriden Angriffen“ durch Russland. pf

Fernand Ernster,

Felix Braz, bis Oktober 2019 grüner Vizepremier und Justizminister und wegen einer schweren Erkrankung des Amtes enthoben, hatte vor dem Verwaltungsgericht keinen Erfolg mit seiner Klage gegen den erzwungenen Rücktritt. Das Gericht erklärte sich für nicht zuständig: Es habe sich um eine Entscheidung der Regierung gehandelt. Urteile die Justiz darüber, verletze das die Gewaltentrennung. Das Gericht verwarf auch Braz’ Einspruch dagegen, dass ihm zwei Jahre nach der „démission honorable“ ein Wartegeld anstelle seines Gehalts gezahlt wurde. Reporter. lu berichtete am gestrigen Donnerstag, Felix Braz werde in Berufung gehen. pf

François Bausch, Verteidigungsminister (Grüne), bilanzierte beim Treffen der Ukraine-Unterstützerstaaten am Dienstag in Brüssel die von Luxemburg geleistete Hilfe. War im Herbst noch von 70 Millionen Euro Militärhilfe die Rede, bezifferte Bausch sie nun auf 90 Millionen

Blog

Buchhändler und seit dem Rücktritt von Luc Frieden vor zwei Wochen der erste Einzelhandelskaufmann an der Spitze der mächtigen Handelskammer, zeigte sich am Mittwoch gegenüber Radio 100,7 überrascht, dass die Handelskammer dafür plädiert hat, künftig nur noch eine Index-Tranche pro Jahr bis zum vierfachen Medianeinkommen voll und ab diesem Betrag degressiv auszubezahlen. Das vierfache Medianeinkommen entspräche einer Summe von 14 600 Euro: „Dat ass wierklech enorm“, meinte Ernster, der im Unterschied zu seinen Vorgängern vielleicht nicht über ein so hohes Einkommen verfügt und in seinen Bücherläden auch keine Mitarbeiter beschäftigt, die das vierfache Medianeinkommen beziehen. Sodass eine solche „Deckelung“ seinem Betrieb keinerlei Vorteile brächte. Gegenüber RTL hatte er bereits am Dienstag erklärt, er wolle dafür sorgen, dass „keng Amalgamme méi gemaach ginn“ zwischen Handelskammer, Handelskonföderation und UEL. Da die UEL der Dachverband der Arbeitgeber ist und sie in allen wichtigen Tripartite-Gremien vertritt, ist jedoch nur schwer vorstellbar, wie dieses Amalgam beseitigt werden soll: Es sei denn, Fernand Ernster will tiefgreifende strukturelle Reformen innerhalb der Patronatsverbände umsetzen. Sein Mandat läuft bis zu den Sozialwahlen 2024. Ob er darüber hinaus noch weiter machen möchte, hänge davon ab, ob es ihm „Spaass mécht“, sagte er am Dienstag. Vor vier Jahren hatte die Nominierung des Geschäftsanwalts und Bankenvorstand Luc

Frieden zum Präsidenten der Handelskammer bei den Industriellen, die die Chambre de Commerce seit ihrer Gründung dominierten, bereits blankes Entsetzen ausgelöst. Ob sie mit Fernand Ernster zufriedener sein werden, muss sich noch zeigen. ll

Jean-Claude Hollerich, Kardinal, gab sich am Montag gegenüber dem deutschen Domradio angriffslustig und behauptete: „Also ich persönlich möchte nicht kuschen.“ Der Generalsekretär des weltweiten synodalen Prozesses hielt sich im Gespräch jedoch bedeckt, was interne Konflikte der katholischen Kirche betrifft. Er wich handfesten Aussagen mit rhetorischen Fragen aus, wie: „Alle Getauften spielen eine Rolle in der Kirche. Aber welche?“ Nebenbei erinnert er daran, dass Europa nicht mehr das Zentrum der katholischen Kirche ist, sondern nur ein „ganz kleiner Haufen“, der vielleicht auch als Kirche „bescheidener werden“ sollte. Andere Postulate verweisen, wie für Katholiken nicht untypisch, auf kontaktmagische Annahmen in seinem Denken hin. Denn, so Hollerich: „Ich glaube, dass der Heilige Geist in allen Getauften wirkt.“ Vergangene Woche fand in Prag ein Treffen mit 590 europäischen Vertretern der katholischen Kirche statt, um über Reformen zu beraten. Josiane Mirkes, Ko-Leiterin des Luxemburger Synode-Teams, erläuterte im Radio 100,7, es hätten Meinungsverschiedenheiten bezüglich Familienkonstellationen im Raum gestanden: „Deen een, dee gesäit d’Famill alt wierklech als Papp, Mamm, Kanner, an deen anere gesäit och aner Liewensmodeller an huet do eng grouss Offenheet.“ sm

WO H N U N G S B A U

Minister gesucht „Where the f*** is Henri Kox?“, fragte déi Lénk am Mittwoch etwas provokativ in einem Wahlkampfpost in den sozialen

Netzwerken, in dem die Partei ihre eigenen Positionen zum Wohnungsbau darlegt. „D’Zënse gi rop, d’Präisser och, an et gëtt manner gebaut well kee méi sech et leeschte kann eppes ze kafen.“ Der grüne Wohnungsbauminister aber halte sich bedeckt. Der öffentliche Druck auf Henri Kox war in den vergangenen Wochen gestiegen, insbesondere wegen seines zweiten Entwurfs zur Reform des Mietgesetzes. Noch Anfang dieser Woche verschickten Handelskammer und Handwerkskammer ein gemeinsames Zusatzgutachten, das sie schon Ende Januar im Parlament eingereicht hatten. Darin bezeichnen sie die geplante „Mietobergrenze“ in der aktuellen Marktsituation als „totalement à contre-courant“, sie könne gar „desaströse Auswirkungen“ auf den Wohnungsmarkt haben. Spätestens kommenden Mittwoch werden déi Lénk den Wohnungsbauminister aber wiederfinden, denn dann hält Henri Kox in der Abtei Neumünster seine Assises nationales du Logement ab. Um 9 Uhr wird er seine nationale Strategie zur Schaffung von erschwinglichem Wohnraum vorstellen, danach mit Experten über die Herausforderungen für den privaten Wohnungsmarkt debattieren. Am Nachmittag findet eine Diskussionsrunde über erschwingliche Wohnungen statt. Auffällig ist, dass außer der Moderatorin Mick Entringer ausschließlich Männer an den Gesprächen teilnehmen werden. ll

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O R D E R

„Erhebliche Gefährdung“ Die EU-Kommission wird Luxemburg wegen NichtUmsetzung der EU-Vorschriften über Feuerwaffen vor dem europäischen Gerichtshof verklagen. Das teilte die Kommission am Mittwoch mit. Während Luxemburg die Hauptrichtlinie über Feuerwaffen zwar umgesetzt hat, gilt das für die damit zusammenhängende

Durchführungsrichtlinie offenbar nicht. Sie soll verhindern, dass Schreckschuss- und Signalwaffen zu einer Waffe umgebaut werden können, die das Abfeuern von Schrot, Kugeln oder Geschossen ermöglicht. „Die mangelnde Umsetzung mehrerer Bestimmungen durch Luxemburg gefährdet das Ziel der Verbesserung der öffentlichen Sicherheit in der gesamten Union erheblich“, urteilt die EU-Kommission in ihrer Begründung der Klage. Worum es dabei genau geht, weiß das Luxemburger Justizministerium offenbar nicht einmal selbst. Es handle sich um technische Bestimmungen. Die Verwaltung sei dabei, die rechtlichen Elemente zu analysieren, die die EU-Kommission aufgeworfen hat, um dann die zu treffenden Maßnahmen zu identifizieren, ließ die grüne Justizministerin Sam Tanson auf Land-Nachfrage mitteilen. ll

U M W E LT

Acht Planeten Wie schon 2022, fiel er auch dieses Jahr auf den 14. Februar: der Luxemburger Overshoot Day, an dem die Welt sämtliche in einem Jahr zur Verfügung stehenden Naturressourcen verbraucht hätte, wenn die gesamte Menschheit soviel abnutzte wie das Großherzogtum. Rechnerisch entspräche das acht Planeten Erde. Ganz fair ist diese Bilanzmethode nicht gegenüber einem kleinen Land mit energieintensiver Industrie und großer FrachtAirline. Aber noch früher erreicht seinen Overshoot allein Katar. Und am 28. Juli 2022, dem WeltOvershoot-Day im vergangenen Jahr, hatte der Nachhaltigkeitsrat zum Beispiel vorgerechnet, dass schon eine um die Hälfte reduzierte Lebensmittelverschwendung hierzulande den nationalen Overshoot Day um 13 Tage nach hinten rücken würde. So gesehen, ist es Ausdruck von Politikversagen, dass sich in den letzten zwölf Monaten offenbar gar nichts bewegt hat. pf


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Z UFALL SGE SPR ÄCH MIT DEM M ANN IN DER EISENB AHN

Das Reich des Guten

Pierre Sorlut

Des désaccords dans la direction de la Maison du Grand-Duc jettent le trouble sur la gouvernabilité de l’institution. À quelques mois des élections, Xavier Bettel pose ses conditions

Die Welt steht kopf: In Kriegszeiten sind von linken Parteien und Parteien der bürgerlichen Mitte vernünftige Aufforderungen zu Diplomatie, Waffenstillstand und Friedensverhandlungen zu erhoffen. Von stramm rechten Parteien sind hysterischer Nationalismus, Militarismus, Kriegstreiberei zu erwarten.

Le 19 janvier, à son retour de Davos, le Premier ministre a lancé un « ultimatum » au comité de direction de la Maison du Grand-Duc, nous informe un participant à la réunion. L’institution au service du chef de l’État que Xavier Bettel (DP) a mis sur pied en octobre 2020 traverse une crise de gouvernance. Ce chantier, qui aurait pu être un succès du mandat du chef de file libéral, montre des failles à quelques mois des élections. Et ces brèches pourraient également polluer la campagne. D’où la nécessité de les colmater avant… ou de gagner du temps. Au Land, le représentant du ministère d’État auprès de la Maison du Grand-Duc, Jacques Flies, parle de « point de situation dans un contexte de regain d’activité ». Mais le « regain d’activité » désigne en fait plutôt un rythme de croisière que la Maison du Grand-Duc aurait atteint à l’automne dernier.

L’ancienne sherpa de Jean-Claude Juncker (CSV) puis de Xavier Bettel, Yuriko Backes, avait été nommée en avril 2020, officiellement par le Grand-Duc. La ribambelle de personnalités installées autour du chef de l’État au printemps 2020 ont toutes un lien direct avec le Premier ministre. Marc Baltes, nommé conseiller économique quelques mois après l’arrivée du libéral à l’hôtel de Bourgogne, est devenu conseiller du Grand-Duc à l’été 2020. Gilio Fonck, directeur adjoint de la représentation de la Commission européenne (sous Yuriko Backes) et prédécesseur de Xavier Bettel aux « Jonk Demokraten » (JDL), a pris la direction des ressources humaines. Puis, un cas un peu à part, Norbert Becker, éminence grise du DP en matière économique et financière, a pris la direction de l’Administration des biens. « Staatsministerium übernimmt die Kontrolle », avait écrit Reporter.lu.

Xavier Bettel a-t-il scié la branche sur laquelle il était assis ? Plusieurs sources reprochent à Paul Dühr de céder trop souvent aux exigences de la Grande-Duchesse, parfois contraires à la séparation des activités publiques et privées normalement orchestrée par la Maison du Grand-Duc. Maria-Teresa, régulièrement de passage à Paris, a côtoyé Paul Dühr alors qu’il était ambassadeur dans la capitale française. Elle se serait félicité que son nom sorte du chapeau. Mais qui l’a écrit sur la liste ? Le processus de nomination du maréchal relève du secret des dieux. L’arrêté grandducal ne précise pas la procédure. Les arrêtés annonçant les nominations informent que le Grand-Duc « a pris la décision en concertation avec le gouvernement ». Le wording a été identique pour Yuriko Backes et Paul Dühr. À l’automne, avec le « regain d’activité », la machine a déraillé. Le 29 et 30 octobre, la Grande-Duchesse s’est attelée à un weekend essayage et photo en vue du mariage de la princesse Alexandra (prévu le 22 avril à Luxembourg pour le volet civil et le 29 dans le sud de

la France pour le religieux). Les femmes de chambre et le service garde-robe traditionnellement affectés à Berg pour le week-end n’ont pas suffi le samedi. Les noms d’oiseaux ont fusé (d’Land, 9.12.2022). Il a fallu appeler du renfort. Le lundi, la Grande-Duchesse a convoqué le maréchal, le régisseur de Berg, une gouvernante et ses deux assistantes personnelles. Les reproches sur cette prétendue mauvaise organisation ont afflué. Le personnel accusé n’a pas été défendu. Le sentiment d’injustice a grandi. Le directeur des ressources humaines, Gilio Fonck, et le chef du bureau du maréchal, Yves Arend, ont été alertés.

à valider par le maréchal ou, en son absence, le directeur du bureau du maréchal », lit-on encore. Ironiquement, il sera reproché au chef de la maison du Grand-Duc d’être revenu sur une décision du comité de direction concernant l’assistance apportée le 18 novembre (le lendemain de l’envoi de la circulaire !) à la Grande-Duchesse pour la promotion de son livre Un amour souverain à Versailles, en compagnie de son coauteur Stéphane Bern.

Le 14 novembre, Xavier Bettel a rencontré Henri et Maria Teresa au Palais pour évoquer la crise. Le maréchal, Yves Arend et les deux assistantes de la GrandeDuchesse se sont réunis pour débriefer. Le chef du gouvernement a accordé six mois pour corriger le tir, leur apprend-on. L’une des assistantes s’effondre. On les a invitées à se mettre en congé. Interrogé par le Land en décembre, la Maison du Grand-Duc communiquait sur leur réaffectation à « une autre tâche avec leur accord ». Selon nos informations, les deux conseillères sont encore arrêtées. Interpelé à ce sujet, Jacques Flies rétorque qu’il ne lui appartient pas de communiquer au public les maladies des uns et des autres. Lorsqu’il lui est demandé ce qu’il adviendra des deux postes d’attachées personnelles affectées auprès de l’épouse du chef de l’État (pour la partie officielle, en plus d’une aide de camp) répond que les « discussions se poursuivent ». Maria-Teresa pourrait ainsi être privée de cabinet alors qu’on explique vivre un « regain d’activité ». Mais, depuis décembre dernier, les sorties officielles de la Grande-Duchesse sont rares. Elle ne participera pas à la visite d’État en Lettonie les 13 et 14 mars.

À côté des événements officiels (comme les voyages d’État) et privés (la chasse) qui n’offrent aucun doute sur l’allocation de ressources (ou non), les événements privés à caractère public sèment le trouble. L’assistance à la Grande-Duchesse (ou au Grand-Duc, mais le chef de l’État est peu consommateur en ressources à Berg) requiert parfois une présence du « personnel dévoué » mentionné par Jeannot Waringo qui ne colle pas aux horaires de la fonction publique, avec notamment l’obligation de badger. Typiquement, les activités philanthropiques de Maria-Teresa dans le cadre de son association Stand Speak Rise Up! (SSRU, contre la violence sexuelle comme arme de guerre) sont considérées comme du domaine privé. Mais la présence d’officiels à ses événements, à commencer par celle de son chef d’État d’époux, requiert des moyens publics. En septembre 2021, quand Maria-Teresa a reçu une distinction honorifique de la représentante spéciale des Nations Unies, Pramila Patten (par ailleurs conseillère de SSRU), le personnel a débadgé pour continuer à travailler à la réception. L’organisation du mariage civil de la princesse Alexandra à Cabasson, où des têtes couronnées seront invitées, porte le même caractère hybride et son bon déroulement sera clé.

Dans la continuité de l’entrevue du Premier ministre avec le couple grand-ducal, le maréchal a diffusé une circulaire datée du 17 novembre promettant, sous le contrôle du comité de coordination (où figure le secrétaire général du gouvernement Jacques Flies), une réunion hebdomadaire (« ou toutes les deux semaines ») pour assurer la bonne planification des événements de représentation. Le document rappelle les droits des quelque 90 membres du personnel de la Maison du GrandDuc, dorénavant bénéficiaires des avantages de la fonction publique. « Les règles de courtoisie, de bienséance et de respect d’autrui dans les relations interpersonnelles à la Cour sont d’application pour tous, quel que soit le statut ou la fonction », est-il encore précisé. Le plus long paragraphe concerne « les besoins spécifiques de SAR la Grande-Duchesse » dans l’exercice de ses fonctions de représentation (dont la préparation de la garde robe). Des réunions seront organisées régulièrement pour coller aux besoins. « Les décisions qui y seront prises seront définitives, sauf cas de force majeure

Yuriko Backes faisait respecter les principes de la Maison du Grand-Duc avec un certain doigté, informent des collaborateurs de la Cour. Celui qui porte aujourd’hui « l’esprit Waringo » au Palais, Gilio Fonck, est plus bourru et moins diplomate. Son implication apparaît d’autant plus aujourd’hui que l’autre membre du trio majeur à la direction de la Maison du Grand-Duc, Yves Arend, est arrêté. Depuis les congés de décembre, il n’est revenu que pour la réunion du 19 janvier. Là encore, le ministère d’État ne confirme pas. Dans son rapport, Jeannot Waringo écrivait : « Si les collaborateurs se sentent constamment exposés à des pressions, réelles ou senties, leur comportement peut changer radicalement. Ces collaborateurs sont plus souvent malades, se sentent mal et recherchent plus rapidement un nouvel emploi. » Le Premier ministre « suit cela de près » et a « à cœur » de régler la situation, rassure Jacques Flies. Un bilan est prévu courant mars. Six mois se seront écoulés depuis la rechute. Le ministère d’État ne veut pas se prononcer sur une éventuelle éviction.

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Einst berief die Sozialdemokratie sich auf den Pazifismus der Arbeiterbewegung. Die Grünen hatten Wurzeln in der Friedensbewegung. Zum christlichen Weltbild der Konservativen gehörte der Princeps pacis (Isaias 9:6). Die Liberalen verehrten mit Kant den „Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann“ (Zum ewigen Frieden, 1796, S. 64). Solche Zurückhaltung überwanden LSAP-Fraktionssprecher Yves Cruchten, die grüne Vorsitzende des verteidigungspolitischen Ausschusses, Stéphanie Empain, der CSV-Abgeordnete Claude Wiseler, der DP-Abgeordnete Gusty Graas. Bei den außenpolitischen Debatten im November überboten sie sich mit kämpferischen Erklärungen und kriegerischen Sprüchen. Am 24. Januar informierte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock den Europarat: „We are fighting a war against Russia.“ DP, LSAP und Grüne schicken Panzerfäuste, frieren russisches Kapital ein, bezuschussen einen Wirtschaftsboykott. Sie verbieten russische Filme und regeln den Sprachgebrauch: „Deeskalation“, „Waffenstillstand“, „Verhandlungen“ wurden zu Unwörtern. Wer sie gebraucht, gilt als Kapitulant, Verräterin, Feindagent. Solche Vorwürfe können der ADR wenig anhaben. Sie ist sowieso das Schmuddelkind der Politik. Sie weiß, dass Menschen Angst vor immer mehr Waffen für immer mehr Krieg haben. Sich vor

Vielleicht fühlt sich die ADR dem rechten Nationalisten im Kreml seelenverwandt. Zuvörderst ist sie opportunistisch. Also amoralisch. Das erlaubt ihr einen leidenschaftslosen Blick auf den Krieg. Um ein Haar nennte sie ihn einen weiteren Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA.

CSV, DP, LSAP und Grüne geben sich weltoffen und humanistisch. Sie reden nur in moralischen Kategorien vom Krieg in der Ukraine

Die ADR hat sich nicht geändert. Sie bleibt eine Partei des aggressiven Nationalismus. Nicht nach außen gegen Russland. Sondern nach innen gegen Grenzpendlerinnen, Eingewanderte, Muslime. Denen sie die Schuld an der Not ihrer Wählerschaft auf dem Arbeitsmarkt und in den Schulen gibt. CSV, DP, LSAP und Grüne bevorzugen Globalisierungsgewinner in den Mittelschichten. Sie geben sich weltoffen und humanistisch. Sie reden nur in moralischen Kategorien vom Krieg: als einem Kampf zwischen Gut und Böse. Ihr Nationalismus richtet sich nicht nach innen gegen die multikulturelle Arbeitskraft auf dem Kirchberg, in Cloche d’Or und Belval. Sondern nach außen gegen Russland. Das Reich des Bösen, das die ersprießlichen Geschäftsbeziehungen ruinierte. Die alttestamentarische Erzählung vom Kampf zwischen Gut und Böse klingt naiv. Sie ist Taktik: Sie soll das Verständnis von Kriegsursachen und Interessenlagen verhindern. Sie soll historische und politische Erklärungsversuche durch eine einzige Deutung ersetzen: den Irrsinn des russischen Präsidenten. Das Böse kann nur vernichtet werden. So lange soll der Krieg weitergehen. So lange erscheinen Verhandlungen als unmoralisch. Denn zwischen dem Guten und dem Bösen sind keine Kompromisse möglich. Ohne Kompromisse sind keine Verhandlungen möglich. Was zu beweisen war. Romain Hilgert

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Olivier Halmes

Si l’accueil par le couple grand-ducal n’a pas été des plus chaleureux, l’institution voguait vers son cap, hors de l’arbitraire. « Je dois dire que l’enthousiasme et la coopération au sein du personnel des différents sites pour travailler ensemble en vue de la mise en place de la Maison du Grand-Duc est une grande satisfaction, » expliquait Yuriko Backes au Land un an après la naissance de la maison du Grand-Duc. Mais, quelques semaines plus tard, la maréchale a été invitée par les libéraux dans l’arène politique. Celle qui a accompagné la naissance de la Maison du GrandDuc a, le 4 janvier 2022, pris ses fonctions de ministre des Finances pour remplacer Pierre Gramegna qui, lui, quittait la scène. Le même jour, Yves Arend (recruté en février 2021 par Yuriko Backes comme chef du bureau du maréchal) reprenait de « façon intérimaire » la tête de la Maison du Grand-Duc. Jusqu’à l’arrivée de Paul Dühr, annoncée en février et effective en avril. L’ancien ambassadeur à Paris, à Rome mais aussi auprès du Saint-Siège reprenait du service après quelques mois à la retraite.

La photo officielle du couple grand-ducal, publiée mardi pour la saint-Valentin et le 42e anniversaire de mariage de Maria-Teresa et Henri

Maison du Grand-Duc / Sophie Margue

L’institution a été bâtie sur le rapport Waringo remis en janvier 2020 par l’ainsi nommé ancien inspecteur général des Finances. Le super-auditeur recruté par le Premier ministre avait notamment mis le doigt sur l’emprise de la Grande-Duchesse en matière de ressources humaines à la Cour alors que l’épouse du chef de l’État « exerce une fonction purement représentative ». « Il faut réformer le fonctionnement de notre Monarchie sur ce point essentiel », avait insisté Jeannot Waringo. L’arrêté grand-ducal du 9 octobre 2020 instituant la Maison du Grand-Duc a placé le maréchal au centre du dispositif, entre l’administration au service du chef de l’État et celle de l’État à proprement parler, qui accessoirement apporte les sous (autour de vingt millions d’euros annuels) nécessaires au fonctionnement de l’institution.

Die ADR veranstaltete vergangene Woche eine Pressekonferenz. Sie legte ihren Standpunkt zum russischen Überfall auf die Ukraine dar. Sie spricht sich für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen aus. Sie wünscht sich diplomatische Initiativen zur Deeskalation und eine defensive Nato. Sie lehnt eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens sowie „Out of area“-Einsätze ab. Sie rät zu einer Wiederbelebung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

einem Atomkrieg fürchten. Ihnen empfiehlt die ADR sich als Partei des gesunden Menschenverstands.

Die ADR ist opportunistisch. Also amoralisch.

Das erlaubt ihr einen leidenschaftslosen

Blick auf den Krieg. ADRKongress 2022


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Land

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17.02.2023

Sinn und Zweck der Armee Interview: Peter Feist

Patrick Fautsch arbeitete an den 2017 beschlossenen verteidigungspolitischen Leitlinien mit. d’Land sprach mit ihm über die Verteidigungspolitik heute rismus die Rede, aber nicht von einem Krieg im NatoBündnisfall. Müsste man die Leitlinien neu schreiben? Sie sind als politischer Prozess gedacht. Im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung steht, die Leitlinien würden aktualisiert. Das wurde also beschlossen, bevor Russland am 24. Februar 2022 in die Ukraine einfiel und bevor die Nato in ihrem neuen strategischen Konzept vom Juni 2022 festhielt, dass „im euro-atlantischen Raum kein Frieden mehr“ herrscht. Ob an dem Update gearbeitet wird, weiß ich nicht. In den Leitlinien steht auch, dass ein Plan directeur für militärische Investitionen aufgestellt und jedes Jahr aktualisiert würde. Das soll nicht zuletzt der demokratischen Kontrolle der Investitionsausgaben durch die Abgeordnetenkammer dienen. Es scheint bisher aber nur einen einzigen Plan directeur gegeben zu haben, und zwar 2018. Ich bin skeptisch, ob dieses Jahr noch viel geschieht, denn in acht Monaten sind Wahlen. Die Scheu der Politik vor einer grundsätzlicheren Debatte war deutlich zu erleben, als das Parlament vor ein paar Wochen kurz über den A400M diskutierte. Viele Redner äußerten sich hauptsächlich zu nichtmilitärischen Nutzungsmöglichkeiten. Natürlich kann der Flieger auch dazu dienen. Aber er ist in erster Linie eine militärische Fähigkeit, eingebettet in eine belgische Struktur und unter einem europäischen Kommando stehend. Sven Becker

Patrick Fautsch am Dienstag in der Land-Redaktion

Colonel honoraire Patrick Fautsch gehörte der Armee bis Ende März 2018 an. Im Generalstab arbeitete er unter anderem am ArmeeOrganisationsgesetz von 2007 mit. 2011 beauftragte Verteidigungsminister Jean-Marie Halsdorf ihn, die von Minister Jean-Louis Schiltz (beide CSV) geschaffene Stelle für strategische Planungsaufgaben zu übernehmen. Das schloss die Arbeit an verteidigungspolitischen Leitlinien ein. Von 2013 bis 2016 war Fautsch der Luxemburger Vertreter in den Militärkomitees von Nato und EU, damit der Repräsentant des Stabschefs der Armee. Zurückgekehrt in die Direction de la Défense, wirkte er an der Fertigstellung der „Lignes directrices de la défense luxembourgeoise à l’horizon 2025 et au-delà” mit.

d’Land: Herr Fautsch, welchen Einfluss hat der Krieg in der Ukraine auf die Luxemburger Verteidigungspolitik? Patrick Fautsch: Er lässt uns wieder bewusst werden, dass Krieg in den Augen von Autokraten keine Anomalie ist. Um unsere freien und offenen Gesellschaften zu schützen, muss der souveräne Rechtsstaat auch gegen Krieg und Konflikte gewappnet sein. Da stellt sich die Frage, wie wir uns positionieren und welche Optionen wir haben. Gegenüber dem Krieg in der Ukraine gibt es keine schmerzfreien Optionen. Zuschauen ist auf jeden Fall keine. Damit würden wir einen Autokraten in der Auffassung bestärken, dass er seine Ziele mit Gewalt erreichen kann. Meinen Sie, dass EU und Nato eine Strategie haben, um dagegen vorzugehen? Vieles geschieht Schritt für Schritt. Lange sollte es keine Kampfpanzer-Lieferungen an die Ukraine geben. Dann fielen die Entscheidungen dafür doch. Gleichzeitig wurden Kampfflugzeuge ausgeschlossen, aber sicher scheint das mittlerweile nicht mehr. Ist das Ausdruck einer Strategie? Unter dem Vorbehalt, dass ich keinen Einblick in Entscheidungsprozesse mehr habe, kann ich Ihnen nur meine Eindrücke schildern. Ich denke, im Moment gibt es wohl vereinzelte nationale strategische Ansätze und internationale Abstimmungsprozesse, aber noch keine wirkliche Strategie aus einem Guss, wie die Kriegshandlungen beendet werden könnten und was danach kommen könnte. Beispiel Kampfpanzer: Darauf zu verweisen, dass die deutsche Zurückhaltung in dieser Frage zu Verzögerungen geführt habe, lenkt von kollektiver Verantwortung ab. Man muss das Problem von Kanzler Scholz verstehen. Er konnte das politische Risiko nicht eingehen, eine Lieferzusage im Alleingang zu machen. Die geringe Zahl von Panzern, um die es in einer ersten Runde ginge, könnte keine entscheidende militärische Wirkung erzielen. Immens wäre jedoch

der politische Schaden, sobald die Zerstörung eines deutschen Panzer von der russischen Propaganda medienwirksam ausgeschlachtet würde. Also war es völlig verständlich, dass Scholz auf einen abgestimmtem Ansatz mit den USA, Großbritannien, Frankreich und anderen pochte, der der Lieferentscheidung größtmögliche politische Wirkung garantierte und auch die Aussicht auf militärische Wirksamkeit sicherstellte. Anscheinend gibt es in ganz Europa noch 2 000 Leopard-Panzer. Laut Expertenmeinungen wäre der Ukraine viel geholfen, wenn sie 300 bekäme. Um solche Fragen in Zukunft reibungsloser abzuarbeiten und Eskalationsrisiken abzuwägen, wäre eine Strategie hilfreich. Stattdessen laufen wir den Dingen noch immer hinterher. Kann das „Schritt für Schritt“ Teil einer Strategie sein, es zu keiner Eskalation kommen zu lassen? Soweit ich das einschätzen kann ist die Unterstützung der Ukraine, wie sie jetzt erfolgt, völkerrechtlich abgedeckt durch das Recht auf Selbstverteidigung eines völkerrechtswidrig angegriffenen Staates. Durch unsere Unterstützung sind wir also keine Kriegspartei. Dass Russland das politisch anders sieht, scheint mir ebenso klar. Weiteres Eskalationspotenzial, aber auch Möglichkeiten zur Deseskalation, hat eindeutig Wladimir Putin. Die schrittweisen Antworten des Westens sind in diesem Sinne keine Eskalation, aber leider nur reaktiv. Wenn der Westen immer schlagkräftigere Waffen liefert und Russland dadurch große Verluste erlitte, wie verhindert man, dass die Atommacht zu ganz anderen Mitteln greift? Das ist eine Diskussion, die man führen muss. Ein strategischer Ansatz ist nötig, um diplomatische Sackgassen und das Risiko einer Eskalationsspirale durch Russland zu vermeiden. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir es mit einem Akteur zu tun haben, der die Möglichkeit hat, den Spieltisch umzuwerfen, falls ihm der absehbare Spielausgang nicht gefällt. Ich bin aber überzeugt, dass ihm über die richtigen Kanäle klargemacht wurde, welchen untragbaren Preis Russland zahlen müsste, falls es bestimmte Grenzen überschreitet. China ist ebenfalls ein Faktor. Es hat sicher kein Interesse daran, dass Russland als klarer Verlierer aus diesem Krieg hervorgeht. China braucht Verbündete in seinem strategischen Konkurrenzkampf mit den USA. Andererseits kann China keine gravierende Beschädigung seiner Interessen in Europa gebrauchen. Zu Gedankenspielen über die Möglichkeit radikaler Umbrüche in den russischen Führungsstrukturen kann ich mich nicht äußern. Es ist derzeit unklar, ob solche Umbrüche unseren Interessen und denen der Ukraine förderlich wären, denn wir wissen nicht, was danach käme und was das für uns hieße. Das muss nicht unbedingt besser sein.

„Mit Verteidigungspolitik kann man in Luxemburg keinen Blumentopf gewinnen“ Was folgt aus all dem für Luxemburg? Seine Verteidigungspolitik steht unter enormem Ressourcendruck. Einerseits ist die Personaldecke der Armee dünn, andererseits standen ihr noch nie derart viele finanzielle Mittel zur Verfügung. Als ich in den 80-er Jahren meine Offizierslaufbahn begann, generierte die Armee praktisch nur Personalkosten. Ihr militärischer Beitrag im Bündnisfall war eigentlich nicht relevant. Es war jedoch politisch relevant, dabei zu sein und die Luxemburger Fahne hochzuhalten. Heute dagegen sind mehr als 40 Prozent der Verteidigungsausgaben Investitionen. Ich komme aus einer Zeit, da lag das Verteidigungsbudget bei 0,4 bis 0,5 Prozent vom BIP. Heute bewegen wir uns auf 0,7 Prozent zu und es soll weiter Richtung ein Prozent gehen. Politisch scheint mir die Bedeutung der „Zeitenwende“ für uns noch nicht vollständig verinnerlicht worden zu sein. Lange reichten Bekenntnisse zur politischen Solidarität aus, um unseren Status als politisch relevanter Partner zu halten. Heute erfordert das auch die Bereitschaft, relevante Beiträge zu militärischen Fähigkeiten zu leisten. Hinzu kommt, dass Europa nicht noch einen weiteren Weckruf verschlafen darf, auch in verteidigungspolitischer Hinsicht mündig zu werden. Richtziel der Nato sind zwei BIP-Prozent an Verteidigungsausgaben. Minister François Bausch erklärte am Mittwoch beim Nato-Ministertreffen erneut, das sei für Luxemburg wegen seiner spezifischen Gebenheiten „nicht realistisch“. Ich glaube, dass Luxemburg kein Interesse daran haben kann, eine offensive Diskussion über die zwei Prozent zu führen. Das ist ein politisches Kriterium, das im Kontext der Nato-Erweiterungen festgelegt wurde. Einerseits als Zulassungskriterium für neue Mitglieder, andererseits, um Ausgabenreduzierungen der Alliierten Einhalt zu gebieten. Aktuell geht es für viele Streitkräfte darum, die Folgen jahrelanger Desinvestitionen zu bewältigen, was hohe Kosten verursacht. Die Nato beruht auf dem Prinzip fairer Lastenteilung. Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um Beiträge zu Einsätzen und militärischen Fähigkeiten. An den Beschlüssen zu den benötigten Fähigkeiten und der Aufteilung auf die einzelnen Alliierten sind die höchsten Staats- und Regierungsebenen beteiligt. Selbstverständlich berücksichtigt

die Nato dabei nationale Besonderheiten. Solange ein Mitgliedstaat sich an das Abgemachte hält, setzt er sich keiner Kritik aus – im Gegenteil. Es ist daher unglücklich, unter diesen Umständen den Eindruck zu erwecken, man wolle aus gemeinsam angenommenen Verpflichtungen ausscheren. Sie waren an der Ausarbeitung der verteidigungspolitischen Leitlinien beteiligt, die 2017 herauskamen. Wenn man die Leitlinien liest, hat man den Eindruck, dass damit beschrieben werden soll, worin man zu welchem Zweck investiert. Die Leitlinien sind der Versuch, davon wegzukommen, nur auf äußere politische Umstände zu reagieren. Europa, und damit auch Luxemburg, hat schon einige Gelegenheiten zu „Zeitenwenden“ verstreichen lassen. Etwa die Jugoslawien-Kriege in den Neunzigerjahren. Oder 9/11 und was danach kam. Wir sagten jedes Mal, wir machen etwas, haben Anläufe genommen, aber dann verlief alles mehr oder weniger im Sand. Ein strategischer Wendepunkt war erreicht, als Luxemburg sich Belgien, Deutschland und Frankreich anschloss, um gegen die Sichtweise der USA zur Intervention im Irak Stellung zu beziehen. Daraus entstand eine doppelte politische Notwendigkeit: keine Zweifel an unserer Bündnistreue aufkommen zu lassen und den Lippenbekenntnissen zu einer selbstständigeren EU-Sicherheitspolitik Taten folgen zu lassen. Daraus entstand die Diskussion um das Transportflugzeug A400M und zu der Zeit auch noch um die Beteiligung an einem belgischen Kriegsschiff. Bei aller Kritik, die Minister Charles Goerens (DP) damals einstecken musste, muss man ihm zugutehalten, dass ihm ein Durchbruch gelang: Der erste Ansatz, gemeinsam mit Partnern militärisch relevante Fähigkeiten aufzubauen. Aber eigentlich kann das nur gelingen, wenn man vorher klärt, wofür die Armee, wofür das Militärische überhaupt gut ist. Darüber muss eine breite öffentliche Diskussion geführt werden. Stattgefunden hat sie noch nicht. Warum? Weil man in Luxemburg mit Verteidigungspolitik keinen Blumentopf gewinnen kann. Schon als das Armee-Reformgesetz von 1997 vorbereitet wurde, stand im Raum, Sinn und Zweck der Armee in dem Text zu begründen. Der damalige Armeeminister Alex Bodry fürchtete jedoch, dass eine politische Debatte darüber eine „Büchse der Pandora öffnen könnte“. Ehrlicherweise muss man sagen, dass die Dynamik solcher Debatten schwer vorhersehbar ist. Man erinnere sich nur an die Geschehnisse, die 1967 zur Abschaffung des Wehrdienstes führten. Zum Zweck der Armee ist in den Leitlinien von Stabilisierungs-Missionen und vom Kampf gegen Terro-

Wie sollte die Gesellschaft Militärisches Ihrer Ansicht nach verstehen – nach der breiten Debatte, die Sie sich wünschen? Es kann nicht darum gehen, die Gesellschaft zu militarisieren. Sondern zu fragen: Was braucht unser demokratischer souveräner Rechtsstaat, um die Lebensweise seiner Bevölkerung zu verteidigen und all das, was unser Leben hier so ausmacht? Man müsste auch fragen, welche Risiken wir in Kauf zu nehmen bereit sind, um unsere Interessen zu verteidigen. Es ist klar, dass man zu diesen Themen sehr unterschiedlicher Meinung sein und unterschiedliche Schlüsse vertreten kann. Der Staat kann es sich aber nicht erlauben, diese Diskussion nicht zu führen. In den Leitlinien steht auch, dass militärische Investitionen möglichst der heimischen Wirtschaft zugutekommen sollen. Dem Vernehmen nach scheiterte der damalige Verteidigungsminister Etienne Schneider (LSAP) aber daran, der Nato bestimmte Dualuse-Ideen zu verkaufen. Sind die Leitlinien in dem Punkt richtig? Selbstverständlich muss die wirtschaftliche Dimension berücksichtigt werden. Nehmen wir die geplante Anschaffung von 80 neuen gepanzerten Aufklärungsfahrzeugen. Da stellt sich nicht nur die Frage, wie man sie einsetzt, und wie man das Personal ausbildet, das sie bedient, sondern auch die, wie man sie wartet und repariert. Insofern ist jede militärische Investition auch eine Chance für die Wirtschaft. Etienne Schneider ging damals vielleicht insofern zu weit, als er mit Militärischem ein neues Geschäftsmodell kreieren wollte. Um der Nato beispielsweise zu sagen: Wir schaffen zivile Kapazitäten, die sich auch militärisch nutzen lassen, wenn ihr das möchtet. Das funktioniert mit der Nato nicht. Ihr kommt es auf militärische Kapazitäten an. Die Armee hat ein Personalproblem. Sie schafft es nur die Hälfte der eigentlich nötigen freiwilligen Soldaten zu rekrutieren. Manche Berufsmilitärs kündigen ihre Verträge. Wie kommt man dem bei? Wenn ich die Statistiken richtig lese, gibt es kein Problem bei der Rekrutierung ziviler Mitarbeiter der Armee. Dann muss man fragen, wieso es bei den Soldaten und Berufsmilitärs nicht ähnlich gut klappt. Ich bin vielleicht zu optimistisch in diesem Punkt, glaube aber, wenn die Gesellschaft darüber diskutiert, welchen Zweck das Militärische hat, und wenn daraus die richtigen Schlüsse gezogen werden, dann wird das die Armee attraktiver machen. Auf der einen Seite bietet sie interessante Karrieren an hochspezialisierter Technik. Auf der anderen Seite denke ich, dass jungen Menschen daran liegt, etwas Nützliches zu tun. Wenn endlich geklärt wird, wozu die Armee nützlich ist, wird das helfen. Die Frage kann nicht nur die sein, wieviel man bei der Armee verdient, wieviel Freizeit man hat und wie man nach seinem Dienst beim Staat unterkommt. Das ist nicht unwichtig, aber wenn man nur so argumentiert, gelangt man immer wieder zur Feststellung, dass Polizei und Zoll aus demselben Personalreservoir schöpfen, und läuft Gefahr, daran zu resignieren.

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17.02.2023

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„D’Spill vun der Patronatssäit bedreiwen“ Luc Laboulle

Bis November 2024 muss Luxemburg die EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne umsetzen. Sie beinhaltet, dass die tarifvertragliche Abdeckung auf 80 Prozent erhöht werden soll. Davon ist Luxemburg noch weit entfernt. Der sozialistische Arbeitsminister hat erst einmal eine Studie in Auftrag gegeben Armutsgrenze Am 4. Oktober 2022 hat der EU-Ministerrat die

Richtlinie über angemessene Mindestlöhne angenommen. Zwei Jahre haben die Mitgliedstaaten Zeit, sie in nationales Recht umzusetzen. Die Richtlinie verfolgt das Ziel, das Armutsrisiko zu senken, das in den vergangenen Jahren in der EU zugenommen hat. Auch in Luxemburg leben immer mehr Menschen an der Armutsgrenze, 2021 war jeder fünfte Haushalt betroffen. Seit 2015 ist die Armutsgefährdungsquote laut Statec von 15 auf über 19 Prozent gestiegen, seit 2019 liegt sie über dem EU-Durchschnitt. Dabei hat Luxemburg den höchsten Mindestlohn in Europa, zumindest was die Nominallöhne angeht. Bei den Reallöhnen ist die Differenz zu den Nachbarländern wesentlich geringer. Laut OECD betrug der reale Mindeststundenlohn 2021 in Luxemburg 13,4 US-Dollar, in Deutschland und Frankreich waren es 12,2 beziehungsweise 12,6, in Belgien 11,5 US-Dollar. Im Verhältnis zum Medianeinkommen liegt der Mindestlohn in Luxemburg mit 54,8 Prozent unter dem in Frankreich (60,9%) und nur leicht über dem in Deutschland (51,1%). Gemessen am Durchschnittseinkommen ist der Mindestlohn in Luxemburg mit 43,4 Prozent sogar niedriger als der in Deutschland (45,1%).

Wegen der hohen Lebenshaltungskosten und insbesondere der kurz- bis mittelfristig nicht lösbaren Wohnungskrise, reicht in Luxemburg der Mindestlohn in vielen Fällen kaum noch zum Leben. Dem nationalen Working-yet-poor-Bericht der Uni Luxemburg zufolge lag das Großherzogtum 2019 mit einer Erwerbsarmut von über zwölf Prozent hinter Rumänien und Spanien in Europa an dritter Stelle. In der Gruppe der nicht oder nur wenig qualifizierten Angestellten liegt die Erwerbsarmutsquote bei fast 20 Prozent. Der Mindestlohn schützt demnach vor Armut nicht. 66 617 (13,1 Prozent) der insgesamt 505 670 Beschäftigten in Luxemburg beziehen den Mindestlohn, davon 38 726 (7,6%) den unqualifizierten (der Anfang Februar bei 2 447,07 Euro Brutto lag), berichtete Paperjam am Dienstag und berief sich dabei auf aktuelle Zahlen, die die Inspection générale de la sécurité sociale (IGSS) im September veröffentlichte. 27 891 Beschäftigte (5,5%) bezogen den qualifizierten Mindestlohn, der inzwischen bei 2 936,48 Euro liegt. Die meisten Empfänger des unqualifizierten Mindestlohns (8 768) sind im Bereich Einzelhandel und Autoreparaturen beschäftigt, 7 728 im Horeca-Sektor, 4 594 in Gesundheits- und sozialen Berufen. Im Handel arbeiten auch die meisten Arbeitnehmenden (6 515), die den qualifizierten Mindestlohn beziehen, gefolgt vom Baugewerbe und vom Transport-Sektor. Tarifbindung Die EU hatte vor der Ausarbeitung ihrer Richtlinie festgestellt, dass der Anteil der Geringverdienenden in Ländern mit einer hohen tarifvertraglichen Abdeckung allgemein niedriger sei und die Mindestlöhne dort in der Regel höher seien, als in Ländern mit einer niedrigen Tarifbindung. Deshalb verband sie die Richtlinie über angemessene Mindestlöhne mit dem Ziel, die Zahl der Kollektivverträge in den jeweiligen Ländern zu erhöhen. Damit einher geht die Forderung, dass die Länder die Kapazitäten der Sozialpartner für Tarifverhandlungen stärken. Mitgliedstaaten, in denen die Tarifverhandlungsquote unter 80 Prozent liegt, müssen einen nationalen Aktionsplan vorlegen, in dem sie darlegen, wie sie dieses Ziel erreichen wollen.

schaffen, das paritätisch besetzt wurde. Daraus ging 1945 das nationale Schlichtungsamt hervor.

In einer ersten Phase führe das Liser eine Bestandsaufnahme der aktuellen Gesetzgebung durch, danach wolle Georges Engel Gespräche mit den Sozialpartnern führen, um besser zu verstehen, wie Tarifverträge überhaupt zustande kommen, heißt es aus dem Arbeitsministerium

Zentralsekretäre nicht in jeden Betrieb gehen können, um mit den Geschäftsführern einzeln zu verhandeln, andererseits sind die meisten dieser gering qualifizierten Beschäftigten nicht syndikalisiert. Deshalb fordern die Gewerkschaften schon seit Jahren die Branchenverbände dazu auf, mit ihnen sektorielle Tarifverträge auszuhandeln, die für den gesamten Sektor gültig sind. Bislang haben die Handelskonföderation CLC und der Hotel-, Restaurant- und Gaststättenverband Horesca sich jedoch geweigert, solche Verhandlungen aufzunehmen. Laut Gesetz sind sie nicht dazu verpflichtet. Reform Das möchten die Gewerkschaften gerne ändern, deshalb

fordern sie schon seit Jahren eine Reform des Kollektivvertragsgesetzes. Sektorielle Tarifverträge waren die ersten, die in Luxemburg ausgehandelt wurden: 1894 von den Schriftsetzern, 1913 in der Handschuhindustrie, 1914 in den Brauereien; 1923 und 1926 bekamen die Gemeindearbeiter aus Esch/Alzette und Düdelingen Kollektivverträge, 1933 das Personal der Escher Tram. Den ersten Entwurf für ein Gesetz hinterlegte 1908 der liberale Staatsminister Paul Eyschen; der Abgeordnete der Rechtspartei und spätere Staatsminister Pierre Dupong reichte 1917 einen Gesetzesvorschlag ein. Die ersten Tarifabkommen in der Stahlindustrie wurden nach einer gewerkschaftlichen Großdemonstration mit 40 000 Menschen am 12. Januar 1936 abgeschlossen. Über den Gesetzesvorschlag von 1917, der von einer Sonderkommission überarbeitet worden war, diskutierte die Abgeordnetenkammer ausführlich, fand allerdings jahrzehntelang keine Einigung, was auch daran lag, dass die Arbed die Gewerkschaften nicht als Verhandlungspartner anerkennen und stattdessen lieber weiter mit den Betriebsausschüssen verhandeln wollte. Als Kompromisslösung wurden 1936 per großherzogliche Verordnung die Gewerkschaften als Verhandlungspartner zugelassen und das Office national du travail ge-

Tatsächlich decken die Wirtschaftssektoren, in denen die tarifvertragliche Abdeckung am niedrigsten ist, sich zum größten Teil mit denen mit den meisten Mindestlohnempfängern. Darunter fallen beispielsweise der Horeca-Sektor, wo lediglich 21 Prozent der Beschäftigen kollektivvertraglich geschützt sind, und der Handel, wo es 38 Prozent sind. Eine Ausnahme stellt der Dienstleistungssektor dar, wo die Abdeckung mit 19 Prozent zwar gering ist, allerdings beschäftigen Unternehmen wie die Big Four oder Amazon in Luxemburg verhältnismäßig wenige Mindestlohnempfänger, sondern vornehmlich „Talente“ mit hohen Gehältern. Sie an feste Arbeitszeiten zu binden, daran haben die multinationalen Konzerne und manchmal auch die Beschäftigten selbst kaum Interesse. Diskrepanzen oder Inkohärenzen bestehen vor allem im Sektor Gesundheit und Soziales, wo der öffentlich-konventionierte Bereich dem SAS-Kollektivvertrag unterliegt und deutlich bessere Arbeitsbedingungen bietet als etwa private Kindertagesstätten, von denen die meisten nicht an Tarifverträge gebunden sind. Im Handel und Horeca hängen die Lohnunterschiede häufig mit der Betriebsgröße zusammen. Während viele große Restaurantund Handelsketten mit einer hohen Anzahl an Beschäftigten inzwischen auf Betriebsebene Kollektivverträge mit LCGB und OGBL abgeschlossen haben, sind die kleineren Etablissements für sie nur schwer erreichbar. Das hängt einerseits damit zusammen, dass die

Kreativität Heute drängt sich eine Reform des Kollektivvertragsge-

setzes vor allem wegen der Zunahme der sozialen Ungleichheiten und der Umsetzung der EU-Direktive über angemessene Mindestlöhne wieder auf. Die Regierung aus DP, LSAP und Grünen hatte schon 2018 in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, die Gesetzgebung zu überarbeiten, um „im Rahmen des Sozialdialogs und vor allem der Tarifverträge“ den Unternehmen „eine größere Flexibilität in der Arbeitsorganisation“ zu ermöglichen, was „im Allgemeinen eine höhere Produktivität und mehr Zufriedenheit, Motivation und Kreativität am Arbeitsplatz“ begünstige. Weder für den aktuellen Arbeitsminister Georges Engel, noch für seinen Vorgänger Dan Kersch (beide LSAP) stellte die Reform des Kollektivvertragsgesetzes jedoch eine Priorität dar.

Keiner der beiden wollte sich in dieser Woche auf Land-Nachfrage dazu äußern. Engel ließ lediglich über sein Ministerium mitteilen, eine Reform noch vor den Wahlen im Oktober sei unwahrscheinlich. Genau wie zur Arbeitszeitverkürzung hat der Arbeitsminister beim Liser auch eine Studie über die Tarifverträge in Auftrag gegeben. Im April will er die Resultate vorstellen. In einer ersten Phase führe das Forschungsinstitut eine Bestandsaufnahme der aktuellen Gesetzgebung durch, danach wolle der Arbeitsminister Gespräche mit den Sozialpartnern führen, um besser zu verstehen, wie Tarif-

Was wohl auch daran liegt, dass die Arbeitgeber nicht unbedingt an einer Reform interessiert sind. Durch das „strenge Arbeitsrecht“ und den „höchsten gesetzlichen Mindestlohn in Europa“ seien die Beschäftigten schon ausreichend geschützt, sagt UELDirektor Jean-Paul Olinger dem Land. Die tarifvertragliche Abdeckung „per se“ zu erhöhen sei daher wenig sinnvoll. Es sei denn, die Regierung würde das Arbeitsrecht „auflockern“, indem sie ihr Mobbing-Gesetz zurückziehe, weil die Bestimmungen bereits in einer berufsübergreifenden Vereinbarung zwischen den Sozialpartnern geregelt worden seien. Oder sie revidiere die vor 90 Jahren per Verordnung eingeführte und 1965 per Gesetz verankerte Regelung, dass Unternehmer Tarifverträge nur mit Gewerkschaften abschließen dürfen. Stattdessen sollten Firmenleitungen auch mit Personaldelegationen verhandeln können, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind, meint Olinger. Streikrecht OGBL und LCGB dürften wohl kaum damit einver-

standen sein, ihre Verhandlungshoheit aufzugeben. Neben einer Verpflichtung für Arbeitgeberverbände, sich an sektoriellen Kollektivvertragsgesprächen zu beteiligen, wenn sie von Gewerkschaften dazu eingeladen werden, fordert Frédéric Krier, Mitglied des geschäftsführenden Vorstands beim OGBL, eine Lockerung des Streikrechts. Anders als in den Nachbarländern sind in Luxemburg Warnstreiks erst erlaubt, wenn die Schlichtungsprozedur offiziell gescheitert ist. Das ist mit ein Grund dafür, wieso hierzulande so wenig gestreikt wird. Wären – zeitlich begrenzte und im Vorfeld angekündigte – Warnstreiks schon vor und während der Schlichtung erlaubt, hätten die Gewerkschaften wesentlich mehr Handlungsspielraum, sagt Krier.

Ein Ziel der vom sozialistischen EU-Kommissar Nicolas Schmit mit ausgearbeiteten EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne ist es auch, die Sozialpartner in Europa wieder zu stärken. Während in Luxemburg der Anteil der Unternehmen, die Mitglied beim Arbeitgeber-Dachverband UEL sind, seit Jahrzehnten unverändert bei über 80 Prozent liegt, ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Arbeitnehmenden in den vergangenen Jahren gesunken. 2019 lag er in Luxemburg unter 30 Prozent. Diese Unverhältnismäßigkeit beim Organisationsgrad hat mehrere Gründe. Zwar ist die absolute Zahl der Gewerkschaftsmitglieder in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, allerdings nicht so schnell, wie der äußerst dynamische Arbeitsmarkt gewachsen ist. Insbesondere Grenzpendler aus Frankreich, wo die Gewerkschaften zwar durchaus selbstbewusst und aggressiv vorgehen, der Organisationsgrad aber traditionell niedrig ist, sind für OGBL und LCGB schwer zu erreichen. Auf Patronatsseite ist das freilich „besser“ geregelt. Bei der Handels- und Handwerkerkammer, die beide der UEL angehören, ist die Mitgliedschaft für alle in Luxemburg ansässigen Unternehmen (außer landwirtschaftlichen) obligatorisch.

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Sven Becker

Über 80 Prozent liegt diese Quote etwa in Belgien und Frankreich, aber auch in Italien, Österreich und in den skandinavischen Ländern. Die Niederlande kommen fast auf 80 Prozent. Im neo-korporatistischen Luxemburg lag die tarifvertragliche Abdeckung im Jahr 2018 laut OECD bei 56,9 Prozent – und damit auf einem ähnlichen Niveau wie in Deutschland. Das Statec berichtet von insgesamt 59 Prozent – Gehälterabkommen im öffentlichen Dienst inklusive. Lässt man Staat und Gemeinden beiseite, ist im Privatsektor lediglich etwas mehr als die Hälfte der Beschäftigten (53 Prozent) durch einen Kollektivvertrag geschützt. In den vergangenen 20 Jahren hat diese Quote sich kaum verändert.

1955 wurden im Parlament die Diskussionen wiederaufgenommen, um „das Problem der vielfältigen Mindestlöhne zu regeln“, wie es im exposé des motifs zum Gesetzentwurf heißt. 1965 wurde der Entwurf dann schließlich angenommen und die Gewerkschaften als einzig legitimer Verhandlungspartner im Gesetz verankert. Die DP und der wirtschaftsliberale Flügel der CSV sprachen den Gewerkschaften weiterhin die Repräsentativität ab, weil sie nicht über eine personnalité juridique verfügten und demnach als Verhandlungspartner für Unternehmen nicht in Frage kämen. Auch die Dispositionen über Zuschläge für Nachtarbeit wurden kritisiert. Erst 2004 wurde das Gesetz von 1965 reformiert, weil sich noch immer Fragen nach der Repräsentativität stellten, – insbesondere im Zusammenhang mit der ausschließlich im Bankensektor tätigen Gewerkschaft Aleba –, die auch durch Gerichtsurteile bestätigt wurden (im Mai 2021 hat der Arbeitsminister der Aleba auf Antrag von OGBL und LCGB die Repräsentativität nach 16 Jahren entzogen). Die nationale oder sektorielle Repräsentativität wurden als Voraussetzung zur Aushandlung von Kollektivverträgen klarer definiert, um zu verhindern, dass „Hausgewerkschaften oder Splittergewerkschaften, déi de Salariéen näischt bréngen, an ëmgekéiert, just Zizanie stëften an d’Spill vun der Patronatssäit bedreiwen“, die Verhandlungen sabotieren, wie der grüne Abgeordnete Muck Huss es damals während einer Kammerdebatte ausdrückte. Zudem wurde die Dauer der Tarifverträge gesetzlich umrahmt, die Gewerbeinspektion ITM als Instanz ernannt, die über das Inkrafttreten von Tarifverträgen entscheidet, und das nationale Schlichtungsamt professionalisiert. Kleinere Anpassungen wurden noch nach der Einführung des Einheitsstatus im Januar 2009 vorgenommen.

verträge überhaupt zustande kommen, heißt es aus dem Ministerium. Eigentlich wurde für solche Angelegenheiten 2007 das Comité permanent du travail et de l’emploi (CPTE) geschaffen, doch dort wurde das Thema noch nicht einmal angesprochen.

2018 bei einer Gewerkschaftsdemo für bessere Arbeitsbedingungen bei Luxtram


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17.02.2023

DEUTSCHLAND

Autokraten unerwünscht Tom Haas, München

Die Münchener Sicherheitskonferenz positioniert sich klar – mehr oder weniger nem Ableger der Sicherheitskonferenz, der den Bürgerdialog initiieren soll. Und in zwei Monaten, am 25. April, ist er Gastgeber der LAWS-Konferenz in Esch-sur-Alzette – das Akronym steht für Luxembourg Autonomous Weapons Systems, also Militärdrohnen.

Olivier Halmes

Verteidigungsminister François Bausch beim Tag der offenen Tür der Luxemburger Armee im Juli 2022

„Wehrkunde-Tagung“ hieß das inoffizielle Treffen internationaler Politiker und Diplomaten, welches Ewald-Heinrich von Kleist 1963 ins Leben rief. Die Veranstaltung, die heute am 17. Februar beginnt, firmiert inzwischen unter dem Titel „Münchener Sicherheitskonferenz“ und ist gewissermaßen das WEF der internationalen Konflikte. In München treffen sich, privat organisiert, 45 Staatschefs, unzählige Verteidigungsminister, aber auch die Vorsitzenden von Firmen und NGOs zum Plausch über die internationale Friedensordnung. 5 000 Polizisten sorgen für ihre Sicherheit, 19 Demonstrationen wurden angemeldet – zum ersten Mal überhaupt auch eine, die Waffenlieferungen fordert, statt sie verhindern zu wollen. Eingeladene Redner bei der Demo: Die Bundestagsabgeordneten Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP).

Die diesjährige Sicherheitskonferenz, kurz MSC, ist eine Demonstration der transatlantischen Verbundenheit: Ein Drittel aller USSenatoren sind bei der Konferenz vertreten, ebenso der französische Präsident Emmanuel Macron, das polnische Staatsoberhaupt Andrzej Duda und Bundeskanzler Olaf Scholz. Für Luxemburg ist Verteidigungsminister Francois Bausch (Grüne) mit von der Partie: Er wird sich hauptsächlich zu bilateralen Gesprächen mit deutschen Politikern wie Cem Özdemir und Alexander Dobrindt treffen, aber auch an einer von Google organisierten Diskussionsrunde zum Thema Digitale Sicherheit teilnehmen. Auch Michael Schöllhorn, der CEO von Airbus, steht in seinem Terminkalender. Bausch ist offenbar bestrebt, Luxemburg stärker in die Gesprächsrunden zur internationalen Sicherheit einzubinden: Vergangenen Dezember trat er bereits als Gast bei der „MSC on Tour“ in Hamburg auf, ei-

Diejenigen Staaten, deren Drohnen in den vergangenen Monaten für viel Kopfzerbrechen sorgten, sind in München indes nicht vertreten: Russland und der Iran. Und nun kann man sich natürlich fragen, wie sinnvoll eine informelle Konferenz für Diplomatie ist, bei der die größten „Störfaktoren“ der Sicherheitspolitik nicht mit am Tisch sitzen. Christophe Heusgen, Leiter der Konferenz und einstiger Berater von Angela Merkel, möchte den Vertretern der beiden Länder „kein Forum für Propaganda bieten“. Die Sicherheitskonferenz verstehe sich nicht als neutral, sie sei eine Organisation, „die in diesem internationalen Räderwerk für eine regelbasierte Politik“ stehe. Eine Haltung, die durchaus für Kritik sorgt: „Genau jetzt, wo wir Diplomatie und Gespräche bräuchten, trifft man so eine Entscheidung“, zitiert der evangelische Pressedienst epd die Friedensaktivistin Maria Feckl. Feckl ist Mitveranstalterin der Münchener Friedenskonferenz, der parallel stattfindenden Gegenveranstaltung zur MSC. Staatschefs und CEOs sucht man hier vergebens, aber immerhin Greenpeace, ver.di und die Letzte Generation sind vertreten. Bei der großen Konferenz ist man allerdings dabei, ein Feindbild zu entwerfen, welches den wenig schmeichelhaften Titel „Autoritärer Revisionismus“ verliehen bekommen hat – so bezeichnet der am Montag veröffentlichte Munich Security Report, das Diskussionspapier der MSC, die Tendenzen, welche die internationale Stabilität aushöhlen. Russlands Krieg gegen die Ukraine sei „nur der unverhohlenste Angriff autoritärer Mächte auf die liberale, regelbasierte Ordnung“. Autokratien seien auf vielfältige Weise daran beteiligt, „die bisherige Ordnung und ihre Regeln zu untergraben und zu verändern“. Was auf der Konferenz wohl zu klären sein wird: Mit welchen Autokratien, die nachweislich den demokratischen Rechtsstaat sabotieren, darf man trotzdem zusammenarbeiten? Vielleicht Katar, welches in großem Stil versucht, EU-Parlamentarier zu bestechen? Oder Aserbaidschan, das von der EU nun als „stabiler Partner“ bezeichnet wurde, weil es an Russlands Stelle Gas liefern darf – und die neue Anerkennung gleich dazu nutzte,

François Bausch ist offenbar bestrebt, Luxemburg stärker in die Gesprächsrunden zur internationalen Sicherheit einzubinden: Vergangenen Dezember trat er bereits als Gast bei der „MSC on Tour“ in Hamburg auf, einem Ableger der Sicherheitskonferenz, der den Bürgerdialog initiieren soll

seinen Nachbarn Armenien zu überfallen und die autonome Republik Artsakh, früher bekannt als Berg-Karabach, zu belagern? Dort spielt sich gerade eine humanitäre Krise ab, welche Christoph Heusgen indes nicht davon abhielt, den aserbaidschanischen Autokraten Ilham Aliyev einzuladen. Aber der Kaukasus ist weit entfernt, die Ukraine ist nahe und steht dementsprechend natürlich auch im Fokus der Konferenz. Der Security Report hebt die „außergewöhnliche Resilienz und Entschlossenheit des ukrainischen Volkes“ hervor, der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba ist mit einer Delegation vor Ort und die leeren Stühle der russischen Gesandtschaft werden von russischen Oppositionellen besetzt: Garri Kasparow und Julija Nawalnaja dürfen ihre Vorstellungen über ein Russland einbringen, welches sich des Diktators im Kreml entledigt hat. „Breaking the Vicious Circle: Mapping views on exit strategies for post-Putin Russia“ heißt die Veranstaltung – ein Dinner, an dem auch François Bausch teilnehmen wird.

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ROUMANIE

Les opportunités en Europe de l’Est Mirel Bran, Bucarest

Au revoir la Russie, bonjour la Roumanie ! Ou la Pologne et les pays baltes. De plus en plus d’entreprises européennes ferment leurs portes en Russie et les ouvrent dans les anciens satellites de l’URSS devenus entre-temps membres à part entière de l’Alliance atlantique. Nokian, une compagnie finlandaise parmi les leaders du secteur pneumatique au niveau mondial, a fermé son usine en Russie en juin 2022 et en ouvrira une au printemps 2023 à Oradea, ville située au nord-ouest de la Roumanie. « Cet investissement est une décision stratégique importante qui permettra notre future croissance », a déclaré Jukka Moisio, président de Nokian Tyres. « Une usine de fabrication de classe mondiale en

Europe est, selon nous, une étape clé qui offrira une capacité supplémentaire alors que nous commençons à développer les nouveaux pneumatiques Nokian sans la Russie », a poursuivi le chef d’entreprise. Il suffit de se promener à Oradea pour comprendre le choix de l’équipementier. Une ville cosmopolite, fière de sa diversité ethnique composée de Roumains, de Hongrois et d’Allemands et de sa main d’œuvre qualifiée à des prix abordables. Son architecture rappelle la splendeur de l’ancien empire austro-hongrois et son ouverture au monde est tout le contraire d’une Russie repliée sur elle-même. Le choix de Nokian a été rapide : on ferme en Russie

et on ouvre en Roumanie, pays protégé par le parapluie de l’Otan et de l’Union européenne. « Nous nous engageons à construire une usine sans émission de CO2, la première de notre secteur », promet Jukka Moisio. « Le site roumain nous permettra d’atteindre cet objectif car nous pourrons utiliser l’énergie verte produite à proximité », détaille-t-il. La guerre que la Fédération de Russie mène en Ukraine change la donne économique dans les anciens pays communistes intégrés dans l’UE et dans l’Otan depuis la chute du mur de Berlin en 1989. Les anciens satellites de l’Union soviétique ne veulent plus faire affaires avec Moscou et cherchent à s’an-

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La Roumanie, qui a soutenu l’Ukraine de manière inconditionnelle depuis le début de la guerre, compte attirer une bonne partie des investissements qui vont quitter la Russie crer dans l’espace euro-atlantique. La Roumanie, la Pologne et les pays baltes s’affirment ainsi comme les principaux acteurs dans l’espace que l’URSS avait dessiné aux temps de la guerre froide. Les entreprises occidentales installées en Russie et en Ukraine déménagent leur production dans ces pays qui bénéficient de la protection de l’Alliance atlantique. La Roumanie profite de ce retournement de situation pour attirer des investissements. Le Fonds monétaire international (FMI) a annoncé une croissance économique de 3,1 pour cent en 2023. En 2022, les investissements étrangers ont atteint dix milliards d’euros, un record depuis l’adhésion de la Roumanie à l’UE en 2007. « Nous soutenons tous les projets de relocalisation en Roumanie des affaires affectées par la guerre en Ukraine », a déclaré Nicoala Ciuca, le Premier ministre roumain. Le cabinet d’audit financier et de conseil Ernst & Young, bien implanté en Roumanie, encourage le gouvernement de Bucarest à faciliter les investissements et signale la concurrence des anciens pays du rideau de fer dans le contexte de la guerre

en Ukraine. « Les Polonais, les Tchèques et les Hongrois ont créé des agences spécialisées dans les investissements étrangers, affirme Alex Milcev, le chef du département d’assistance fiscale et juridique d’Ernst & Young en Roumanie. Dans le contexte de la guerre, de plus en plus de multinationales quittent la Russie. C’est une nouvelle tendance qui veut dire que des milliards d’euros vont être déménagés. Où vont-ils être déménagés ? Il suffit de regarder une carte. Ce sera en Roumanie, en Pologne, un peu dans les pays baltes et peut-être en Hongrie et en Slovaquie. » La Roumanie, qui a soutenu l’Ukraine de manière inconditionnelle depuis le début de la guerre, compte attirer une bonne partie des investissements qui vont quitter la Russie. Le déménagement de Nokian en Roumanie est un exemple de ce phénomène de migration des capitaux. « Avec son usine de pneus avec zéro émission de CO2, Nokian compte sur une production de six millions de pneus par an et 500 emplois. En 2022 les investissements étrangers ont affiché une hausse de 46 pour cent », selon le chef du gouvernement roumain. Selon les experts, la reconstruction de l’Ukraine devrait prendre une dizaine d’années. Le président ukrainien Volodymyr Zelensky a évalué les pertes économiques causées par l’invasion russe à 600 milliards d’euros. La Banque européenne pour la reconstruction et le développement table cette année sur une contraction massive de trente pour cent de l’économie ukrainienne. Dans le contexte de la guerre, l’Ukraine a entamé des démarches pour déposer sa candidature à l’UE, laquelle a été acceptée, et aspire à intégrer l’Otan. La Roumanie, la Pologne et les pays baltes comptent jouer un rôle important dans la reconstruction de l’Ukraine. Un pari qui semble pour l’instant jouer en leur faveur.

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Ministres en Amazonie Les mises à jour début février des registres des entrevues des membres du gouvernement et de leurs conseillers révèlent les portes ouvertes aux multinationales siégeant au Luxembourg ainsi que les préoccupations de ces dernières en matière règlementaire et fiscale. ArcelorMittal avait procédé à une offensive de lobbying au moment de la réforme du marché européen des quotas carbone. Amazon passe à son tour à l’attaque à l’heure des discussions sur les réformes fiscales européennes et sur le digital services act. Le 8 décembre, la Commission publiait la proposition de règlement sur la TVA à l’ère numérique. Le texte prévoit notamment une refonte des obligations de reporting, pas une mince affaire pour le siège européen du leader mondial du e-commerce,

installé au Luxembourg. La ministre des Finances, Yuriko Backes (photo : Conseil européen, à l’Eurogroupe lundi en compagnie du directeur du Mécanisme européen de stabilité et prédécesseur rue de la Congrégation) a reçu dès le 16 décembre un trio de représentants d’Amazon pour évoquer le sujet de la TVA et celui de la réforme fiscale de l’OCDE (sur la taxation minimum des entreprises). Le 9 décembre, cinq représentants d’Amazon se sont présentés chez Carlo Fassbinder, directeur fiscalité du ministère des Finances. Au menu : la mise en œuvre de la directive sur la coopération administrative Dac7. Et enfin, des émissaires se sont rendus chez le numéro 2 du ministère de l’Économie, Tom Theves. À l’ordre du jour, un échange sur l’implémentation du règlement Digital Services Act. pso

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17.02.2023

W I R T S C H A F T

Ruhe auf hohem Niveau Die Strompreise im Großhandel sind gesunken. Man sieht das am Referenzpreis, den die Regulierungsbehörde ILR jeden Monat bestimmt. Im Januar fixierte sie ihn auf rund 121 Euro pro Megawattstunde. Das ist so wenig wie nie im vergangenen Jahr und ebenfalls weniger als im September 2021. Damals hatte dieser Preis einen Sprung von 83 auf 129 Euro gemacht. Die Ära der niedrigen Preise ging damit zu Ende. Extrem niedrig waren sie im Corona-Jahr 2020 und lagen zum Teil in einem Monat bei 18 bis 30 Euro die Megawattstunde. Das Energieministerium kommentiert auf Anfrage, der Rückgang jetzt habe „sicherlich mit den gesunkenen Gaspreisen“ zu tun. Die „Nervosität“ an den Märkten habe abgenommen. Eine detailliertere Analyse macht Energieversorger Enovos Luxemburg. Der ILR-Preis ist ein synthetischer Preis aus dem Spotmarkt-Handel von einem Tag zum nächsten an der europäischen Strombörse. Die Preise im Termingeschäft auf längere Sicht mit futures seien ebenfalls gesunken, sagt Claude Simon, Head of Energy Sales. Eine Megawattstunde an „Grundlaststrom“ koste zurzeit 160 Euro. Ende 2022 seien es 220 Euro gewesen, vergangenen August bis zu 800 Euro, vor dem Sommer 2021 dagegen nur 50. Die Beruhigung, die sich nun ablesen lässt, führt Simon auf mehrere Faktoren zurück. Der Gaspreis habe von 150 Euro pro Megawattstunde im Dezember auf nun 50 bis 60 Euro nachgegeben. Der

Kohlepreis von bis zu 350 Dollar pro Tonne im Herbst 2022 auf 141 Dollar heute. In Frankreich stehe wieder mehr AKW-Kapazität zur Verfügung. Im Sommer 2022 sei sie wegen der reparaturbedingten Abschaltungen mit 20 bis 25 Gigawatt so klein gewesen wie nie, bis November allmählich auf 30 Gigawatt gestiegen, heute liege sie bei etwa 60. Folglich müsse Deutschland weniger Strom für Frankreich produzieren, was den Verbrauch von Gas und Kohle senke. Zu allem Überfluss habe es 2022 auch „wenig Wasser und wenig Wind“ gegeben. Zurzeit gebe es wieder mehr Wind. Nicht zuletzt wirke sich der „extrem milde Winter“ aus, so Simon. „Dadurch waren die Gasspeicher Ende 2022 zu 90 Prozent gefüllt.“ Gegenwärtig lägen die Füllstände bei im Schnitt 75 Prozent. Das sei mehr als doppelt so viel wie 2022 und 2021 um diese Zeit. Da bis Ende Februar keine neue Kältewelle vorhergesagt wird, schließt Simon nicht aus, „dass wir so gut aus dem Winter kommen, dass bereits im Sommer wieder ein hohes Speicherniveau erreicht sein wird“. Allerdings gehe Enovos davon aus, dass trotz der positiven Umstände die Strompreise dieses Jahr „drei bis vier Mal höher bleiben werden als vor Beginn der ganzen Krise“. Enovos stelle sich darauf ein, indem kontinuierlich vergleichweise kleine Mengen eingekauft werden. pf

La braderie du secret professionnel Raphael Halet s’est déplacé avec son épouse et son fils mardi à la Cour européenne des droits de l’Homme

à Strasbourg pour la lecture de l’ultime décision judiciaire le concernant, après quasiment dix ans de procédures. L’ancien employé de PWC, deuxième source des révélations Luxleaks (mises en ligne en novembre 2014 par l’ICIJ après avoir été collectées par le journaliste français Edouard Perrin), avait été condamné en 2017 à mille euro d’amende par la Cour d’appel luxembourgeoise (photo : PG) pour le vol de seize dossiers fiscaux à son employeur. À l’inverse d’Antoine Deltour, qui en avait soustrait 538 (45 000 pages de documents confidentiels), Raphael Halet n’avait pas accédé au statut de lanceur d’alerte. Le vol et la violation du secret professionnel commis n’auraient pas assez servi l’intérêt public pour exonérer l’infraction pénale. Le Français s’est tourné vers la CEDH, « pour la cause ». Il n’en a pas obtenu gain en première instance le 11 mai 2021. Mais, mardi, la Grande chambre a statué différemment. Raphael Halet veut modifier la jurisprudence relative aux lanceurs d’alerte pour que les personnes revendiquant la protection attachée à ce statut n’aient plus à établir que l’interêt public de l’information divulguée l’emporte sur le préjudice subi par l’employeur du fait de la divulgation. Le gouvernement luxembourgeois (auquel le requérant faisait face) avait ainsi prévenu de l’enjeu au cours de la procédure. Plusieurs ONG s’étaient associées à Raphael Halet. Media Defense a notamment insisté sur l’importance de veiller à ce que les lanceurs d’alerte puissent compter sur un cadre juridique de protection à la fois clair, cohérent

et compréhensible. Protéger les lanceurs d’alerte en tant que sources journalistiques « est crucial pour préserver le rôle de sentinelle du journalisme d’investigation dans les sociétés démocratiques », a soutenu l’association. D’un côté, la grande chambre a ainsi mis dans la balance l’intérêt des informations soumises, jugé réel et « apportant bien un éclairage nouveau, dont il convient de ne pas minorer l’importance dans le contexte d’un débat sur l’évitement fiscal, la défiscalisation et l’évasion fiscale (…), sur les choix politiques opérés au Luxembourg en matière de fiscalité des entreprises, ainsi que sur leurs incidences en termes d’équité et de justice fiscale, à l’échelle européenne », est-il écrit dans l’arrêt. De l’autre côté de la balance, les juges admettent que PWC a connu un déficit de réputation à court terme, mais les résultats financiers de la firme sont très rapidement revenus dans un vert vif. « La Cour estime que l’intérêt public attaché à la divulgation de ces informations, l’emporte sur l’ensemble des effets dommageables », lit-on dans la décision ultime rendue mardi par douze des 17 juges. Le Luxembourg est condamné pour avoir violé l’article 10 de la Convention

européenne des droits de l’homme qui garantit la liberté d’expression et qui protège les lanceurs d’alerte. Le Luxembourg doit payer ce que Raphael Halet demandait pour dommages, 15 000 euros, et le montant de frais qu’il a présentés, 40 000 euros. Dans leur opinion dissidente, quatre des cinq juges qui ont voté contre la condamnation (dont le Luxembourgeois Georges Ravarani et une juge Monégasque) voient là un revirement de jurisprudence. « Le statut de lanceur d’alerte confère une protection très puissante à celui qui en bénéficie puisqu’il l’exonère de l’application du droit pénal. Il est donc fondamental que sa reconnaissance soit entourée d’une grande prudence et obéisse à des critères définis strictement », écrivent-ils. Or, la Cour élargirait ici considérablement la notion d’intérêt public. Aux deux critères précédemment admis que sont la révélation de comportements illicites ou celle d’actes répréhensibles sans être illégaux, s’ajoute-là celui des « informations suscitant débat ». Serait à considérer comme lanceur d’alerte tout individu volant à son employeur des informations « suscitant des controverses ». « Tout peut entrer dans cette catégorie, même l’état de santé d’une personne qui occupe des fonctions dirigeantes ou les avoirs en banque d’une personnalité politique. Il s’agit d’informations protégées, à bon escient, par le secret professionnel ou une autre forme de confidentialité. Avec ce nouveau critère, cette protection se révèle vidée de sa substance. Et la sécurité juridique passe par pertes et profits, » écrivent les quatre juges.

Pour les intéressés, l’arrêt Halet « brade » le secret professionnel devant une « information qui n’est que intéressante sans révéler une pratique illégale, ou du moins répréhensible. » pso

Spendenbereitschaft auf hohem Niveau Wie solidarisch sind die Einwohner/ innen Luxemburgs mit den vom Erdbeben in der Türkei und in Syrien betroffenen Menschen? „Die Bereitschaft, zu spenden, ist sehr hoch, wie auch schon 2010, als in Haïti mindestens 200 000 Personen gestorben sind“, antwortet Caritas-Präsidentin Marie-Josée Jacobs. Gleiches berichtet das Rote Kreuz. Genaue Zahlen könne man aber noch nicht nennen. Jacobs konstatiert allgemein keinen Rückgang der Spendenbereitschaft, trotz Inflation. Allein für den Krieg in der Ukraine wurden in Luxemburg vergangenes Jahr über 3,2 Millionen Euro gespendet. An der türkischen Botschaft in Luxemburg spricht man von einem „élan de solidarité énorme“ gegenüber dem L’essentiel. Über hundert Tonnen an Schalfsäcken, Decken und Zelten seien bisher gesammelt und verschickt worden. Die Caritas und das Rote Kreuz finanziert mit ihrem Spenden Grundgüter und Helfer. Diese transportieren Verletzte, teilen Nahrung, Wasser und Medikamente aus. Beide Organisationen sind sowohl in der Türkei als auch in Syrien aktiv. Experten befürchten, dass mehr als 70 000 Tote geborgen werden, die offizielle Zahl liegt derzeit bei über 40 000. Mehr als 50 Millionen Menschen sind laut WHO in der

Erdbebenregion auf humanitäre Hilfe angewiesen. sm

Épris et repris de justice En sus de sa condamnation mardi par la Cour européenne des droits de l’Homme pour ne pas avoir reconnu en tant que tel le lanceur d’alerte Raphaël Halet, le Luxembourg est poursuivi depuis mercredi par la Commission de Bruxelles devant la Cour de justice de l’Union européenne (CJUE) pour en pas avoir transposé à temps la directive assurant la protection des lanceurs d’alerte. Sept autres pays sont visés, dont l’Allemagne, l’Espagne et l’Italie. Le projet de loi luxembourgeois suit son parcours à la Chambre des députés depuis plus d’un an. Parallèlement, le gouvernement confirmait lundi soir qu’il s’associait à la Commission européenne et à la Belgique dans leur recours devant la CJUE contre ne loi hongroise interdisant la diffusion de contenus sur l’homosexualité auprès des mineurs, jugée discriminatoire à l’égard des personnes LGBT+. pso

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W I R T S C H A F T

17.02.2023

Homeoffice statt Backstube Stéphanie Majerus

Baguettes und Vollkornbrot sind Kulturgut. Trotzdem sind zwei von drei Bäckereien auf Personalsuche

Sven Becker

dert habe; „et gëtt bësse méi gespuert.“ Und wenn Brot gekauft wird, ist ein Mix aus unterschiedlichen Vorlieben erkennbar: „Wir sind sowohl von belgischen, deutschen und französischen Backtraditionen geprägt“, meint die Leitungsperson der Bäckerei Jos a Jean-Marie. „Sowohl das luftige belgische Brot, das kompakte deutsche Vollkornbrot als auch das französische Baguette sind beliebt“. Die Bäckerei Molitor unterscheidet nochmals nach Region: „In Lamadeleine verkaufen wir mehr Baguette, vielleicht weil es an der Grenze zu Frankreich liegt.“ Allgemein werde in Luxemburg noch immer viel Weißbrot gekauft, aber ein Trend hin zu mehr Vollkorn-Sorten sei beobachtbar. Überdies spiegele sich die sozioökonomische Situation einer Region im Kaufverhalten; in der Verkaufsstelle in Mamer werde gelegentlich eine Rieslingpastete zu viel gekauft.

Derzeit sind 3 800 Stellen im Handwerk nicht besetzt. Damit hat sich die Suche nach geeigneten Kandidaten gegenüber Vorpandemiezeiten verschärft. Seit 2019 ist die Nachfrage gar um 20 Prozent gestiegen. Als Hauptgrund für die Nichtbesetzung geben die Betriebe in einer repräsentativen Studie der Handwerkskammer fast einstimmig an, die Profile der Arbeitssuchenden, würde nicht zu den vakanten Plätzen passen. Bei fast die Hälfte der Posten handelt es sich um neugeschaffene – trotz weltweiter makroökonomischer Großwetterlage sind demnach neue Arbeitsplätze entstanden. Vor allem Maurer, Elektriker, Heizungsinstallateure und Automechaniker sind gefragt. Auch der Frühaufsteher-Beruf Bäcker führt die Liste an. Die Boulangerie Molitor mit Verkaufsposten in Lamadeleine, Mamer und Kleinbettingen sucht bereits seit Juli 2022 Bäckernachwuchs. „D’Leit si kamout, et wëll kee méi fréi opstoen“, bedauert Nico Müller. Ein Lehrling von ihm hat nach einem Jahr die Ausbildung hingeschmissen: „meine Freunde gehen Samstagsabends weg und ich konnte nicht mitfeiern“, zitiert ihn der Bäckermeister. Er selbst hat vor 30 Jahren als Bäcker in unterschiedlichen Backstuben gearbeitet. Mal musste er abends um zehn anfangen, mal um zwei nachts. Die Bedenken der Jugendlichen kann er deshalb nachvollziehen. Der Beruf sei zudem eine Herausforderung für das Familienleben: „Et brauch een eng Fra, déi dee Liewensrhythmus matspillt“. Darüber hinaus werde der Beruf kaum wertgeschätzt: „Mütter erzählen lieber beim Friseur, ihr Sohn sei Arzt oder Anwalt. In der Schweiz, wo ich regelmäßig an Fachhochschulen zweisprachiges Lehrmaterial für die Bäckerausbildung abhole, ist das anders. Dort stoßen Handwerksberufe auf Zustimmung.“ Als Beisitzender bei der Bäckerprüfung meint Nico Müller zu beobachten, dass die meisten Jugendlichen den Beruf nicht aus eigener Motivation heraus gewählt haben, „mee wëll soss näischt méi iwwreg war“. Aber nicht nur: Bei der letzten Prüfung tauchten auch weit in die 30-Jährige Frauen auf, die ihre Leidenschaft für die Konditorei entdeckt hatten. Von seinen 14 Angestellten sind derzeit fünf Bäcker, allesamt Männer und Grenzgänger aus Frankreich.

Während Vollkornbrot von Ernährungsforschern gepriesen und Weißbrot als nährstoffarmes Gebäck herabgestuft wird, war es historisch betrachtet umgekehrt: Helle Brotsorten aus feinem Mehl waren ein Luxus, der reichen Bevölkerungsschichten vorbehalten wurde. Die breitere Gesellschaft leistete sich bis zum Spätmittelalter eher Brei – Brot war zu teuer. Und leistete sich die ärmere Bevölkerung Brot, dann eher grobes, dunkles. Der Ursprung der Brotback-Kunst geht jedoch viel weiter zurück: Wilder Hafer und Gerste wurden ab der mittleren Altsteinzeit zu Mehl vermahlen, gewässert und gebacken. Im Nordirak wurden über 40 000 Jahre alte Spuren von Wildgerste gesichert, die offenbar erhitzt worden waren. Erste Backöfen wurden bereits um 2500 vor Christus in Ägypten entwickelt, wo vermutlich erstmals Sauerteig verwendet wurde. Im 19. Jahrhundert kommen industrielle Öfen und Teigknetmaschinen zum Einsatz, die das Bäckerhandwerk erheblich erleichterten. Zudem lösten sich damals die Zünfte auf und die Freiheit der Berufswahl setzte sich durch. In Europa ist Brot derweil Kulturgut: Seit November 2022 gilt das Baguette als „immaterielles Kulturerbe der Menschheit“. So hat es die UN-Kulturorganisation Unesco entschieden. Deutschland ist nicht weniger Brotversessen, es zählt mit über 300 registrierten Sorten beim BäckereiVerband die meisten weltweit.

53 Prozent der in Luxemburg beschäftigten Fueskichelcher aus der Handwerker/innen stammen aus den NachbarBackstube Scott ländern. Mittlerweile aber ist die Großregion leer gesaugt, auch hier herrscht ein virulenter Fachkräftemangel, analysiert Wirtschaftsjournalist Uwe Hentschel im Luxemburger Wort. Die Handwerkskammer schlug deshalb während einer Pressekonferenz letzte Woche vor, in Marokko und Tunesien zu rekrutieren und fordert die Regierung auf, den Zugang zum hiesigen Arbeitsmarkt für nicht EUBürger/innen zu erleichtern. Zwar solle man weiterhin Richtung Osteuropa blicken, aber durch die europäischen Mindestlohnstandards sind die Arbeitsbedingungen vor Ort attraktiver geworden und die Bereitschaft zur Arbeitsmigration gesunken. Der Mittelstandsminister Lex Delles zeigte sich in einem Quotidien-Interview offen für die Forderungen der Handwerkskammer: „Je pense qu’il faut Jean-Marie Neuberg, Bäckermeister creuser toutes les pistes, car le problème de main-d’oeuvre n’est pas uniquement un problème luxembourgeois mais européen“. Wahrscheinlich kommt er diesen Vorschlägen entgegen, weil in seinem Hinterkopf das Wissen um den anhaltenden demografischen Wandel spukt: Nachdem die cher Institutionen groß. Anne Schaeffer, Geschäftsleiterin bei Babyboomer-Generation das Licht der Welt erblickte, ging BioScott Gasperich, führt aus: „Auch nach einer Bäckerausdie Natalitätsrate in nahezu ganz Europa ruckartig zurück. bildung wird sich nach Posten in einem Ministerium oder bei Es ist gar nicht möglich Arbeitsplätze von in Rentegehen- der CFL umgeschaut. Letztes Jahr hat uns eine sympathische Verkäuferin verlassen; beim Staat verdient sie jetzt 1 000 Euro den ohne Zuzug zu besetzen. mehr. Mit solchen Gehältern können wir nicht mithalten.“ Als weiteren Grund für den Fachkräftemangel wird neben Ähnlich wie in der Bäckerei Molitor blieben zwei Bäckerposder Abwertung von Handwerksberufen, der Rückgang an ten über vier Monate unbesetzt. „Nach der Pandemie hat sich Ausbildungsplätzen während der Pandemiephase genannt. die Flucht aus den Handwerksberufen verschärft. Das HomeZudem sei sogar im Bäckereiwesen die Konkurrenz staatli- office-Modell und Bürozeiten statt nachts oder draußen zu

„Sowohl das luftige belgische Brot, das kompakte deutsche Vollkornbrot als auch das französische Baguette sind beliebt“

arbeiten – das wünschen sich Arbeitnehmer“, sagt sie. Zwei von drei Bäckereien sind laut Handerkskammer auf der Suche nach Personal; bis zu 300 Arbeitnehmer/innen könnte die Branche insgesamt aufnehmen. In dem mittelständischen Betrieb Jos a Jean-Marie in Mertzig arbeiten mittlerweile 220 Personen, davon 85 in der Produktion sowie drei bis vier Lehrlinge. In dieser nördlichen Region ebenfalls mehrheitlich Arbeitskräfte aus dem Ausland die Backstube am laufen, aber immerhin ein Drittel sind Einheimische. Das Unternehmen mit 16 Verkaufsläden hat in den vergangen Monaten Bäcker von kleineren Bäckereien, die in Konkurs gingen, übernommen. Dennoch könnte es morgen noch fünf weitere Arbeitnehmer aufnehmen, falls sich Kandidat/innen melden würden. „Mir sichen ëmmer Leit“, so der Geschäftsführende Bäckermeister Jean-Marie Neuberg. Um Jugendliche für den Beruf zu begeistern, organisieren sie einen Tag der offenen Tür: „Wir erläutern bei der Gelegenheit, dass man mit Sauerteig einige Brotsorten tagsüber vorbereiten kann und sich der Job durch technische Innovationen erleichtert hat.“ Aufgrund der Inflation meint Nico Müller festzustellen, dass sich das Kaufverhalten in den vergangenen Monaten verän-

Am Mittwoch schaltete sich der OGBL ebenfalls in die Fachkräftemangel-Debatte ein. Die Gewerkschaft urteilt, sie sei „das direkte Ergebnis einer kontraproduktiven“ Politik der Arbeitgeber. Jede „ernsthafte Diskussion über eine Aufwertung“ des Handwerks hätten sie verhindert sowie auch höhere Gehälter. Ohne auf die Stellungnahme angesprochen zu werden, erwähnte Jean-Marie Neuberg, Gewerkschaften sollten „aufhören Klein- und Mittlere-Unternehmen mit großen Industrien zu vergleichen“. Die Wertschöpfung pro Beschäftigtem falle in Handwerksbetrieben geringer aus als in anderen Branchen. „Geschäftsleiter von Handwerksbetrieben verdienen keine Millionen und fahren nicht mit protzigen Autos umher.“ Man wolle nicht mit Industriebossen verglichen werden. Ob sich mittelständische Unternehmen dennoch einer Diskussion über Kollektivverträge verschließen dürfen, – das ist eine andere Frage. Nicht nur der Bedarf nach qualifiziertem Nachwuchs bleibt groß. Auch die Spannbreite der Gewinnmargen ist es: Kleinbäckereien haben das vergangene Jahre mit einem Gewinn von 3 000 bis 5 000 Euro abgeschloßen, mittelständische wie Jos a Jean-Marie mit knapp unter einer Million und die Großbäckerei Panelux zieht nochmals mehr als das Doppelte raus. Gab es 1970 noch 228 Bäckereien mit ein bis neun Mitarbeitern, sind es heute nur noch 27. Sehen sich kleine Betriebe durch die Konkurrenz bedroht? „Die Situation ist anders als in Deutschland, wo Industrie-Brötchen die Preise ordentlich drücken. Wir haben hierzulande eine solidarischere Preispolitik“, antwortet Nico Müller.

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M E I N U N G

DIE KLEINE ZEITZEUGIN

ZU GAST

Wenn die Erde bebt

Neue Gegenkultur In den späten 50er-Jahre begehrte die amerikanische Beat-Generation gegen das Establishment auf. Sie war gegen die Zensur, für die Eigentümlichkeit anstatt der staatlichen Reglementierung, und (später) gegen die amerikanische Intervention in Vietnam. Inspiriert durch die BeatGeneration, entwickelte sich die HippieKultur der 60er-Jahre. Diese Bewegung, die sich als neue Linke definierte, war die sogenannte Gegenkultur. Einer der bekanntesten Persönlichkeiten dieser Zeit war Marco Savio, ein amerikanischer Revolutionär und Anführer der BerkeleyFree-Speech-Bewegung. In seiner Rede vom 6. Dezember 1964 an der Universität Berkeley sagte er Folgendes:

Michèle Thoma

Es war in einer Volkshochschule in Wien, vor ein paar Jahren. Mein erstes Mal, hoffentlich auch mein letztes. Lehrer Nino stand an der Tafel, rechtschaffen bemüht, seinen Schüler/innen die Spezialitäten der kroatischen Grammatik näherzubringen, als es passierte. Danach war es still. War das jetzt ein Erdbeben?, fragte jemand. Eine Stimme, wie ich sie noch nie gehört hatte. Eine stimmlose Stimme. Eine vollkommen farblose, eine bleiche Stimme. Wir schauten uns an, ja, hörte ich mich hauchen. Ich war wie erstarrt, in einer absurden Position, zugleich versteinert und auf dem Sprung. Zugleich im Flucht- und im Totstellmodus. Raus hier, ins Freie, rette sich wer kann, nur raus.

Später, bei unserm Stammwirt, schien alles nur noch ein fait divers. Eine Anekdote. Ja, die Doppler haben gewackelt, sagte Wirt Kemal und schenkte aus, großzügig wie immer. Könnte ich mich in Ruhe betrinken? Man konnte diesen Erdboden ja offensichtlich nicht aus den Augen lassen. Er war plötzlich nicht mehr der alte. Der selbstverständliche. Der, der immer da ist. Der Boden unter den Füßen. Wacheschieben wäre angesagt. Man konnte sich nicht einfach in Morpheus’ Arme kuscheln. Im Schlaf überrascht, heißt es ja immer.

Wer einmal spürte, wie die Erde unter ihm auch nur erschauerte, verliert eine grundlegende Illusion

Dass Mami Erde mit dem kleinen Zeh gewackelt hat, erschütterte die Grundfesten meines Urvertrauens, meines, ich gebe zu, sehr kindischen. Der Grund soll fest sein. Darauf gründen wir, darauf gründet alles. Der Boden unter den Füßen, darauf fußen wir. Ganz archaisch. Unsere Basis auf diesem Planeten. Als wäre es nicht schon Zumutung genug, dass wir angeblich kopfüber kopfunter durchs Weltall wirbeln! Der Boden unter unseren Füßen kann nicht mobil sein, das sind nur wir, er kann nicht flexibel

Sven Becker

Die drei Stockwerke runter? Oder war es nichts, es ist nichts, alles nur nichts? Mit dem Blick auf die Handvoll anderer, im Herdenreflex. Die ebenfalls auf dem Sprung Versteinerten. Das war wohl ein Erdbeben, sagte Nastavnik Nino, seine Stimme klang fest wie immer, er stand an der Tafel, felsenfest, schrieb was, irgendwas über diesen idiotischen sechsten Fall. Die Gesichter um mich nahmen wieder Farbe an, die Körper entspannten sich, und als wir auf die Straße traten, stand alles da wie immer. Die Gebäude in Reih und Glied. Ein Stein auf dem andern. Alle Steine auf den andern. Alles an Ort und Stelle. Leute kamen uns entgegen, sie wirkten nicht verrückter oder normaler als üblich. Ich konnte meinen Augen aber nicht trauen und dem Erdboden schon gar nicht. Würde er noch mal? Nino wischte alles mit einer Handbewegung weg, er lachte gar. Seid ihr alle da?, rief ich die Liebsten an und dankte Gott, Göttinnen, Universum, wem oder was auch immer, Mutter, oder wie soll ich dich nennen, Erde, du hast es mit uns doch nicht so schlecht gemeint. Nur so ein Gewackel unter uns.

Der Grund soll fest sein. Darauf gründen wir, darauf gründet alles

sein. Etwas soll nicht flexibel sein. Etwas soll stabil sein. Verlässlich. Solide. Der Grund soll kein Abgrund werden. Ja, in den Urzeiten schon, da war das voll okay, diese Action, hat unser Planet super hingekriegt. Als er Falten warf und Berge gebar, höchst dekorative auch noch, aber da waren wir ja noch nicht da. Das war ja vor uns. Und eigentlich für uns, oder? Wer einmal spürte, wie die Erde unter ihm auch nur erschauerte, verliert eine grundlegende Illusion. Die tiefste Gewissheit. Nicht genug damit, dass Mutterland Erde, so wird behauptet, durchs All driftet. Es hat auch noch aufeinander knirschendes, kreischendes Gebein, lockere, ja mobile Beckenplatten. Mobile im All. Ein unsicheres Terrain, ein ungewisses Pflaster ist unsere Erdenheimat. Alles andere als ein safe space, als ein space safe. Schüttelt sich, schüttelt uns ab, wie es ihm gerade passt. Ein schrecklicher Standort, ohne jede garantierte Standfestigkeit. Eigentlich müssten wir kündigen. Jetzt ein Himmel, der kein Wässerchen trüben kann, auf einer lammfrommen Erde, sie hat gerülpst, lange und kräftig, jetzt ist sie wieder relax, der frischgewaschene Himmel, wie es bei Enid Blyton heißt, spannt sich vor den schneeweißen Bergen. Wie schön ist es da.

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C H R O N I Q U E S D E L’ U R G E N C E

Maksymilian Woroszylo ist Präsident von ADRenalin

„Es gibt eine Zeit, wo der Betrieb der Maschine so verabscheuungswürdig wird, (...) dass man nicht mehr mitmachen kann, auch nicht passiv, und man muss seinen Körper in das Getriebe und die Hebel der Maschine werfen, (...) und man muss sie stoppen (...).“ Die Maschine wird heutzutage ironischerweise von linken „Progressiven“ gesteuert. Und es sind jetzt die Konservativen, die sich dafür einsetzen, diese globalistische Maschine zu stoppen. Die Mainstream-Jugendparteien Luxemburgs scheinen nur auf ihren Platz an der Maschine zu warten. Rebellische Aktionen? Erfrischende Themen behandeln? Eine Gegenkultur zur Regierung? Sucht man vergebens. Man erkennt bei ihnen eine Liebe zu staatlicher Kontrolle, einen Hang zu einer linken, progressiven Politik sowie eine Prise an moralischer Überheblichkeit, „Wokeness“ eben. Die woken Jungpolitiker Luxemburgs sehen ihren Auftrag als Aktionismus im Hier und Jetzt, nicht als einen zukunftsorientierten Prozess. Die Jungen Grünen schreiben in ihrem Post-Covid-Manifest, dass jede Art

von Sparpolitik vermieden werden müsse. Die Frage nach der Zukunftsfähigkeit des Rentensystems beschäftigt sie hingegen offenbar weniger. Die Jungen Demokraten fordern eine staatliche Subventionierung von Photovoltaik, und somit eine von oben verordnete Umstellung auf nicht tragfähige „grüne Energien’’. Die Jungen Sozialisten setzen auf Gender: hübsch emotional sollen Männer sein. Die Christlich-soziale Jugend unterscheidet sich nur im Alter von ihrer Mutterpartei. Der Klimawandel als höchste Priorität, die Offenheit gegenüber der LGBTQ+-Ideologie, die Staatsverschuldung und die Kriminalität als vernachlässigbare Themen – diese Aspekte teilen alle woken Jugendparteien. Keine traut sich, diese Themen kritisch zu hinterfragen: Die woken Jugendparteien leben von einer Meinungsorgie. Deswegen wirkt der Konservatismus so attraktiv auf die gegenwärtige Jugend und befindet sich entsprechend auf dem Vormarsch. Der konservative Denker spricht die realen Probleme allgemeinverständlich und verantwortungsvoll an. Dazu gehören Sicherheit, Immigration, Familie und Kindeswohl. Die Konservativen teilen daher vieles mit der Gegenkultur der 60er: Sie sind gegen Zensur, gegen staatliche Überreglementierung und für den sozialen Zusammenhalt. Sie sind für die Freiheit, die freie Meinungsäußerung und das Wohl der Familie – den Kern jeder starken Gesellschaft. Doch gerade diese Aspekte versucht die Regierung zu schwächen. Ihre Erfüllungsgehilfen werden in den Kaderschmieden der woken Jugendparteien herangebildet. Die luxemburgische Gesellschaft entwickelt sich immer mehr zu einer Truman-Show: Statt nach Selbstdisziplin und -erfüllung zu suchen, bevorzugen die meisten Jugendparteien es, den kollektivistischen Ideologien ihrer Mutterparteien voranzuschreiten: Globalistisch und von Moralismus geprägt, sucht man vergebens nach Individualität. Diese findet man nur in der neuen konservativen Gegenkultur. Maksymilian Woroszylo

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D’GEDICHT VUN DER WOCH

Dérives fascisantes et statu quo carboné Jean Lasar

Postulat : cette terrifiante évolution correspond, audelà de ses variations nationales, à autant de tentatives de préserver le statu quo carboné. Si ces menées parviennent à mobiliser des majorités arc-boutées sur leurs certitudes égoïstes d’un autre âge, autour de leaders qui flattent leurs instincts les plus bas en

faveur de politiques inhumaines dans les domaines sociétaux, c’est pour, en dernière analyse, pour barrer la route à l’action climatique. Comment, en effet, expliquer autrement cette sombre et en apparence inéluctable descente vers les basfonds du fascisme, à un moment où les cataclysmes causés par nos émissions incontrôlées de gaz à effet de serre devraient au contraire nous enjoindre jour après jour à choisir le cap opposé ? Comment interpréter l’incapacité persistante de nos sociétés à entamer la décarbonation si ce n’est par des efforts de minorités privilégiées décidées à défendre bec et ongles leurs privilèges fondés sur des décennies d’un modèle économique injuste dopé aux énergies fossiles ? Ce recours renouvelé à la boîte à outils mise au point par Mussolini et Hitler au siècle dernier n’est pas une aberration qui aurait éclos par hasard ces dernières années. C’est l’aboutissement logique d’un déni organisé du fait climatique. Incompatible avec la poursuite du modèle thermo-industriel, la réalité du dérèglement fait désormais irruption avec une telle violence et une telle fréquence dans le quotidien des citoyens que les approches de barbouillage, d’escamo-

Ces discours fascisants suivent la logique d’un déni du fait climatique tage ou de procrastination adoptées jusqu’ici pour reconduire le statu quo ne sont plus tenables. Pour préserver ce modèle, il fallait diaboliser, fanatiser, aveugler à tour de bras et faire en sorte que l’intolérance s’installe aux commandes. Jusqu’ici, malheureusement, ces dérives, pas forcément coordonnées, mais diablement efficaces, ont contribué avec succès à reporter aux calendes grecques la mise en place de politiques de décarbonation en ligne avec les conclusions du Giec. Sans surprise, elles tournent délibérément et systématiquement le dos à la crise climatique, fourrant ceux qui s’en inquiètent dans le camp honni des wokes, alarmistes, communistes ou nazis, suivant laquelle de ces méthodes d’ostracisation leur semblera la plus à même de les marginaliser.

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Sven Becker

Les dérives fascisantes auxquelles nous assistons en ce moment à travers le monde sont glaçantes. Dans de nombreux pays, des mouvements d’extrêmedroite, avec des accents plus ou moins populistes, autoritaires, nationalistes ou racistes selon les cultures où ils émergent, mais proches au fond des idéologies des partis fasciste et nazi qui ont causé tant de souffrances au siècle dernier, se renforcent ou accèdent au pouvoir. Aux États-Unis, le parti républicain, bien que puni aux élections de mi-mandat, double la mise et se vautre sans complexe dans une atterrante fange suprémaciste et réactionnaire. Depuis le Kremlin, l’agression de l’Ukraine est justifiée par une phraséologie grand-russe nauséabonde. Au moment où le Brésil se débarrasse enfin du pitoyable capitaine nostalgique de la dictature des années soixante et 1970, Israël se choisit une coalition ouvertement raciste qui entreprend aussitôt de démonter l’état de droit.

Gréng Kanoun Jacques Drescher De Bausch kennt keng Tabuen, Mee schéisst net aus der Hëft. Am Krich, do muss ee léien, Well d’Wourecht ass just Gëft.

Wie schlau ass, mécht keng Baken An danzt net aus der Rei. E seet dann: „Oh, neen, d’Nato Ass keng Konfliktpartei!“

Däitsch Grénger si méi äifreg, An d’Baerbock ass méi domm. Si schléit am „Krich géint Russland“ Eng Grëtz zevill op d’Tromm.

De Krich ass net eriwwer; Beim Yankee läit de Ball. De Fränz spillt d’Liga drënner A leeft fir Rheinmetall.


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M E I N U N G

17.02.2023

Ausgetanzt? Franziska Peschel

In den 1970-er Jahren reisten die Luxemburger Majoretten zu internationalen Wettkämpfen. Ihre Auftritte waren der Höhepunkt bei jedem Dorffest. Seit vielen Jahren steht der Sport vor dem Aus Auch in Luxemburg waren die Majoretten sofort sehr beliebt, ihre Auftritte auf Kavalkaden und Festen gefragt. Knapp 20 Jahre lang hielt die Glanzzeit. Dann nahm das Interesse ab. Während die Jugendlichen sich in den Kölner Karnevalsvereinen noch immer darum reißen, mit den Funkemariechen zu tanzen, ziehen die Luxemburger Kavalkaden-Stars heute nur noch wenig Jugendliche an. Drei Vereine sind noch aktiv. Der Differdinger Verein hat wenige Mitglieder und ist kaum noch öffentlich aktiv. Die Escher Majoretten haben noch um die 30 Mitglieder, die Trommlergruppe wurde durch MusikstreamingAnbieter und Lautsprecher ersetzt. Auch der neueste und inzwischen größte Verein, die Majorettes de Luxembourg in Luxemburg-Stadt, hat während der Pandemie zahlreiche Mitglieder verloren, zählt aber immerhin sieben Trommler.

Privatarchiv

Ein dunkler Festsaal. Keine Lichtquelle. Volle Publikumssitze. Erwartungen geschürt von den ersten Teilen des Programms. Zum dritten Akt des Auftritts der Weidinger Majoretten glimmen plötzlich viele bunte Lichter im Dunkeln auf. Die Weidinger Majoretten wirbeln Leuchtstäbe auf der Bühne herum. So die Erinnerung von Patrick Comes. „Das war phänomenal“, sagt er. „Die Mädchen waren die Stars und die Jungs wollten das unbedingt sehen.“ Patrick Comes ist in Weidingen aufgewachsen, seine Kindheit war stark geprägt von den Majoretten. Sein Vater gründete und trainierte die erste Gruppe 1968. Heute möchte Patrick Comes die Geschichte der Majoretten in Weidingen aufarbeiten. Nach dem Tod seines Vaters letztes Jahr, hat er dessen Archive gesichert und plant nun, ein Buch über die Weidinger Majoretten zu schreiben – neben seiner Arbeit als Gemeinderat in Weidingen und seinem Engagement für verschiedene lokale Vereine. Ein Fabrikgebäude nahe Dubrovnik. Etwa 20 junge Mädchen aus Differdingen und Umgebung in For-

Ende der 1960er Jahre entstanden in Luxemburg die ersten MajorettenGruppen; nach dem Vorbild Frankreichs, wo die berühmte Marie Ange Brillet Kapitänin des Vereins in Nizza und nationale Meisterin wurde

Knapp 20 Jahre lang hielt die Glanzzeit der Majoretten

mation, in Uniform, rot-weiß. Rund herum stehen und lehnen Männer in Arbeiterkluft an den Wänden im Hof der Fabrik. Das zeigt ein Foto aus den Unterlagen von Sylvie Hentges. Ihr junges Selbst ist eine der Differdinger Majoretten in dem Bild. „Die Arbeiter hatten Pause und da haben wir getanzt.“ Sylvie Hentges und zuvor ihr Vater waren die treibende Kraft hinter den Majoretten im Luxemburger Süden. Ihr Vater trainierte die erste Gruppe und sie selbst gründete und trainierte später zahlreiche weitere. „Das sind schöne Erinnerungen. Aber die Majoretten stehen vor dem Aus“, sagt sie. Ende der 1960-er Jahre entstanden in Luxemburg die ersten Majoretten-Gruppen; nach dem Vorbild Frankreichs, wo die berühmte Marie Ange Brillet Kapitänin des Vereins in Nizza und nationale Meisterin wurde. Gekleidet in Uniform mit kurzen Röcken und hohem Hut, in der Hand einen Stab, den sie während der Choreografie immer wieder in die Luft und um den Körper wirbeln lässt. Dazu eine Trommlergruppe, die Stimmung und Takt angibt.

In der Turnhalle in Clausen wuselt ein Gewirr an Stimmen und Beinen in allen möglichen Längen durch den Korridor. Sie warten, bis sie endlich in die Halle dürfen. Normalerweise trainieren die Kleinen und die Großen getrennt, aber so knapp vor dem ersten Auftritt des Jahres üben sie die Choreografien gemeinsam. Laure ist heute zum ersten Mal dabei, zusammen mit ihren Eltern. Sie ist drei Jahre alt und eine der Kleinsten. Während ihre Eltern und ihr Bruder auf der Holzbank am Hallenrand sitzen, mischt sich Laure unter die Majoretten. Die hüpfen zum Aufwärmen und marschieren im Rechteck in der Halle, wirbeln dabei den Stab in den Händen. Die Trainerin gibt den Takt an, indem sie mit ihrem Stab gegen die Wand klopft. „Eent, zwee, dräi und raus.“ Arme, Beine, Ausfallschritt, Arme schwingen. Eine Geräuschwolke aus Getrippel wogt durch die Turnhalle. Linkes Bein vor, Hände vor der Brust kreuzen, auf Sechs um die eigene Achse drehen, Stab vor die Brust. Die Älteren korrigieren die Jüngeren und Laure spielt unterdessen mit einem Ball im hinteren Teil der Halle. Auf Takt und Gleichschritt scheint sie noch keine Lust zu haben. Schnell bekommt sie zwei kleine Mitspieler. Ihre Mutter sagt: „Ich versuche meine Tochter zu überzeugen mitzumachen. Ich mag den Verein. Der Tanz ist sehr feminin aber die Gruppe ist gemischt, sie sind nicht alle super schlank.“ Dann tönt der erste Trommelschlag durch die Halle, die Musiker bereiten sich vor. Sobald die Trommeln losgehen, marschieren auch die Kleinen mit. Auf zwei gekreuzten Stäben werden sie in die Höhe gehoben, werfen verunsicherte Blicke zu den Erfah-

reneren. Ganz sicher sind sie sich ihrer Sache erst, als sie bunte Pompons aus einem großen Sack ziehen und zu ihrer eigenen Choreografie ansetzen – zu einer Pop-Version von Jingle Bells. So ganz sitzen die Bewegungen noch nicht. Viele verstohlene Blicke zu den Nachbarn und inmitten der Choreografie fangen sie zu diskutieren an, wer an welcher Stelle der Pyramide hockt – eine Chaospyramide. Dabei muss fünf Tage später die Choreografie für den Auftritt sitzen. Jedes Jahr ab September über sie die neuen Formationen. Im späten Winter fangen die Kavalkaden an, ein paar Monate später Wettbewerbe. Die Majorettes de l‘Alzette haben 30 Mitglieder, darunter sieben Trommler und einige Knirpse. Vor der Pandemie waren sie 50. Doch nach der Unterbrechung sind viele nicht zurückgekommen. Für andere Vereine war die Pandemie der endgültige Todesstoß. Die Majoretten in Schifflingen und Petingen haben aufgehört, die Differdinger sind nur noch eine Handvoll. Denn zur Mitgliederabwanderung kamen die abgesagten Auftritte, für die die Vereine eine Gage bekommen. Ohne Auftritte haben sie nicht genug Geld. Vor fünf Jahren haben Stéphanie Grüneisen-Theis und ihr Mann gemeinsam mit Freunden die Majorettes de Luxembourg gegründet. Sie war zuvor bei den Escher Majoretten, hat den Verein aber wegen interner Streitigkeiten verlassen. „Ich mache das, seitdem ich drei Jahre alt bin. Aufhören war keine Option“, sagt sie. Ihre Eltern haben sie zum ersten Training gezerrt. „Opa war Präsident bei den früheren Escher Majoretten. Mama hat Uniformen gewaschen.“ Heute, im neuen Verein, sind auch ihre drei Kinder dabei; Stéphanies Vierjähriger ist bei den Musikern, genau wie ihr Mann. Selbst die Jüngste mit ihren 18 Monaten trippelt beim Training in der Gegend herum: Die Majoretten sind Familientradition. In den neugegründeten Verein in der Stadt sind einige Escher Majoretten mitgezogen. Die Majorettes de Luxembourg haben sich Inklusion auf die Fahne geschrieben. In der Gruppe tanzen und trommeln Majoretten mit und ohne Behinderung – in allen Körperformen. Die Uniformen haben sie modernisiert – Hut und Stiefel sind nicht mehr Teil davon. „Kinder sollen in dem Alter noch nicht so hohe Schuhe tragen, und damit wir alle gleich aussehen, verzichten wir auf Stiefel. Wir tragen jetzt schwarze Turnschuhe. Aber die Uniformen bleiben“, sagt Stéphanie. „Das gehört dazu.“ Die Mischung aus Jungen und Alten ist wichtig. Die Aufstellung in den Formationen: Groß, klein, groß, klein, groß. „Die Kinder werden oft angetatscht, dann heißt es: Oh, wie süß. Bei den Kavalkaden pfeifen Alkoholisierte Zwölfjährigen hinterher. Damit den Kindern nichts passiert, steht immer ein Volljähriger neben einem Kind.“

Sven Becker

Über solche Probleme hat Sylvie Hentges nie nachgedacht. Falls die Fabrikarbeiter aus Dubrovnik oder sonst ein Publikum sich sexistisch verhalten haben, so weiß sie es nicht mehr. Für Sylvie Hentges waren die Majoretten das Größte. Als sie 15 war, wurde ihr Vater Trainer des ersten Luxemburger Vereins in Differdingen und natürlich war sie dabei. „Ich hatte noch keinen Stab, ich hatte nichts. Mein Vater hat mir eine Holzstange gegeben, mit zwei Schwämmen drauf, das war mein erster Stab.“ Ihr Vater war beim Militär und auch ihre Mutter war streng, erzählt sie. Sylvie hat Disziplin gelernt. 1970 wurde sie Tambourmajor der Differdinger Truppe. „Ich stand vor der Trommelgruppe mit so einem großen Stab und musste die anleiten.“ Eine alte Postkarte zeigt die Differdinger Majoretten vor der ehemaligen Kirche in Differdingen. Eine 20-köpfige Truppe mit Sylvie in der Mitte. Jemand hat mit Kugelschreiber ihren Kopf eingekreist. Ihr Vater schickte sie zum Trainingscamp hinter der französischen Grenze. Sie wurde von der französischen Nationalmeisterin trainiert, der Kapitänin des Vereins in Nizza, Marie Ange Brillet.

Nach dem Tod seines Vaters, hat Patrick Comes dessen Archive gesichert und plant nun, ein Buch über die Weidinger Majoretten zu schreiben

Für die Differdinger Mädchen in Sylvies Alter war der neu gegründete Verein grandios. Marie Ange Brillet und die französischen Majoretten haben starken Eindruck gemacht. „Viele Mädels in meiner Schule haben sofort Ja gesagt“, erzählt Sylvie Hentges. „Durch den Verein kamen sie endlich von zu Hause raus. Heute gehen die Mädchen schon mit zwölf Jahren allein raus, das war früher nicht so.“ Das Training fand in der Differdinger Sporthalle in Oberkorn statt, denn im Differdinger Turnsaal war zu wenig Platz für die große Gruppe. „Wir gingen immer von Differdingen nach Oberkorn zu Fuß.“ Die Differdinger Majoretten nahmen an Wettbewerben und Auftritten teil – in Belgien, Italien, Deutschland und Jugoslawien. Sie waren stolz, die Uniform zu tragen. „Das Einzige,


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Sven Becker

Privatarchiv Sylvie Hentges

Sylvie Hentges war eine treibende Kraft hinter den Majoretten im Luxemburger Süden

was mich genervt hat, war der Hut. Da mussten wir einen Dutt drunter stecken und meine Haare waren so dick, die waren voller Haarnadeln. Der Hut hat gedrückt, ich hatte immer Kopfschmerzen. Außerdem trugen wir solche Unterhosen mit Spitze. Die waren schrecklich.“ Schon in den späten Achtzigern wurden die Uniformen modernisiert, die meisten Vereine entschieden sich für hautenge Gymnastikbodies und einen kurzen Rock. Während die ersten Majoretten aus dem Verein herauswuchsen und als Erwachsene nicht dabeiblieben, haben die Majoretten Sylvie Hentges weiter beschäftigt. Jüngere kamen dazu, sodass sie nach einigen Jahren die Älteste war. Bald darauf fing sie selbst mit Trainieren an. „Ich habe die Majoretten 50 Jahre auf dem Buckel“, sagt sie. „Ich bin die älteste Majorette von Luxemburg.“ Sie trainierte, choreografierte und plante Choreografien in der Freizeit. „Ich war immer mit Blättern unterwegs. Im Konzert oder beim Traubenfest zu Grevenmacher, als am Abend Bands spielten – ich hatte immer ein Blatt zur Hand.“ Davon hat sie heute noch mehrere Stapel. Kugelschreiber- und Bleistiftpunkte auf Papier, in verschiedenen Anordnungen – Skizzen für Formationen. Der Differdinger Verein hielt sich bis Anfang der 1990-er Jahre. Dann ebbte das Interesse ab und Uneinigkeiten in der Vereinsführung führten zur Schließung. Während die Differdinger Glanzzeit damit am Ende war, gab es in Esch weitere drei Versuche, die Majoretten zu neuem Leben zu erwecken, zeitweise mit Erfolg. Sylvie Hentges selbst war bei einigen Vereinsgründungen im Süden dabei. Sie gründete die Escher Majoretten, die zeitgleich mit einem zweiten Escher Verein aktiv waren. „Wir waren die Blauen, und sie waren die Roten. Sie hatten nicht so viel Erfahrung

Das Training in der Turnhalle der Escher Brillschule läuft koordinierter als das in Clausen. Die Trainer sind – ganz der Majoretten-Tradition des Südens nach – strenger und ehrgeiziger

wie wir, sie kamen aus dem Turnen.“ Nach 2010 jedoch war die Leidenschaft für die Blauen wie auch für die Roten am Ende. Doch einige Kinder wollten weitermachen und deshalb übernahm 2012 Tania Estevez den Escher Club von ihrem Vater. Der heutige Verein, die Majorettes de l’Alzette, besteht seitdem als einziger Escher Club mit den Vereinsfarben blau, rot und weiß. Auch Tania Estevez stammt aus einer Majorettenfamilie. Ihr Vater war Musiker und hat dann zeitweise den Escher Verein geführt, ihre Mutter sitzt heute noch bei den Trainings in der Sporthalle am Rand und unterstützt die Truppe. Tania selbst wurde als Kind von ihrer Cousine motiviert, auch Majorette zu werden. Inzwischen ist sie seit 20 Jahren dabei, war mit den Escher Majoretten auf Auftrit-

ten in Marseille, New York und in vielen deutschen Städten. Sie hat 2019 eine Föderation gegründet und versucht seitdem, die Majoretten beim Olympischen Komitee Luxemburgs zu registrieren, um Fördergeld zu erhalten – bisher ohne Erfolg. Das Training in der Turnhalle der Escher Brillschule läuft koordinierter als das in Clausen. Die Trainer sind – ganz der Majoretten-Tradition des Südens nach – strenger und ehrgeiziger. Zweimal pro Woche trainieren sie, erst die Kleinen, dann die Großen. „Wir laufen, wir gehen nicht!“, ruft Tania durch die Turnhalle, während sich die Kinder aufwärmen. Für die Dehnübungen sitzen acht Kinder in exakt gleichen Abständen auf dem Holzboden unter der Anleitung von André. Ihn bildet Tania zurzeit zum Trainer aus. Doch während 2012 noch viel Interesse beim Nachwuchs war, möchten heute immer weniger Kinder Majoretten werden. Eine Trommlergruppe gibt es in Esch schon nicht mehr. „Wir haben alles versucht, um Teenager ranzukriegen. Das ist schwierig.“ Für die anstehende Saison stehen fünf Kavalkaden an. Mehr als für Auftritte werden sie inzwischen zum Grillen auf Stadtfesten angefragt. „Die Majoretten haben keine Zukunft“, stimmt Tania Estevez mit Sylvie überein. In Weidingen tanzen die Majoretten schon seit Jahren nur noch auf dem Papier. Patrick Comes hat kopierte Zeitungsartikel, Fotos, Urkunden und andere Unterlagen in Klarsichtfolien in Ordnern abgelegt und angefangen, sie nach Jahren zu sortieren. Er erinnert sich an die Glanzzeit der Weidinger Majoretten. An die vielen Busfahrten zu Auftritten jedes Wochenende, mit dem lokalen Busunternehmen, dessen Besitzer auch im Verein war. Comes Vater hat

die ganze Familie mitgenommen. Er zeigt ein Foto von der ersten Weidinger Majoretten-Gruppe, aufgenommen am 24. März 1968, als die lokale Kavalkade schon Tradition hatte. „Alle Mädels aus dem Dorf haben mitgemacht, meine Mutter war auch dabei.“ Im ersten Jahr liehen sie Uniformen aus, im zweiten ließen sie ihre eigene anfertigen und vier Jahre später auch eine offizielle Vereinsfahne. Er zeigt ein Foto der ersten luxemburgischen Meisterschaft 1972 und erinnert sich an die vielen Trainingsstunden im Saal der ehemaligen Erpeldinger Schule. „Da stand noch der alte Ofen in der Schule, es war im Winter kalt. Der Ofen musste zwei Stunden vorm Training angemacht werden, damit es beim Training warm genug war.“ Er erinnert sich an lange Tage, hastige Mahlzeiten, die omnipräsente Trommelmusik und einen Vater, der viel abwesend war, ganz eingenommen von seiner Aufgabe, die Weidinger Majoretten anzuleiten. „Mein Vater stand immer im Vordergrund. Ich war stolz, dass er das gemacht hat. Aber für mich selbst wollte ich das nicht.“ Als Gemeinderat und Vereinsmensch versucht Patrick Comes heute selbst, das Miteinander in Weidingen am Leben zu halten. „Meine Kinder sagen auch: Papa, du warst ja nie zu Hause.“ Doch so viel Glanz wie zur Zeit der Majoretten sieht er in Weidingen nicht mehr kommen. „Es ist schwierig, heute die Leute zu motivieren, sich in Dorfvereinen zu engagieren oder Feste zu organisieren. Wir sind eine Schlafgemeinde geworden. Die Leute arbeiten, kommen, gehen, und am Wochenende fragen sie sich: Muss ich mir das noch antun?“ In den Weidinger Majoretten war das halbe Dorf engagiert – und das ganze Land bewunderte die Truppe. Inzwischen ist das Rampenlicht erloschen.

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DA N S E

Surmonter les obstacles La plupart des gens établissent des plans plus ou moins définis pour leurs parcours de vie. Ils croient que les lignes sont tracées. Mais dans la vraie vie, les plans sont souvent contrariés. Il faut surmonter les obstacles qui se dressent. Le chorégraphe Frey Faust est parti de ce constat pour créer en 1999, la pièce We Thought We Knew What We Were Doing. « Je m’intéresse à la façon dont les danseurs vont adapter leur pratique à des obstacles qui surviennent », décrit-il. Aujourd’hui, le spectacle est retravaillé et mis en scène en collaboration avec la chorégraphe Emanuela Iacopini, basée à Luxembourg et sera joué au TNL la semaine prochaine (les 22, 24 et 26 février). « Il ne reste rien de la pièce originale, sauf l’idée de base : voir comment la performance est transformée par l’apparition d’un aléa, dans ce cas-ci, de la peinture qui coule depuis le plafond ». Des sacs de peinture, des canons à peinture couvriront progressivement la scène, rendant le sol glissant et les corps collants. Les couleurs de la peinture sont traînées sur la scène et sur les corps des danseurs, laissant une trace de leur lutte. (photo : Sven Becker) « La pièce est un manière d’explorer l’interface entre une chorégraphie écrite, répétée et l’improvisation », détaille Frey Faust. « C’est

une métaphore de la vie où l’imprévisible, le surprenant, le changeant exigent une adaptation », ajoute Emanuela Iacopini, dont cette pièce est la troisième coproduction de sa compagnie Vedanza Artists International avec le Théâtre National du Luxembourg. « En tant que danseur et danseuse, la question de la perfection, de la fidélité à ce qui a été prévu est récurrente. Se laisser embarquer par l’imprévu est nouveau et grisant », s’enthousiasme un des danseurs, Saju Hari. Les cinq danseurs (Yuko Kominami et Ileana Orofino en plus de ceux déjà cités) ont d’ailleurs participé ensemble à la création de la pièce. Ce qui satisfait Frey Faust : « Travailler collectivement sur une chorégraphie, ce n’est pas nouveau, mais l’expérience a été particulièrement riche grâce à la grande maturité de tous et au respect mutuel ». Il met également en avant le travail de création musicale de Tomàs Tello, « une sorte de Picasso de la musique, par son approche presque cubiste », qui joue avec divers objets, y compris éloignés de l’univers musical, pour créer des sons hors des sentiers battus. « Toutes les personnes qui travaillent sur la pièce, la création lumière aussi, doivent montrer leur capacité d’adaptation aux accidents qui vont se produire sur scène », conclut le chorégraphe. fc

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K U LT U R

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L A N D

A RT

SkateBento

Impossible de résumer en quelques lignes le bouillant cv de Sascha di Giambattista, que tout le monde appelle Giamba. Formé au design graphique à l’université des arts de Londres, il a travaillé dans la conception et la création de décors de films, la production de clips vidéo, l’animation d’ateliers de graffiti ou de breakdance, l’illustration, le design de logos, l’organisation d’expositions et de marchés de créateurs… Il est aussi un beatboxer très impressionnant et un skater invétéré. Le fil rouge, c’est la liberté, l’indépendance et la capacité à sentir l’air du temps, rencontrer les bonnes personnes. Giamba est entouré d’une clique de créatifs de tous horizons « biberonnés au punkhardcore et au skate » qu’il tient à mettre en valeur à travers les

Tablo

événements qu’il organise. On a remarqué récemment, ses baskets customisées d’inspiration japonaise, ses nains de jardin colorés qui tendent un majeur mi-rageur mi-moqueur et ses maneki-neko (les chats portebonheur qui lèvent une patte) détournés en personnages hipsters et skaters. SkateBento qu’il livre pour cette carte blanche est réalisée à partir de planches de skate usées, coupées en petit morceaux et réarrangées. Les couleurs, les graphismes et les traces d’usure viennent des planches originales, rien n’est ajouté. L’idée de recycler ces éléments bruts à portée de main correspond pour Giamba à la culture du skate: rouler de manière créative avec ce qu’on trouve dans la rue. « On essaye d’avoir un bon équilibre entre élégance, risque, beauté et style. » Un équilibre visuel qu’il recrée dans ces boîtes, à la manière des Bento Box, d’où leur nom. fc

Großen Preis der Jury gewonnen hat, von ihrem Dokumentarfilm All Winners, All Losers gestohlen zu haben. Beide Filme behandeln eine reale Geschichte um einen kürzlich entlassenen Insasse, der einen Sack voller Geld findet und ihn zurückgibt. Nachdem die Vorwürfe im April 2022 international bekannt wurden, lieferte der New Yorker im Oktober letzten Jahres eine ausführliche Recherche dazu, die nahelegt, dass es nicht zum ersten Mal sein könnte, dass Farhadi Ideen anderer zu seinen eigenen umfunktioniert, ohne den Menschen Rechnung zu tragen. Prompt drehte er den Spieß um und klagte Masihzadeh wegen Diffamation an, eine Klage, die ein Teheraner Mediengericht mangels ausreichender Beweise abwies. Derzeit steht Aussage gegen Aussage, der Prozess läuft. Farhadi streitet die Plagiatsvorwürfe ab, an der Idee zum Film habe er bereits vorher gearbeitet. sp

S C È N E S

K I N O

Ehre wem Ehre gebührt Die Nachricht, dass der Oscarprämierte iranische Regisseur Ashgar Farhadi die Jury des diesjährigen Luxemburger Filmfestivals präsidieren würde, hat das Publikum erfreut. Immerhin stellt es eine große Wertschätzung für ein Festival in einem Ministaat dar, wenn so ein großer Name sich die Ehre gibt. Ein Wermutstropfen kann hinzugefügt werden, denn Farhadi wird von einer seiner ehemaligen Studentinnen, Azadeh Masihzadeh, beschuldigt, die Idee für A Hero, der 2021 in Cannes den

Points d’exclamation et de suspension L’auteur et metteur en scène François Gremaud s’est fait une spécialité de créer des univers poétiques et décalés, transformant des textes classiques, scientifiques

ou philosophiques en conférences théâtrales pleines d’humour. Sa trilogie sur les figures féminines tragiques des arts vivants s’intègre parfaitement dans cette lignée. Alors que Carmen (opéra) est actuellement en développement, le Kinneksbond présente les deux premiers opus du triptyque : Phèdre ! (avec un point d’exclamation) et Giselle… (avec des points de suspension). La première pièce, jouée les 22 et 23 février ne reprend pas Racine à la lettre. Le comédien Romain Daroles campe un conférencier qui présente, livre en main et avec pour décor un simple bureau, l’histoire tragique de la reine d’Athènes (photo : Loan Nguyen). Il raconte, avec force de digressions, les merveilles de l’alexandrin, les divines généalogies mythologiques des principaux personnages, les malices des seconds rôles... Et sera vite emporté – telle Phèdre – par sa passion et habité par la joie de partager le texte racinien. Comme il réduit les cinq actes en une paraphrase pour un orateur, François Gremaud convie, le lendemain à une traversée chorégraphique de l’un des plus célèbres ballets du répertoire romantique, Giselle. La danseuse Samantha van Wissen, là aussi dans une esthétique dépouillée, fait revivre au présent le ballet classique et le dépoussière dans une sorte de conférence dansée. fc

B A N D E

D E SS I N É E

É V É N E M E N T

La langue de Molière

Rêve éveillé L’éditeur québécois Moelle graphik entend donner à la bande dessinée « le statut qui lui revient, soit celui d’œuvre d’art à part entière dans le spectre de l’expression artistique humaine ». Dernier titre paru et premier confié à un auteur étranger, Le Cerf aux bois de fer est signé du Lorrain Jean Villemin, auteur de romans et de livres illustrés pour la jeunesse. Il a aussi occupé plusieurs postes dans le secteur culturel au Luxembourg, au Musée National des mines à Rumelange et au CinéBelval notamment. Son histoire se déroule à l’ombre des HautsFourneaux où un ouvrier de nuit dans une fonderie est tourmenté par une légende qu’il entend par bribes, entre les coups de marteau, les cris des contremaîtres, les vrombissements des soufflantes. Obsédé par ce cerf aux bois de fer, il va suivre sa trace, dans une sorte de rêve éveillé aux allures de voyage initiatique. La narration pleine de poésie reste en retrait par rapport au dessin, très fort. En quelques traits de pinceau, en dégradés de gris et noir, l’auteur capte les visages renfrognés, la densité des forêts ou la fumée des usines. fc

L’Organisation internationale de la Francophonie compte 88 pays membres, dont le Luxembourg qui en est un des fondateurs. Plus de 320 millions de locuteurs ont le français en partage tient à rappeler l’Institut français du Luxembourg (IFL) en lançant le Mois de la francophonie, du 22 février au 31 mars. Une bonne trentaine d’événements sont organisés à travers tout le Grand-Duché pour « célébrer la langue française et la culture francophone ». Une langue qui en a bien besoin à l’heure où plutôt que de choisir entre l’allemand et le français, les jeunes se tournent de plus en plus volontiers vers l’anglais comme en témoigne le succès des filières du bac international. C’est une des raisons pour cibler le programme autour des thématiques de la jeunesse et l’oralité. Au programme, on trouve par exemple des ateliers d’éloquence et de slam dans plusieurs écoles pour « décomplexer l’usage du français », selon les mots de Maxime Dafri, directeur de l’IFL, arrivé l’année dernière. Dans les colonnes de virgule. lu, il estime que « chacune des langues a sa place ici au Luxembourg, que ce soit l’allemand, le luxembourgeois, bien évidemment l’anglais. Mais le français doit aussi avoir sa place et tenir son rôle ». Le Mois démarre par une rencontre avec l’écrivain Mohamed Mbougar Sarr, Prix Goncourt 2021, pour La plus Secrète Mémoire des Hommes. Ayant reçu le prix à 31 ans, le romancier sénégalais d’expression

française est l’un des plus jeunes Goncourt de l’histoire. Divers événements proposés par diverses institutions culturelle s’intègrent dans le programme : beaucoup de théâtre (Racine, Musset, Anouilh, Rabelais, Lagarce), du cinéma et des conférences (dont un dialogue entre Tahar Ben Jelloun et Jean Portante). fc


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Le son et l’image France Clarinval

Sven Becker

Rencontre avec Adriano Lopes Da Silva et Steven Cruz, deux jeunes artistes, reflets d’une génération qui affirme son identité queer et n’a pas peur du succès Adriano Lopes Da Silva met ses blessures dans ses chansons

L’un est musicien. À 24 ans, il a déjà connu la plupart des scènes du pays et s’est fait un nom dans la pop. L’autre est plasticien et photographe. Il a 26 ans et vient d’entrer dans la lumière à la faveur d’une émission à la télévision luxembourgeois. Adriano Lopes Da Silva, plus connu sous le nom de Chaild, et Steven Cruz sont en couple, vivent entre Luxembourg et Bruxelles et ont des vues claires sur leurs ambitions artistiques. Les rencontrer permet de mieux cerner une jeunesse qui maîtrise parfaitement les codes de la communication, qui a besoin de s’exprimer et pour qui vulnérabilité et solidité ne sont pas forcément antonymes. Une manière aussi de voir comment fonctionne un couple d’artistes où chacun est un peu le reflet de l’autre. La première chose qui frappe quand on retrouve Adriano et Steven, c’est leurs similitudes. Pas une réelle ressemblance physique, mais une manière d’être au monde, de se tenir droit, de soigner son look et de peser ses mots. Dans la véranda de la maison familiale d’Adriano où ils nous accueillent, ils sont tous les deux habillés en noir, un pull à col roulé sur un pantalon de sport ample sur leurs corps minces. « On va prendre la route pour Bruxelles, il faut une tenue confortable ». Ils cultivent tous les deux une fine moustache tout à fait dans l’air du temps et affichent un regard sérieux de leurs yeux foncés où se lit leurs origines portugaises (et italienne du côté du musicien). Au moment où ils se rencontrent, en juin 2019, Adriano Lopes Da Silva est déjà l’étoile montante de la scène musicale luxembourgeoise. Il était devenu Chaild, un nom choisi en référence non pas à un côté puéril, mais à l’envie de continuer à rêver et apprendre comme un enfant . Son titre Sick Water en duo avec le rappeur Maz, son pote de lycée, cartonne. Un titre qu’il a écrit à une époque où il était « fâché contre le monde ». La période de son coming-out n’est pas facile, lui pour qui « répondre aux attentes de ma famille est très important » et qui « don’t fit in your categories », selon les paroles de cette chanson. La musique est un refuge, une manière d’exister, après avoir caché ses textes pendant longtemps. Ses mélodies sombres, ses sonorités atmosphériques et surtout sa voix apaisante et grave lui donnent la reconnaissance attendue, lui qui veut faire de la musique depuis ses plus jeunes années (d’Land 12.11.2021). « C’est étonnant comme encore aujourd’hui, Sick Water est encore la chanson dont tout le monde me parle. Sans doute parce que les textes sont personnels et puisent dans les émotions avec honnêteté », remarque-t-il. En juin 2019, donc, Chaild va jouer la première partie de Dean Lewis à l’Atelier. À l’époque, Steven Cruz vit à Lisbonne où il étudie le design. Le hasard d’un passage à Luxembourg et d’une amie qui l’entraîne à ce concert scellera la rencontre entre les deux jeunes hommes qui ne se connaissaient pas. « Juste avant le concert, j’ai commencé à le suivre sur Instagram et puis on a discuté après le show », rembobine Steven en concluant d’un « et voilà », aussi évident que pudique. Il faudra ensuite compter avec les longs mois de pandémie qui bouleversent les calendriers et les attentes de chacun. Entre Brexit et Covid, Adriano est contraint de quitter Liverpool où il avait étudié (au Liverpool Institute of Perfoming Arts), « où j’ai enfin pu m’épanouir dans un milieu qui ne jugeait pas la différence et où je pouvais être la personne excentrique que je suis ». Pas question de rentrer au Luxembourg, il veut « se confronter au monde ». Il s’installe donc à Bruxelles

« L’écriture de mes chansons me donne la force d’être vulnérable » Adriano Lopes Da Silva aka Chaild

« À travers l’art, j’ai le courage d’être moi-même » Steven Cruz

pour développer son projet musical. « C’est une ville super connectée pour aller partout et aussi très accueillante. » Steven le rejoint après son bachelor et s’inscrit en master d’art de l’espace et scénographie à l’École supérieure des arts SaintLuc. « J’avais travaillé à Lisbonne comme graphic designer pour une start-up, mais je ne me voyais pas dans une vie de bureau. Il fallait que j’essaye autre chose. Vu les dates d’inscription, j’ai pris ce que j’ai trouvé. » Malgré les concerts reportés, puis annulés, Chaild poursuit sa carrière. Il voyage, rencontre des producteurs et des musiciens « très forts », notamment à Paris, qui lui permettent « de sortir de la bulle confortable du Luxembourg ». En 2022, il signe avec Elvis Duarte, du label Beast Records. « Ils travaillent en partenariat avec Ada Benelux qui fait partie de Warner music Benelux. C’est assez impressionnant. » Adriano est donc à un moment de sa carrière où il passe à la vitesse supérieure, avec ce que cela suppose d’enthousiasme, mais aussi de questionnements. Cette année 2022 aura aussi été un tournant pour Steven qui brille sous les feux de la rampe de l’émission Generation Art sur RTL Télévision. Ce concours artistique en est à sa quatrième édition, avec un focus sur la photographie, cette fois. Il a mis en lumière le talent de jeunes artistes qui ont poursuivit diverses carrières depuis : Eric Mangen, Joëlle Daubenfeld, Anne Mélan, Roxane Péguet ou Bruno Oliveira. Au terme des sept défis, Steven remporte ce concours avec à la clé, une exposition au Pomhouse du CNA, avec les deux autres finalistes, Pol Trierweiler et Manon Diederich et 5 000 euros. « Je n’avais pas de compétences en photographie, je me suis inscrit pour m’amuser et parce que j’ai l’esprit de compétition. », retrace celui qui aime travailler sous la pression du temps. « Tout mon contraire, moi j’ai besoin d’avoir le contrôle, de cadrer les choses et de prendre le temps », l’interrompt son compagnon. Au fil des émissions, on a pu voir Steven Cruz s’aguerrir, progresser au niveau technique et affirmer son identité. Quand il s’agit de se mettre à nu pour un autoportrait, il décide de s’envelopper dans du cellophane pour pointer la problématique des troubles alimentaires « rarement mise en avant chez les hommes ». Pour un défi de photographie de nuit, il pose avec Adriano dans une voiture, racontant les lieux de drague et de rencontre des homosexuels qui ne peuvent pas vivre leur sexualité chez eux. « Avant, j’étais quelqu’un de très fermé qui n’arrivait pas à exprimer mes sentiments. Avec Adriano, j’ai appris à parler de moi, à oser me montrer. Cela se ressent dans

Steven Cruz utilise l’art pour dénoncer les discriminations

mon art où j’ai le courage d’être moi-même .» Pour l’exposition des finalistes de l’émission, dont le thème imposé était Melting Memories, Steven va plus loin, avec un sujet qu’il qualifie de « trash » : « l’observation des sous-cultures gays telles que les saunas et autres lieux ou moyens auxquels les hommes gays ont recours lorsqu’ils sont à la recherche de plaisir et d’anonymat ». Avec Holidays From Morality, il montre les liens entre les rapports sexuels et la consommation de substances et met en scène la chasse au plaisir à court terme, née « de l’humiliation systématique du désir sexuel queer et de l’oppression de la société à l’égard des personnes homosexuelles ». Les images de couloirs prises à travers le judas d’une porte évoquent l’attente, l’avant alors que l’accumulation d’accessoires en cuir et en latex, un homme allongé portant un masque de lapin ou des restes d’un repas font plutôt penser à l’après. L’artiste réussit à traiter de ces questions sans jamais tomber dans la vulgarité, sans être explicite ou choquant, mais en utilisant le second degré et l’humour. « Je réfléchis à ne pas aller trop loin. Je sais qu’il y a toujours mes parents qui regardent. » À travers cette installation, il montre aussi ses compétences avec d’autres supports artistiques et notamment la céramique, une technique qu’il a explorée pour son travail de fin d’études, inspiré par les azulejos de Lisbonne. Comme pour toutes ses créations, Steven est parti de recherches approfondies sur le sujet : « Faire des recherches et se documenter apporte beaucoup au projet, c’est là que l’on apprend vraiment, que l’on se challenge. Cela permet de se remettre en question et construire un projet qui va sortir du lot. » Ainsi, il veut replacer l’art des carreaux dans un contexte historique, notant que les azulejos représentaient le pouvoir de l’homme blanc colonisant le monde. Il transpose cette histoire de domination sous une autre thématique, celle des discriminations envers les femmes et envers les minorités. Sa grande pièce de presque 600 carreaux s’intitule Faggot (pédé en argot américain) et entend « défaire une certaine vision hétéronormée en déclenchant de l’émotion ». L’œuvre est posée au sol et non sur un mur, comme pour symboliser la fragilité du concept de masculinité. Ici aussi, Steven Cruz travaille avec poésie et humour pour dénoncer des « vérités plus brutes et plus laides ». Utiliser le beau ou l’esthétique pour faire réfléchir et réagir est la ligne que le plasticien s’est forgée. De la même façon, transformer des sentiments négatifs, des moments difficiles en des ballades sincères ou en chansons pop rythmées est devenu la marque de fabrique de Chaild. Le couple travaille peu ensemble, un conseil pour un décor par ci, une réécriture de présentation par là. Mais ils se considèrent comme complémentaires. « Steven sait faire ce que je ne sais pas faire, donner un visuel à une idée, une histoire », dit l’un. « Adriano m’aide à mettre mes sujets en mots, à mieux canaliser mes projets », répond l’autre. Ils se sourient : l’harmonie est bien là. Au-delà d’une belle relation, les deux artistes voient leur travail évoluer au contact de l’autre. « Il m’a appris à me poser des questions, à creuser des concepts et ne pas m’arrêter à une jolie mélodie, juste parce que c’est beau », exprime Adriano. En miroir, Steven reprend : « Il m’a permis de laisser tomber quelques barrières et de m’ouvrir aux autres ». Leur trait commun est de savoir où ils vont avec une approche très professionnelle malgré leur jeune âge. « Je commence à réaliser la quantité de volonté et de dévouement qu’il faut pour être un artiste », estime le chanteur. Il parle d’un marathon qu’il entame à peine.

Le professionnalisme est aussi de mise quand il s’agit de gérer une image sur les réseaux sociaux. « On peut le regretter, mais on ne peut plus seulement faire de la musique, l’image et le marketing sont au moins aussi importants », affirme Adriano qui a parfois l’impression de se « noyer un peu » dans l’abondance de réseaux à entretenir. Comme si Instagram, Youtube, Facebook et Tik-Tok ne suffisait pas, son manager lui a récemment demandé s’il connaissait Reddit. « À force, les réseaux prennent trop de temps, du temps que je prends sur le travail de composition, de création et de répétition. » Après avoir beaucoup exposé son personnage de Chaild, il se demande, en prenant soin de choisir ses mots, « comment créer, non ce n’est pas une création. Comment façonner, non ce n’est pas le bon mot. Comment constituer une image publique qui soit attrayante pour les gens tout en restant authentique, le plus proche possible de ce que je suis vraiment ? ». De son côté, Steven considère ses réseaux comme « le portfolio de moi-même, qui me montre sous mon meilleur jour ». Il pense aussi que le public aime savoir « qui est derrière l’œuvre d’art ». Quand il a gagné une exposition et un coaching au Mad (Centre de la mode et du Design) de Bruxelles, la première chose qui a été observée est son compte Instagram. « La coach m’a dit que je devais poster au moins trois fois par semaine, sur moi et sur mes œuvres. Ça me paraît beaucoup ! » S’ils ne veulent pas s’affranchir des réseaux sociaux, les deux artistes revendiquent surtout une identité propre. « Si tu fais comme les autres pour que ça marche, ça ne marchera pas parce que tu n’es pas comme les autres. Do you ! », assène le chanteur. Les voilà donc tous les deux sur les premières marches d’une carrière qu’ils bâtissent côte à côte. Pour Steven, les projets d’expositions sont en train de se concrétiser. Il participera notamment au Mois européen de la photographe, dont le thème, Rethinking Identities, l’inspire. « Je suis aussi en train de mettre en place un collectif d’artistes pour monter nos propres expositions, valoriser les sujets qui nous tiennent à cœur et pousser un travail activiste et critique, y compris vis-à-vis du Luxembourg. » La prochaine marche à grimper pour Chaild est celle du premier EP qui sortira le 15 avril, avec un concert à la Kulturfabrik. Son titre, Urgent Care reflète l’évolution de son état d’esprit, plus apaisé. « Il y a eu beaucoup de moments difficiles dans ma vie, beaucoup d’anxiété, de peurs. J’ai vraiment découvert que l’écriture de chansons était un moyen de guérir en acceptant de montrer mes faiblesses et ma fragilité. J’ai enfin la force d’être vulnérable ». C’est déjà ce qui transparaît dans le single Italo Daddy qui parle de l’amour impossible entre deux garçons qui tombent amoureux l’un de l’autre et qui vivent dans des environnements homophobes. Tous deux savent qu’ils représentent une certaine jeunesse queer. Ils veulent donner, chacun avec son art, une voix et une image à cette communauté en s’ouvrant à d’autres, en apprenant, en écoutant. « Je suis toujours un homme cis et blanc, c’est déjà un privilège. Le moins que je puisse faire est d’utiliser ce privilège pour me battre pour ceux qui n’en ont pas autant », affirmait Adriano dans une interview au magazine queer en ligne ket.brussels. « Je n’ai pas vécu les mêmes choses que les femmes, je ne suis ni non binaire, ni trans mais je peux apprendre et aller plus loin dans ma réflexion et de cette façon mes projets peuvent être vecteur d’éducation », renchérissait Steven lors de son passage au Mad. Deux voix qui montrent la voie.

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Sur toute la gamme

ART CONTEMPOR AIN

Visions de Christinat

Marianne Brausch

La très active galerie Vis-à-Vis de Metz réunit jusqu’au 19 mars d’élégantes vues d’Olivier Christinat, dont l’œuvre vient de faire l’objet d’un ouvrage aux éditions Actes Sud (Pas un jour sans une nuit). Une reconnaissance qui nous rappelle que l’artiste suisse manie aussi bien la caméra que le dessin, tout en se confrontant aux grandes œuvres de la littérature à travers Virgile, Dante ou Verlaine, poète natif de Metz convoqué dans le parcours. Le titre de l’exposition, Nouveaux souvenirs (2017) est emprunté à un autre ouvrage de Christinat.

élève de Gerhard Richter, Joseph Beuys et Dieter Roth fut le créateur officiel du groupe Kraftwerk. Il reprend ici la pochette qu’il créa en 1974 pour le premier album officiel du groupe de Düsseldorf. On se souviendra du morceau phare de l’album éponyme, de la musique « motorik », où l’on entend des pneus sur le bitume de l’autoroute. S’y croisent une Coccinelle et une berline Mercédès dans un paysage vallonné, derrière lequel se lève un soleil radieux Un avion vole haut dans le ciel. Aujourd’hui, avec le recul, on se remémore la société des loisirs et de révolte des années post-1968. Aussi que le nom même du groupe, Kraftwerk, évoque le nucléaire qui achemine l’électricité via les poteaux à haute tension que l’on voit dans le tableau... MB

D’abord des cimes alpestres, éclairées par la lumière naturelle qui pénètre à travers la baie vitrée de la galerie. De moyen format identique, les deux exemplaires retenus ici déploient de fines nuances de blanc et de gris pour dévoiler à chaque fois un paysage montagneux. Le sujet se devine, transparaît, prend forme dans la durée de la contemplation. L’idée d’entamer cette série lui est venue en observant une affiche publicitaire, et de son intérêt prononcé pour sa partie la moins destinée à être contemplée : l’arrièreplan. C’est ce pan secondaire de l’image que l’artiste choisit de réhabiliter, en lui confiant tout le champ, tout en lui conservant son aspect évanescent et diffus. L’œuvre se distingue de l’image publicitaire car elle n’a pas besoin de netteté pour définir le sujet de son commerce, pour vendre et vanter sa marchandise, vanité immuablement plantée au premier plan. C’est pourquoi Olivier Christinat assume pleinement dans ses paysages la visibilité des pixels, une imperfection plastique devenue intentionnelle qui rapproche le geste photographique du geste pictural. Chaque pixel y fait l’effet d’une touche, confère aux compositions enneigées une facture impressionniste. Les photos deviennent tableaux.

La musique est un art invisible, la peinture la fait voir : Une exposition de groupe chez Zidoun & Bossuyt

Vue de l‘exposition

I’m not there – The invisible influx of music on art, actuellement à la galerie Zidoun & Bossuyt, est un panorama d’artistes des années 1980 à aujourd’hui, inspirés par la scène pop-rock et punk allemande. C’est Filip Markiewicz, peintre luxembourgeois et aussi musicien, qui a connu le curateur, Max Dax à Berlin. Né en 1969 à Kiel, Max Dax est curateur, écrivain et journaliste, fondateur du magazine Spex, l’équivalent allemand des Inrocks français. Organisateur de deux grandes expositions à Hambourg en 2019 et à Rotterdam en 2020, l’exposition à Luxembourg est nécessairement plus restreinte, vu les dimensions de la galerie au Grund.

LM

Il y montre des icônes de la peinture pop, rock et punk, comme Isa Genzken (née en1948). Ses photographies New York, 1981, à l’esthétique minimaliste, ont été prises lors d’un concert du groupe CBGB. Ce sont des C-prints instantanés où Isa Genzken ne saisit que les éléments techniques, baffles, micro devant un ampli, pied du musicien sur une pédale wah-wah. C’est l’instant de la performance. L’image iconique sur laquelle ouvre l’exposition est Autobahn, une peinture à l’huile sur toile de 2020 grand format par une autre star de la scène pop allemande. Emil Schult né en 1946, cet

I’m not there – The invisible influx of music on art est remarquablement mis en espace, avec à côté d’Autobahn, la Nano Gitarre (2011) de Thomas Scheibitz (né en 1968). Plus loin dans l’exposition, on verra Peace (2018). Ces deux sculptures schématiques (ou abstraites, le sigle « peace » se lit ici comme une guitare dans un cercle), rendent hommage de manière lisible au hard rock et au heavy metal. Mais Thomas Scheibitz, comme l’indique le titre Nano Gitarre, est aussi fasciné par les avancées scientifiques sophistiquées des nano-technologies à partir de la fin des années 1990. On change de registre, les scientifiques utilisèrent un exemple musical via un laser jouant d’une nano-guitare. Même Emil Schult, dans Typical angels, un jet d’encre sur papier de 2014, passe à une autre dimensions, la 3D dessinée sur ordinateur. Face à ces pièces très colorées, voici Radenko Milak, né en 1980 en Bosnie-Herzégovine, dont Max Dax propose sept aquarelles sur papier, dédiées ou dédicacées aux icônes musicales. Leur rapport à la politique (Bob Dylan and Barack Obama, Donald Trump and Kanye West, 2022), l’éternel espoir de « peace and love » de Yoko Ono et John Lennon (War is Over). La série Musical Trascendences a été réalisée pour l’exposition par celui qui est un peu le « bébé » de Max Dax. Les aquarelles de Radenko Milak ont le rendu clinique de la copie photographique. Madonna y embrasse Britney Spears à pleine bouche et le groupe Laibach s’y produit en Corée du Nord. Les artistes et leurs œuvres sont engagés : juste à côté, voici le dessin

au crayon sur papier de Filip Markiewicz Copyright Copy de 2015, sur une chanson de Trent Reznor « I’m just a copy of a copy of a copy ». Pour Markiewicz, dont la famille est immigrée polonaise installée au Luxembourg, la question des droits d’auteurs illustre l’enseignement dans l’ex-bloc soviétique où la pop et la consommation de l’autre côté du rideau de fer étaient des ennemis de classe. On retrouve Markiewicz dans la salle du fond, avec une confondante grande huile sur toile Rehearsal for a still life. Les éléments très colorés et réalistes de cette « esquisse » toute récente pour une nature morte, fait le pendant à une huile sur toile de Henning Strassburger, Switchblade/Possible Psycho Surf Songs (Tack XI), le plus jeune artiste de l’exposition de groupe. Ces deux pièces sont, il nous semble, le plus en rapport avec l’histoire de la peinture : Vierges baroques (psychédéliques) et Vanité chez Markiewicz, Kandinsky et Klee chez Strassburger, dont la délicatesse des touches est par ailleurs un contre-point à la puissance d’expression très colorée de Markiewicz. Le lien le plus lisible peinture-musique est dans les touches noires du piano et le métronome du Klavier (2019) et de Track (2022) de Thomas Scheibitz Ce sont pourtant des peintures abstraites. Car voici, pour finir, une sorte de sommet de l’expression libre, qu’exprime le mieux The sound of silence de Simon et Garfunkel. Sur les trois très grands formats (Untitled, Discovery, Lieder in Vakuum et What other people can’t, 2018), Max Frintrop, né en 1982, travaille des purs bleus sur toile, à l’encre, l’acrylique et aux pigments purs. Gestuelle et rythme font les trois pièces voisines, de Bettina Scholz (née en 1979). Les très grands formats Disappearence/Reappearence, Firestarter et Qualm de 2019, 2020 et 2022, à l’acrylique et peinture en bombe sur MDF et sur verre, sont un travail de pure sensation à l’écoute de la musique.

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I’m not there – The invisible influx of music on art, est à voir à la galerie Zidoun & Bossuyt, 6 rue Saint-Ulrich, Luxembourg-Grund, jusqu’au 4 mars

FILMS MADE IN LUXEMBOURG Vues d’Osaka

Pareille démarche est transposée à l’environnement urbain d’Osaka avec une vue générale prise au téléobjectif depuis un lieu élevé. Le champ regorge d’habitations, enveloppé d’une brume laiteuse qui délave les couleurs et uniformise l’atmosphère lumineuse. Tout y est pris dans un camaïeu gris-beige, sans aucune présence de végétation, pour faire ressortir la minéralité de cette ville que le photographe affectionne. Les plans sont confondus, mis à plat, créant d’innombrables illusions optiques. Labyrinthique Osaka, aux perspectives dissoutes, rythmée par le mouvement des corps : là, le déhanchement d’homme en conversation, ici la solitude d’une femme qui se détache de la foule. Une approche inspirée par la lecture d’Orhan Pamuk : « Dans Mon nom est Rouge, l’écrivain turc évoque l’absence de perspective dans la peinture persane et donne une explication qui a été pour moi un déclic : le peintre persan ne représente pas la perspective parce qu’il montre le monde de très loin, depuis un point de vue divin. Avec l’écrasement de la distance, on perd la notion de perspective. J’ai voulu photographier le monde de cette façon-là », précise l’artiste. Ailleurs, Olivier Christinat saisit la contorsion des corps pris dans les cadences effrénées du néolibéralisme, à l’image de ces voyageurs entassés dans le métro de Berlin qui forment une improbable chorégraphie. Sont ainsi privilégiés les lieux de concentration humaine, tels que la rue ou la plage, ce dont le téléobjectif prend acte en nous plaçant, tel un voyeur, au plus près des corps représentés.

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Pablo Chimienti

Blanquita, est un film sombre et réaliste sur un scandale de pédophilie et de prostitution de mineurs qui a ébranlé le Chili au milieu des années 2000 Blanquita a 18 ans. Elle vit dans la capitale chilienne dans le foyer pour mineurs géré par le père Manuel. Elle a passé une partie de son enfance et de son adolescence entre ces murs protecteurs dans lesquels la violence est, malgré tout, quotidienne. Après quelques années d’errance, elle aide le religieux, ne serait-ce que pour calmer les jeunes psychologiquement instables présents dans l’institut. Un travail qui lui offre également un toit puisqu’elle dispose d’une chambre dans laquelle elle peut non seulement dormir, mais également élever sa toute petite fille. Un bébé qu’elle a eu avec un sans-abri alors qu’elle était elle aussi à la rue et qu’elle passait ses nuits dans l’un ou l’autre squat. Au-delà de ce passé peu enviable, le récit s’intéresse à Blanquita parce qu’elle est le témoin principal d’un important scandale de pédophilie et de prostitution de mineurs. Un procès impliquant un richissime industriel et un politicien de premier ordre. Autrement dit des intouchables, mais avec l’aide du prêtre, Blanquita va réussir à se faire entendre. Par quelques proches du religieux d’abord, dont une politicienne influente, ensuite par des psychologues pour qui les paroles de la jeune femme sont tout à fait recevables, enfin par une procureure incorruptible qui va oser inculper les suspects. La machine judiciaire est en marche et, même dans un pays qui ne semble pas encore tout à fait remis des longues années de la dictature de Pinochet. Pour une fois, le pot de terre semble prendre le dessus sur le pot de fer. La revanche des laissés pour compte semble enfin possible et de nombreuses manifestations vont accompagner ce procès. Malgré les incitations discrètes à la prudence, les menaces plus directes ou encore quelques intimidations musclées, Blanquita ne flanche pas. Elle le doit au père Manuel, elle le doit à tous les autres enfants des classes défavorisées kidnappés, violentés, violés par quelques riches et puissants messieurs de la haute ; et elle le doit surtout à sa petite fille, pour qui elle espère une vie meilleure. La jeune femme a une force de caractère rare, elle s’exprime bien, elle fascine. Elle va attirer alors l’attention médiatique et devenir ainsi, pour certains, une héroïne de la cause féministe, pour d’autres, une héroïne des classes sociales les plus basses. Mais à

force de se faire des ennemis, surtout parmi les puissants, on finit par déranger. Et ses petits secrets et les petits mensonges dit pour la bonne cause refont peu à peu surface. Au fur et à mesure que l’enquête avance, la justice commence à douter. Est-ce le système d’auto-défense des riches et des puissants qui commence à reprendre le dessus ? Est-ce que Blanquita et le père Manuel se sont laissé emporter par leurs bonnes intentions quitte à manipuler, ciet-là, la vérité ? Ou est-on en pleine machination judiciaire ? En pleine vengeance personnelle ? Bien qu’il se soit inspiré d’une véritable affaire judiciaire chilienne qui a bouleversé le pays au milieu des années 2000, le scénariste et réalisateur chilien, Fernando Guzzoni, qui signe là son troisième long-métrage après Carne de perro, (2012, primé au Festival de San Sebastián) et Jesús : petit criminel (2016), ne va donner des indices qu’au compte-gouttes à ses spectateurs, faisant preuve d’une grande maîtrise du rythme du récit. Pendant les 90 minutes du film, le spectateur est embarqué, emporté par cette affaire. Blanquita n’est cependant pas un film de prétoire, il n’est pas non plus un film policier et encore moins un film social. Il est un peu tout cela à la fois, un drame, sans aucun doute, un film sans chichis surtout, qui, sans tendre vers le documentaire – que Fernando Guzzoni a déjà pra-

Laura Lopez Campbell dans le rôle-titre

tiqué pour son tout premier film, La Colorina en 2008 –­ demeure d’un réalisme saisissant. Réaliste, le film l’est dans sa mise en scène, dans ses dialogues, dans la manière avec laquelle il présente la société. Réaliste dans la manière avec laquelle sont filmées les manifestations. Réaliste dans la manière avec laquelle le film présente les petites bassesses de chacun ou encore la puissance des sentiments qui peuvent relier certaines personnes entre elles. Porté merveilleusement par la comédienne Laura Lopez Campbell dans le rôle-titre, le film offre un magnifique portrait de femme. Une femme forte, intelligente, résiliente et prête, telle un Christ moderne, à tout pour améliorer les choses, quitte en payer le prix fort. Un récit fort et un film maîtrisé qui a remporté le Prix du meilleur scénario de la compétition Orizzonti de la Mostra de Venise. Coproduction entre le Chili, le Mexique, le Luxembourg (Tarantula), la France et la Pologne, Blanquita est un long métrage classique, mais réussi. Il doit au Grand-Duché, et tout particulièrement à Espera Productions, tout son travail de post-production image, autrement dit les effets spéciaux – discrets ­­– et l’étalonnage – c’est donc ici qu’ont été travaillé cette ambiance sombre et ces couleurs mates présentes tout au long du film.

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Tarantula

La dernière partie du parcours permet de découvrir le travail graphique de Christinat. S’emparant de textes littéraires illustres, qu’il reproduit à chaque fois dans leurs langues d’origine, l’artiste les comprime au point de parvenir à les éditer en une seule page. Le texte garde ainsi sa lisibilité, son intelligence, même s’il faudra se munir d’une bonne loupe pour s’assurer de sa lecture. À ces chiffres littéraires font face deux belles compositions sylvestres ; le visiteur chemine à présent dans un bois de bouleaux, à hauteur de cimes, ultime motif ascendant qui vient boucler ce parcours en forme de montagne russe. De la montagne aux forêts dépeuplées, de la photographie à la peinture et aux lettres, l’œuvre d’Olivier Christinat circule subtilement entre les arts et les éléments. Loïc Millot

Témoin numéro 1


Giamba


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73. INTERNATIONALE FIL MFE STSPIELE BERLIN

Neue Fragen der Perspektive Martin Theobald (Berlin)

Pablo Ocqueteau

lutionäres, das verbindet, gerade da, wo Meinungen auseinander gehen. Daran haben wir uns bei der Zusammenstellung des Programms orientiert“, erklärt er in der Pressemappe zum Filmfestival. Dieser Weg kann dahin führen, dass die Berlinale ihre Bedeutung als eines der drei großen Filmfestivals endgültig einbüßt. Dazu trägt auch bei, dass im aktuellen Wettbewerb Filme gezeigt werden, die bereits andernorts ihre Premiere feierten, so Makoto Chinkais Animationsfilm Suzume, der bereits in Japan angelaufen ist, oder Celine Songs Melodram Past Live, das vor wenigen Wochen beim Sundance Film Festival Premiere feierte. Im Ergebnis entwickelt sich die Berlinale zu einem Familienfest oder einem Liebhaber-Festival, bei dem Filmschaffende eine große Bühne bekommen, die einen Ruf genießen, aber nicht zur ersten Garde gehören oder für Kassenknüller stehen. Das hat seine Berechtigung. Im diesjährigen Wettbewerb gehören Matt Johnson, Ivan Sen, John Trengove oder Philippe Garrel schon zu den größeren Namen im 18 Filme umfassenden LineUp. Mit 20.000 Species of Bees von Estibaliz Urresola Solaguren, Disco Boy von Giacomo Abbruzzese und Past Lives von Celine Song bemühen sich gleich drei Filmdebüts um den Goldenen Bären. Auffällig am diesjährigen Wettbewerb ist die starke deutsche Präsenz. Gleich fünf deutsche Beiträge konkurrieren um die Bären. Am meisten erwartet wird dabei Margarethe von Trottas Film Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste – eine luxemburgische Koproduktion. Der Film widmet sich der Beziehung zwischen der österreichischen Schriftstellerin, gespielt von Vicky Krieps, und Max Frisch (Ronald Zehrfeld). Spannend daran wird sein, wie von Trotta diese Beziehung filmisch einfängt. Den Briefwechsel zwischen Bachmann und Frisch, der gerade erschienen ist, konnten die Filmemacherin und ihr Team dafür nicht einsehen. Ebenso vertreten ist die Fortsetzung von Christian Petzolds Filmtrilogie, die mit Undine begann. In Roter Himmel wird erneut Paula Beer, die einst für ihre Rolle in Undine den Silbernen Bären für die beste weibliche Hauptrolle erhielt, auftauchen. Außerdem laufen im Wettbewerb der neue Film von Christoph Hochhäusler, Bis ans Ende der Nacht, Angela Schanelecs Ödipus-Geschichte Music und Emily Atefs Literaturverfilmung Irgendwann werden wir uns alles erzählen, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Daniela Krien.

Die Fertigung der Berlinale-Bären in der Bildgießerei Hermann Noack

Hollywood lauschte gespannt den Zahlen, als Netflix Ende Januar seine letzten Quartalszahlen des abgelaufenen Jahres veröffentlichte: Die Zeichen stehen auf verlangsamtes Wachstum. So stieg der Umsatz nur noch leicht und auch die Zahl der Neukunden legte verhalten zu. Im Netflix-Maßstab. Im Winterquartal 2022 gewann der Streaming-Anbieter 7,66 Millionen neue zahlende Abonnenten hinzu. Im ganzen Jahr erwirtschaftete Netflix einen Umsatz von 31,6 Milliarden US-Dollar, das etwa 29,5 Milliarden Euro entspricht. Schnöde Zahlen. Doch die Plattform muss reagieren, um ihre Investoren zufriedenzustellen. Inhalte, sprich eigenproduzierte Fernsehserien, die nicht funktionieren, werden umgehend eingestampft, egal, wie hoch der künstlerische Anspruch war und welch wegweisende Erzähltechnik dem TV-Werk zu Grunde lag. Vor Jahren noch wurde der Streamingdienst als der große Heilsbringer auf jedwedem internationalen Filmfestival gepriesen. Ein Ruhm, der schnell verblasste. Also beginnt die Rückbesinnung auf Filmkunst und Filmwerke.

Im Ergebnis entwickelt sich die Berlinale zu einem Familienfest oder einem Liebhaber-Festival, bei dem Filmschaffende eine große Bühne bekommen, die einen Ruf genießen, aber nicht zur ersten Garde gehören oder für Kassenknüller stehen

So auch in Berlin. Vor Jahren hat man noch eigens eine Sektion für Fernsehserien eingerichtet, die es nun noch gibt, aber nicht mehr so recht ins Programm zu passen scheint. Mariette Rissenbeck, Geschäftsführerin der Berlinale, und Carlo Chatrian, künstlerischer Direktor der Berliner Festspiele, drucksen bei der Programmpräsentation Anfang des Monats herum, weichen aus, betonen immer wieder, was denn die Berlinale eigentlich und ursächlich ausmache. Und das ist in der Zwischenwelt angekommen, nach dem Abschied des langjährigen Festivaldirektors Dieter Kosslick und auch nach zwei Pandemie-Ausgaben. Doch Berlin bleibt sich treu: Die ganz großen und glamourösen Namen vermisst man einmal mehr. Entsprechende Filme werden in die Wettbewerbsreihe „Gala“ abgeschoben, wo sie nur noch sich selbst feiern können. Chatrian geht stattdessen weiter seinen eingeschlagenen Weg, die Berlinale mit künstlerischen Beiträgen im Sinne von Pasolinis „Cinema of Poetry“ im Wettbewerb des internationalen Filmfestivals etablieren zu wollen. „Wir begreifen Kino als Katalysator, als etwas Revo-

Chatrian setzt eher auf besondere Akzente, etwa wenn der portugiesische Regisseur João Canijo, der bereits zweimal in Cannes eingeladen war, im Wettbewerb sein Melodram Mal Viver zeigen darf, während bei „Encouters“ das Gegenstück Viver Mal läuft. Ohnehin etabliert sich Encounters im Sektionsdschungel der Berlinale als Konkurrenzveranstaltung zum Wettbewerb, was schon in den vergangenen Jahren auf wenig Gegenliebe bei der Filmkritik stieß, weil sich das Cannes-Konzept des „Certain Regard“ nicht durchsetzt. Die Filme in diesem Teil der Berlinale machten bei der Präsentation mehr Eindruck als die Werke im Wettbewerb. Hier will die Berlinale ihr politisches Profil weiter schärfen, so etwa mit dem tschetschenischen Film The Cage is looking for a Bird, der ukrainischen Kriegsdoku Eastern Front und My Worst Enemy aus dem Iran. Sektionsübergreifend werden auf dem diesjährigen Festival neun Filme mit Iran- und acht Werke mit Ukraine-Bezug gezeigt. Der Goldene Ehrenbär geht in diesem Jahr an Steven Spielberg. Neben seinen Klassikern wie Der weiße Hai, E.T. oder Schindlers Liste werden auch sein Debüt Duel aus dem Jahr 1971 und sein neuer Film Die Fablemans gezeigt. Nach zwei Pandemiebedingten außerordentlichen Festivaljahren geht die Berlinale in diesem Jahr wieder in den normalen Modus über und zeigt die Filme in den voll ausgelasteten Kinos in Berlin (16. bis 26. Februar). Die Jury wird von der amerikanischen US-Schauspielerin Kristen Stewart geleitet. Die Preise werden am Samstag, 25. Februar, verliehen.

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Administration communale de Junglinster

Avis de marché Procédure : ouverte Type de marché : Travaux Ouverture le 13.03.2023 à 11.00 heures Lieu d’ouverture: Dans les bureaux du service technique de la Commune de Junglinster (12, rue de Bourglinster – L-6112 Junglinster) Intitulé : Renouvellement du revêtement gazon naturel du terrain de football « Op Fréinen » à Junglinster. Description : – Décapage terrain gazon naturel existant : + 8 065 m² ; – Évacuation couche racinaire et fibres synthétiques : + 2 100 m3 ; – Couche portante drainante en sable0/8 : + 8 065 m² ; – Couche de finition gazon (ép. 12 cm) : + 8 065 m² ; – Ensemencent gazon naturel : + 8 065 m² ; – Équipements (buts, cornes). Conditions de participation : – Effectif minimum en personnel de l’opérateur économique occupé dans le métier concerné : 15 personnes ; – Chiffre d’affaires minimal : 1 200 000 euros ; – Nombre minimal des références pour des ouvrages analogues et de même nature : 10 références. Conditions d’obtention du dossier de soumission : Les firmes intéressées sont priées de retirer les documents de soumission via le Portail des marchés publics (www. pmp.lu) Il ne sera pas procédé à des envois postaux. La remise électronique est obligatoire. Les offres qui ne sont pas établies sur des bordereaux retirés à l’adresse indiquée ci-dessus ne sont pas prises en considération. Réception des offres : Les offres conformes au règlement grand-ducal du 8 avril 2018 portant exécution de la loi du 8 avril 2018, concernant le régime des marchés publics de travaux et de fournitures et portant l’inscription « Soumission pour le renouvellement du revêtement en gazon naturel du terrain de football ‘Op Fréinen’ à Junglinster » sont à remettre via le Portail des marchés publics conformément à la législation et à la réglementation sur les marchés publics avant la date et l’heure fixées pour l’ouverture. Informations complémentaires : Durée des travaux : 88 jours ouvrables Début des travaux : début mai 2023 Date de publication de l’avis 2300305 sur www.marches-publics.lu : 15.02.2023

Fondé en 1954 par Carlo Hemmer, édité par Leo Kinsch de 1958 à 1983. Hebdomadaire politique, économique et culturel indépendant paraissant le vendredi. Publié par les Éditions d’Letzeburger Land s.à r.l., R.C. B 19029,N° TVA LU 12 12 40 22. La reproduction des articles et illustrations est interdite sans l’accord écrit de l’éditeur. Gérant Stephan Kinsch (48 57 57-1; land@land.lu), Rédacteur en chef Peter Feist (48 57 57-24; pfeist@land.lu), Rédaction France Clarinval (48 57 57-26; fclarinval@land.lu), Luc Laboulle (48 57 57-28; llaboulle@land.lu), Stéphanie Majerus (48 57 57 35; smajerus@land.lu), Sarah Pepin (48 57 57 36; spepin@land.lu), Pierre Sorlut (48 57 57-20; psorlut@ land.lu), Bernard Thomas (48 57 57-30; bthomas@land.lu), Mise-en-page Pierre Greiveldinger (48 57 57-34; pgreiveldinger@land.lu), Photos Sven Becker (48 57 57-36; sbecker@land.lu), Administration et publicité Zoubida Belgacem (48 57 57-32; zbelgacem@ land.lu) Édition et rédaction 59, rue Glesener L-1631 Luxembourg Courrier Boîte postale 2083, L-1020 Luxembourg Téléphone 48 57 57-1 Fax 49 63 09 E-mail land@land.lu Internet www.land.lu Twitter @Letzland Facebook d’Lëtzebuerger Land Instagram letzebuerger_land Impression offset Mediahuis Luxembourg S.A. Prix par numéro 5,00 € Abonnement annuel 180,00 € Abonnement étudiant/e 95,00 € Comptes en banque CCPLLULL : IBAN LU59 1111 0000 5656 0000, www.land.lu BILLLULL : IBAN LU29 0027 1003 6990 0000, BGLLLULL : IBAN LU32 0030 0431 7039 0000, BCEELULL : IBAN LU30 0019 1000 2939 1000, CELLLULL : IBAN LU71 0141 7162 5000 0000, BLUXLULL : IBAN LU59 0080 0484 9600 1003


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Wagner, Brecht et Tiago Rodrigues Lucien Kayser

Amour trop amour, des panneaux pour un texte, un poème, en parallèle aux mots et à la musique

Ainsi, aux différents plans ou étages, il se trouve d’une part deux danseurs, Sofia Dias et Vítor Roriz, d’autre part les protagonistes, les chanteurs. Le temps (ou la mode) semble être à pareil dédoublement, pareille duplication, prenons le Tristan repris à Paris au même moment, de Peter Sellars, avec les vidéos de Bill Viola. Dans les deux cas, cela fonctionne. En sens

contraire. Car si les images parisiennes transcendent en quelque sorte l’action, on ira peut-être jusqu’à parler de sublimation, à Nancy, avec Tiago Rodrigues, qui vient du théâtre, pour sa première mise en scène d’opéra, on se rapproche de Brecht, il y aurait distanciation, Verfremdungseffekt. Pour commencer, et avec le plus d’impact déjà, le fait que les personnages y perdent jusqu’à leur nom, il n’est plus question que de l’homme et de la femme tristes, de l’homme puissant (le roi Marke), de l’homme ambitieux (Melot)… On reconnaîtra volontiers à ce nouveau texte de Tiago Rodrigues, égrené dans les panneaux, un long poème adjoint au programme, un air durassien, avec sa simplicité sémantique, syntaxique, atteignant à l’universalité. Et des fois une escapade ironique, taxant Wagner (pour d’aucuns non sans raison) d’énormément de mots, chantés en plus en allemand, pendant des heures. Et rien que pour dire l’amour. Amour trop amour. Ce qui toutefois pourrait se retourner contre ce texte même, répétitif, on le trouverait lassant, lui aussi, voire agaçant à tels endroits, comme l’agonie de Tristan, à force de trop d’activité, de va-et-vient des danseurs.

Jean-Louis Fernandez

Il y avait de quoi être méfiant, en lisant sous la plume du directeur général de l’Opéra national de Lorraine que ce qu’il aimait chez Tiago Rodrigues, le metteur en scène du Tristan und Isolde présenté à Nancy, et nouvellement nommé patron du festival d’Avignon, c’est sa capacité à faire descendre les œuvres de leur piédestal. Attention cependant à la casse ! Mais l’inquiétude fut balayée très vite, dès la découverte des décors, des rayonnages de bibliothèque, arrangés en hémicycle, avec des centaines de panneaux, on en a donné le chiffre précis de 947, qui seront sortis et montrés au public par deux danseurs ; ceux-là, avant le prélude même attirent l’attention et vont anticiper dès les premières notes le face-à-face des amants de ce que Wagner a appelé (presque par antithèse) Handlung in drei Aufzügen.

Tristan agonisant, au pied d’un amas, terrail du mythe

Légères réserves qui n’enlèvent rien à la conception générale du spectacle. Et on ne le dira jamais assez, les décors de Fernando Ribeiro, les costumes de José António Tenente, comme les lumières de Rui Monteiro, y sont pour beaucoup. Dans une belle homogénéité, Wagner y est, avec cette légère touche de théâtre épique. Les amateurs luxembourgeois auront à affronter un traitement autrement brutal, iconoclaste lui, dans la mise en scène de Simon Stone, fin février début mars, au Grand Théâtre (et après Aixen-Provence, en 2021, ce sera au Glacis qu’on prendra le métro pour le Liebestod). Bien sûr, ni à Nancy, ni à Luxembourg, on n’a eu ou n’aura Sir Simon Rattle et le London Symphony Orchestra (ou comme samedi dernier, dans la version

concert de Siegfried, à la tête du Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunk). Dans la fosse, place Stanislas, un valeureux Orchestre de l’Opéra national de Lorraine, au jeu raffiné, manquant çà et là de densité, de tension dramatique, sous la direction privilégiant les couleurs de Leo Hussain. Et pour sa propre prestation, non moins un peu comme représentante de l’ensemble, l’apparition sur scène de la soliste de cor anglais Florine Hardouin fut saluée par de vifs applaudissements. Du côté des chanteurs, cantatrices, signalons d’abord trois prises de rôle, de premiers rôles même. Pour Dorothea Röschmann, le passage du baroque et de Mozart à Isolde (elle a quand même déjà chanté Elisabeth) ne s’avéra pas sans embûches, ni stri-

dences ; pour Samuel Sakker, ténor australien, passé par Erik et Siegmund notamment, en bon Tristan, l’engagement alla croissant dans le troisième acte, plus à l’aise dans ces moments dramatiques, étendu au pied de l’amas des panneaux, sorte de terrail du mythe ; enfin, la mezzo Aude Extrémo fut une Brangäne habitée, au chant plus saisissant que de l’autre côté le confident Kurwenal (Scott Hendricks) ou Melot (Peter Brathwaite). On finira par les plus forts éloges pour le Coréen Jongmin Park (le roi Marke), et sa voix de basse pleine de majesté comme de tendresse, alliant force et nuance, et on laissera le mot de la conclusion à l’homme puissant, dans sa déception douloureuse qui va bien au-delà de Tristan und Isolde : Den unerforschlich tief/ geheimnisvollen Grund,/ wer macht der Welt ihn kund ?

KINO

Panahi on Panahi

Janus Film

Es wäre kurzsichtig, anzunehmen, Jafar Panahis Filme seien nur Zeitdokumente, die die Umstände im heutigen Iran beleuchten. Panahis Filme gehen weiter. Sie stehen in einem unweigerlich engen Widerstreit mit diesen Umständen und beleuchten sie zum einen. Zum anderen aber bringen die Umstände Panahis Filme erst hervor. Ihre überaus subversive Qualität hat Panahis Regiekarriere Anfang der 2010er-Jahre neuen Aufschwung verliehen. Er drehte in etwas mehr als zehn Jahren fünf Spielfilme, die ihm zu großer internationaler Anerkennung auf Filmfestivals in Cannes, Venedig und in Berlin verhalfen, wo Taxi Teheran 2015 den Goldenen Bären gewann und zum wohl bekanntesten Film des sogenannten Neuen Iranischen Kinos wurde. Während Panahis letzter Film Drei Gesichter (2018) ein Seitenhieb auf die iranischen Behörden, eine Liebeserklärung an das Kino und die Frauen sowie das kritische Porträt einer traditionalistischen Gesellschaft war, dem man die Selbstironie deutlich anmerkte, ist sein neuer Film No Bears in seiner desillusionistischen Haltung ein noch pessimistischeres und bittereres Werk. Dass Panahi erst vor rund zwei Wochen in Teheran aus der Haft entlassen wurde, spricht umso mehr für die politische Brisanz seiner Filmstoffe. Dabei macht die Eröffnungssequenz zunächst den metareflexiven Charakter des neuen Werkes stark: Wir sehen Bilder einer belebten Straße. Menschen sitzen in einer Kneipe, Musiker sammeln Geld. Da erscheint ein Paar, Zara (Mina Kavani) und Sinan (Sinan Yusufoglu). Ein Wortgefecht über eine geplante Flucht nach Frankreich entbrennt, und plötzlich vernehmen wir eine weitere, ganz entfernte Stimme. Es ist die eines Filmregisseurs, der seine Schauspieler auf Distanz via Internetverbindung dirigiert. Jafar Panahi spielt einen Regisseur namens Jafar Panahi, der sich in einem Dorf irgendwo nahe der türkischen Grenze untergebracht hat und von dort aus Anweisungen nach Teheran für ein Filmprojekt gibt. Zu diesem

Regisseur Panahi spielt Regisseur Panahi, der per Internet einen Filmdreh leitet

selbstreflexiven Handlungsstrang über die künstlerische Tätigkeit in einem oppressiven System gelangt eine weitere Handlungslinie, die vom fremden Eindringling in ein geregeltes Gesellschaftsgefüge erzählt. Davon, wie Panahi in einen Konflikt unter den Dorfbewohnern hineingezogen wird, wo ein Streit zweier junger Männer um eine Frau einige kuriose Traditionen offenlegt, Panahi mithin aufgrund seiner Videokamera in Mitverantwortung gezogen wird. Der iranische Regisseur erzählt all dies mit gewohnt verschmitztem Augenzwinkern, ohne dabei seine Figuren der Lächerlichkeit preiszugeben. Noch nicht einmal, wenn es da unter den Dorfbewohnern heißt, Bären würden in der nahen Umgebung ihr Unwesen treiben – ein leiser Hinweis auf eine sehr abergläubische, verengte Weltsicht, die auch Ausdruck der Bestätigung alles Geregelten ist. Indem er sich selbst unter dem Namen „Panahi“ inszeniert, legt der Regisseur die effektvolle Grundlage für einen sehr hybriden Film, der irgendwo zwischen Dokumentarfilm, Tagebuch, Autofiktion und politischem Kino angesiedelt ist. Gleichzeitig verliert er nie die so werkkonstante Dimension seines Filmschaffens aus dem Blick: die iranische Gesellschaft gefühlvoll, aber schonungslos zu befragen. Seine besondere Subversion bezieht No Bears aus einer äußerst fragilen, jedoch konzentrierten und ruhigen Selbstbetrachtung. Sie reflektiert über das Wesen von Bildern und über die Beziehung zwischen Bild und Abbild. Ferner über die Kunst, die mit äußeren Umständen in Konflikt gerät, und die Macht des Bewegtbildes. In einem größeren Zusammenhang kommt Panahi auf die Rolle des Kinos und die des Filmkünstlers zu sprechen. Diese Vielschichtigkeit bildet das zentrale Kraftfeld seines neuen Werks, das von Autothematik und den Oszillationen zwischen Dokumentar- und Fiktionselementen getragen wird – Elemente, die zu integralen Bestandteilen der reichen Textur dieses außergewöhnlichen Films werden. Marc Trappendreher

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Le long du comptoir

établissements – ni les horaires d’ouverture, ni ce qu’on y sert, ni le décor – même si de manière ténue ou inconsciente, chacun a une petite idée des usages derrière chacun de ces mots.

France Clarinval

Les comptoirs de bars ne sont généralement plus recouverts de zinc. En réalité, c’était plus souvent de l’étain qui protégeait les surfaces de la corrosion, mais le zinc était beaucoup moins cher. Par un effet métonymique assez classique, le zinc continue de décrire l’endroit où les habi-

tués d’un établissement viennent prendre un café, une bière, parfois un plat du jour. Bar, zinc, bistro, troquet, taverne, rade, café (là aussi, la métonymie est à l’œuvre), brasserie, gargote, pub… Le vocabulaire pour désigner les débits de boissons est aussi vaste que certains gosiers y sont en

pente. Les noms donnés puisent leur source dans des bases historiques (les tavernes, les cafés), des influences étrangères (les bistrots, les bars, les pubs) et du vocabulaire plus familier, voire argotique (les troquets, les rades). Aucune définition légale ou officielle n’existe pour différencier ces

Sven Becker

Convivialité au comptoir du Gudde Wëllen

Dans tous ces lieux, quel que soit le nom qu’on leur donne, il y a un comptoir. Historiquement, au Moyen-Âge, le comptoir est une table ou un banc (banca, qui a donné le terme de banque) sur laquelle le commerçant posait sa marchandise pour la vendre. C’était la table qui sépare le vendeur de l’acheteur, comme aujourd’hui, le meuble délimite la salle et les espaces de cuisine et de service. L’historien spécialisé dans la gastronomie, Patrick Rambourg, a du mal à dater l’apparition des comptoirs où l’on sert à boire et à manger. Dans Histoire de la cuisine et de la gastronomie françaises (Perrin, 2013), il précise « au 19e siècle, on connaît le bar avec un comptoir qui accueille une clientèle, mais il est fort difficile d’affirmer que le comptoir tel que nous l’entendons aujourd’hui existait avant cette date. » Le même auteur s’intéresse à la « mythologie du comptoir ». Il estime que l’avènement de cet espace est concomitant à l’émergence de la photographie et du cinéma où les représentations du comptoir nourrissent un imaginaire et une part de fantasme. Dans Au vrai zinc parisien (Parigramme), l’écrivain François Thomazeau exprime bien ce qui fait le charme des comptoirs : « Des lieux où le quotidien s’égrène doucement, à la cadence de l’horloge biologique d’un quartier, du café des petits matins au dernier verre du soir ». « Le cabaret est le parlement du peuple », écrivait Balzac. Aujourd’hui encore, le comptoir rassemble, rapproche et incite au partage. Ce bout de bois, de zinc, de granit, de laminate ou de marbre haut perché incarne les valeurs recherchées d’authenticité, d’accessibilité et de convivialité. C’est un lieu où on peut être seul sans être solitaire, où l’on tombe volontiers la veste et le badge du boulot. La proximité avec son voisin et le fait de partager le même support créent un rapprochement,

une unité de temps et de lieu avec des inconnus qui ne le restent parfois pas longtemps. Au Visà-Vis, devant une bière, un trentenaire à bonnet confirme : « Je ne demande pas à mes voisins de comptoir ce qu’ils font comme métier. On parle de tout et de rien, parfois de manière très intime. On ne se reverra peut-être jamais ». Au comptoir le rapport entre le professionnel et le client se fait plus direct. « Dans les villes où je voyage seul, je m’installe toujours aux comptoirs que ce soit pour manger ou pour boire. En parlant avec le personnel, je découvre des tas d’informations et d’adresses qui ne figurent pas forcément dans les guides », explique un globe-trotter souvent consulté pour connaître les bons endroits. Le comptoir ne ment pas. On y reconnaît les habitués, ceux qu’on appelle par leur prénom et qui sont servis sans passer commande. Les différences sociales y sont nivelées : tout le monde est logé à la même enseigne, il n’y a pas de bonnes et moins bonnes places, pas de privilèges, cols bleus et cols blancs y consomment la même chose. C’est un lieu de socialisation et d’échange où le dialogue se noue sans complexe. « Quand je suis installée au bar, je parle avec des gens que je n’aurais pas côtoyé dans mon quotidien, que ce soit des employés du parking ou des députés », se réjouit une prof de français rencontrée au Bistrot de la Presse. Longtemps, le comptoir était aussi le synonyme d’un petit plat, pas cher et vite avalé. Aujourd’hui, il s’ouvre à toutes les cuisines, y compris, signe évident de gentrification, les plus gastronomiques. La tendance est au menu servi en direct des cuisines aux clients. Selon la taille du bar, dix à vingt convives s’installent pour un moment privilégié où le chef dresse et commente les plats en direct. « Une façon de communiquer mon travail et ma passion et d’observer directement les réactions des clients », exprime Baptiste Heugens qui propose cette expérience tous les mois dans son restaurant Equilibrium.

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Stil DA S

B I L D

C2022 E3 ZTF Manuel Huss hat ihn Anfang Februar erwischt: Den Steinund-Eis-Klumpen C2022 E3 ZTF. Der Hobby-Astrofotograf hat mit seinem Teleskop ein Foto von dem astrophysischen Besucher geschossen, das über 90 Minuten lang belichtet wurde. Das ist verhältnismäßig wenig – für Galaxien können es bis zu 30 Stunden sein. Der abgelichtete Komet mit dem kantigen Namen wurde erst im

D I E

März 2022 entdeckt, zuvor bewegte er sich in entfernteren Gassen der Milchstrasse. Nur alle 50 000 Jahre nähert er sich der Erde; bis auf eine Distanz von 40 Millionen Kilometer, näher nicht. Als persönliches Highlight verbucht der Hobbyfotograf sein erstes MarsFoto: „Das war ein emotionales Erlebnis, weil der Mars mich seit meiner Kindheit fasziniert.“ Fotogen findet er darüber hinaus kosmische Nebel und den Mond: „Wegen seiner Phasen zeigt er sich stets anders und es gibt immer wieder neue Details an ihm zu entdecken.“ Seine Bilder, die Manuel Huss in seinem Garten in Sanem einfängt, kann man sich auf seiner Facebookseite „D’Lut aus“ anschauen. Seit acht Jahren betreibt er dieses Hobby, für das man Geduld und etwas Taschengeld braucht. sm

FA R B E

Bloen Rollcol-Pullover Anfang Februar erhielt der grüne Kommunalwahlen-Kandidat Claude Feltgen von seiner Partei Dresscode-Anweisungen. Anlass war ein Foto-Shooting für Gemeindewahlplakate, wie er auf Mastadon erläuterte. Man bat ihn zu bedenken, „dass déi Foto fir ënnerschiddlech Zwecker an och fir eng länger Zäitspan genotzt gëtt. D’Kleeder sollen dofir neutral sinn, dh weder ze locker, nach ze förmlech. Si sollen awer zu ärer Persoun an zu ärem üblechen Outfit passen. D’Kleeder sollen och net ze wanterlech oder summerlech sinn“. Ähnliche Anweisungen wurden wohl auch an andere Parteien verschickt. So wurde letzte Woche die DP-Gemeindewahlliste von Mamer bekannt: Mit Hemd

und Sakko stellten sich die Männer auf, mit Bluse die Frauen – also weder zu sommerlich noch zu winterlich. Trotz gelungener Wahlkampf-Uniform springt dem Betrachter ein Formatfehler entgegen: Der Fotograf hat es verpasst, im Hintergrund das Banner eines Vereins aus dem Bild zu entfernen. Diese Woche wurde auch die LSAP-Liste der Gemeinde Bettemburg veröffentlicht. Nur ein roter Schal ist an die Parteifarbe angelehnt, ansonsten sind die Kandidat/innen überwiegend missgelaunt schwarz angezogen. Wie auch immer die Kandidaten sich anziehen mögen, manche Wählerinnen

wird das nicht von verspielten Spekulationen abhalten. So fragte die Geschichtsprofessorin Sonja Kmec auf Twitter, nachdem sie an zwei aufeinanderfolgenden Tagen Luc Frieden wie Joëlle Welfring in einem blauem Rollkragenpulli erblickt hat: „Weist déi nei Moud vun de bloen Rollcol-Pulloveren op Koalitiounswënsch?“ (Foto: 100,7) sm

DIE SCHLECHTE NACHRICHT

In Sippenhaft Als David Frazão und Marc List vor zweieinhalb Jahren beschlossen, trotz CoronaPandemie eine queere Bar am Park Gerlache in Differdingen zu eröffnen, seien sie vom Schöffenrat und von den Einwohner/innen

mit offenen Armen empfangen worden, erzählten sie im Juli 2022 dem Land (Foto: Gilles Kayser). Inzwischen scheint sich die Haltung der Gemeindeführung aus Grünen und CSV geändert zu haben. Vergangene Woche nahm die Stadtverwaltung das Café Dama in Sippenhaft und entzog ihm auf unbestimmte Zeit die Erlaubnis, bis drei Uhr morgens zu öffnen. Offenbar hat das damit zu tun, dass es vor einer anderen Bar in der Nähe zu Schlägereien gekommen war. Im Café Dama gab es solche Vorfälle nicht. Das Dama trifft diese Maßnahme jedoch besonders hart, denn die mittlerweile einzige queere Bar Luxemburgs veranstaltet fast an jedem Wochenende TravestieShows und zieht damit Kundschaft aus der gesamten Großregion an. Um zu überleben, sind verlängerte

Öffnungszeiten quasi ein Must, weil sich die Anreise für viele sonst nicht lohnt. Wenn der Differdinger Schöffenrat dafür kein Verständnis hat, findet sich vielleicht eine andere Stadt, die dem Café Dama ein Lokal zur Verfügung stellt. So schwer dürfte das eigentlich nicht sein, denn Gemeinden, die ein LGBTIQ+-Freedom-Zone-Schild an ihrem Ortseingang aufgestellt haben, gibt es in Luxemburg inzwischen genug. Differdingen hat seit 2021 auch so ein Schild, was es bedeutet, weiß man dort aber offenbar nicht. ll


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