AD INTERIM — Magazin für Alltagstheorie #1

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Denn trotz allem gibt es diese Geschichten, von der Entstehung und des Fortbestehens einer Band, die immer wieder grandios zum Vorschein kommen. Von dem Konzert im höchstoffiziellen Rahmen, als der zottelige Altfreak alleine in der ersten Reihe tanzte und immerzu »Hallelujah!« rief #3. Oder der Ausflug nach Holland, als man im Sommerregen badete und am Strand schlief. Geschichten wie diese, vom Zufall im bestehenden Rahmen, sind typisch, auch für die eigentliche Formation der Band. Diese geschah unter einer klaren Idee mit dem allgegenwärtigen Zufall als entscheidender Prise. In einer früheren, lokal mäßig erfolgreichen Band wurden einige Stücke eines Mitgliedes nicht gespielt. Nach einigen Querelen wurden neue Wege eingeschlagen, und die Gefährten auf diesem Weg waren teilweise schon durch frühere Bekanntschaften klar. Bei gemeinsamen Bieren hat man schon geklimpert und getextet, nun sollte es wirklich passieren. Soweit nur wenig arbiträr. Entscheidender kam der Zufall ins Spiel. Den Sänger aus Koblenz traf der Kopf der neuen Band als Mitfahrer, vermittelt durch ein anonymes Internetportal, als beide ihre jeweiligen Freundinnen in Berlin besuchten. Die eineiigen Zwillinge, seit der frühesten Kindheit Musikerinnen und prädestiniert für das Gefüge einer Band, traf man wiederum auf einem Konzert einer befreundeten Musikergruppe, #4 Ein gutes Beispiel sind die hochfunktionalen Kollektivbüros, in denen junge Kreative einen Arbeitsbereich teilen, weitverbreitet in Berlin. Hier mag die Factory von Andy Warhol als romantisiertes Vorbild dienen, die Funktionalität nimmt den Projekten allerdings oft den Schleier der Kommune.

#3 Diesen Altfreak, in seinen mittleren Sechzigern und offensichtlich originaler 68er, kann man öfter im Kölner Raum auf diversen kleineren Konzerten treffen, immer in der ersten Reihe, immer tanzend und lobpreisend. Abgesehen von der skurrilen Erscheinung ist dieses Aufgehen in der Musik erfrischend, zwischen all den jungen Leuten die aussehen wollen wie alte Leute.

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denen wiederum der zukünftige Schlagzeuger der »People« aushalf. So bizarr und lose diese Geschehnisse erscheinen, so kann man auch sehen, dass bei allen Beteiligten die Fäden schon vorhanden waren, und diese mussten nur gemeinsam verbunden werden. Obwohl es bekannt ist, dass kaum ein Umstand unsere Leben so prägt wie der Zufall, kann die Zuversicht darin, dass sich die Dinge sinngemäß ergeben könnten, gut tun. Die Idee des kreierenden Kollektivs, dass durch Liebe an dem Gedanken der gemeinsamen Kreation Bedeutsamkeiten erschafft, ist eine sehr romantische, seien es Künstler, Aktivisten, Architekten oder eben Musiker#4. Aber zum Glück ist dieses Kollektiv kein einzelner Organismus. Es rumpelt und kracht wie in jeder sozialen Verbindung. Und wenn von außen trotzdem dieser ideale Organismus wahrgenommen wird, dient er eher zum Anzapfen der eigenen Traumvorstellungen. Innerhalb wird man glücklich, wenn man die Zufälle wertschätzt und wenn gemeinsame Freundschaften und Erlebnisse entstehen statt nur gemeinsamem Output. Die »People« glauben, ohne jeden falschen Pathos, dass dies alles, die Traumvorstellungen, die Wunschgebilde, das Gefüge und Entstehen einer Band auf einen der ursprünglichsten Triebe hinter der menschlichen Gesellschaft zurückgeht: Man will nicht alleine sein, draußen ist es kalt. Man sucht und andere stoßen zu diesem Verlangen hinzu. Und die »People« erzählen von diesem Verlangen.

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