INDIEKINO MAG #26, April 2023

Page 1

D ROTER HIMMEL Silberner Bär Berlinale 2023 D INFINITY POOL Touristischer Doppelgänger D SUZUME Erdbeben und Geist-Katze D MI PaIS IMaGINaRIO Kollektiver Traum D VICTIM Zwiespältige Figuren D THE FIVE DEVILS Magisches Denken D THE ORDINaRIES Eigene Regeln D DER FUCHS Urgroßvater im Krieg D DIE KaIRO VERSCHWÖRUNG Machtwechsel D IRGENDWaNN WERDEN WIR UNS aLLES ERZÄHLEN Gehen oder bleiben D THE WHaLE Ein netter Mann D EMPIRE OF LIGHT Kino an der Promenade D LORIOTS GROSSE TRICKFILMREVUE Exzentriker*innen D DIE GEWERKSCHaFTERIN Haarsträubende Ermittlung D COCaINE BEaR Ganz besonders gefährlich

MaGaZIN FÜR UNaBHÄNGIGES KINO

D 26 D aPRIL 2023

indiekinoMaG

ROTER HIMMEL – STaRT aM 20.4.2023
OLIVIA COLMAN MICHEAL WARD MIT TOBY JONES UND COLIN FIRTH „FEIERT DIE MAGIE DES KINOS“ SÜDDEUTSCHE ZEITUNG EIN FILM VON SAM MENDES REGISSEUR VON JAMES BOND 007: SKYFALL UND 1917 ©2022 20TH CENTURY STUDIOS. ALL RIGHTS RESERVED. PROPERTY OF 20TH CENTURY STUDIOS. PROMOTIONAL USE ONLY. SALE, DUPLICATION, OR OTHER TRANSFER OF THIS MATERIAL IS STRICTLY PROHIBITED. AB 20. APRIL EXKLUSIV IM KINO

EDITORIaL

Wer nicht bei der Berlinale war, hat im April die Möglichkeit, eine ganze Reihe von Festivalhighlights nachzuholen, vorneweg natürlich ROTER HIMMEL von Christian Petzold, der mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde. Thomas Schubert ist großartig als mauliger Autor, der ein Sommerwochenende mit Freunden an der Ostsee so gar nicht genießen kann, weil sein Roman nicht vorankommt. Im Hintergrund der Erzählung brennt der trockene Wald. Mit SUZUME kommt erneut eine meisterhaft animierte, märchenhafte Geschichte von Makoto Shinkai ins Kino. Erdbeben, ein Fluch, ein schöner junger Mann und eine freche Geister-Katze spielen eine Rolle. Wer noch nie einen Film von Shinkai gesehen hat, sollte das nachholen. IRGENDWANN WERDEN WIR UNS ALLES ERZÄHLEN, Emily Atefs Verfilmung des gleichnamigen Romans von Daniela Krien, stieß auf dem Festival auf gemischte Reaktionen. Unsere Autorin Pamela Jahn war begeistert von der trägen Post-Wende-Atmosphäre im Sommer 1990 im ländlichen Thüringen. Die einen wollen dringend weg, die Westler fallen ein, und die 17-jährige Maria weiß nicht wohin mit sich. In INFINITY POOL entwirft Brandon Cronenberg, Sohn von David Cronenberg, ein exzessives und mörderisches Tourismus-Universum, in dem menschliche Klone die Verbrechen der Ursprungspersonen ausbaden müssen. Und schließlich gibt es noch ein Wiedersehen mit DEM deutschen Humoristen. Peter Geyer hat 31 von Loriots Trickfilmen aus den 1970er Jahren liebevoll und aufwändig restauriert, nachgezeichnet und nachvertont, und sie zu LORIOTS GROSSER TRICKFILMREVUE zusammengestellt.

Viel Spaß beim Lesen und viel Spaß im Kino Eure INDIEKINO Redaktion

„ Humor hilft im Leben, besonders in diesen Zeiten.“
Bettina Blümner
Von Bettina Blümner Regisseurin von PRINZESSINENBAD Zum Trailer AB 27. April im Kino

06 MaGaZIN

10 „WIR HaBEN REGRESSIVE SOMMERFILME, DIE FRaNZOSEN HaBEN PROGRESSIVE“ INTERVIEW MIT CHRISTIaN PETZOLD ZU ROTER HIMMEL

14 TOURISTISCHER DOPPELGÄNGER INFINITY POOL

22 KOLLEKTIVER TRaUM VON DER REVOLUTION MI PaIS IMaGINaRIO

34 GEHEN ODER BLEIBEN IRGENDWaNN WERDEN WIR UNS aLLES ERZÄHLEN

40 KINOHIGHLIGHTS

42 „SIE IST EINE STaRKE, INTELLIGENTE UND HaRTNÄCKIGE FRaU aUS DER aRBEITERKLaSSE“ INTERVIEW MIT JEaN-PaUL SaLOMÉ ZU DIE GEWERKSCHaFTERIN

44 KINOS, IMPRESSUM, aBONNEMENT

46 NaCHBILD

D 4 D aPRIL 2023
STaRTS DER WOCHE 31 Apples 36 The Blaze 37 Champions 16 Cocaine Bear 18 Donnie Yen‘s Sakra 20 Die drei Musketiere –D’Artagnan 30 Empire of Light 17 The Five Devils 19 Der Fuchs 29 Die Gewerkschafterin 37 Happy 50
Himbeeren mit Senf 23 Der Illusionist 21 Im Taxi mit Madeleine 14 Infinity Pool 34 Irgendwann werden wir uns alles erzählen 26 Die Kairo Verschwörung 33 Loriots große Trickfilmrevue 21 La Maison 22 Mi Pais Imaginario 38 Neneh Superstar 36 Olaf Jagger 39 One in a Million 18 The Ordinaries 28 Das reinste Vergnügen 10 Roter Himmel 23 Schulen dieser Welt 24 Suzume 33 Tausendschönchen (WA) 28 Vamos a la playa 16 Victim 32 The Whale 30.3. 36 The Blaze 21 La Maison 18 The Ordinaries 6.4. 27 Air 26 Die Kairo Verschwörung 38 Neneh Superstar 36 Olaf Jagger 16 Victim 13.4. 31 Apples 16 Cocaine Bear 20 Die drei Musketiere –D’Artagnan 17 The Five Devils 19 Der Fuchs 21 Im Taxi mit Madeleine 34 Irgendwann werden wir uns alles erzählen 22 Mi Pais Imaginario 24 Suzume 20.4. 30 Empire of Light 37 Happy 50 39 Himbeeren mit Senf 14 Infinity Pool 33 Loriots große Trickfilmrevue 39 One in a Million 28 Das reinste Vergnügen 10 Roter Himmel 27.4. 37 Champions 18 Donnie Yen‘s Sakra 29 Die Gewerkschafterin 23 Der Illusionist 23 Schulen dieser Welt 33 Tausendschönchen (WA) 28 Vamos a la playa 32 The Whale NEU IM aPRIL
39

LICHTER FILMFEST

EINREICHUNG: ZEBRa POETRY

FILM FESTIVaL

Das Lichter Filmfest Frankfurt findet vom 18.-23.4. statt. Mit dem Jahresthema des Festivals, „Liebe“, soll ein Zeichen gegen Nationalismen, Autokratien und Hass in der Politik und in den sozialen Medien gesetzt werden. Das „Internationale Filmprogramm“ steht im Zeichen des Mottos: Um Liebe geht es unter anderem in SLEEPING BOY (2022, R: Anthony Shim), der Geschichte einer koreanischen Mutter, die mit ihrem Sohn nach Kanada auswandert, in AMANDA (2022, R: Carolina Cavalli), in dem die Titelheldin nach dem Studium in ihrer italienischen Heimatstadt auf der Suche nach einem Job, Freunden und der Liebe ist, und in Louis Garrels romantischer Komödie L’INNOCENT (2022) findet Sylvie Liebe im Gefängnis. In Emin Alpers BURNING DAYS geht es um politische Intrigen und eine Vergewaltigung. Der Film löste in der Türkei einen Skandal aus, Alper wurde im Nachhinein die Förderung entzogen. Laura Poitras Dokumentarfilm ALL THE BEAUTY AND THE BLOODSHED war für einen Oscar nominiert. In der Sektion „Zukunft Deutscher Film“ geht es weniger um Nachwuchsfilme, als um gelungene, zukunftsweisende Filme, dort laufen beispielsweise Christoph Hochhäuslers BIS ANS ENDE DER NACHT und İlker Çataks DAS LEHRERZIMMER. Die Sektion „Regionaler Film“ beschäftigt sich mit der Filmproduktion in der Rhein-Main-Region, in „Art Award“ und „VR Storytelling“ geht es um Videokunst und erzählende Formen in virtuellen Realitäten. lichter-filmfest.de

Das Zebra Poetry Film Festival findet im Herbst in der Berliner Kulturbrauerei statt. Das Festival freut sich über Einreichungen von Kurzfilmen, die auf Gedichten basieren, nicht länger als 15 Minuten sind und ab dem 1. Januar 2022 produziert wurden. Alle Sprachen sind zugelassen. Der Wettbewerb ist dotiert. Aus den Einsendungen trifft eine Programmkommission die Filmauswahl, eine aus Vertreter*innen der Bereiche Dichtung, Film und Medien besetzte Jury kürt die Gewinnerfilme. Filmeinreichungen über das Portal filmfreeway.com/ZEBRAPoetryFilmFestival

INTERNaTIONaLES FRaUEN

FILM FESTIVaL

Weil es aus zwei Festivals in Köln und Dortmund entstanden ist, findet das Internationale Frauen Film Festival abwechselnd in einer der beiden Städte statt. In diesem Jahr ist das Festival vom 18.-23.4. in Dortmund. Das größte feministische Filmfestival in Deutschland hat acht Spielfilme im Wettbewerb, darunter die Berlinale-Filme MUSIC von Angela Schanelec und BEFORE, NOW AND THEN von Kamila Adini, den Gewinner des Drehbuchpreises in Cannes, MEDITERRANEAN FEVER von Maha Haj, und RULE 34 von Júlia Murat, der in Locarno den Goldenen Leopard gewann. Ein Höhepunkt der Reihe „Panorama“ ist Laura Poitras neuer Film ALL THE BEAUTY AND THE BLOODSHED über die Fotografin Nan Goldin und ihren Kampf gegen die Familie Sackler, Besitzer des Unternehmens Purdue Pharma, die Goldin für die Opioid-Krise in den USA verantwortlich macht. Die Retrospektive „Kompliz*innen“ verbindet ältere Kurz-Filme mit aktuelleren Spielfilmen. Außerdem gibt es ein Programm für Kinder und Jugendliche und zahlreiche Sonderveranstaltungen. frauenfilmfest.com

D 6 D aPRIL 2023
IN DIEMaGa ZIN
Bis ans Ende der Nacht All the Beauty and the Bloodshed

FILMFEST BREMEN

Vom 12.-16.4. findet das Filmfest Bremen statt. Im neuen internationalen Wettbewerb feiern elf Filme ihre Deutschlandpremiere. Der Gewinnerfilm wird durch ein Publikumsvoting direkt nach dem Film bestimmt, und auch sonst ist das Filmfest ein Festival zum Mitmachen: Es gibt einen Wettbewerb für „48-Stunden“-Kurzfilme, deren Motto („Die Büchse der Pandora“) erst zwei Tage vor Abgabeschluss bekannt gegeben wurde, gemeinsam mit der Bedingung, dass eine Quietsche-Ente auftauchen muss. Ein weiterer einminütiger Kurzfilm, der eine Liebeserklärung an Bremen sein soll, kann noch bis zum 31.3. eingereicht werden. Den Bremer Filmpreis für nationale und internationale komödiantische Werke erhält in diesem Jahr die Regisseurin, Autorin und Schauspielerin Maria Schrader. filmfestbremen.com

FILMREIHE: ZEITLOS

Was der große Filmverleih Studiocanal mit seiner „Best of Cinema“-Reihe kann, das kann der kleine, aber exquisite Filmverleih Rapid Eye Movies mit seiner Reihe „Zeitlos“ erst recht. „Zeitlos“ bringt alternative Klassiker ins Kino, Filme, die nicht jede*r kennt, die man aber unbedingt gesehen haben sollte. Die Reihe besteht aus sechs Filmen, die auf Tournee durch deutsche Kinos sind. Schon veröffentlicht sind: Seijun Suzukis ultra-stylischer Gangster-Fiebertraum BRANDED TO KILL, Sogo Ishiis wildes Debüt CRAZY THUNDER ROAD, Bill Gunns Schwarzer Polit-Vampirfilm GANJA & HESS, fernab von Blaxsploitation. Ab April folgen Gabor Altojays New-Wave-Satire

TSCHERWONEZ, Masahiro Shinodas PALE FLOWER, den Roger Ebert als den „gespenstischsten Noir-Film, den ich je gesehen habe“ beschrieb, und DEMON POND, ebenfalls von Shinoda. Kinotermine finden sich unter rapideyemovies.de/zeitlos

KINO
www.achtungberlin.de BABYLON COLOSSEUM ACUDKINO FSK KINO WOLF KINO CITY
WEDDING LICHTBLICK-KINO KLICK KINO FILMTHEATER UNION FÜRSTENWALDE
12. – 19. April 2023 im Kino Provo Ganja & Hess

aLFILM – aRaBISCHES FILMFESTIVaL BERLIN

Die 14. Ausgabe des ALFILM-Festivals zeigt vom 26.4.-4.5. an die vierzig Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme in drei Sektionen. „ALFILM Selection“ zeigt aktuelles arabisches Kino und konzentriert sich in diesem Jahr vor allem auf das palästinensische Kino, unter anderem werden FORAGERS von Jumana Manna, MEDITERRANEAN FEVER von Maha Haj und ALAM von Firas Khoury zu sehen sein. Ein Sonderprogramm ist dem Schauspieler Saleh Bakri gewidmet, dem Ehrengast des Festivals. Im Programm sind drei seiner neusten Filme: THE BLUE CAFTAN von Maryam Touzani, BEIRUT HOLD‘EM von Michel Kammoun und ALAM von Firas Khoury. Das diesjährige „ALFILM Spotlight“ trägt den Titel „Ghosts, Griefs and Lost Dreams: Visions of the City in Arab Cinema“ und widmet sich der Darstellung arabischer Städte in klassischen und neuen, zeitgenössischen Filmproduktionen. Unter dem Titel „ALFILM Atelier“ finden Podiumsdiskussionen, Filmgespräche und Masterclasses statt. Das Festival eröffnet der marokkanische Spielfilm THE DAMNED DON‘T CRY von Fyzal Boulifa. Der Film erzählt von Fatima-Zahra (Aicha Tebbae), die den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn Selim mit Sexarbeit bestreitet, sich aber nach Legitimität sehnt. alfilm.berlin ¢ 26.4.–2.5.

BEST OF CINEMa: TERMINaTOR 2

In James Camerons TERMINATOR 2: TAG DER ABRECHNUNG (1991) mit Arnold Schwarzenegger machen sich gleich zwei Terminatoren auf die Reise aus der Zukunft in die Gegenwart. Nachdem Schwarzeneggers finsterer Terminator in der ersten Mission daran scheiterte, die Geburt von John Connor, des Widerstandsanführers im Krieg zwischen Menschen und Maschinen, zu verhindern, ist jetzt ein noch gefährlicherer Terminator aus flüssigem Metall auf der Jagd nach John. Schwarzeneggers Terminator ist zurück, um den Jungen zu beschützen. Die CGI-Tricks waren damals State of the Art, einige Action-Szenen bleiben beeindruckend. Am 4.4. läuft im Rahmen der „Best of Cinema“-Reihe die neu restaurierte Fassung.

GO EaST Vom 26.4.–2.5. zeigt das Festival „Go East“ in Wiesbaden Filme aus der mittel- und osteuropäischen Filmproduktion. Die Retrospektive ist der bosnischen Filmmacherin Jasmila Žbanić (ESMAS GEHEIMNIS; QUO VADIS, AIDA?) gewidmet, die in Wiesbaden zu Gast sein wird. Ein Symposion soll sich mit Fragen des Kolonialismus in Osteuropa und im post-sowjetischen Film beschäftigen. filmfestival-goeast.de

SHORTS aTTaCK

Das Motto des Kurzfilmprogrammes auf Tournee heißt im April „Arbeit und Ekstase“: Die 15-jährige Hanna tritt ihre erste Probeschicht in einem Schönheitssalon an. Eine Frau mit Huhn sucht Arbeit in der Stadt. Lea arbeitet für die KI und ist im Nebenjob Traumfrau. Bauklötze halten den Rhythmus, und in Myanmar wird gebaut. 8 Filme, 82 Minuten. shortsattack.com

DOKUMENTaRFILMWOCHE HaMBURG

Vom 24.–30.4. findet die Dokumentarfilmwoche Hamburg statt. Das Festival verzichtet bewusst auf Sektionen – mit Ausnahme der jährlichen Retrospektive –und stellt ein breitgefächertes Programm von regionalen, deutschen und internationalen Dokumentarfilmen vor. Ergänzt wird das internationale Filmprogramm durch die diskursive Veranstaltungsreihe „Positionen“. dokfilmwoche.com

D 8 D aPRIL 2023
IN DIEMAGAZIN
The Damned Don’t Cry Blocks Quo Vadis, Aida?

APRIL IM INDIEKINO CLUB

Ergänzend zum im März gestarteten Dokfilm CAN AND ME zeigen wir im Club den Psychothriller MESSER IM KOPF (1978) von Reinhard Hauff, zu dem Irmin Schmidt die Filmmusik geschrieben hat. Der Dokumentarfilm LUCHADORAS (2021) von Paola Calvo und Patrick Jasim porträtiert drei Frauen aus Ciudad Juarez in Mexiko, die bei Lucha Libre-Wettkämpfen, einer dem Wrestling verwandten Kampfsportart, antreten. Das Spielfilmdebüt von Joanna Hogg

UNRELATED (2008) beobachtet mittelalte Menschen der britischen oberen Mittelschicht im Toskanaurlaub. Im Zentrum steht die 45-jährige Anna, die sich in einer Ehekrise befindet. Im berührenden Trickfilm MARY & MAX (2008) von Adam Elliot beginnt die achtjährige Mary aus Melbourne eine Zufallsbrieffreundschaft mit dem 44-jährigen Max in New York. indiekino-club.de

LOB DER CHARGE

Eine schöne Retrospektive widmet das Zeughauskino vom 1.-30.4. den Chargenspielern und Nebendarstellerinnen des Weimarer Kinos. Der Titel ist einem Artikel des Filmkritikers Rudolf Arnheim entnommen, der Filmschauspieler in Helden- und Chargenspieler unterteilte: „Der Chargenspieler zeigt den Menschen, wie er ist, der Heldenspieler zeigt ihn, wie man ihn gerne möchte.“ dhm.de/zeughauskino

VERLOSUNG: KÖNIG HÖRT AUF

In der DDR wurde der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König von der Stasi überwacht. Seit der Wende engagiert sich König gegen Rechtsextremismus und stand deswegen immer wieder im Fokus der Öffentlichkeit und der Justiz, wurde von Faschos verprügelt und wegen schweren Landfriedensbruchs angeklagt. Drei Jahre lang begleitete Regisseur Tilman König seinen Vater und zeigt ihn als streitbaren, unbequemen Menschen. Wir verlosen 2 DVDs des Dokumentarfilms. Bei Interesse schreibt uns eine Mail an info@indiekino.de. Betreff: König hört auf.

Ballett ist ihr großer Traum! Egal, welche Hindernisse und Vorurteile es gibt.

Mary & Max Wer nimmt die Liebe ernst?
EIN FILM VON
NENEH SUPERSTAR
RAMZI BEN SLIMAN
WWW.WELTKINO.DE/NENEH-SUPERSTAR
KINO
AB 6. APRIL IM

Seit seinem ersten Spielfilm DIE INNERE SICHERHEIT (2000), der davon erzählte, wie das Teenager-Kind von Linksterroristen versucht, dem restriktiven Alltag im Untergrund zu entkommen, verhandelt Christian Petzold gegenwärtige deutsche Befindlichkeiten. In seinen Filmen spielen oft die unbehausten Zwischenräume in Stadt und Land eine wichtige Räume, in DIE INNERE SICHERHEIT etwa Autobahnen und Grünstreifen. In GESPENSTER (2005) spukt es in Einkaufspassagen und Brachen der gerade boomenden Stadt Berlin. Seine realen Räume und Figuren verbindet er gern mit Genreelementen und dem Phantastischen. So lässt sich YELLA (2007) über eine junge Frau aus Ostdeutschland, die im Westen Karriere macht, auch als Geistergeschichte lesen, mit TRANSIT (2018) inszenierte Petzold einen Historienfilm in der Gegenwart, und in UNDINE (2020) spielte Paula Beer eine Fabelgestalt, die in Berlin als Museumsführerin arbeitet. Pamela Jahn hat sich mit Christian Petzold über seinen jüngsten Film ROTER HIMMEL, der im Februar auf der Berlinale den Silbernen Bären gewonnen hat und von einem Ostseeurlaub und einem Autor in der Schaffenskrise erzählt, unterhalten.

INDIEKINO: Herr Petzold, müssen Schriftsteller*innen Schlimmes erleben, um gut zu schreiben?

Christian Petzold: Das ist eine gute Frage. Denken Sie beispielsweise an einen Roman wie Sturmhöhe. Als Emily Brontë das Buch geschrieben hat, war sie eine junge Frau, die vielleicht noch nie richtig geliebt hat, und trotzdem konnte sie in dieser Intensität über Leidenschaft schreiben. Deshalb die Gegenfrage: Muss man wirklich alles erlebt haben, oder ist nicht das Erträumen von etwas genauso wichtig? Ich glaube zumindest, dass man „Sehen“ lernen kann. PULP FICTION, zum Bespiel, ist ein Film, der fast nur in geschlossenen Räumen spielt. Aber wenn Butch Coolidge, gespielt von Bruce Willis, seine Uhr wiederhaben möchte, muss er noch einmal zurücklaufen. Und in dem Moment zeigt uns Tarantino ein Los Angeles, das man bis dahin im Film nicht gesehen hat. Willis läuft über die hinteren Gassen an Wäscheleinen vorbei, über Straßen. Das ist so ein schön gefilmter und gleichzeitig realistischer Blick auf die Stadt. Aber das hat jemand, in dem Fall Tarantino, vorab gesehen und sich etwas dabei gedacht. Und für so etwas muss man seine Sinne öffnen. In dem Fall ist es kein Schriftsteller gewesen, aber das Prinzip ist das gleiche. Auch ein Autor muss etwas sehen und hören und empfinden können, um schreiben zu können. Und Leon, dem Schriftsteller in meinem Film, ist dieses „Sehen“ abhandengekommen. Er muss es schmerzhaft wieder lernen.

Eine Frage, die im Film indirekt gestellt wird, ist, ob Schreiben wirklich Arbeit ist. Wie sehen Sie das?

Das ist eine furchtbare Sache in Deutschland, weil wir mit der protestantischen Ethik erzogen werden und mit der Vorstellung, dass alles, was uns leicht fällt, nichts wert sein kann. Deswegen hat es

bei uns auch die Liebe so schwer, die einem leicht fallen könnte. Und deshalb muss bei uns immer alles Arbeit sein, und die Arbeit, die reingesteckt worden ist, muss man sehen. Das geht eben so weit, dass der arme Leon in unserer Geschichte diesem Arbeitsethos hinterherläuft und ihn pausenlos beschwört. Aber in dem Moment, wo er tatsächlich etwas schaffen sollte, schläft er ein.

Wie leicht fiel Ihnen das Schreiben an diesem Drehbuch?

Total leicht. Bis auf einen einzigen Moment. Ich hatte plötzlich Bedenken, dass Leon als Figur vielleicht zu unangenehm rüberkommt, weil er so eine Spaßbremse ist. Daraufhin sagte mein Freund Matthias Brandt: „Das ist doch lustig, da könnte der Humor drinstecken.“ Und dann hatten wir Leseprobe mit den Schauspieler*innen, und die haben sich weggeschmissen vor Lachen über genau die Szenen, bei denen ich Angst hatte, dass es schiefläuft, weil Leon alles falsch macht. Selbst die Mischer in der Postproduktion schrien auf: „Jetzt geh doch mit!“, wenn Nadja ihn immer wieder fragt, ob er zum Baden mit ans Meer kommt und er stur bleibt, weil er versucht, ein Bild von sich aufrecht

D 10 D APRIL 2023
IN DIEFEATURE

zu erhalten, das an allen Ecken und Enden bröckelt. Aber vielleicht ist Komödie gerade das: Jemandem zuzuschauen, der nicht zusammenbrechen will.

Was war die Grundidee, mit der Sie an den Film herangegangen sind?

Mein Konzept war folgendes: Wir schauen jemandem zu, der die Welt betrachtet, ohne sie zu sehen. Das hatte ich vorher allen gesagt. Deshalb musste dieses Haus aus Türen, Durchgängen, Fenstern bestehen. Dann haben wir diese Laube im Garten gebaut, wie eine Bühne, wo er seine Arbeit den anderen gegenüber wie ein schlechter Schauspieler vorspielt. Auch wie die Innenräume im Verhältnis zum Außen stehen, etwa dass die Küche etwas höher liegt, wenn man nach draußen schaut, das war alles vorher genau konzipiert. Aber was die Schauspieler*innen dann aus dieser Konzeption gemacht haben, war das Glück. Das war das Schöne, dass es mit diesem Ensemble und auch mit dem Team insgesamt wirklich so gut lief. In dem Sinne verliefen die Dreharbeiten wie ein ganz, ganz leichter Sommer.

Bleiben wir noch kurz beim Haus. Als Leon und Felix dort ankommen, ist Nadja schon da. Es herrscht Unordnung, die sich im Laufe des Films verflüchtigt. Spiegelt der Ort für Sie den Erkenntnisprozess wieder, der sich in Leon vollzieht?

Es gibt zwei Arten von Ferien-Filmen. In dem einen kommen Menschen an und bevölkern ein Haus, das noch unschuldig ist. Und der andere Film zeigt ein Haus, das Menschen erwartet. Das heißt, in diesem Haus ist bereits einiges passiert. Kurz: Der eine Film beginnt mit Schuld, der andere mit Unschuld. Das sind zwei völlig verschiedene Konzepte. Ich habe viel darüber nachgedacht, warum wir in Deutschland so wenige Sommerfilme haben, die ohne Eltern auskommen. Wir haben regressive Sommerfilme, die Franzosen haben progressive, weil sich an den Stränden die Klassen vermischen, die Eltern keine Rolle spielen, man die Liebe erlernt und die Kränkung, die Einsamkeit, aber auch das Glück. Die Franzosen nennen das die Erziehung der Gefühle; aus den Jugendlichen werden Menschen. Im amerikanischen Kino gibt es das auch, nur da ist dieser Prozess im Horror-Genre verankert. Da bleibt ein Auto stecken, jemand sagt, er kennt eine Abkürzung.

HABEN REGRESSIVE SOMMERFILME, DIE FRANzOSEN HABEN PROGRESSIVE“

Interview mit Christian Petzold über ROTER HIMMEL

IN DIEFEATURE
„WIR

Ein Haus im Wald. Kettensägen sind ganz nah. Und das habe ich immer bewundert, auch ein bisschen beneidet, weil uns diese Schule der Gefühle fehlt. ROTER HIMMEL hat von beidem etwas: Die Strandszenen, das Haus, das sich als Falle herausstellt, zumindest könnte es so sein. Und dazwischen versucht sich eine Art deutscher Sommerfilm durchzusetzen.

Was hatten die Franzosen und die Amerikaner uns in der Hinsicht voraus?

Ganz so kann man das nicht sagen. Es gibt vereinzelt schon auch schöne deutsche Sommerflme. ROTE SONNE von Rudolf Thome zum Beispiel. Oder ein Film wie TSCHICK. Aber ein Genre ist es nicht geworden. Und ich glaube, das liegt zum Teil daran, das wir in Deutschland ein ganz großes Problem mit dem Träumen haben, und mit dem Verschwenden. Weil bei uns alles, aber auch wirklich alles verwertbar sein muss. Selbst der Sommer muss verwertbar sein. In den amerikanischen und französischen Sommerfilmen spiegelt sich dagegen die große Sehnsucht nach Zeiten der Verschwendung. Und mir fehlt das ein bisschen. Wir kennen das nicht.

Ähnlich wie in TRANSIT reißen Sie in ROTER HIMMEL erneut die Mauern zwischen Literatur und Kino ein. Was hat es damit auf sich?

Die Antwort ist eine der kürzeren, aber es hat lange gedauert, bis ich zu der Einsicht gekommen bin. Das Kino ist immer Gegenwart. Was gefilmt wird, ist in diesem Moment da. Egal, ob es sich um einen historischen Film handelt oder nicht, es sind Filme aus dem Jetzt. Die Figuren können noch so alte Kostüme tragen, die Regie kann noch so viel Nebel in die Szenen pumpen lassen, es hilft alles nichts. Deshalb sind die schönsten historischen Filme, die, die wissen, dass sie ihm Jetzt spielen und eine Erinnerung sind - die Erinnerung von einer möglichen Vergangenheit. Um bei TRANSIT zu bleiben: In dem Augenblick, als die Stimme von Matthias Brand ertönt, ist diese Gegenwart, die wir gerade gesehen haben, schon erinnert. Was wir sehen und die Stimme daneben machen aus diesem gegenwärtigen Bild sofort ein vergangenes. Wir haben also beide Zeitebenen, das Heute und das Gestern, und so schleicht sich der Tod in dieses Gegenwartsbild ein.

Diesmal ist es aber anders, weil das, was wir am Ende hören, das Geschriebene ist, der Roman. Und plötzlich stellt sich die Frage, ob das, was wir sehen, tatsächlich die Wirklichkeit ist.

Ja, und das ist eben das Tolle am Kino, das alles, was wir sehen, auch ein Traum sein könnte. Das gefällt mir so sehr, weil es dann ein Traum ist, den nur ich geträumt habe, und der andere neben mir nicht - deswegen gehört mir der Film in dem Moment, und nur mir allein.

Bei UNDINE ging es ums Wasser, in ROTER HIMMEL ist es das Feuer. Welches Element wird Ihren nächsten Film bestimmen?

Ich habe mir diese Trilogie selber eingebrockt, jetzt muss ich da irgendwie auch wieder rauskommen. Ich beschwere mich über die protestantische Ethik und die Arbeit in Deutschland und bin selber ein brutales Opfer davon. Ich erzähle immer von diesen Trilogien, weil ich dann angehalten bin, noch zwei weitere Filme zu drehen. Aber ich habe jetzt erst mal keine Lust auf eine Trilogie und werde etwas anderes machen.

Fällt es Ihnen heute leichter als früher, sich diese Freiheit zu nehmen?

Insgeheim glaube, dass das gar nicht geht. Auch die Leute, die immer sagen, ich mache jetzt komplett was anderes, machen am Ende genau das. Mein Freund Harun Farocki hat als Herausgeber der Zeitschrift Filmkritik einmal eine Ausgabe über Männer gemacht, die weggegangen sind. Es gibt ja das berühmte Beispiel: Ein Mann sagt: „Ich geh‘ mal Zigaretten holen“, und kommt nicht wieder, lässt seine Frau, seine Kinder zurück und geht für immer weg. Und Harun hat damals eine Rezension über ein berühmtes Buch aus den USA geschrieben, in dem anhand von 25 Fällen beschrieben wurde, was aus diesen Männern geworden ist. Interessanterweise hatten alle wieder eine Frau, zwei Kinder, nach dem exakt gleichen Muster. Deswegen denke ich, dass all die Leute, die sich vornehmen, was ganz anders zu machen, am Ende wieder in derselben Scheiße landen. Das Schönste ist, wenn man nicht merkt, dass man etwas anders macht, und ich habe es bei diesem Film tatsächlich nicht gemerkt. Erst am zehnten, zwölften Drehtag wurde mir bewusst, wie viel Freude die Schauspieler*innen an der Improvisation haben, und wie sehr mich das berührt und nicht nervt, während ich sonst bei meinen anderen Filmen immer ein echter Kontrollfreak war.

Es heißt, Ihre besondere Gabe ist es, eine Atmosphäre zu kreieren, in der Sie Ihren Darsteller*innen eine große Sicherheit geben, ihr Talent entfalten zu können. Wie schaffen Sie das?

Ich habe in meinem ganzen Leben nie als Regieassistent gearbeitet. Ich weiß bis heute nicht, wie andere Leute arbeiten. Und ich bin auch nicht theateraffin. Ich gehe lieber ins Kino, für mich ist das die überlegenere Kunst. Aber ich habe während meines Studiums fünf Jahre als Beleuchter an der Schaubühne gearbeitet. Und da lag ich oben auf der Rasterdecke und konnte die Proben von Peter Stein und dem damaligen Dramaturgen Dieter Sturm anschauen. Und die beiden haben den Schauspielern etwas gegeben, wo ich dachte, das ist richtig. Denn Sturm hatte Wissen, Filme gesammelt, Fotos, hat Vorträge gehalten, und Peter Stein hat Gruppen arrangiert. Und von oben aus betrachtet hatte ich das Gefühl, zu sehen, wie die Schauspieler*innen in diesem Prozess wachsen. Seitdem habe ich mir gesagt, dass Film eine Ensemble-Arbeit sein muss, weil das Ensemble dem Einzelnen immer überlegen ist.

IN DIEFEATURE
D 12 D APRIL 2023
D Das Gespräch führte Pamela Jahn

ROTER HIMMEL

Genre und Urlaub

Niemand filmt dieses klare, graue Licht, das für Berlin und Umgebung typisch ist, so schön wie Christian Petzold und sein Kameramann Hans Fromm. Es ist ein sachliches Licht, ein Understatement-Licht, das alles zweckmäßig erhellt und keine Ausflüchte zulässt, aber auch kein Drama veranstaltet. Damit ist es auf eine spröde Art auch ein sehr zärtliches Licht.

Diesmal scheint es auf Mecklenburg-Vorpommern. Hierhin sind Leon (Thomas Schubert) und Felix (Langston Uibel) von Berlin aus unterwegs. Sie wollen ins Ferienhaus von Felix’ Eltern unweit der Ostsee: Leon will dort an seinem Manuskript schreiben und Felix eine Mappe für die UdK zusammenstellen. Einige Kilometer vor ihrem Ziel bricht das Auto im Kiefernwald zusammen, und sie müssen das letzte Stück laufen. Als sie endlich schnaufend und schwer bepackt an ihrem Ziel ankommen, ist das Haus schon belegt: Felix’ Mutter, hat es einer Freundin, Nadja (Paula Beer), zur Verfügung gestellt. Sie müssen wohl oder übel teilen. Leon ist not amused. Statt Ruhe und Einkehr zu finden, muss er sich nun ein Zimmer mit Felix teilen oder alternativ in der „Laube“ schlafen – eine offene Pergola am mückenverseuchten Waldrand. Seine Mieseprimeligkeit verfliegt auch die nächsten Tage nicht. Leon nennt Nadja nur „die Russin“, weigert sich, im Haus mit anzufassen, und als mit Nadjas Lover, dem Rettungsschwimmer Devid (Enno Trebs), noch eine weitere Person beim Abendessen auftaucht, fällt Leon durch ruppige, abwertende Fragen auf. Dass der ultra-entspannte Felix sich sofort mit den „Neuen“ anfreundet, macht ihn noch extra aggressiv.

Leon ist eine wunderbare, wenig sympathische, aber sehr lebensnahe Hauptfigur und ein lustiges Autoren-Alter Ego. Natürlich verliebt er sich in Nadja/Paula Beer, die hier wieder Petzolds souverän-mysteriöse Traumfrau spielt. Ihr vertraut er auch den

Grund für seine aufgestaute Wut an: Sein Verleger wird ihn besuchen, und dem gefällt sein neues Buch nicht. Als der Verleger (Matthias Brandt) dann kommt, versteht er sich bestens mit Felix und Nadja, während er Leons Roman – den man tatsächlich teilweise zu hören bekommt, und er ist tatsächlich schrecklich – höflich und bestimmt zunichtemacht. Petzold inszeniert das „große Leon-Drama“ so überzeugend, unterhaltsam und alltäglich, dass man die Genreelemente, die ROTER HIMMEL durchziehen, lange gar nicht so bewusst wahrnimmt. Klar, in der Ferne brennt der trockene Wald, und die Löschhubschrauber donnern mit ohrenbetäubendem Getöse immer wieder über die Idylle, aber das ist dieser Tage im Sommer in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ja oft so. Wenn ein Käuzchen im Wald ruft, dann sind das halt die alltäglichen Nachtgeräusche, die man im Wald so hört. Der Horror- und Katastrophenfilm, der ROTER HIMMEL auch ist, schleicht sich auf leisen Sohlen an, bis es zu spät ist.

Nicht nur Leon ist nämlich zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um seine Umwelt wahrzunehmen (und gute Literatur zu produzieren), seine Freunde und schließlich wir alle sind es im Prinzip auch. ROTER HIMMEL ist eine Urlaubskomödie und ein Endzeitfilm, eine zugleich mitfühlende und wunderbar böse Reflexion über das Kunstmachen und eine ausgefeilte und sehr gelungene Mischung aus konkret und metaphorisch. Auf der diesjährigen Berlinale wurde der Film mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.

D Hendrike Bake ¢ Start am 20.4.2023

AFIRE is a vacation comedy and an apocalyptic film, a simultaneously compassionate and wonderfully wicked reflection on making art and a sophisticated mixture of the tangible and the metaphoric. It won the Silver Bear at this year‘s Berlinale.

IN DIEFEATURE APRIL 2023 D 13 D TERMINE UNTER WWW.INDIEKINO.DE
Deutschland 2023 D 103 min D R: Christian Petzold D B: Christian Petzold D K: Hans Fromm D D: Paula Beer, Thomas Schubert, Matthias Brandt, Enno Trebs, Langston Uibel D V: Piffl Medien

INFINITy POOL

Touristischer Doppelgänger

IN DIEFEATURE
D 14 D APRIL 2023

Brandon Cronenberg dreht – wie sein Vater David – klugen, radikalen und blutigen Horror im Themenfeld von Körperidentitäten, Medien und Klassenverhältnissen. In ANTIVIRAL ging es um Fankulturen, die sich die Seuchen ihrer Lieblingsstars injizieren lassen, in POSSESSOR um biologisch-digitalen Identitätsdiebstahl.

Brandon Cronenbergs neuer Film INFINITY POOL ist zunächst eine Satire über den Tourismus in Luxusressorts, der von den realen Gesellschaftsverhältnissen der Länder, die bereist werden, völlig abgekoppelt sind. „Es ist, als ob man eigentlich nicht das Land besucht. Man besucht eine andere Dimension,“ sagt Cronenberg beim Sundance Festival. Er spricht von einer “tourist nation across the world”, was „ein touristisches Land am anderen Ende der Welt“ bedeuten kann, aber auch „eine weltweite Nation des Tourismus“.

In einem dieser Ressorts, in einem Land, das aussieht wie Kroatien, aber eine seltsame Schrift und noch seltsamere Sitten hat, machen der Schriftsteller James (Alexander Skarsgård) und seine Frau Em (Cleopatra Coleman) Urlaub. Er erhofft sich Inspiration, sie hat Geld. Ein anderes Paar, Gabi (Mia Goth) und Alban (Jalil Lespert) lädt sie zu einem Strandausflug in die Umgebung ein. Auf der Rückfahrt sitzt James am Steuer des gemieteten Straßenkreuzers. Er überfährt einen Mann, und Gabi überredet ihn zur Fahrerflucht. James wird verhaftet, und ein Polizist erklärt ihm das Gesetz: Die Blutrache muss eingehalten werden, einer der Söhne des Mannes wird ihn töten, aber es gibt im Rahmen des Tourismus-Programms die Möglichkeit, für sehr viel Geld ein körperlich und geistig identisches Double herzustellen, das an seiner Stelle getötet wird. Aber stirbt wirklich das Double, oder ist der überlebende James sein eigener Doppelgänger?

Das ist erst der Auftakt zu einem wilden, brutalen und immer wieder sehr komischen Ritt durch Exzess-Orgien, in denen Mia Goths Figur Gabi zur dämonischen Sex-and-Fun-Anführerin einer touristischen Transgressions-Sekte wird. Tourismus ist in INFINITY POOL auch ein vollständiger Verlust der Identität.

James wird, wie alle Touristen, zur Funktion einer alles auffressenden Mords-Spaßmaschine. Gabis Sekte fühlt sich selbst sehr anti-bürgerlich, während sie und ihre Anhänger*innen durch Geld und Privilegien geschützt sind. Von James bleibt einerseits nicht viel übrig, andererseits wesentlich zu viel. Adepten von Georges Batailles Trangressionstheorie, in der der französische Philosoph die Überschreitung und den Exzess in Sex- und Quasi-Todeserfahrungen als eine Art existentielle Erfahrung des realen Seins versteht, werden diese Ideen hier zwar wiederfinden, aber sie sind auf den Kopf gestellt. Der scheinbar risikolose Tabubruch ist, wie im Übrigen auch der Kinobesuch, keine existentielle Erfahrung, sondern „nur ein bisschen Spaß im Urlaub“, wie Gabi im Film sagt. Cronenberg inszeniert entspannter und souveräner als in seinen ersten Filmen, was nicht heißt, dass es an exzessiver Gewalt und explizitem Sex mangeln würde. Aber die radikalen Szenen haben hier mehr als nur „shock value“, wie John Waters es nannte. INFINITY POOL hat vielleicht nicht die komplexeste Botschaft, aber Cronenberg bringt sie eindringlich und präzise inszeniert herüber.

Kanada/Frankreich/Ungarn 2023 D 117 min D R: Brandon Cronenberg D B: Brandon Cronenberg D K: Karim Hussain D S: James Vandewater D M: Tim Hecker D D: Alexander Skarsgård, Mia Goth, Thomas Kretschmann, Cleopatra Coleman, Amanda Brugel D V: Universal Pictures D Tom Dorow
IN DIEFEATURE
¢ Start am 20.4.2023
APRIL 2023 D 15 D
In his new horror film Brandon Cronenberg invents a violent and excessive tourism dystopia.

Originaltitel: Obet D Slowakei/Tschechische Republik 2022 D 101 min

D R: Michal Blaško D B: Jakub Medvecky D K: Adam Mach D S: Petr Hasalik

VICTIM

Zwiespältige Figuren

Die alleinerziehende Mutter Irina (Vita Smachelyuk) ist gerade in der Ukraine, um Unterlagen für ihren Antrag auf tschechische Staatsbürgerschaft zu besorgen, als ihr Sohn Igor im Treppenhaus ihrer Wohnung in Tschechien schwer verletzt wird. „Waren es Weiße?“, fragt sie ihren Sohn beim ersten Gespräch mit der Polizei im Krankenhaus, er schüttelt den Kopf. Wegen ihrer rassistischen Ressentiments und weil sie mit ihrer Nachbarin (Claudia Dudová), einer Roma, im Streit liegt, glaubt Irina, dass deren Sohn einer der Täter sein muss. „Ein Ukrainer wird von Roma zusammengeschlagen“, heißt es nun. Igors Fall erregt die Aufmerksamkeit von Nazis, die ihn instrumentalisieren wollen. Als der 13-Jährige plötzlich eine ganz andere Version der Geschichte erzählt, ist der Stein längst ins Rollen gebracht. Irina, die um ihr Aufenthaltsrecht bangt, wird mitgerissen. Im Plattenbau tropft das Wasser von der Decke und der Putz blättert von den Wänden. In VICTIM, dem Spielfilmdebüt des slowakischen Regisseurs Michal Blaško, ist jedes Bild in ausgeblichenen Farben gemalt. Blau und Gelb, die ukrainischen Nationalfarben, sind ein immer wiederkehrendes Motiv, von Irinas Kleidung bis zum Lack eines Treppengeländers. Aus höflicher Distanz, aber sehr hartnäckig folgt die Kamera Irina, die Vita Smachelyuk mit Zurückhaltung und Intensität verkörpert. Auch wenn sie selten über ihre Gefühle spricht, begleiten Angst und Traurigkeit sie bei jedem Schritt. Die Perspektiven anderer, die durch ihr Handeln zu Schaden kommen, sind nur am Rande zu sehen. Die meisten Personen in VICTIM sorgen für zwiespältige Gefühle, allen voran die Hauptfigur. Als Irina klar wird, was sie ausgelöst hat, versucht sie sich in Schadensbegrenzung, muss aber merken, dass sich manche Dinge nicht so einfach ungeschehen machen lassen.

¢ Start am 6.4.2023

COCAINE BEAR

Ganz besonders gefährlich

Sehr lose auf einer wahren Begebenheit basierend frisst ein Schwarzbär einen von diversen Kokainblöcken, die Schmuggler über einem Wald abgeworfen haben. Der echte Bär wurde Monate später tot aufgefunden, ohne nachweislich jemanden angegriffen zu haben. Filmbär „Cokey“ hingegen fängt mit einem Touristenpaar an, bevor Wildhüter*innen und Sanitäter*innen von der weiß bestäubten Schnauze zerfleischt werden. Schulkind DeeDee überlebt ihre erste Begegnung zwar, wird aber vom Bär verschleppt, so dass ihre Mutter Sari (Keri Russell) die Verfolgung aufnimmt. Parallel versuchen Gangster unter der Führung von Boss Syd (Ray Liotta, in einer seiner letzten Rollen), möglichst viel von der verlorenen Ware zu retten, ohne Rücksicht auf die Gesundheit von Bär oder Mensch.

COCAINE BEAR ist ein perfektes Beispiel für das, was man „High Concept Films“ nennt. Alles, was man über die Handlung des Films wissen muss, steckt schon im Titel: Bären sind gefährlich. Leute auf Koks sind aggressiv. Also wäre ein kokainsüchtiger Bär sicher ganz besonders gefährlich und somit ein ideales Filmmonster. Der Film hat weder im Bereich Handlung noch Plausibilität große Ambitionen, und auch die Splattereffekte werden niemandem den Popcornhunger verderben. Die Situationen sind aber einfallsreich, die Dialoge amüsant, und alle Charaktere haben spezielle Eigenheiten, so dass es vielleicht keine großen, wohl aber viele kleine Überraschungen gibt und niemals langweilig wird. Das typisch bunte 1980er-Nostalgie-Setting unterstützt die Künstlichkeit des Ganzen und sorgt dafür, dass der COCAINE BEAR amüsante Popcornunterhaltung bietet. D Christian Klose ¢ Start am 13.4.2023

A bear takes cocaine. This is not good. No one needs a bear on cocaine. The title is great, the film less so.

D 16 D APRIL 2023 IN DIEKRITIKEN TERmINE uNTER www.INdIEKINo.dE
The son of Ukrainian Irina, who emigrated to the Czech Republic, has been allegedly brutally beaten up by a Roma person. Immediately, different interest groups, ranging from neo-Nazis to TV journalists, get involved in the story. D D: Vita Smachelyuk, Gleb Kuchuk, Igor Chmela, Viktor Zavadil, Inna Zhulina, D V: rapid eye movies USA 2023 D 95 min D R: Elizabeth Banks D B: Jimmy Warden D K: John Guleserian D S: Joel Negron D D: Ray Liotta, Keri Russell, Alden Ehrenreich, Margo Martindale, O’Shea Jackson Jr., Isiah Whitlock Jr. D V: Universal Pictures

DER FUCHS

Urgroßvater im Krieg

Franz Streitberger (Simon Morzé) wird 1919 im österreichischen Pinzgau geboren, und das Leben hält nicht viel bereit für einen wie ihn. Gerade mal das Schulalter erreicht, wird der Sohn eines verarmten Bergbauern (Karl Markovics) an einen Großbesitzer im Tal verdingt. Zum Arbeiten, aber auch Lesen und Schreiben darf er da lernen, anders als der Vater. Die Wunde, die diese Trennung hinterlässt, schließt sich nicht. Volljährig kündigt Franz beim Großbauern, statt heimzukehren geht es aber zum Militär. Da soll er erst in den Bergen als Späher die Deutschen beobachten, dann für die Wehrmacht den Motorradkurier spielen. Bei einem Einsatz findet der schweigsame, emotional zurückgezogene Franz einen verletzten Fuchswelpen und nimmt sich des Tieres an, das ihn von da an durch die Kriegsgebiete begleitet. Der österreichische Regisseur Adrian Goiginger greift für DER FUCHS auf ihm bekannte Motive zurück: die karge Bergwelt aus MÄRZENGRUND und der Schatz der eigenen Familiengeschichte, wie beim gefeierten DIE BESTE ALLER WELTEN. Dieses Mal sind der Ur-Großvater und dessen „Füchsle“ die Inspiration. Einfühlsam erzählt er von einem jungen, sozial isolierten Mann, der durch die Freundschaft zu einem Fuchs aufblüht. Die feine Bildarbeit und das niedliche Tier machen DER FUCHS zu einem leicht zugänglichen Drama. Das Ensemble ist gut gecastet, die Dialekte sitzen, und die Emotionen sind glaubwürdig. Goiginger scheut sich nicht, die Gräuel des Kriegs zu zeigen, doch Franz bleibt eine seltsam passive Figur in dieser Zeit, mitten in einem Krieg und mitten unter Nazis. Goiginger konzentriert sich auf die kindliche Verletzung, die Klassenbürde, das Gefühl ein Werkzeug zu sein, statt eines sozialen Wesens. Erst das Tier kann die Passivität brechen, weil es Fürsorge braucht und Zuneigung gibt und so Franzens Menschlichkeit fordert.

Österreich 2023 D 117 min D R: Adrian Goiginger D B: Adrian Goiginger D K: Yoshi Heimrath, Paul Sprinz D S: Simon Blasi D M: Arash Safaian D D: Simon Morzé, Karl Markovics, Karola Niederhuber, Ariadne Gradziel, Alexander Beyer D V: Alamode Filmverleih Austrian director and writer Adrian Goiginger sensitively portrays the story of his great-grandfather as a young, socially isolated man in the war who blossoms through his friendship with a fox.
TERMINE UNTER WWW.INDIEKINO.DE
Zum Trailer

130 min

DONNIE yEN’S SAKRA

Schwindelerregend

Das Wuxia-Genre erfreut sich in China ungebrochener Beliebtheit. Die Heldensagen mit Magie und Kung-Fu wurden bereits in unzähligen Fortsetzungs-Romanen und Filmen verhandelt. Einer der populärsten Autoren ist Louis Cha, der unter seinem Pseudonym Jin Yong insgesamt 14 Romane seit den 1950er Jahren veröffentlichte. Mehr als 100 Millionen Exemplare davon wurden weltweit verkauft. Die Reihe „Tian Long Ba Bu“ („Halbgötter und Halbteufel“) mit fünf Bänden und einer unüberschaubaren Zahl an Figuren ist besonders beliebt. Ein ziemlich sicherer Erfolg also, den sich Schauspieler Donnie Yen für seine erste Regiearbeit seit fast zwanzig Jahren vorgenommen hat. Die Handlung spielt in der Song-Dynastie, im elften Jahrhundert westlicher Zeitrechnung. Im Zentrum steht Qiao Feng (Donnie Yen). Als Baby wurde er von einem kinderlosen Paar gefunden und großgezogen. Durch seine Verdienste im Kampf gegen den rivalisierenden Klan der Kithan wurde er zum Anführer des „Beggars Klan“ ernannt. Doch dann bezichtigt ihn Madame Wang des Mordes an ihrem Ehemann, dem angesehen Älteren Ma Dayuan. Als Beweis führt sie einen Brief an, der Qiao Feng als Sohn eines Khitan-Ehepaars offenbart. Fortan macht er sich auf die Suche nach seiner Herkunft und muss sich gegen seine ehemaligen Wegbegleiter zur Wehr setzen. Die schwindelerregenden Kampf-Choreografien sind das Highlight der Inszenierung. Mit einer kunstvollen Ausstattung, perfekten Special-Effects und allerlei magischem Schnickschnack geht es dabei deutlich überirdischer zu als noch in den IP MAN-Filmen, mit denen Yen berühmt wurde. Allerdings wirken die romantischen Szenen mit der deutlich jüngeren Azhu und dem 59 Jahre alten Yen weder überzeugend noch zeitgemäß. Der Rest ist Spektakel, und viel Potential für zahlreiche Fortsetzungen ist bereits angelegt. D Lars Tunçay ¢ Start am 27.4.2023

THE ORDINARIES

Hauptfiguren mit Herz-Musik

Charlie Kaufmann, Terry Pratchett und Jasper Fforde winken von Ferne: In ihrem Uni-Abschlussfilm THE ORDINARIES entwirft Sophie Linnenbaum eine fiktionale Welt mit eigenwilligen Regeln. Die ganze Gesellschaft ist nach Filmbegriffen strukturiert. Ganz oben in der Pyramide sind die „Hauptfiguren“, die komplexe Storylines bekommen und Gefühle haben, die sie selbst mit Herz-Musik untermalen. Paulas beste Freundin Hannah (Sira-Anna Faal) und ihre großbürgerliche Familie unterhalten sich sogar in Musical-Nummern. Paula (Fine Sendel) dagegen zittert vor der Abschlussprüfung als Hauptfigur. Ihr Vater, der vorgeblich beim „Massaker“ gestorben ist, war eine Hauptfigur. Ihre Mutter allerdings verfügt als „Nebenfigur“ nur über ein begrenztes Repertoire, und Paula selbst tut sich noch schwer mit der Produktion von Score. Noch weiter unten in der Hierarchie sind die Outtakes, Fehlbesetzungen und Filmfehler, die am Rande der Gesellschaft hausen und in Ton-Fabriken Hintergrundgeräusche produzieren. In diese Welt wagt sich Paula vor, als sie sich auf die Suche nach ihrem Vater macht. THE ORDINARIES schafft es, mit kleinem Budget eine glaubhaft eigene Welt zu inszenieren, eine Art RetroSci-Fi-DDR mit Hologrammen, Passkontrollen, Glockenröcken und einem eigenen Farbkonzept für jede Gesellschaftsschicht. Die Details sind super-ideenreich – da gibt es zum Beispiel den jungen Simon (Noah Tinwa), der als Jump-Cut-Geplagter ständig woanders im Bild auftaucht und in abgehackten Sätzen spricht. Über der wuseligen Gleichzeitigkeit immer neuer Einfälle bleibt die Ausarbeitung der Themen des Films etwas auf der Strecke. Dabei gäbe es da so viel: Das Privileg der oberen Schichten, Emotionen/Musik zu haben und zu manipulieren. Die Angst aller, aus dem Bildfeld zu rutschen. Das Leben als reine Perfomance. D Hendrike Bake ¢ Start am 30.3.2023

THE ORDINARIES creates a fictional world with unconventional rules. All of society is structured by film terms. At the very top of the pyramid are the “main characters”, who get complex storylines, have feelings, and create their own emotional music.

D 18 D APRIL 2023 IN DIEKRITIKEN TERmINE uNTER www.INdIEKINo.dE
Originaltitel: Tin lung baat bou D Hong Kong/China 2023 D D R: Ka-Wai Kam, Donnie Yen D B: He Ben, Louis Cha, Chen Li D D: Donnie Yen, Yuqi Chen, Eddie Cheung D V: Capelight Pictures Deutschland 2022 D 120 min D R: Sophie Linnenbaum D B: Sophie Linnenbaum, Michael Fetter Nathansky D K: Valentin Selmke D S: Kai Eiermann D M: Fabian Zeidler D D: Fine Sendel, Jule Böwe, Henning Peker, Sira Faal, Noah Tinwa, Denise M’Baye, Pasquale Aleardi D V: Port-Au-Prince Pictures The wuxia film with superstar Donnie Yen tells a story of love, conspiracy, and betrayal.

THE FIVE DEVILS

Magisches Denken

Die zehnjährige Vicky (Sally Dramé) lebt mit ihrer Mutter, der Fitnesstrainerin Joanne (Adèle Exarchopoulos), die als Schwimmtrainerin arbeitet, und ihrem Vater Jimmy (Moustapha Mbengue), einem Feuerwehrmann aus dem Senegal, in einem kleinen Ort in den französischen Alpen. Vicky hat einen ausgeprägten Geruchssinn und sammelt Gerüche in Einmachgläsern. Auch als ihre Tante Julia (Swala Emati), die Vicky nie kennengelernt hat, überraschend auftaucht und gegen den Willen von Joanne bei ihnen wohnt, sammelt Vicky Duftproben ein. Als sie an ihnen riecht, findet sie sich auf einmal in der Vergangenheit wieder, zu einem Zeitpunkt kurz bevor ihre Eltern zusammenkamen und sie in die Welt setzten. An diesem Zeitpunkt sind Joanne und Julia ein Paar, und Julia kann Vicky, den Geist aus der Zukunft, sehen. Die anderen halten sie für verrückt.

Lea Mysius (AVA) verschränkt in THE FIVE DEVILS Gegenwart und Vergangenheit auf magische Weise - die Zeitebenen wirken in beide Richtungen ineinander über die Figuren von Vicky und Julia, deren Sensibilitäten den teleologischen Verlauf der Zeit durchbrechen. Das ausgerechnet die beiden Schwarzen Frauen

THE FIVE DEVILS is a genre crossover film, somewhere between queer romance, mystery thriller and BACK TO THE FUTURE. 10 year old Vicky has an extraordinary sense of smell which allows her to travel to the past.

über magische Fähigkeiten verfügen, erinnert ein wenig an das Klischee von der besonderen Spiritualität ethnifizierter Figuren. Schon bei Mysius Debüt AVA gab es eine Szene, in der sich die dreizehnjährige Hauptfigur in Kriegsbemalung als „edle Wilde“ dem Terror des Erwachsenwerdens und einer drohenden Erblindung entgegenstellte. In THE FIVE DEVILS rennt Vicky – ähnlich wie Marty McFly in BACK TO THE FUTURE – mit übernatürlicher Energie gegen die Vergangenheit an, gegen Julia, die Spannungen in der Gegenwart verursacht. Es geht um kindliches magisches Denken, und für Vicki darum, eine Situation zu akzeptieren, die zunächst bedrohlich erscheint.

Lea Mysius interessiert sich für intensive, unmittelbare Gefühle von Kindern und Heranwachsenden. Wie sie Avas Wut und Mut im gleißenden Licht der Atlantikküste zeigte, erschafft sie im auf 35 mm gedrehten THE FIVE DEVILS eine Welt, die vor allem aus atmosphärischer Intensität besteht. Das bedrückende Licht im engen Tal, in dem das Bergdorf liegt, die Kälte des Sees, in dem Joanne schwimmen geht – das alles zieht sich zu einer Bedrohung zusammen, die Vickis Welt zum Einsturz bringen könnte. Das Genre-Crossover, irgendwo zwischen queerer Romanze und Mystery-Thriller geht nicht immer ganz auf. Einige Spuren sind zu deutlich gelegt, so dass Plot-Wendungen sich schon früh erahnen lassen. Aber Lea Mysius ist auf einem der interessantesten Wege im europäischen Autor*innenkino.

D Alex Lenzen ¢ Start am 13.4.2023

APRIL 2023 D 19 D IN DIEKRITIKEN TERmINE uNTER www.INdIEKINo.dE
Originaltitel: Les Cinq Diables D Frankreich 2022 D 96 min D R: Léa Mysius D B: Léa Mysius, Paul Guilhaume D K: Paul Guilhaume D S: Marie Loustalot D M: Florencia Di Concilio D D: Adèle Exarchopoulos, Daphne Patakia, Patrick Bouchitey, Sally Dramé D V: Mubi

DIE DREI MUSKETIERE –D’ARTAGNAN

Neues Franchise

Originaltitel: Les trois mousquetaires: D’Artagnan D Frankreich 2023 D 121 min

D R: Martin Bourboulon D B: Martin Bourboulon, Matthieu Delaporte, Alexandre de La Patellière D K: Nicolas Bolduc D M: Guillaume Roussel D D: Eva Green, Vicky Krieps, Vincent Cassel, Louis Garrel, Lyna Khoudri, Romain Duris, François Civil, Pio Marmaï

D V: Constantin Film Verleih

Alexandre Dumas (der Ältere) und sein Umfeld erfahren gerade eine Renaissance, wohl auch, weil der Autor des berühmtesten französischen Abenteuerromans „Die drei Musketiere“ als Enkel eines französischen Adligen und einer afrikanischen Sklavin einer der bedeutenden People of Color in der europäischen Literaturgeschichte ist. Eine neue britische Filmversion der Musketiere mit dem Schwarzen Darsteller Malachi Pullar-Latchman soll später im Jahr ins Kino kommen, außerdem ist der Film CHEVALIER angekündigt, über den Schwarzen Komponisten und Fechtmeister Joseph Bologne, Chevalier des Saint Georges, der mit Alexandre Dumas’ Vater Thomas Alexandre Dumas bekannt war. Die Erzählungen aus der Militärzeit von Dumas’ Vater, der zum Général de Division aufstieg, sollen eine Inspiration für die Figur des verarmten Adligen D’Artagnan gewesen sein. Ein Schwarzer D’Artagnan ist also durchaus plausibel. In der neuen französischen Filmversion, dem ersten Teil einer auf drei Teile angelegten Franchise-Serie, ist aber alles noch beim Alten. Wie in den bekanntesten Filmversionen, der Technicolor-Version von 1948, die mit dem Tänzer Gene Kelly in der Hauptrolle bis heute die eleganteste und artistischste Verfilmung bleibt, und wie in der Version von Richard Lester, die eher auf anarchisches Vergnügen setzte, sind die Hauptdarsteller Weiße Männer.

DIE DREI MUSKETIERE – D’ARTAGNAN ist vergleichsweise düster angelegt und erinnert eher an den Look von Zak Snyders Superhelden-Filmen oder die schmuddeligeren Fantasy-Abenteuer der letzten Jahre. Das Wetter ist schlecht, es regnet viel, der Himmel bleibt grau, die Musketiere könnten eine Dusche vertragen. Nur die schönen Frauen sehen frisch aus: Vicki Krieps macht als Königin das, was sie immer macht, und wirkt zu entspannt für große, lebensgefährliche Leidenschaften, Eva Green als geheimnisvolle Agentin bringt schon mehr Leben in die Bude, und Lyna Koudhri als D’Artagnans Angebete Constance ist niedlich. D’Artagnan wird, wie immer, von einem zu alten Mann gespielt. Im Roman ist der Gascogner gerade mal achtzehn, Darsteller François Civil ist

über dreißig. Immerhin, er sieht hübsch zerzaust aus, und macht seine Sache nicht übel. Romain Duris als Aramis spielt wie in allen seinen Filmen den Frauenheld, und wie in allen Filmen fragt man sich, warum. Vielleicht wegen des Lächelns, das immer ein halbes obszönes Grinsen ist. Vincent Cassel als Athos hat Präsenz, aber zu wenig zu sagen, und Marmaï Pio als Porthos tritt kaum in Erscheinung. Die sehr respektablen Darsteller können alle nicht fechten, und das ist in einer Zeit, in der Waschsalonbesitzerinnen mit Martial-Arts-Kenntnissen das Multiversum retten, ein Problem für einen echten Mantel-und-Degen-Film. Die Regie versucht das in den Action-Szenen durch eine zappelige Handkamera auszugleichen. Richard Lester hatte das gleiche Problem und setzte auf Slapstick, was besser funktionierte. Gene Kelly hätte den ganzen Haufen einen nach dem anderen erledigt, und dabei noch ein paar Salti geschlagen, ohne einen Schweißfleck auf der makellosen Weste zu erhalten.

DIE DREI MUSKETIERE – D’ARTAGNAN ist der Versuch, einen europäischen Abenteuer-Blockbuster zu schaffen. Das ist trotz der guten Besetzung nicht ganz gelungen, weil es dem Film an Charme und Humor mangelt. Dabei erhält das Drehbuch einiges von Dumas’ Sprache, zumindest in der französischen Version. Aber Musketiere ohne Witz lassen die Erzählung zu schwer und bedeutend erscheinen. Dazu ist die Geschichte zu luftig. Schließlich geht es zwar darum, dass der schurkische Kardinal Richelieu die Königin aufs Schafott bringen will, aber wegen einer sehr französischen Petitesse. Für einen entspannten Spektakel-Abend reicht es aber auch, ohne dass diese Fassung der Musketiere Klassiker-Potential hat. Ausstattung und Bühnenbild machen ebenfalls einiges wett. D Tom Dorow ¢ Start am 13.4.2023

D 20 D APRIL 2023 IN DIEKRITIKEN TERmINE uNTER www.INdIEKINo.dE
The French remake of the novel by Alexandre Dumas relies on its European star cast and its gloomy look.

Originaltitel: Une Belle Course D Frankreich 2022

91 min

Carion D B: Christian Carion, Cyril Gely D K: Pierre Cottereau D S: Loic Lallemand D M: Philippe Rombi D D: Dany Boon, Line Renaud, Alice Isaaz, Jeremie Laheurte, Julie Delarme, Gwendoline Hamon D V:

IM TAxI MIT MADELEINE

Umweg durch ein Leben

Für den Pariser Taxifahrer Charles (Dany Boon) lief es schon mal besser. Nicht nur Schulden und die Konsequenzen diverser Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung quälen den Mittvierziger, der zwölf Stunden am Tag im Taxi verbringt – sechs Tage die Woche. Auch mit seiner Lebenspartnerin gibt es Schwierigkeiten. So nimmt Charles ziemlich genervt einen Auftrag für eine Fahrt von Bry-sur-Marne quer durch Paris bis nach Courbevoie in ein Pflegeheim an. Als die resolute 92-jährige Madeleine Keller (Line Renaud) in sein Taxi steigt, ahnt Charles noch nicht, wie sehr die kommenden Stunden ihn verändern werden. Denn Madeleine hat viel zu erzählen und bittet Charles während der Fahrt immer wieder, an Orten anzuhalten, die in ihrem Leben eine Rolle gespielt haben. Im kammerspielartigen IM TAXI MIT MADELEINE, der hauptsächlich in besagtem Taxi spielt, setzt Regisseur Christian Carion ganz auf die Erfolgsgarant*innen Line Renaud und Dany Boon, die den Film tragen und im bisher größten französischen Kinoerfolg

WILLKOMMEN BEI DEN SCH’TIS (2008) als Mutter und Sohn auftraten. IM TAXI MIT MADELEINE ist ein Roadmovie, eine Reise durch Paris und zugleich ein kurzer Abriss der Zeitgeschichte, die Madeleine im Laufe ihres Lebens miterlebt hat, von den Nazis über den Vietnamkrieg bis hin zu feministischen Protesten. Besonderes Augenmerk legen Carion und Drehbuchautor Cyril Gély dabei auf Frauenrechte. Madeleine (als junge Frau: Alice Isaaz), das zeigen Rückblicke, hat in den 1950er-Jahren häusliche und sexualisierte Gewalt durch ihren Ehemann erlebt – und sich gewehrt, was für sie im Gegensatz zu ihrem Mann gravierende juristische Konsequenzen hatte. Während Madeleine auf all das zurückblickt und Abschied nimmt, verändern sich die Prioritäten des immer zugewandteren Charles. D Stefanie Borowsky

¢ Start am 13.4.2023

Cab driver Charles (Dany Boon) is meant to drive 92 year old Madeleine to a nursing home, but she asks him to make a detour that takes longer than originally planned.

LA MAISON

Sexarbeiterin aus Neugier

Sexarbeit ist in feministischen Kreisen ein hart umkämpftes Themenfeld. In LA MAISON, der Verfilmung des autofiktionalen Romans von Emma Becker, findet dieser Kampf buchstäblich zwischen Schwestern statt. Die französische Autorin Emma (Ana Giradot), die in Berlin lebt, wird zwecks Recherche für ein Buch Sexworkerin. Ihre Schwester Madeleine (Gina Rocher), mit der sie zusammenlebt, ist dagegen. „Meine Sexualität ist anders als deine –verurteile mich nicht“, fordert Emma. Emmas erster Arbeitsplatz, an dem sie ihr Alter Ego „Justine“ entwirft, ist geprägt von einer kühlen Wartezimmeratmosphäre. Der Chef kontrolliert alles per Kamera, zwischen den Arbeiterinnen gibt es kaum Kommunikation. „La Maison“, das von einer Frau geleitete Bordell, in dem Emma schließlich zwei Jahre lang arbeitet, ist anders: Mehr wie eine gemütliche Arbeits-WG, in der die Mädchen miteinander sprechen und aufeinander achten.

Macht ist bei LA MAISON ein ständiges Thema – wer hat sie: Die Kunden, um deren Wünsche sich alles dreht, oder die Huren, deren Dienstleistung gutes Geld wert ist? Dass männliche Lust und männliche Gewalt oft zusammenhängen, bedeutet nicht nur für Sexarbeiterinnen eine alltägliche Bedrohung. Regisseurin Anissa Bonnefont zeigt die Kunden aber vor allem als „ganz normale Menschen“ und Emmas Kolleginnen als komplexe Frauen, die ihren Beruf nicht glorifizieren, aber sich auch nicht als Opfer sehen. Mehr Zeit für die Damen des Hauses, darunter die wunderbare Rossy de Palma in der Rolle der Brigida, hätte dem Film gutgetan. Auch beim Finale scheint die Zeit zu knapp: Emmas Tätigkeit als Hure endet nämlich nach einer Vergewaltigung durch einen Kunden, deren Folgen nicht wirklich auserzählt werden. Die Widersprüche, die das Thema Sexarbeit aufwirft, löst der Film nicht auf. D Eva Szulkowski ¢ Start am 30.3.2023

IN DIEKRITIKEN APRIL 2023 D 21 D Termine unTer www.indiekino.de
Originaltitel: La Maison D Frankreich 2022 D 89 min D R: Anissa Bonnefont D B: Anissa Bonnefont, Diastème D K: Yann Maritaud D D: Ana Girardot, Aure Atika, Rossy de Palma D V: Capelight Pictures French writer Emma, who lives in Berlin, becomes a sex worker for the purpose of her book research and out of curiosity. An autofictional feature film.
D
D R:
Christian
Studiocanal

Originaltitel: Mi país imaginario D Chile 2022 D 83 min D R: Patricio Guzmán

D K: Samuel Lahu D S: Laurence Manheimer D M: José Miguel Miranda, José Miguel Tobar D V: Real Fiction

MI PAíS IMAGINARIO

Patricio Guzmán begann seine Karriere als Filmemacher im Jahr 1970, als er in DAS ERSTE JAHR die Regierung des sozialistischen Politikers Salvador Allende begleitete. Chris Marker half Guzmán, eine Trilogie über die Konterrevolution 1973 fertigzustellen (DIE SCHLACHT UM CHILE, 1975-79). Mit Unterstützung der USA putschte das Militär unter General Pinochet, zwang Allende in den Selbstmord und internierte Zehntausende in Konzentrationslagern – unter ihnen auch Guzmán. Der Regisseur konnte fliehen, tausende andere wurden gefoltert und ermordet. Guzmán lebt seitdem in Paris. Das wiederkehrende Thema seiner Filme ist jedoch Chile geblieben. In über 20 Filmen erschafft er ein immer umfassenderes Bild dieses Landes, ein phantasmatisches Bild, wie der Exilant Guzmán immer wieder betont.

Zuletzt beschäftigte er sich in einer Trilogie mit den Verbindungen von Geschichte, Gesellschaft und Geografie Chiles. Interviews gehen über in Landschaftsaufnahmen, Straßenkämpfe in Naturphilosophie. Jeder Film setzt dabei einen bestimmten Schwerpunkt. In HEIMWEH NACH DEN STERNEN (2010) war es der Sand der Wüste Atacama, in DER PERLMUTTKNOPF (2015) das Wasser der Küste Patagoniens, in KORDILLERE DER TRÄUME (2019) das Gestein der chilenischen Anden. Seine essayistische Erzählung schlägt immer wieder den Bogen zur nationalen Geschichte von Utopie, Gewalt und Trauma. In KORDILLERE DER TRÄUME springt die Kamera von den Bergen zu den Pflastersteinen Santiagos, die aus ihnen gefertigt wurden, nur um nach einiger Zeit die ins Pflaster eingelassenen Gedenktafeln für unter Pinochet ermordete Angehörige zu offenbaren.

MI PAÍS IMAGINARIO schließt hier direkt an an. Zu Beginn des Films liegen Pflastersteine herausgebrochen auf der Straße. Menschen reißen den Boden auf, sammeln und verteilen die Mittel ihres Protests. Hier soll Geschichte geschrieben, nicht bewahrt werden. Auslöser der Revolte war 2019 die Erhöhung der Metropreise um 30 Pesos, umgerechnet 3 Cent. Von protestierenden

Jugendlichen in den U-Bahnhöfen verbreitete sich der Unmut über das ganze Land. Die Verfassung, die die Militärdiktatur unter Anleitung von Milton Freedman verabschiedet hatte, hatte genügend Elend für einen landesweiten Aufstand erzeugt. Präsident Piñera setzte das Militär gegen die eigene Bevölkerung ein, Demonstrant*innen starben, andere wurden im Gefängnis vergewaltigt.

Guzman zeigt aber nicht nur die Schrecken des revolutionären Kampfes, sondern auch seine Schönheit: Das Gedicht eines feministischen Kollektivs wird von hunderten gemeinsam rezitiert; mit Händen, Steinen und Pfannen wird rhythmisch gegen Wände geklopft; Mauern werden bemalt; nicht nur Wut, auch Kreativität steckt immer größere Massen an. Keine der Aktionen ist rein symbolisch, dieselbe Wand, gegen die Pfannen bis zu Klumpen geschlagen werden, wird später mitsamt ihrer betonierten Eisenpfeiler durch die bloßen Hände der Masse niedergerissen.

Diese Aufnahmen sind mitreißend, doch stimmen sie auch traurig: Zwei Monate nach Abschluss der Dreharbeiten wurde die neue Verfassung, für die hier gekämpft wurde, zur Wahl gestellt – und von der Bevölkerung abgelehnt. Das Verfassungskonvent unter Leitung der indigenen Linguistin Elisa Loncón hatte sich mehr auf die Konzeption der neuen Verfassung konzentriert als auf die Kommunikation – und den Einfluss rechter Propaganda auf die ländliche Bevölkerung unterschätzt. Guzmán scheint den gleichen Fehler begangen zu haben. Hatte er sich in den vorherigen Filmen noch bewusst von der Hauptstadt abgewandt, um sein Land zu verstehen, ist MI PAÍS IMAGINARIO fast ausschließlich in Santiago de Chile gedreht. Wie Viele ließ er sich vom Anblick der Massen auf den Straßen verführen – und gibt diese Anblicke als überwältigende Drohnenaufnahmen an sein Publikum weiter.

Guzmán tritt in MI PAÍS IMAGINARIO weniger als Autor in Erscheinung, was konsequent erscheint, da es sich hier nicht mehr um seinen Traum handelt, sondern um den kollektiven Traum eines vielstimmigen Landes. Ebenfalls konsequent ist, dass er nur Frauen interviewt. Die von Guzmán geteilte Euphorie des Wandels macht MI PAÍS IMAGINARIO schon bei seiner Veröffentlichung zu einem historischen Dokument. Aus dem mitreißenden Porträt einer Bewegung wird eine bittersüße Erfahrung. Und ist ein Film über eine Revolution nicht immer schon nostalgisch?

D Yorick Berta ¢ Start am 13.4.2023

Patricio Guzman has been making political essay films about his Chilean homeland for a long time. After THE PEARL BUTTON and THE CORDILERRA OF DREAMS, in which Guzman traces the past, MI PAIS IMAGINARIO is about the current developments and the hopes of the country’s young generation.

D 22 D APRIL 2023 IN DIEKRITIKEN TERmINE uNTER www.INdIEKINo.dE
Kollektiver Traum von der Revolution

DER ILLUSIONIST

Als Student freundete sich Helge Achenbach mit der Düsseldorfer Künstlerszene an. Bestens vernetzt erfand er in den 70er Jahren ein unternehmerisches Konzept: den „Kunstberater“. Er spürte Bauprojekte auf, kontaktierte die zuständigen Architekten und verkaufte ihnen in großem Stil Kunst als Prestigeobjekt. Doch dann kam das grandiose Scheitern. Wegen Betrugs, Untreue und Urkundenfälschung wurde Achenbach verhaftet und zu sechs Jahren Haft verurteilt. Aktuell erfindet er sich als Künstler neu. In ihrem Dokumentarfilm zeichnet Birgit Schulz seinen Weg nach.

¢ Start am 27.4.2023

Deutschland 2022 D 94 min D R: Birgit Schulz

SCHULEN DIESER WELT

SCHULEN DIESER WELT erzählt von drei Lehrerinnen, die an drei ungewöhnlichen, sehr abgelegen Orten unterrichten – der Busch in Burkina Faso, ein Nomadenzelt im eisbedeckten Sibirien, ein Schulboot in Bangladesch. Der Mut, die Freude und das Engagement der drei Unterrichtenden ist ansteckend. In angenehmer Erzählgeschwindigkeit – nur der flankierende Score nimmt bisweilen an Fahrt auf – berichtet der Film davon, wie aufreibend, vor allem aber wie sinnstiftend und beglückend Unterrichten sein kann. Wie schön, ein optimistischer Film.

¢ Start am 27.4.2023

Originaltitel: Être Prof D Frankreich/USA 2021

90 min

R: Émilie Thérond

D
D

Als die 17-jährige Suzume auf dem Weg zur Schule dem sehr hübschen jungen Studenten Souta begegnet, ruft sie unwillkürlich aus „Oh wie schön!“ Sie folgt ihm neugierig in ein verlassenes Dorf. Dort öffnet sie eine magische Tür und setzt damit eine Folge von Ereignissen in Gang, die ganz Japan bedrohen werden. Souta arbeitet nämlich als „Schließer“ und sorgt dafür, dass die Portale zum Jenseits geschlossen bleiben und die Erdbeben nicht in die Menschenwelt können. Suzume und Souta müssen ein Erdbeben nach dem anderen verhindern, und zusätzlich den Schlussstein in Gestalt einer kleinen weißen Zauberkatze einfangen, die das Netz der Portale wieder unter Kontrolle bringen kann. Die Verfolgungsjagd führt sie durch ganz Japan. Wie schon Makoto Shinkais YOUR NAME, in dem der Einschlag eines Asteroiden verhindert

werden musste, und WEATHERING WITH YOU, in dem Dauerregen Japan im Wasser versinken ließ, ist SUZUME ein meisterhaft animierter Abenteuerfilm für alle Altersstufen, der von verspielten und liebevollen Einfällen nur so sprudelt. So ist die Zauberkatze so niedlich, dass sie ständig auf Social Media auftaucht, was enorm bei ihrer Verfolgung hilft. Die hilfreichen Menschen, die Suzume und Souta unterwegs treffen, haben alle ihre individuellen Macken und Eigenheiten. Anders als in den Vorgängerfilmen stehen diesmal die brillanten Actionsequenzen im Vordergrund, während eine Liebesgeschichte nur leise anklingt. Aber auch in seinem jüngsten Film erzählt Shinkai eine berührende Geschichte von Familie und Verlust: Suzume ist als Waise bei ihrer Tante aufgewachsen und sucht in ihren Träumen immer noch nach ihrer Mutter, und an den verlassenen Orten, die jetzt Portale zum Jenseits beherbergen, sind die Erinnerungen an die Erdbebenopfer vergangener Zeiten immer noch präsent. D Hendrike Bake

¢ Start am 13.4.2023

D 24 D APRIL 2023 IN DIEFEATURE
17 year old Suzume has a chance encounter with student Souta, who works as a“closer“ and guards portals that release earthquakes into the world. Together, they have to protect Japan from a catastrophe. Originaltitel: Suzume no tojimari D Japan 2022 D 122 min D R: Makoto Shinkai D B: Makoto Shinkai D V: Crunchyroll

SUzUME

Erdbeben und Geist-Katze

IN DIEFEATURE APRIL 2023 D 25 D

DIE KAIRO VERSCHWÖRUNG

Machtwechsel

Erinnert sich noch jemand an den Arabischen Frühling? Jene Massenproteste, die zu Reformen führen, die verkrusteten Strukturen aufbrechen sollten? Von diesen Hoffnungen ist wenig übrig, auch in Ägypten und seiner Hauptstadt Kairo herrscht dieselbe Klasse wie zuvor, höchstens die Gesichter der Mächtigen haben sich geändert.

Wie schwer es ist, ein seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten etabliertes System zu ändern, davon erzählt der schwedisch-ägyptische Regisseur Tarik Saleh in seinen Filmen. DIE NILE HILTON AFFÄRE spielte unmittelbar zur Zeit der Proteste und wurde in Ägypten prompt verboten. Seinen neuen Film DIE KAIRO VERSCHWÖRUNG musste Saleh daher größtenteils in Istanbul drehen, was aber nicht stört, dem Film sogar eine passende Universalität gibt. Erzählt wird aus der Perspektive des jungen, naiven Adam (Tawfeek Barhoml), der aus der Provinz nach Kairo kommt, um dank eines Stipendiums an der Al-Azhar Universität zu studieren. Hier wird seit über 1000 Jahren die zukünftige Elite des Landes ausgebildet, vor allem die religiöse. Der Leiter dieser Institution, ein Imam, ist einer der mächtigsten Männer des Landes, und dieser Imam stirbt gleich zu Beginn unter mysteriösen Umständen. Wer sein Nachfolger wird, ist auch eine Machtfrage,

und hier kommt die andere Hauptfigur ins Spiel, die interessanteste, weil ambivalenteste Figur des Films: Oberst Ibrahim (Fares Fares), ein Mitglied der Geheimpolizei, der Adam dazu zwingt, als Maulwurf zu agieren, um dafür zu sorgen, dass der dem Staatspräsidenten genehme Imam an die Macht kommt.

Die Thriller-Geschichte läuft ein wenig zu stringent ab, doch was DIE KAIRO VERSCHWÖRUNG spannend und sehenswert macht, ist der komplexe Blick hinter die Kulissen der islamischen Eliten.

¢ Start am 6.4.2023

Al-Azhar University in Cairo educates the future elite of the country. The head of this institution, an Imam and one of the most powerful men in the country, dies under mysterious circumstances and young student Adam gets entangled in the intrigues around his successor.

IN DIEFEATURE D 26 D APRIL 2023
TERMINE UNTER WWW.INDIEKINO.DE
Originaltitel: Boy From Heaven D Schweden 2022 D 126 min D R: Tarik Saleh D B: Tarik Saleh D K: Pierre Aïm D M: Krister Linder D D: Tawfeek Barhom, Fares Fares, Mehdi Dehbi, Mohammad Bakri, Makram Khoury, Sherwan Haji D V: X Verleih

AIR – DER GROSSE WURF

Geburt einer globalen Marke

Es gibt eine Zeit vor und eine Zeit nach Michael Jordan. Das gilt für die amerikanische Profi-Basketball-Liga NBA, aber auch für den Sportartikelhersteller Nike. Wie Michael Jordan bei Nike landete und aus einer Firma, die durch Joggingschuhe groß wurde, im Bereich des Basketballs aber weit hinter den Konkurrenten Adidas und Converse zurücklag, eine Weltmarke wurde, ist eine sehr amerikanische, durch und durch kapitalistische Geschichte. Sie hat sich weitestgehend so zugetragen, wie in Ben Afflecks AIR, in dem Michael Jordan ständig präsent ist, ohne jemals wirklich aufzutreten. Nur in TV-Ausschnitten sieht man den Sportler, er sitzt zusammen mit seinen Eltern am Verhandlungstisch, ist nur von hinten zu sehen und sagt kein Wort. Kein Schauspieler hätte einen Vergleich aushalten können, erklärte Affleck diese Entscheidung, die aber auch dramaturgisch Sinn macht. Denn AIR handelt in erster Linie vom Marketing-Experten Sonny Vaccaro (Matt Damon), der Anfang der 80er Jahre die vor sich hin dümpelnde Basketballabteilung von Nike leitet. In Jordan glaubt Sonny den Spieler gefunden zu haben, der aus Nike mehr machen wird, als eine Schuhfirma: Eine globale Marke, cool und hip. Mit derselben Leidenschaft, mit der Jordan den Basketball revolutionieren sollte, setzt dieser äußerliche Jedermann nun alles in Gang, um Jordan unter Vertrag zu nehmen. Das ist so mitreißend inszeniert, dass man bisweilen fast vergisst, dass man hier der Geschichte eines Konzerns zusieht, der seine Produkte wie die meisten anderen in Billiglohnländern produzieren lässt. Welche Folgen die exzessive Vermarktung eines Superstars hatte, lässt sich heute nicht nur in den USA bestaunen, sondern auch im globalen Fußballgeschäft. Aber das ist eine andere Geschichte, die in AIR nur ganz am Rande gestreift wird. D Michael Meyns ¢ Start am 6.4.2023

TERMINE UNTER WWW.INDIEKINO.DE
Originaltitel: Air D USA 2023 D 112 min D R: Ben Affleck D B: Alex Convery D K: Robert Richardson D D: Matt Damon, Ben Affleck, Jason Bateman, Viola Davis, Chris Messina, Barbara Sukowa, Marlon Wayans, Chris Tucker D V: Warner Bros. AIR tells the story of Nike’s marketing manager Sonny Vaccaro, who contracted Michael Jordan in the early 80s and turned the company’s basketball trainers into a global brand.
AB 13.4. IM KINO
NACH DIE BESTE ALLER WELTEN EIN FILM VON ADRIAN GOIGINGER
„Geht direkt ins Herz.“
Loriot_Indiekino_82x122.indd 1 23.03.23 14:11
SIMON MORZÉ ADRIANE GRADZIEL KARL MARKOVICS
KRONEN ZEITUNG

Originaltitel: How To Please A Woman D Australien 2022 D 107 min

DAS REINSTE VERGNüGEN

Die 50-jährige Gina Henderson (Sally Phillips) ist am glücklichsten, wenn sie mit ihren Freundinnen aus dem Schwimmclub an der australischen Küste im Meer badet. Ansonsten ist ihr Alltag überschaubar. Die Tochter ist aus dem Haus, der Ehemann taucht in seiner Arbeit als Anwalt ab, und im eigenen Job in einer Insolvenz-Verwaltungsgesellschaft wird Gina trotz ihrer Kompetenz gerne übersehen. Da kommen drei Zufälle des Wegs. Erstens: Ginas Freundinnen schenken ihr einen Callboy zum Geburtstag, den Gina aus Verlegenheit putzen lässt, was ihr wiederum gut gefällt. Zweitens: Auf der Arbeit betreut sie ein insolventes Umzugsunternehmen mit Potential. Drittens: Sie wird entlassen. Kurzerhand erwirbt sie das Umzugsunternehmen und engagiert die Umzugshelfer als erotische Putzkräfte. Das funktioniert nicht ganz reibungslos – die einen brauchen Nachhilfe beim Putzen, die anderen beim Umgang mit Frauen – wird dann aber ein Bombenerfolg. Renée Websters Wohlfühlkomödie erzählt, wie das Unternehmen alle, die sich an ihm beteiligen, bereichert und ihren erotischen Horizont erweitert. Während die Männer ihr Einfühlungsvermögen trainieren, lernen die Frauen, sich klarer zu artikulieren und eigene Wünsche zu formulieren. DAS REINSTE VERGNÜGEN hat einen komplett rosaroten Blick auf Sexarbeit (man stelle sich die Konstellation mal mit umgekehrten Geschlechtern vor!) und bewegt sich weit abseits von jeder psychologischen Glaubwürdigkeit. Mal ist Gina die schüchterne Hausfrau im knielangen Kleid, die noch nie einen Vibrator in der Hand hatte, dann erlebt sie unbefangen einen Orgasmus auf dem Bürosofa, während Kollege Steve zuschaut. Etwaige Probleme wischt der unbeschwerte Plot mit einer Handbewegung weg. Aber die rumpelige, feministische Erzählung ist sympathisch, das Ensemble um Sally Phillips ist es sowieso. D Toni Ohms ¢ Start am 20.4.2023

50 year old Gina acquires a bankrupt moving company and hires the movers as erotic cleaners.

VAMOS A LA PLAyA

Deutsche im Ausland

Eigentlich wollte Benjamin (Leonard Scheicher) nur Katharina (Victoria Schulz) nach Kuba begleiten, um ihren Bruder Wanja (Jakub Gierszal) zu suchen, der dort Seekühe erforscht. Dann ist allerdings auch Katharinas Freundin Judith (Maya Unger) an Bord und Wanja nirgends zu finden. Die drei erkundigen sich bei den Einheimischen und folgen seiner Spur. Allerdings steht die Suche nicht unbedingt bei allen auf der Prioritätenliste ganz oben. Katharina will ihre Macht auskosten, als privilegierte Weiße im armen Kuba, und sucht sich einen Mann, den sie für Sex bezahlt. Judith will eigentlich keine Beziehung, verliebt sich dann aber doch und Benjamin schaut all dem hilflos zu. Wanja hat sich unterdessen in den Kopf gesetzt, einen Kubaner und seine Familie mit dem Geld seines Vaters aus der Armut zu befreien.

Regisseurin Bettina Blümner, die vor 15 Jahren mit dem bemerkenswert beobachteten Dokumentarfilm PRINZESSINENBAD debütierte, inszeniert mit VAMOS A LA PLAYA eine filmische Entsprechung des Jugendworts „Cringe“. Den Twens dabei zuzusehen, wie sie das Land und seine Menschen gleichermaßen ausbeuten und unbeholfen versuchen, ihnen zu helfen, ist äußerst unangenehm. Andererseits verrennen sie sich in ihren eigenen Gefühlen untereinander und haben auch keinen Plan, wer sie sind, was sie wollen, und wie sie mit dem Wohlstandsgefälle zwischen der deutschen Heimat und dem Urlaubsort umgehen sollen. Diese Widersprüche machen den Reiz des Coming-of-Age-Roadmovies aus. Die drei Hauptdarsteller*innen verkörpern das alles mit einer entwaffnenden Ehrlichkeit. Blümner und ihr Kameramann Janis Mazuch (SEARCHING EVA), der die Kinobilder von Meer und Strand mit Videodiaries der Protagonist*innen mischt, halten drauf, auch wenn es schmerzhaft wird. D Lars Tunçay

¢ Start am 27.4.2023

Katharina, Ben, and Judith, all in their mid-twenties, fly to Cuba to visit Katharina’s brother Wanja. They have a lot of money and unabashedly use their privileges.

D 28 D APRIL 2023 IN DIEKRITIKEN TERmINE uNTER www.INdIEKINo.dE
D R: Renée Webster D B: Renée Webster D K: Ben Nott D M: Guy Gross D D: Sally Phillips, Hayley McElhinney, Caroline Brazier, Tasma Walton, Asher Yasbincek D V: 24 Bilder Rosarot feministisch Deutschland 2022 D 91 min D R: Bettina Blümner D D: Jakub Gierszal, Leonard Scheicher, Victoria Schulz, Eugenio Torroella, Maya Unger D V: jip Film & Verleih

DIE GEWERKSCHAFTERIN

Haarsträubende Ermittlungen

Nachdem Isabelle Huppert in EO eine der schlechtesten Performances ihrer Karriere abgeliefert hat, ist sie in DIE GEWERKSCHAFTERIN mit voller Wucht zurück. Sie spielt Maureen Kearney, die als Betriebsrätin 50.000 Angestellte des französischen Nuklearunternehmens Areva vertritt. Als sie mitbekommt, dass der neue Chef beim Bau von Atomkraftwerken künftig mit chinesischen Firmen kooperieren will, befürchtet sie einen Ausverkauf von Betriebsgeheimnissen und den Verlust von Arbeitsplätzen und geht in die Offensive.

Unermüdlich – ihr netter Mann Gilles (Grégory Gadebois) und die erwachsenen Kinder kennen das schon – recherchiert sie Tag und Nacht, informiert die Presse und nervt die Entscheider in Wirtschaft und Politik. Dann wird sie in ihrem eigenen Haus überfallen. Der Attentäter fesselt sie in der Waschküche an einen Stuhl, ritzt ihr ein A in den unteren Bauch und steckt das Messer mit dem Griff zuerst in ihre Vagina. Ab diesem Ereignis unternimmt die Erzählung eine Wende. Aus dem Wirtschaftskrimi, der von windigen Verbindungen zwischen Politik und Großindustrie unter Hollande erzählte, wird ein Gerichtsdrama, das den Winkelzügen

Originaltitel: La syndicaliste D Deutschland/Frankreich 2022 D 122 min

D R: Jean-Paul Salomé D B: Fadette Drouard, Jean-Paul Salomé D K: Julien Hirsch D S: Valérie Deseine D M: Bruno Coulais D D: Isabelle Huppert, Alexandra Maria Lara, Grégory Gadebois, Yvan Attal, Marina Foïs, Pierre Deladonchamps, François-Xavier Demaison D V: Weltkino

der nun folgenden haarsträubenden Ermittlungen und Prozesse folgt: Anstatt die Täter zu ermitteln, zieht der junge Kommissar, der mit dem Fall betraut ist, Kearneys Aussage in Frage. Sie sei, heißt es wieder einmal, keine glaubhafte Zeugin – zu beherrscht und rational.

Isabelle Huppert spielt Kearney als eine Einzelkämpferin, die alles der Arbeit an der Sache und den Fakten unterordnet. Die persönlichen Befindlichkeiten und die Familie müssen bei Bedarf ebenso zurückstehen wie ihre Frisur, die immer vorzeigbar ist, aber nie ganz so perfekt wie die ihrer glatten Gegenüber aus Wirtschaft und Politik. Zugleich verkörpert Huppert eine Verletzlichkeit, die nur in privaten Momenten und kleinen Gesten sichtbar ist. Die Belastung und die Bedrohung gehen an der fast 60-jährigen Kearney nicht spurlos vorbei, und das Verhalten der Justiz nach dem Anschlag lässt sie fassungslos zurück. Allerdings nicht für lange.

DIE GEWERKSCHAFTERIN basiert auf dem Buch La Syndicaliste (2019) der französischen Investigativ-Journalistin Caroline Michel Aguirre und folgt den Windungen und Umwegen, die der reale und in Deutschland wenig bekannte Fall, der sich 2012 zugetragen hat, genommen hat. Dadurch ergibt sich keine klassische Thrillerdramaturgie, und nicht alle Verwicklungen werden aufgeklärt, dennoch – oder vielleicht deswegen – ist DIE GEWERKSCHAFTERIN außerordentlich spannend. D Hendrike Bake

¢ Start am 27.4.2023

APRIL 2023 D 29 D IN DIEKRITIKEN TERmINE uNTER www.INdIEKINo.dE
Isabelle Hupperts plays unionist Maureen Kearney as a lone fighter who prioritizes the work and the facts above all else.

EMPIRE OF LIGHT

Art-Déco Interieurs und Strandpromenaden

Mit EMPIRE OF LIGHT legt Sam Mendes seinen vielleicht privatesten Film vor. Erstmalig verfasste er auch selbst das Drehbuch. Nach eigenen Aussagen ist die Geschichte, die der Film erzählt, vom Kampf seiner Mutter mit ihrer psychischen Gesundheit inspiriert. Das Ergebnis ist jedoch viel weniger autobiografisch verankert als von dem Wunsch geprägt, im Zuschauer ein Gefühl für die Zeit und den Ort zu vermitteln, an dem sich die Handlung zuträgt.

Der Schauplatz ist ein Filmpalast an der englischen Küste –ein opulentes Kino mit einst mehreren Leinwänden und einem lichtdurchströmten Tanzsaal mit Blick auf das Meer. Doch das Geschäft läuft auch 1982 schon nur noch dürftig, der Glanz der goldener Jahre ist lange verblasst. Trotzdem leitet Hilary (Olivia Colman) das Haus so gut es eben geht. Denn außer ihrem Job bleibt ihr nur die Einsamkeit der eigenen vier Wände, und auch das zwielichtige Verhältnis zu ihrem Chef (Colin Firth) nagt an ihrer ohnehin labilen Psyche. In Vorbereitung auf eine unerwartet große Premierenfeier bringen Hilary und ihr Team das vernachlässigte Gebäude wieder auf Vordermann. Dabei ist auch der neue Schwarze Ticket-Verkäufer Stephen (Micheal Ward), der sich sofort mit seiner Vorgesetzten verbunden fühlt: Ihre Beziehung blüht kurz auf, doch gleichzeitig wächst der Rassismus in

der Gesellschaft und die Gefahr, dass Hilary, wieder einmal, die Nerven verliert.

EMPIRE OF LIGHT ist ein Film, der von Herzen kommt. Man spürt die Intention, mit der Mendes sich hier ans Werk gemacht hat. Viele Themen und Fragen werden angesprochen, aber nur oberflächlich behandelt: Ein gewalttätiger Übergriff von Rechts, ein peinlicher Auftritt von Hilary vor versammeltem Publikum – die dramatischen Höhepunke sind vorprogrammiert. Doch die Figuren wirken zu weit distanziert von ihrem eigenen Schicksal, um emotionale Wirkung zu erzielen. Dagegen findet Kameramann Roger Deakins wunderschöne, nachwirkende Tableaus in verblassenden Art-Déco-Interieurs und an Strandpromenaden. Und Toby Jones ist als beseelter Filmvorführer mit das Beste an dieser etwas zu nostalgischen Ode an das Kino. D Pamela Jahn

¢ Start am 20.4.2023

D 30 D APRIL 2023 Termine unTer www.indiekino.de in DiekriTiken
1982, a movie palace on the English coast. Business is bad, the splendor of the golden years has faded a long time ago, Hilary the boss manages the cinema as best she can. Großbritannien/USA 2022 D 113 min D R: Sam Mendes D B: Sam Mendes D K: Roger Deakins D S: Lee Smith D M: Thomas Newman D D: Olivia Colman, Colin Firth, Micheal Ward, Toby Jones, Tom Brooke D V: Walt Disney Company

Originaltitel: Mila D Griechenland/Polen/Slowenien 2020 D 90 min

D R: Christos Nikou D B: Christos Nikou, Stavros Raptis D K: Bartosz Swiniarski

APPLES

Greek Weird Wave

Als Steve Rose 2011 den Begriff der „Greek Weird Wave“ aufbrachte, fragte er sich, ob die wunderbar seltsamen Filme von Yorgos Lanthimos oder Athina Rachel Tsangari ein Produkt der griechischen Wirtschaftskrise seien. Im Angesicht der verlorenen und verzerrten Filmwelten, bevölkert von sozial unterkühlten Figuren, erscheint das plausibel, ohne Zweifel aber ist Christos Nikous Spielfilmdebüt APPLES wiederum ein Produkt der „Greek Weird Wave“: In körnigen Bildern entwirft er eine anachronistische griechische Stadt, durch die sich sein Protagonist in kunstvollem Dauerstolpern bewegt. Aris, ein Mann um die 40, findet sich in einem Bus wieder und erinnert sich an nichts. Er ist einer von immer mehr Betroffenen einer Art Amnesie-Pandemie. Sein neues Lebensprogramm: Auf Kassetten findet er Aufgaben vor, die ihm neue Erfahrungen bescheren sollen. Eine Kostümparty besuchen, Turmspringen gehen und alles auf Polaroid dokumentieren. Die Ergebnisse werden interessiert von einem Forscherpaar analysiert. Wenn Aris diese kleinen Abenteuer bestreitet, wird deutlich: Das Gedächtnis ist Ort der kulturellen Identität, ohne die man heimatlos ist. Aber auch plötzlich sehr frei. Als Zuschauer erwischt man sich dabei, zu beneiden, dass jede seiner Erfahrungen neu und überwältigend ist – eine Intensität, die nach all den Generalproben des Lebens verloren geht.

Auf diesem Spielfeld dekliniert APPLES herrlich skurril durch, welche Erfahrungen den modernen, urbanen Menschen ausmachen. Christos Nikous drehte in ungewöhnlich quadratischem Bildformat: Die analogen Polaroidfotos imitierend weist er damit eine Zeitlosigkeit aus, die der Geschichte wie so mancher Erinnerung anhaftet. APPLES ist leise, augenzwinkernd und lässt Raum für hochinteressante Beobachtungen über das Menschsein. D Christopher Suss

¢ Start am 13.4.2023

A new film from the “Greek Weird Wave”. Aris, a man in his late 40s, finds himself in a bus and doesn’t remember anything. He is one of the many people hit by the pandemic of memory loss.

brIngt StreamIng

und kIno zuSammen. Clubmitglieder können online ausgewählte Arthouse- und Indie-Filme nach Belieben streamen, und sie erhalten mit ihrer ClubCard ermäßigten

Eintritt in allen teilnehmenden Berliner Kinos: b-ware!ladenkino, Brotfabrik Kino, Bundesplatz-Kino, City Kino Wedding, Filmrauschpalast, fsk-Kino, Il Kino, Klick Kino, Sputnik Kino, Wolf www.IndIekIno-Club.de

D S: Giorgos Zafeiris D M: Alexander Voulgaris D D: Aris Servetalis, Sofia Georgovassili, Anna Kalaitzidou, Kostas Laskos D V: Neue Filmkunst
TERMINE UNTER WWW.INDIEKINO.DE indie kino cLUB IndIekIno ClubCard Name: Kim Musterperson Geburtsdatum: 10.10.1980 Club-Abo: 1.7.2021–30.6.2022 ID: 0001 der IndIekIno Club

THE WHALE

Es könnte helfen, nett zu sein

Es gibt Filme, die mich berühren, obwohl ich sie nicht mag. An THE WHALE hat mir nur wenig gefallen, aber gerührt hat er mich trotzdem. Ein paar Sätze, die die Tochter der Hauptfigur, des sterbenden, bis zur Immobilität übergewichtigen Literaturwissenschaftlers Charlie (Brendan Fraser) für eine Aufgabe in ein Heft kritzelt: „Diese Wohnung stinkt. Dieses Heft ist behindert. Ich hasse alle.“ Das hat Kraft. Charlie zählt die Silben durch, erkennt die Form des Haiku und freut sich. Aber sonst?

THE WHALE ist ein Kammerspiel im klassischen Tschechow-Stil, und die Form riecht auch nicht besser als Charlies Wohnung. Es gibt fiese, unmittelbar durchschaubare Motive. Moby Dick wird zitiert, weil Charlie dick ist und traurig. Ein junger Missionar taucht auf, weil es natürlich auch um Gott und Religion und Nächstenliebe geht. Das nervt alles entsetzlich. Inszeniert hat mit Darren Aronofsky einer der pompösesten Hollywood-Regisseure, dessen Filme mindestens (altmodische) Kunsttheorie oder allgemeingültige Weltweisheit enthalten müssen. Die Art und Weise, wie die Kamera Charlie ins Bild setzt und ihn immer wieder sabbernd beim Essen von widerlichem Zeug zeigt, ist auf Schock und Abscheu ausgerichtet, dabei ist der Kamerablick scheußlicher als Charlies Körper und ein Eimer voller frittierter Hühnerteile. Nebenbei: der Hühnereimer ist in den USA das scheußlichste Klischee über dicke Menschen. Im Oscar-Gewinner PRECIOUS musste Gabourey Sidibe auch einen in sich hineinstopfen.

Was Charlie in einem Online-Creative-Writing-Kurs unterrichtet, ist eine dahergelaufene Variante des Beat-Generation Credos: Schreibt etwas Ehrliches, dann ist es auch gut. Das war schon immer falsch. Wenn man nur irgendetwas Ehrliches schreibt, ist

es genau so schlecht wie jede andere Idee, Meinung, Überzeugung, über die man sich keine großen Gedanken gemacht hat. Ehrliches hinschreiben ist ein Anfang. Dann beginnt die Arbeit. Hier ist es der Weisheit letzter Schluss und Teil der großen Weisheit, die Charlie und der Film verkünden: Menschen sind großartig. Wir müssen nett zueinander sein. Dem zweiten Teil kann man vorbehaltlos zustimmen, und das ist sicher auch der Grund, warum der Film in den USA – relativ – erfolgreich war. In den letzten Jahren dürfte Vielen klar geworden sein, dass sehr viele Menschen überhaupt nicht großartig sind, im Gegenteil. Und dann behauptet ein sterbender, fetter, schmieriger, trauriger, aber freundlicher Mann, dass alles gut ist, noch die wütendsten Idioten, wie seine ätzende, wütende Tochter, seien großartig.

Das ist dann doch rührend, weil es so schön wäre. Rührend ist auch die Freundin, die versucht zu helfen, obwohl sie weiß, dass Charlie nicht zu retten ist. Die Welt ist verloren, aber es könnte helfen, nett zu sein. So weit entfernt von der Botschaft, die der formal ganz anders gelagerte Oscar-Hauptgewinner EVERYTHING EVERYWHERE ALL AT ONCE hat, ist das nicht. Brendan Frasers

Oscar für den Besten Hauptdarsteller steht in einer Reihe von vielen anderen Schauspieler*innen, die für Rollen als Blinde, Taube, oder geistig Behinderte ausgezeichnet worden sind. Aber er macht seinen Job tatsächlich sehr überzeugend. D Tom Dorow

¢ Start am 27.4.2023

D 32 D APRIL 2023 Termine unTer www.indiekino.de in DiekriTiken
Brendan Fraser won Best Actor at this year’s Academy Awards for his role as Charlie, a dying, immobile, overweight English teacher. USA 2022 D 109 min D R: Darren Aronofsky D B: Samuel D. Hunter D K: Matthew Libatique D S: Andrew Weisblum D M: Rob Simonsen D D: Brendan Fraser, Sadie Sink, Hong Chau, Samantha Morton, Ty Simpkins D V: STUDIOCANAL

Originaltitel: Sedmikrasky D Tschechoslowakei 1966 D 73 min D R: Vera

Chytilova D B: Vera Chytilova, Ester Krumbachova D K: Jaroslav Kucera

D M: Jiri Sust, Jiri Slitr D D: Ivana Karbanova, Jitka Cerhova, Maria Ceskova, Jirina Myskova, Marcela Brezinova D V: trigon film

TAUSENDSCHÖNCHEN

Unersättlich, anarchisch

An einer großen gusseisernen Maschine dreht sich ein massives Zahnrad, dazu läuft Marschmusik. Schnitt. Dokumentaraufnahmen zeigen Luftbilder von Bombenabwürfen. Schnitt. Wieder das Zahnrad. Wieder die Bomben. Das ist der Zustand der Welt. Marie 1 und Marie 2 (Jitka Cerhová und Ivana Karbanová) sitzen auf den Holzbohlen einer Badeanstalt. Sie bewegen sich wie Marionetten, und jede Bewegung macht ein knarrendes Geräusch wie eine eingerostete Tür. Sie unterhalten sich. „Niemand versteht etwas.“ „Die Welt ist verdorben.“ „Dann macht es doch nichts, wenn wir auch verdorben sind.“ Věra Chytilovás weltberühmter Experimentalfilm entstand 1966, zwei Jahre vor dem Prager Frühling, und wurde kurz nach Erscheinen verboten. In collageartig aneinander gereihten Tableaus, Spielszenen und gelegentlichen Animationen, wild Stil, Farbe und Tempo wechselnd, entwirft Chytilová eine mechanisierte, spaßbefreite Regelwelt, in der die beiden Maries herumstromern und Unheil anrichten. Sie verabreden sich mit älteren Männern und benehmen sich dann bei Tisch daneben, vor allem aber essen und trinken sie, unersättlich, anarchisch, disruptiv. Sie verkörpern einen Hunger, der sicherlich auch gesamtgesellschaftlich existierte, aber TAUSENDSCHÖNCHEN vor allem zu einem feministischen Meisterwerk macht. Der Film quillt über von traditionell weiblicher Symbolik – Äpfel, Schmetterlinge, Schlösser, Milch, Blümchen – und nimmt sie nicht ernst. Lacht über sie, wie die Maries, die ihre Weiblichkeit vor allem performativ wahrnehmen, um dann mit großer Freude aus der Rolle zu fallen. „Was machst du?“, fragt Marie 1 einmal „Eine Jungfrau sein“, antwortet Marie 2. „Wir nehmen uns vorsichtig etwas, so dass niemand etwas merkt,“ sagt Marie, und matscht dann mit der Hand mitten ins Buffet. D Toni Ohms ¢ Start am 27.4.2023

LORIOTS GROSSE TRICKFILMREVUE

Gutbürgerliche Exzentriker*innen

Ach? Lustige Trickfilme vom Loriot im Kino? Eine „Revue“?

Braucht man das? Die kennt man doch alle schon auswendig! Und diese Mann-Frau-Ehezeug-Komik, die ist doch schon total verstaubt und miefig. Muss das denn sein? Ja, gnädige Leser*innen, das muss sein. Ins Kino kommt eine Zusammenstellung von 31 kurzen Trickfilmen, fast ausschließlich aus den Jahren 1967-78, grafisch aufpoliert und teils neu nachgezeichnet, natürlich auch mit einem wunderbar knackig-frischem Ton. Da sind Klassiker dabei, wie die Herren im Bad und auf der Rennbahn und das Paar mit dem Frühstücksei, aber auch eher Unbekannteres, wie ein Aufruf hinsichtlich der Interessen des deutschen Vampirs (eine lang ignorierte Minderheit) und ein Bericht über ein Ehepaar, das Hasen ausbrütet.

Das auf Kinostandard gebrachte Bild ist die auffälligste Verbesserung. Die kräftigeren Farben und Linien ziehen die Aufmerksamkeit darauf, wie Loriot seinen Figuren mit minimaler Animation charmante Mimik und Gestik gab, und es wurden sogar kleine Details zugefügt, wie ein böser Blick von Bello, als der Moderator behauptet, der Hund könne gar nicht sprechen. Neben den Tieren und den allgegenwärtigen Kommunikationsproblemen zeigt sich in der Auswahl durch Peter Geyer, wie oft Loriots Figuren Exzentriker*innen sind, die bei allen gutbürgerlich zurückhaltenden Umgangsfloskeln merkwürdige Berufe, Hobbies und Ansichten ausleben wollen und dürfen. In dieser Ermunterung zur Seltsamkeit könnte das Geheimnis für die gefühlte Zeitlosigkeit von Loriots Humor liegen, der funktioniert, egal, ob man Helmut Schmidt und vierstellige Postleitzahlen noch kennt oder schon nicht mehr. Zurück ins Studio. Guten Abend. D Christian Klose

¢ Start am 20.4.2023

IN DIEKRITIKEN APRIL 2023 D 33 D Termine unTer www.indiekino.de
Deutschland 2023 D 79 min D R: Peter Geyer, Loriot D B: Loriot D S: Peter Geyer D D: Loriot, Helmut Schmidt D V: Edition Salzgeber The 31 animated films of Loriot from the years 1967–78, which Peter Geyer lovingly polished up, include classics like the gentlemen in the bathtub and the couple with the breakfast egg, but also lesser known films like a report about a married couple who breed rabbits. The world famous feminist masterpiece by Czechoslovak director Věra Chytilová.
D 34 D APRIL 2023 IN DIEFEATURE

IRGENDWANN WERDEN WIR UNS

ALLES ERzäHLEN

Gehen oder bleiben

Maria steckt fest. Zwischen Kindheit und Erwachsensein. Zwischen Ost und West. Zwischen Sicherheit und Risiko. Eigentlich geht es ihr gut auf dem Dreiseithof der Eltern ihres Freundes Johannes (Cedric Eich), mit dem sie zusammen unter dem Dach wohnt, seit ihre eigene Familie zerbrochen ist. Der Sommer ist heiß, die deutsch-deutsche Grenze ist offen. Die Wiedervereinigung steckt gerade in den Startlöchern. Und auch für Maria ist noch alles möglich. Sie lebt in den Tag hinein, liest, raucht und streift durch die Felder. Diesen Drang wegzugehen, sich künstlerisch zu verwirklichen, wie Johannes es plant, den verspürt sie nicht. Lieber verliert sie sich in den Worten und Gedanken der großen Dichter und Denker, bis ein unerwartet intensives Zusammentreffen mit dem um einiges älteren Nachbarn Henner (Felix Kramer) in ihr ungeahnte Gefühle entfacht – und eine Lust, die sie mit blauen Flecken, voller Sehnsucht, Verlangen, Liebeskummer und mehr Fragen als Antworten zurücklässt.

Marlene Burow spielt diese junge Frau ähnlich undurchschaubar. Sie fügt sich nicht willig ein in die weich gezeichneten Bilder, die Armin Dierolfs Kamera von der thüringischen Landschaft einfängt. Ihr innerer Kampf mit sich und um die Liebe, das geheime Begehren, die Angst, ihr Wunsch nach Geborgenheit verschmelzen im glühenden Sonnenlicht und unter der feinfühligen Regie von Emily Atef zu einer Atmosphäre von großer haptischer Sinnlichkeit. Gleichzeitig beweist die Regisseurin, die in Berlin geboren, aber in den USA und Frankreich aufgewachsen ist, eine tiefe Verbundenheit mit ihren Figuren, die in der fast archaisch ländlichen Welt, in der sie leben, mehr oder weniger fest verwurzelt sind. Die Spannungen zwischen den Charakteren entstehen aus den Ressentiments zwischen denen, die bleiben und denen, die möglichst schnell weggehen wollen. Davon lebte schon der gleichnamige Debütroman von Daniela Krien, der dem Film als Vorlage dient. Und auch wenn die Beziehung zwischen Maria und Henner wenig überraschend verläuft, das Ende so abrupt wie erwartet kommt, hält Atef bis zum Schluss an der gewaltigen Kraft von Kriens erotisch aufgeladener Erzählung fest. D

¢ Start am 13.4.2023

IN DIEFEATURE APRIL 2023 D 35 D
Pamela Jahn Deutschland 2023 D 129 min D R: Emily Atef D B: Emily Atef, Daniela Krien D K: Armin Dierolf D D: Felix Kramer, Silke Bodenbender, Jördis Triebel, Peter Schneider D V: Pandora Film In 1990 in the declining GDR, 19 year old Maria seems lost. Her boyfriend dreams of a career as a photographer, but Maria has no plan. Then she falls in love with an older neighbor.

OLAF JAGGER

Könnte es sein? Das Mundwerk hätte er, die Größe, das musikalische Talent, den Sex-Appeal … vielleicht eher nicht. Aber denkbar wäre es. Okay, es erfordert schon ein wenig oder eigentlich viel Phantasie, sich vorzustellen, dass Mick Jagger tatsächlich der Vater von Olaf Schubert ist. Den Rolling Stones-Frontmann und den lebenden Pullunder verbindet nicht wirklich viel. Aber da ist dieses Tonband, das Schubert beim Aufräumen des familiären Kellers findet. Darauf ist tatsächlich seine Mutter zu hören, bei einem Interview mit Mick Jagger, aufgenommen 1965 in Münster. Seine Mutter, im Westen, mit Mick Jagger – Olaf Schubert kann es kaum fassen und macht sich auf die Spurensuche. Dabei redet er mit Wegbegleiter*innen seiner Mutter über ihre Zeit bei DT64, dem Jugendradiosender der DDR, mit Musikern und Fans, die damals dabei waren beim ersten Deutschlandauftritt der Stones in der Münsterlandhalle.

Bei der Suche nach der Wahrheit wird natürlich einiges charmant zurechtgebogen. Im Vorbeigehen entsteht aber auch eine Geschichte der Rockmusik in der DDR. Gespräche mit Flake von Rammstein, Liedermacher Hartmut König oder City-Frontmann

Toni Krahl vermitteln ein Gefühl dafür, wie es war, jung und rebellisch zu sein in der sozialistischen Republik. Die Idee für das Mockumentary hatte die Dokumentarfilm-Regisseurin und Drehbuchautorin Heike Fink (EISHEIMAT). Sie trat auf Comedian Olaf Schubert zu, und der war vom Fleck weg begeistert. Sein Improvisationstalent trägt die fiktiv-filmische Selbstfindung auch über einige Momente Leerlauf hinweg. OLAF JAGGER eröffnete die Hofer Filmtage, wo die Regisseurin mit dem „Förderpreis Neues Deutsches Kino“ ausgezeichnet wurde und den Preis der Kritik erhielt. D Lars Tunçay

¢ Start am 6.4.2023

Comedian Olaf Schubert finds out that his mother, a former radio journalist in the GDR, might have had an affair with Mick Jagger. Now he believes he is Jagger’s son. A mockumentary.

Originaltitel: En plein feu D Frankreich/Belgien 2023 D 86 min D R: Quentin

Reynaud D K: Vincent Mathias D S: Jean-Baptiste Beaudoin D M: Delphine Malaussena D D: André Dussollier,

THE BLAzE

Existenzielle Höllenfahrt

Quentin Renauds EN PLEIN FEU, international THE BLAZE, übernimmt Elemente klassischer Katastrophenfilme: Vor dem Hintergrund unmittelbarer Gefahr müssen bestehende Konflikte gelöst werden, hier die zwischen zwei Generationen von Vätern und Söhnen. Aber diese Konflikte bleiben in THE BLAZE skizzenhaft. Es wird klar, dass Simon (Alex Lutz), die Hauptfigur, von seinem selbstsicheren Vater Joseph (André Dussollier) genervt ist, und dass er einen tiefergehenden Konflikt mit seinem Sohn Samuel hat, mit dem er kaum redet, und der im Film vor allem abwesend ist. Es ist auch klar, dass Simons Tochter tot ist, und dass ihr Tod etwas mit dem Verhältnis zwischen Simon und Samuel zu tun hat. Mehr wird nicht erklärt.

Während ein Waldbrand näher kommt, hilft Simon seinem Vater Joseph bei der angeordneten Evakuierung. Im Auto geraten sie in einen Stau, während die Feuerwalze heranrollt. Die Temperatur steigt an, es wird schwerer zu atmen. Als die Männer sich damit abgefunden haben, im Feuer ums Leben zu kommen, und bereits brennende Trümmer sehen, wagen sie doch noch einen verzweifelten Fluchtversuch. Sie stolpern orientierungslos durch eine surreale Landschaft. Begegnungen mit hilflos fliehenden Feuerwehrmännern und einer schwangeren Frau wirken flüchtig und abrupt wie schlimme Träume. THE BLAZE ist für einen klassischen Katastrophenfilm zu arm an Action und auch nicht realistisch genug. Simon erlebt immer wieder Flashbacks zu glücklichen und traumatischen Momenten. Seine Flucht vor dem Feuer ist eine existentielle Höllenfahrt, während der sich etwas klärt, aber ob die Rettung real oder seelisch ist, bleibt unklar. Ein seltsamer Film, der sich zwischen Thriller und surreal-existentialistischem Drama nicht klar entscheiden kann oder will. D Tom Dorow ¢ Start am 30.3.2023

As the forest fire keeps getting closer, Simon helps his father with the mandated evacuation. There’s a traffic jam when they’re in the car while the fire wave gets closer. What starts off as a thriller increasingly becomes a journey to a special intermediate world.

D 36 D APRIL 2023 IN DIEKRITIKEN TERmINE uNTER www.INdIEKINo.dE
Alex Lutz, Sophie Parel D V: STUDIOCANAL Deutschland 2023 D 95 min D R: Heike Fink D B: Heike Fink D K: Hajo Schomerus D S: Henk Drees D M: Dürbeck & Dohmen D D: Olaf Schubert D V: Neue Visionen Filmverleih Lebender Pullunder

HAPPy 50

Yves (Lambert Wilson) wird 50 und hatte eigentlich vor, alle seine Freunde nach Paros in Griechenland einzuladen. Dann allerdings gibt es ein Problem mit den Flugtickets, und Yves muss kurzfristig umdisponieren: Die große Glamour-Party findet jetzt im Ferienhaus der Familie in der sehr verregneten Bretagne statt und verspricht, ein Desaster zu werden. Ohne Ausweichmöglichkeiten und dank zu viel Alkohol packen die Freund*innen langgehegte Ressentiments aus, und ein Familiengeheimnis kommt auch ans Licht.

¢ Start am 20.4.2023

Originaltitel: Plancha D Frankreich 2022 D 100 min D R: Eric Lavaine D D: Lambert Wilson, Franck Dubosc, Guillaume de Tonquédec

CHAMPIONS

Nachdem der abgehalfterte Jugendliga-Basketballcoach Markus (Woody Harrelson) betrunken am Steuer erwischt wurde, muss er 90 Tage Sozialarbeit ableisten und ein Team von Teenagern mit Lernbehinderung trainieren. Zunächst sträubt er sich mit Händen und Füßen, dann wachsen ihm der Tierliebhaber Johnny, das wandelnde Lexikon Darius, „Showtime“, der noch nie einen Korb getroffen hat, und die anderen Kids dem Genre entsprechend doch ans Herz. Remake des spanischen Films CAMPEONES (2018) von Javier Fesser.

¢ Start am 27.4.2023

USA 2023 D 124 min D R: Bobby Farrelly D D: Woody Harrelson, Ernie Hudson, Cheech Marin, Matt Cook, Kaitlin Olson, Madison Tevlin

ADÈLE”UMWERFEND...EXARCHOPOULOS

IST EINE WAHRE NATURGEWALT“

THE PLAYLIST

AB 13. APRIL IM KINO EIN FILM VON LÉA MYSIUS MIT ADÈLE EXARCHOPOULOS
”EINE BETÖRENDE, MAGISCH-REALISTISCHE COMING-OF-AGE-GESCHICHTE...“ SIGHT & SOUND
mubi.com/thefivedevils

NeNeh SuperStar

An der Prinzessinnenschule

Dass Neneh (Oumy Bruni Garrel) sich zu hundert Prozent auf ihren Vater verlassen kann, sieht man sofort. Während die Zwölfjährige auf dem Weg zum Vortanzen schon mal ihre Choreo hüpft, trägt Papa ruhig und besonnen wie ein großer Bär den Sportbeutel hinterher. Er glaubt an Neneh, ermutigt sie, sich den Traum von der Primaballerina zuzutrauen und richtet sie wieder auf, wenn alles zu viel wird. Und das wird es schon bald, denn Neneh wird zwar an der renommierten Pariser Ballettschule angenommen, die ist aber, wie ihre Spielplatzfreundinnen sagen, „eine Prinzessinnenschule für weiße Prinzessinnen.“ Als Schwarzes Mädchen aus den Vorstädten fällt Neneh auf. Die meisten hier kommen aus den Arrondissements mit den niedrigen Nummern, haben schon im Kindergartenalter Privatunterricht bekommen und bereits erfolgreich an Wettbewerben teilgenommen. Einige Lehrer*innen legen Neneh Steine in den Weg, vor allem die Leiterin des Ensembles, Marianne Belage (Maïwenn), die die „weiße Tradition“ des Balletts bewahren möchte, obwohl sie, wie sich später herausstellt, selbst einst zu den Outsidern gehörte. Dass Neneh vor Energie sprüht und gerne lautstark ihre Meinung verkündet, macht sie bei

den anderen Mädchen ihrer Klasse nicht unbedingt beliebter, und als sie sich gegen Mobbing wehrt, eskaliert die Lage. Die Eltern werden einbestellt, Rauswurf droht. NENEH SUPERSTAR erzählt mit Schwung, viel Musik und einer unaufhaltsamen Hauptdarstellerin, wie Neneh sich in der Ballettwelt durchboxt. Dabei geht es dank des herausragenden Drehbuchs von Regisseur und Autor Ramzi Ben Sliman ziemlich realistisch zu: Um gegen strukturellen Rassismus anzukommen, braucht es nicht nur einen Superstar wie Neneh, sondern auch Glück, liebevolle Unterstützung daheim und Verbündete, die einem im entscheidenden Moment den Rücken stärken. D

¢ Start am 6.4.2023

Termine unTer www.indiekino.de D 38 D APRIL 2023
With vigor and a lot of music, NENEH SUPERSTAR portrays the inexorable protagonist, a girl from the suburbs, as she fights her way through the Parisian ballet world. Frankreich 2022 D 97 min, FSK: 6 D R: Ramzi Ben Sliman D K: Antony Diaz D S: Basile Belkhiri D M: Jean-Bohémond Leguay D D: Oumy Bruni Garrel, Maïwenn, Aïssa Maïga, Steve Tientcheu, Cédric Kahn D V: Weltkino
IN DIEKINdEr

Himbeeren mit Senf

Meeri kann fliegen

Meeris (Leni Deschner, ALFONS ZITTERBACKE – ENDLICH KLASSENFAHRT!) und Luks (Benedikt Jenke) Vater Ernst Ehrlich (Luc Schiltz) ist Witwer und betreibt im Wohnhaus der Familie ein kleines Beerdigungsinstitut. Die 13-jährige Meeri nutzt den ungewöhnlichen Beruf ihres Vaters, um den Verstorbenen Briefe an ihre tote Mutter, die sie sehr vermisst, in den Sarg zu legen. Wenn sie an den drei Jahre älteren Rocco (Jonas Kaufmann) denkt, schlägt Meeris Herz höher. Und da die Liebe nicht nur sprichwörtlich Flügel verleiht, geschieht bei einem Treffen mit Rocco im Klettergarten Magisches: Meeri hebt ab – und fliegt! Schnell landet sie jedoch wieder auf dem Boden der Tatsachen, denn Rocco zeigt kaum Interesse an ihr – und dann ist da auch noch Charlotte (Fabienne Hollwege), die von einem anderen Mann hochschwangere neue Freundin ihres Vaters.

In HIMBEEREN MIT SENF nimmt Regisseurin Ruth Olshan, die mit Co-Autorin Heike Fink auch das Drehbuch verfasste, Themen wie die erste Liebe, Trauer um Menschen (und Hühner), eine mobbende Jungsclique und einen frisch verliebten Vater in den Blick. Daneben geht es um Geschlechtergerechtigkeit, denn Meeris forsche beste Freundin Klara (Sophie Zeniti) möchte gegen alle Widerstände katholische Pfarrerin werden. Ein märchenhaft-fantastisches Element bekommt der während der Pandemie in dörflicher Idylle in Luxemburg gedrehte Film durch Meeris neu gewonnene Flugfähigkeit. Manche der vielen Handlungsstränge der Geschichte gehen wenig in die Tiefe. Dennoch ist HIMBEEREN MIT SENF, dessen Titel auf die gleichzeitige Süße und Schärfe des Lebens anspielt, eine warmherzige, humorvoll-leichtfüßige Geschichte über eine starke Teenagerin, die fliegen kann und trotzdem nicht die Bodenhaftung verliert. D Stefanie Borowsky

¢ Start am 20.4.2023

Meerie can fly because love gives you wings. However, her beloved Rocco isn’t really interested. Furthermore, her father is looking for a new wilfe, and her little brother is in trouble with bicycle rockers.

One In A MIllIOn

Fan und Idol

Soziale Medien wie Instagram, YouTube oder TikTok nutzen viele Jugendliche täglich. Die introvertierte Teenagerin Yara aus Schleswig-Holstein hat auf YouTube ihr großes Vorbild gefunden: Whitney Bjerken, eine erfolgreiche gleichaltrige Leistungsturnerin aus Georgia in den USA, die Videos über ihr Leben als Turnerin dreht und damit mehr als eine Million Abonnent*innen erreicht.

Filmemacherin Joya Thome (KÖNIGIN VON NIENDORF, LAURAS STERN) erzählt in ihrem ersten Dokumentar-Langfilm über mehrere Jahre hinweg parallel von beiden Mädchen, die vor der Kamera erwachsen(er) werden.

Während Whitney in den USA hart trainiert und nebenbei ihre eigenen Songs schreibt, die sie auf dem Klavier oder der Gitarre begleitet, turnt Yara aus Neumünster in einem Showakrobatikverein und betreibt auf Instagram einen Fanaccount für Whitney, auf dem sie Fotocollagen von ihr veröffentlicht. Nehmen Yara und Whitney zu Beginn vor allem die Rollen des Fans und des Idols ein, so blättert Joya Thome immer mehr Facetten der beiden Mädchen auf. Whitney, die in ihren Videos fröhlich und optimistisch wirkt, entdeckt eine traurige, einsame Seite an sich und macht sich Gedanken um das Bild, das ihre Zuschauer*innen sich von ihr machen. Yara, die sich aus Schüchternheit ungern im Unterricht meldet, bekommt immer mehr Selbstbewusstsein und outet sich als lesbisch. Beide Protagonistinnen erleben vor der Kamera intime Momente mit ihren Familien und Freund*innen, sprechen über Zukunftsträume – und entwickeln sich weiter.

Joya Thome, 1990 als Tochter des Regisseurs Rudolf Thome geboren, gelingt mit ONE IN A MILLION ein einfühlsames und persönliches Coming-of-Age-Porträt zweier Teenagerinnen aus zwei Ländern, die mehr gemeinsam haben, als es zunächst scheint.

D Stefanie Borowsky ¢ Start am 20.4.2023

Termine unTer www.indiekino.de APRIL 2023 D 39 D IN DIEKINdEr
US-American YouTuber and songwriter Witney comes into contact with her German fan Yara because of their shared passion for gymnastics. Deutschland 2023 D 90 min, FSK: 6 D R: Ruth Olshan D B: Heike Fink, Ruth Olshan D K: Michael Saxer D M: Helge Slikker D D: Leni Deschner, Luc Schlitz, Benedikt Jenke, Inge Maux Deutschland 2022 D 84 min, FSK : 0 D R: Joya Thome D K: Lydia Richter D S: Jamin Benazzouz D M: Philipp Milner D V: UCM.One
IN DIEKINOHIGHLIGHTS D 40 D APRIL 2023

aCHTUNG BERLIN FILMFESTIVaL

Das achtung berlin Filmfestival präsentiert Filme aus Berlin und Brandenburg und hat dieses Jahr Umweltschutz und Nachhaltigkeit als Querschnittsthema, das alle Sektionen durchzieht. Im Wettbewerb konkurrieren zehn Langfilm-Produktionen, allesamt mindestens Berlin-Premieren, um die new berlin film awards: Im Eröffnungsfilm VAMOS A LA PLAYA von Bettina Blümner reisen die privilegierten Twens Benjamin, Katharina und Judith nach Kuba (siehe auch Filmbesprechung auf Seite 28). In ALASKA flüchtet sich Kerstin mit ihrem roten DDR-Kajak auf die Mecklenburgische Seenplatte. Beim Besuch im Elternhaus stellt sich TAMARA ihrer Herkunft aus einem Land, das sie selbst nicht kennengelernt hat. Johanna und Thomas fahren in STUMM VOR SCHRECK aufs Land und haben sich nicht viel zu sagen. In MONOLITH schlägt sich Samir durchs nächtliche Berlin, auf der Suche nach der Lösung für eine Aufgabe, die er nicht kennt. Lana beobachtet in 153 METER mit ihrer Videokamera eine junge Frau im gegenüberliegenden Wohnblock. Tristan verliebt sich in LASVEGAS in Travestiekünstler Sunny. Bei der Vertonung eines Tierwerbespots vertieft sich Eva in PIAFFE so in ihre Arbeit, dass ihr ein Pferdeschweif wächst. In FRANKY FIVE STAR materialisiert sich Frankys Innenleben als vielstimmiges Hotelpersonal, in SPRICH MIT MIR eskalieren Mutter-Tochter-Konflikte im Urlaub, und in GERANIEN setzt Nina sich mit ihrem Verhältnis zu ihrem kleinstädtischen Elternhaus auseinander.

Der Dokumentarfilmwettbewerb ist deutlich internationaler ausgerichtet, so zeichnet THE HOMES WE CARRY beispielsweise das Porträt einer Familie zwischen Deutschland, Mosambik und Südafrika, in dessen Zentrum die afrodeutsche Sarah steht. DREI FRAUEN handelt vom entbehrungsreichen Leben im abgeschiedenen ukrainischen Dorf Stutschyzia in den Karpaten, wo 2019, im Jahr von Selenskyjs Wahlerfolg, kaum noch junge Menschen leben. Die Retrospektive unternimmt eine Reise ins späte 20ste Jahrhundert und untersucht, wie das Thema Umweltschutz im späten DEFA-Film verhandelt wurde.

Spielorte: Acud Kino, Babylon, City Kino Wedding, Colosseum, fsk Kino am Oranienplatz, Lichtblick-Kino, Klick Kino, Wolf Kino und Filmtheater Union in Fürstenwalde. achtungberlin.de ¢ 12.–19.4.

aPRIL 2023 D 41 D
IN DIEKINOHIGHLIGHTS
Alaska

Jean-Paul Salomé begann seine Filmkarriere als Kameraassistent bei Claude Lelouch und drehte ab 1982 zunächst mehrere Dokumentarfilme, bevor er 1993 mit LES BRAQUEUSES seinen ersten Spielfilm realisierte. In Deutschland war zuerst 2020 ein Film von Salomé im Kino zu sehen: In der Komödie EINE FRAU MIT BERAUSCHENDEN TALENTEN (2020) spielt Isabelle Huppert die Übersetzerin Patience Portefeux, die eigentlich für die Polizei arbeitet, aber dann selbst in den Drogenhandel einsteigt. DIE GEWERKSCHAFTERIN drehte Salomé erneut mit Isabelle Huppert zusammen.

Thomas Abeltshauser hat sich mit Jean-Paul Salomé über DIE GEWERKSCHAFTERIN unterhalten.

INDIEKINO: Ihr Film basiert auf einem realen Fall, den Caroline Michel-Aguirre in dem Buch „La Syndicaliste“ aufgearbeitet hat.

Maureen Kearney setzte sich als Gewerkschafterin für den Erhalt tausender Arbeitsplätze eines Atomkraftkonzerns ein und wurde Opfer einer bis heute ungeklärten Attacke. Was hat Sie daran gereizt?

Jean-Paul Salomé: Tatsächlich fing es mit einem Tweet an, der in meiner Timeline auftauchte, in dem das Buch erwähnt wurde. Bei mir löste das gleich Neugier aus, ich wollte unbedingt mehr erfahren und besorgte mir den Band. Es ist das Ergebnis einer investigativen Recherche, die Autorin ist eine Journalistin. Die Geschichte war hochinteressant und dabei einer breiteren Öffentlichkeit kaum bekannt. Auch ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt nichts davon gehört. Maureen Kearney ist eine Whistleblowerin, dabei untypisch und ganz anders als die anderen. Als Gewerkschafterin war sie nicht nur beruflich großem Druck ausgesetzt,

sie wurde auch Opfer sexualisierter Gewalt, und das in ihrem eigenen Haus.

Sie zeichnen Sie dabei als höchst ambivalente Figur, die schwer zu durchschauen ist. Inwieweit beruht das auf der Vorlage oder eigenen Recherchen?

Die Untersuchung hatte nichts Widersprüchliches, sie gibt die trockenen Fakten der Ereignisse wieder. Aber das war gar nicht, was mich interessierte. Ich hatte für die Rolle gleich an Isabelle Huppert gedacht, weil ich Ähnlichkeiten erkannte. Sie sagte sofort zu, obwohl noch gar kein Drehbuch existierte. Durch sie konnte ich diese Ambiguität transportieren, die Maureen bei den Männern in ihrem Umfeld auslöste. Diese Männer wollte ich nicht als Karikaturen zeigen. Und um ihr Verhalten und ihren Blick auf sie plausibel zu machen, musste sie etwas haben, aus dem sie nicht ganz schlau wurden. Dadurch versetze ich auch

D 42 D aPRIL 2023 IN DIEFEaTURE

das Publikum in die Lage der Männer und spiele mit unbewussten Vorurteilen.

Wie gingen Sie dabei vor?

Im Buch wird zum Beispiel nüchtern beschrieben, wie Maureen beim Verhör bekennt, schuldig zu sein, und danach ins Auto steigt und in die Nacht hinausfährt. Mich interessierte aber, was in diesem Moment in ihrem Inneren vorgeht, ihre Emotionen. Warum tut sie das? Und wo fährt sie hin? Ich wollte verstehen, was sie in solchen Momenten empfunden hat, was ihr Mann und ihre Tochter durchgemacht haben. Ich habe diese Lücken, die das Buch auslässt, ausgemalt.

Welche Verantwortung haben Sie dabei als Filmemacher? Gab es Kontakt zu Maureen Kearney?

Den gab es, und ich habe ihr erklärt, dass der Film meine Vision ihrer Geschichte sein würde. Dass ich Situationen und Szenen erfinden würde, vor allem innerhalb der Familie, die aber auf dem basieren, wie wir sie wahrnehmen. Damit war sie einverstanden, wenn sie das Drehbuch vorab zu lesen bekam. Das war der Deal. Andere Szenen sind sehr authentisch, der Prozess etwa fast Wort

Dies ist nach der Krimikomödie EINE FRAU MIT BERAUSCHENDEN TALENTEN der zweite Film, in dem Sie Isabelle Huppert in der Hauptrolle besetzen. Wie arbeiten Sie zusammen?

Es funktioniert nur durch großes Vertrauen auf beiden Seiten. Am letzten Drehtag unseres ersten Projekts sagte sie mir, sie wolle so schnell wie möglich noch einen Film mit mir machen. Wie könnte ich da nein sagen? Als Regisseur mit Isabelle Huppert zu arbeiten, ist eine sehr intensive Erfahrung, die ich mit keiner anderen Schauspielerin vergleichen kann. Als ich ihr das Buch zu lesen gab, forderte sie mich auf, daraus ein Drehbuch für sie zu entwickeln. Als Arbeitsgrundlage war es ein großes Geschenk, ihr diese Rolle auf den Leib zu schreiben. Die Vorbereitungen mit ihr sind besonders, weil sie die Szenen nicht proben will. Stattdessen haben wir lange Gespräche geführt und zusammen das Äußere der Rolle kreiert, die Kostüme, die blonde, stets akkurate Frisur, die Brille, das Make Up. All das funktionierte als eine Art Rüstung, unter der Isabelle ihre ganz eigene, ambivalente Figur entstehen lassen konnte.

Inwieweit ist Maureen Kearneys Fall symptomatisch für die Misogynie, mit der Frauen in Machtpositionen konfrontiert sind? Und sehen Sie Anzeichen, dass sich gerade etwas ändert in der französischen Gesellschaft?

„SIE IST EINE STaRKE, INTELLIGENTE UND HaRTNÄCKIGE FRaU aUS DER aRBEITERKLaSSE“

Interview mit Jean-Paul Salomé über DIE GEWERKSCHAFTERIN

für Wort. Und wir drehten an Originalschauplätzen, im Krankenhaus und Gericht, wo einige ehemalige Mitarbeiter der Firma sogar als Statisten auftraten.

Warum hatte Ihrer Ansicht nach der Fall vor Erscheinen des Buches für so wenig Aufsehen gesorgt?

Es hatte ein paar Zeitungsartikel gegeben, aber die meisten Medien sind nie darauf angesprungen, und es verebbte dann schnell wieder. Ich vermute, das hatte auch politische Gründe, weil die Linke und die Rechte gleichermaßen involviert waren. Es begann, als Sarkozy an der Macht war, also die Konservativen, und zog sich hin, als der Sozialist Holland Präsident wurde. Kein Lager konnte die Geschichte nutzen, um den Gegner dafür verantwortlich zu machen und durch einen Skandal zu schädigen. Und so sprach und schrieb kaum jemand darüber.

Was wir im Film zeigen, fand 2012 statt. Das wirkt in Vielem wie eine andere Ära, heute sind wir sicherlich sensibilisierter. Aber ich fand es wichtig, an diese Zeit zu erinnern, es ist noch nicht so lange her. Aber ich sehe ihren Fall auch vielschichtiger. Maureen würde sich selbst nicht als Feministin bezeichnen. Sie ist eine Gewerkschafterin und sie kämpft für Arbeiter und Arbeiterinnen und den Erhalt von Jobs. Sie empfindet die Gewalttat vor allem auch als Angriff auf ihre berufliche Glaubwürdigkeit. Aber sie gibt nicht auf, sie kämpft weiter. Es ist nicht nur ungewöhnlich, dass eine Frau Gewerkschaftsführerin ist, sondern sie gehört auch einer anderen sozialen Schicht an, als die Manager und Politiker, mit denen sie zu tun hat. Anders als diese Männer in führenden Positionen war sie auf keiner der Eliteuniversitäten. Sie ist eine starke, intelligente und hartnäckige Frau aus der Arbeiterklasse, die es mit den Mächtigen aufnahm. Und dafür hat sie einen hohen Preis bezahlt.

IN DIEFEATURE aPRIL 2023 D 43 D
D Das Gespräch führte Thomas Abeltshauser

ÜBER UNS Das INDIEKINO MAGAZIN erscheint alle ein bis zwei Monate und bietet einen Überblick über Neustarts, Festivals und Wiederaufführungen. Unser Herz gehört dem unabhängigen Film und dem unabhängigen Kino.

KINOS

Alpirsbach: Subiaco Kino

Bad Driburg: Kino Bad Driburg

Bad Füssing: Filmgalerie

Bamberg: Lichtspiel & Odeon

Berlin: Acud Kino, b-ware!ladenkino,

Bali Kino, Brotfabrik Kino, Bundesplatz

Kino, City Kino Wedding, Eva-Lichtspiele, filmkunst66, Filmrauschpalast, FLB

Weissensee, FLK Insel, fsk-Kino, Hackesche Höfe Kino, Hofkino, Il Kino, Intimes, Kino im Planetarium, Krokodil, Mobile

Kino, Sputnik Kino, Tilsiter Lichtspiele, Union Filmtheater, Wolf Kino, Xenon Kino, Z-inema, Zukunft

Bielefeld: Lichtwerk im Ravensberger

Park, Kamera Filmkunsttheater

Bochum: endstation.kino, Casablanca

Bonn: Rex Filmtheater, Neue Filmbühne, Kino in der Brotfabrik

Bremen: Atlantis Filmtheater, Gondel

Filmtheater, Schauburg

Brühl: ZOOM Kino

Burg auf Fehmarn: Burg Filmtheater

Chemnitz: Kino Metropol Chemnitz

Dießen am Ammersee: Kinowelt am

Ammersee

Dortmund: Schauburg, SweetSixteen

Dresden: Filmgalerie Phase IV

Düsseldorf: Buchhandlung BiBaBuze, localbook.shop

Duisburg: Filmforum

Enkenbach-Alsenborn: Provinz

Programmkino

Erfurt: Kinoclub Erfurt, Rotzfrech Cinema

Erlangen: E-Werk

Essen: Essener Filmkunsttheater

Esslingen: Kommunales Kino

Frankfurt: Mal Seh’n Kino

Freudenstadt: Subiaco Kino im Kurhaus

Fellbach: Orfeo-Programmkino

Fürstenfeldbruck: Lichtspielhaus

Fürstenfeldbruck

Fürstenwalde: Union

Gießen: Kinocenter Gießen

Göttingen: Lumiere, Meliès

Halle: Luchs Kino am Zoo, Puschkino

Hachenburg: Cinexx

Hamburg: 3001 Kino, B-Movie, Elbe

Theater, Filmraum, Die Koralle, StudioKino, Blankeneser Kino, Zeise Kinos

Heidelberg: Gloria Filmtheater

Heilbronn: Kinostar-Arthaus

Hillesheim: Eifel-Film-Bühne

Hemsbach: Brennessel

Immenstadt: Union Filmtheater

Kaiserslautern: Union-Studio für

Filmkunst

Karlsruhe: Schauburg

Kassel: Bali, Gloria, Filmladen

Kiel: Traumkino

Kirchberg: Kino Klappe

Koblenz: Apollo & Odeon

Köln: Filmpalette, Filmhaus, Lichtspiele

Kalk, Odeon Kino, OFF Broadway, Weisshaus Kino

Leverkusen: Scala

Lich: Kino Traumstern

Ludwigsburg: Caligari Kino, Luna

Sie

Ludwigslust: Luna Filmtheater

Lüneburg: Scala Programmkino

Mainz: Capitol & Palatin

München: Arena Filmtheater, Monopol

Kino, Neues Maxim, Rio Filmpalast

Münster: Cinema Münster

Neitersen: Wied-Scala

Neuss: Hitch

Nürnberg: Casablanca Filmkunsttheater

Oberhausen: Kino im Walzenlager

Oberstdorf: Kur-Filmtehater

Ochsenfurt: Casablanca Kino

Oldenburg: cine k

Pforzheim: Cineplex Pforzheim, Kommunales Kino, Rex Filmpalast

Plön: Astra Filmtheater

Ratingen: Kino 1+2

Rendsburg: Schauburg, Koki

Reutlingen: Kamino

Rottenburg: Kino im Waldhorn

Rottweil: Central Kino

Schneverdingen: Lichtspiel

Schneverdingen

Schramberg: Subiaco Kino

Schwäbisch-Gmünd: Brazil Kino

Soest: Schlachthof Kino

Templin: Multikulturelles Centrum

Titisee-Neustadt: Krone Theater

Tübingen: Arsenal, Atelier

Weimar: Kommunales Kino im Mon Ami

Weinheim: Modernes Theater

Zollhaus/Hahnstätten: Kreml Kulturhaus

aBONNEMENT Sie können das INDIEKINO MAGAZIN per Post direkt nach Hause bekommen. Eine Bestellung ist online möglich: www.indiekino-shop.de

IMPRESSUM

Herausgeber:

INDIEKINO BERLIN UG (haftungsbeschränkt)

Rudolfstr. 11, 10245 Berlin

Telefon: 030 – 209 897 24, info@indiekino.de, www.indiekino.de

Geschäftsführung: Hendrike Bake

Redaktion: Hendrike Bake, Thomas Dorow redaktion@indiekino.de

Filmtexte: Hendrike Bake, Yorick Berta, Stefanie Borowsky, Tom Dorow, Pamela Jahn, Christian Klose, Clarissa Lempp, Elinor Lewy, Michael Meyns, Toni Ohms, Anna Stemmler, Susanne Stern, Eva Szulkowski, Lars Tunçay

Texte Kinohighlights: INDIEKINO MAGAZIN und Kinos

Bildnachweis:

Filmbilder/Plakatmotive: Filmverleiher/Filmfestivals

Lob der Charge (S. 9): Zeughauskino/DHM

Grafik: Michael Zettler, Nora Wiesner (Zett Media)

Akquise/Marketing: Hendrike Bake, info@indiekino.de

Druck: Bonifatius Druck, Paderborn

Auflage: 25.000

Eine Gewähr für die Richtigkeit der Termine kann nicht übernommen werden. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Ein Nachdruck ist nur mit Genehmigung von Redaktion und Autor und mit Quellenangabe gestattet. Für unverlangt eingesandtes Textmaterial wird keine Haftung übernommen.

D 44 D aPRIL 2023 IN DIESERVICE
möchten das INDIEKINO MAGAZIN in Ihrem Kino auslegen? Wir beliefern Sie gerne kostenfrei. Sprechen Sie uns an: Telefon 0178-8840202, Mail: info@indiekino.de
Das INDIEKINO MAGAZIN ist bundesweit in folgenden Kinos erhältlich:

Makoto Shinkais Animationsfilme handeln von großen Gefühlen, es geht um Leben und Tod, Trauerbewältigung, erste Liebe und den drohenden Weltuntergang. Mindestens ebenso schön ist aber die Fülle von Einfällen und kleinen Details, die YOUR NAME oder aktuell SUZUME zu einzigartigen, bewohnbaren Welten machen. In SUZUME gibt es beispielsweise einen kleinen gelben Kinderhocker, der mit auf Abenteuerreise geht. Die Kunst des Film ist es, den kleinen Hocker zu beseelen, ganz ohne ihm eine Mimik zu geben. Die Traglöcher der Rückenlehne erinnern an Augen, aber ihr Ausdruck ist immer gleich. Nichtsdestotrotz ist der kleine Hocker eine der wichtigsten und lebendigsten Figuren im SUZUME-Universum.

NaCHBILD

VORSCHaU

INDIEKINO IM MaI & JUNI

D 46 D aPRIL 2023 D MEDUSa DELUXE Friseur-Mystery D aLL THE BEaUTY aND THE BLOODSHED Nan Goldin vs Pharma D DaS LEHRERZIMMER Eine Schule eskaliert D DIE GESCHICHTE VOM HOLZFÄLLER Scandi-Noir-Comedy D MUSIC Schanelec auf Umwegen D MEDITERRaNEaN FEVER Beste Nachbarn D BEaU IS aFRaID Neues von Ari Aster D SPOILER aLERT Liebe und Abschied D DIE LINIE Abstand halten D a THOUSaND aND ONE Arm in New York D RENFIELD Draculas Diener D FUCKING BORNHOLM Campingstress D DIE NaCHBaRN VON OBEN Haben mehr Sex D PEaRL Ti West und Mia Goth D DaS RÄTSEL Geleakte Übersetzung D NOSTaLGIa Zurück in Neapel D DIE PURPURSEGEL Kinderträume D THE SCaRS OF aLI BOULaLa Skater-Porträt D 20.000 aRTEN VON BIENEN Trans Kid D MIYaMa – KYOTO PREFECTURE Wahljapaner D TRENQUE LaUQUEN Eine Frau verschwindet
Förderer
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.