HetG-Magazin 3/2014

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hotellerie gastronomie maga zin gastronomie maga zin 20 14 20 13

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Da s s chwei zer Br a nchen ma ga z i n Da sseit s chwei 1898zer Br a nchen ma ga z i n seit 1898 Ko chkunst Tafels er vice Ko chkunst Technologie Tafels er vice Technologie do d o s sier s chWneid a lwerk d


Hausbäcker der Schweizer Gastronomie. Romer’s Backkunst hat vierzig Jahre Tradition – Sie schaffen schaffen das in wenigen Minuten. Mit unseren hochwertigen, in der Schweiz hergestellten Backwaren. Wir produzieren über 200 Sorten in verschiedenen Fertigungsstufen und liefern in den hintersten Winkel der Schweiz. Damit Sie zu jeder Tageszeit ofenfrische, salzige oder süsse Backwaren in bester Bäckerqualität servieren können. Nebst Hotels, Restaurants und Cafés bedient Romer’s auch andere Unternehmen mit vielen Essern. Rufen Sie uns an unter Telefon 055 293 36 36 oder besuchen Sie www.romers.ch.


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editorial

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maga zin Produkte und Legenden im Schaufenster

alles für... ... die Wildsaison

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mürner’s corner Zwetschgen­Quark­Streusel

Weinreport Alles über pilzwiderstands­ fähige Rebsorten

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bits & bytes Multimediale Mitarbeiterschulung

e x pat Johnny Mathis über sein Leben als Hotelier in Shanghai

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c av e Wie muss eine Etikette gestaltet sein, damit sie ins Auge sticht?

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essig Nicht nur gut als Salatdressing

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die besten rezepte Christian Geislers ambitiöse Küche im Restaurant «Der Kunsthof» in Uznach SG

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WettbeWerb & impressum Ein Essen für zwei im Grand Hotel National in Luzern zu gewinnen

14 bis 57

dos s ie r Wa ld Die fast vergessene Vorratskammer

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bartheke Bernhard Stöhr – ein Barkeeper der alten Schule in Baiersbronn

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intervieW Christof Lehmann über die Neuausrichtung des Kochwett­ bewerbs «Goldener Koch»

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i n t e r n at i o n a l Stefano Baiocco, der Kochstar aus Gargnano (Italien)

dossier

Wa l d die 43-seitige akte mit Berichten über den schweizer wald vor 100 Jahren, seltene Pilze und fast vergessene Pflanzen, das auflebende handwerk des köhlerns und über fasan und feldhase, delikatessen-Bücher und einen ausblick, wie sich der schweizer wald in Zukunft verändern wird.

titelbild: Filipa Peixeiro

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Die seit Januar 2013 amtierende «Aargauer Kochgilde AKG» als offizielle Schweizer Kochnationalmannschaft des Schweizer Kochverbandes.

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editOriaL

sehr geehrte leserinnen und leser die tatsache, dass der waldbestand weltweit seit Jahrzehnten rasant zurückgeht, dürfte sie, verehrte leserinnen und leser, kaum mehr aus den socken hauen. ganz anders – und das mag doch den einen oder anderen überraschen – sieht die entwicklung hierzulande aus. Vor allem im alpenraum und in der südschweiz eroberte sich der wald in den vergangenen Jahren eine beträchtliche fläche zurück. dabei handelt es sich in erster linie um einst landwirtschaftlich intensiv genutzten Boden, der nun aus wirtschaftlichen gründen aufgegeben worden ist. der schweizer wald wächst. grund genug also, ihn wieder neu zu entdecken, nicht nur als wander- und Bikerrevier, sondern auch als natürliche speise- und Vorratskammer – so wie vor mehr als 100 Jahren, als nichts im wald liegen blieb, nicht nur wild gejagt und Beeren gesammelt, sondern auch heilpflanzen für die hausapotheke, kiefernzapfen fürs feuermachen, eichenrinden zum gerben von leder und laub als füllung von leinensäcken genutzt worden sind. in dieser ausgabe wollen wir ihnen den wald mit seiner fülle an Produkten wieder im wahrsten sinne des worts schmackhaft machen. entdecken sie für ihre küche kaum bekannte Pflanzen, Pilze und holzkohle aus heimischer Produktion. oder wie wäre es mal mit einem fasan oder feldhasen auf ihrer wildkarte?

Jörg ruppelt, chefredakteur magazine

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Mahlzeiten

für einen Riesenflieger

16,66 kg Rahm 39 kg Joghurt 40 kg Poulet 24 kg Rindsfilet 16 kg Teigwaren 22 kg Reis 232 Würste 463 Crevetten 1.200 Brötchen 156 Pralinen

- die legende -

200 Dosen (0,33 l) Bier 70 Flaschen (0,5 l) Mineralwasser 12 Flaschen (0,75 l) Champagner 50 Flaschen (1,5 l) Mineralwasser 486 Wolldecken Der Airbus A 380 ist das grösste Passagierflugzeug der Welt. Mit maximal 530 Passagieren an Bord fliegt der Superjet bis zu 15.200 Kilometer weit. Von der Schweiz aus lässt sich so jeder Ort auf der Welt anfliegen, ohne einen einzigen Tankstopp. Apropos Tank. Der A 380 kann bis zu 300.000 Liter Kerosin bunkern. Um diese Menge herbeizukarren, braucht es sechs Tanklastwagen. Dabei ist der Riesenflieger alles andere als ein Schluckspecht. Bei voller Bestuhlung verbraucht der Jet pro Passagier weniger als zwei Liter Kerosin. In Zürich landen und starten täglich zwei A 380-Maschinen. Für ausreichend Essen und Getränke sorgt Caterer Gate Gourmet, der in ZürichKloten über eine Grossküche verfügt und nach Wunsch der Fluggesellschaften warme und kalte Speisen für 399 EconomyGäste, 60 Business- und 12 First-ClassPassagiere frisch produziert und diese zusammen mit Getränken sowie Non-FoodArtikeln in die Maschinen liefert. (rup)

Fernand Point

Mit seinen zwei Metern Körpergrösse und geschätzten 150 Kilogramm Ge­ wicht war Fernand Point (1897 bis 1955) eine imposante Erscheinung. Aber erstaunlicher als seine Körpermasse selbst war im damaligen Frankreich die Tatsache, dass er als Küchenchef auch öffentlich in Erscheinung trat. Er brach mit den Traditionen seiner Vorgänger, die ihre Küchen nicht verlassen hatten. Gerne und oft erschien Point im Speisesaal seines Restaurants De la Pyrami­ de in Vienne und plauderte mit seinen Gästen. Dabei fand er ihre Vorlieben und besonderen Geschmäcker heraus und stimmte zuweilen die Gerichte da­ rauf ab. Auf diese Weise entwickelte sich Fernand Point zum Vater der «Nou­ velle Cuisine», einer revolutionären Kochrichtung, die sich durch leichte Kost und frische Zutaten auszeichnet. Point begann, das Essen als Gesamterlebnis zu betrachten und legte Wert auf die Atmosphäre in seinem Speisesaal, den er zu einem fast heiligen Raum erhob. Dort sollte alles perfekt sein. Der Meister­ koch soll einmal gesagt haben: «Ich bin nicht schwer zufriedenzustellen, mit dem Allerbesten bin ich zufrieden.» Die Grundsätze seiner Küche und Res­ taurantführung gab Fernand Point über die Jahre an etliche Nachwuchskö­ che weiter, wie zum Beispiel an seinen berühmtesten Schüler Paul Bocuse. Den Höhepunkt der «Nouvelle Cuisine», der neuen Küche Frankreichs, soll­ te Fernand Point selbst allerdings nicht mehr erleben. Point wurde mit 36 Jah­ ren der dritte Michelin­Stern verliehen, und diese Auszeichnung vermochte der Mann, der seine Küchenbrigade mit der Stimme eines Generals zu dirigie­ ren pflegte, bis zu seinem Tod im Jahr 1955 über 20 Jahre lang zu halten. Das entspricht der Leistung eines 100­Meter­Läufers, der täglich die Weltbestzeit egalisiert. Fernand Point verdankt auch die Schweiz vieles. Meisterköche wie Hans Stucki und Fredy Girardet haben unter Points Einfluss ihre Küchen kul­ tiviert. Fernand Point verkörperte im Sinne des Wortes die grosse französi­ sche Küche, und zu dieser Küche gehören Rahm und Butter. Als Point nach dem Geheimnis seiner Küche gefragt wurde, antwortete er: «Donnez­moi du beurre, du beurre, du beurre!» Butter hat die Eigenschaft, eine Speise zu ver­ feinern, aber auch als Träger von Aromastoffen wirksam zu sein. Das gilt na­ türlich nur für die fettlöslichen Aromen wie Terpene. Diese Molekülverbände haben auch noch in anderen Branchen Bedeutung: Sie werden in der Parfum­ industrie verwendet. Wer beim Auftragen von Parfum auch einen Fettfilm auf die Haut bringt, riecht länger nach dem kostbaren Wässerchen, die duftigen Aromen werden gebunden. Darum Points Wunsch nach Butter. (chg)

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am Puls

WOHLFÜHLZONE der herbst ist ins land gezogen. tiefere temperaturen und umherziehende nebelschwaden wecken das Bedürfnis nach wärme. wer seinen gästen nun eine wohlige atmosphäre bieten möchte, kann zurzeit aus dem Vollen schöpfen. natürliche Materialien wie holz, kork und rattan schaffen ein warmes ambiente. da schmeckt der herzhafte Brunch oder das kalte Plättli noch viel besser. (beb)

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der Kreis schliesst sich Präzise schnitte unD klare geometrie Der in Hamburg lebende Türke Sakir Gökcebag liebt Äpfel: «Ein Apfel ist ein wun­ derbares Essen. Er ist überall auf der Welt verbreitet und dadurch universal», sagt der 49­Jährige. Diese Vorliebe ist bezeich­ nend für sein Schaffen. Konzentriert er sich doch auf Dinge, denen man im Alltag begegnet: Lebensmittel wie eben Äpfel, Bohnen oder Peperoncini. Diese verwandelt er spielerisch und mit viel Lust am Experi­ ment in vergängliche Installationen. Für Sakir Gökcebag ist die Kunst nicht weit vom alltäglichen Leben entfernt: «Kunst ist dicht um uns herum. Jedes Objekt kann ein Kunstwerk sein.» Der Künstler verleiht seinen Installationen klare geometrische Formen, die er mit exakten Schnitten und streng geometrischer Anordnung erreicht. Dadurch segmentiert, selektiert und verfremdet er die ursprüng­ lichen Dinge, bis er sie in neuer Form zusammenbringt. (beb) www.sakirgokcebag.com

anno

1930

domini

Internationale Kochkunst-Ausstellung ZIKA in Zürich.

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ALLeS ÜBeR

Trüffel; die

truffle (engl.) / tartufo (ital.) / truffe (franz.) / trufa (span.)

Das Wort Trüffel geht zurück auf französisch truffle (seltenere Form von «truffe»; diese wiederum vielleicht auf lateinisch tuber: Beule, Schwellung). Vom Deutschen aus hat sich das Wort ins Dänische (trøffel) und Schwedische (tryffel) ausgebreitet. Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch / 1770 begann der französische

Trüffelhandel. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts exportierte Frankreich bereits 1,5 Millionen Kilo jährlich. Meyers Konversations-Lexikon / Schwarze Trüffeln mit einer Bürste sorgfältig reini-

gen. Danach in einem geschlossenen Terrakottagefäss lagern. Auf diese Weise können die Trüffeln bis zu zehn Tage gelagert werden. Pellegrini Trüffeltipps / Weisse Trüffeln

lassen sich nur zwei bis sieben Tage lagern. Hierfür Trüffeln in luftdurchlässiges Papier wickeln, in ein Glasgefäss legen und in das Gemüsefach des Kühlschranks geben. Papier ein- bis zweimal täglich wechseln. Pellegrini Trüffeltipps / Die Trüffel ist der

teuerste Speisepilz: Ein Kilogramm weisse Trüffeln kostet bis zu 9.000 Euro, in Japan bis 15.000 Euro. Wikipedia / Im Hochmittelalter galt die Trüffel, wohl

wegen ihres unterirdischen Vorkommens und der nachgesagten aphrodisischen Wirkung, als dämonisch und Inbegriff von Sündhaftigkeit. Später wurde sie jedoch selbst von Päpsten geschätzt. Die Geschichte der Trüffel / «Trüffeln sind

auch in der Schweiz zu finden. in unseren regionen wächst zwar nicht die teure alba- und Perigord-Trüffel, sondern hauptsächlich die herbst- oder Burgunder-Trüffel (Tuber uncinatum). ihre Saison beginnt im September und dauert je nach Wetterlage bis Ende Jahr. globus.ch / Kalaharitrüffeln

sind eine Spezialität in der namibischen Küche. Sie werden hier in Jahren mit regenreicher Regenperiode von Ende März bis etwa Anfang Juni angeboten. Luise hoffmann: Delikatessen aus dem Sand / Hunde der Rasse

Lagotto Romagnolo sind die besten Trüffelhunde. Der unübertroffene Geruchssinn und die ausgesprochene Bereitschaft zur Arbeit zeichnen diese Rasse aus. Wikipedia / Die «Trüffel» ist

grammatikalisch weiblich. Im Genitiv und Dativ nennt man diese Knolle «der Trüffel». / « Les truffes sont à Duden

la terre ce que les astres sont au ciel .» fel wachsen vorzugsweise unter Eichen.

henri-Frédéric Blanc

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Wikipedia (chg)

/ Trüf-


Wiederentdeckt

die trüsche Ein Dorsch im Süsswasser? Nun, nicht ganz, aber die Quappe, hierzulande unter den Namen Trüsche, Trische oder auch Treiche bekannt, ist ein räubernder Knochenfisch aus der Familie der Dorsche, nachtaktiv, bodenlebend und in der Regel nicht grösser als 40 Zentimeter. Die Trüsche ist langgestreckt und trägt eine braune Marmor­ ierung auf gelber bis brauner Grundfarbe. Wie die Salzwasser­Verwandten Dorsch und Kabeljau besitzt die Trüsche ein überaus schmackhaftes, saftiges Fleisch ohne viel Gräten, dafür mit viel Biss. Zu Unrecht, und vermutlich weil die Trüsche in Schweizer Seen meist als seltener Beifang in den Netzen der Fischer landet, ist dieser Fisch nur Kennern bekannt. Als besondere Delikatesse gilt die Leber der Trüsche, die kurz gebraten von Liebhabern als «traumhaft» umschrieben wird. Nicht weniger edel ist das Filet, das in der Ostschweiz pochiert zu einer Kräuter­ suppe mit Rollgerste serviert wird. Trüsche nach Luzerner Art ist eine Spezialität, bei der das gewürzte, gemehlte und in Butter goldgelb gebratene Trüschenfilet mit gedämpften Tomaten, Sardellen und Zwiebeln sowie Salzkartoffeln aufgetischt wird. Die Trüsche hält von Juni bis September zumeist ihren «Sommerschlaf» und erwacht erst im Oktober. Beste Fangsaison ist also Herbst bis Ende Frühjahr. Berufsfischer, die den feinen Süsswasser­ dorsch im Angebot haben, sind am Bodensee Inter­Fisch in Dozwil, am Zürichsee Hermann Weber in Hurden, die Fischerei Wespe in Schmerikon und die Fischerei Hiestand in Freienbach. Eine gute Adresse am Brienzersee ist die Fischerei Abegglen in Iseltwald, am Thunersee ist es die Fischerei Thomann und Wicht in Faulensee. Trüschen vom Bielersee bietet Fischer Martin aus Ligerz an. (rup)

Öko-tipp auf energieetikette achten Wer Elektrogeräte neu kaufen muss, kann viel Strom und damit Geld sparen.

Zwei Beispiele: In vielen Restaurants steht ein Glaskühlschrank. Ein altes, ineffizientes Modell verbraucht pro Jahr rund 3.000 Kilowatt Strom. Die besten neuen Geräte 944 bzw. 975 Kilowatt. In acht Jahren betragen die Stromkosten beim energiesparendsten Modell 1.373 Franken (das ist natürlich je nach Region und Anbieter unterschiedlich – aber als Preisbeispiel trotzdem interessant). Beim ineffizienten Modell betragen die Kosten in derselben Zeit 4.760 Franken – also über 3.000 Franken mehr. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Glacetruhen. Ein ineffizientes Modell verbraucht über 2.500 Kilowatt pro Jahr. Das stromsparendste Gerät weniger als 1.000 Kilowatt. In acht Jahren gibt dies Stromkosten von 1.050 Franken. Bei der schlechten Truhe sind es 2.629 Franken. Also auch hier lassen sich 1.500 Franken sparen. Dasselbe gilt für fast alle Stromgeräte. (mgs)

Die Energieetikette In jedem Schweizer Haushalt stehen zwischen 50 und 100 Elektrogeräte. In einem Restaurant oder einem Hotel sind es natürlich viel mehr. Deshalb lohnt es sich, beim Kauf auf die Ener­ gieetikette zu schauen. Dies geht von Grün bis Rot (total ineffiziente Geräte). Grün: Die oberste dunkelgrüne Klasse ist im­ mer die sparsamste einer Gerätekategorie, egal, ob dies A oder A+++ gekennzeichnet ist. Früher war A am besten, doch in der Zwischen­ zeit sind zum Beispiel Fernseher, Kühlgeräte und Waschmaschinen wesentlich sparsamer als bei der Einführung des Labels. Die besten Geräte in diesen Kategorien sind heute A+++. Die stromsparendsten Geräte für jede Kategorie finden Sie auf www.topten.ch

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handmade

AuF ein GlAs

wachsige windlichter aufblasen, eintauchen und einstechen.

mit

Laura SchäLchLi

Frau Schälchli, Sie führen derzeit gemeinsam mit Valentin Diem und Fanny Eisl erstmals die Smoking Pop-up-Dinners Wood Food in Zürich durch. Wie kamt Ihr dazu? Valentin Diem liebt den Wald und verwendet in seiner Küche alle Ingredienzien, die er hergibt. Das geht von Blättern über Moos bis Schnecken und Birkenteer. Je nach Produkt verwendet er auf dem Grill oder im Heissräucherofen andere Holzarten sowie Torf, um den bestmöglichsten Geschmack zu erzielen. Mein Zugang ist das Feuer, welches ich schon häufig entfachte, etwa in den Räucheröfen der Genussmanufaktur Das Pure. Zudem wollte ich etwas Speziel­ les initiieren. Fanny Eisl war Feuer und Flamme von der Idee. Keiner von Euch arbeitet in der klassischen Gastronomie. Wer seid Ihr? Unsere Herkunft ist die unabhängige Gastronomie. Valentin Diem, bekannter als Vale Fritz, kochte jahrelang an Pop­up­Dinners in Zürich. Er arbeitet häufig als Gastkoch in Restaurants wie «d’Chuchi» oder «Vineria Centrale» und macht hauptsächlich Catering. Fanny Eisl ist Gastgeberin im «Höfli» im Zürcher Seefeld, wo sie kleine aber feine Mittagessen anbietet. Ich bin Slow­Food­ Botschafterin und habe an der Universität der Gastronomischen Wissenschaften in Pollenzo studiert, produzierte bei «Das Pure» von Patrick Marxer geräucherte Spezialitäten, habe in etlichen Restaurants gearbeitet und war während zwei Saisons Geschäfts­ führerin des Rössli­Imbiss bei der Zürcher Hardbrücke. Wie setzt Ihr das Thema Holz an den Dinners um? An erster Stelle natürlich im Gericht. Das Thema Holz zieht sich geschmacklich durch den ganzen Abend. Valentin Diem pröbelte wochenlang an den Speisen, unter anderem an einer mit Blättern veredelten Butter. Wir reichen Platten an zwei langen Holztischen herum. Ohne Apéro, Käse und Dessert kommen rund elf qualitativ hochwertige Gerichte aus lokalen Produkten auf die Tische. Etwa Birkenteercanapés, heiss geräuchter Hechtsalat, hausgemachte Fichtenwurst und Lustenauer Kohlesenf, geräucherte Mayonnaise und Tannennadelasche­Joghurt. In einem eigens für den Event angepassten Heissräucherofen der Hadorn GmbH kochen, schmoren, räuchern, äschern und kohlen vier Köche auf offenem Feuer. Zwei davon reisten eigens aus San Francisco an. Sie lernten das perfekte Pizzaiolo­Handwerk während zweier Jahre in Italien und kochen nun täglich mit zwei Holzöfen. Zudem ist die grosse Halle in der Nähe der Schmiede Wiedikon entsprechend dekoriert. Passen auch die Getränke zum Thema? Ja, besonders beim Apéro mit Live­Musik gehen wir auf das Thema ein. Nathalie Leinweber mixt an der Bar vier zum Thema passende Cocktails, etwa mit geräuchertem Pfirsich oder Barrel­aged Rum. Zudem gibt es ein feines Rauchbier aus dem Jura, das «Ambrée des Brigands», sowie eine kleine, aber feine Weinauswahl von Valentin Diem und der Berner Weinhandlung Cultivino. Auch Natural Wines werden ausgeschenkt. (ssi)

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materialien bereitlegen.

ballon mehrmals in wachs tauchen.

erkalten lassen und ballon einstechen.


mürne

Z

risch aus dem Ofen zieht der Duft durch Showroom und Bistro in Rüeg­ gisberg und lockt neugierige Gäste in Scharen an. «Unser Zwetschgen­Quark­ Streusel geht weg wie warme Semmeln», sagt Rolf Mürner, der neben seiner neus­ ten norwegischen Ferienentdeckung – ei­ nem Hefeteiggebäck namens Knolle Bol­ le – derzeit auf Streusel steht und jenen Kuchen des öfteren anbietet. Schnell und einfach zubereitet, lasse sich der Kuchen vom Blech vielseitig einsetzen: entweder als Pâtisserie in der gehobenen Gastro­ nomie oder als kleine warme Komponen­ te auf einem Dessertteller in der Gemein­ schaftsverpflegung. X

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herbstzeit ist (immer noch) früchtezeit. Mit marktfrischen Zwetschgen, Magerquark, schokoladenbiskuit, Mürbeteig und streuseln zaubert rolf Mürner im handumdrehen einen kuchen herbei. – 10 –

was benötigt wird: × stangenform oder gn-schalen × ausgebuttertes Backpapier × süsser mürbeteigboden × Biskuit (schokolade) × frische zwetschgen × Dispenser × spritzsack × mager- oder rahmquark × streusel mit gemixten Blutorangencrisps × Dekor nach Wunsch


rezePt

1. Backform ausbuttern, Backpapierstreifen darauflegen, wiederum ausbuttern und einen vorbereiteten mürbeteigboden einlegen. Darauf nun eine vorbereitete schoggiBiskuit-stange mit kakaonibs auslegen.

4. Bereits vorbereitete streusel (zubereitet aus Butter, zucker, Weissmehl sowie gefriergetrockneten und gemixten Blutorangencrisps) gleichmässig auf die stange verteilen. Den kuchen im 160 grad vorgeheizten ofen 35 minuten lang backen.

2. Vorgeschnittene, marktfrische zwetschgen locker einfüllen.

5. mit den enden des Backpapiers den kuchen vorsichtig herausnehmen und anschliessend nach Wunsch ausgarnieren, zum Beispiel mit frischen zwetschgenstückchen, radieschen-sprossen und hauchdünnem zwetschgenknusper. letzteres wird so hergestellt: zwetschgenpüree mit staubzucker aufmixen, dünn auf eine Backmatte aufstreichen und im vorgeheizten ofen bei 80 grad eine halbe bis eine stunde trocknen lassen.

3. mit Butter, zucker und zitronensaft verfeinerten mageroder rahmquark in einen Dispenser oder einen Dressiersack füllen und dann vorsichtig über die zwetschgen geben.

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bits and bytes

MultiMediale

mitarbeiterschulung die schulung der Mitarbeitenden ist wichtig – doch in der Praxis ist sie oft gar nicht so einfach umzusetzen. die neuen Medien bieten mit «social learning» die Möglichkeit, das zu ändern. Bild: keystone text: riccarda Frei

W

er schon einmal versucht hat, bei laufendem Betrieb eine Mitarbeiterschulung durchzu­ führen, weiss, wie schwierig das ist. Erstens können nie alle teilnehmen, weil ja immer jemand im Dienst ist. Zweitens bestehen die meisten Teams in der Hotellerie und Gastronomie aus Menschen mit verschiedenen Sprachen, kulturellen Hintergrün­ den und unterschiedlichem Grundwissen. Drittens: Kaum hat man ein Thema geschult, gibt es Personal­ wechsel in den Teams und man müsste die Schulung für den/die Neuen wiederholen. Eine stetige, effiziente, effektive und nachhaltige Schulung der Angestellten war früher fast unmög­ lich. Im Zeitalter von Social­Media­Plattformen hin­ gegen eröffnen sich für die Mitarbeiterschulung ganz neue Möglichkeiten. «In erster Linie werden Social­ Media­Plattformen von Unternehmen eingesetzt, um produkterelevante Informationen und konkre­ te Angebote an potenzielle Kunden zu kommunizie­ ren», sagt Dr. Kerstin Wagner, Professorin für Ent­ repreneurship an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur. Auch für die Mitarbeitersu­ che und ­rekrutierung werden Social­Media­Platt­

formen genutzt. «Vernachlässigt wird jedoch bislang noch die Möglichkeit, Social Media im HR­Bereich für die interne Kommunikation zu nutzen, um den Informationsaustausch und das Lernen unter Mit­ arbeitenden zu unterstützen», hat die HTW­Pro­ fessorin festgestellt. Sie und Edith Kohler, Leiterin Personalentwicklung Grand Resort Bad Ragaz und Management Academy of Hotel Excellence, sehen im Social Learning grosse Potenziale im Bereich der in­ ternen Weiterbildung. DieverschiedenenVorteilevonSocialLearningliegen auf der Hand: × Mit dem Aufkommen interaktiver Online-Plattformen und Netzwerke hat sich die Art der Info- und Wissensaufnahme der Menschen verändert. Social Learning entspricht diesem neuen Lernverhalten. × Social Learning ist tendenziell zeit- und ortsunabhängig, informell und meist selbstgesteuert. Jeder kann lernen wann, wo, wie oft und wie schnell er möchte. × Lernen findet verstärkt duch gemeinsamen erfahrungsaustausch und praktische erfahrungen statt. Formale Weiterbildungsangebote werden durch informelle

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bits and bytes

Weiterbildung ergänzt oder vertieft. Zudem können Mitarbeitende selbst Inhalte erstellen oder sich mit Berufskolleginnen und -kollegen vernetzen. × Speziell das Lernen über Videos (Youtube) hat den Vorteil, dass die Mitarbeitenden sich Lerninhalte beliebig oft anschauen und Gelerntes rasch repetieren können. × ein weiterer Vorteil der Videos besteht in der sprachlichen Unabhängigkeit. Die gezeigten handgriffe und Arbeitsabläufe sind auch ohne wortreiche erklärungen für alle Mitarbeitenden verständlich. × Da mittlerweile die meisten Personen über ein mobiles endgerät (Smartphone, tablet, Notebook) und Zugang zum Internet verfügen, stehen die Lerninhalte allen problemlos überall und jederzeit zur Verfügung. × Neuigkeiten und/oder überarbeitete Lerninhalte lassen sich rasch verbreiten.

Gerade die Branche Hotellerie und Gastronomie ist für Social Learning mit Videos prädestiniert. Es gibt in jedem Departement zahlreiche Arbeitsaufgaben und ­schritte, die sich gut zeigen – und somit auch fil­ men – lassen. Geeignete Themen könnten zum Bei­ spiel die Prozesse beim Check­in und Check­out sein oder Hygiene­ und Reinigungsabläufe in Küche, Res­ taurant, auf der Etage und im Spa.

Das Gelernte mit Videos auffrischen

Bilder und Filme bieten sich auch an, um Unterneh­ menswerte und Firmenstrategie zu kommunizieren. Sind Mitarbeitende einbezogen worden, wirken die Videos glaubwürdiger und emotionaler. Das Grand Resort Bad Ragaz hat seine Philosophie «Wir machen Menschen glücklicher» mit verschiedenen Aussagen und Fotos von Mitarbeitenden vertont. Der daraus entstandene vierminütige Trailer wird bei Mitarbei­ ter­Briefings und ­Meetings gezeigt. Dadurch wird die Philosophie verankert und das Zusammengehö­ rigkeitsgefühl gefestigt.

Knacknüsse und Herausforderungen Während die sogenannte «Generation Y» ganz selbstverständlich mit Social Media umgeht, kann es Mitarbeitende geben, die noch wenig Erfahrung mit Smartphone oder Tablet­PC haben. Um auch die weniger internetaffinen Mitarbeitenden zu er­ reichen, kann es sinnvoll sein, persönliche Hilfestel­ lung und den Zugang zu einer PC­Station anzubieten. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die meisten Mitar­ beitenden ganz alleine problemlos mit Social Lear­ ning zurechtkommen und gerne ihre eigenen Gerä­ te verwenden. Schwieriger als Internetmuffel auf den Ge­ schmack von Social Learning zu bringen ist es, geeig­ nete und hotelspezifische Lerninhalte zu generieren. Es gibt beispielsweise viele Videos zum interkultu­ rellen Umgang zwischen Geschäftsleuten. Lernin­ halte, die Hotelangestellte in ihrer Gastgeberrolle auf internationale Besucher vorbereiten, sind hinge­ gen selten. Ähnliches gilt auch für das Thema Hygie­ ne. Auch hier müssen auf die spezifischen Bedürfnis­ se und Anforderungen der Hotellerie abgestimmte Inhalte geschaffen werden. Für ein Hotel alleine ist die Produktion von Lernvideos zeitlich und finan­ ziell sehr aufwändig. Eine Kooperation mit ähnlich ausgerichteten Hotels, wie sie die Academy of Hotel Excellence anstrebt, bietet die Möglichkeit, gemein­ sam innovative Lernformate zu entwickeln. X

«Videos können gut genutzt werden als Vorberei­ tungs­, Ergänzungs­ oder Follow­up­Instrument», sagt Edith Kohler und nennt zur Verdeutlichung ein Beispiel aus dem Grand Resort Bad Ragaz. Hier fin­ den für die Mitarbeitenden interkulturelle Trainings für den Umgang mit arabischen Gästen statt. Diese Kurse besucht jeder neue Mitarbeitende. Als Vertie­ fung für die Kursteilnehmenden und als Reminder für alle anderen werden gleichzeitig Videos aufs In­ tranet (firmeninternes Netzwerk) gestellt. So wird das Thema nochmals für alle in Erinnerung gerufen, bevor die Gäste erwartet werden. «Alle Mitarbei­ tenden jedes Jahr in ein Training zu schicken, wäre zu aufwändig, aber eine Repetition der wichtigsten Grundregeln per Video ist absolut hilfreich und eine gute Ergänzung zum Lesen der schriftlichen Kultur­ Interessenten können sich gerne wenden an: guides», zieht Edith Kohler Bilanz aus den bisher ge­ edith kohler (edith.kohler@resortragaz.ch), www.aohe.ch machten Erfahrungen. Dr. kerstin Wagner (kerstin.wagner@htwchur.ch)

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« Ihr kreativer Partner für kulinarische Spitzenleistungen»

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dossier

Wa l d inhalt es war einmal Der schweizer Wald vor 100 Jahren streifzug mit meret Bissegger wilde kräuter entdecken pilze Wo Frauentäubling und edelreizker zu finden sind bäume Was man von spitzahorn und Buche verwenden kann delikatessen Die entdeckungen des Waldkenners Dominik Flammer köhlerei Wer in der schweiz das alte handwerk noch beherrscht Wild es muss nicht immer rehfleisch sein Waldgeiste schnäpse aus Früchten und Pilzen zukunft Wie der klimawandel den Wald verändert


Die vergessene

Vorratskammer texte: ruth marending, sarah sidler, mario gsell, riccarda Frei, JĂśrg ruppelt, Bernadette Bissig, christian greder, gabriel tinguely Bilder: Filipa Peixeiro, claudia link, keystone, zVg graďŹ ken + illustrationen: natalie schmid


dossier

Wa l d

Es war einmal

vor 100 Jahren

text: ruth marending Bilder und Quellen: eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, schnee und landschaft Wsl, schweizerisches institut für Volkskunde, Basel | «hüeterbueb und heitisträhl» Buch und DVD der Bristol-stiftung | «alte nutzpflanzen neu entdeckt», BlV-Verlag

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dossier

Wa l d

gewinnung von buchenlaub in Flums sg.

Beeren, Pilze und nüsse, tannzapfen, laub und harz: der Mensch bereicherte seinen speiseplan über generationen mit den früchten des waldes und nutzte das holz im alltag.

W

er vor 100 Jahren durch den Schwei­ zer Wald spazierte, fand eine leer­ geräumte Landschaft vor. Keine Äste lagen am Boden und kein Blatt Laub. Es gab kei­ ne knorrigen, alten Bäume und kein dichtes Buschwerk. Denn seit Generationen räumte die Menschheit für eigene Zwecke den Wald leer. Tann­ und Kieferzapfen dienten als An­ feuerhilfe. Mit den Rinden von Eichen und Fichten wurde das Leder gegerbt. Das Harz von Kiefern, Lärchen, Fichten und Arven diente den Küfern zum Abdichten der Fäs­ ser und war auch in der Gerberei zur Leder­ bearbeitung unentbehrlich. Die Beeren und Pilze sammelte man für den eigenen Ver­ zehr ein. Aus heilenden Pflanzen wurden Medikamente für die Hausapotheke herge­ stellt. Tannnadeln und Flachs dienten als Unterlage für das Vieh im Stall. Das Holz der Bäume brauchte man für den Hausbau, das Moos zum Abdichten der Wände. Aus Rin­ den wurden Käseschachteln geformt, und in Weinbaugebieten verwendete man den Lindenbast für das Aufbinden von Reben.

Wenn im Herbst der Föhn durch die Wälder blies, wussten Frauen und Kinder, was es zu tun gab: Laub einsammeln. Das Zusammen­ rechen von Laub war bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts eine der häufigsten Wald­ nutzungsarten. Laub wurde als Einstreu in den Ställen und als Füllung für Leinensä­ cke gebraucht, die als Matratzen dienten. In manchen Gegenden in den Alpen wur­ de bis in die 1940er­Jahre und im St. Galler Rheintal gar bis in die 1960er­Jahre Bett­ laub zusammengerecht. Auch Äste blieben nicht liegen und dienten zum Einheizen des Ofens. 1840 gab es in unserem Land schät­ zungsweise rund 0,7 Millionen Hektaren, nur gut die Hälfte der heutigen Waldfläche. Und dort, wo noch Wälder standen, war der Baumwuchs eher spärlich. Doch vor 100 Jahren wendete sich das Blatt, ein Umdenken fand statt, nicht zuletzt auch wegen der Förster, die den «Raubbau» im Schweizer Wald zunehmend kritisierten. Auch Wissenschafter und Politiker wur­ den sich allmählich bewusst, dass es weiter

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rüsten der baumrinde bei eggiwil, Oberemmental 1944

dachdecker ebersecken Lu 1958

höchste Zeit war, Rettungsmassnahmen für den Wald zu ergreifen. Ausserdem war es nö­ tig, Bergwälder aufzuforsten, um die neuen Eisenbahnstrecken gegen Hangrutschun­ gen und Steinschläge zu schützen. Deshalb begann man Ende des 19. Jahrhunderts mit der Wiederaufforstung. Um die gleiche Zeit wurde Kohle zunehmend als Energiequel­ le benutzt, sodass die Menschen nicht mehr so stark auf das Holz angewiesen waren und weniger Bäume gefällt werden mussten.

land trieben die Armen und Landlosen ihr Kleinvieh bis Ende des 19. Jahrhunderts in die Wälder. Im Alpengebiet und im Jura wa­ ren Schaf­ und Ziegenweide im Wald bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts verbreitet. Doch die traditionellen Nutzungsarten ver­ änderten das Gesicht des Waldes. Beim Zu­ sammenrechen von Laub und Sammeln von Brennholz wurden dem Waldboden viele Nährstoffe entzogen. Dadurch dominierten an vielen Orten Baumarten, die auf ärme­ ren Böden wachsen konnten, zum Beispiel die Föhren im Wallis. Im Mittelland wurden hingegen sehr viele Eichen vor allem für Ei­ senbahnschwellen gefällt.

Futtertrog für das Vieh Bis vor gut hundert Jahren war der Wald kein Erholungsraum für den Menschen, son­ dern hauptsächlich der Ort, an den die Bau­ ern ihr Vieh trieben – eine Arbeit, die oft von den Kindern ausgeübt wurde. Die Schwei­ nemast fand ausschliesslich im Wald statt, wo sich die Tiere von Wurzeln, Pilzen, Lar­ ven und Eicheln ernährten. Die Beweidung der Wälder war bis gegen Ende des 18. Jahr­ hunderts in der ganzen Schweiz die Regel. Vielerorts beruhte der wirtschaftliche Wert der Wälder sogar mehr auf der Weide als auf der Holznutzung. Dies galt vor allem für die Schweinemast im Wald (Acherum), lan­ ge Zeit fast die einzige Fütterungsform der Schweine. Noch länger hielt sich die Wald­ weide der Ziegen und Schafe. Im Mittel­

Für den heimischen Speiseplan Beeren, Nüsse, Zapfen oder Pilze aus dem Wald waren früher gerade für die ärme­ re und ländliche Bevölkerung unentbehrli­ che Bestandteile des täglichen Speiseplans. Besonders das Beerensammeln bekam bei­ spielsweise in Grindelwald mit dem begin­ nenden Tourismus eine besondere Bedeu­ tung. Im Bergdorf verkauften Kinder schon 1778 Erd­ und Heidelbeeren an Reisende. Die verbesserten Transportmöglichkeiten ermöglichten zudem gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Verschickung der über­ schüssigen Früchte vom Sottoceneri in die

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Zum Weiterlesen Das Buch «Hüeterbueb und Heitisträhl» dokumentiert die tradtionellen Formen der Waldnutzung in der Schweiz von 1800 bis 2000. Aufgezeigt werden die Bedeutung von Waldweide, Waldfeldbau, Viehfutter- und Streuentnahme sowie die Gewinnung von hauswirtschaftlichen oder gewerblichen Produkten wie Aschenlauge, Beeren, Gerberlohe, Harz und Wildkräuter. In einem durch die Bristol-Stiftung (Ruth und Herbert-UhlForschungsstelle für Natur- und Umweltschutz mit Sitz in Zürich) finanzierten Projekt wurden mit der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL in fünf Gebieten (Saanenland, Vorderes Vispertal, Fankhausgraben, Schächental und Prättigau) Zeitzeugen zu traditionellen Formen der Waldnutzung befragt.

herstellung von geräten des täglichen gebrauchs wie tragkörbe aus holz und Ästen.

Deutschschweiz, die dort entweder an den verschiedenen Märkten verkauft oder in der Konservenfabrik Lenzburg, der heutigen Hero, weiterverarbeitet wurden. Teure Kolonialwaren wurden mit hei­ mischen Pflanzen ersetzt. Insbesonde­ re während des Ersten Weltkrieges stellte man einen Kaffee­Ersatz mit den geröste­ ten Früchten von Eberesche, Hundsrose, Stechpalme oder Weissdorn her. Auch die Samen von Eiche oder Rotbuche, der Wur­ zelstock von Schilfrohr oder die Wurzel der Wegwarte waren dafür beliebt. Als Pfeffer­ ersatz galten die Samen des Schwarzküm­ mels, die Blätter des Bohnenkrauts oder des Wasserpfeffers. Als Kapernersatz dienten die Blütenknospen der Sumpfdotterblume, des Scharbockskrauts, des Färberginsters, der Kapuzinerkresse oder die Blütenkopf­ knospen von Löwenzahn oder Gänseblüm­ chen. Als im 17. Jahrhundert der Tee nach Europa gelangte, entdeckte die heimische Bevölkerung die Fermentation beziehungs­ weise Trocknung einheimischer Pflanzen­ blätter. Beliebt waren Tees aus Blättern von Brombeere, Erdbeere, Himbeere, Bir­ ke, Eberesche, Heidelbeere, Wilder Malve, Schlehe, Waldmeister oder Weissdorn. Auch die Blüten der Besenheide oder die Samen der Hundsrose wurden zur Teeherstellung

«Hüeterbueb und Heitisträhl» Martin Studer und Matthias Bürgi Haupt-Verlag, CHF 48.– ISBN 978-3-258-07744-4

verwendet. Als Kakaoersatz wurden, wenn auch eher selten, die Samen von Linde und Hasel verwendet, gelegentlich dienten auch Baumnusskerne, Esskastanien und die Ker­ nen von Weintrauben diesem Zweck. Auch zur Streckung des teuren Tabaks fanden die einheimischen Vorfahren geeignete Pflan­ zen, zum Beispiel die Echte Engelwurz, Bä­ rentraube, Kartoffel oder Arnika. Viele Naturprodukte erleichtern aber auch die haushälterischen Aufgaben. Besen und Bürsten wurden aus Tierhaaren, Wur­ zeln, Ruten und Stroh hergestellt, die unent­ behrlichen Reisigbesen aus biegsamen Zwei­ gen von Bäumen und Sträuchern wie Birke, Hasel oder Weide. Das verschmutzte Ge­ schirr wurde neben Essig, Kreide oder sau­ rer Milch auch mit Holzasche gereinigt. Die Blätter des Andorns dienten zum Schrubben der Milchkübel, und aus Zinnkraut wurde ein Topfkratzer hergestellt. Fand eine Haus­ schlachtung statt, gab man dem Brühwas­ ser Harz bei. Damit konnten die Borsten des Tieres leichter entfernt werden. Der Wald diente über Generationen hin­ weg als Ressourcenquelle für den eigenen Lebensunterhalt oder wie aus der Dokumen­ tation «Hüeterbueb und Heitisträhl» her­ vorgeht: «Von einer gefällten Tanne nutzten wir alles.» X

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Von essbaren

Neophyten, Kletten und

Brennesseln

text: sarah sidler Bilder: Filipa Peixeiro


Berberitze - Berberis vulgaris

Meret Bissegger kennt wie keine Zweite die essbaren wildkräuter in unseren wäldern. ein streifzug.

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usgestattet mit Gummistiefeln, ei­ nem grossen Korb, Messer und schar­ fem Blick nähert sich Meret Bissegger dem scheinbar wertlosen Unkraut an ei­ nem Waldrand nahe Biasca. Die stets bunt gekleidete Tessinerin wurde zwischen 1990 und 2000 bekannt als Köchin im Re­ staurant Ponte dei Cavalli in Caviglia­ no sowie als begeisterte Verfechterin der Wildkräuterküche. Sie weiss, wo sie suchen muss: «Viele Wildkräuter wachsen in jungen und lichten Wäldern sowie an deren Rändern. In dichten Tannenwäldern kommen aufgrund man­ gelnder Biodiversität nahezu keine vor. Vie­ le davon sind Pionierpflanzen und benötigen Puffwälder, unaufgeräumte, solche, wo al­ les wild durcheinander wächst», sagt sie und streicht eine lockige Haarsträhne zurück. Sogar in diesem Wald, kaum 30 Meter von einer Tessiner Hauptstrasse entfernt, stösst Meret Bissegger auf essbare Wildpflanzen. «Hier», sagt sie und zeigt auf einen Baum. Wer nichts von ihrem Metier versteht, sieht

einen Baum und damit hat es sich. Doch die 54­Jährige meint nicht den Baum, sondern die feine Pflanze, die sich daran in die Höhe rankt. «Hopfen. Verwendet man ihre Spit­ zen kurz gekocht, eignen sie sich bestens als Salat. Oder man macht weiss­grüne Spa­ ghetti daraus, indem man sie in den letzten fünf Minuten ins kochende Wasser der Teig­ waren gibt. Sie schmecken würzig, leicht nach Harz.» Die Pflanzenfachfrau erkennt die Hopfen an ihren Widerhaken. In Italien findet man diese Wildpflanze teils auch auf Märkten, weiss sie zu erzählen. Dann fällt Meret Bisseggers wacher Blick auf eine Pflanze, die mannshoch neben ihr wächst. Sie schaut ihre Blüten etwas genauer an und steckt kurzentschlossen eine davon in den Mund. Kauend sagt sie: «Springkraut. Diese Blüten sind essbar. Da ihr Geschmack eher neutral ist, verwende ich sie als Dekora­ tion oder fülle sie mit einem Dipp aus Avoca­ do­ oder Ricottamousse. Eine meiner Spezi­ alitäten.» Meret Bissegger veranstaltet seit Jahren in ihrer Casa Merogusto in weiter

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schild-sauerampfer - rumex scutatus

Malvaglia im Bleniotal Kochkurse, wo sie ihr breites Wissen rund um Wildkräuter, Gemüse und Vollwertküche weitergibt. Ihre Begeisterung ist ansteckend und ihr Körb­ chen bald voll mit den grossen, rosafarbe­ nen Wildblüten des Springkrauts, das zu den Neophyten zählt. Neophyten sind gebiets­ fremde Pflanzen, deren Wuchs teilweise so stark ist, dass sie die einheimischen ver­ drängen. «Und dies», sagt sie und schaut gen Himmel, «ist eine Nachtkerze, eine zweijäh­ rige Pflanze.» Hoch und schmal wächst sie in die Höhe. Dicke, gelbe Blüten zieren ih­ ren Kelch. Im ersten Jahr kann man die jun­ gen Blätter der Nachtkerze essen. Bevor die Blüten wachsen, ist auch ihre Wurzel ess­ bar. Man nennt sie «Jambon des Jardini­ ers», da sie mit ihrer rosa Farbe an Schinken erinnert. Später dann sind die kleinen, gel­ ben Blütenblätter der Nachtkerze geniess­ bar. Die Blütenknospen könne man dämpfen und, mit Ingwer und Sesamöl gewürzt, wie asiatisches Gemüse kochen. Kaum erklärt, dreht sich die flinke Frau um und betrachtet die nächste Pflanze in ihrem nahen Umfeld genauer: «Eine kanadische Goldrute. Ihre Triebspitze ist dem Spargel ähnlich. Ich ver­ wende meist nur die dicken Spitzen, da man sie schälen muss. Sind sie zu schmal, bleibt nicht viel davon übrig.»

Wer mit Meret Bissegger im Wald unter­ wegs ist, hat das Gefühl, im Nu aus Pflanzen, die man bis anhin als Unkraut oder hübsche Blumen angesehen hat, ein ganzes Menü zu­ sammenstellen zu können. Nicht zu Un­ recht: An einer wilden Hecke erblickt sie Hopfen, Robinien, Springkraut und Klette beieinander und meint nur: «Schön. Schon fast ein voller Teller.» Doch diese Pflan­ zen bleiben stehen, da die Pflückzeit vor­ bei ist. Zudem sind Salat (Hopfen) und Ge­ müse (Nachtkerze und Goldrute) bereits in ihrem Körbchen und die Blüten der Bren­ nesseln, die einige Meter weiter im Wald wachsen, werden bald zum Apéro verar­ beitet. «Einfach in Olivenöl knusprig bra­ ten und etwas würzen», sagt sie und erspäht gleich darauf das «Dessert» im Wald. Ein ja­ panischer Knöterich, auch Wald­Rhabarber genannt. Da er aus der Familie der Rhabar­ ber stammt, können seine jungen Sprossen im Frühling als Ersatz davon für eine süsse Wähe verwendet werden.

Essbare Wildkräuter als Alternative zu Gemüse Meret Bissegger kam vor dreissig Jahren auf den Geschmack von Wildkräutern: «Wir ar­ beiteten und lebten einen Sommer lang auf der Alp. Dort wuchs kein Gemüse.» So weiter

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- B채renklau heracleum sphondylium


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- m채des체ss filipendula ulmaria


Brennessel - urtica dioica

kam die Gemüsefrau, die damals Heilkräu­ ter als Hobby pflegte, zu den essbaren Wild­ kräutern. Seither hat sie sich stets weiterge­ bildet. «Natürlich», gibt sie unumwunden zu, «habe ich auch Wissen von Pionieren in diesem Gebiet, wie Gisula Tscharner oder François Couplan, übernommen. Aber ich habe es mit meinem Stil weiterentwickelt.» Seit sie vom Wildkräuter­Fieber befallen sei, achte sie besonders im Frühjahr auf die essbaren Pflanzen. «Ich erkenne sie an Ha­ bitus, Geschmack und Konsistenz. Falls ich unsicher bin, probiere ich ein kleines Stück davon.» Hilft auch das nicht weiter, nimmt sie die «Wildpflanzenbibel» Flora Helveti­ ca zu Hilfe. Bauchweh habe sie durch ihre Methode erst einmal bekommen, als sie das Probieren auch auf den Kanarischen Inseln einfach nicht lassen konnte. «Die Pflanzen waren dann doch nicht geniessbar», erzählt sie trocken. Es scheint, als kenne Meret Bissegger in ihrer Heimat jede noch so unscheinbare Pflanze. Bis sie vor acht Jahren ins Blenio­ tal zog, lebte sie meist im Centovalli­ und Onsernonetal. Selbst die kleinsten Blätt­ chen, die sich ganz nah am Waldboden ent­ lang schmiegen, entkommen ihrem Blick nicht. «Aha, die Gundelrebe, ein sehr aroma­ tisches Kraut. Fein gehackt, eignet es sich,

um Frischkäsebällchen das gewisse Etwas zu geben. Blüht die Gundelrebe, können zu­ sätzlich ihre Blüten verwendet werden. Bei­ spielsweise, um die eben erwähnten Frisch­ käsebällchen darin zu wenden und so zu dekorieren.» Sie verhelfen auch Kartoffel­ und Linsensalat zu etwas Farbe. Über viel Würze verfügt auch die Nelkwurz. Wie es der Name sagt, riecht diese nach Nelken. Da der Giersch aus derselben Familie wie das Rüebli stammt, erinnert er geschmacklich daran. Seine dreiteiligen Blätter geben Gra­ tins und Suppen eine feine Würze. Der Bä­ renklau riecht nach Mandarinen und Selle­ rie. Wie es Pflanzen zum Würzen gibt, sind im Wald auch solche zum Süssen da. «Mä­ desüss» beispielsweise. Die hübsche Pflanze aus der Familie der Rosen wächst meist am Wasser und eignet sich hervorragend, um daraus Sirup herzustellen. Weisser sowie gelber Honigklee und Waldmeister schme­ cken nach Vanille. Wieso nicht einmal da­ mit eine Creme aromatisieren und zugleich dekorieren? Die Tessinerin aber kennt nicht nur die Pflanzen und ihre Geschmäcker, sondern weiss auch sonst vieles über sie zu erzäh­ len: Wer weiss schon, dass das Glaskraut zu seinem Namen gekommen ist, weil da­ mit hervorragend schmale Flaschen weiter

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grosse klette - arctium lappa

gereinigt werden können, wenn man seine Stängel verkehrt herum hineinsteckt? Oder dass der japanische Knöterich rund 30 Zen­ timeter pro Tag wächst? Dass der Kompass­ lattich so heisst, weil er seine Blätter vertikal aufstellt? Wer mit Meret Bissegger unter­ wegs ist, taucht nicht nur in den Wald ein, sondern in eine ganz eigene Welt. In die der Wildkräuter. X REZEPT Gebratene Nachtkerzenwurzeln 2 Handvoll Nachtkerzenwurzeln 2–3 Karotten, in Scheiben 2 EL Olivenöl 1 Prise Kräutermeersalz 50 ml Weisswein Die Wurzeln sauber bürsten und in Scheiben schneiden. (Die Wurzeln pflücken, bevor sich der Stängel entwickelt. Die zentralen Rosettenblätter können mitgekocht werden.) Olivenöl in eine warme Bratpfanne geben, Gemüse dazugeben und zugedeckt auf kleinem Feuer zehn Minuten braten, öfter wenden, damit es gleichmässig anbrät. Wein und Salz beifügen und weitere fünf Minuten dünsten, bis der Wein verdampft ist. Als Beilage servieren.

«Meine wilde Pflanzenküche» Bestimmen, Sammeln und Kochen von Wildpflanzen von Meret Bissegger. AT-Verlag, 320 Seiten Preis: CHF 49,90 «Meine Gemüseküche für Herbst und Winter» 150 Gemüserezepte mit Infos über einheimisches Gemüse und biologisch produzierte Lebensmittel.

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- nachtkerze oenothera biennis


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Ohne Pilze kein Leben

steinpilze, Morcheln und eierschwämme kennen alle. doch es gibt auch weniger bekannte, aber mindestens so schmackhafte Pilze, die interessant für die küche und unentbehrlich für den wald sind.

- steinpilz Boletus edulis text: mario gsell Bilder: Pareys Buch der Pilze, Wiley-Vch Verlag, Berlin

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ilze begleiten ihn schon fast sein gan­ zes Leben. Hans Gsell war jahrzente­ lang Pilzkontrolleur und zehn Jahre lang hauptamtlicher Pilzkontrolleur im Bota­ nischen Garten der ETH Zürich. Er kennt giftige und essbare Pilze wie kaum ein an­ derer. Der Pilzexperte gibt zu bedenken: «Dass man einige essen kann, ist ein Ge­ schenk. Heute weiss die Forschung, dass es ohne Pilze kein Leben gäbe.» Deshalb ist es so schlecht, wenn Menschen nicht essba­ re oder giftige Pilze zerstören. «Ihnen muss man bewusst machen, wie wichtig alle Pil­ ze für die Natur sind.» Die Hauptfunktion der Pilze ist, dass sie weltweit Hundertau­ sende von Tonnen Altholz abbauen und da­ raus wieder Humus wird. So entsteht neues Leben. Viele Pflanzen, Bäume und Gräser leben in einer Symbiose mit einem Pilz. So­ wohl die Pflanzen wie die Pilze könnten ohne die anderen nicht keimen. Jeder Baum hat einen oder mehrere Pilze, die an ihm oder in seiner Nähe wachsen. Alle Röhrlinge, Milchlinge und Täublinge sind sogenann­ te Mykorrhizabildner, die mit Bäumen eine Lebensgemeinschaft eingehen. Pilze kön­ nen kein Licht aufnehmen und in Zucker umwandeln wie die anderen Grünpflanzen. Bäume geben den Pilzen Zucker ab, dafür lösen die Pilze im Boden für den Baum Mi­ neralien auf, damit er sie aufnehmen kann. Mykorrhizen schützen die Bäume auch vor giftigen Effekten von Schadstoffen. Die Pil­ ze halten Schwermetalle zurück, die sonst vom Baum aufgenommen würden. Diese Ei­ genschaft kommt einer eigentlichen Filter­ funktion gleich. Der Nachteil ist aber, dass diese Schwermetalle in den Pilzfruchtkör­ pern angereichert werden. Dies kann zu ge­ sundheitsgefährdenden Konzentrationen in Speisepilzen führen. Weltweit gibt es über 100.000 Pilzarten, darunter fallen auch Schimmelpilze, Hefe. Pilze, wie wir sie im Wald und auf Wiesen sehen, gibt es über 30.000, in Mitteleuropa rund 5.000. Wie viele davon essbar sind, ist nicht genau bekannt. Es gibt auch regiona­ le Unterschiede, einige Arten wie beispiels­ weise der Wollige Milchling, die gemeinhin als ungeniessbar gelten, werden in Osteu­ ropa für Speisezwecke verwendet. Hans Gsell stellt hier die schmackhaftesten un­ ter den weniger Bekannten vor. Zudem sind die vorgestellten Pilze mit einer Ausnah­ me weniger stark verwechselbar als andere. Trotzdem soll man Pilze, die man nicht zu 100 Prozent kennt, unbedingt kontrollieren lassen. X

Empfehlungen für das Pilzsammeln Verwenden Sie zum Pilzsammeln nur Körbe oder Stoffsäcke, nie Plastiksäcke. Bei verminderter Luftzufuhr findet relativ schnell eine Wärmeentwicklung statt und es bilden sich Substanzen wie Putreszin, Kadaverin, Histamin. Diese können zu gravierenden Vergiftungen führen. Verteilen Sie die Pilze so, dass die Luft zirkulieren kann und vermeiden Sie, dass die Pilze der Wärme ausgesetzt sind (zum Beispiel im Autokofferraum). Befreien Sie schon im Wald die gesammelten Pilze von anhaftender Erde und Nadeln. Beachten Sie dabei aber, dass die besonderen Merkmale wie Stielbasis usw. nicht beschädigt werden. Pflücken Sie nur Pilze, die in einwandfreiem Zustand sind. Vernichten Sie weder Giftpilze noch ungeniessbare Pilze. Was die Ihnen unbekannten Pilze anbelangt, genügen zwei oder drei Exemplare zur Bestimmung. Beim Pflücken sorgfältig aus dem Boden drehen, nicht säubern, charakteristische Merkmale des Biotops (Standortes) notieren. Getrennt von der restlichen Pilzernte aufbewahren. Lassen Sie junge oder alte Pilze sowie madige oder von Ungeziefer angefressene, die als Speisepilze wertlos sind, stehen. Pilze tragen wesentlich zum Erhalt des ökologischen Gleichgewichtes bei. Es ist deshalb unsinnig, ja sogar bedenklich, Pilze in Unmengen zu sammeln. Pflücken Sie nur so viele Pilze, die Sie benötigen, um ein Mittag- oder Abendessen zuzubereiten, und beachten Sie die kantonalen und kommunalen Pilzsammelbestimmungen. Schützen Sie seltene Pilzarten. Legen Sie das ganze Sammelgut nach Arten getrennt zur Kontrolle vor. Vorsicht vor täuschenden Äusserungen! «Hausmittel» wie Silberlöffel- oder Zwiebeltest, oder die Aussage, wonach angefressene Pilze ungiftig seien, sind reine Ammenmärchen. Zudem nimmt die Giftigkeit durch das Kochen nicht ab. Verzichten Sie generell auf den Konsum von rohen Pilzen – einige sind roh giftig. Servieren Sie keine Pilze, die nicht von einem offiziellen Pilzkontrolleur überprüft wurden. Nur mit einwandfrei bestimmten und kontrollierten Pilzen sind Sie und Ihre Gäste vor Vergiftungen geschützt. Bei einer allfälligen Vergiftung sind Sie schuld, wenn Sie die Pilze nicht von offizieller Stelle überprüfen liessen. weiter

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- nelkenschwindling marasmius oreades

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- Frauentäubling russula cyanoxantha

er Nelkenschwindling ist ein guter Ge­ würzpilz, das heisst, er wird zum Wür­ zen von Saucen und für Suppen verwendet. Wie sein Name schon sagt, riecht er nach Nelken. Essbar ist aber nur der Hut, der Stiel ist zäh. Der Hut hat einen Durchmesser von drei bis sieben Zentimetern und ist anfangs konvex (gewölbt nach aussen), dann bald flach mit mehr oder weniger wellig verboge­ nem Rand. Die Oberfläche ist matt, oft ris­ sig; cremeweiss bis blassocker, jung zuwei­ len mit fleischfarbenem Beiton und im Alter schmutzig weisslich. Die Lamellen sind ent­ fernt stehend und cremefarben. Der Stil des Pilzes ist rund sechs Zentimeter lang und ei­ nen halben dick. Er ist faserig, zäh und bieg­ sam (nicht brechend). Die Farbe ist ähnlich wie der Hut. Das Fleisch ist blass mit ange­ nehmem Geruch nach frischem Heu oder mit Bittermandelkomponente. Der Feld­ schwindling wächst vor allem auf Wie­ sen und Rasenflächen, selbst auf kleinen Grasstreifen in der Stadt, oft in Reihen oder Ringen und ist sehr häufig. Eigentlich kann er nicht mit giftigen Pilzen verwechselt wer­ den. Er wächst aber oft zusammen mit gifti­ gen Trichterlingen. Der Pilz wird auch Feld­ schwindling genannt. Weil Pilze oft regional anders heissen, benutzen Pilzexperten den lateinischen Namen.

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n dieser Jahreszeit kommt er relativ häu­ fig vor. Der Frauentäubling wächst vor al­ lem in Laubwäldern, besonders gerne bei Eichen und Buchen, seltener in Nadelwäl­ dern. Die Fruchtkörper des beliebten Spei­ sepilzes wachsen bereits im Juni und bis An­ fang November. Anders als bei den meisten Täublingen sind seine Lamellen nicht spröd­ blätterig. Das heisst, wenn man über die La­ mellen fährt, sind sie biegsam und brechen nicht ab. Der fleischige Hut ist jung halbku­ gelig, dann flach ausgebreitet und im Alter fast trichterförmig vertieft. Er erreicht ei­ nen Durchmesser von sechs bis 15 Zentime­ tern. Die Oberseite ist bei jungen Exempla­ ren oft schiefergrau getönt. Später setzt sich die Farbe aus violetten und grünen Antei­ len zusammen, von denen jeweils eine Farbe bis zur Einfarbigkeit dominieren kann. Der Rand ist oft violettpurpur gefärbt. Die Mit­ te weist häufig dunkelgrüne Töne auf, kann aber auch verblassen. Die Oberfläche ist kahl, lange schmierig und bei feuchter Wit­ terung glänzend. Der Rand ist scharf aus­ geprägt und bei älteren Exemplaren gerieft. Der Stiel des Pilzes ist rund sieben Zentime­ ter lang und 2,5 Zentimeter dick. Er ist regel­ mässig zylindrisch und weiss. Das Fleisch ist unveränderlich weiss und ohne besonderen Geschmack oder Geruch.

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- edelreizker lactarius deliciosus

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- mohrenkopf-milchling lactarius lignyotus

delreizker sind von allen Reizkern die besten Speisepilze. Man erkennt ihn gut am roten Milchsaft. Wenn man ihm ein Stück abbricht, fliesst roter Milchsaft aus. Der Hut erreicht einen Durchmesser von zehn bis 20 Zentimetern. Der Rand ist oft wellig verbogen. Die Huthaut ist etwas kleb­ rig und bei Trockenheit bereift. Auf einem ocker­orangefarbenen bis ziegelroten Grund befindet sich eine ausgeprägte dunklere Zo­ nierung oder ein konzentrisch getropftes Muster. Die Lamellen haben einen blass­ orangen Ton. An verletzten Stellen färben sie sich erst spät grün. Das Sporenpulver ist hellocker gefärbt. Der Stiel ist mit einer Län­ ge von bis zu fünf Zentimetern relativ kurz und mit einem Durchmesser von etwa zwei Zentimetern stämmig. Er hat fast die glei­ che Farbe wie der Hut und zeigt meist deut­ lich abgesetzte, dunklere Gruben. Das oran­ ge Fleisch ist fest, hart und bricht nur schwer. Die Milch ist rot und färbt sich schliesslich leicht grün. Der Geruch ist angenehm fruch­ tig, der Geschmack mild. Er ist in Kiefern­ wäldern sowie in Nadel­ und Mischwäldern mit Kiefern oder an Waldwegrändern zu fin­ den. Der lateinische Name «deliciosus» be­ deutet köstlich. Verwechselt werden kann er mit dem giftigen Bruchreizker. Doch dieser schmeckt stark nach Maggi.

D

er Hut des Mohrenkopf­Milchlings wird zwei bis sechs Zentimeter breit und schirmt schnell auf. Er ist braun bis schwarz und hat in der mittigen Senke im­ mer einen mehr oder weniger ausgeprägten kleinen, spitzigen Buckel (Papille). Andere Farbvarianten von hellbraun bis fast weiss sind möglich. Die Oberfläche ist fein sam­ tig und matt, oft mit vielen Adern und Fur­ chen. Der vier bis zwölf Zentimeter hohe Stiel hat etwa die gleiche Farbe wie der Hut und hat auch dessen samtige Oberfläche. An der Spitze ist er oft gerunzelt und die Lamel­ len laufen ein wenig an ihm herab. Sie sind weisslich und bilden einen starken farbli­ chen Kontrast zu Stiel und Hut. Erst im Alter werden sie weisslich­ocker. Der Stiel ist farb­ lich scharf abgegrenzt zu den hellen Lamel­ len, es gibt keinen allmählichen Übergang in die andere Farbe. Das Fleisch ist weiss­ lich; die daraus austretende Milch ist wäss­ rig und färbt an der Luft langsam lachsro­ sa. Es schmeckt mild nussartig, bisweilen auch leicht bitter. Das Sporenpulver ist blass cremefarben bis gelblich­orange und amy­ loid. Der Milchling kommt in Gebirgsnadel­ wäldern unter Fichten recht häufig vor und ist ein geschätzter Speisepilz. Der Pilz wird im Volksmund auch Essenkehrer, Schorn­ steinfeger oder Pasterle genannt.

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- Brauner kräuter-seitling Pleurotus eryngii

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- kaiserling amanita caesarea

ie Fruchtkörper des Braunen Kräuter­ Seitlings wachsen nur scheinbar auf dem Erdboden, tatsächlich sitzen sie aber an den absterbenden Wurzeln der Wirtspflan­ ze. Im Freiland ist der Hut fünf bis zehn Zen­ timeter gross und der Stiel acht Zentime­ ter lang, weiss oder cremeocker gefärbt und er hat einen graubraunen, feinfilzigen Hut. Der Hutrand ist lang herabgebogen bis ein­ gerollt und leicht wellig. Die weichen und entfernt stehenden Lamellen laufen weit am Stiel herab und sind dort netzartig querver­ bunden (Anastomosen). Sie haben eine weis­ se Farbe, bei zunehmender Reife verfärben sie sich gelblich bis orange. Das Sporenpul­ ver ist weiss. Der Stiel ist voll und je nach Anwachsstelle zentral oder exzentrisch mit dem Hut verwachsen. Die Fruchtkörper be­ sitzen ein dickes, festes und weissliches Fleisch. Sie erscheinen einzeln bis gruppen­ weise, manchmal auch etwas büschelig. Der Braune Kräuter­Seitling zeichnet sich durch ein zartes Aroma aus. Das Fleisch hat eine steinpilzartige Konsistenz. Bekannt ist bei vielen ein Verwandter von ihm, nämlich der Austern­Seitling, der seit Jahren gezüchtet wird. Weil der Kräuter­Seitling vielen besser schmeckt, wird er neu auch kultiviert. Die Kultur gilt als etwas schwieriger als die des Austern­Seitlings.

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er Kaiserling, auch Kaiserpilz oder Orangegelber Wulstling genannt, kommt in der Schweiz nicht so häufig vor, aber er muss trotzdem erwähnt werden. Für die Italiener ist er nämlich der beste Spei­ sepilz überhaupt. Er geniesst bereits seit der Antike den Ruf eines aussergewöhnlich wohlschmeckenden Speisepilzes. Der Hut wird etwa sieben bis 15, in Ausnahmefäl­ len 18 Zentimeter breit. Jung zunächst keu­ lig bis eiförmig, schirmt der Hut im Alter auf. Seine Oberfläche ist leuchtend orangerot ge­ färbt und zum Hutrand hin häufig gelblich ausblassend, feucht etwas schmierig, in tro­ ckenem Zustand seidig glänzend, glatt und am Rand gerieft. Der zitronen­ bis goldgel­ be Stiel wird acht bis 15 Zentimeter lang und zwei bis drei Zentimeter stark, an der Spit­ ze verjüngt er sich etwas, an der Basis ist er dagegen knollig verdickt. Seine Oberfläche ist unter der hängenden, oberflächlich ge­ rieften, unterseits glatten, goldgelben Man­ schette feinfaserig­flockig. Der Stiel steckt in einer sackartigen, lappigen, dickhäutigen, weissen bis grauweissen Volva. Die Lamellen sind jung hellgelb und verfärben sich mit zu­ nehmender Reife nach goldgelb. Das ansons­ ten weisse Fleisch unter der Huthaut zeigt eine gelbe Farbe. Der Geruch ist angenehm, der Geschmack mild und nussartig.

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Das neue

- riesenbovist Calvatia gigantea

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iesenboviste zählen zu den wenigen Pilzarten, die kaum verwechselt wer­ den können. Denn er ist kugelrund und weiss. Im jungen Zustand, wenn die Frucht­ körper klein sind, können Verwechslungen mit den giftigen Wulstlingen auftreten. Es können auch Verwechslungen mit essbaren Stäublingen (Beutelstäubling, Hasenstäub­ ling) vorkommen. Der Riesenbovist wird im Durchmesser etwa zehn bis 50 Zentimeter gross, ist rundlich und ohne Stiel. Die Haut ist glatt und lederartig. Die Farbe ist jung weisslich, dann grüngelblich und alt durch die Sporen olivbraun oder rotbraun bis dunkelbraun. Die Fruchtmasse ist anfangs ebenfalls weiss und wird während der Rei­ fung olivbraun und pulverig. Reifere Pilze riechen unangenehm harnartig. Riesenbo­ viste wachsen von Juni bis September vor­ nehmlich auf Wiesen, Weiden und in lich­ ten Wäldern (aufgelockerte Kiefernwälder an eher trockenen Standorten). Charakte­ ristische Standorte sind vor allem alte Streu­ obstwiesen, wo schon Hexenringe von zehn oder mehr Metern Durchmesser beobachtet werden konnten. Man kann den Riesenbo­ visten nur essen, solange er weiss ist. Die Zu­ bereitung ist speziell: Man schneidet ihn in Scheiben, kann ihn panieren und braten wie ein Stück Fleisch.

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www.�at�ona�-on��ne.ch


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Exotisches

von einheimischen

Bäumen

text: riccarda Frei | Bild: Filipa Peixeiro www.lfi.ch | www.simply-wild.de | www.dr-m-strauss.de


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im wald gibt es nicht nur Pilze, Beeren und wildkräuter zu finden. auch die Bäume haben kulinarisch einiges zu bieten.

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ie Sängerin Alexandra betrauert im Lied «Mein Freund, der Baum» einen Baum, der gefällt wurde. Wie sehr hätte sie erst getrauert, wenn sie gewusst hätte, dass der Baum nicht nur ein guter Zuhörer, son­ dern auch eine üppige Nahrungsquelle war, die selbst für menschliche Gaumen einige positive Überraschungen in Petto hatte. Für uns ist der Wald mit seinen Bäumen in der Regel ein Ort der Erholung; für un­ sere Vorfahren hingegen war er Millionen von Jahren lang eine Speisekammer. Neben Baumfrüchten wie Nüssen, Eicheln, Eckern und Samen können auch Blüten, Blätter, Zapfen und sogar die Rinde von Bäumen zu gesunden, nährstoffreichen und leckeren Gerichten und Getränken verarbeitet wer­ den. Selbst wertvolle Öle, zum Beispiel aus Linden­Nüsschen oder Bucheckern, kön­ nen gewonnen werden. Schleckmäuler kom­ men mit frisch vom Baum gezapftem Bir­ kenwasser, Ahorn­ oder Fichtensirup als Zuckerersatz auf ihre Kosten. Sogar auf Spa­ ghetti braucht ein «Waldmensch» nicht zu verzichten. Aus der zart hellgelben Innen­ rinde der Birke schneidet er Streifen. Diese werden in Salzwasser gekocht, bis sie weich sind. Besonders gut sollen sie mit einer Pesto aus Brennnesselblättern, Bärlauch, wildem Knoblauch und Olivenöl schmecken.

Mutter Natur hat reich aufgetischt In Mitteleuropa gibt es rund 1.500 essba­ re Wildpflanze, darunter viele Laub­ und Nadelbäume. «Unsere Waldbäume bieten eine gesunde und kostenlose Bereicherung des Speiseplans», sagt Markus Strauss. Der Biologe, Geologe, Geograph, Kursleiter und Buchautor hat sich auf essbare Wildpflan­ zen spezialisiert. Sein erklärtes Ziel ist de­ ren Reintegration in unsere heutige Alltags­ kultur. «Dies bietet meiner Ansicht nach grosse Chancen in den Bereichen Land­ wirtschaft, Esskultur, Gesundheitsvorsor­ ge, Naturerlebnis und Lebenslust.» In sei­ nen Büchern und Kursen plädiert Markus Strauss für eine respektvolle und umsichti­ ge Nutzung der Bäume. Schliesslich sollen

weder Menschen noch Pflanzen zu Schaden kommen. «Voraussetzung für den sinnvol­ len Einsatz von Wildpflanzen ist allerdings das sichere Erkennen der essbaren Teile so­ wie das Wissen, wann und wo diese gesam­ melt und wie sie verwertet werden kön­ nen.» Bei Laubbäumen könne man alles essen, was einem schmeckt. Bei Nadelbäu­ men müsse man die stark giftige Eibe mei­ den. Sein fundiertes und praxiserprobtes Know­how über essbare Wildpflanzen gibt Markus Strauss gerne weiter. In Zusam­ menarbeit mit der Hochschule für Wirt­ schaft und Umwelt in Nürtingen­Geislingen (D) bietet er Zertifikatslehrgänge zu «Fach­ berater/in für Selbstversorgung mit essba­ ren Wildpflanzen» an. Der Lehrgang rich­ tet sich unter anderem an Mitarbeitende in Gastronomie und Tourismus. Unter den bis­ herigen Absolventen befinden sich auch drei Bio­Köche. In der Schweiz haben sich einige Gastro­ nomen schon vor Jahren auf den Einsatz von Wildpflanzen spezialisiert. Allen voran der «Chrüter­Oski», Oskar Marti, und der «He­ xer aus dem Entlebuch», Stefan Wiesner. Doch auch weniger exzentrische Köche nut­ zen die Aromen von Arve, Lärche und Co. gerne, um klassischen Gerichten eine beson­ dere Note zu verleihen. Beat Caduff, Gastge­ ber in Caduff’s Wine Loft, Zürich, verleiht seinem Rehpfeffer mit einem Arvenzweig das gewisse Etwas. Daniel Bumann, Gast­ geber in der Chesa Pirani in La Punt, kam vor Jahren beim Joggen auf die Idee, Ar­ ven­ oder Lärchennadeln kulinarisch zu nutzen. Für den Biologen Markus Strauss ist die­ se Besinnung auf unsere essbaren Wild­ pflanzen keine Überraschung. «Sie sind heu­ te unsere gehaltvollsten und ehrlichsten Lebensmittel.» X «Köstliches von Waldbäumen – bestimmen, sammeln und zubereiten» von Dr. Markus Strauss Hädecke Verlag , Preis: CHF 14.90 weiter ISBN: 978-3-7750-0585-2

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SPITZAHORN Der Ahorn wird bis zu 30 Meter hoch. Die Blätter haben zugespitzte Blattlappen.

BUCHE Buchen werden bis zu 40 Meter hoch und haben mächtige Kronen.

STANDORT Mitteleuropäische Wälder, vor allem an feuchten Standorten mit nährstoffreichen Böden.

STANDORT Auf 600 bis 800 m ü.M. sehr weit verbreiteter Waldbaum, dessen junges Laub äusserst reich an Mineralstoffen ist.

ERNTEZEIT Sirup abzapfen Februar/März Keimlinge März bis April Blätter + Früchte Ende März bis Mai

ERNTEZEIT Keimlinge Ab Mitte April junge Blätter Ende April bis Mai Bucheckern Sept. bis Nov.

REZEPT Ahorn-«Blattspinat» 1 Zwiebel (gewürfelt) etwas Olivenöl etwas Wasser 8 Handvoll Ahornblätter ( junge) 2 Knoblauchzehen Salz, Pfeffer Muskat 125 ml Rahm

REZEPT Bucheckern-Risotto 40 g Butter 300 g Risotto-Reis 1 l Gemüsebrühe Salz Pfeffer 2 Zwiebeln (gewürfelt) Olivenöl 1 Rüebli (gross) 4 Knoblauchzehen 150 g Bucheckern Parmesan (gerieben)

Zwiebel in Öl anschwitzen, mit Wasser ablöschen. Ahornblätter grob zerkleinert dazugeben, eventuell noch etwas Wasser nachgiessen. Mit Knoblauch, Salz, Pfeffer und Muskat würzen und mit Rahm verfeinern. Die Garzeit beträgt etwa sechs Minuten. Dieser Spinat passt zu Hirse- und Reisgerichten. Er kann nach Wunsch auch als Mischung mit Wildgemüse (z.B.Giersch, Brennnessel) zubereitet werden.

Reis in Butter glasig werden lassen, Gemüsebrühe dazugiessen, auf kleiner Flamme langsam ziehen lassen. Zwiebeln in Olivenöl anschwitzen, Rüebli dazugeben und garen lassen. Knoblauch kurz mitgaren lassen. Bucheckern hinzufügen und das Ganze unter den fast fertigen Reis heben. Den Risotto durchziehen lassen. Vor dem Servieren den Parmesan einrühren.

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ESSKASTANIE Bis zu 30 Meter hoch können Kastanienbäume werden. Auffallend ist ihr oft knorriger Wuchs. STANDORT Esskastanien sind, wie Marronibäume, wärmeliebend. Daher sind sie nördlich der Alpen selten und nur an Lagen mit südlichem Klima anzutreffen. ERNTEZEIT Nüsse Mitte September bis Mitte Oktober REZEPT Kastanien-Chutney 4 grosse, rote Zwiebeln 1 Fenchelknolle 3 EL Olivenöl 250 g Esskastanien, geschält 60 g Rohrohrzucker 100 ml Sherry 100 ml Apfelessig Salz, Pfeffer Zwiebeln und Fenchel klein schneiden, in Olivenöl andünsten. Die Kastanien in Stücke schneiden und zusammen mit dem Rohrohrzucker, Sherry, Apfelessig dazugeben. Mit Salz und Pfeffer würzen. Alles auf kleiner Flamme köcheln lassen, bis das Chutney eingedickt ist. Sofort in sterile Gläser abfüllen. An einem kühlen, dunklen Ort gelagert, kann das Chutney etwa ein halbes Jahr aufbewahrt werden. Das Chutney passt gut zu Reisgerichten.


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FICHTE Fichten werden bis zu 50 Meter hoch. Zapfen bilden sich erst, wenn der Baum älter als 30 Jahre ist.

VOGELKIRSCHE Ein Vogelkirschbaum wird bis zu 30 Meter hoch. Er sieht fast so aus wie ein Kultur-Kirschbaum.

STANDORT Fichten wachsen bis auf etwa 1800 m ü.M. Sie haben eine kegelförmigspitze Krone.

STANDORT Vogelkirschbäume wachsen in Wäldern von Nordafrika bis Nordeuropa.

ERNTEZEIT Fichtenspitzen Mai Fichtennadeln Juli bis August Samen Herbst REZEPT Fichtengemüse indische Art 200 g Fichtenspitzen 2 Rüebli (gewürfelt) Öl (zum Braten) 50 g Kokosnussfleisch (frisch) 1/8 l Milch oder Rahm (auch Soja,-, Reis- oder Kokosmilch möglich) ½ TL Rorohrzucker Salz, Pfeffer Kreuzkümmel Currypulver Bockshornklee Cayennepfeffer Fichtenspitzen kleinschneiden und mit Rüebliwürfeln im Öl andünsten. Kokosnussfleisch ins Gemüse raspeln, ablöschen und auf kleiner Flamme 15 Minuten köcheln lassen. Mit den Gewürzen abschmecken. Statt Fichte kann man auch Weisstanne, Douglasie oder Lärche verwenden.

ERNTEZEIT Blüten Mitte April bis Mai junge Blätter Ende April bis Ende Mai Früchte (Kirschen) Ende Juni bis Juli REZEPT Konfitüre mit Vogelkirschen, Holunder und Baumnuss 900 g Kirschen (entsteint) 200 ml Holunderbeersaft 500 g Gelierzucker 125 g Baumnusskerne ( fein gehackt) Kirschen mit dem Stabmixer grob pürieren. Mit Holunderbeersaft und Gelierzucker vermischen. Unter Rühren zum Kochen bringen. Nach zwei Minuten Kochzeit die fein gehackten Baumnusskerne unterrühren. Eine weitere Minute kochen lassen. Die heisse Konfitüre sofort in heisse und sterile Schraubdeckelgläser abfüllen, verschliessen und zum Abkühlen einige Minuten auf den Kopf stellen. An kühlem, dunklem Ort gelagert, ist die Konfi mindestens ein Jahr haltbar.

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EICHE Eichen können über 1.000 Jahre alt und 40 Meter hoch werden. STANDORT Stieleichen findet man in Auenwäldern, Traubeneichen hingegen eher an trockenen Standorten. ERNTEZEIT Eicheln Ende September bis Mitte Oktober REZEPT Eichel-BaumnussPralinen 180 g Eichelmehl 180 g Baumnusskerne (gehackt) 40 g Rohrohrzucker Kakaopulver Eichelmehl*, Rohrohrzucker und Baumnusskerne mischen und durch den Fleischwolf drehen. Aus der Masse Kugeln formen. Diese im Kakaopulver rollen, bis sie von allen Seiten mit Kakao bedeckt sind. * Eichelmehl: Eicheln acht bis zehn Minuten rösten, bis der Kern die Schale gesprengt hat. Die Kerne aussortieren und ein, zwei Tage in kaltes Wasser legen. Das Wasser mehrmals wechseln. Dann die Kerne gut abtropfen lassen und durch den Fleischwolf drehen. Das entstandene Eichelmehl durchsieben. Tipp: Die gewässerten Eicheln kann man auch wie Esskastanien verwenden.


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Der

Sammler

interview: Jörg ruppelt Bilder: sylvan müller

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dominik flammer gilt als entdecker fast vergessener Pflanzen und profunder kenner alpenländischer delikatessen. seit Jahren streift er durch wald und flur und dokumentiert seine funde in vielbeachteten Büchern.

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eit 30 Jahren beschäftigt sich der 48­jäh­ rige Buch­ und Drehbuchautor Domi­ nik Flammer mit der Geschichte der Ernäh­ rung. Zusammen mit drei Partnern ist er Inhaber der Zürcher Agenur Public Histo­ ry Research, die sich auf die historische Re­ cherche für Firmen spezialisiert hat. Domi­ nik Flammer setzt sich mit seinen Büchern insbesondere für die Wiederentdeckung der regionalen Spezialitäten ein. «Schweizer Käse» und «Das kulinarische Erbe der Al­ pen» gelten mittlerweile als Standardwerke der kulinarischen Literatur. In den nächsten Wochen erscheint sein neustes Werk: «Die Enzyklopädie der alpinen Delikatessen». Ein handlicher Führer mit 500 verschwun­ den geglaubten Produkten aus dem Alpen­ raum, darunter auch seltene, fast vergessene Spezialitäten aus dem Wald.

hetgm: Herr Flammer, wer wie Sie so viel Vergessenes aufspürt, der ist sicher ein Landmensch, oder liegen wir da falsch? Flammer: Nun, ich bin beides, ein Stadt­ und ein Landmensch, und zwar ziemlich ausgewogen. Ich bin auf dem Land aufgewachsen und habe fast meine halbe Kindheit im Wald verbracht. Meine Mutter wusste manchmal nicht mal mehr, was sie mit den Wildbrombeeren anfangen sollte, wenn ich wieder zwei Körbchen voll nach Hause brachte. Doch ich liebe Zürich und fühle mich auch in anderen urbanen Räumen sehr wohl. So lebe ich heute auch: zur Hälfte in der Stadt, zur Hälfte auf dem Land. hetgm: Welche Düfte haben Sie in der Nase, wenn Sie durch den Wald streifen? Flammer: Von den harzigen Düften im Winter, wenn an den Waldwegen das frisch geschlagene Holz liegt, über die Blütendüfte im Frühjahr bis zur dampfenden Modrigkeit des Bodens, wenn der Sommerregen herunterpras­ selt, und den Pilzdüften in den Herbstwäldern. hetgm: Noch vor 100 Jahren blieb im Wald nichts liegen. Der Wald war Speise­ und Vorratskammer. Ist es an der Zeit, dieses Terroir neu zu entdecken? Flammer: In der Tat ist der Wald eine unerschöpfliche Fundgrube. Ich sammle Wildkräuter, Rinden zum Räuchern, Bucheckern und Nüsse, Beeren und sehr gerne auch Pilze. Am liebsten Blutreiz­ ker, die ich zu Hause dann in sehr feine Scheiben schneide, in etwas Salz und Mehl wende und dann zu Reizker­Chips frittiere, die mit viel schwarzem Pfeffer gewürzt werden.

Fichtenbast-ernte im Waadtländer Jura

hetgm: Klingt appetitlich. Aber warum sind uns oftmals Geschmäcker der Fremde vertrauter als jene des weiter Alpenraums?

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Flammer: Das Gegenteil ist doch der Fall. Tief in uns drin sind die Geschmä­ cker unserer Region vergraben, wir können sie jederzeit abrufen. Selbst wenn wir uns an die Thaiküche oder an libanesische Mezze gewöhnt haben, werden die einem Aargauer nie so vertraut schmecken wie eine Rüeblitorte oder einem Appenzeller eine Siedwurst. hetgm: Wie ist die Idee entstanden, ein Buch über das kulinarische Erbe der Alpen zu schreiben? Flammer: Begonnen hat es mit einem Buch über Schweizer Käse. Da habe ich gemerkt, dass Ernährungstraditionen keine Grenzen kennen. Weshalb sonst gibt es so viele Parallelen zwischen dem Veltlin und dem Puschlav oder dem Kanton Genf und Savoyen. Oder der Ostschweiz und Vorarlberg? Mich hat interessiert, wie sich die Regionen grenzüberschreitend beeinflusst haben und warum. hetgm: Sind Sie auf der Suche nach dem Urgeschmack? Flammer: Immer wieder, doch gibt es ja unzählige Urgeschmäcker. Eine Walderdbeere etwa oder eine Heidel­ beere, ein Blatt vom Sauerklee oder der honigsüsse Geschmack eines Stängels des Wiesenbockbartes. Oder eine alte Apfelsorte, die ich in einem Hofladen entdecke. Da lässt sich noch viel ausgraben. Erst letztes Jahr habe ich zum ersten Mal die Wurzel des Tüpfel­ farns gekostet. h gm: Und wie hat sie Ihnen geschmeckt? Flammer: Sehr gut, die Wurzeln haben einen enorm hohen Zuckergehalt und schmecken nicht nur zuckersüss, sondern auch nach Lakritze. Weshalb sie auch «Waldlakritze» genannt werden. et

hetgm: Was haben Sie im Wald noch entdeckt? Flammer: Dank der begnadeten und leidenschaftlichen Wildpflanzenköchin Meret Bissegger die ährige Teufelskralle, eines der leckersten Wildgemüse überhaupt. Die jungen grünen Blüten­ triebe der Teufelskralle kann man einfach kurz in Olivenöl andünsten und mit etwas Salz und Zitronensaft würzen. Man kann sie auch roh als Salat verwen­

den oder etwa wie Spinat in einer klassischen Frittata. hetgm: Sie besuchten Marianne Golay­Jaquier im Jura und beschreiben im Buch «Das kulinarische Erbe der Alpen» deren Fichtenbast­Ernte. Welchen Einfluss haben Holz und Harz zum Beispiel auf den Weichkäse? Flammer: Einen unvergleichlichen. Vacherin Mont d’Or etwa wird mit dem in der Sonne getrockneten Bast umwi­ ckelt und macht ihn zum König unter den Schweizer Weichkäsen. Noch intensiver und spannender ist aber die Bergfichte des Toggenburger Spitzenkäsers Willi Schmid. Er packt seinen aus Rohmilch hergestellten Weichkäse in noch frische, nicht getrocknete Fichtenrinde. Was diesem einzigartigen Käse eine intensive und unvergessliche Würzigkeit verleiht. hetgm: Holz ist auch die Basis für das Räuchern. Ist das Raucharoma von heute mit dem von früher gleichzusetzen? Flammer: Leider nein, viele Metzger arbeiten mit chemischem Flüssigrauch. Selten sind leider die noch handwerklich arbeitenden Fleischverarbeiter gewor­ den. Einer der besten ist der Südtiroler Heinrich Pöder aus St. Pankraz im Ultental. Er räuchert noch mit eigenem Holz, was seinem Speck einen unver­ gleichlichen Geschmack verleiht. Oder Patrick Marxer aus Wetzikon von «Das Pure», der Fische und Fleisch sehr sorgfältig verarbeitet. hetgm: In wenigen Wochen erscheint Ihre Enzyklopädie der alpinen Delika­ tessen. Verraten Sie uns Ihre verrücktes­ ten, spannendsten Neuentdeckungen? Flammer: Zum spannendsten Teil der Arbeit der letzten Monate gehört die intensivierte Suche nach der grossen und im ganzen Alpenraum weit verbreiteten Tradition der gestreckten Würste, von denen übrigens viele geräuchert werden, um sie haltbar zu machen. Gestreckt werden sie mit Getreide, Kartoffeln, Gemüse wie Randen, Kohl und Kohlrü­ ben oder mit Dörrfrüchten wie Birnen, Kirschen oder Zwetschgen. hetgm: Gewähren Sie uns noch ein paar ganz persönliche Einblicke in Ihr Leben: Woran erfreut sich Ihr Blick, wenn Sie von der Schreibarbeit aufschauen?

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Flammer: An der Schönheit des Vierwaldstättersees. hetgm: Welcher Moment in Ihrer Arbeit bereitet Ihnen tiefste Befriedigung? Flammer: Die Freude in den Augen von Kindern, wenn sie Wildpflanzen sammeln und dann gemeinsam zu leckeren Gerichten verarbeiten dürfen. hetgm: Was essen Sie gerne? Flammer: Alles, was gut ist. Und da ich ein Omnivore bin, also einer, der eigentlich vor nichts zurückschreckt, gehören ganz viele Dinge dazu. Es ist für mich einfacher zu beantworten, was ich nicht esse: chemisch mit künstlichen Geschmacksstoffen aufgepumpte Industrieware, Fleisch aus Massenhal­ tung oder Gerichte von Köchen, die nur den Gang von der Tiefkühltruhe zur Fritteuse kennen.

«Die Enzyklopädie der alpinen Delikatessen» Das neue Nachschlagewerk zum Erfolgstitel «Das kulinarische Erbe der Alpen». Die Enzyklopädie beschreibt mehr als 500 Delikatessen und liefert dazu Adressen der wichtisgten Produzenten. AT-Verlag, 2014 (erscheint im Oktober) Gebunden, ca. 400 Seiten Preis: CHF 39.90 ISBN: 78-3-03800-829-3

hetgm: Gibt es ein Gewürz oder eine Geschmacksrichtung, die Sie nicht ausstehen können? Flammer: Abgepackte und vorgemah­ lene Gewürze sind mir ein Graus. So wie der weisse Pfeffer, der früher auf jedem Wirtshaustisch stand und der gestunken hat wie ein nasser Hund. hetgm: Welche extravagante Zutat kann Ihnen in der Küche und auf dem Tisch gestohlen bleiben? Flammer: Überteuerte Weine. Neurei­ chenzeugs eben, mit dem sich Leute brüsten, die sonst bei keinem anderen Lebensmittel auch nur die geringsten Unterschiede herausschmecken.

«Das kulinarische Erbe der Alpen – Das Kochbuch.» Mit Rezepten aus der alpinen Kulinarikgeschichte und neuen Rezepten von einem Dutzend Spitzenköchen aus dem Alpenraum. Von althergebrachten Traditionen zur modernen Terroir-Küche. Mit Verzeichnis der wichtigsten Rezepte der alpinen Kulinarikgeschichte. AT-Verlag, 2013 Gebunden, 268 Seiten Preis: CHF 78.00 ISBN: 978-3-03800-746-3

hetgm: Was war die teuerste Delika­ tesse, die Sie jemals eingekauft haben? Flammer: Weisse Albatrüffel. Die gönne ich mir jedes Jahr mindestens einmal, die sind einfach unwiderstehlich. Da gebe ich gerne auch mal ein paar hundert Franken aus, und wenn das nur gerade für einen Teller Pasta mit meiner Liebsten reicht. hetgm: Und was wäre Ihre Henkers­ mahlzeit (wobei wir natürlich hoffen, dass das nie der Fall sein wird..)? Flammer: Ich hoffe sehr, dass man mir zu meiner allfälligen Henkersmahlzeit etwas Leckeres auftischt, was ich noch nicht kenne. X

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Frau

macht Kohle doris wicki ist die einzige frau in der schweiz, die das alte handwerk des kรถhlerns beherrscht. dieses verlangt viel erfahrung, wissen und nicht zuletzt eine gute konstitution.

text: Bernadette Bissig | Bilder: zVg www.event-koehlerei.ch | www.ottos.ch


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er im Sommerhalbjahr durch die Wälder der Napfregion streift, trifft dort auf dem Gebiet der Gemeinde Romoos mit grosser Wahrscheinlichkeit auf einen rauchenden Kohlemeiler. Es wird einer der Meiler der acht Entlebucher Köhler sein, die im Nebenerwerb Holzkohle herstellen. Sie sind heute schweizweit die Einzigen, die das jahrhundertealte Handwerk noch gewerbs­ mässig betreiben. Das schwarze Gold zeich­ net sich durch eine glänzende tiefschwarze Farbe aus. Zudem verglüht es langsam und gleichmässig. Hierzulande verbrauchen Grillliebha­ ber pro Jahr gut 10.000 Tonnen Holzkohle. Fast die gesamte Menge stammt aus auslän­ discher Produktion. Ein Grossteil wird aus Osteuropa importiert, das meiste ist Indus­ trieholzkohle. Diese entsteht im Schnellver­ fahren. Die Kohlestücke sind matter, kleiner und weniger fest als traditionell hergestellte Holzkohle.

te noch rauchen. Doris Wicki wiederum ist dafür besorgt, dass sie dies auch ausserhalb von Romoos tun. Denn ihre drei Brüder, die in Romoos seit Jahren Holzkohle produzie­ ren, waren lange Zeit in der ganzen Schweiz unterwegs, um das Handwerk bekannt zu machen. Als die Brüder die Eventköhlerei vor zehn Jahren aufgrund ihrer beruflichen Verpflichtungen aufgeben mussten, ent­ schied sich Doris Wicki, diese Familientra­ dition weiterzuführen. Die gelernte Coiffeu­ se mit Meisterprüfung liess sich von Bruder und Vater in die Kunst des Kohlemachens einführen. 2005 startete sie mit ihrem ei­ genen ersten Köhlerevent im Zürcher Wein­ land. «Heute bin ich von Frühling bis Herbst in der ganzen Schweiz unterwegs. Pro Sai­ son baue ich bis zu vier Kohlemeiler», sagt die 56­Jährige. Ihren Coiffuresalon hat sie in der Zwischenzeit aufgegeben. Sie arbeitet mittlerweile während der Wintersaison im Gastgewerbe.

Früher wichtiger Erwerbszweig Das Köhlern stellte früher auch in der Schweiz einen wichtigen Erwerbszweig dar. In der Gemeinde Romoos beispielsweise rauchten zeitweise über 200 Kohlemeiler. Die Industrie war damals ein wichtiger Ab­ nehmer des wertvollen Brenngutes. Denn die zahlreichen Eisengiessereien, Ziegeleien und Glashütten hatten einen grossen Bedarf an Energie. Und auch im 20. Jahrhundert setzten Betriebe wie die Von Moos Stahl aus Emmenbrücke immer noch auf Holzkohle aus dem Entlebuch. Als diese Unternehmen auf neue tech­ nische Prozesse umstellten, war die Indus­ trieholzkohle nicht mehr gefragt. Die Köhler der Gemeinde Romoos reagierten und stell­ ten gegen Ende der 1980er­Jahre auf Grill­ holzkohle um. Der damalige Inhaber von Otto’s Warenposten, Otto Ineichen, nahm die Holzkohle in das Sortiment auf. Das heu­ te unter dem Namen Otto’s auftretende De­ tailhandelsunternehmen kauft den Köh­ lern immer noch die gesamte Produktion ab. 80 bis 90 Tonnen sind es pro Saison. Deren 200 würde der Wiederverkäufer abnehmen. Denn die Grillholzkohle, die exklusiv in al­ len Otto’s­Filialen erhältlich ist, wird von Kennern sehr geschätzt. Der Gastrofreelan­ cer Hubert Germann aus Luzern etwa ver­ wendet die Kohle für seine Grillkurse und für Caterings: «Die Kohle ergibt eine sehr gute und konstante Glut.» So ist es also Otto Ineichen zu verdan­ ken, dass die Entlebucher Kohlemeiler heu­

das holz ist fertig aufgeschichtet.

Tag und Nacht überwachen Das Köhlern ist Knochenarbeit und erfor­ dert Ausdauer, Kraft und eine robuste Kon­ stitution. Denn je nach Grösse eines Meilers braucht dieser von einer bis zu vier Wochen uneingeschränkte Überwachung und Pfle­ ge. «Einen Zehn­Ster­Kohlemeiler kann ich in einer Woche abschliessen. Für einen 70­Ster­Meiler brauche ich vier Wochen», sagt Doris Wicki. Während dieser Zeit lebt die Köhlerin jeweils in einem Bauwagen ne­ ben dem Kohlemeiler. Denn auch während der Nacht muss sie alle zwei Stunden Luft­ löcher in den Kohlemeiler stechen und Holz­ kohle nachfüllen. «Zum Glück habe ich ei­ nen unproblematischen Schlaf. Ich stelle den Wecker, stehe auf, kontrolliere den Koh­ lemeiler und lege mich wieder schlafen.» Bis es nach zwei Stunden wieder klingelt. weiter

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eine schicht reisig, darüber die «Löschi».

«Die Nacht hat ihren ganz besonderen Reiz. Die Stimmung auf dem beleuchteten Platz mit den umherziehenden Rauchschwaden ist richtiggehend mystisch.» Für das Köhlern braucht es einen gros­ sen, befestigten Platz und viel Holz. «Ich verwende meist Buchenholz für meine Koh­ lemeiler. Kürzlich habe ich im Engadin ei­ nen Kohlemeiler aus Arvenholz gebaut. Ich finde es wichtig, Holz aus der Region zu ver­ wenden», sagt Doris Wicki. Als Erstes legt die Köhlerin einen Boden­ rost. Dann erstellt sie in der Mitte das Fül­ lihaus, eine Art Abzugrohr. Schräg an das Füllihaus schichtet die Köhlerin danach Ein­Meter­Spalten dicht an dicht. Auf die erste Reihe setzt sie eine zweite. Auf diese folgt dann wiederum eine Schicht aus kürze­ ren Hölzern, die eine Kuppe bilden und den Kohlemeiler abschliessen. Dieser Abschluss wird in der Köhlersprache Grind genannt. Das Ganze deckt sie mit Reisig ab. Dieser grüne Mantel schützt das Holz vor der Lö­ schi, einer Masse aus Kohlestaub. Diesen Staub feuchtet die Köhlerin mit etwas Was­ ser an und bringt ihn Schaufel um Schaufel auf den Meiler auf. Anschliessend drückt sie die Löschi mit den Füssen an. Die schwarze Masse schliesst den Kohlemeiler luft­ und wasserdicht ab. «Die Löschi ist teilweise mehrere Jahrhunderte alt. Sie kann immer wieder verwendet werden. Unsere stammt aus den Siebzigerjahren.» Ihr Vater grub sie in einem alten Kohlemeiler in Bramboden aus. Danach folgt ein Brettergerüst um den Meiler. Auf diesem kann sie den Meiler um­ runden. Zum Schluss braucht es noch eine einfache Holzleiter. Diese zimmern ihr die Forstleute jeweils vor Ort.» Anschliessend kann der Meiler entfacht werden. Sie entzündet ihn mit drei bis vier Schaufeln Glut, die sie in den Schacht kippt.

«Es dauert vier bis fünf Stunden, bis der Schacht glüht. Bis es so weit ist, fülle ich alle 30 Minuten kleine Kohlestücke nach.» Dann deckt sie den Kohlemeiler mit einem Eisen­ deckel zu. Während der folgenden Stunden und Tage ist Doris Wicki damit beschäftigt, mit einem Eisenstab Löcher in den Meiler zu stechen. Vorerst nur im oberen Bereich. «Ich mache alle 20 Zentimeter ein Loch. Da­ durch kann ich gezielt Sauerstoff zuführen», sagt die Köhlerin. Alle zwei Stunden öffnet sie den Schachtdeckel und füllt Kohle oder Hackschnitzel ein. Nach zwei bis drei Tagen ist eine Hitze von 500 Grad Celsius erreicht. Diese Hitze braucht es, damit der Verkoh­ lungsprozess in Gang gesetzt wird. Schicht um Schicht arbeitet sie sich mit dem Lö­ cherstecher den Meiler hinunter. «Ich spü­ re es, wenn ich tiefer gehen kann.» Ist die

durch die Löcher wird sauerstoff zugeführt.

Kohle fertig, so steigt blauer Rauch auf und der Meiler sinkt etwas ab. «Dann mache ich knapp über dem Boden rings um den Mei­ ler grosse Löcher auf, damit ich das Feuer nach aussen ziehen kann.» Ist der Meiler ge­ löscht, trägt sie die Löschi ab und verpackt sie sorgsam, damit sie diese beim nächsten Mal wieder verwenden kann. «Danach gilt es, die Kohle auszubreiten. Anschliessend siebe ich sie, dadurch kann ich die restliche Löschi eliminieren. Zu guter Letzt packe ich die Holzkohle in Acht­Kilogramm­Säcke ab. Dabei unterstützen mich Helfer.» Die Holz­ kohle verkauft der Veranstalter des Events jeweils gleich vor Ort. «Sie stellen mir das Holz zur Verfügung, im Gegenzug gehört ih­ nen die Holzkohle.»

Interessant für Spitzengastronomen, Teemeisterinnen und Künstler Neben der Eventköhlerei stellt Doris Wi­ cki auf Wunsch auch spezielle Holzkohle

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her. Für Stefan Wiesner, den Hexer aus dem Entlebuch, köhlerte sie Holzkohle aus Kir­ schenholz. Der Tüftler hat aus dieser Koh­ le einen Holzessig destilliert. Dieser bildete eines der siebzehn Elemente seines Gerich­ tes «Kirschbaum, Kirschlachs», aufgebaut in Anlehnung an die japanische Dichtkunst Haiku. Diese Kreation präsentierte er 2013 am internationalen Gastronomiegipfel Ma­ drid Fusion. Dafür verarbeitete er alle Be­ standteile des Kirschbaumes zu einzelnen Komponenten des Gerichtes und kombi­ nierte das Ganze mit japanischem Kirsch­ lachs aus Schweizer Zucht. Inspiriert dazu hatte ihn der Laichzeitpunkt des Fisches. Dieser steigt zur gleichen Zeit, in der die Kirschbäume in Japan in Blüte stehen, vom Pazifik in die japanischen Flüsse auf. Die japanische Teezeremonie­Meisterin Soyu Yumi Mukai, die im Museum Rietberg in Zürich Teezeremonien anbietet, weiss die traditionell hergestellte Kohle ebenfalls zu schätzen. Doris Wicki stellt für sie regel­ mässig Kohle aus Ästen her: «Diese ist viel

härter und fester. Dadurch glüht sie län­ ger und ist geradezu prädestiniert für eine Teezeremonie.» Doch nicht nur Spitzenköche und Tee­ meisterinnen sind interessiert an der tra­ ditionell hergestellten Kohle, sondern auch Künstler und Designer. Anlässlich einer Ausstellung im deutschen Vitra Design Mu­ seum in Weil am Rhein arbeitete die Köh­ lerin 2012 mit einem jungen Designerteam aus Holland zusammen. Dieses entwickel­ te eine Serie von Glasgefässen mit dazuge­ hörenden Holzobjekten. Die Entlebucherin baute in der Region Zürich einen Kohlemei­ ler auf und verkohlte die Holzteile. Wäh­ rend des Verkohlungsprozesses gab es für die Besucher mit Kohle gefiltertes Wasser sowie mit Kohlestaub und Mehl gebackenes schwarzes Brot zu essen. Für die Zukunft hat Doris Wicki klar de­ finierte Pläne: Sie möchte im aargauischen Mettauertal ein Köhlerzentrum aufbauen. Damit der Schweiz dieses alte Handwerk noch lange erhalten bleibt. X

a n z e i g e

Qualität, die inspiriert.

Kochen auf höchstem Niveau.

Emmi – offizielle Co-Sponsorin der Schweizer Kochnationalmannschaft. www.emmi-food-service.ch


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Gejagt, gehäutet,

gebraten

immer nur reh und hirsch auf der wildkarte – langweilig. das wildangebot der heimischen wälder ist viel umfangreicher. hinter jedem Baum könnte sich ein schwarzkittel, ein schöner Vogel oder gar ein wilder hase verstecken.

text: christian greder Bilder: claudia link | illustrationen: natalie schmid

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– Fasan –

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ann ein so schöner Vogel so gut schme­ cken? Ja, er kann. Dem Fasan wur­ de nicht, wie den Mast­Hähnchen, der gute Geschmack weggezüchtet. Er ist im besten Falle ein ziemlich wilder Vogel. Nach Eu­ ropa gebracht wurde er schon im Mittelal­ ter, wahrscheinlich von den Briten aus Süd­ asien. Sie setzten ihn in ihre Parks und von dort aus verbreitete sich der Fasan in die freie Natur. Heute ist er eine leichte Jagd­ beute – mit seinen lauten Flügelschlägen und seinem Geschrei verrät sich der Vogel oft und fliegt so geradewegs vor die Geweh­ re der Jäger. Was sein Fleisch so besonders macht, ist die Mischung aus Geflügel­ und Wildaroma. Anders als Tauben schmeckt er so mild nach Wild, dass er auch Menschen glücklich macht, die sonst kein Wild mögen. Und anders als das Hühnchen hat er dank seiner Nahrung, die aus Beeren, Würmern, Käfern und Samen besteht, ein prägnan­ tes Aroma. Er bewegt sich viel, das hält ihn schlank und sein Fleisch fest. An einem Fa­ san hat man, besonders an den Keulen, ganz schön zu kauen. Beim Kauf eines Fasans sollte man auf den Sporn am Hinterfuss ach­ ten: Bei jungen Fasanen ist er klein; ist der Sporn gross, hart, schwarz und steht weit heraus, ist der Vogel alt und schmeckt zäh. Vom etwas strengen Geruch sollte man sich nicht abschrecken lassen. Ein Fasan darf nicht nur, er muss roh sogar streng riechen. Der Geruch verschwindet beim Garen. Mit seiner schlanken Form stellt der Fasan den Koch vor einige Herausforderungen. Lange braten wie bei Ente oder Gans verbietet sich, dazu ist er zu mager und würde im Ofen aus­ trocknen. Bereits Voltaire nannte den Vogel «eine Speise für die Götter». Der Genuss des Fasanenfleisches war lange den Aristokra­ ten vorbehalten. Heutzutage ist das Fleisch des Fasans allerdings für jeden erhältlich. Die Fleischstruktur des Fasans ist ähnlich wie bei einem Huhn, hat allerdings, wie für Wildfleisch üblich, eine etwas dunklere Far­ be. Der köstliche Vogel schmeckt am besten, wenn er im Ganzen oder in Teilstücken zer­ weiter legt gebraten ist.

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– gejagd –


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– Wildschwein –

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in Fleisch, das bei den Schweizern immer häufiger auf die Speisekar­ te kommt – kein Wunder, denn das Fleisch der «Schwarzkittel» ist äusserst saftig, ker­ nig und würzig. Das Wildschwein wird in der Fachsprache als Schwarzwild bezeichnet. Reinrassig kommen die Tiere nur in Europa, Nordafrika und Asien vor – während Popu­ lationen in anderen Gebieten, etwa in Aus­ tralien, von ausgewilderten Hausschweinen abstammen. Das Wildschwein gilt als Ur­ ahn des Hausschweins, unterscheidet sich in Aussehen und Fleischqualität aber erheb­ lich. Zwar ist sein Fettanteil höher als der von anderem Wild, im Vergleich zum Haus­ schwein ist Wildschweinfleisch aber mage­ rer und von festerer Struktur. Wer frisches Wildschweinfleisch beim Fachmetzger er­ wirbt, sollte darauf achten, dass das Fleisch nicht schwärzlich verfärbt ist und auf sei­ ner Oberfläche nicht metallisch schimmert. Wer direkt beim Jäger einkauft, muss sich bestätigen lassen, dass das Tier amtlicher­ seits auf Trichinen untersucht wurde. Eben­ falls wichtig ist, dass das Wildschweinfleisch nicht unangenehm riecht – ist dies der Fall, wurde es in der Paarungszeit (November bis Januar) erlegt. Der diesen Tieren anhaften­ de penetrante, geschlechtsspezifische Ge­ ruch macht das Fleisch ungeniessbar. Das Fleisch reinrassiger Wildschweine ist dun­ kelrot, aromatisch und saftig. Bei Kennern begehrt, weil sehr zart, ist das Fleisch von jungen Tieren. Frischlinge und Überläufer – so nennt man die bis zu einjährigen Wild­ schweine – haben im Verhältnis zum Ge­ wicht in der Regel einen hohen Wildbret­ anteil. Mit zunehmendem Alter wird das Fleisch dann zäher; darum ist die Wahl der Garmethode nicht zuletzt eine Frage des Al­ ters. Fleisch von über fünfjährigen Tieren sollte nicht mehr kurzgebraten, sondern ge­ schmort werden. Übrigens empfiehlt sich Wildschweinfleisch auch allen Geniessern, die auf Bio stehen. Schliesslich ernährt es sich ausschliesslich von Früchten des Wal­ des wie zum Beispiel Eicheln, Pilzen oder Bucheckern und lebt absolut artgerecht.

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– gehäutet –


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– Wildhase –

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ei Wildhasen gibt es zwei Arten. Den leichteren Feldhasen und den schwere­ ren Waldhasen. Die Schonzeit beim Feldha­ sen dauert von Januar bis September, da die Tiere zu dieser Zeit ihren Nachwuchs gross­ ziehen. Von Oktober bis Dezember ist des­ halb die Hauptsaison für die Hasenjagd. Wildhasen haben rotbraunes Fleisch mit starkem Aroma. Wildkaninchen haben weis­ ses, zartes Fleisch, das würziger schmeckt als jenes vom Hasen. Hasenfleisch ist sehr fettarm und besitzt viel hochwertiges Ei­ weiss. 100 Gramm Hasen­ oder Kaninchen­ fleisch enthalten zirka 22 Gramm Eiweiss, jedoch nur drei Gramm Fett. Das Eiweiss kann vom Menschen optimal in körpereige­ nes Eiweiss umgewandelt werden. Neben Ei­ sen und Kalium enthält Hasenfleisch vor al­ lem Magnesium. Auf die Innereien sollte, wie bei allen Wildtierarten, verzichtet werden, da sich Schadstoffe vor allem dort ablagern. Hasenfleisch liefert unserem Körper auch Linolensäure, eine mehrfach ungesättigte Omega­3­Fettsäure. Die Menge, die davon in Hasenfleisch vorkommt, übertrifft jene von Hirsch­ und Rehfleisch bei Weitem. Ha­ senfleisch sollte frisch und saftig sein, einen matten Glanz aufweisen und es dürfen keine dunklen Flecken oder Ränder sichtbar sein. Wildhasenfleisch darf eine spezielle Duftno­ te aufweisen. Dies ist ein besonderes Kenn­ zeichen und nicht als Qualitätseinbusse zu deuten. Im Kühlschrank sollte Hasenfleisch maximal fünf Tage aufbewahrt werden. Je grösser jedoch das Fleischstück, desto länger ist seine Haltbarkeit. X Einkaufstipp «Platzhirsch Wildspezialitäten» bietet naturnahe Produkte einheimischer Wildtiere an. Dank der Unterstützung zahlreicher Jäger aus der Schweiz und dem grenznahen Ausland stellt Mischa Hofer sicher, dass die Kundschaft in den Genuss von Wildfleisch aus nachhaltiger und ethischer Jagd kommt. Er garantiert, dass keine Wildprodukte aus Zuchthaltung angeboten werden. www.wildspezialitaeten.ch

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– gebraten –


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Verlockende

Waldgeiste schnäpse aus früchten, die im wald wachsen, sind rare spezialitäten. wildkirsch, schlehenbrand, steinpilzdestillat oder himbeergeist finden jedoch eine grösser werdende fangemeinde.

text: gabriel tinguely Bild: Filipa Peixeiro | illustration: natalie schmid


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ildkirsch ist in der Schweiz der Star unter den Destillaten aus Waldfrüch­ ten. Produzenten wie Etter Söhne in Zug und Arnold Dettling in Brunnen holen damit an nationalen und internationalen Wettbewer­ ben regelmässig goldene Auszeichnungen. Dazu kommt eine homöopathisch kleine Ni­ schenproduktion von Holunder, Wildbirne, Wildpflümli oder Enzian. Von kleiner Produktion, aber gleichwohl viel beachtet, sind die Waldfrüchte­Spiri­ tuosen aus Deutschland und Österreich. Nahe der Schweizer Grenze, im deutschen Albbruck­Unteralpfen im Kreis Waldshut, steht die Destillerie von Stefan Marder. Sein Grossvater beginnt 1953 mit dem Bren­ nen im Nebenerwerb. In dritter Generation übernimmt auch Stefan Marder die Bren­ nerei vorerst im Nebenerwerb und widmet sich seit 2011 hauptberuflich den Schnäp­ sen, Geisten und Likören. 40 verschiede­ ne Destillate hat er im Angebot. Darunter solche aus Haselnüssen, Schokolade, Kaf­ fee oder Steinpilzen. Erfahren und mit ge­ schickter Hand verarbeitet er alle Arten von Wildfrüchten zu edlen «Waldgeistern». Stefan Marder ist Mitglied beim Schweizer Schnapsforum und zählt zahlreiche Schwei­ zer zu seiner Kundschaft. Obstbrände haben mit 90 Prozent den grössten Anteil an seiner Produktion. «Wir haben eigene Hochstammbäume und verar­ beiten, was uns Nachbarn liefern», sagt Ste­ fan Marder. Wer ihm und seinem Vater Ed­ mund genau zuhört, merkt bald, dass bei Marders selbst im Alltäglichen viel Leiden­ schaft steckt. «Gravensteiner von Hoch­ stammbäumen sehen optisch weniger schön aus als solche aus Kulturen. Dafür haben sie viel mehr Aroma. Zudem passen Hoch­ stammbäume besser ins Landschaftsbild als mit Hagelnetzen geschützte Monokul­ turen.» Was für das traditionelle Kulturobst gilt, hat erst recht für alle Arten von Bee­ ren seine Richtigkeit. «Wildfrüchte sind viel aromatischer als Zuchtbeeren.» Dabei ist es enorm aufwändig und teu­ er, ein Destillat aus Wildbeeren herzustel­ len. Das beginnt mit der Beschaffung des Rohmaterials, der Früchte. Nicht alle Brän­ de werden jedes Jahr hergestellt. Bei Wild­ früchten schwanken Qualität und Mengen weitaus häufiger als bei Kulturfrüchten. «In manchen Jahren verzichten wir ganz auf einzelne Früchte. Stimmt die Qualität je­ doch, kaufen wir grosse Quantitäten ein und produzieren dann Mengen, die für zwei oder mehrere Jahre reichen», erklärt Ste­ weiter

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– holunderbeeren –

– kornellkirsche –

– Vogelbeeren –

– traubenkirsche –


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fan Marder. 2013 brannte er keinen Wild­ kirsch. Heuer aber ist ein gutes Jahr für Wildkirschen. Zwar fehlt es den Früchten etwas an Saft, das spielt jedoch eine unter­ geordnete Rolle. Wichtig ist der Geschmack. «Die optimale Reife erreichen Wildkirschen jeweils einen Tag bevor die Vögel kommen», sagt Stefan Marder. «Wann das ist, weiss man nie so genau.» Wer nicht aufpasst, kann keine Früchte ernten. Und davon braucht es jede Menge. 100 Kilo Wildkirschen ergeben bis zu fünf Liter reinen Alkohol. Bei ande­ ren Früchten oder Beeren sind es noch viel weniger. Das gilt übrigens auch für Schle­ hen, Vogelbeeren, Traubenkirschen und die meisten Waldbeeren. Waldhimbeeren zum Beispiel ergeben nur noch ein bis eineinhalb Liter reinen Al­ kohol. Früchte bester Qualität bezieht Ste­ fan Marder aus Rumänien. Nicht frisch, son­ dern tiefgekühlt. Das Tiefkühlen der Beeren hat gleich mehrere Vorteile. So baut die Käl­ te Bitterstoffe ab, lässt Zellen aufplatzen und gibt Aromastoffe frei. Nicht zuletzt sei es besser, eine grössere Menge zu vergären, als viele kleine Tageschargen. «Waldhimbeer­ brände sind spannender als solche aus Kul­ turhimbeeren», sagt Edmund Marder. «Kul­ turhimbeeren ergeben pure reine Frucht. Bei den Waldhimbeeren bleiben etwa 60 Prozent der weissen Zäpfchen stecken und die verleihen dem Brand zusätzlich eine fei­ ne Zitrus­ und grüngrasige Kräuternote.» Bei Marder wird der Waldhimbeerschnaps zu hundert Prozent aus Früchten destilliert. Dies, obwohl das EU­Gesetz eine Maische aus 100 Kilo Früchten und 20 Litern Alkohol erlauben würde, was destilliert immer noch als Brand gilt. Auch wären zehn Gramm Zu­ cker pro Liter Endprodukt ohne Deklarati­ on erlaubt. «Wir arbeiten absolut sauber und haben keine Fehltöne zu verstecken. Des­ halb süssen wir unsere Destillate nicht», sagt Stefan Marder. Bis zu 800 Euro bezahlt er für 100 Kilo erstklassige Waldhimbeeren. Diese ergeben rund 1,5 Liter reinen Alko­ hol oder 3,7 Liter mit einer Trinkstärke von 40 Volumenprozenten. 40 Volumenprozen­ te bieten ein optimales Verhältnis zwischen Alkohol und Aromen. Bei der Verarbeitung aller Früchte gilt es darauf zu achten, dass diese nicht oxydieren, rasch durchgären und gleich nach der Gä­ rung destilliert werden. Stefan Marder ar­ beitet mit Reinzuchthefen. «Eine Spontan­ vergärung mit wilden Hefen ist heikel. Das Risiko ist hoch, dass bei den teuren Früch­ ten Fehltöne entstehen, die dann ins Destil­

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– Waldhimbeeren –

– Zibarte –

– Zirben –

– steinpilze –


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lat gelangen», sagt er. Zudem ist eine blitz­ saubere Gärung sehr wichtig, auch dass die Maische gleich nach der Gärung destilliert wird. «Steht das vergorene Fruchtmus meh­ rere Wochen herum, können sich Schimmel bilden und die verursachen bleibende Feh­ ler», ergänzt der Brenner. Jedes Destillat hat seine Besonderheiten: Vogelbeere duftet nach frischen Kräutern, Schlehenbrand riecht nach Marzipan, Trau­ benkirsche schmeckt nach Bittermandel und Waldhimbeeren betören alle Sinne. Feinste Aromen lassen sich auch bei den Schnäpsen, Geisten und Likören von Josef Farthofer aus dem österreichischen Öhling erschnuppern. Sein Sortiment ist ähnlich breit wie das von Stefan Marder. Neben sor­ tenreinen Birnen­, Zwetschgen­ und Bee­ renbränden ist der Zirbenschnaps eine Spe­ zialität aus Josef Farthofers Bio­Sortiment. Zirben sind die kleinen Zapfen der Kiefern­ bäume. Sie wachsen in den (österreichi­ schen) Alpen, können bis zu 25 Meter hoch werden und ein Alter von 1.000 Jahren er­ reichen. Für sein Destillat mazeriert Josef Farthofer violette weibliche Zapfen in reins­ tem Korn. Verfeinert mit Bio­Rübenzu­ cker und auf Trinkstärke eingestellt duftet der Zirbenschnaps nach Harz und frischer Baumrinde. Am Gaumen schmeckt er erst süsslich und nach einer Mischung aus Pini­ enkernen, Zimt und Gewürznelke. Mit ange­ nehmen und leicht verdauungsfördernden Bitternoten hallt der Zirbenschnaps noch sehr lange nach. X Bezugsquellen für Wildkirsch: www.dettling.ch www.etter-distillerie.ch www.fassbind.ch (Wildpflümli) www.heiners-destillate.ch (Wildbirnen) www.zgraggen.ch www.lakeland-whisky.ch (Enzian , Holunder)

DIE PASTA DES JAHRES 2014 a n z e i g e

www.concorso-buitoni.ch

«Quadracci alla bietola e erbette» – Kurt Rööslis Mangold-Ravioli im Bergkräutermantel

www.marder-edelbrände.de (Alpenkräuter, Brombeere, Haselnuss, Himbeere, Holunderblüten, Holunder, Kornelkirsche, Schlehen, Steinpilze, Traubenkirsche, Vogelbeere und Zibarten). Stefan Marder hat keinen Schweizer Importeur. www.edelschnaps.at (Bergheuschnaps, Brombeerlikör, Dirndlgeist, Enzian, Haselnussgeist, Heidelbeerlikör, Himbeergeist, Wilde Zwetschke, Holunder und Zirbenschnaps.) Die Destillate von Josef Farthofer sind in der Schweiz erhältlich bei: www.haus-oesterreich.ch

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BEZUGSQUELLE www.frisco-findus.ch T 071 844 85 30


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Der Wald von morgen

wird nicht mehr der von heute sein

text: Jörg ruppelt Quelle grafik: Bafu | Bilder: Filipa Peixeiro, zVg

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in der schweiz breitet sich der wald immer mehr aus. der klimawandel und die ausbreitung von exotischen Bäumen und schädlingen verändern ihn aber auch. forstexperten stehen vor grossen aufgaben und der frage, wie man den wald in Zukunft in wert setzen kann.

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ine Schweiz ohne Wald ist undenkbar. In den rund 120 verschiedenen Wald­ typen leben heute über 20.000 Arten von Pflanzen, Pilzen, Tieren und Mikroorganis­ men. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts sah das allerdings noch anders aus. Zur Gewinnung neuer Landwirtschaftsflächen, Brenn­ und Bauholz wurden ganze Berghänge kahl ge­ schlagen. Als Folge der übermässigen Wald­ nutzung schrumpfte die Schweizer Waldflä­ che um rund 0,7 Millionen Hektaren. Erst das Waldgesetz von 1876 stoppte die fort­ schreitende Abholzung. «Eine Pioniertat», wie das Bundesamt für Umwelt (Bafu) in Dokumenten immer wieder betont. Das heu­ te immer noch gültige Waldgesetz habe den Grundstein für die Erholung des Waldes und damit auch für seine vielfältige Nutzung als Rohstofflieferant und Speisekammer für Tier und Mensch gelegt. Rund 32 Prozent der Schweiz sind mit Wald bedeckt. Der Anteil dürfte in den nächsten Jahren noch steigen. Der Wald er­ obert sich vor allem landwirtschaftlich un­ genutzte Flächen langsam, aber unauf­ haltsam zurück. Seit den Erhebungen des sogenannten Landesforstinventars durch die Eidgenössische Forschungsanstalt WSL 1985 und 2006 hat sich das Waldareal um rund 98.000 Hektaren ausgedehnt. Da­ von betroffen sind allerdings fast zu 90 Pro­ zent die Regionen der Alpen und der Alpen­ südseite, wo viele Bergbauern die Pflege von Alpweiden und anderen, wenig produktiven Flächen aus wirtschaftlichen Gründen auf­ gegeben haben. Im Tessin ist der Waldanteil inzwischen mit 51 Prozent doppelt so gross wie im Mittelland, wo die bewaldete Fläche nahezu unverändert geblieben ist. Die Ausdehnung des Waldes wirkt sich in vielen Bereichen positiv aus, birgt aber auch Probleme. Durch das Einwachsen von Bergwiesen fallen artenreiche Biotope weg. Sorgen bereitet den Waldexperten aber vor allem ein Aspekt: der Klimawandel. Nach ei­ ner Studie des Bundesamts für Umwelt und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL aus dem

Veränderung der Waldfläche 1983–2007 mittelland 0% Jura 0.9%

Voralpen 2.2% alpen 9.1%

alpensüdseite 9.8%

Jahr 2011 wird sich die Baumzusammen­ setzung der Wälder langfristig stark verän­ dern. Höhere Temperaturen und häufigere Trockenperioden werden im Mittelland die einen Baumarten begünstigen, andere hin­ gegen leiden unter Hitze und Wasserman­ gel und könnten gänzlich verschwinden. «Während Eiche und Kirschbaum geeigne­ te Bedingungen vorfinden werden, müssen wir davon ausgehen, dass andere Laubbäu­ me wie Buche und Bergahorn in tiefen Lagen seltener werden. Buche, Tanne und Fichte, letztere Brotbaum der einheimischen Forst­ wirtschaft, werden sich in höhere, feuchtere Gebiete zurückziehen», so Niklaus Zimmer­ mann von der Eidgenössischen Forschungs­ anstalt WSL. 2050 werde es beispielsweise im Walliser Saastal im ohnehin warmen und trockenen Talboden weniger Wald und eine kleinere Baumvielfalt geben. In höheren Hanglagen dürften sich artenreichere und dichtere Wälder ausbreiten, in denen mehr Holz wächst als heute, so Modellrechnungen von Wissenschaftlern der ETH Zürich. Der Wald von morgen wird also nicht mehr der von heute sein. In seiner «Waldpo­ litik 2020» legt der Bundesrat die Vision ei­ nes nachhaltig bewirtschafteten und in sei­ ner Fläche erhaltenen Waldes vor. Eines von fünf Zielen, die in den nächsten knapp zehn Jahre Schwerpunkte darstellen, ist die Min­ derung der Klimaänderung – durch Wälder weiter mit reicher Biodiversität.

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«Förster und Gastronomen könnten gemeinsam bei Gästen für nachhaltige Walderlebnisse sorgen» Barbara Allgaier Leuch (48) ist diplomierte Forstingenieurin ETH und Chefredaktorin der Schweizerischen Zeitschrift für Forstwesen .

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m Gespräch mit der Illnauerin Bar­ bara Allgaier Leuch über heimische und fremde Baumarten, Schädlinge, die den Schweizer Wald bedrohen, und über Möglichkeiten für eine bessere Zu­ sammenarbeit zwischen Förstern und Gastronomen.

hetgm: Frohlocken Sie angesichts der Tatsache, dass der Schweizer Wald gesamthaft wächst ? Barbara Allgaier Leuch: Ja, das tue ich. Sie müssen wissen, dass es vor 150 Jahren den Schweizer Wäldern so ging wie heute vielen Wäldern in den Tropen: Sie wurden richtiggehend geplündert und zurückgedrängt. Als dann eine gewaltige Unwetterserie die Schweiz verwüstete, merkte man, dass man Sorge zum Wald haben muss, weil er die Gefahr von Lawinenanrissen, Steinschlägen, Rutschungen und Murgängen stark vermindern kann. Im Jahr 1876 hat sich die noch junge Schweiz ein visionäres Waldgesetz gegeben und hat das Waldareal unter Schutz gestellt. Dieser strenge Waldschutz gilt noch heute. Ich weiss nicht, wie es ohne diesen Schutz um die Waldfläche im Mittelland bestellt wäre, wenn ich sehe, mit welcher Geschwindigkeit wir das Land zubauen. hetgm: Experten von der Eidgenössi­ schen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) gehen davon aus, dass es einige Baumarten im Mittelland in Zukunft schwer haben werden. Wie sehen Sie das?

Allgaier Leuch: Ich arbeite seit Kurzem in einem Teilzeitpensum für das Forschungsprogramm «Wald und Klimawandel», das gemeinsam vom Bundesamt für Umwelt und der WSL getragen wird, und kann dies nur bestätigen. An Orten, wo das Klima heute schon so warm und trocken ist, wie es bei uns im Mittelland werden dürfte, gedeihen keine Rottannen, sondern Eichen. Aber auch die Buche wird in den trockeneren Lagen des Mittellands an ihre Grenzen stossen. hetgm: Hat die Buche wirtschaftlich noch eine Zukunft in der Schweiz? Allgaier Leuch: Der Absatz von Buchenholz ist in der Tat seit einigen Jahren schwierig. Verschiedene gute Absatzmöglichkeiten gingen verloren, so werden beispielsweise immer weniger Eisenbahnschwellen aus Schweizer Buchenholz hergestellt. Aber auch für die Möbelproduktion ist die Buche im Moment nicht gefragt. Jedoch gibt es einen Hoffnungsschimmer: Anfang Mai wurde im Kanton Jura ein Unternehmen gegründet, das sich zum Ziel gesetzt hat, jedes Jahr 20.000 Kubikmeter Buchen­ holz zu verleimten Trägern zu verarbei­ ten. Diese Träger werden dann im Hausbau verwendet und können dort solche aus Stahl oder Beton ersetzen. hetgm: Invasive Neobiota, also gebietsfremde Arten, drängen in die Schweiz. Welche stellen eine besondere Gefahr für den heimischen Wald dar? Allgaier Leuch: Im Tessin haben sich schon zahlreiche fremde Baumarten im Wald breit gemacht, so der Götterbaum, die Herbstkirsche, die Robinie, aber auch die Hanfpalme oder der Kirschlorbeer. Diese Arten wurden ursprünglich meist als Zierbäume in Gärten angepflanzt und haben sich selbstständig gemacht. Ähnliches dürfte in den nächsten Jahren auch auf der Alpennordseite ablaufen. So habe ich den Kirschlorbeer in meiner Wohngemeinde an verschiedenen Orten im Wald angetroffen.

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hetgm: Laut Experten werden jedes Jahr auch rund 20 neue Gehölzinsekten­ arten eingeschleppt. Wird der Schweizer Wald bald von solchen Schädlingen aufgefressen? Allgaier Leuch: Neben Insekten schleppen wir im Rahmen des immer grösser werdenden globalen Warenhan­ dels auch dauernd neue krankheitserre­ gende Pilze ein. Das bereitet uns Fachleuten grosse Sorge, weil langsam jede einheimische Baumart von einem neuen, gefährlichen Schädling bedroht wird: Ulmensterben, Kastanienrinden­ krebs, Eschentriebsterben, plötzliches Eichensterben, Asiatischer Laubholz­ bockkäfer, und – was die Gastronomen speziell interessieren dürfte: die Kastanien­Gallwespe. Die im Jahr 2009 erstmals im Tessin entdeckte Kastanien­ Gallwespe ist dort mittlerweile praktisch flächendeckend präsent. Sie führt dazu, dass Kastanien weniger Marroni produzieren. Ob es dereinst bald keine Tessiner Marroni mehr geben wird, können wir im Moment noch nicht sagen. Vielleicht entwickeln sich plötzlich auch natürliche Gegenspieler, zum Beispiel ein Pilz oder ein anderes Insekt, das wiederum die Kastanien­Gallwespe in Schach halten kann. hetgm: Der Wald ist nah, aber vielen doch so fremd. Müsste man ihn nicht besser vermarkten? Allgaier Leuch: Das tönt vielleicht schizophren, aber ich finde: unbedingt! Wir haben in der Schweiz das Glück, dass der Wald frei zugänglich ist. Wir dürfen ihn betreten, egal wem er gehört, und wir dürfen auch die Wege darin gratis und franko benutzen. So rennen wir oft blind durch den Wald, ohne seine Schönheiten zu sehen. Und hier könnte auch die Vermarktung ansetzen. Wir Förster und Waldbesitzer sollten vermehrt echte, nachhaltige Naturerlebnisse anbieten. Und genau hier könnte ich mir sehr gut eine stärkere Zusammenarbeit mit Gastronomen und Hoteliers vorstellen. Wie wäre es, wenn wir gemeinsam «Sammel­, Koch­ und Ess­Erlebnisse» organisieren würden? Zuerst gehen wir zusammen mit unseren Gästen im Wald auf Pirsch nach Essbarem. Und anschliessend verwandeln wir das Gefundene gemeinsam zu einem herrlichen Fünf­Gang­Menü. X

Wie viel Wald verschwindet weltweit? Während in der Schweiz der Waldbestand wächst, werden weltweit immer noch Bäume en masse vernichtet. «Im Laufe dieses Jahrhunderts wurde der Planet um 2,3 Millionen Quadratmeter Wald ärmer», so der Geograf Matthew Hansen vergangenes Jahr gegenüber dem Magazin Science. Dies entspreche der Landfläche von Alaska. Hansen und ein Forscherteam der University of Maryland erarbeiteten aus über 650.000 Satellitenbildern mit Hilfe von GoogleExperten eine Weltkarte, die über Google Earth Engine den weltweit abgeholzten Wald durch verschiedenartige Punkte dokumentiert. Auf 30 mal 30 Meter genau kann an jedem Punkt der Erde eingesehen werden, wie sich die Lage seit dem Jahr 2000 verändert hat. Möglich wurde diese Arbeit durch den 1999 in Betrieb gegangenen Satelliten Landsat 7, der seitdem entsprechende Daten sammelt. Ab 2008 konnten Forscher auf ein Archiv zugreifen, in dem sämtliche Aufnahmen des Satelliten gespeichert sind. Deutlich wird auf der Karte, dass die Regenwälder nach wie vor drastisch schrumpfen. Ein Drittel der gesamten zurückgegangenen Waldfläche besteht aus RegenwaldGebieten. Dabei fällt auf, dass die jährlich verlorengegangene Fläche kontinuierlich zunimmt. Während 2,3 Millionen Quadratkilometer Wald verschwanden, wurden lediglich 800.000 Quadratkilometer mit Bäumen bepflanzt. Lange war Brasiliens Regenwald von einer ausufernden Rodung betroffen. Die Regierung des Landes hat indes die dramatische Entwicklung erkannt und vor wenigen Jahren ein strenges Waldschutz-Programm verabschiedet. Seit 2004 wird der brasilianische Waldbestand überdies von Satellitenaufnahmen überwacht. Das nationale Institut für Raumforschung INPE erfasst seit 2004 die Abholzung im Amazonas. «Brasilien hat es geschafft, die Abholzung in diesem Gebiet stark zu verringern», sagt Nigel Sizer von der Washingtoner Denkfabrik World Resource Institute. Während es in Brasilien positive Anzeichen gibt, geht in Malaysia, Indonesien, Paraguay und Bolivien Jahr für Jahr mehr Wald verloren. Der Wald als Vorratskammer der Welt ist nach wie vor gefährdet. www.earthenginepartners.appspot.com www.globalforrestwatch.org

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BARtheke

Barkeeper der alten Schule und Seine mixkunSt der gebürtige Österreicher Bernhard stöhr verrät sein erfolgsrezept als langjähriger Barchef in der süddeutschen «traube tonbach» bei Baiersbronn. text: ruth marending, Bilder: zVg

seit 30 Jahren ist sein reich die hotelbar in der «traube tonbach» im schwarzwald: bernhard stöhr ist barmann der alten schule und pflegt eine stilechte barkultur. der 56-Jährige kennt die lieblingsgetränke seiner

gäste wie die westentasche seines stets tadellosen anzugs und weiss, was eine bar besonders macht: «eine gute bar hat eine seele – und natürlich einen barmann, der sein handwerk liebt», sagt stöhr. zu seinem

repertoire gehören mehr als 120 cocktails. neben grossen Klassikern finden sich darunter viele preisgekrönte eigenkreationen wie der «stuttgart 2000», der im Jahr 2000 beim wettbewerb der barpräsiden-

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ten zu europas bestem cocktail gewählt wurde und ein «bestseller» unter seinen stammgästen ist. dieser champagnerdrink bekommt seine fruchtige note durch maracujanektar, erdbeersirup, mandarine na-


BARtheke

poleon und aperol. ein blick in die umfangreiche Karte der traube-bar offenbart zudem sein Faible für edle whiskys und gins. doch das ist längst nicht alles: «an der traube-bar haben wir ein sehr umfangreiches sortiment an spirituosen, fast unmöglich zu schätzen, wie viele es sind. Für unsere Kreationen verfügen wir zudem über etwa 200 verschiedene zutaten und garnituren, die natürlich auch in abhängigkeit der saison wechseln oder bei aktuellen trends erweitert werden», so stöhr. hat der gast einen besonderen wunsch, freut dies stöhr besonders: «dann kann ich meiner Fantasie freien lauf lassen. solche wünsche sind meine tägliche herausforderung und ein schöner ansporn!» auf individuelle wünsche einzugehen und neukreationen zu mixen sind die grundlagen eines guten barkeepers. und stöhr meint: «Für diesen beruf sollte man viel spontanität und einfallsreichtum mitbringen, um gäste immer wieder überraschen zu können.» auch findet er es immer wieder interessant, wie seine gäste ihre getränke gerne

trinken. so gibt es einen gast, der seine cocktails als nummer bestellt. «dieser gast sagt mir zum beispiel die nummer 22 und ich mixe ihm dann einen neuen drink. die herausforderung ist, dass sich die cocktails nicht wiederholen dürfen. ein anderer gast möchte seinen cocktail jeden tag immer Punkt 18 uhr an der bar stehen haben. ein ritual also, danach könnte ich einen wecker stellen. ich bereite den cocktail zu und stelle ihn dann pünktlich an seinen stammplatz.» haus mit tradition angefangen hat bernhard stöhrs laufbahn im Juni 1984. nach einigen Jahren als stellvertretender barchef im Fünf-sterne-hotel sonnenalp am Fusse der allgäuer alpen in sonthofen war es «traube»inhaber heiner Finkbeiner, der stöhr entdeckte und ihm den wechsel in sein Fünf-sternesuperior-hotel im nordschwarzwald anbot. die «traube tonbach» ist seit 220 Jahren im Familienbesitz und wird von Patron heiner Finkbeiner und seiner Familie auf sehr persön-

liche weise geführt. die gediegene bar der «traube tonbach» wurde in der Folge ein zweites zuhause für den passionierten barkeeper. sein erfolgsrezept erklärt er so: «unser beruf braucht viel selbstdisziplin. man muss den beruf des barkeepers vorleben und über ehrlichkeit, ein sauberes auftreten und vor allem gute Produktekenntnisse verfügen.» Kreiert er einen neuen cocktail, denkt er wie ein Koch: «ich stelle mir den cocktail im Kopf vor und frage mich, welche Produkte zusamenpassen und ob die Kombination schmecken kann. dann wird er ausprobiert und am rezept gefeilt, bis ich die optimale geschmacksrichtung gefunden habe.» am meisten verkauft er longdrinks wie den black Forest martini mit gin, Kirschwasser und natürlich martini oder den singapur sling, aber auch wein, bier, schwarzwälder spirituosen oder einen guten espresso nach dem essen. Für seine cocktails bedient er sich gerne an regionalem und saisonalem obst , hiesigen obstbränden oder gins. aber auch zutaten, die für klassische cocktails unumgänglich sind, wie zum beispiel gute oliven im martinicocktail, minze, gurke, ananas oder zitrone, dürfen an der bar nie fehlen. besonders am herzen liegt stöhr die weiterbildung des nachwuchses. seit vielen Jahren gibt er seine ideen und sein Können weltweit als Jurymitglied bei cocktail- oder technikmeisterschaften weiter. «Für mich ist es die schönste bestätigung, dass junge Kollegen die barszene in den letzten Jahren bereichert und weiterentwickelt haben mit einem gespür für zeitgemässe drinks.» nachwuchs-barkeepern gibt er den tipp, in jungen Jahren an top-bars bei bekannten barkeepern zu arbeiten. darüber hinaus sei es wichtig, immer mit den augen zu «stehlen» und zu versuchen, alles mitzunehmen. und vor allem eines sei wichtig: keinen alkohol hinter der bar!

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Bernhard Stöhr ist seit 1984 Chef der Bar im hotel traube tonbach. er war von 1996 bis 2012 Präsident der deutschen Barkeeper Union e.V. (dBU) und erhielt 2013 die höchste auszeichnung des Berufsverbands, den Goldenen Shaker. neben diesem engagement ist er aktiver Genussbotschafter des Landes Baden-Württemberg und erhielt bis heute insgesamt neun Goldmedaillen auf der kulinarischen Fachmesse Intergastra in Stuttgart. der Gastro-Führer Gault&Millau wählte ihn 2009 zum Barkeeper des Jahres.

Manhattan (abbildung links) 1 dash angustura 2 cl Martini rosso 4 cl Canadian Club der «Manhattan» ist ein echter Klassiker. er gilt vielen Kennern als Lieblingsgetränk und hat eine lange historie bis in die 1880er-Jahre. dafür die Zutaten in einem rührglas auf eis mischen und in einem vorgekühlten Cocktailglas abseihen. Mit einer Cocktailkirsche dekorieren.


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david SauSen

stv. Barchef lounge & Bar suite, luzern

Bilder: Filipa Peixeiro

die Karte der lounge & bar suite in luzern besticht: es gibt 60 verschiedene cocktails. mit den longdrinks und signature cocktails, den eigenkreationen des barkeeperteams, sind es 180 drinks. david sausen, der neben seiner arbeit in der bar für campari neue drinks entwirft, stellt dem hetgm seine eigenkreationen vor.

zimtStern 3 cl ron zacapa 15 years 2 cl Frangelico 1 barlöffel monin caramelsirup 1 cl grand marnier 2–3 dashes bitter truth chocolate bitter bols banana Foam zimt alle zutaten in ein rührglas geben und gut rühren. anschliessend in eine martinischale abseihen. Für das coverup bols banana Foam und zimtpulver verwenden und eventuell mit einer Physalis dekorieren.

zimt zimt wird aus der getrockneten rinde von zimtbäumen hergestellt, insbesondere des echten oder ceylonzimtbaums. zur gewinnung von zimtöl werden kleinere Äste und auch die blätter verwendet. gleich mehrere hundert substanzen des zimts sind gut für die gesundheit, zum beispiel das Polyphenol methylhydroxychalcone-Polymer, welches den blutzucker senkt. auch verbessert zimt den blutfettspiegel.

reiSe zur erdmitte

the wild turkey

3 cl hendrick’s gin 2 cl bols holunderlikör 2 cl zitronensaft 2 cl zuckersirup 3–4 minzeblätter minzezweig Physalis

3 cl wild turkey 1 cl liquer 43 1 cl bols sour apple 1 cl bols raspberry 1 cl sherry hering 1,5 cl ahornsirup 1 dash bananensirup 1 cl zitronensaft apfelsaft Pfefferkörner, gewürznelken blüten

alle zutaten in einen shaker geben und kräftig shaken. in ein tumblerglas abseihen und mit einem frischen minzezweig und einer Physalis dekorieren.

hendrick’S gin der schottische hendrick’s gin stammt von der gleichen destillerie wie glenfiddich, the balvenie und grants. die destillerie william grant’s in der Kleinstadt girvan ist einer der zwei letzten betriebe schottlands, welche noch im besitz der gründerfamilien sind. bei william grant’s legt man grossen wert auf die authentische, traditionelle herstellung. es ist die letzte destillerie, welche noch eigene Küfer beschäftigt, eine Kupferschmiede betreibt und selber abfüllt.

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alle zutaten in einen shaker geben, shaken und in einen zinnbecher oder in ein longdrinkglas abseihen. mit apfelsaft auffüllen und mit Pfefferkörnern, gewürznelken oder blüten dekorieren.

wild turkey 1940 brachte thomas mccarthy, einer der manager der us-amerikanischen ripy distillery, whisky der eigenen Firma zur truthahnjagd (wild turkey) mit. der whisky kam so gut an, dass mc carthy ein Jahr später gebeten wurde, den «wild turkey»-whiskey wieder mitzubringen – die marke war geboren.


BARtheke

Barmixtipp

Buchtipp

thomas huhn

mezcal heute nehme ich sie mit auf eine reise nach mexiko und möchte ihnen die noch teilweise unbekannte spirituose mezcal näher vorstellen. nein, es geht nicht um den bekannten margarita-cocktail, sondern um eine abwandlung davon, die ich, seitdem ich meine liebe zum mezcal für mich entdeckt habe, auch gleich so genannt habe – thomas’ margarita.eine komplexe, sehr interessante abwandlung aus den beiden Klassikern «margarita», gemixt mit tequila, orangenlikör, limette und der «tommy’s margarita», die 1965 in san Francisco von Julio bermejo kreiert wurde und aus tequila, limettensaft und agavensirup besteht. doch was macht den mezcal nun so einzigartig und diesen cocktail so komplex? das wort mezcal hat seinen ursprung in der sprache der azteken und bedeutet «gekochte agave». was anfänglich ein sammelbegriff für alle aus mexiko stammenden agavenbrände war, ist seit 1994 eine geschützte herkunftsbezeichnung. die unterschiede zum tequila liegen auf der hand: mezcal darf aus verschiedenen agavenarten hergestellt werden, das dämpfen der agaven erfolgt in erdöfen, was später ein wunderbar rauchiges aroma ergibt, sowie der oft höhere alkoholgehalt von bis zu 55 volumenprozent, was gerade den cocktails eine sehr intensive und aromareiche basis verschafft. bei der auswahl der Produkte sollte ähnlich wie beim tequila auf sogenannte «mixtos» verzichtet werden, denn Produkte, die zu 100 Prozent aus der agave hergestellt werden, machen gerade im Purgenuss

wesentlich mehr spass und lassen die spirituose ansonsten im falschen licht erscheinen oder machen im cocktailbereich den unterschied zwischen einem guten drink und einer wahren entdeckung aus. auch der agavensirup erfreut sich einer immer grösseren beliebtheit und ist in der regel etwas süsser als honig, aber nicht so dickflüssig und daher bestens als cocktailzutat geeignet. entdecken sie das komplexe aroma dieser spirituose auch in cocktailklassikern mit gin und tequila – sie werden ihre wahre Freude daran haben.

thomas’ Margarita 6 cl mezcal 2 cl limettensaft 2 cl agavensirup limettenviertel glas: tumbler (mit eis)

ZUSaMMenarBeIt mit der Bar academy

the Bar Book elements of cocktail technique bartender, Kolumnist und blogger Jeffrey morgenthaler hat im «the bar book – elements of cocktail technique» zusammen mit der Foodjournalistin martha holmberg einen ungewöhnlichen weg gewählt. die meisten bücher befassen sich mit rezepturen und den zutaten, also der warenkunde. wie werden diese cocktails aber richtig zubereitet? wenn man nicht gerade als bartender arbeitet, sind viele handgriffe ungewohnt und das spezialequipment meist nicht verfügbar. «the bar book» ist eines der wenigen bücher, das sich mit dem thema der zubereitung auseinandersetzt und auch für Profis manchen interessanten input hat. auf 288 seiten vermitteln die autoren einblicke in den richtigen umgang mit Früchten, wie eigene sirups und infusionen zubereitet werden, welche methoden es zur cocktailherstellung gibt und wie der cocktail dekoriert wird. Klassische cocktailrezepturen fehlen ebenfalls nicht und machen das buch zum interessanten nachschlagewerk. «the bar book – elements of cocktail technique» verlag: chronicle books isbn 978-1452113845 sprache: englisch autor: Jeffrey morgenthaler Preis: zirka chF 40.–

alle zutaten in einen shaker geben, mit eiswürfeln auffüllen und kräftig shaken. den inhalt komplett ins vorgekühlte gästeglas umfüllen und mit einem limettenviertel dekorieren.

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Für die rubrik Bartheke im hotellerie et Gastronomie Magazin konnte als Berater der renommierte Barkeeper thomas huhn, director Bar academy, gewonnen werden. die Bar academy, ausbildungsstätte der Swiss Barkeeper Union, hat es sich zum Ziel gemacht, den nachwuchs und gestandene Berufsleute aus- und weiterzubilden. huhn steht seit sechs Jahren der Bar im Grand hotel Les trois rois vor. Für die Bartheke schlägt er jeweils einen versierten Barmixer vor, der drei rezepte präsentiert. Zudem stellt huhn ein Barbuch und einen Mixtipp eines zeitlosen Klassikers vor.



«Warum ins einkaufszentrum, Herr Lehmann?» Zum ersten Mal in der geschichte des kochwettbewerbs «goldener koch» kämpfen am 20. september zwölf kandidaten um den einzug ins finale. der ort für das halbfinale könnte nicht ungewöhnlicher sein: das «glatt» in wallisellen, jeden samstag anziehungspunkt für über 30.000 shoppingkunden.

text: Jörg ruppelt Bilder: gina Folly

E

r zieht das Publikum in Scha­ ren an und wer ihn gewinnt, ist in der Gastrobranche ein ge­ machter Mann. Der Wettbewerb «Gol­ dener Koch» ist eine Erfolgsstory. Nun will Kadi, Organisator des Wettstreits, ein neues Kapitel aufschlagen. Über die Hintergründe klärt CEO Christof Leh­ mann auf.

hetgm: Christof Lehmann, auf wie viele Jahre «Goldener Koch» blickt Kadi heute zurück? Lehmann: Mittlerweile sind es mehr als 20 Jahre. 1991 fand der erste «Goldene Koch» statt. Der Wettbe­ werb hat sich seitdem verändert. Heute hat man ja den Anspruch, dass alles von Anfang an perfekt sein muss. Aber das funktioniert natürlich nicht. Wie in der Natur muss man zuerst etwas setzen, damit es heranwachsen und reifen kann. Unser Anspruch ist, dass sich der Wettbewerb auch in den nächsten Jahren immer weiterentwickelt. hetgm: Weshalb richten Sie den Wettbewerb neu aus und veranstalten ein Halbfinale? Lehmann: Ich denke, mit dem Halbfinale im Einkaufszentrum Glatt in Wallisellen gehen wir mit der Zeit. Mit der neuen Performance machen wir den Wettbewerb noch attraktiver. Sehen Sie, der «Goldene Koch» ist ja kein Selbstzweck, kein Wettbewerb,

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den wir für uns veranstalten, sondern für die Branche. Mittlerweile ist er ein Kochwettbewerb mit grosser Reputa­ tion, er wird von vielen Partnern in die Branche und von Verbänden getragen. Insofern ist es unsere Aufgabe, den Wettbewerb, der in den letzten Jahren so erfolgreich war, immer weiter voranzutreiben. Stillstand wäre langfristig der Tod des Wettbewerbs. hetgm: Der Aufwand mit nun zwei Grossveranstaltungen – Halbfinale im Glattzentrum und Finale im Kursaal Bern – ist für Sie immens, lohnt sich das wirklich? Lehmann: Wir machen keine halben Sachen, weder bei unseren Produkten noch bei unserem Wettbewerb. Ein Grund dafür, dass der «Goldene Koch» in den letzten Jahren so attraktiv geworden ist, ist die Top­Kommunika­ tion. Alle Finalisten der letzten Jahre bestätigen das. Man redet über den «Goldenen Koch», man berichtet darüber in der Presse. Und genau das bringt den Finalisten und dem Sieger und seinem Betrieb enorm viel. Deshalb haben wir uns die Frage gestellt, was können wir tun, damit über den Wettbewerb, über die Leistung der Kandidaten und allge­ mein über den Kochberuf noch mehr geredet wird? Wir sind zum Schluss gekommen, mit dem Wettbewerb in die Öffentlichkeit zu gehen. In der weiter


Gastrobranche kennt man mittlerweile den «Goldenen Koch», ausserhalb der Branche jedoch weniger. Hier gibt es aus unserer Sicht enormen Nachholbe­ darf. Deshalb unsere Strategie von «Going Public». Wir wollen im Einkaufszentrum Glatt live zeigen, wie sexy der Kochberuf ist, aber auch wie schweisstreibend (lacht).

Christof lehmann (45) ist seit 2013 Ceo und mitglied der Geschäftsleitung der Kadi aG in langenthal. Zuvor leitete er im unternehmen das marketing und den Verkauf. und seit dem management-Buy-out im Jahr 2008 ist er miteigentümer von Kadi. Vor seinem eintritt in die firma war er in der Geschäftsleitung der Ceposa aG in Kreuzlingen und im Verkaufsmanagement von unilever schweiz/Knorr Bestfoods tätig. seinen beruflichen Werdegang startete er mit einer Kochlehre und dem anschliessenden Besuch der hotelfachschule Belvoirpark in Zürich. anschliessend startete er eine ausbildung zum Betriebsökonomen. erfahrungen sammelte er zudem bei Passaggio schweiz (ehemals ssG) sowie als Product manager der edition salz & Pfeffer. Christof lehmann ist verheiratet und Vater von fünf Kindern. Kadi - das unternehmen x produziert rund 10.000 tonnen Pommes frites pro Jahr x verarbeitet insgesamt 24.100 tonnen Kartoffeln pro Jahr x verkauft 248 verschiedene Produkte x arbeitet mit 98 verschiedenen lieferanten zusammen x erzielte 2013 einen umsatz von 70 millionen franken

hetgm: Mit anderen Worten, das Einkaufszentrum Glatt ist für Kadi die ideale Wettbewerbsplattform? Lehmann: Ganz genau. Wir haben bei den Verantwortlichen des Einkaufs­ zentrums von Anfang an eine riesige Begeisterung für das Projekt gespürt. Das «Glatt» ist ein Top­Standort, ist das grösste Einkaufszentrum der Schweiz mit enorm hoher Frequentierung von rund 30.000 bis 50.000 Besuchern an jedem Samstag. Ich bin extrem stolz, dass wir hier den Wettbewerb einem grossen Publikum näherbringen können, und bin natürlich gespannt, wie der «Goldene Koch» ankommt. hetgm: Finanziell ist so ein Auftritt sicher ein Kraftakt? Lehmann: Ja, wir haben mit Henniez und Nespresso zwei Partner aus den Nestlé­Unternehmungen, die mit uns dieses Halbfinale «stemmen». Beide waren von der Idee eines Halbfinals begeistert und engagieren sich nun zusätzlich. Auch Enodis Schweiz hat sofort zugesagt und stellt die sechs Küchen vor Ort zur Verfügung. hetgm: Die letzten Finalveranstaltun­ gen in Bern haben unseren Recherchen zufolge rund je eine halbe Million Franken verschlungen. Lehmann: Der Betrag lag höher. hetgm: Und jetzt? Lehmann: Wenn man alles zusam­ menrechnet und eine Vollkostenrech­ nung macht, mit Technik und Arbeit und Kommunikation, kommen wir auf rund 1,5 Millionen Franken für Halbfinale und Finale. Wie gesagt, das tragen nicht nur wir, sondern auch unsere vielen Partner. hetgm: Steckt hinter «Going Public» im Einkaufszentrum Glatt nun auch die Idee, die Marke Kadi den Konsu­ menten schmackhaft zu machen? Lehmann: über den Wettbewerb ist das schwierig. Klar, die Marke bekannter zu machen, ist immer ein Ziel. Und natürlich ist ein «Glatt»­ Einkaufskunde immer auch ein Gast.

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Aber es ist nicht unsere Absicht, mit dem Halbfinale im Einkaufszentrum zukünftig Kadi­Produkte im Retail­ Kanal absetzen zu können. Unser Kerngeschäft bleibt die Gastronomie. hetgm: Im Halbfinale zeigen zwölf Kandidaten ihr Können, sechs qualifizieren sich für das Finale. Wie viele Teilnehmer haben sich bei Ihnen mit Rezepten beworben? Lehmann: 20 Köchinnen und Köche. Das sind in etwa so viele wie in den vergangenen Jahren. Ich denke, wir haben einen attraktiven Wettbewerb sowohl für ambitionierte Berufsleute als auch für deren Betriebe. Es geht um Ruhm und Ehre für die Köche und Reputation für die Betriebe. Der letztjährige Gewinner Rolf Fuchs hat mir erzählt, dass er von der enormen Aufmerksamkeit nach seinem Sieg und der Tour Culinaire Suisse, an der er sich noch einmal präsentieren durfte, überwältigt war. hetgm: Die Tour Culinaire hat sich also bewährt? Lehmann: Absolut. Das Kochen des Siegers in mehreren Top­Restaurants haben wir letztes Jahr das erste Mal durchgeführt und es war ein voller Erfolg. Die Nachpräsentation findet auf jeden Fall wieder statt. hetgm: Verraten Sie uns zum Schluss, weshalb die Partnerschaft zwischen dem «Goldenen Koch» und den Veranstaltern des internationalen Bocuse d’Or­Wettbewerbs in die Brüche gegangen ist? Lehmann: Ich persönlich habe die Zusammenarbeit mit «Bocuse d’Or» immer sehr geschätzt und halte den Wettbewerb nach wie vor für sehr wertvoll für die Branche. Letztlich kam es zum Bruch, weil die Veranstal­ ter von «Bocuse d’Or» das Schweizer Finale unbedingt in Genf durchführen wollten, und zwar anlässlich der dortigen Gastronomiemesse. Dies hätte für uns zu enormen Zusatzkosten geführt. Entscheidend waren aber die unterschiedlichen Philosophien: Sie sahen den Wettbewerb als Plattform für die Messe, wir sehen ihn als Platt­ form für die gesamte Branche. X Wer es ins halbfinale des diesjährigen «goldenen kochs» geschafft hat und wer ins Finale einzieht, lesen sie in den ausgaben der hotellerie et gastronomie zeitung vom 18. und 25. september.


Wir von Electrolux Professional sind stolz, unsere Kochnationalmannschaft auf ihrem Weg zu weiteren, internationalen Erfolgen zu begleiten. Viel Erfolg beim Culinary World Cup! Electrolux Professional AG Allmendstrasse 28 . CH - 6210 Sursee Telefon +41 41 926 81 81 Telefax +41 41 926 81 80 professional@electrolux.ch www.electrolux-professional.ch

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Blatt um Blatt zum grünen

KunstwerK text: Bernadette Bissig, Bilder: zVg

stefano Baiocco bringt sowohl verwöhnte Promis als auch ausgewiesene gourmets zum schwärmen. Mit kräutern aus seinem garten.

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eigt sich der Herbst seinem Ende zu, denkt der italienische Spit­ zenkoch bereits an das kommen­ de Frühjahr. Dann gilt es jeweils den gros­ sen und tadellos gepflegten Garten des Grandhotels Villa Feltrinelli im oberita­ lienischen Gargnano zu bepflanzen. Dieser ist Teil des Gesamtkunstwerkes des am Gardasee gelegenen Luxushotels. Das in Orange und Ocker getünchte Ge­ bäude mit seinem Turm und den reichen Stuckverzierungen, den riesigen, perfekt gestutzten Buchsbäumen, dem drei Hek­ taren umfassenden Garten und dem 300 Meter langen Privatstrand wirkt wie ein Anwesen aus vergangener Zeit. Die Mailänder Papierfabrikantenfa­ milie Feltrinelli liess die Villa Ende des 19. Jahrhunderts im gotischen Stil erbau­ en. Während des Zweiten Weltkrieges diente sie Mussolini vorübergehend als Residenz. In den Siebzigerjahren verkauf­ te die Familie Feltrinelli das Juwel an ei­ nen italienischen Baulöwen, der die Villa verlottern liess. Ende der Neunzigerjah­ re rettete der amerikanische Hotelier und Unternehmer Bob H. Burns das An­ wesen und verhalf ihm zu neuem Glanz. Heute logieren in den einundzwanzig Sui­

ten und Zimmern Industrielle, Künstler, Schauspielgrössen und Ex­Models. Im dazugehörenden Restaurant gehen neben den Hotelgästen Feinschmecker und Ge­ niesser aus aller Welt ein und aus. Seit elf Jahren ist Stefano Baiocco im Grandhotel Villa Feltrinelli, das nur im Sommerhalbjahr geöffnet ist, als Küchen­ chef tätig. Der Erfolg stellte sich Schritt für Schritt ein. 2013 hat der aus Ancona stammende Koch nun den zweiten Mi­ chelin­Stern verliehen bekommen. Der Gastronomiebetrieb im idyllischen Gar­ gnano umfasst nicht nur das Gourmetres­ taurant, sondern auch den Frühstücks­ und Mittagsservice für die Hotelgäste. Ist das Haus komplett ausgebucht, so ist mit 30 bis 35 Gästen zu rechnen.

Bei den Besten gearbeitet Nach einer Hotelierausbildung in seiner Heimatstadt Ancona an der Adria starte­ te Stefano Baiocco seine Kochlaufbahn. Diese führte ihn zu den Besten der Bes­ ten. Er war in der Enoteca Pinchiorri in Florenz, bei Alain Ducasse und Pierre Gagnaire in Paris sowie bei Ferran Adrià im «El Bulli» in Cala Montjoi an der ka­ talanischen Costa Brava. Auch bei Ray­

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mond Blan, Pascal Barbot, Joan Roca und Luis Aduriz verdiente der Italiener seine Sporen ab, bevor er nach seinen Lehr­ und Wanderjahren seine jetzige Stelle als Kü­ chenchef übernahm. In dem grosszügigen und weitläufigen Hotelpark gedeihen über hundertfünf­ zig essbare Blütenpflanzen und Kräu­ ter. «Diese müssen nicht nur in der Küche harmonieren, sondern auch ins optische Gesamtbild des Hotelparkes passen», er­ klärt Stefano Baiocco. Er hätte auch gerne einen Gemüsegar­ ten, doch dafür reiche der Platz im Park leider nicht aus. Zudem würden Gemü­ sebeete nicht ganz optimal in das luxu­ riöse und elegante Umfeld passen, sagt der Sternekoch lächelnd. Darum be­ schränkt er sich auf Kräuter und essbare Blütenpflanzen. Diese Leidenschaft entstand bei Ste­ fano Baiocco bereits in der Kindheit. «Ich habe mich als kleiner Junge oft im Gar­ ten aufgehalten.» Einerseits war da der Grossvater, der als Küchenchef tätig war und andererseits der Vater, der in jun­ gen Jahren als Bauer arbeitete. Beide ha­ ben ihm ihre Passion für Produkte und Pflanzen mitgegeben. Die Garten­ weiter


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eine komposition von Sauerklee, kapuzinerkresse und Bibernellen an einem Saft von Sauerklee, kapuzinerkresse und Bibernellen, angerichtet auf rohen krebsen, bestäubt mit dem grünen kräutersaft.

planung ist demzufolge uneingeschränk­ te Chefsache: «Am Ende der Saison, Ende Oktober, mache ich jeweils eine Bestan­ desaufnahme. Ich frage mich, was wäh­ rend der Saison funktioniert hat und was nicht.» Während des Winters fertigt er Gartenpläne an und macht sich Gedan­ ken über Farben, Volumen und Höhen der einzelnen Pflanzen.» Dieses Vorge­ hen setzt ein grosses botanisches Know­ how voraus. So muss der Pflanzenlieb­ haber beispielsweise wissen, wann eine Gewürzpflanze blüht, ob sie in die Höhe schiesst oder gar verholzt.

Hohe Ansprüche an die Kräuter Beobachtet er während der Saison, dass eine Pflanze die Harmonie des Parks stört, so lässt er sie im nächsten Jahr nicht mehr im Garten anpflanzen. Überzeugt sie Stefano Baiocco auch geschmacklich nicht, so ist der Fall klar: Die Pflanze wird aus dem Sortiment gestrichen. «Die klein­ blütige Bergminze war so ein Fall. Ers­ tens verholzt sie, zweitens war mir das Aroma zu stark. Ich konnte sie nicht in meine Gerichte integrieren.» Ist er in der Küche jedoch von einem Kraut angetan, so kriegt die Pflanze einen Platz im hotel­

eigenen Gewächshaus. «Wir haben dort vierzig Töpfe stehen, die wir nutzen kön­ ne. Da kommen Kräuter hin, die optisch nicht überzeugen.» Der ruhig und bedacht wirkende 41­Jährige verhalf dem «kleinsten Grand­ hotel der Welt» mit seiner Küche zu neu­ em Ruhm. Seit einigen Jahren setzt er ganz gezielt auf vegetarische Gerich­ te. So bietet er neben dem Menü «Cento per cento Baiocco» auch ein rein vegeta­ risches Mehrgangmenü an. «In den letz­ ten Jahren stellte ich bei meinen Gästen ein Umdenken fest. Immer mehr von ih­ nen wünschten vegetarisch zu essen», sagt der Chef. «Und meine Küchencrew und ich lieben es, vegetarische Gerichte zu kreiieren und zuzubereiten.» Unterschiedlichste Geschmacksrich­ tungen, die sich im Mund entfalten, ma­ chen seine «einfache Naturküche» aus. Wobei man dieses Etikett keinesfalls falsch interpretieren sollte. Denn die Kü­ che von Stefano Baiocco ist äusserst auf­ wendig und raffiniert. So enthält sein viel­ gerühmter Kräutersalat, der angeblich auch von Naomi Campbell sehr geschätzt werden soll, über 150 Kräuter und ess­ bare Blüten aus dem hoteleigenen Gar­

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ten. Diese werden täglich frisch geerntet. «Morgens gepflückt und abends serviert, so lautet das Credo», sagt Stefano Baioc­ co. Von Woche zu Woche variiert die Zu­ sammensetzung der Kräuter und Blüten. Im Frühling darf beispielsweise Bärlauch nicht fehlen, später folgt etwa Basilikum, von dem er neun Sorten kultiviert. «Dem­ entsprechend verändert sich der Ge­ schmack des Salates ständig. Jeder Bissen schmeckt anders.» Um einen erdigen Grundton zu erzie­ len, baut Stefano Baiocco als Erstes eine Basis aus Brikteig, darauf hobelt er rohe Champignons und schmeckt mit Limet­ ten­ und Orangensaft ab. Danach schich­ tet er mit einer Pinzette Blatt um Blatt der Kräuter und essbaren Blüten auf. «Den Salat mariniere ich am Schluss nur mit et­ was Mandelöl. Salz hat darauf nichts ver­ loren», erklärt der Koch. Das grüne Kunstwerk lässt er vor dem Dessert servieren, um den Gaumen zu rei­ nigen. Anstelle von Besteck trägt das Ser­ vicepersonal eine Pinzette auf. Dass die Gäste den Salat damit langsam und fast schon andächtig verspeisen, versteht sich von selbst. X www.villafeltrinelli.com


Blick auf den grossz체gigen Aussenbereich des Grandhotels Villa Feltrinelli. Jedes kr채utlein muss hier ins Gesamtbild passen.

a n z e i g e


alles Für

die n o s i a s d Wil

saisonal GeFüllte Pa sta Teigwaren in allen Formen und Varianten haben immer Saison. Einige gefüllte Spezialitäten passen jedoch besser zum Herbst als andere. So wie die Fiori aus feinem Pastateig, gefüllt mit Wildfleisch. Zubereitet mit einer Tomaten­Riesling­Basili­ kum­Sauce und Parmesanspänen oder mit grünem Pfeffer, Rahmsauce und sautierten Pilzen werden sie zu einem raffinierten Hauptgericht. Für alle Gäste, die auf Fleisch verzichten möchten, empfehlen sich die mit Pilzen und Ricotta gefüllten Ravioli. www.pastinella.ch

eine kleine, aber feine auswahl an Produkten, mit denen der herbst und die wildsaison kulinarische höhenflüge garantieren. text: gabriel tinguely Bilder: zVg

tischlein decK dich

rot Wein Mit Wilder Frucht

Nach einem nassen Sommer darf man auf einen sonnigen Herbst hoffen. Bleibt auch dieser aus, können Gastro­ nomen mit Servietten, Tischdecken und ­läufern von Duni Gemütlichkeit inszenieren. Zum umfassenden Sortiment bietet Duni zusätzlich drei neue herbstlich florale Sujets an. Dazu hat die Chefdesignerin Karin Nyhuis elegante Textilstrukturen mit Themen aus der Botanik kombiniert. Das in den zwei Farb­ stellungen Rot und Peakock sowie dem türkisen Trend­Ton. www.duni.com

Westlich der Stadt Genf, im Weiler Peissy, produziert Bernard Rochaix beste Weine. Gleich zehn Crus seiner Domaine Les Perrières wurden an­ lässlich der diesjährigen kantonalen Genfer Weinselektion ausgezeichnet. Eine Goldmedaille erhalten hat der im Holzfass gereifte 2012er Gamaret de Peissy. Gamaret, eine erfolgreiche und beliebte Schweizer Züchtung aus den frühen 1970er­Jahren passt mit wild­würzigen Aromen und guter Strukturhervorragend zu Pilz­ und Wildgerichten. www.lesperrieres.ch

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«jaGdservice» Auf Anregung des Sternekochs und Jägers Harald Rüssel, Landhaus St. Urban in Naurath (D), hat sich Hering Berlin der Jagd angenommen. Mit «Piqueur» wird dieses Thema zeitgemäss und mit einer für das Sujet neuen Leichtigkeit interpretiert. Gefertigt in unglasiertem Biskuit­ Porzellan – pur und unverfälscht mit samtweicher Oberfläche. Sorgfältige und kompromisslose Handarbeit machen den Charakter des Materials fühlbar und das Porzellan von Stefanie Hering somit einzigartig. www.berndorf.ch

auF der jaGd nach besteM Wild Mit ihrem Partner hat Traitafina neue Schnitte für Wildfleisch defi­ niert, die die hochstehende Fleisch­ qualität unterstreichen und in der Küche Dressierarbeiten ersparen. In freier Wildbahn geschossen, kommen 96 Prozent des Angebotes aus Deutschland. Neben Vorspeisen, Rehrücken und diversen Pfeffer­ Varianten präsentiert Traitafina würzige Wild­Salsiz, saftige Wild­ Hackbraten oder gluschtige Hirsch­ cipollata­Spiessli sowie Desserts. www.traitafina.ch


aller Guten dinGe sind drei

rehFleisch verFührt Kir sche

Unter diesem Titel hat Pistor eigens eine Broschüre zum Thema Wildbret und Jagd zusammengestellt. Darin finden sich Informationen zur breiten Produktpalette für die moderne Wild­ küche. Zu Pfeffer, roh oder bereits gekocht, Wildfleisch mit würzigem, intensivem Geschmack, bietet das Angebot von Pistor alles für den Genuss verwöhnter Gäste in über­ zeugender Vielfalt und höchster Qualität. Dazu zählt vieles mehr als Saucen, Beilagen und Garnituren. www.pistor.ch/wild

Die neue Herbstpalette von Buitoni beginnt mit «Quadracci alle mele e formaggio», gefüllt mit cremigem Weichkäse und karamellisierten Äpfeln. Darauf folgen «Ravioli alla zucca», deren Herzstück aus zartem Butterkürbis besteht. Das Trio vervollständigen «Cannelloni alla zucca», die mit Ricotta und Kürbis gefüllt sind. Mit ein paar Tropfen Olivenöl, verfeinert oder kombiniert mit Pilzen, Kürbis, Rotkraut oder Früchten, ergeben sie vegetarische herbstliche «Wild»­Gerichte. www.frisco-findus.ch

Terrinen sind Klassiker unter den herbstlichen Vorspeisen. La Borde­ laise kombiniert zartes Rehfleisch mit Kirschen, umgibt diese Masse mit Spickspeck und bettet sie als Kern in eine Farce aus Schweine­ und Reh­ fleisch – abgeschmeckt mit Wein­ brand. Alle Terrinen und Pasteten von La Bordelaise werden in Handar­ beit hergestellt. Während der Garzeit bildet sich eine feine Sulz, die das Ganze abrundet. Die 1,4 Kilo schwere Rehterrine ist bei La Bordelaise oder über Hugo Dubno erhältlich. www.la-bordelaise.ch

herbstZeit ist Pil ZZeit

KöniGin der herbstdesserts

Welt der deKor ationen

Speisepilze sind gesund und gelten als besondere Delikatesse. Als eigen­ ständiges Gericht oder als Beilage sind vor allem Waldpilze sehr beliebt. Bei der Louis Ditzler AG sind 18 tiefge­ kühlte Pilzvariationen erhältlich. So gibt es halbierte Steinpilze, in Scheiben geschnitten oder als Stücke. Dazu kommen Eierschwämmli, Butterpilze und diverse Mischungen. Der schonende Umgang, die schnelle VerarbeitungunddieDitzler­Qualitäts­ standards garantieren das Gelingen aller Gourmet­Gerichte. www.ditzler.ch

Freunde der Esskastanie sehen dem Herbst mit Freude entgegen. Dann nämlich beginnt die Vermicelles­ Saison. Einfach anrichten lässt sich Vermicelles mit dem Maronenpüree von Hero. Diese gibt es als gebrauchs­ bereite Masse mit und ohne Kirsch. Erhältlich ist das Maronenpüree in einer praktischen Stange, die bequem in jede Vermicellespresse passt und ungekühlt haltbar ist. Für eigene Kreationen eignet sich das tiefge­ kühlte Confiseur­Püree mit einem Anteil von 73 Prozent Maronen. www.gastro.hero.ch

Mit passender Dekoration wird jede Spezialitätenwoche zu einem Event. Damit die Wildzeit ein nachhaltiger Erfolg wird, der den Gästen lange in Erinnerung bleibt, bietet Deco­Display verschiedenste Deko­Materialien an. Von Wildtieren über Attrappen von Früchten und Gemüsen, künstlichen Blumen und Pflanzen, farbigen Ästen, Girlanden und losen Herbstblättern ist alles zu haben. Individuell kombiniert verleihen Dekorationen jedem Lokal eine spezielle Atmosphäre. www.deco-display.ch

«Wilde Zeiten – ein Fest Für jeden GenussjäGer»

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d e r n e u e W e i n g es c h m ac k

auf den Bio-Boom folgt die Öko-welle. Bei uns ist ökologischer weinbau nur mit sogenannten Piwi-sorten möglich, sind sich die experten einig. daraus gekelterte weine schmecken ungewohnt anders – aber durchaus interessant. text: gabriel tinguely Bild: keystone

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d

ie Nachfrage nach ökologischem und vor al­ lem «klimaschonend» produziertem Wein steigt stetig an. Dabei wird ökologisch mit biologisch gleichgestellt. Die beiden Begriffe sind je­ doch nicht deckungsgleich. «Ökologischer Weinbau ohne pilzwiderstandsfähige Rebsorten, den soge­ nannten Piwi­Sorten, ist nicht möglich», sagt Valen­ tin Blattner. Seit bald 30 Jahren züchtet und verbes­ sert er in Soyhières JU solche Reben. Cabernet Jura hat bereits einen Namen. Zahlreiche weitere Stan­ dardsorten sind international erhältlich, tragen aber neben Valentin Blattners Kürzel VB erst Zuchtnum­ mern wie 32­7 oder 26­18. Claude Chiquet, der bei Valentin Blattner arbeitete, machte sich seinen Wis­ sensvorsprung zu Nutze und wählte für die Rebber­ ge in Ormalingen und Maisprach, beide im Kanton Basel­Landschaft gelegen, die besten Sorten aus. VB CAL 1­36, VB CAL 1­15 und VB CAL 1­22 verarbei­ tet er zu einem roten Schaumwein. «Sekt bei Keller­ temperatur lagern. Vor dem Servieren 90 Minuten in den Tiefkühler legen», steht auf der Rückenetikette des Schwarze Perle Crèmant Brut. «Halten Sie sich an die Gebrauchsanweisung», mahnt Claude Chi­ quet, Winzer und Produzent des Weines. «Öffnen Sie die Flasche vorsichtig und halten Sie Gläser bereit, sonst endet der Weinservice in einer Katastrophe.» Ein gutes Stichwort. Denn eine Katastrophe stand am Anfang der Entwicklung von zahlreichen neuen Rebsorten, die heute mehr denn je ins Zentrum des Interesses rücken. Was war geschehen?

Die grösste Weinkrise aller Zeiten Als Ergebnis der Freihandelspolitik unter Kaiser Napoleon III. erlebte der französische Wein noch nie dagewesene Exporterfolge. Als plötzlich ganze Schiffsladungen Wein als ungeniessbar zurückge­ schickt wurden, stand der gute Name Frankreichs auf dem Spiel und eine bedeutende Branche vor dem Abgrund. Der Grund dafür, so stellte sich heraus, waren eingeschleppte Schädlinge und Krankhei­ ten. Europäische Auswanderer, die den amerikani­ schen Kontinent besiedelten, fanden dort nebst viel Unbekanntem auch Reben. Daraus gekelterter Wein schmeckte aber anders als derjenige, den sie aus ih­ rer Heimat mitbrachten, nämlich ungewohnt wild, sauer und walderdbeerfruchtig. So holten sich die Siedler Reben in Europa, pflanzten diese in Ameri­ ka und mussten beobachten, wie die Chardonnay­, Sovignon­Blanc­, Cabernet­ oder Pinot­Noir­Reben starben, bevor sie einen ersten Ertrag lieferten. In­ teressierte Botaniker wollten wissen, ob umgekehrt amerikanische Reben in Europa überleben würden. Ohne Vorahnung der Folgen schleppten sie als blin­ de Passagiere den Echten Mehltau (1847), die Reb­ laus (um 1860) sowie den Falschen Mehltau (1878) nach Europa ein. Mit deren Ausbreitung wurden ver­ schiedene Weinbauregionen Europas wirtschaftlich ruiniert und entvölkerten sich. Allein in Frankreich wurden 30 Prozent der Rebfläche aufgegeben. Im Kanton Zürich, dem damals grössten Weinbaukan­ ton, schrumpfte die Rebfläche von einst über 5.000

Hektar auf heute knapp 614 Hektar. Während das Aufpfropfen von europäischen Edelreben auf ame­ rikanische Wurzeln die Reblaus ausschaltet, müssen die Reben als Schutz vor den beiden Mehltaupilzen seither mehr oder weniger häufig mit Spritzmitteln behandelt werden.

Auf der Suche nach neuen Rebsorten Sehr bald wurde bemerkt, dass Amerikanerreben dem Mehltau widerstehen und sich ohne Pflanzen­ schutz kultivieren lassen. Wegen des eigentümlichen Weingeschmacks, der als Foxton oder «Chatzesei­ cherli» bezeichnet wird, bleibt deren Ausdehnung vorerst bescheiden. Französische Rebzüchter wie Seibel oder Seyve­Villard beginnen mit der Kreu­ zung von europäischen Rebsorten mit amerikani­ schen. Da die Rebe selbstbestäubend ist, muss die­ ser natürliche Vorgang bei der Kreuzung verhindert werden. Kurz bevor sich die Blütchen öffnen, ent­ fernt man dazu mit einer Pinzette deren Blütenkäpp­ chen und die darin vorhandenen Staubbeutel und befruchtet die Stempel mit dem Blütenstaub der an­ deren Sorte. Was sich einfach anhört, ist in der Tat hoch komplex. Die weisse Sorte Seyval Blanc zum Beispiel ist das Ergebnis von 25 Kreuzungen aus 28 Rebsorten über sieben Generationen. Der Züch­ tungsbetrieb Seyve­Villard verwendete dazu meh­ rere Seibel­Reben. Im Jahr 1925 umfasste der Ka­ talog von Seibel 1086 neue Rebsorten. Immer wenn sich der Mehltau besonders stark ausbreitete, erleb­ ten die Hybridreben, auch interspezifische Sorten genannt, einen Aufschwung. 1955 wurden sie, abge­ sehen von einigen Ausnahmen, verboten. 1979 muss­ ten auch die ursprünglich tolerierten Rebsorten ge­ rodet werden. Von den Hybridreben sind heute nur noch im Departement Ardèche einige wenige Hekta­ ren übrig geblieben und der Wein geniesst den Schutz eines alten Kulturgutes. Obwohl es ruhig wurde um die Hybriden, ging die Züchtung von pilzwiderstandsfähigen Rebsor­ ten in Frankreich, Deutschland, Österreich, Un­ garn und seit Anfang der 1980er­Jahre auch auf privater Basis in der Schweiz weiter. Wie bereits be­ schrieben sind die Verfahren extrem aufwändig. «Es ist nicht möglich, durch einfaches Kreuzen der El­ tern A und B die ‹Sorte des Bedürfnisses› zu züch­ ten», schreibt Valentin Blattner in einem Artikel in der Schweizerischen Zeitung für Obst­ und Weinbau. «Durch Kombinationen genetischer Eigenschaften werden Frosthärte, Austriebszeitpunkt, aufrech­ ter Wuchs, Reifezeitpunkt, tolerantes Verhalten bei Reifeüberschreitung, Weinaromatik und ein kom­ plexes Pilzwiderstandspotenzial beeinflusst.» Eine Krankheitsresistenz, die auf einer einzigen Abwehr­ strategie beruhe, sei erfahrungsgemäss zum Schei­ tern verurteilt und würde nicht lange halten. Die neuen Valentin­Blattner­Sorten (VB­Sorten) be­ inhalten Kombinationen verschiedener Abwehrre­ aktionen mit dem Ziel, dass pilzliche Krankheitser­ reger eine Resistenz nicht so schnell durchbrechen können. Berücksichtigt man alle grundlegend weiter

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wichtigen Anforderungen, so ist es logisch, dass vie­ le Kreuzungsschritte notwendig sind, um eine Kom­ bination der gewünschten Merkmale zu erhalten.» Zurzeit arbeiten Valentin Blattner und der katalani­ sche Bio­Winzer Josep Maria Albet i Noya an einem Projekt, bei dem Resistenzen in eine traditionelle Rebsorte eingekreuzt werden sollen, ohne deren Ge­ schmacksprofil zu verändern. Erste brauchbare Er­ gebnisse werden in 15 Jahren erwartet.

Überraschende Aromastrukturen Neben Blattners «26er­Kreuzungen» sind vor al­ lem seine «CAL­Sorten» vielversprechend. Sie ent­ sprechen den modernen Anforderungen bezüglich Wuchsverhalten, trotzen dem Echten Mehltau und weisen eine interessante Aromatik auf. Verkoster vom Weinmagazin Vinum haben im April 2013 Piwi­ Weine unter die Lupe genommen. Von 273 verkoste­ ten Mustern erreichten neun Weine 16 von 20 mög­ lichen Punkten. Sechs davon waren Schweizer, drei stammten aus Deutschland. 60 Weine waren von überdurchschnittlicher Qualität, weitere 37 gut und 167 nicht erwähnenswert. Eine andere Erfahrung machte der Autor die­ ses Artikels. Als Vorbereitung verkostete er 44 Pi­ wi­Weine. Alle Weine waren sauber gekeltert, hatten Charme, waren lebendig, vielschichtig, von eigener Persönlichkeit und in angebrochener Flasche ohne Qualitätsverlust mehr als zehn Tage haltbar. Ne­ ben den vier abgebildeten hatte jeder Wein eine Be­ sonderheit. So ist der Vidal Blanc von Zweifel eine Easy­drinking­«Einstiegsdroge» für junge Leute (mit Moderation zu konsumieren). Die feine Muskat­ note, etwas Restsüsse sowie zehn Volumenprozente Alkohol machen ihn in der Gastronomie zum idealen Begleiter von Fruchtdesserts, Gebäck oder Käse. Ein ganz anderes Kaliber ist der Vidal Blanc vom Wein­ gut Strasser­Torriani aus Benken. Vielschichtig und monumental verlangt er nach kräftigen Speisen. Die weissen Piwi­Weine haben es faustdick hinter den Ohren. Auch die Roten müssen sich nicht verstecken. Klar haben sie nicht die Dichte eines grossen Bur­ gunders oder die Kraft eines Crus aus dem Borde­ lais. Doch ihre Frische wird nie langweilig. Den lan­ ge Zeit gefürchteten Foxton haben die neuen Sorten verloren, und die Winzer verstehen es, mit Ertrags­ beschränkung, Keltertechnik und Assemblagen, das Piwi­Loch, ein rasches Abflachen des Geschmacks im Gaumen, auszugleichen. So lässt man sich vom Blue Velvet von der Bielersee­Kellerei Räblus, den Cabernet Jura von Lenz am Thurgauer Iselisberg oder den Gewächsen vom Frohhof in Neftenbach ZH gerne verführen. Einzig der Maréchal Foch von Pir­ min Umbicht passte nicht ins Bild. Aber das hatte der Produzent im Weinbeschrieb bereits angekündigt. Für seine Ehrlichkeit erhält er 100 Punkte. Weitere Informationen und detaillierte Degustationsnotizen gibt es auf Weinlandschweiz – der Datenbank zum Schweizer Wein. X www.piwi-international.org www.weinlandschweiz.ch

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Piwi-weine mit charakter

seyval blanc 2013, bosshart + grimm trumpft auf mit sehr frischem Duft von weissen Blumen, Wiesenhonig und Zitrusfrüchten. Blitzsauber und fein im Gaumen. Der Wein hat eine lebendige Säure und Pfeffernoten im Abgang. Man trinkt ihn gerne zum Aperitif genauso wie zu Vorspeisen, sommerlicher küche und Seefischen oder Meeresfrüchten.

montsevelier 2011, martin buser ein Wein für Cracks. Frisch geöffnet riecht er nach Apfel, Anis, Fenchel, Alkohol und Pfeffer. Nach einer Stunde steigen balsamisch medizinale Noten in die Nase. eine weitere Stunde später zeigt er, was in ihm steckt: Aprikosen, karamellgebäck, Zitrusnoten. Nach zehn tagen ist er immer noch präsent mit Säure, Schmelz und Quitte.

léon millot 2013, roland und Karin lenz Der Schweizer Landwein aus der alten Piwi-Sorte ist ein grosser Wurf. Frisches, beerenfruchtiges Bouquet, feiner körper und lang anhaltend. Mit seiner Spannkraft bleibt er sehr lange positiv in erinnerung. Neben viel trinkgenuss beruhigt der Wein das ökologische Gewissen. Roland Lenz hat die Reben noch nie gespritzt.

Préstige 2011, claude und ruth chiquet Um diesen Wein zu beschreiben, reicht ein Wort: grossartig. konzentrierte schwarzbeerige Frucht, süsse kirschen, ein hauch Leder, kakao und edles holz in der Nase. Schmelz, Fülle und eleganz im Gaumen. Weil jeder Schluck ein Abenteuer ist, wurde der Wein am PiwiWeinpreis 2012 mit grossem Gold geehrt.


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Se die rie

#6

mein leben in

Shanghai Johnny mathis ist ein urgestein der Schweizer hoteliers. Seit 38 Jahren lebt und arbeitet er im ausland. china und besonders die metropole Shanghai haben es ihm besonders angetan.

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text: Johnny mathis Bearbeitung: Jörg ruppelt Bilder: keystone, zVg

I

ch bin in einer einfachen Arbeiterfa­ milie aufgewachsen und musste schon als kleiner Bub im Sommer mit meinem Vater auf der Alp die Schafe hüten. Spä­ ter, als ich etwas älter war, wurde ich von den Dorfbauern als Geisshirt angestellt und musste täglich mit den Geissen zir­ ka 1.200 Höhenmeter überwinden, um hinauf auf die Weiden zu gelangen. Das war zwar harte Arbeit, hat aber auch viel Positives für meine charakterliche Ent­ wicklung gebracht. Ausserdem haben mich Wind, Regen, Schnee und Hitze ab­ gehärtet. Auf diesen Touren mit den Tie­ ren kam irgendwann auch der Wunsch, einmal dieses Leben zu verlassen und die Welt zu sehen.

Einst mit einem Stipendium an die Hotelfachschule Lausanne J o h n n y m a t h i s (62) Der aus küblis stammende Bündner leitet als general manager das luxushotel twelve at hengshan by starwood in shanghai. Der gelernte koch und absolvent der hotelfachschule lausanne sammelte erste erfahrungen im hotelbusiness mitte der 1970erJahre bei mövenpick, ehe er 1978 seine erste auslandsstelle als assistent manager im holiday inn in Pattaya in thailand antrat. Von 1980 bis 1992 arbeitete er in verschiedenen managementFunktionen südostasiatischer hotels, unter anderem in hongkong und Peking. 1992 übernahm er seinen ersten general-manager-Posten in einem luxus-resort auf Fiji. ab mitte der 1990-er Jahre leitete er verschiedene hotels in malaysia, zypern, ägypten, Jordanien, auf den malediven und in china, darunter das shangri-la hotel in hangzouh, das swisstouches hotel in Xian und das sheraton resort changbaishan.

Die Kochlehre absolvierte ich im dama­ ligen Schulhotel SHV, dem Hotel «du Midi», wo ich 1971 mit 5,7, der Höchst­ note aller Berufe im Kanton Graubün­ den, abschloss. Da dies auch die Höchst­ note in der Schweiz war, wurde ich zum damaligen Hügli­Wettbewerb der besten Jungköche der Schweiz eingeladen. Dort erhielt ich die Auszeichnung mit einem vergoldeten Kochlöffel. Mein Lehrmeis­ ter war der eidg. dipl. Küchenchef Egon Sulger, der unter anderem auch Koch­ fachlehrer an der Berufschule Davos und Mitglied der erfolgreichen Koch­Natio­ nalmannschaft war. Egon Sulger, der heute im Engadin den Lebensabend geniesst, war mein ers­ ter grosser Förderer und ermutigte mich, mich an der Hotelfachschule Lausanne zu bewerben. Meine Familie konnte die Mittel für diese damals sehr teure Schu­ le nicht aufbringen, aber dank meinen gu­ ten Leistungen und eines Stipendiums des Kantons Graubünden war es mir mög­ lich, die Schule zu besuchen. Als Bündner musste ich natürlich zuerst noch Fran­ zösisch lernen, denn der Unterricht war damals noch ausschliesslich auf Fran­ zösisch. Danach kamen die Lehr­ und Wanderjahre in der Schweiz und diverse Sprachaufenthalte in England und Itali­ en. In der Schweiz musste ich mich durch diverse Sparten in verschiedenen Hotels weiterbilden und ich belegte mittlere Ma­ nager­Positionen, da ich noch zu jung war für die Top­Positionen. Mein Sprung ins Ausland gelang mir anno 1978, als ich vom Holiday Inn Mövenpick Opfikon Glattbrugg nach Thailand wechseln konnte. Später folg­ ten Anstellungen in Malaysias Haupt­ stadt Kuala Lumpur und danach Hong­ kong. 1985 kam ich dann als F&B Manager

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nach Peking in das damals einzige Hotel Chinas, das von einer ausländischen Ge­ sellschaft (der Hong­Kong­Peninsula­ Gruppe) geführt wurde. Danach schloss ich mich der Shangri­la­Gruppe an mit der Eröffnung ihres ersten Hotels in Chi­ na. Das Land hat mich von Anfang an fas­ ziniert. Nach einigen Stationen in Mau­ ritius und auf den Fiji­Inseln kehrte ich Mitte der 1990er­Jahre wieder nach Chi­ na zurück und führte Hotels in den alten Hauptstädten Chinas wie Hangzhou und Xian. Vor rund vier Jahren wurde ich dann von der grössten Hotelkette der Welt, der amerikanischen Starwood­Gruppe, an­ gefragt, für sie zwei neue Hotels (ein She­ raton und ein Westin) in einem neuen Skigebiet zu eröffnen und zum Erfolg zu führen. Auf meinem CV stand ja der welt­ bekannte Name Davos (WEF). Und da Starwood in seinen Reihen keine Direk­ toren in China und ganz Asien mit Ski­ resort­Erfahrung hatte, wurde ich als Bündner auserwählt. Das Skigebiet liegt direkt an der nordkoreanischen Gren­ ze und nur unweit von Südsibirien in der Mandschurei. Die Temperaturen waren von Anfang November bis Ende März im Bereich von minus 40 Grad Celsius. Alles war damals auf dem letzten Stand, modern und von Experten entworfen. Alle Gondelbahnen waren geheizt und hatten Stereo­Musik. Durch die extreme Kälte waren natürlich die Schneeverhältnisse hervorragend. Zu der Riesen­Anlage, die einem olym­ pischen Dorf nachgebaut wurde, gehör­ ten Einkaufszentren, viele Restaurants, Kinos, Theater, ein neuer Flughafen und vieles andere mehr. Die meisten Gäste kamen aus den Grossstädten Chinas, sie hatten nun plötzlich die Möglichkeit, im eigenen Land Ski zu fahren und mussten nicht mehr nach Europa, Japan oder Ka­ nada fliegen. Nach erfolgreicher Eröffnung und Po­ sitionierung der Hotels wurde mir dann ein neues Luxushotel in der Grossmetro­ pole Shanghai angeboten. Ich ging natür­ lich gerne wieder zurück in die «Zivilisa­ tion». Mit ein Grund war auch, den Kreis der Grossstädte Chinas in meinen Karrie­ restationen zu schliessen: Hongkong, Pe­ king, Hangzhou, Xian und nun zum Ab­ schluss noch Shanghai. Das Luxushotel Twelve at Hengshan, ein Luxury Collection Hotel by Star­ wood, wurde seit der Eröffnung vor ei­ nem Jahr schon mehrfach ausgezeichnet. Den Award «Best Hotel General Manager of China» wurde mir im Mai dieses Jah­ res in einer Zeremonie auf der süd­ weiter


e di lichen Insel Hainan zugesprochen. Das ist natürlich eine besonders begehrte Aus­ zeichnung unter Hoteliers. Vor ein paar Jahren erhielt ich bereits den World Hotel Award als bester Hotelier des Jahres 2008 an der ITB in Berlin. Viel Spezielles über Shanghai kann ich noch nicht berichten, da ich noch we­ niger als ein Jahr hier wohnhaft bin. Das Arbeiten und Leben hier macht wirklich Spass, da es eine wirkliche Weltmetropo­ le mit 24 Millionen Einwohnern ist. Das Hotel liegt in der wunderschönen Alt­ stadt Shanghais, in der bekannten French Concession. Dieser Teil hat viele alte kul­ turhistorisch interessante Bauten, Vil­ len und schöne kleine Boutiquen, inno­ vative Restaurants, aber auch Bars und Night Clubs. Es ist die beliebteste Gegend bei den Einheimischen wie auch den Ex­ pats. Hier kann man noch in den Strassen und Gassen mit dem Velo auf Stadterkun­ dung gehen, so wie es vor 30 Jahren in den Hutongs in Peking auch der Fall war, al­ lerdings ist dort alles mittlerweile dem «Fortschritt», den Neubauten und Hoch­ häusern gewichen, wie auch in vielen Tei­ len Shanghais, aber eben nicht so in der historischen French Concession.

Shanghai gilt als die modernste und fortschrittlichste Stadt Chinas

neue Seri

e

#7 sind sie im ausland tätig und haben etwas zu erzählen? Wenn ja, dann nehmen sie mit uns via mail kontakt auf: joerg.ruppelt@hotellerie-etgastronomie.ch

bunden. Als Unternehmer ist man ständig auf der Suche nach neuen Angestellten, da die rasende Entwicklung Chinas gute Leute immer wieder woanders hinlockt, wo das Gras grüner ist und die Aufstiegs­ Chancen noch besser sind. Position und

Geld spielen eine immer grössere Rol­ le. Einkaufsmöglichkeiten gibt es mehr als genug, Freizeitbeschäftigungen sind in Hülle und Fülle vorhanden. Mit den preisgünstigen «Speedbullet Trains» ist man schnell mal über ein Wochenende weit weg, um das Landesinnere von Chi­ na kennenzulernen. Was ich Kollegen, die gerne ins Aus­ land ziehen wollen, mit auf den Weg ge­ ben möchte, ist, dass man sich schon früh mit Land, Kultur, Sprache, Gegebenhei­ ten beschäftigt, um Enttäuschungen vor­ zubeugen. Als ich noch in Hongkong ar­ beitete, nahm ich regelmässig Unterricht in Chinesisch. Leider hat das dann nicht viel genützt, da das Kantonesisch nur im Süden Chinas und Hongkong gesprochen wird, das Hauptchinesisch aber das Man­ darin ist. Somit musste ich dann in Pe­ king wieder fast bei null anfangen. Heute, nach all den Jahren, komme ich damit zu­ recht und kann bedenkenlos im Land he­ rumreisen und mich verständigen. Aller­ dings, ein Geschäftsgespräch auf einem gewissen Niveau sowie das Interviewen von Angestellten führe ich auf Englisch. Die meisten jüngeren Leute sprechen so­

Das luxuriöse hotel twelve at hengshan in Shanghai beeindruckt durch spektakuläre Architektur.

Der Ablauf meiner täglichen Arbeit ist ähnlich wie in den meisten Stadthotels der Welt, ausser, dass eben in der Luxus­ hotellerie eine ganz besondere Aufmerk­ samkeit dem Gast entgegengebracht wird. Das beginnt bei der sorgfältigen Auswahl der Angestellten und des Kaders und geht weiter mit einer ständigen Fort­und Wei­ terbildung aller Mitarbeiter, um das Hotel auf dem höchsten Standard zu halten und um immer wieder innovative Aktionen starten zu können. Ausser Hongkong, wo ich in drei Etappen in den 70/80/90iger Jahren arbeitete, ist Shanghai die mo­ dernste und fortgeschrittenste Stadt Chi­ nas. Sie war schon in den frühen 1920er Jahren den westlichen Grosstädten Lon­ don, Paris und Moskau ähnlich. Dem­ entsprechend sind die Chinesen hier of­ fener und leben in guter Harmonie mit den abertausenden von Expats, die es hier gibt. Viele Ausländer haben sich nieder­ gelassen und Geschäfte eröffnet, andere repräsentieren ihre europäischen, japa­ nischen oder amerikanischen Unterneh­ men. Viele kommen zum Studieren. An­ dere wiederum sind mit Einheimischen verheiratet. Die meisten Touristen, die China besuchen, machen einen Abste­ cher nach Shanghai. Das Leben in Shang­ hai ist wie in allen grossen Metropolen der Welt mit viel Arbeit und Stress ver­

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wieso gut Englisch. Man sollte unbedingt den bestmöglichen Arbeitgeber aussu­ chen, der auch genügend Alternativen in anderen Destinationen und Ländern an­ bieten kann. Wichtig ist auch, sich stän­ dig über die neusten Entwicklungen im Land zu informieren. Vor allem aber soll­ te man sich, wo auch immer im Ausland, bestmöglich anpassen, nicht den Ein­ druck vermitteln, dass man der grosse Meister ist, sondern eher der Förderer und Wegbereiter zur Verbesserung des Lebensstandards der Angestellten. Chi­ nesische Angestellte sind loyale Mitarbei­ ter, aber nur, wenn man sie gut führt und respektvoll behandelt und ihnen persön­ liche Aufstiegsmöglichkeiten bietet. Wer herumschreit und kommandiert, dem wird hier in China die kalte Schulter ge­ zeigt. X

twelve at hengshan 12, hengshan road shanghai 200031 telefon (86)(21) 333838884 www.starwoodhotels.com

Blick in den edlen Spa-Bereich (links) und in die Lobby des «twelve at hengshan».

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berndorf ...und alles isst schöner

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VeRWiRRenD schön A

uf uralten Weinflaschen kleben ver­ gilbte Zettel. Darauf stehen, von Hand geschrieben, der Jahrgang, die Her­ kunft und im besten Fall noch der Name des Produzenten. Mit zunehmendem Handel und gesetzlichen Vorschriften wurden die Angaben vielfältiger und de­ taillierter. Bald merkten die Produzen­ ten, dass man mit Farben, Bildern und grossen Lettern die Aufmerksamkeit der Konsumenten auf seinen Wein lenken kann. 1877 verwendet Champagne Veu­ ve Clicquot erstmals das «carte jaune» genannte gelb­orange Papier für die Eti­ ketten. 1945 führt Château Mouton Roth­ schild Künstleretiketten ein und erlangt Kultstatus. In der Schweiz ist es die Ei­ dechse des «Aigle Les Murailles», die zur landesweit bekannten Marke wurde. Nun scheint heute die Vielfalt der Weinetiket­ ten unendlich und verwirrend. Wer vor einem gut gefüllten Weinregal im Gross­ verteiler oder im Fachhandel steht, dem schreien unzählige Formen und Farben entgegen: Nimm mich! Kunden anziehen, besser noch ansprechen, und zum Zugrei­ fen überzeugen, ist heute die Hauptaufga­ be der Weinetikette. Anders als bei Kleidern, sind Weineti­ ketten weniger dem Diktat der Mode un­ terworfen. Dennoch gibt es Trends. Ralf Krayss, Geschäftsführer und Leiter Pro­ duktion der Hoba Druck AG in Witten­ bach SG sagt: «Familienwappen und Bil­ der von Weingütern auf Etiketten sind out. Viele Winzer setzen Akzente mit Relieflack, sei dies transparent oder in leuchtenden Farben.» Wenn junge Win­ zer das elterliche Gut übernehmen, brin­ gen sie Änderungen oftmals mit neuen Etiketten zum Ausdruck. Nicht immer stellen sie radikal um, sondern moderni­ sieren die Etiketten, lassen Schnörkel weg

weinetiketten beeinflussen bei einem drittel der konsumenten den kaufentscheid. wie muss eine etikette gestaltet sein, damit diese ins auge sticht und die hand reflexartig nach der flasche greifen lässt?

text: gabriel tinguely

dabei sehr sensibel. Bunte und verspielte Sujets liegen im Mittelfeld. Frische und lebendige Weine, die mo­ dern gekeltert sind und ein junges Publi­ kum ansprechen, dürfen durchaus freche oder lustige Etiketten tragen. «Witzige Etiketten werden bei uns verstanden», sagt Johannes Hirsch vom gleichnami­ gen Weingut in Kammern/Langenlois (A). «Übertreiben sollte man es trotzdem nicht. Denn der Grat zwischen witzig und lächerlich ist schmal und das Risiko, dass ein Wein nicht ernst genommen wird, ist gross.» Johannes Hirsch spielt seit Jah­ ren mit seinem Namen und verpasst dem Einsteigerwein, einem leichten, fruch­ tigen Grünen Veltliner, jedes Jahr eine neue Hirsch­Etikette.

Etiketten lesen leicht gemacht und setzen auf klare Linien. Ein schlich­ tes, modernes Design kommt sehr gut an. Es steht für saubere Vinifikation und die gerade Linie des Weingutes. Weisse Eti­ ketten mit Gold­ oder Silberprägung wir­ ken edel und wecken die Hoffnung auf beste Weine – was aber nicht in jedem Fall zutreffen muss. An zweiter Stelle folgen klassische Labels. Sie stehen für Traditi­ on und garantieren Kontinuität. So kann Antoine Vincent von Château Fuissé im südlichen Burgund (F) kein Komma ver­ ändern, ohne dass seine Kunden reagie­ ren würden. Die mittelalterliche Fraktur­ schrift garantiert Herkunft und Qualität. «Würden wir die alte eckige Schrift durch etwas modern Geschwungenes erset­ zen, wäre das für die Kunden ein Grund zu Spekulationen, ob wir unsere Domäne verkauft hätten oder unsere Chardonnay­ Weine mit anderen Provenienzen ver­ schneiden würden.» Vor allem der ame­ rikanische und englische Markt reagiere

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Während der Laie eher auf die Gestaltung der Etiketten anspricht, interessiert den Weinliebhaber, was darauf steht. Neben Fantasienamen unterscheidet sich die Weinbezeichnung entsprechend dem Ge­ setz, das zur Anwendung kommt. Beim romanischen Weinrecht steht die Her­ kunft im Vordergrund und das germa­ nische nennt an erster Stelle die Rebsor­ ten. Wie in der Neuen Welt üblich, ist es für Konsumenten einfacher, sich den Na­ men einer Rebsorte zu merken. Cabernet heisst Cabernet, egal ob er in Kalifornien, Australien oder im Südtirol wächst. Sich die Namen der Châteaux aus dem Borde­ lais einzuprägen, ist einiges schwieriger. Dafür gibt die Herkunft Angaben zum Weinstil. Wer sich eine Flasche Côte Rô­ tie bestellt, kauft einen Sirah, dessen Ge­ schmacksbild sich deutlich von jedem Wein unterscheidet, bei dem lediglich die Rebsorte Sirah/Shiraz auf der Etikette steht. X


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SaureS essig veredelt nicht nur salatdressings

Bilder: elise heuberger


Manuell oder industriell hergestellt? Puristisch oder mit fruchtpürees und gewürzen angereichert? essig ist eine welt für sich: ein schmackhaftes und farbenfrohes universum. text: manuella magnin übersetzung: Bernadette Bissig

K

ombucha hat in den letzten Jah­ ren treue Anhänger gefunden. Dieses leicht prickelnde und stär­ kende Getränk entsteht bei der Fermen­ tation von gezuckertem Tee und Mikro­ organismen. Wer nun annimmt, dies sei die einzige alkoholfreie, auf Fermentati­ on basierende Erfrischung, hat die Rech­ nung jedoch ohne die Essige gemacht. Die Japaner beispielsweise verarbei­ ten diese gerne und oft in Cocktails. Sie erhoffen sich davon einen positiven Ein­ fluss auf die Gesundheit. In den USA ha­ ben sich mit Essig angereicherte Cock­ tails ebenfalls durchgesetzt. Und auch der deutsche Essighersteller «Vom Fass» bringt seine Kunden mit entspre­ chenden Cocktailrezepturen auf den Geschmack.

Von jedem Essig probieren Nach der Gründung des Unternehmens «Vom Fass» liess der Erfolg nicht lange auf sich warten. 2014 feiert der Essigpro­ duzent mit Sitz in Waldburg, im Bundes­ land Baden­Württemberg, bereits sein 20­Jahr­Jubiläum. Der Produktionslei­ ter Stefan Buggle setzt heute noch auf traditionelle Essigsorten mit intensivem Aroma und einem langen Abgang. Mit sei­ nen 240 Verkaufsstandorten hat «Vom Fass» wesentlich dazu beigetragen, das Wissen über Essig in die Welt hinauszu­ tragen. Im eigens dafür geschaffenen, in­ teraktiven Rundgang in Waldburg erhal­ ten Besucher zudem einen Einblick in den Produktionsprozess. Und wie lautet das Erfolgsrezept des deutschen Essigproduzenten? Ganz ein­ fach: Die Konsumenten können jeden Es­ sig probieren, bevor sie ihn in einem der Franchiseboutiquen in persönlich ausge­ wählten Fläschchen deziliterweise kau­ fen. Zudem wird die Qualität der Essige von Experten hoch geschätzt. Der in Ei­ chenfässern gereifte Apfelbalsam bei­ spielsweise wurde dieses Jahr in Brüssel vom Internationalen Geschmacks­ und Qualitätsinstitut ausgezeichnet.

Die Produktion von hochwertigen Es­ sigen hat weltweit Nachahmer und Anhänger gefunden. Das französische Unternehmen Libeluile, im Südosten Frankreichs gelegen, agiert seit einigen Jahren ebenfalls in dieser Marktlücke. Armelle Foatelli, CEO von «Libeluile», legt grossen Wert auf Qualität. Zudem schätzt sie es, den Kunden immer wieder neue Produke anzubieten. Der Essigpro­ duzent hat gaumenschmeichelnde Pro­ dukte im Angebot, die in der Schweiz über Fine & More in Luzern oder Zürich und über Oil & Whisky in Sitten zu beziehen sind. Jede Assemblage besteht aus Bio­ Roggenessig, die mit Fruchtmark, Zucker und teilweise auch mit Gewürzen versetzt ist. Eine Methode, die Puristen suspekt sein mag. Doch sie funktioniert. Und sie findet langsam aber sicher ihre Anhänger rund um den Globus. Neben diesen beiden Essigproduzen­ ten, die auf eine treue Kundschaft zählen dürfen, versuchen sich auch andere ein Stück vom Kuchen abzuschneiden. Und manchmal funktioniert das sehr gut. So bringen viele kleine Unternehmer Pro­ dukte auf den Markt, die sie mit viel Herz­ blut entwickelt haben. Der kleinen Es­ sigmanufaktur Baerg Marti mit Sitz in Wollerau SZ ist mit dem Birnen­Balsam­ essig ein Geniestreich gelungen. Der edle Essig reift auf dem Jungfraujoch, auf 3.454 Metern über Meer. In einem Stol­ len am Rande des Gletschers wird er in Ei­ chenfässern gelagert. Ausländische In­ vestoren kauften ganze Barriques davon. Sie spekulierten darauf, dass sich ihre Ka­ pitaleinlage beim Verkauf des Nektars be­ zahlt machen wird. So gross und überzeugend die Aus­ wahl heute auch sein mag, so gibt es doch Feinschmecker, die einzig und allein auf den echten Aceto balsamico di Mode­ na schwören. Diesen setzen sie nur ganz sparsam ein, wie ein kostbares Parfüm. Es sind Genussmenschen in Reinform, die das Puristische der Grundzutaten und die handwerkliche und traditionelle Pro­

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duktionsweise schätzen. Darunter auch Küchenchefs wie Edgard Bovier (1 Miche­ linstern und 17/20 Gault­Millau­Punk­ te). Der Spitzenkoch verwendet sehr ger­ ne Essige und Öle, die er direkt bei den renommiertesten Produzenten auswählt, um seine erlesene, mediterran inspirierte Küche zu veredeln.

Heikler Fermentationsprozess Zudem gibt es immer mehr Feinschme­ cker, die sich für Schweizer Essig inter­ essieren. Lebensmittelingenieur Jean­ Marc Tendon ist sowohl als Consultant als auch als Produzent tätig: «Ich stel­ le gerne fermentierte Lebensmittel her», verrät er. In erster Linie arbeitet er mit Früchten, sei dies nun mit frischen oder getrockneten. «Ich liebe diese Herausfor­ derung. Der Fermentationsprozess von Früchten ist sehr heikel. Wenn man die­ sen verpatzt, so riskiert man eine Fehlgä­ rung», sagt der Ingenieur. Der ganze Vor­ gang brauche sehr viel Zeit. Bertrand Boesch aus Cottens VD setzt auf regionale Produkte. Er hat einen Es­ sig aus hellem Bier aus der Region herge­ stellt. Dieser macht sich sehr gut in einem Salatdressing, harmoniert vorzüglich mit Geflügel und verleiht einem Meeresfisch das gewisse Etwas. «Le Monde des Epices» in Payerne ver­ kauft eine Reihe von Essigen aus katala­ nischen Reben. Es sind ausgefeilte und schnörkellose Säfte, die das Typische der einzelnen Reben hervorheben. Essigex­ perte und Patron von «Le Monde des Epi­ ces», Patrick Rosset, stellt seit zwanzig Jahren eine anhaltende Begeisterung für hochwertige Essige fest. «Es gab damals einen Markt, der bearbeitet werden woll­ te. Nicht wenig Kunden waren enttäuscht von dem, was man ihnen als Aceto bal­ samico di Modena vorsetzte. Dieser war oft mit Karamell angereichert.» Mit den Weinessigen aus Katalonien hingegen be­ findet man sich im Reich der Reinheit und kommt der Philosophie von Xérès auf die Spur. Der Essig von Xérès wird aus weiter


birnenbalsamessig aus den schweizer bergen Dieser aromatische Balsamessig aus Birnen reift in eichenfässern auf 3.454 Metern über Meer im Berner Oberland. Das Luxusprodukt von Baerg Marti ist direkt über den Produzenten oder in ausgewählten Delikatessenläden zu beziehen. Passt perfekt zu gereiftem Alp-Gruyère oder zu erdbeeren aus der Region.

heidelbeer balsam star Dieses Produkt aus dem hause «Vom Fass» wurde 2013 am Superior taste Award des International taste & Quality Institute (ItQI) in Brüssel mit drei Sternen ausgezeichnet. Die Spezialität aus eingedicktem heidelbeersaft und heidelbeeressig passt vom Apéro über die Vorspeise bis zum Dessert. Liebhaber geniessen den essig gerne auch pur. erhältlich in den «Vom Fass»-Boutiquen.

aceto balsamico tradizionale di modena a.o.P. Der traditionelle Aceto balsamico di Modena ist in zwei Reifungen (12 oder 25 Jahre) erhältlich. Im Gegensatz zu essig, der aus einer alkoholhaltigen Flüssigkeit hergestellt ist, wird der Aceto balsamico tradizionale di Modena direkt aus lange und schonend eingekochtem Saft der trebbianotrauben gewonnen. Der filtrierte Most reift anschliessend während Jahren in holzfässern.

«Es gibt sehr viele gute Produkte, aber es ist auch sehr viel Marketing im Spiel.» François barja, Lehrbeauftragter der universität genf

dem gleichnamigen Wein gewonnen, der aus Palomino­, Moscatel­ und Pedro­Ji­ ménez­Trauben hergestellt wird. Dieser Wein wird einer Essigfermentation un­ terzogen, bevor er zur Reifung in Eichen­ fässer gegeben wird. Manchmal wird der daraus gewonnene Essig direkt im Fass mit likörhaltigem Wein versetzt. Er ent­ wickelt so Noten von Gewürzen, Rosinen, Orangen und getrockneten Früchten, die perfekt zu Schokolade, Zitrusfrüchten, Geflügel und Fisch passen.

Wunderbare Bakterien Nicht nur die Gastronomie, sondern auch die Medizin weiss den Essig zu schätzen. Seit Menschengedenken kennt man seine unzähligen Wirkungen. Trinkt man jeden Tag einen kleinen Schluck, am besten un­ filtrierten Apfelessig, so hat dies einen po­ sitiven Einfluss auf den glykämischen In­ dex und die Gesundheit. Möglicherweise

hilft es sogar dabei, die Leistung des Ge­ hirns zu verbessern, wie dies eine Labor­ studie an Mäusen gezeigt hat. Auch für die Herstellung von Prothe­ sen könnte Essig neue Perspektiven und Möglichkeiten eröffnen. Denn die mit ei­ nem erstaunlichen Überlebenswillen ausgestatteten Essigbakterien weben ein Zellulosenetz, um sich an der Ober­ fläche einer Flüssigkeit zu halten. Diese «Schwimmfläche» ergibt eine biokompa­ tible Zellulose. Doktor François Barja, Lehrbeauf­ tragter am Departement für Botanik und Biologie der Universität Genf, ist ein weltweit angesehener Forscher auf dem Gebiet der Essigbakterien. Der ur­ sprünglich aus Galicien stammende Aka­ demiker nahm an einem europäischen Forschungsprojekt teil, dessen Ziel es war, die handwerkliche Produktion von Essig zu verbessern. Produziert wird Es­

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sig in der Regel auf zwei Arten. Beim ers­ ten Verfahren, Orléans­ oder Oberflä­ chenverfahren genannt, lässt man die Essigbakterien, nach Abschluss der alko­ holischen Fermentation des Grundpro­ dukts wie Früchte oder Getreide, an der Oberfläche des Essigs gedeihen. Beim zweiten, Submersverfahren ge­ nannt, wird Sauerstoff direkt in die Flüs­ sigkeit gepresst, die sich in einem Tank befindet. Dadurch werden die darin schwimmenden Essigsäurebakterien in der Schwebe gehalten. Die Essigsäure­ vergärung ist somit bereits nach einigen Stunden abgeschlossen. Das Fazit des «Doktors der Essig­ wissenschaften» in Anbetracht des um­ fangreichen Marktangebotes: «Es gibt sehr viele gute Produkte, aber es ist auch sehr viel Marketing im Spiel.» Die Ge­ schmacksnerven der Konsumenten wer­ den schlussendlich entscheiden. X


Passionsfruchtessig Die französische Manufaktur Libeluile aus der Region Rhône-Alpes hat mit diesem Bioroggenessig mit Passionsfruchtmark etwas sehr exotisches auf den Markt gebracht. Crevetten, Langustinen, weisses Fleisch und sogar schwarze Schokolademousse passen ausgezeichnet zu diesem Nektar. erhältlich bei Fine & More in Zürich oder Luzern und bei Oil & Whisky in Sitten VS.

edelweissessig eine exklusive kreation der Waadtländer kräuterhändlerin Caroline Cuennet. Während ihrer Ausbildung verfiel sie dem edelweiss. Der spezielle Geschmack des essigs von Zitrone und heu wird durch die Mazeration von edelweiss in einem mit natürlichen Aromen angereicherten Weissweinessig erzielt. Der essig passt ausgezeichnet zu einem tartar aus frischem Fisch aus der Region.

mangoessig In der essigmanufaktur von Molondin, 15 kilometer östlich von Yverdon gelegen, wird dieser durch «Saveurs d’ailleurs» vertriebene essig hergestellt. Der essig basiert auf Biomangos aus Burkina Faso. er passt wunderbar zu Fisch oder als Marinade zu weissem Fleisch.

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kunsthof-gesch채ftsf체her und -k체chenchef christian geisler (vorn) und sein sous-chef mitja Birlo.


leidenschaft & Perfektion Mit Marcus g. lindner als Pächter und christian geisler als geschäftsführer und küchenchef soll aus dem kunsthof im sanktgallischen uznach eine der besten restaurantadressen der schweiz werden. Bilder: christoph läser, zVg text: Jörg ruppelt

s scheint perfekt zu sein und ist es doch nicht. Zumindest in den Augen von Chris­ tian Geisler, der sich zusammen mit sei­ nem Sous­chef Mitja Birlo immer und im­ mer wieder über den Teller, oder besser gesagt über die flache Vorspeisenschale, beugt und korrigiert. Etwa das mit dem

Bunsenbrenner angeflammte, würfel­ förmige Filet des Hamachi (auch Seriola oder Gelbschwanzmakrele genannt), das sie ein paar Millimeter nach links rücken. Oder die Dillchips, die noch aufgerich­ tet werden. Und zum Schluss, also weni­ ge Augenblicke, bevor der Fotograf das erste Mal abdrücken darf, geben sie zur Formvollendung ein paar Tropfen Dill­ öl hinzu, die – oh welches Glück oder ist es etwa wirklich Können? – ganz nach den Vorstellungen Christian Geislers vor dem Joghurt­Espuma zerlaufen. «Hamachi – Pulpo – Joghurt – Dill» heisst Christian Geislers Komposition. Eine eher sachli­ che Beschreibung für ein besonderes Ge­ schmackserlebnis, auf das sich der Gast nach dem Willen des Küchenchefs einlas­ sen soll. Gleiches gilt für Hauptgericht und Dessert, zwei weitere Kompositionen, die Christian Geisler exklusiv für das Ho­ tellerie et Gastronomie Magazin zusam­ menstellt: «Rind – Rande – Blumenkohl» und «Kirsche – Buchweizen – Caramel». «A bissl von Yin und Yang» habe er im Kopf, wenn er anrichte, erzählt der gebür­ tige Österreicher in seinem salzburgisch gefärbten Deutsch. Yin und Yang, zwei Begriffe der chinesischen Philosophie, die für polar einander entgegengesetzte und dennoch aufeinander bezogene Kräf­ te oder Prinzipien stehen. Übertragen auf seine Food­Philosophie bedeute weiter

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Blick in den stylischen kunsthof von Uznach, der einst als heuboden genutzt wurde und in dem heute Christian Geisler und sein team die kunst der modernen Gastlichkeit zelebrieren.

dies: kontrolliert, geometrisch, zugleich aber auch wild und zufällig anrichten. Hamachi­Filet oder Rindsentrecôte ste­ hen im Mittelpunkt. Wenige zusätzliche Komponenten «wachsen» aus dem Ge­ samtbild heraus: Joghurt­Espuma und Dillchips hier, Rote­Bete­Chips und Blu­ menkohl dort. «Geschmack», sagt Chris­ tian Geisler, «ist das Allerwichtigste. Ihm ordne ich alles unter. Deshalb bin ich beim Kreieren von Gerichten bis zum letzten Moment auf der Suche. Wo fehlt es noch an Schärfe, wo an Säure oder Süsse. Was kann kalt, was heiss präsentiert wer­ den?» Und, so betont er, es müssten nicht immer nur die edelsten Grundproduk­ te sein, die er in der Küche verwende, nur von ausgezeichneter Qualität, da gebe es keine Abstriche. Geschmack ist das Stichwort. Wer sich von Christian Geisler und seiner Mannschaft im Ende Mai neu eröffne­ ten «Kunsthof» in Uznach SG verwöh­ nen lassen will, der muss sich auf die ver­ schiedensten Geschmäcke einlassen. Am Abend stehen insgesamt zehn verschie­ dene kleine Kompositionen zur Auswahl, sechs Vorspeisen, zwei Hauptgänge und zwei Desserts. Erklärt und erläutert von ausgewiesenen Restaurationsprofis um Chef de service Christian Magner. Ent­ weder stellt sich der Gast sein Menü dann selbst zusammen oder er lässt sich auf die vorgegebenen acht Gänge «Chef Choice» ein. So oder so – gut zweieinhalb Stunden sollte man sich für das Erlebnis Zeit neh­ men. Um den ersten Hunger zu besänf­ tigen, lässt Christian Geisler sage und schreibe fünf verschiedene «Grüsse aus der Küche» auftischen, darunter Foie­ gras­Chips und gebuffter Amarant mit

Rauchforellencreme. Zu guter Letzt oder um den Gaumen für die nun folgenden Geschmackswelten vorzubereiten, wird ein Hausbrot gereicht. Wenn man so will, ist die neue Kunst­ hof­Küche die fast nahtlose Fortsetzung der erfolgreichen Heimberg­Geschichte, die Christian Geisler in den vergangenen drei Wintersaisons in Zermatt schrieb. Das kleine schicke Restaurant Heimberg am Fusse des Matterhorns kam unter der Regie des erst 29­Jährigen gänzlich ohne Speisekarte aus. Der Gast startete mit einer Überraschungsvorspeise und entschied sich dann, ob er eine zweite wollte oder bereits einen Hauptgang wünschte. Serviert wurden unter ande­ rem Amuse­bouche mit Rotkohl­kont­ rastiertem Lamm, glasig gegarter Lachs mit seinem Rogen und Sot­l’y­laisse an herzhaftem Geflügelfond. Für Christian Geislers Künste gabs zuletzt in Zermatt einen Michelin­Stern und 16 GaultMil­ lau­Punkte. Mit ähnlichen Auszeichnun­ gen soll in Bälde auch der «Kunsthof» bedacht werden, so der selbstbewusste Österreicher. Den Weg ins Unterland fand Chris­ tian Geisler über Marcus G. Lindner. Der 18­Punkte­Spitzenkoch vom Luxushotel The Alpina in Gstaad ist schon seit Jah­ ren Mentor des jungen Christian Geis­ ler und nun zum wiederholten Male Boss des Küchenchefs. Diesmal allerdings un­ ter anderen Bedingungen. Marcus G. Lindner figuriert als Pächter des Uz­ nacher «Kunsthof», Christian Geisler als Geschäftsführer und Küchenchef. Bei­ de kennen und schätzen sich aus vergan­ genen «Mesa»­Zeiten, als Lindner in Zü­ rich kulinarisch für Furore sorgte und

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Marcus G. Lindner vom Luxushotel the Alpina in Gstaad figuriert als Pächter des «kunsthofs» in Uznach. Als langjähriger Spitzenkoch steht er für den gastronomischen Leitfaden im «Der kunsthof» und ist beratender «Stützpfeiler».

Christian Geisler ihm über zweieinhalb Jahre als Sous­chef über die Schultern schaute. «Wir haben uns damals im Re­ staurant Mesa blind verstanden», sagt Marcus G. Lindner. «Christian Geis­ ler gehört zu jenen, die neue Kreationen nicht nur im Kopf haben, sondern auch im Mund spüren. Ausserdem ist er einer, der selbst Initiative zeigt und seine Mitar­ beiter zu motivieren weiss. Für den Pos­ ten des Küchenchefs in Uznach konnte ich keinen Besseren finden», so der Star­ koch, voll des Lobes über seinen ehemali­ gen Schützling. Vor gut einem Jahr ist Marcus G. Lind­ ner von einer Gruppe Uznacher Unter­ nehmer angefragt worden, den «Kunst­ hof» zu übernehmen. «Sie haben mir deutlich gemacht, dass sie sich im «Kunst­ hof», der zuvor schon ein Restaurant auf hohem Niveau war, ein neues kulinari­ sches Konzept vorstellen könnten. Und weil ich den Eindruck hatte, dass es ihnen nicht darum ging, mit dem Haus wahn­ sinnig viel Geld herausschlagen zu wol­ len, habe ich als Pächter zugesagt.» In der Kunsthof AG sind knapp eine Handvoll Geschäftsleute zusammenge­ schlossen, die 2003 die alte Kreuzkir­ chenscheune mit Wohnhaus und Wasch­ küche vor dem Abriss retteten, mit dem Ziel, den Gebäudekomplex zu einem Treffpunkt für jedermann werden zu las­ sen. Heute umfasst der «Kunsthof» ein Museum, eine Bar und ein Restaurant, das sich im ehemaligen Heuboden befin­ det. An frühere Zeiten erinnert noch heu­ te der aufwändig gestaltete Dachstuhl. Ansonsten ist das Restaurant, das 36 Gäs­ ten Platz bietet, eher spärlich, gleichwohl modern möbliert und strahlt mit seinen einfach eingedeckten Holztischen, Leder­ stühlen und dem stahlverkleideten Ka­ min in Rostton sowie dem Sichtbeton eine geradezu puristische, ja zurückhalten­

de Eleganz aus. Schlichtheit statt Effekt­ hascherei – das ist das Motto des Hauses, was sich in Atmosphäre und Küchenphi­ losophie widerspiegelt. «Wir haben in Restaurant und Küche nur weniges wie Stühle und Rational­Steamer vom Vor­ gänger übernommen. Und wenn der Ein­ gangsbereich bald neu gestrichen wird, dann präsentiert sich das Ensemble mit Foyer, Treppe und Restaurant so, wie wir es uns vorgestellt haben: alles in Anthra­ zit und Weiss», so Christian Geisler. Stolz ist der Küchenchef, der einst sei­ ne Lehre in einem gutbürgerlichen Res­ taurant in Salzburg absolvierte und spä­ ter Erfahrungen im berühmten «Hangar 7» sammelte, auf seine eingespielte Kü­ chenmannschaft, die allesamt Top­Gas­ tronomie­Erfahrung mitbrachte und zum Teil mit ihm in Zermatt arbeitete. An seiner Seite weiss er den deutschen Sous­ chef Mitja Birlo, einen gebürtigen Bie­ lefelder, der unter Harald Wohlfahrt in der «Traube» in Tonbach sein Handwerk lernte und es im Londoner «Viajante» perfektionierte. Und da ist Restaurant­ leiter Christian Magner, einst Sommelier im «Mesa» und im «Greulich» in Zürich und zuletzt tätig in der Weinhandlung Boucherville in der Limmatstadt. Sie alle sind eingeschworen auf Geislers Credo, das da heisst: «Wir zelebrieren die Kunst der modernen Gastlichkeit. Mit Leiden­ schaft, Passion und Perfektion.» X

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Der kunsthof zürcherstrasse 28 8730 uznach sg www.derkunsthof.ch tel. 055 290 22 11

rezepttipps aus dem «kunsthof» finden sie auf den folgenden seiten.


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vor speise hamachi Pulpo Joghurt Dill Zutaten für 4 Personen

hamachi 250 g hamachifilet hamachifilet mit einem Bunsenbrenner kurz abbrennen und mit Fleur de sel würzen, portionieren. Pulpo 1 st. Pulpo 2 st. schalotten 1 knolle knoblauch 1 st. staudensellerie 100 ml rotwein Pulpo von den augen und der tintendrüse befreien, scharf anbraten, schalotten, knoblauch, staudensellerie zugeben und kurz mitrösten, mit rotwein ablöschen und mit kaltem Wasser bedecken. Dann auf kleiner Flamme solange köcheln, bis er weich ist (gardauer zirka zwei stunden).

Pulpo-gel 250 g Joghurt 50 ml milch 2,5 Blatt gelatine salz zitrone Die eingeweichte gelatine in der warmen milch auflösen, mit dem Joghurt vermengen und mit salz und zitronensaft abschmecken. in espuma-Flasche füllen und kalt stellen. dillöl 100 g Dill 150 g olivenöl Beides im thermomix fünf minuten mindestens bei 90 grad mixen, passieren. dillchips 100 g Dill 50 ml Wasser 15 g kuzu Dill mit Wasser mixen, passieren, 15 gramm kuzu einarbeiten. im topf abbrennen und auf eine silpatmatte streichen, dann im ofen bei 60 grad zirka zwei stunden trocknen.

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haupt gang Rind Rande Blumenkohl Zutaten für 4 Personen

rind 600 g pariertes rindsentrecôte Das rind in 150-g-steaks portionieren, würzen mit Fleur de sel und Pfeffer. im holzkohlegrill scharf anbraten und im ofen bei 110 grad fertigbraten (kerntemperatur 49 grad), abrasten lassen. randenpüree 200 g randen 100 ml randen entsaftet randen schälen, in Würfel schneiden und mit dem randensaft vakuumieren. Das ganze im Wasserbad bei 80 grad weichgaren, danach glattmixen, mit sherry, nussbutter, Balsamicoessig, salz, zucker und Pfeffer abschmecken.

randenchips 1 st. rote Bete 50 g zucker rande auf der aufschnittmaschine in dünne scheiben schneiden, mit läuterzucker (50 ml Wasser und 50 g zucker aufgekocht) für 30 minuten vakuumieren, anschliessend passieren und auf einer matte des Dehytrators trocknen lassen. blumenkohl 1 st. Blumenkohl 30 g Butter Blumenkohl in kleine röschen portionieren, in brauner Butter garziehen. Das ganze anrichten und mit etwas rinderjus servieren.

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dessert kirsch Buchweizen Caramel Zutaten für 4 Personen

Kirschensponge 300 g kirschenpüree 5 Blatt gelatine Das kirschenpüree erhitzen, kirschbrand zugeben und fünf Blatt gelatine darin schmelzen. Das ganze in der rührmaschine zirka 30 minuten lang zu einem luftigen schaum schlagen und dann in einen Behälter füllen und kalt stellen. caramelglace 100 ml milch 100 ml sahne 2 eigelb 50 g zucker 3 g Fleur de sel

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aus dem zucker caramel kochen, mit milch und sahne ablöschen und erkalten lassen, eigelb zugeben und das ganze zur rose abziehen, mit Fleur de sel abschmecken und in der eismaschine frieren. buchweizen gepufft 50 g Buchweizen Buchweizen kochen und im ofen bei 50 grad eine stunde lang trocknen lassen, anschliessend im heissen Öl (185 grad) wie Popcorn puffen. Den gepufften Buchweizen noch karamellisieren.


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welchem thema ist das dossier dieser ausgabe gewidmet?

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redaktion Bernadette Bissig (beb) riccarda Frei (rif) christian greder (chg) mario gsell (mgs) gabriel tinguely (gab) sarah sidler (ssi) verkauf Jörg greder (leitung) Josef Wolf gestaltung martin reznicek (cD) natalie schmid (aD) solange ehrler

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Die Lage ist einzigartig. Das Hotel liegt unmittelbar am Ufer des Vierwald­ stättersees. Lassen Sie sich vom atemberaubenden Ausblick auf das Bergpanorama verzaubern! Die 41 Zimmer sind im Empire­Stil eingerichtet. Auf der Pool­Etage mit Schwimmbad, Sauna und Massageangeboten lässt es sich wunderbar verweilen. Im Restaurant National treffen Genuss und Gemütlichkeit aufeinander. Die Kreationen des Küchenchefs bestechen durch handwerklich perfektionierte Kochkunst und die Liebe zu hochwertigen Produkten aus der Region. Daneben werden bekannte Topseller und einfache Gerichte für den kleinen Hunger zwischendurch serviert.

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senden sie die richtige antwort bis zum 20. oktober 2014 an nicole.kaelin@hotellerie-et-gastronomie.ch über den Wettbewerb wird keine korrespondenz geführt. Der rechtsweg ist ausgeschlossen. die ausgabe 4/2014 erscheint am 13. november 2014

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gedruckt auf Fsc-zertifiziertem Papier zur Förderung eines nachhaltigen Waldmanagements. alle rechte vorbehalten. Jede Verwendung der redaktionellen inhalte bedarf der schriftlichen zustimmung durch die redaktion. Die in dieser zeitschrift publizierten inserate dürfen von Dritten weder ganz noch teilweise kopiert, bearbeitet oder sonstwie verwertet werden.



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