Datenspeicher der Zukunft - Forschen in Jülich (4/2013)

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FORSCHUNG IM ZENTRUM | Neurowissenschaften

Vom realen Hirnschnitt zum virtuellen Hirnmodell BigBrain Die hauchdünnen Gewebeschnitte wurden einzeln gescannt und ihre digitalen Bilder an Rechnern grob zusammengesetzt (linker Bildschirm). Anschließend bearbeiteten die Forscher die digitalen Abbilder der beschädigten Hirnschnitte mit Hochleistungsrechnern und spezieller Bildbearbeitungssoftware. Zuletzt fügten sie sämtliche Schnittbilder zum virtuellen Hirnmodell „BigBrain“ zusammen (rechter Bildschirm).

che Position zu bringen. „An manchen Tagen brauche ich außerdem einen langen Atem“, lacht die 37-jährige. Mit diesem haucht sie „schwieriges“ Gewebe vor dem Schneiden an, um es anzufeuchten und damit Rissen vorzubeugen. Wie bei allen Hirnmodellen wurde auch bei „BigBrain“ im Anschluss jeder einzelne der 7.400 Gewebeschnitte auf gläserne Objektträger gezogen und dann gefärbt. „Mit einem speziellen Verfahren werden die Zellkörper grau-schwarz eingefärbt. Damit sind sie im nächsten Arbeitsschritt gut zu erkennen“, berichtet Ferdag Kocaer. Mit einem Flachbettscanner werden die Gewebeschnitte mit einer Auflösung von 1.200 dpi als digitales Bild auf die Jülicher Rechner übertragen   – der Schritt vom echten zum virtuellen Gewebe ist getan. Reparaturen am Bildschirm Das gescannte Bild auf dem Rechner ­entspricht dem realen Gewebe – mit all seinen beim Schneiden entstandenen Rissen, Gewebeablösungen oder Verzerrungen. Für das „BigBrain“-Team in Jülich und Montreal begann nun ein äußerst zeitintensives Reparieren am Rechner. „Um die Daten verwerten zu können, setzten wir uns mit mehreren mobilen Festplatten, auf denen sämtliche Daten der Hirnschnitte gespeichert waren, in ein Flugzeug und überquerten den Ozean“, schmunzelt Hartmut Mohlberg. Aus heutiger Sicht kaum vorstellbar: „Sämtliche Versuche, die Informationen übers Internet zu den Kollegen zu senden, waren zuvor gescheitert. Die Datenmenge war einfach zu groß, und der persönliche

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Kontakt, bei dem die Projekte dann im Detail besprochen werden, ist unglaublich wichtig“, berichtet der Diplom-Physiker. Rund 30 Prozent aller 7.400 Hirnschnitte, so schätzt Hartmut Mohlberg, mussten in mehrstündigen Sitzungen nachgearbeitet werden: „Um grobe Fehler zu beheben, beispielsweise komplett abgerissene Gewebeinseln wieder an­ zuhängen, haben wir mit einer Art spezialisiertem Bildverarbeitungs-Programm gearbeitet“, berichtet er. Kleinere Gewebefehler, etwa zarte Risse, ließen sich im Anschluss durch einen Referenzabgleich mit benachbarten Hirnschnitten von einer speziellen Software erkennen und herausrechnen. Insgesamt erforderten allein die Reparaturarbeiten an den digitalen Abbildern der Hirnschnit-

Ferdag Kocaer schnitt das gespendete Postmortem-Gehirn für das BigBrainHirnmodell in über 7.400 hauchdünne Scheiben.

te von „BigBrain“ etwa 260.000 Computerstunden. Die Wissenschaftler rund um Alan C. Evans am Montrealer McConnell Brain Imaging Center waren und sind für die Jülicher gefragte Kooperationspartner. Die Kanadier hatten eine Software entwickelt, mit der sämtliche 7.400 „BigBrain“Hirnschnitte nach der Reparatur exakt „registriert“, das heißt präzise aneinander angepasst werden konnten. „Unsere kanadischen Kollegen sind einfach begnadete 3D-Puzzler“, bringt es Hartmut Mohlberg auf den Punkt. „BigBrain“ als Arbeitswerkzeug Für Wissenschaftler rund um den Globus ist das Hirnmodell kostenlos zugänglich. Die Datensätze liegen auf Höchstleistungsrechnern und können unter http:// bigbrain.cbrain.mcgill.ca abgerufen werden. Wie viele Hirnforscher kommt auch der Jülicher Neurowissenschaftler Dr. Sebastian Bludau ins Schwärmen: „Mit ,BigBrain‘ haben wir weltweit erstmals ein vollständiges und realistisches ­3DHirnmodell, in das wir auf die Ebene von 20 Mikrometer hinein zoomen können. So lassen sich nicht nur die Grenzen markanter Areale, wie die des visuellen oder primär motorischen Kortexes, erkennen, sondern auch komplexere Hirnareale mit feinen mikrostrukturellen Änderungen.“ Zum Beispiel das Brodmann Areal 10 (BA 10), das Sebastian Bludau im Frontalpol exakt lokalisieren konnte. Es ist unter anderem an der Planung zukünftiger Aktionen beteiligt. :: Ilse Trautwein

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