Datenspeicher der Zukunft - Forschen in Jülich (4/2013)

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Das Magazin aus dem Forschungszentrum

:: DATENSPEICHER DER ZUKUNFT DATENSPEICHER DER ZUKUNFT Resistive Zellen könnten Computer leistungsfähiger machen :: Kerosin aus Algen: Mit nachhaltigem Treibstoff fliegen :: Digitales Puzzle: Viele Schritte zum Gehirnmodell „BigBrain“

04|2013


:: IM BILDE Nur anschauen, aber nicht anfassen: Schon ein Haar oder eine Hautschuppe kann die winzigen, etwa 100 Nanometer großen elektrischen Bauelemente auf einem Wafer zerstören. Die Jülicher Forscher im Bereich Halbleiter-Nanoelektronik (PGI-9) im Peter Grünberg Institut verfügen über einen Reinraum mit allen notwendigen Geräten, um solche Bauelemente selbst herzustellen. Etwa Prototypen von neuartigen Transistoren, die in der übernächsten Generation von Laptops oder Smartphones zum Einsatz kommen sollen. Die Transistoren erbringen nicht nur mehr Leistung, sondern verbrauchen auch weniger Strom. Die Herstellung durchläuft verschiedene Prozesse. Nach dem Belacken, Belichten und Entwickeln des Wafers kommt das sogenannte Dotieren mit Hilfe eines Ionenimplanters. Dabei werden Ionen in das Grundmaterial des Wafers – in der Regel Silizium oder dem Silizium verwandte Materialien – eingebracht. Dadurch lassen sich gezielt Materialeigenschaften verändern, etwa die elektrische Leitfähigkeit.


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INHALT

:: NACHRICHTEN

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:: TITELTHEMA

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6 Gedächtniszellen für künftige Computerhirne Top-Kandidaten der Datenspeicher von morgen 11 Die IT der Zukunft Große Leistung bei kleinem Stromverbrauch

:: FORSCHUNG IM ZENTRUM

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12 Feine Strukturen verbessern Klimamodelle Wie sich Luftmassen bewegen und mischen 14 Mit Algen fliegen Kerosin aus nachwachsenden Rohstoffen 16 Wie der Traumkatalysator Wirklichkeit wird Arbeit am Herzstück der Brennstoffzelle 18 Digitales Puzzlespiel Der lange Weg zum weltweit einzigartigen Hirnmodell „BigBrain“ 20 Technologie mit Zukunft? Deutsche sind skeptisch gegenüber der CO2 -Lagerung

:: SCHLUSSPUNKT

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22 So viel Neugier! Tag der offenen Tür im Forschungszentrum 23 Impressum

4 | 2013 Forschen in Jülich

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:: Editorial Tagtäglich produzieren wir Daten: auf Computern, mit Digitalkameras oder Smartphones. Während die Datenmenge immer größer wird, sollen Speichermedien immer kleiner und schneller werden. Doch stoßen manche Bauteile mittlerweile an ihre physikalischen Grenzen. Eine neue Generation der Speichertechnik ist bereits in Sicht: Resistive RAM (ReRAM). Jülicher Forscher gelten auf diesem Gebiet als führend. Sie haben jetzt nachgewiesen, dass die Speicherzellen, auf denen ReRAMs beruhen, eine unerwartete Eigenschaft besitzen: Sie sind eine Art winzig kleine Batterie. Lesen Sie in dieser Ausgabe, warum das nützlich ist und was das mit Synapsen im menschlichen Gehirn zu tun hat. Außerdem in diesem Heft: Wie man Kerosin aus Algen gewinnt oder wie virtuelle Gehirnmodelle entstehen.

Genmutation führt zu Bluthochdruck Institute of Complex Systems | Ein internationales Team mit Jülicher Beteiligung hat eine neue genetische Ursache für einen der wichtigsten Auslöser der Bluthochdruckerkrankung, den sogenannten primären Hyperaldosteronismus (PHA), aufgeklärt. Schätzungen zufolge leiden etwa 12 Prozent aller Patienten mit Bluthochdruck daran. Der PHA zugrunde liegt eine Überproduktion des Hormons Aldosteron, das in der äußersten Schicht der Nebennierenrinde gebildet wird. In rund einem Drittel der Fälle sind gutartige Tumoren für die Überproduktion verantwortlich. Die Forscher haben solche Tumoren von Patienten untersucht und dabei festgestellt, dass Mutationen des Gens CACNA1D das Zellwachstum beschleunigen und damit die Bildung der Tumoren. Die Erkenntnisse ermöglichen neue Ansätze bei der Behandlung des Bluthochdrucks. ::

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre, Ihr Prof. Achim Bachem Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums Jülich

Bitte ein Qubit Peter Grünberg Institut/Institute for Advanced Simulations | Im klassischen Computer schaltet die kleinste Informationseinheit, das Bit, zwischen den Werten „null“ und „eins“. Anders im Quantencomputer: Quantenbits, kurz Qubits, können gleichzeitig mehrere einander überlagernde Zustände annehmen. Dadurch lassen sich mit jedem Schaltvorgang viele Rechenvorgänge gleichzeitig durchführen und Rechnungen lösen, mit denen heutige Computer Jahre beschäftigt oder völlig überfordert wären. Eine Idee, die Qubits zu realisieren, präsentiert ein internationales Forscherteam mit Jülicher Beteiligung in der Fachzeitschrift „Nature Nanotechnology“: Die Wissenschaftler haben erstmals ein Qubit aus drei sogenannten Quantenpunkten hergestellt und gesteuert. Es zeigt sich, dass sich solche Triplett-Quantenbits einfacher kontrollieren lassen als Qubits aus einem oder zwei Quantenpunkten. Dies hatte der Jülicher Forscher David DiVincenzo bereits im Jahr 2000 vorhergesagt. ::

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Die Blutdruckmessung ist eine Standarduntersuchung. Meist wird eine Manschette um den Oberarm gelegt und aufgepumpt, bis der Blutstrom stoppt. Dann wird die Luft wieder abgelassen und der Blutdruck aus dem Zurück­strömen des Blutes bestimmt.

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NACHRICHTEN

Weniger Lachgas durch Viehhaltung

Die Untersuchungen fanden in der Inneren Mongolei in China statt; Schnee und Grashöhe spielen bei der Lachgasemission eine Rolle.

Institut für Bio- und Geowissenschaften | Der Jülicher Ökosystemforscher Prof. Nicolas Brüggemann hat gemeinsam mit vier Mitgliedern einer deutsch-chinesischen Forschergruppe den Wissenschaftspreis des Stifterverbandes – Erwin Schrödinger-Preis 2013 erhalten. Die Auszeichnung ist mit 50.000 Euro dotiert. Das Team hatte in einem Langzeitprojekt festgestellt, dass Steppen- und Präriegebiete weniger klimaschädliches Lachgas ausstoßen, wenn dort Viehhaltung betrieben wird. Bis dahin war die Forschung vom Gegenteil ausgegangen. Nicolas Brüggemann hatte während seiner Zeit am Karlsruher Institut für Technologie an dem Projekt mit:: gewirkt.

Transport von Botenstoffen im Gehirn entschlüsselt

Rechnen mit Neodym

Institute of Complex Systems | Spezielle Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter, sorgen dafür, dass Nervenzellen im Gehirn miteinander kommunizieren. Ein wichtiges Beispiel ist die Aminosäure Glutamat. Jülicher Forscher haben mit Hilfe von Fluoreszenzspektroskopie in Echtzeit beobachtet, wie Transportmoleküle die Signalübertragung mittels Glutamat beeinflussen. Diese verhindern, dass der von einer Nervenzelle freigesetzte Botenstoff dauerhaft eine andere Zelle erregt. Dazu binden sie das Glutamat und setzen es erst im Inneren der Zellen wieder frei. Damit das funktioniert, darf die Bindung nicht zu stark, aber auch nicht zu schwach sein. Die Moleküle haben deshalb eine bewegliche Klappe, die sich nach dem Andocken des Botenstoffs erst mit Verzögerung schließt, um eine feste Bindung herzustellen. Der Mechanismus ist auch für die Medizin von Interesse, da beispielsweise bei Schlaganfällen einige Transporter nicht richtig funktionieren und zu hohe Glutamat-Konzen:: trationen verursachen. externe Klappe geöffnet

Neurotransmitter

lockere Bindung

externe Klappe geschlossen

Klappenschluss/ feste Bindung

Zunächst öffnet sich die externe Klappe, der Neurotransmitter wird locker gebunden. Dann verschließt die Klappe die Bindungstasche für den Transmitter: Jetzt ist er besonders fest gebunden.

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Peter Grünberg Institut | Magnetische Moleküle gelten als aussichtsreiche Schaltelemente für die energieeffiziente Informationsverarbeitung der Zukunft. Ein interdisziplinäres Forscherteam aus Jülich und Aachen hat nun einen besonders robusten Vertreter hergestellt, dessen magnetische Informationen sich auf direktem Weg elektrisch auslesen lassen. Möglich wurde dies durch die Wahl des Seltenerdmetalls Neodym als zentralen Baustein des Moleküls, berichten die Forscher in der Fachzeitschrift „Nature Communi:: cations“.

Pigment und Seltene Erde: Herzstück des vielversprechenden Moleküls ist das Seltenerdmetall Neodym (rot), eingebettet zwischen zwei Molekülen des Farbstoffs Phthalocyanin. Mit der Spitze eines Rastertunnelmikroskops (oben) leiteten die Forscher elektrischen Strom durch den magnetischen Doppeldecker.

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TITELTHEMA | Informationstechnologie TITELTHEMA   Informationstechnologie

Gedächtniszellen Gedächtniszellen für künftige für künftige Computerhirne Sie sind Top-Kandidaten, um Computer und Smartphones leistungsfähiger und vor allem stromsparender zu machen: resistive Speicherzellen. Neue Erkenntnisse von Jülicher Forschern können helfen, diese nanoelektronischen Bauteile in den nächsten Jahren als Datenspeicher zu etablieren. Später einmal werden die Bauteile womöglich als künstliche Synapsen nach dem Vorbild biologischer Nervenzellen dienen.

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ie meisten Menschen im Jahr 1999 dachten vor allem an die Festplatte ihres PC, wenn sie den Begriff Datenspeicher hörten. Manchen kam möglicherweise auch die CD oder der Arbeitsspeicher ihres Computers, der DRAM, in den Sinn. Den USB-Stick dagegen gab es noch nicht: Er kam erst im Folgejahr auf den Markt – mit Platz für nur acht Megabyte und 50 US-Dollar teuer. Inzwischen gelten USB-Stick und andere FLASH-Speicher bei vielen jungen Menschen als die Datenspeicher an sich. Dabei sind Kapazitäten von mehreren Gigabyte Standard. Man hat sich daran gewöhnt, dass immer mehr Information auf immer weniger Raum untergebracht werden kann. Doch selbstverständlich ist das nicht, denn die weitere Miniaturisierung der gängigen Datenspeicher stößt womöglich an naturgegebene Grenzen. Und außerdem erfüllt bisher kein Datenspeicher alle Wün-

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sche zugleich: Er soll sowohl rasend schnell als auch energiesparend arbeiten, dabei Daten dauerhaft archivieren und zudem noch preiswert sein. Die Informationen im DRAM-Modul des Arbeitsspeichers etwa verflüchtigen sich, wenn der Strom abgeschaltet ist. Das ist bei Festplatten und FLASH-Speichern zwar anders, doch sind sie dafür vergleichsweise langsam. Aus diesen Gründen entwickeln Forscher aus Wissenschaft und Industrie weltweit fieberhaft eine neue Art von Datenspeicher, den ReRAM (Resistive Random Access Memory). „Prinzipiell sollten ReRAMs in der Lage sein, Daten auf noch engerem Raum zu speichern als beispielsweise FLASH-Speicher und auch mit deutlich weniger Strom auszukommen“, sagt Prof. Rainer Waser, Direktor am Peter Grünberg Institut des Forschungszentrums Jülich, der auch an der RWTH Aachen forscht und lehrt. Er und

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seine Mitarbeiter arbeiten eng mit Unternehmen wie Intel und Samsung Electronics zusammen und gelten als führend auf dem Forschungsgebiet der resistiven Schaltbauelemente. Der jüngste Coup: Die Forscher haben nachgewiesen, dass die resistiven Speicherzellen, auf denen ReRAMs beruhen, als winzige kleine Batterien betrachtet werden müssen. „Das widerspricht nicht nur der gängigen Theorie, sondern hat auch praktische Konsequenzen“, sagt Dr. Ilia Valov, Elektrochemiker in Wasers Forschergruppe und Hauptautor der entsprechenden Publikation in der Fachzeitschrift „Nature Communications“.

Weltweit gefragter Experte für resistive Schaltbauelemente: Prof. Rainer Waser von der Jülich Aachen Research Alliance (JARA)

SCHALTBARER WIDERSTAND Schaltbarer Widerstand Ein tieferer Blick in die Funktionsweise der resistiven Speicherzellen hilft, die Bedeutung der neuen Erkenntnis zu verstehen. Resistive Zellen speichern die beiden Grundelemente aller Computersprachen, die Null oder die Eins, auf eine grundsätzlich andere Weise als etwa eine Festplatte oder ein FLASH-Speicher. Bei der Festplatte befindet sich die Information auf der magnetischen Schicht einer rotierenden Scheibe, während FLASH-Speicher die Bits in Form von elektrischen Ladungen auf einem besonderen Transistor festhalten. Eine resistive Zelle dagegen merkt sich ein Bit mit Hilfe ihres elektrischen Widerstandes, der zwischen hohen und niedrigen Wer-

ten schaltbar ist – und behält ihren Zustand selbst dann, wenn keine äußere Spannung mehr anliegt. Resistive Zellen, wie sie derzeit in den Laboren weltweit hergestellt und erkundet werden, haben eine Kantenlänge unter 30 Nanometern, also einem dreißigtausendstel Millimeter. „Vereinzelt berichten Kollegen auf Kongressen aber bereits von noch winzigeren Zellen mit Abmessungen im Bereich weniger Nanometer“, weiß Valov. In einer verbreiteten Bauform bestehen diese Zellen aus drei dünnen Materialschichten mit unterschiedlicher Funktion. Das Material in der Mitte, der Elektrolyt, liegt dabei wie der Belag zwi-

schen zwei Sandwich-Hälften. Von diesen besteht die eine Hälfte aus einer aktiven Metallelektrode, zum Beispiel aus Kupfer, und die andere aus einer chemisch inaktiven Gegenelektrode wie Platin (siehe Grafik). Legt man eine Spannung an, lösen sich positiv geladene Kupfer-Ionen aus der aktiven Elektrode und wandern zur Gegenelektrode. Dort wandeln sich die Ionen durch Elektronenaufnahme wieder in elementare Kupfer-Atome um. Die Atome bilden so etwas wie einen feinen Pfad durch den Elektrolyten – Fachleute sprechen von einem Filament. Hat sich auf diese Weise ein elektrisch leitender Kontakt zwischen den beiden Elektroden ausgebildet, ist der Widerstand der gesamten Zelle gering und sie befindet sich im „ON-Zustand“, entsprechend der Eins in der Computersprache. In diesem Zustand bleibt die Zelle so lange, bis eine ausreichende Spannung umgekehrter Polarität angelegt wird. Das Filament löst sich auf, der Widerstand der Zelle steigt auf einen hohen Wert: Die Zelle befindet sich nun im OFF- oder Null-Zustand. „Für den Auf- und Abbau des Filamentes, die Schaltprozesse und somit die Informationsspeicherung sind hauptsäch-

So funktioniert eine resistive Speicherzelle So funktioniert eine resistive Speicherzelle Im OFF-Zustand (a) hat die resistive Zelle einen hohen elektrischen Widerstand. Beim Anlegen einer Spannung (b) lösen sich positiv geladene Ionen (grau) aus der Kupfer-Elektrode und wandern zur Platin-Elektrode, wo sie durch Elektronenaufnahme wieder zu Atomen (grün) werden. Zwischen den beiden Elektroden entsteht ein elektrisch leitendes Filament (c). Somit hat die Zelle einen niedrigen Widerstand (ON-Zustand). Wird eine ausreichende Spannung umgekehrter Polarität angelegt (d), löst sich das Filament wieder auf. a)

b)

Cu

Cu

Cu+

Pt

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c)

+

Cu

d)

Cu

Cu+

Pt

Cu+

Pt

Pt

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TITELTHEMA | Informationstechnologie TITELTHEMA   Informationstechnologie

Prof. Regina Dittmann hat den Aufbau des „Oxid-Clusters“ „Oxid­Clusters“ koordiniert – ein 3,7 Millionen Euro teures Labor, in dem Ma­ terialschichten und resistive Speicherzel­ len im Ultrahochvakuum hergestellt und untersucht werden.

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lich Ionen verantwortlich“, sagt Valov. Dies sei ein wesentlicher Vorteil gegenüber FLASH-Datenspeichern, bei denen Elektronen eingelagert werden. Denn: „Elektronen sind sehr beweglich und klein, so dass sie sehr leicht einen Weg finden auszubrechen – die Information geht somit verloren“, erläutert Valov. Verhindern lässt sich das etwa mit Isolatorschichten, durch die aber Speicherdichte und Geschwindigkeit herabgesetzt werden. Ionen dagegen sind besser handhabbar und zur zuverlässigen Informationsspeicherung prinzipiell besser geeignet. Bislang wurden resistive Speicherzellen mit Hilfe der Theorie der „Memristoren“ beschrieben – ein Kunstwort, zusammengesetzt aus den zwei englischen Begriffen „memory“ (Speicher) und „re-

sistor“ (Widerstand). Demnach wären resistive Speicherzellen wie Kondensatoren, Spulen und Widerstände passive Bauelemente, die ein Signal nicht verstärken können und keine Steuerungsfunktion haben. Ein wichtiges Kennzeichen solcher passiven Bauelemente ist, dass ohne angelegte Spannung kein Strom hindurchfließt. Und dass umgekehrt keine Spannung zu messen ist, wenn kein Strom fließt. Die Forscher um Valov konnten nun theoretisch herleiten, dass dies bei resistiven Zellen von Natur aus anders sein muss. Die Zellen erzeugen wie eine winzig kleine Batterie eine Spannung. Und die Forscher konnten dies auch mit Ergebnissen von Messungen untermauern, die sie an unterschiedlichen Repräsentanten solcher Zellen erhalten hatten.

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Dafür hatten sie zahlreiche Zellen, wie sie von den Gruppen weltweit erforscht werden, aufwendig hergestellt und charakterisiert. Die Wissenschaftler begriffen sofort, dass sich die neue Erkenntnis vom Auftreten einer Batteriespannung nutzen lässt, um das Auslesen der Informationen von ReRAMs zu verbessern. Bislang ging die Fachwelt davon aus, dass Strom benötigt wird, um festzustellen, ob sich resistive Zellen im ON- oder OFF-Zustand befinden. Dieser Strom könnte aber den Zustand empfindlicher Zellen verändern. Die Batteriespannung lässt sich dagegen auch stromlos und somit zerstörungsfrei messen. Entsprechende Methoden haben die Wissenschaftler bereits zum Patent angemeldet. „Darüber hinaus muss das Auftreten einer Batteriespannung beispielsweise auch bei der Verschaltung der resistiven Zellen oder bei der Entwicklung zuverlässiger ReRAMs berücksichtigt werden“, sagt Valov. Andere Wissenschaftler der Jülich Aachen Research Alliance um Rainer Waser bauen bereits resistive Speicher zu größeren Einheiten zusammen oder simulieren am Rechner die Integration von ReRAMs in die bestehende Halbleitertechnik. Das Unternehmen Panasonic baut sogar bereits seit wenigen Wochen serienmäßig ReRAMs in Mikrocontroller ein. Doch wie Valov ist auch seine Kollegin Prof. Regina Dittmann überzeugt, dass weiterhin grundlegende Untersuchungen an resistiven Zellen nötig sind, um etwa die Langlebigkeit und die Schaltgeschwindigkeit von ReRAMs zu verbessern. „Immer wieder stößt die Industrie in dieser Hinsicht an Grenzen, die nur durch ein noch tieferes Verständ-

Dr. Ilia Valov hat zusammen mit Kollegen herausgefunden, dass resistive Speicher­ zellen Spannung erzeugen – wie eine winzige Batterie.

Weist auf Parallelen zwischen den bio­ logischen Synapsen im Gehirn und den resistiven Bauelementen hin: Dr. Susanne Hoffmann-Eifert Hoffmann­Eifert

nis der elementaren Vorgänge zu überwinden sind“, sagt Dittmann.

sondern auch Zwischenzustände einnehmen. Dies ist eine gute Voraussetzung, um lernfähige Computersysteme nach dem Vorbild der Synapsen aufzubauen, den Kontaktstellen der Zellen im biologischen Nervensystem. „Es gibt zudem einige Parallelen zwischen der Arbeitsweise der biologischen Synapsen und den resistiven Bauelementen“, sagt Dr. Susanne Hoffmann-­Eifert HoffmannEifert aus Wasers Forschergruppe. So beruht die Funktion von Synapsen genau wie die der resistiven Zellen auf der Bewegung von Ionen. Eine weitere Ähnlichkeit: Eine Verbindung zwischen menschlichen Nervenzellen ist umso stärker und effizienter, je häufiger und intensiver sie zuvor genutzt wurde. „Auch die leitfähigen Filamente in den resistiven Speicherzellen sind umso kräftiger, je mehr Strom zuvor hindurchgeleitet wurde“, so Hoffmann-Eifert. Dieser Effekt könnte einmal helfen, Computer zu bauen, die selbstständig von ihrer Programmierung abweichen können, wenn eine Verbindung unerwartet intensiv genutzt wird. wird. ::

Ohne Kontakt mit der Luft OHNE KONTAKT MIT DER LUFT Für die grundlegenden experimentellen Untersuchungen steht den Wissenschaftlern seit kurzem ein neues Labor im Jülicher Peter Grünberg Institut zur Verfügung, der „Oxid-Cluster“. „Darin können wir Materialschichten und resistive Zellen herstellen und die Atome und Elektronen dann mit neuesten mikroskopischen und spektroskopischen Methoden beispielsweise bei Schaltvorgängen und somit gleichsam bei der Arbeit beobachten – ohne dass die Materialien dabei das Ultrahochvakuum verlassen“, erläutert Dittmann. Das ist wichtig, weil der Kontakt mit der Luft die Abläufe an den Materialoberflächen beeinflussen würde. Resistive Speicherzellen können prinzipiell nicht nur zwischen zwei Widerstandswerten wechseln, sondern zwischen mehreren. Damit könnten sie nicht nur die Zustände null und eins,

Dr. Frank Frick

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TITELTHEMA | Informationstechnologie TITELTHEMA   Informationstechnologie

Die IT der Zukunft Die IT der Zukunft Jülicher Aktivitäten im Überblick

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om MP3-Player, kaum größer als eine Briefmarke, bis zu den Jülicher Supercomputern mit ihrer immensen Rechenkraft – die heutige Informationstechnologie basiert darauf, Elektronen gezielt zu verschieben oder diese Träger der elektrischen Ladung auf andere Weise gleichsam im Griff zu haben. Äußerst erfolgreich hat die Halbleiterindustrie in der Vergangenheit die Elektronen durch immer winzigere Bauelemente geschickt: Doch das Gesetz von Gordon Moore aus dem Jahr 1965, dem zufolge sich die Zahl der Transistoren auf einem Mikrochip etwa alle zwei Jahre kostenneutral verdoppelt, verliert absehbar seine Gültigkeit. Jülicher Wissenschaftler arbeiten daran, dass die Miniaturisierung trotzdem weitergeht. Vor allem aber entwickeln sie NiedrigenergieBauelemente. Denn inzwischen gehen rund 12 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland auf das Konto informationstechnologischer Geräte – Tendenz steigend.

Andere Jülicher Wissenschaftler wollen statt der Ladung eine weitere Eigenschaft von Elektronen nutzen: Diese rotieren um ihre eigene Achse, besitzen also einen Drehimpuls, den Spin. Die sogenannte Spintronik gilt als mögliche Nachfolgerin der Halbleitertechnologie, wenn deren Bauteile einmal nicht mehr weiter verkleinert werden können. Sie verspricht, Informationen besonders schnell und energiesparend zu verarbeiten. NEUARTIGE COMPUTERBAUSTEINE Neuartige Computerbausteine Doch Information steckt auch in der Anordnung – Fachsprache: Konfiguration – von Atomen, Ionen und Molekülen. Neben dem Team von Prof. Rainer Waser (siehe Hauptartikel) erkunden auch andere Jülicher Forschergruppen die grundlegenden chemischen und physikalischen Prozesse, die ablaufen, wenn sich die Konfiguration bestimmter Materialsysteme ändert. Das Ziel der Forscher ist es, Konfigurationswechsel auf der kleinstmöglichen Skala steuern zu

70.000 3.329 3.214

60.000 50.000

3.329 3.107 9.122

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können – und so zu neuartigen Computerbausteinen zu kommen. Schließlich verfolgen Wissenschaftler in einer weiteren Jülicher Forschungslinie Projekte zum Quantencomputer: Dieser ist prinzipiell in der Lage, anders als herkömmliche Prozessoren mit jedem Schaltvorgang viele Rechenoperationen gleichzeitig durchzuführen. Denn während herkömmliche Rechner als kleinste Informationseinheiten Bits verwenden, die nur die Werte null und eins annehmen können, arbeiten Quantencomputer mit Quanten-Bits, kurz Qubits, die aus vielen einander überlagernden Zuständen bestehen. :: Dr. Frank Frick

Wachsender Wachsender Energiehunger Entwicklung des Stromverbrauchs der Informations- und KommunikaKommunika­ tionstechnologie in Deutschland (Gigawattstunden/Jahr) Kernnetze

Unternehmen Rest

Mobilfunk

Haushalt TV+

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Haushalt PC+

Unternehmen PC+

Haushalt Rest

11.217

11.560

5.961

6.323

5.801

„+“ inkl. Peripheriegeräte

2007

2010

2020

Quelle: FhG-IZM und FhG-ISI

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Forscher aus Jülich und Karlsruhe konnten nachweisen, dass dünne und lang gezogene Ausläufer extrem trockener Luft aus der Stratosphäre bis weit hinunter in die Troposphäre reichen. Diese Vorgänge werden in bisherigen Klimamodellen noch nicht berücksichtigt.

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ie Tücke steckt oftmals im Detail. So verhält es sich auch mit der aktuellen Klimaforschung. Als Ende September 2013 der neue Klimabericht der UNO vorgestellt wurde, hagelte es Kritik. Der UNO-Klimarat warnt darin eindringlich vor steigenden Meeresspiegeln, extremen Wetterkapriolen und der Verschiebung ganzer Klimazonen auf der Erde. Wieso aber seit 15 Jahren die Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche nicht so stark ansteigt, wie von den Modellen vorhergesagt, erklärt er nicht. Offenbar berücksichtigen die derzeitigen Klimamodelle noch nicht alle Details des Klimageschehens. Das bestätigt auch Dr. Jörn Ungermann vom Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK) des Forschungszentrums Jülich: „Der Klimawandel steht außer Zweifel. Es ist jedoch so, dass die bisherigen Modelle gewisse Defizite haben. Auch bei den Austauschprozessen zwischen der Troposphäre und der darüberliegenden Stratosphäre fehlen uns bislang präzisere Daten.“

Gezielter Blick dank GLORIA Aber genau in dieser Schicht, zwischen der trockenen und kalten Stratosphäre und der darunter liegenden feuchten und warmen Troposphäre, entscheidet sich das Schicksal unseres Klimas. Einerseits befeuern Treibhausgase wie CO2 oder Methan und Wasserdampf den Anstieg der Erdtemperatur. Andererseits wirken atmosphärische Aerosole wie ein Sonnenschirm und haben einen kühlenden Effekt. Was aber passiert, wenn die verschmutzte und feuchte Luft der Tropo-

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Erleichterung im Kontrollzentrum: GLORIA arbeitet auch während des 3D-Fluges zuverlässig (v.l.n.r.): Dr. Guido Maucher (KIT), Tobias Guggenmoser (FZJ), Hermann Oelhaf (KIT, stehend), Thomas Gulde (KIT), Axel Schönfeld (FZJ, Hintergrund), Felix Friedl-Vallon (KIT) und Dr. Peter Preusse (FZJ: Forschungszentrum Jülich, KIT: Karlsru­ her Institut für Technologie)

sphäre in die trockene Stratosphäre hineingelangt? Welche chemischen Prozesse laufen dann ab und wie intensiv ist der Austausch überhaupt? Um genau diese Dynamik und die chemischen Prozesse in der Region besser zu verstehen, entwarfen Forscher und Techniker aus Jülich und Karlsruhe ein einzigartiges Instrument: GLORIA. GLORIA ist eine neuartige Infrarotkamera, welche die von atmosphärischen Gasen und Aerosolen ausgesandte Wärmestrahlung in Spektralfarben zerlegt. Dadurch können die Strömungen der Luft genauer als bisher abgebildet werden. „In der Vertikalen erreichen wir eine sehr gute Auflösung von etwa 200 Metern“, erläutert Dr. Peter Preusse vom IEK. „Das wird derzeit nur von GLORIA erreicht“, ergänzt er. An Bord des

deutschen Forschungsflugzeugs HALO absolvierte das Gerät im Sommer und Herbst 2012 rund 88.000 Flugkilometer und sammelte dabei fast 30 Terabyte Daten. Ganz besonders stolz sind die Jülicher Forscher auf ihre 3D-Datensätze. „Dank einer hervorragenden Flugplanung und vorausschauenden chemischen Wettermodellierung ist es uns gelungen, zwei interessante Luftpakete in einem großen Sechseck zu umfliegen. Eins vor der Küste Norwegens und das andere an der Randzone des starken antarktischen Höhenwindes, der dort stets den Pol umkreist“, sagt Preusse. In dieser Region, so erklärt es der Forscher, gibt es Gebiete mit enorm un­terschiedlichen Windgeschwindigkeiten. Dadurch kommt es zu einer Mischung von troposphärischer

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FORSCHUNG IM ZENTRUM | Klimaforschung

und stratosphärischer Luft. „GLORIA wird dabei zum Tomografen und liefert 3D-Ansichten der umflogenen Luftmassen“, ergänzt er. DATENSCHATZ ZU HEBEN In akribischer Detektivarbeit werten die Forscher diesen Datenschatz nun aus. Was für Kriminologen Fasern und DNASpuren sind, sind für Atmosphärenforscher zum Beispiel Salpetersäure oder Wasserdampf. Sie dienen als Marker, um stratosphärische und troposphärische Luftmassen voneinander zu unterscheiden. Salpetersäure (HNO3) wird als natürliches Spurengas in der Stratosphäre gebildet und ist dort relativ stabil. In der Troposphäre hingegen kommt die Säure kaum vor, dafür gibt es dort viel Wasserdampf. Extrem trockene Luftmasse mit einem hohen Anteil an Salpetersäure stammt folglich aus der Stratosphäre. Mit Hilfe von GLORIA konnten die Forscher nun viele sehr feine Filamente stratosphärischer Luft nachweisen, die bis sieben Kilometer über der Erdoberfläche in die Troposphäre hinunterreichten. Diese Filamente waren dabei weniger als einen Kilometer hoch und nur acht Kilometer breit. „Welche Struktur solche Filamen-

te in ihrer Längsrichtung haben, wird uns die 3D-Auswertung verraten“, sagt Peter Preusse. „Wir erwarten, dass wir mit Hilfe der neuen GLORIA Daten den Massetransport zwischen Troposphäre und Stratosphäre besser verstehen und genauer bestimmen werden“, fügt er hinzu. Bei der Auswertung konzentrieren sich die Jülicher Forscher darauf, wie sich Luftmassen bewegen und mischen. Die Karlsruher Kollegen analysieren die chemischen Verhältnisse in der Grenzschicht zwischen Troposphäre und Stratosphäre. „Blausäure, Kohlenwasserstoffe, Schwefeldioxid oder ein Spurengas mit dem Namen Peroxyacetylnitrat – besser bekannt unter der Bezeichnung PAN – stehen zum Beispiel auf unserer Liste“, führt Dr. Michael Höpfner vom Institut für Meteorologie

und Klimaforschung des Karlsruher Instituts für Technologie aus. Bis hier jedoch detaillierte Ergebnisse vorliegen, können nach Einschätzung des Forschers noch einige Monate vergehen. Gleichzeitig planen die Teams aber schon den nächsten Einsatz von GLORIA: Ende 2015 und Anfang 2016 steht eine erneute Reise an Bord von HALO zu den Polarregionen auf dem Programm. Vorher wird es aber noch turbulent: Im Sommer 2015 geht es an Bord des russischen Stratosphärenfliegers GEOPHYSICA in Richtung Tropen: mitten hinein in den indischen Monsun. :: Brigitte Stahl-Busse

Die Flugrouten der Klimamesskampagg nen 2012 reichten vom Nordpolarkreis über Spitzbergen rund um Afrika bis hinunter zur Antarktis. Insgesamt absolvierte das Forschungsflugzeug HALO hierbei 126 Flugstunden und legte 88.000 Kilometer zurück.

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Mit Algen fliegen In Millionen von Jahren ist Erdöl aus Algen und anderen Pflanzen sowie weiteren Meeresorganismen entstanden. Beträchtlich schneller sollen Mikroalgen in Bioreaktoren die Basis für Treibstoff liefern – und damit nachhaltig Flugzeuge antreiben. Wie sich das technologisch und wirtschaftlich optimieren lässt, ist Kern des Verbundprojekts AUFWIND, das Jülich koordiniert.

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reibstoffe aus Biomasse haben einen zwiespältigen Ruf. Den einen gelten sie als probate Lösung für Energie- und Klimaprobleme. Denn Biomasse ist gespeicherte Sonnenenergie: Aus Licht und Kohlendioxid produzieren Pflanzen bei der Fotosynthese organisches Material. Beim Verbrennen der daraus gewonnen Kraftstoffe wird nur so viel vom Treibhausgas Kohlendioxid frei, wie die Pflanzen zuvor beim Wachstum verbraucht haben. Für das Klima also theoretisch ein Nullsummenspiel. Praktisch muss allerdings der Energiebedarf für Düngung, Transport und Verarbeitung der Pflanzen eingerechnet werden. Andere weisen darauf hin, dass da, wo Energiepflanzen auf den Feldern wachsen, keine Nahrungsmittel erzeugt werden können. „Tank oder Teller“ heißt die Alternative. Angesichts von 840 Millionen Menschen, die hungern, und einer weiter wachsenden Weltbevölkerung gerät daher der Anbau von Mais für die Bioethanol-Produktion oder von Raps für die Erzeugung von Biodiesel zunehmend

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Dr. Andreas Müller untersucht, wie Mikroalgen am besten wachsen – und das nicht nur im Labormaßstab.

in die Kritik. Jülicher Wissenschaftler prüfen mit elf Partnern aus Forschung und Industrie im Verbundprojekt AUFWIND einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma: Biomasse aus Mikroalgen. Aus winzigen Algen, die bis zu 70 Prozent fette Öle enthalten, soll der Flugzeugtreibstoff Kerosin entstehen. Das Ziel: eine nachhaltige Energiequelle für die Luftfahrt. Das Bundesministeri-

um für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) fördert das Vorhaben, das ein Gesamtvolumen von 7,4 Millionen Euro hat, über zweieinhalb Jahre mit 5,75 Millionen Euro. „Wir wollen auf nachhaltige Weise Biomasse für Treibstoff produzieren, ohne dabei landwirtschaftliche Flächen zu verbrauchen“, erläutert Dr. Andreas Müller vom Jülicher Institut für Bio- und Geowissenschaften. Denn die Algen wachsen in durchsichtigen Schläuchen oder Röhren, sogenannten Fotobioreaktoren, die sich fast überall aufstellen lassen – sei es auf Industriebrachen oder auf anderen ungenutzten Flächen. Auf vergleichsweise wenig Raum können so große Mengen Algen heranwachsen. Denn zum einen vermehren sich die winzigen Organismen sehr rasch und ihre Produktivität ist siebenbis zehnmal so hoch wie die von Landpflanzen. Zum anderen lassen sich die Wasserbehälter, in denen sie leben, in die Höhe bauen, so dass sich der Platzbedarf gegenüber dem Anbau von Ackerpflanzen in Grenzen hält.

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FORSCHUNG IM ZENTRUM | Bioökonomie

Jülicher Forscher vergleichen verschiedene Fotobioreaktoren, in denen Algen heranwachsen. In einem solchen Reaktor tropft die Nährlösung mit den Algen durch Siebe, so dass die Algen effektiv Licht und CO2 aus der Umgebungsluft aufnehmen können (großes Bild). In einem anderen Reaktor gedeihen die Algen in durchsichtigen Kunststoffmatten (kleines Bild).

Vorläufig werden die Behälter für die Algen jedoch auf dem Gelände des Forschungszentrums Jülich aufgebaut. Und zwar gleich drei verschiedene. „Unsere Aufgabe ist es herauszufinden, welche Bioreaktoren die besten Ergebnisse liefern“, erklärt Andreas Müller. Dafür vergleichen die Jülicher auf je 500 Quadratmetern die Algenzuchtanlagen von drei kommerziellen Anbietern. „Es gibt zwar schon viele Publikationen von interessierter Seite, die die Herstellung von Treibstoff aus Mikroalgen beschreiben. Aber es fehlt ein unabhängiger Vergleich verschiedener Anlagen unter ökologischen und ökonomischen Aspekten“, hebt Müller hervor. „Als Forschungszentrum sind wir prädestiniert für die Schiedsrichterrolle, denn uns kann es egal sein, welches System sich am Ende als das beste herausstellt.“ Auch darüber hinaus ist der Standort Jülich für einen solchen Test bestens geeignet. Hier gibt es ausreichend Fläche, alle nötigen Versorgungseinrichtungen und auch schon eigene Erfahrungen mit

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der Algenzucht. In einem früheren Projekt untersuchten Jülicher Forscher mit dem Energieversorger RWE, wie die CO2Abgase eines Kraftwerks für die Produktion von Mikroalgen genutzt werden können. Kerosin und vieles mehr Beim Projekt AUFWIND sind als Industriepartner unter anderem der Flugzeugkonzern EADS und das internationale Öl- und Gasunternehmen OMV beteiligt. Andreas Müller erläutert, warum aus den Algen gerade Kerosin hergestellt werden soll: „Im Luftverkehr gibt es zu flüssigen Treibstoffen mittelfristig keine Alternative. Für Autos werden längst verschiedene Antriebe erprobt – etwa Elektromotoren oder Brennstoffzellen. Aus Gewichts- und Sicherheitsgründen kommen die für Flugzeuge aber nicht in Betracht.“ Auch werden im internationalen Luftverkehr Lösungen benötigt, die die vorhandene Infrastruktur nutzen können. Wenn Tankfahrzeuge am Flughafen künftig aus Algenöl statt aus Erdöl er-

zeugtes Kerosin in die Flugzeuge pumpen würden, wäre dafür keine große Umstellung erforderlich. Ganz so weit ist es aber noch nicht. Es gab zwar schon erfolgreiche Probeflüge mit Algenöl im Tank. Aber bisher ist das nachwachsende Kerosin aus dem Bio­ reaktor zu teuer. Konkurrenzfähig werden könnte der grüne Treibstoff, wenn die Erdölpreise weiter steigen. Oder wenn es gelingt, aus den Algen neben Kerosin weitere attraktive Produkte zu gewinnen. Denn die kleinen grünen Zellen haben es in sich: Vitamine und Farbpigmente, Aminosäuren und Zucker stecken darin. „Denkbar wäre die Gewinnung von Lebensmittelzusatzstoffen und von hochwertigen Produkten für die Kosmetik- und Chemieindustrie“, erläutert Müller. Was dann noch übrig bliebe, könnte als Viehfutter Verwendung finden oder in Kraftwerken verbrannt werden. In Summe eine umweltfreundliche und vielseitige Alternative zum Erdöl. :: Dr. Wiebke Rögener

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Wie der Traumkatalysator Wirklichkeit wird Ohne Platin geht es nicht, doch mit ihm ist es zu teuer: Das Edelmetall ist als Katalysator das Herzstück jeder Brennstoffzelle. Eine Variante mit gleicher Effizienz bei weniger Platin entwickeln Berliner und Jülicher Forscher derzeit. Die ultrahochauflösende Elektronenmikroskopie unterstützt sie dabei.

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ls weiße Punkte in einer grauen Fläche leuchten einzelne Atome auf dem Monitor vor dem Jülicher Forscher Dr. Marc Heggen. Es sind Platin- und Nickelatome. Sie sind zu Dreiecken angeordnet und bilden einen knapp 10 Nanometer kleinen Oktaeder. Von oben betrachtet sieht er aus wie die Cheops-Pyramide. Marc Heggen sitzt vor einem der hochauflösendsten Elektronenmikroskope der Welt im Jülicher Ernst Ruska-Zentrum für Mikroskopie und Spektroskopie mit Elektronen. Auf seinem Bildschirm betrachtet er einen der leistungsfähigsten Katalysatoren, der bisher für Brennstoffzellen entwickelt wurde. Wissenschaftler wetteifern seit Jahren darum, effektive Katalysatoren für die Brennstoffzelle herzustellen. Die Gründe sind einfach: Die Brennstoffzelle erzeugt aus dem Energieträger Wasserstoff elektrische Energie, indem dieser mit Sauerstoff reagiert. Dabei erzeugt sie keinen Abfall außer Wasser. In Elektroautos könnte sie beispielsweise den

Akku ersetzen. Die Vorteile: Die Brennstoffzelle ist leichter als ein Akku. Sie würde es außerdem ermöglichen, die Elektroautos mit Wasserstoff zu betanken, was schneller und einfacher ist, als einen Akku aufzuladen. Doch der Knackpunkt: Die Brennstoffzelle benötigt das teure Platin als Katalysator. „Erst das Platin in den Elektroden bringt die Reaktion von Wasser-

stoff und Sauerstoff in Gang“, erklärt Heggen. Ohne Platin würde die Brennstoffzelle nicht funktionieren, und mit ihm ist sie zu teuer, um wettbewerbsfähig zu sein. Die Geometrie entscheidet Aus diesem Grund arbeiten Wissenschaftler seit langem an Katalysatoren, die mit weniger Platin dieselbe Leistung

Noch teurer als Gold: Der hohe Preis von Platin verhindert die kommerzielle Nutzung der Brennstoff­ zelle.

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FORSCHUNG IM ZENTRUM | Materialforschung

bringen. Zum einen mischen sie dazu das Platin mit weniger edlen Metallen wie Nickel. Da die Katalyse an der Oberfläche geschieht, wo die Atome andocken, sind möglichst kleine Nanopartikel besonders nützlich; sie besitzen bei gleicher Masse eine größere Oberfläche. Auf diese Weise lässt sich zwar die nötige Menge Platin verringern, doch weil kleine Partikel die Neigung haben, beim Gebrauch in der Brennstoffzelle zu verklumpen, reduziert dies die Lebenszeit der Katalysatoren. Einen anderen aufregenden Vorschlag hat 2007 der chemische Physiker Stamenkovic gemacht. Er hat gezeigt, dass eine Platin-Nickel-Legierung mit der kristallografischen Oberfläche eines Oktaeders in der Theorie 90-mal effektiver als bisherige Katalysatoren arbeiten würde. Heggen erklärt: „Wenige Nanometer große Platin-Nickel-Oktaeder, die während der Reaktion stabil bleiben, wären der absolute Traumkatalysator für Brennstoffzellen.“ Die Nano-Geometrie der Oberfläche ist entscheidend, um die Leistungsfähigkeit des Katalysators zu steigern. Seit der serbische Forscher diesen idealen Katalysator beschrieben hat, versuchen Wissenschaftler aus aller Welt, ihn herzustellen. Auch Heggen und seine Projektpartner von der TU Berlin nehmen an diesem Rennen teil. Die

Blick ins kleinste Detail: Marc Heggen untersucht mit Hilfe des Elektronenmikroskops die atomare Struktur des Traumkatalysators für Brennstoffzellen.

­ erliner Chemiker synthetisieren Platin-­ B Nickel-Nanopartikel, Heggen untersucht diese unter den Elektronenmikroskopen und gibt ein „Mikrofeedback“, das den Berlinern hilft, die Nanopartikel-Katalysatoren weiter zu verbessern. Vor einigen Monaten gelang dem Team ein Durchbruch: „Wir haben einen Katalysator hergestellt, der zehnfach­ effizienter als vergleichbare Platin-Nanopartikel und damit einer der leistungsstärksten Katalysatoren ist, die jemals entwickelt wurden“, erzählt Heggen. Allerdings sind noch einige Fragen offen: Haben die Partikel die richtige Oktaederform? Wie verteilen sich die Atome genau? Und was geschieht mit ihnen, während der Katalysator in Betrieb ist? überraschendes Muster entdeckt Die Antworten auf solche Fragen sind ein wichtiger Schritt, um den Katalysator weiter zu optimieren. Also legt Heggen die Nanopartikel unter die weltweit einzigartig genauen Mikroskope des Ernst Ruska-Centrums. Mittels der Rasterelektronenmikroskopie sowie der Elektronenenergieverlust-Spektroskopie hat er extrem genaue Schnappschüsse angefertigt. Sie zeigen die Oktaeder Atom für Atom.

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„Wir haben ein überraschendes Muster entdeckt“, erzählt Heggen. „Die Atome sind nicht so gleichmäßig verteilt, wie wir angenommen haben. An den Kanten der Oktaeder hat sich viel Platin angelagert, während sich das Nickel auf den Flächen verteilt.“ Dies beeinträchtigt sowohl die Aktivität als auch die Lebensdauer des Katalysators. „Während des Betriebs lösen sich die Nickel-Atome, wodurch sich erst konkave Oberflächen bilden, bis schließlich nur noch ein Platin-Gerippe übrig bleibt. Weil dadurch die für die Reaktion wertvollen Oktaederflächen verschwinden, verliert der Katalysator nach und nach an Aktivität“, erläutert Heggen. „Wir wissen nun, wie wir den Katalysator weiter verbessern können, und haben schon einige Ideen, um die Anlagerung von Nickel auf den Oktaederflächen zu verhindern.“ Dementsprechend wird der Physiker bald neue, optimierte Nanopartikel erhalten und diese mit dem Elektronenmikroskop untersuchen. Gut möglich, dass darunter dann ein Traumkatalysator ist, der künftig Elektroautos mit antreibt. :: Christoph Mann

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Dr. Sebastian Bludau (li.) und Hartmut Mohlberg arbeiteten mehrere Jahre am virtuellen Hirnmodell „BigBrain“.

Digitales Puzzlespiel Jülicher Forscher um Prof. Katrin Amunts sorgten mit dem weltweit einzigartigen Hirnmodell „BigBrain“ vor einigen Monaten international für Furore. Das virtuelle ­3D-Modell, das gemeinsam mit kanadischen Kollegen entwickelt worden war, zoomt bis auf die Ebene von Nervenzellen ins menschliche Gehirn. Doch wie entsteht ein solches Hirnmodell? Überraschenderweise nicht nur durch Hightech, sondern auch durch eine Vielzahl handwerklicher Ideen und Arbeitsschritte.

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in umfunktioniertes Hutband leistet an Ferdag Kocaers Arbeitsplatz seit Jahren hervorragende Dienste. Die medizinisch-technische Assistentin (MTA) ist die Hirnschnittspezialistin im Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-1). Bei ihr gehen die für die Forschung gespendeten Gehirne von Verstorbenen ein, auf deren Basis die virtuellen Hirnmodelle wie etwa „BigBrain“ entstehen. Die MTA schneidet dafür das Gehirn nach einem mehrstufigen Präparationsverfahren in über 7.400 hauch-

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dünne Scheiben zur weiteren wissenschaftlichen Verwertung an einem so­ge­ nannten Mikrotom. Wichtig ist hierbei, dass die Schnitte ganz gleichmäßig gemacht werden und ein Schnittband bilden. Vor Jahren bot allerdings kein medizinischer Gerätehersteller ein Mikrotom mit integriertem Fließband an. Kreativität vor Ort war gefragt. Eine Kollegin aus dem Düsseldorfer C. und O. Vogt-Institut für Hirnforschung hatte die zündende Idee: Sie nähte aus dehnbarem Hutband ein Fließband.

Fingerfertigkeit, Geduld, Stehvermögen und vor allem Konzentration sind gefragt, wenn das Mikrotom in mehreren Tagen die 20 Mikrometer feinen Schnitte erstellt, die deutlich dünner sind, als der Durchmesser eines Haares. Probleme sind daher vorprogrammiert: „Die hauchdünnen Schnitte rollen sich gern ein oder reißen vor allem an der Peripherie“, erklärt Ferdag Kocaer. Die MTA streicht mit einem feinen Pinsel die Schnitte auf dem Fließband wieder glatt oder versucht, leicht gelöstes Gewebe an die ursprüngli-

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FORSCHUNG IM ZENTRUM | Neurowissenschaften

Vom realen Hirnschnitt zum virtuellen Hirnmodell BigBrain Die hauchdünnen Gewebeschnitte wurden einzeln gescannt und ihre digitalen Bilder an Rechnern grob zusammengesetzt (linker Bildschirm). Anschließend bearbeiteten die Forscher die digitalen Abbilder der beschädigten Hirnschnitte mit Hochleistungsrechnern und spezieller Bildbearbeitungssoftware. Zuletzt fügten sie sämtliche Schnittbilder zum virtuellen Hirnmodell „BigBrain“ zusammen (rechter Bildschirm).

che Position zu bringen. „An manchen Tagen brauche ich außerdem einen langen Atem“, lacht die 37-jährige. Mit diesem haucht sie „schwieriges“ Gewebe vor dem Schneiden an, um es anzufeuchten und damit Rissen vorzubeugen. Wie bei allen Hirnmodellen wurde auch bei „BigBrain“ im Anschluss jeder einzelne der 7.400 Gewebeschnitte auf gläserne Objektträger gezogen und dann gefärbt. „Mit einem speziellen Verfahren werden die Zellkörper grau-schwarz eingefärbt. Damit sind sie im nächsten Arbeitsschritt gut zu erkennen“, berichtet Ferdag Kocaer. Mit einem Flachbettscanner werden die Gewebeschnitte mit einer Auflösung von 1.200 dpi als digitales Bild auf die Jülicher Rechner übertragen   – der Schritt vom echten zum virtuellen Gewebe ist getan. Reparaturen am Bildschirm Das gescannte Bild auf dem Rechner ­entspricht dem realen Gewebe – mit all seinen beim Schneiden entstandenen Rissen, Gewebeablösungen oder Verzerrungen. Für das „BigBrain“-Team in Jülich und Montreal begann nun ein äußerst zeitintensives Reparieren am Rechner. „Um die Daten verwerten zu können, setzten wir uns mit mehreren mobilen Festplatten, auf denen sämtliche Daten der Hirnschnitte gespeichert waren, in ein Flugzeug und überquerten den Ozean“, schmunzelt Hartmut Mohlberg. Aus heutiger Sicht kaum vorstellbar: „Sämtliche Versuche, die Informationen übers Internet zu den Kollegen zu senden, waren zuvor gescheitert. Die Datenmenge war einfach zu groß, und der persönliche

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Kontakt, bei dem die Projekte dann im Detail besprochen werden, ist unglaublich wichtig“, berichtet der Diplom-Physiker. Rund 30 Prozent aller 7.400 Hirnschnitte, so schätzt Hartmut Mohlberg, mussten in mehrstündigen Sitzungen nachgearbeitet werden: „Um grobe Fehler zu beheben, beispielsweise komplett abgerissene Gewebeinseln wieder an­ zuhängen, haben wir mit einer Art spezialisiertem Bildverarbeitungs-Programm gearbeitet“, berichtet er. Kleinere Gewebefehler, etwa zarte Risse, ließen sich im Anschluss durch einen Referenzabgleich mit benachbarten Hirnschnitten von einer speziellen Software erkennen und herausrechnen. Insgesamt erforderten allein die Reparaturarbeiten an den digitalen Abbildern der Hirnschnit-

Ferdag Kocaer schnitt das gespendete Postmortem-Gehirn für das BigBrainHirnmodell in über 7.400 hauchdünne Scheiben.

te von „BigBrain“ etwa 260.000 Computerstunden. Die Wissenschaftler rund um Alan C. Evans am Montrealer McConnell Brain Imaging Center waren und sind für die Jülicher gefragte Kooperationspartner. Die Kanadier hatten eine Software entwickelt, mit der sämtliche 7.400 „BigBrain“Hirnschnitte nach der Reparatur exakt „registriert“, das heißt präzise aneinander angepasst werden konnten. „Unsere kanadischen Kollegen sind einfach begnadete 3D-Puzzler“, bringt es Hartmut Mohlberg auf den Punkt. „BigBrain“ als Arbeitswerkzeug Für Wissenschaftler rund um den Globus ist das Hirnmodell kostenlos zugänglich. Die Datensätze liegen auf Höchstleistungsrechnern und können unter http:// bigbrain.cbrain.mcgill.ca abgerufen werden. Wie viele Hirnforscher kommt auch der Jülicher Neurowissenschaftler Dr. Sebastian Bludau ins Schwärmen: „Mit ,BigBrain‘ haben wir weltweit erstmals ein vollständiges und realistisches ­3DHirnmodell, in das wir auf die Ebene von 20 Mikrometer hinein zoomen können. So lassen sich nicht nur die Grenzen markanter Areale, wie die des visuellen oder primär motorischen Kortexes, erkennen, sondern auch komplexere Hirnareale mit feinen mikrostrukturellen Änderungen.“ Zum Beispiel das Brodmann Areal 10 (BA 10), das Sebastian Bludau im Frontalpol exakt lokalisieren konnte. Es ist unter anderem an der Planung zukünftiger Aktionen beteiligt. :: Ilse Trautwein

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Technologie mit Zukunft? Erstmals haben Wissenschaftler alle Aspekte der Abscheidung und Lagerung des Klimagases CO2 unter die Lupe genommen. Ihr Resümee: Die Technik wird es in Deutschland schwer haben.

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ie CCS-Technik (Carbon Capture and Storage) soll klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) aus den Abgasen von Kohlekraftwerken abtrennen und unter der Erde speichern. Aber: „CCS hat ein negatives Image und wird in Deutschland nicht als Erfolgsmodell gehandelt“, sagt Dr. Wilhelm Kuckshinrichs vom Forschungszentrum Jülich. Er ist Mitautor und Herausgeber einer Studie, die CCS und die Perspektiven dieser Technik umfassend bewertet hat. Dazu hatten die Wissenschaftler die Publikationen der letzten Jahre zu CCS gesichtet, Experten befragt und repräsentative Teile der Bevölkerung interviewt. Beteiligt waren Ingenieure, Wirtschafts-, Sozial- und Politikwissenschaftler aus Jülich sowie von der RWTH Aachen und dem Helmholtz-Zentrum Potsdam, dem Deutschen GeoForschungsZentrum. Kohlendioxidlager unerwünscht Das Ergebnis: Neben der gesellschaftlichen Akzeptanz sind auch Kosteneffizienz und Wirtschaftlichkeit umstrittene Faktoren. Das sind aber gerade die Punkte, die aus Sicht der Experten am wichtigsten für den Erfolg der Technik sind. „In der Bevölkerung stößt vor allem die unterirdische Lagerung auf wenig Gegenliebe, und die Politik reagiert darauf“, sagt Kuckshinrichs. Als Beispiel führt er Schleswig-Holstein an: Dort sollte bis zum Jahr 2015 ein KohlendioxidEndlager entstehen. Aber nach vehementen Bürgerprotesten kippte der Landtag das Projekt. Viele Menschen sehen unterirdische Kohlendioxidlager als ein unbeherrschbares Risiko: Sie befürchten, dass das Gas austreten und zu Erstickungen führen könnte. Wissenschaftler schätzen das anders ein: „Das Gefahrenpotenzial ist relativ gering“, sagt Kuckshinrichs. „Vorausgesetzt, alle technischen und geologischen Voraus-

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wa 40 bis 50 Euro liegen, haben die Forscher ermittelt. Kuckshinrichs ist zwar optimistisch, dass es in Zukunft gelingt, die Wirkungsgradeinbußen durch technische Entwicklungen zu verringern. Etwa durch Membranen, an denen auch das Forschungszentrum Jülich forscht; sie sollen das Treibhausgas effizient und energiesparend abtrennen. Allerdings: Sinken wird der Wirkungsgrad eines Kraftwerks durch CCS immer. Dr. Wilhelm Kuckshinrichs ist Mitautor und Herausgeber einer Studie zur Akzep­ tanz der CO2 -Lagerung.

setzungen sowie alle Sicherheitsvorkehrungen werden beachtet.“ Er fügt hinzu, dass ein Restrisiko natürlich nicht auszuschließen sei, „das gilt aber auch für viele andere heutige Techniken“. Dass die Wirtschaftlichkeit des CCS viele Minuspunkte bekam, liegt einfach daran: Kohlendioxid abzutrennen kostet viel Geld. Investitionen in Kraftwerke mit CO2-Abscheidung sind der Studie nach um bis zu 70 Prozent höher als bei konventionellen Kraftwerken. Vor allem sinkt der Wirkungsgrad, also die Menge des Stroms die aus einer bestimmten Menge Kohle erzeugt wird: Insbesondere die Abscheidung, aber auch der Transport und die Einlagerung von Kohlendioxid (ver) brauchen Energie − und die geht von dem im Kraftwerk erzeugten Strom ab. Der Wirkungsgrad des Kraftwerks verringert sich durch die Abscheidung beispielsweise von 42 auf 34 Prozent. Die höheren Kosten müsste ein Kraftwerk durch den Emissionshandel wieder hereinholen. Derzeit gilt: Eine Tonne eingespartes Kohlendioxid ist rund 3 Euro wert. Damit sich der Umstieg auf CCS lohnt, müsste der CO2 -Preis aber bei et-

Keine generelle Absage Trotz aller Widrigkeiten sehen die Wissenschaftler für CCS eine Zukunft − wenn auch nicht unbedingt in Deutschland. Zwar hat Deutschland 2012 ein CCS-Gesetz eingeführt, das es erlaubt, bis zu 4 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr unterirdisch zu speichern. Somit ermöglicht das Gesetz die weitere Erforschung der Technik. „Aber auf dieser Basis dürfen wir keine großen Investitionen erwarten, vor allem nicht in größere Demonstrationsanlagen“, sagt Kuckshinrichs. Dafür sei die genehmigte Speichermenge viel zu gering. Demonstrationsanlagen seien aber eine Voraussetzung, damit sich die Technik bis zur Marktreife entwickeln könne. Andere Länder hingegen könnten schon bald auf die Technik angewiesen sein. „Der weltweite Bedarf gerade an Kohlekraftwerken wächst stetig, insbesondere in Ländern wie China und Indien. Deren Ausbaustrategie kann nur mit der geforderten CO2 -Reduktion einhergehen, wenn CCS kommt“, erklärt Kuckshinrichs. Und er fügt hinzu: „Wenn wir in Deutschland die Aktivitäten zurückfahren, wird deshalb nicht auch der Rest der Welt die Entwicklung von CCS einschränken.“ :: Brigitte Osterath

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FORSCHUNG IM ZENTRUM | Energiepolitik

Elektrizität Kraftwerk

-Transport

Kohle

Die CCS-Technik CCS (Carbon Capture and Storage) bedeutet frei übersetzt: Kohlenstoff einfangen und speichern. In Kraftwerken entstehendes Kohlendioxid soll dabei nicht in die Atmosphäre gelangen, sondern aus dem Abgas abgetrennt werden. Dann wird es über Pipelines zu unterirdischen Lagerstätten transportiert. Für die Abtrennung kommen drei verschiedene Verfahren infrage: Pre-combustion Durch Kohlevergasung – der Reaktion von Kohle mit Wasserdampf – entstehen Wasserstoff und Kohlendioxid. Wasserstoff wird verbrannt, Kohlendioxid wird abgetrennt. Oxy-fuel combustion Kohle verbrennt mit reinem Sauerstoff, und das dabei entstehende Kohlendioxid lässt sich relativ leicht verdichten und abtransportieren. Post-combustion CO2 wird aus dem Abgas des Kraftwerks abgeschieden.

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20.000 Besucher zog es bei strahlendem Sonnenschein ins Forschungszentrum

So viel Neugier! Am letzten Sonntag im September war es so weit: Das Forschungszentrum Jülich öffnete seine Tore für Besucher. Von 10 bis 17 Uhr konnten große und kleine Gäste gucken, fragen oder selbst experimentieren. Supercomputer, Teilchenbeschleuniger, Atmosphärensimulationskammer und virtuelles Gehirn zählten zu den insgesamt 260 Präsentationen, davon rund 100 Mitmachaktionen. Passend zum diesjährigen Motto „Zukunftscampus“ pflanzten Baumpaten 40 Apfelbäume.

Mehr als

300

Tweets zu Highlights aus der Forschung

310

Über

1.000 22

von Kindern gebaute kartesische Taucher zur Druckmessung in Flüssigkeiten

Mitarbeiter im Einsatz

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SCHLUSSPUNKT

260

IMPRESSUM

Präsentationen zu Wissenschafts- und Forschungsthemen

Forschen in Jülich Magazin des Forschungszentrums Jülich, ISSN 14337371 Herausgeber: Forschungszentrum Jülich GmbH | 52425 Jülich Konzeption und Redaktion: Annette Stettien, Dr. Barbara Schunk, Dr. Anne Rother (V.i.S.d.P.) Autoren: Dr. Frank Frick, Christian Hohlfeld, Christoph Mann, Brigitte Osterath, Dr. Wiebke Rögener, Tobias Schlößer, Dr. Barbara Schunk, Brigitte StahlBusse, Ilse Trautwein, Angela Wenzik Grafik und Layout: SeitenPlan GmbH, Corporate Publishing, Dortmund Bildnachweis: Forschungszentrum Jülich (1, 2, 3 re., 4, 5 u., 6-7, 8, 10 li., 14 u., 17 o., 18, 19 o. re. und li., 19 u., 20, 22 o.); Forschungszentrum Jülich/ Pössinger (1, 3 li., 8 o., 10 li., 9 und 10 techn. Zeichnung); Forschungszentrum Jülich/Ludwig Koerfer (22 o. und u. li.); Forschungszentrum Jülich/ Kurt Steinhausen (23 m. re. und u.); DLR (CC-BY 3.0) (13 Flugzeug); Benjamin Wolf, EMPA (5 o.); HORIZON PBR IGV GmbH/IGV Biotech (14-15 großes Motiv); kurhan/Shutterstock.com (4 u.); Boguslaw Mazur/Shutterstock.com (13); Phytolutions GmbH (15 o. klein); ppart/Shutterstock.com (16-17 u.); Dr. Peter Preusse (12); privat (9 re.); BorisShevchuk/Shutterstock.com (19 Monitor/PC); Bernd Struckmeyer (21); Peter Winandy (9); www.novagreen-microalgae.com (3 m.); Elemente für Composing Titel u. Schwerpunkt: bioraven, BorisShevchuk, phipatbig, VoodooDot (alle Bilder Shutterstock.com) (1, 3, 2, 6-7, 8-9,10-11) Kontakt: Geschäftsbereich Unternehmenskommunikation | Tel.: 02461 61-4661 | Fax: 02461 61-4666 | ­E -Mail: info@fz-juelich.de Druck: Schloemer Gruppe GmbH Auflage: 6.000.

100 Mitmachaktionen

50

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300 gefahrene SegwayKilometer

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1.000 Teilnehmer an der Forschungsrallye

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