print+communication N.3 2018

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Fratelli Roda

Talento universale

Druckunternehmen, die in beiden Bereichen – dem Akzidenzund Verpackungsdruck – zuhause sind, lassen sich hierzulande an einer Hand abzählen. Zu dieser raren Spezies gehört das Druckunternehmen Fratelli Roda in Taverne TI. – Stefano Bosia, Head of Sales & Marketing, über die Erfolgsfaktoren und Strategien des Tessiner Druckunternehmens. Text: Claude Bürki

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Stefano Bosia: «Das Analoge mit dem Digitalen verschmelzen.»

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alentinstag, Tag der Liebe. Und zugleich der letzte Tag des Tessiner Karnevals 2018. In Bellinzona krakeelen noch ein paar Maskierte unverdrossen auf dem Bahnhof herum. Umsteigen – mein Ziel ist Taverne, der Ort, den Insider aus der Deutschschweiz vielleicht kennen, weil dort die zweitgrösste Druckerei des Kantons Tessin residiert: Fratelli Roda, Verpackungs- und Akzidenzdruck.

Wie lässt sich dieses Geschäftsmodell am besten umschreiben oder erklären? Oberflächlich betrachtet verleitet es dazu, den rundgelutschten Slogan «Alles aus einer Hand» ins Spiel zu bringen. Mit diesem Slogan wäre der Positionierung des Unternehmens jedoch nicht Genüge getan. Zumal diesem Slogan das oft gehörte Axiom «Allesdrucker haben ausgedient» anhaftet.

Die Produktionspalette des Tessiner Druckunternehmens ist immens:

Fratelli Roda straft diese vermeintlich zutreffende Theorie Lügen, will heissen, widerspricht ihr. Das Unternehmen folgt seit seiner Gründung im Jahre 1942 der Devise, die sich neuerdings in den USA als Trend abzeichnet: dem Bestreben, eine möglichst alles umfassende Wertschöpfungskette im Hause zu halten. Die Tessiner definieren das schlicht und einfach so: «Wir fokussieren uns auf den Druck

Da ist die Rede von Faltschachteln, Verpackungen für die Pharma-, Food-, Non-Food- und Kosmetikindustrie, Blistern, Displays für den POS, 3D-Promotionsmailings und – last but not least – von gewerblichen Drucksachen, von der Visitenkarte über Broschüren bis hin zu Plakaten und Büchern. 29

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In der Muster­ macherei und dem Stanzformenbau wird Präzision grossgeschrieben.

und die Verarbeitung von Papier und Karton.» Das lässt vieles offen, verpflichtet nicht zu Spezialistentum und eröffnet dem Unternehmen matchentscheidenden Spielraum: als regionaler und überregionaler Player; als ZielgruppenPlayer in ausgesuchten Branchen; als Tempo-Player, termintreu und mit kurzer time to market; als Innovations-Player, der sich über die gegenwärtigen und künftigen Bedürfnisse seiner Kunden Gedanken macht.

Neue Möglichkeiten ausloten Der Mann, der mich in Taverne empfängt, ist Stefano Bosia, seit 2017 Verkaufs- und Marketingleiter bei Fratelli Roda. Als solcher erklärt er mir das unternehmerische Leitbild des Unternehmens: «Wir bedienen uns modernster Arbeitstechniken, um unseren Kunden eine optimale Produktqualität, ein immer breiteres Spektrum besonderer Verarbeitungen und ein immer interessanteres QualitätsPreis-Verhältnis anbieten zu können.» Er ergänzt: «Wir beachten selbstverständlich auch Aspekte wie Nachhaltigkeit, Rückverfolgbarkeit der Produkte sowie Sicherheit, speziell im Zusammenhang mit Lebensmittel- und Pharmaverpackungen.» So weit, so gut. Zwei Fragen, die zu stellen ich mir vorgenommen habe, brennen mir auf den Lippen: Wie behauptet sich das Unternehmen? Wie entwickelt es sich weiter? Stefano Bosia scheint auf diese Fragen gewartet zu haben und sagt: «Sicher werden wir im Alltag weiterhin Karton und Papier benötigen. Aber es wird immer mehr Digitales mit im Spiel sein – bei dieser Integration müssen wir mithalten. Man spricht von Augmented Reality, von Internet of Things. Diese Sachen werden irgendwo und irgendwann in und mit Verpackungen eine Rolle spielen. Es gibt ja bereits RFID. Und vielleicht gibt es anstelle von Beipackzetteln bald einmal einfach einen Link zur Website.» Die Verzahnung von Analog mit Digital werde immer wichtiger. Deshalb beschäftige das Unternehmen seit kurzem einen ITSpezialisten. Seine Aufgabe: neue Möglichkeiten ausloten. 30

Technisch gut aufgestellt «Daneben darf man aber die technische Ausstattung nicht aus den Augen verlieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben», so Bosia. «Die Vorreiterrolle hat bei uns Tradition. Wir waren das erste Schweizer Verpackungsdruckunternehmen, das eine KBA-Sechs-Farben, Format 100 × 140, für Hybridfarben in Betrieb genommen hat.» Damit können Druckerzeugnisse dank IR-Warmluft- und UV-Öfen sowie mit der Verwendung wasserbasierter Druckfarben die Produkte veredelt werden. Und seit 2015 ist auch eine Heidelberg Speedmaster XL 106-6+L im Einsatz. Weiter stehen nicht weniger als drei Bobst-Maschinen bei Fratelli Roda im Einsatz. Eine, die nicht nur stanzt, sondern auch Veredelung mittels Heissfolien und Hologrammen ermöglicht. «In der Schweiz verfügen nicht viele Unternehmen über diese Maschine», so Bosia. Neu stehe in der Inhouse-Buchbinderei auch eine Klebebindemaschine für den Akzidenzbereich bereit.

«Ganz normale» Druckerei? «Wir sind Print- und Packaging-Partner unserer Kunden, wobei das Packaging überwiegt. Dieser Bereich macht ca. 80 Prozent aus. Für Kunden aus der Pharma- und Kosmetikindustrie, aber auch für die Bereiche Süsswaren und NonFood für Unternehmen aus der deutschen und französischen Schweiz. Im Tessin sind wir besser bekannt als Verpackungsdrucker denn als Akzidenzdrucker.» Für den Tessiner Markt überwiegt, durchaus nachvollziehbar, der Anteil des Akzidenzbereichs. Mit einem Hang zum Understatement sagt Bosia: «Wir sind eigentlich eine ganz normale Druckerei, etwas grösser als eine gewöhnliche Druckerei, aber statt nur Papier, können wir auch Karton bedrucken und kaschierte Produkte herstellen. Wir sind ein typischer Schweizer KMU-Betrieb – in der Schweiz, für die Schweiz.» Fratelli Roda ist seit der Gründung im Jahre 1942 als Verpackungs- und Akzidenzdruckerei unterwegs. Was die wenigs-

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Gold für Schokolade, eine Spezialität des Hauses.

ten wissen: Die Firmengründer Luigi und Emilio gliederten ihr Unternehmen schon damals in zwei Bereiche: Druck und Maschinenbau. Emilio war der Maschinenkonstrukteur. Ein Maschinentyp der Roda-Maschine, für die Herstellung von Kartonblistern eingesetzt, steht heute noch im Unternehmen. «Die Idee war von Anfang an, alles im Betrieb zu machen. Wir wollen so wenig wie möglich outsourcen. Das hat sich bis heute nicht geändert. Das ist in der heutigen Zeit besonders wichtig – wenn wir die Dinge inhouse machen, sind wir schneller und haben alles unter Kontrolle.» «Wir wissen, was der Markt fordert, das müssen wir nicht immer betonen – und daneben haben wir vielleicht auch noch etwas mehr Sonne und ein paar Grad mehr Wärme.»

Synergien nutzen Die Entscheidung, mehrere Bereiche abzudecken, berge zudem Synergien. Bosia: «Jeder Bereich profitiert dabei vom anderen. Was für den Bereich Pharma wichtig ist, kann auch für den Foodbereich wichtig und richtig sein oder noch werden. Im Foodbereich arbeiten wir zum Beispiel mit Handschuhen und Kopfhauben. Aber auch, wenn wir Pharmaverpackungen für den japanischen Markt produzieren, tragen wir Hauben und Handschuhe.» «Wir dürfen uns heute nicht mehr als Lieferant sehen, wir müssen Partner unserer Kunden sein. Partner sein heisst: Innovativ sein heisst, sich die Bedürfnisse und Gedanken des Kunden zu eigen zu machen und an die zukünftigen Bedürfnisse der Kunden zu denken. Präzision und Qualität, Liefertreue inklusive. Diese Assets und Standards gelten selbstverständlich auch für uns Tessiner, das müssen wir nicht speziell hervorheben. Wir wissen, was der Markt for32

dert, das müssen wir nicht immer betonen – und daneben haben wir vielleicht auch noch etwas mehr Sonne und ein paar Grad mehr Wärme (lacht). Was uns auch hilft: In den verschiedenen Bereichen arbeiten wir mit unterschiedlichen Packstoffen und können dem Kunden deshalb immer eine optimale Lösung vorschlagen. Auch daraus ergeben sich Synergien.» Ein weiterer Trumpf, den Bosia in die Waagschale legt, sind die Inhouse-Mustermacherei und der Inhouse-Stanzformenbau. «Wir schliessen bei einem Auftrag den Kreis und bringen alle Beteiligten an einen Tisch: die Kreation (Agentur), den Kunden mit seinen Bedürfnissen und die Technik. Wenn wir uns nicht austauschen, kommen nachgelagert Probleme, die wir nicht wollen.»

Digitaldruck im Visier Wie steht es in Taverne mit dem Digitaldruck? «Wir haben einen Xerox-Laserdrucker. Wir machen damit Serialisierung und Rückverfolgbarkeit, normalerweise für Pharmaanwendungen. Wir müssen jetzt nach etwas mehr Performance Ausschau halten.» Insbesondere für den Kosmetikbereich wäre eine neue High-Performance-Digitaldruckmaschine interessant, die höchste Qualität gewährleistet. Bosia: «Wir müssen – und werden – eine Lösung finden. Noch bleibt offen, was das für ein Maschinentyp sein wird. Wir müssen seriös evaluieren. Es geht ja nicht nur darum, Aufträge einfach von einer Maschine auf eine andere umzulagern.» Dann verrät er: «Es könnte durchaus sein, dass wir zusammen mit einer anderen Druckerei eine Maschine anschaffen. Why not?! Man spricht ja (wieder) miteinander in der Branche. Das hätte den Vorteil, dass es einfacher wäre mit der

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Investition, aber auch die Auslastung einer solchen Maschine wäre besser. Ich rede aber nicht von einer Akquisition, der Übernahme einer anderen Druckerei, sondern von einer Produktionspartnerschaft, eines Joint Venture ohne monetäre Bindung.»

Vorreiter in der Cloud … Seit 2014 arbeitet Fratelli Roda mit oder in der Cloud. Ein Schritt, den das Tessiner Unternehmen damals ebenfalls als erste Druckerei vollzog. Der grosse Vorteil liegt dabei im Wegfall von IT-Systembetreuung, Lizenzfragen, begleitenden Infrastrukturen für IT-Systeme wie Klimaanlagen und anderen. «Wir müssen uns keine Sorgen mehr machen, technologisch auf neuestem Stand zu sein. Der Workflow kann jederzeit einem Update unterzogen werden. Ein konventionelles Backup steht ebenfalls zur Verfügung. Wir hatten 2014 damit den ersten Workflow, der komplett über eine Cloud-Lösung läuft, in Betrieb genommen.»

… und bei der Inline-Kontrolle Ebenfalls 2014 installierte man als erstes Unternehmen des Landes ein Bobst-Accucheck-System für die InlineQualitätskontrolle der Faltschachtelproduktion. Mit dieser Innovation unterstreicht das Unternehmen sein Bestreben, stets höchsten Ansprüchen an die Qualität zu genügen. Das in den Faltschachtel-Klebemaschinen inline arbeitende System kontrolliert jede Schachtel auf Fehler wie Druckmängel, Öl- und Wasserflecken, Farbspritzer, Beschädigungen, Kratzer, schlechte Schnittqualität sowie Farbabweichungen. Kurz, es verhindert, dass Schachteln mit solchen Mängeln zur Abpackanlage gelangen. ­Accucheck werde übrigens auch für andere Produkte als Pharmaverpackungen eingesetzt, zum Beispiel auch für Kosmetikverpackungen. «In der Arzneimittelindustrie gibt es einen besonderen Markt, den wir beliefern: Japan. Für die Japaner ist 100-Prozent-Kontrolle ein Must. Daneben müssen wir die Produkte für Japan auch noch von Hand kontrollieren – jedes Stück. Die sagen nämlich: ‹Wenn ein Produkt nicht perfekt verpackt ist, dann ist der Inhalt auch nicht perfekt.› Die schicken sogar Leute zu uns, um die Kontrolle zu kontrollieren. Die wollen keinen Ausschuss haben in Japan.»

Standort Tessin – mehr als nur Sonnenstube Grenznah, zentrumsfern … A première vue, gestützt auf indifferente Medienberichte, ist immer wieder von der Abwanderung der Aufträge nach Italien und von grassierendem Preiszerfall im Kanton die Rede. Bosia entgegnet: «Es gilt zu differenzieren. Wir mussten uns schon immer gegen Italien behaupten. Auch wenn der Begriff ‹Billigland› für Italien nicht durchgängig zutrifft, die Leute haben das so im Kopf. Was heisst das für uns? Wir sind grenznah, also müssen wir schneller sein, müssen qualitativ top sein. Und wir müssen sehr gut in der Beratung sein! Das alles muss stimmen! Wenn ich nur über den Preis anbiete, erhalte ich nur Kunden, die alles billig haben wollen. Das kann’s nicht sein. Man findet immer jemand, der billiger ist. Billiger kann man immer sein, aber zu welchen Konsequenzen? Wenn wir hingegen fundierte Beratung, Ideen anbieten, haben wir treue Kunden! Das Vertrauen des Kunden ergibt sich durch gute Lösungen! Unsere Kunden wollen nicht nur bedrucktes Papier oder bedruckte Faltschachteln. Die wollen etwas, das ihnen hilft, ihr Produkt besser verkaufen zu können. Da müssen wir mithalten mit unseren Kunden, damit sie ihr Ziel erreichen: mehr und besser verkaufen.» In diesem Sinne macht man sich betriebsintern fit: Einmal im Monat findet ein interner Bildungs-Workshop statt, an welchem technische und verkäuferische Aspekte zur Sprache kommen. Bosia begründet: «Jeder ist ein Glied in der Kette; wenn eins nicht perfekt ist, gibt es Fehler und damit Probleme.»

Digital denken Wo will das Unternehmen in fünf Jahren stehen? «Wir müssen die State of the art wahren und den Maschinenpark erweitern. Platz ist vorhanden. Und: Wir müssen ‹digital denken›. Wir werden auch das Thema Veredelung weiterhin im Auge behalten, das ist Teil unserer Kompetenz, die wir an den Kunden weitergeben. Auch gilt es, stets neuen ­Reglementierungen folgen zu können in den Bereichen Pharma und Food.» Crazy ideas, Visionen, gibt es die auch? «Ja, wie bereits gesagt, das Analoge mit dem Digitalen zu verschmelzen, ist so eine – als Zusatznutzen einer Verpackung oder einer Drucksache. So viel verrate ich: Wir haben eine Zusammenarbeit mit einer Universität begonnen! Crazy?!» ●

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