Anderswo 2020 Leseprobe

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E U ROPA N AC H H A LT IG E N T DE C K E N

SÜD — Per Bahn ans Mittelmeer ­— WEST — Irland in der Nebensaison NORD — Zu Fuß allein durch Schottland — OST — Radelparadies Dänemark

Zweitausendzwanzig — 7,50 € — 9,00 SFR. — Übrige EU-Länder 8,80 € — www.wirsindanderswo.de — Ausgabe 2020

2020


INHALT

THEMEN

SÜD istock/vanillapics

AM NÄCHSTEN MORGEN ANDERSWO..............10 MALLORCA OHNE FLUG..................................14 MIT DER BAHN ANS MITTELMEER.....................18 MIT DER BAHN ZUM SEE................................. 20 SÜD: REISEN MIT KINDERN............................. 26

WEST IRLAND IN DER NEBENSAISON........................ 28 TRANS-BLIESGAU....................................................34 WEST: REISEN MIT KINDERN........................... 40

Foro: Christian Baron

NORD ZU FUSS QUER DURCH SCHOTTLAND............. 42 NORD: REISEN MIT KINDERN.......................... 52

Foto: Ricah Wedegärtner

OST UNTERWEGS AUF DEM OSTSEERADWEG......... 54 DÄNEMARK: DREIMAL WELTERBE.................. 62 OST: REISEN MIT KINDERN............................. 66

Foto: Marcella Müller

N E U & N A C H H A LT I G

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ANDERSWO 2020

IM NETZ.......................................................... 6 AUSRÜSTUNG FÜR DEN URLAUB ......................7 KOCHEN, WELLNESS, LIFESTYLE...................... 8 BLAUE SCHWALBE IM EXTRA-HEFT................ 50 NEUANFANG: DIE TRAUEN SICH WAS!.............68 BESONDERE REISEVERANSTALTER................. 78 IMPRESSUM & VORSCHAU............................. 82


Wer, Wo, Was?

MENSCHEN BEI ANDERSWO

SONDERHEFT

Wolfgang Strasdas

Für eine Exkursion zum Thema „Nachhaltiger Tourismus“ hat sich der NachhaltigkeitsProfessor per Bahn und Fähre auf den Weg nach Mallorca gemacht. – Seite 14 –

B L A U E S C H WA L B E In dieser Ausgabe von Anderswo gibt es wieder ein Sonderheft, das alle Blaue Schwalbe-

Valeska Zepp

Irland im Winter: Anderswo-Autorin Valeska Zepp ist ein Fan der Nebensaison. Sie hat Silvester in einem Cottage im irischen Südwesten verbracht. – Seite 28 –

Unterkünfte im Überblick zeigt. So ist es noch einfacher, die perfekte Unterkunft für die Ferien zu finden. – ab Seite 50 –

TITEL Unser Titelfoto stammt von Oleh Slobodeniuk. Der Fotograf war mit Freundin Anna in einem alten Zug unterwegs in den ukrainischen Karpaten. Wer sich die Zeit nimmt, kommt fast überall klimafreundlich an. Und Spaß macht es sowieso.

Ricah Wedegärtner

Fernwandern durch Schottland: Studentin Ricah ist allein von Küste zu Küste gewandert und hat für Anderswo ihre Erlebnisse aufgeschrieben. – Seite 42 – www.wirsindanderswo.de

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SÜD

Sehnsucht Süden

Noch mal schnell Sonne tanken, warmen Sand unter den Füßen fühlen, in der Strandbar sitzen und aufs Wasser schauen – dafür muss man nicht fliegen.

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Urlaub am Wasser

Reisen wie Greta!

istock/mmac72

Foto: Uta Linnert

Anderswo zeigt, wie man die Lieblingsinsel der Deutschen ohne Flug erreicht und wo die schönsten Strände und Seen mit Bahn, Bus und Fähranbindung liegen.

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SÜD

Per Schiff nach Mallorca Text: Wolfgang Strasdas

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er das Zerstörungspotenzial des Massentourismus hautnah erleben und etwas daraus lernen möchte, muss nach Mallorca. Als wir unseren Studierenden mitteilen, dass die diesjährige Exkursion auf die beliebte Balearen-Insel führt, gibt es allerdings Proteste: Wie kann in einem Studiengang namens „Nachhaltiges Tourismusmanagement“ ein Exkursionsziel gewählt werden, das nur per Flug zu erreichen ist!

Der Ehrgeiz ist geweckt

Ich werde den Beweis antreten, dass man auch ohne Flug nach Mallorca kommt. Dass man die Strecke Berlin–Marseille mit der Bahn innerhalb eines Tages schafft, weiß ich. Ein französischer Kollege gibt den entscheidenden Hinweis auf den Lückenschluss: Von Toulon aus gibt es eine Fährverbindung nach Alcúdia auf Mallorca. Ich recherchiere online. Aus der ersten Idee entsteht folgende Reise: An einem Freitagmorgen im Mai begebe ich mich zu Fuß mit dem – zugegebenermaßen verhassten – Rollkoffer zum Bahnhof Gesundbrunnen. Von dort nehme ich erst einen Regionalexpress, dann den ICE nach Frankfurt. Ich bin etwas nervös wegen der knappen Umsteigezeit von 14 Minuten – aber es klappt: Von Frankfurt aus bringt mich der französische TGV in rasendem Tempo durch Elsass und Rhône-Tal in acht Stunden nach Marseille. Die französische Hafenmetropole gehört zu meinen Lieblingsstädten: dreckig und schön, kreativ und multikulturell wie Berlin – nur eben

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am Mittelmeer. Nach einem Zwischenstopp im Gästezimmer bleibt genug Zeit für einen Spaziergang durchs Hafenviertel. Der Abend endet mit einem Jazzkonzert in der Bar „Caravelle“ am alten Hafen. Am nächsten Morgen genieße ich direkt nach dem Aufwachen den Blick aus dem Fenster auf den afrikanisch-arabischen Gemüsemarkt. Bis zur Weiterfahrt bleibt noch viel Zeit, durch meine Lieblingsviertel zu bummeln, zum Beispiel durch das alternative Szeneviertel rund um den Cours Julien. Schließlich nehme ich vom Bahnhof aus die Regionalbahn nach Toulon. Dort haben sich im Hafen schon mehrere der großen gelb-weißen Fährschiffe von Corsica Ferries versammelt. Ich checke im Fährterminal ein und begebe mich auf „mein“ Schiff, das am Abend Richtung Mallorca auslaufen wird.

Auf Deck oder unter Deck nächtigen?

Ich habe mich gegen die Low-Budget-Variante einer Deckübernachtung im Schlafsack und für den Luxus einer Einzelkabine entschieden. Während ich mich einrichte, gleitet das Schiff langsam hinaus aufs offene Mittelmeer. Am nächsten Morgen bin ich früh auf Deck, um die Berge von Mallorca im Morgenlicht zu begrüßen. Den ersten Tee trinke ich bereits an Land, in einer der wenigen Bars, die schon geöffnet haben. Es dauert ein bisschen, bis ich – den Rollkoffer im Schlepptau – den Bus nach Palma gefunden habe. Aber auch diese letzte Hürde nehme ich gelassen und erreiche, 48 Stunden, nachdem


Mittelmeer

istock/Joel Carillet

istock/vanillapics

ANREISE MIT BAHN UND FÄHRE: Von Berlin geht es über Marseille (Foto rechts) und Toulon bis nach Alcudía im Norden Mallorcas

Foto: Wolfgang Strasdas

ich meine Berliner Wohnung verlassen habe, und überpünktlich, die Jugendherberge in der mallorquinischen Hauptstadt, in der nach und nach die Studierenden und Kolleginnen eintrudeln. Die Rückreise ist dann schon fast Routine – außer, dass es nicht über Nacht, sondern mit der Tagfähre von Alcúdia nach Toulon geht. Gut zehn Stunden über das blaue Mittelmeer, das erstaunlich groß und weit ist – stundenlang ist überhaupt kein Land zu sehen. Man bekommt eine Ahnung davon, wie gefährlich es sein muss, wenn Menschen versuchen, dieses Meer mit kleinen Booten zu überqueren. Noch eine Nacht in Marseille, bevor es in zwölf Stunden ganz ohne Komplikationen zurück nach Berlin geht – an einem Tag quer durch ganz Frankreich und ganz Deutschland. Warum ich diese Reise gemacht habe? Vor allem aus Klimaschutzgründen natürlich. Ich wollte im „Selbstexperiment“ zeigen, dass es möglich ist, innerhalb von Europa ohne Flugzeug zu reisen. Im Vergleich zur Flugreise (ca. 1,2 Tonnen CO2-Emissionen1) lag meine Bilanz bei 338 Kilogramm, wobei jedoch die mit Schweröl betriebene Fähre ein Problem darstellt. Bis Toulon war meine Reise dank ökostrombetriebener Hochgeschwindigkeitszüge fast klimaneutral.2

[1] Quelle: atmosfair, [2] Berechnung: Berlin - Kehl – Berlin: 3 kg (Quelle: DB UmweltMobilCheck), Strasbourg – Toulon – Strasbourg: 7,1 kg (Quelle. SNCF); Toulon – Alcudia – Toulon = 1.037 km x 310 g/pkm (Quelle: Österreichisches Umweltzeichen)

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SÜD

Foto:istock/ legna69

REISEPLANUNG

MARSEILLE: genug Zeit zum Spazierengehen und für ein

Jazzkonzert in einer Bar im Hafenviertel

Schnell oder entschleunigt?

Die üblichen Einwände, es sei mit dem Flugzeug nicht nur schneller, sondern auch billiger, kann ich bei sechs täglichen Direktflügen von Berlin nach Mallorca mit LowCost-Airlines natürlich nur teilweise entkräften. Beginnen wir mit den Kosten: Die Fahrkarte Berlin–Marseille und zurück kostete mit dem „Super Sparpreis EU“ in der 1.Klasse nur 180 Euro, die Fährfahrt hin und zurück 140 Euro (mit Einzelkabine während der Nachtfahrt), plus noch einmal knapp 40 Euro für den ÖPV zwischen Marseille und Toulon und auf Mallorca; insgesamt also 360 Euro für die gesamte An- und Abreise, etwa dreimal so viel wie das Flugzeug, aber mit hohem Komfortfaktor. Ehrlicherweise muss ich an dieser Stelle noch die 140 Euro für die beiden Übernachtungen in Marseille erwähnen, doch habe ich dafür eben auch noch Zeit in Marseille verbracht und ein weiteres Reiseziel auf dem Weg besucht. Zum Zeitargument: Hier stehen pro Strecke zwei ganze Tage einem 2,5-stündigen Flug gegenüber, zu dem man jedoch noch zwei Flughafen-Transfers und die Wartezeiten vor und nach dem Flug hinzurechnen muss. Die Bahnfahrt in der 1. Klasse sehe ich demgegenüber als „rollendes Büro“ an und auch die Schifffahrt tagsüber nutzte ich für die Erledigung lange liegen gebliebener Aufgaben, u.a. für das Lesen einer spannenden Masterarbeit über Nachhaltigkeits-Reporting in der Kreuzfahrtindustrie! Und noch ein Argument: Neben dem wohligen Gefühl eines (fast) reinen Gewissens hat mich diese Reise an alte Zeiten erinnert, als ich auf diese Weise als Backpacker unterwegs war, nicht nur weil Fliegen damals indiskutabel teuer war, sondern auch wegen des langsamen, intensi-

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ven Ankommens in anderen Ländern: die Überquerung des Rheins, die ersten weißen Felsen der Provence, die Weite des Meeres, die Ankunft in einer nachtschlafenden Hafenstadt an einem Sonntagmorgen …

Das Fazit

Eines muss aber auch klar sein: Allein der Umstand, dass eine Reise, die früher ganz normal war, heute eine Pressemitteilung wert ist oder als „Challenge“ kommuniziert wird – eben weil kein Mensch mehr so reist – zeigt, dass wir als Gesellschaft mit Appellen an freiwillige Verhaltensänderungen nicht weiterkommen. Meine Hoffnung, gegenüber unseren Studierenden eine Vorbildwirkung zu entfalten, ist kläglich gescheitert – alle sind geflogen! Ohne klare Preissignale wird es kein klimafreundliches Reisen geben. a Wolfgang Strasdas ist Professor am Zentrum für Nachhaltigen Tourismus der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde.


OVERTOURISM 3 Fragen an Wolfgang Strasdas Interview: Katharina Baum

Für den „Overtourism“ auf Mallorca sind auch die Deutschen mitverantwortlich. Sollte man die Insel nicht einfach für Tourismus schließen, statt die Bahnreise zu bewerben?

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Nein, das wäre zu einfach. Würde man die Insel für den Tourismus schließen, würde das die Wirtschaft ruinieren. Die Bahnanreise im Vergleich zur Fluganreise würde den Tourismus zumindest mindern, denn sie ist aufwendiger und erfordert mehr Zeit. Dadurch würden Kurztrips auf die Insel entfallen.

Wie lässt sich, „Overtourism“ eindämmen? Auf Mallorca wurde zum Beispiel die Anzahl an Mietwagen begrenzt. Beim Overtourism geht es nicht nur um Touristenzahlen, sondern auch um das, was sie vor Ort tun. Wenn alle mit dem Mietwagen fahren, ist das viel problematischer, als wenn die öffentlichen Verkehrsmittel genutzt werden. Die Inselregierung würde auch gern die Anzahl der Flüge nach Mallorca begrenzen. Das kann aber nur die Regierung in Madrid entscheiden, und die ist dagegen. Interessanterweise sehen die Mallorquiner Overtourism entspannt. Es sind nur bestimmte Teile in den Ortszentren, wo die Leute genervt sind. In den äußeren Stadtteilen wird der Tourismus nicht mehr als Problem empfunden.

Neben der Anreise mit Zug und Fähre: Wie müsste ein für Umwelt und Bevölkerung verträglicher Urlaub auf Mallorca aussehen?

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Das ist eine schwierige Frage. Mallorca spricht eine große Bandbreite an Touristen an, die sich flächendeckend über die Insel verteilen. Der Tourismus ist dort in sämtliche Poren gesickert. Es gibt nicht den einen Aspekt, den man besser machen könnte. Man müsste den Tourismus selbst reduzieren, das wäre das Nachhaltigste. Urlaub auf einer Insel ist sowieso nicht nachhaltig, weil es so viele lange Transportwege gibt. Das regionale Potenzial wird auf Mallorca zwar schon ziemlich gut ausgeschöpft, aber es deckt bei weitem nicht das ab, was durch den Tourismus konsumiert wird. Ich denke, der Verkehr vor Ort ist der wichtigste Ansatz. Es gibt viel zu viel Verkehr auf Mallorca.


WEST

Winterreise nach Irland

Ein Hoch auf die Nebensaison Text: Valeska Zepp Fotos: Markus Cousin, Christian Baron, Diana Ludwigs

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Irland

Nach Irland im Dezember? Die meisten erklären uns für verrückt. Wir lieben den irischen Winter und wandern jeden Tag durch einsame Gegenden, wo im Sommer Touristen Schlange stehen.

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WEST

Trans-Bliesgau Text: Regine Gwinner

Auf Pilgertour durch die Bio-Sphäre

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o wollen Sie denn hin mit dem großen Rucksack?“ Der Spaziergänger mit Hund bleibt breitbeinig vor mir stehen und erwartet offensichtlich eine gute Geschichte. Es gibt keine. Mein Ziel ist nicht Santiago de Compostella und ich bin auch noch keine fünf Wochen unterwegs. Von Blieskastel aus bin ich gerade mal sechs Kilometer gewandert. Heute Abend werde ich hoffentlich nicht am Waldrand, sondern in einem gemütlichen Gasthof übernachten. Aber mein Rucksack ist tatsächlich viel zu groß für diese Erkundungstour durch den Bliesgau, und da ich mich zufällig auf einem – wenn auch kurzen – Abschnitt des Jakobswegs befinde, sage ich: „Na ja, Sie wissen ja: Pilgern. Da weiß man nie ...“ und gehe mit großem Rucksack und neu gewonnener Autorität an Mann und Hund vorbei Richtung Sonnenuntergang. Von einem knorzigen Birnbaum am Feldrain pflücke ich mir eine Birne (Pilger dürfen das!) und schlendere weiter,

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während die Sonne die Felder und Wiesen des Bliesgaus in goldenes Abendlicht taucht.

Regional wirtschaften

Der Bliesgau liegt im Saarland direkt an der Grenze zu Frankreich. Seit zehn Jahren ist die Region an der Blies Biosphärenreservat. 2009 wurde sie von der UNESCO als Modellregion für nachhaltige Entwicklung ausgewählt, um Konzepte und Lebensentwürfe für ein nachhaltiges Zusammenspiel von Mensch, Wirtschaft und Natur zu entwickeln. Wer durch den Bliesgau radelt oder wandert, sieht, wie Mensch und Natur hier zusammenspielen: Die Wege führen durch eine offene Kulturlandschaft. Der Großteil der Hänge ist von Acker- und Weideflächen bedeckt. Obstbäume und dicke Hecken begrenzen Wiesen und Felder. Hier gibt es keine großen Monokultur-Flächen,


Foto: Saarland Tourismus

Saarland

sondern viele kleinere Parzellen, auf denen alles gedeiht, was man zum Leben braucht. „Fast alles“, sagt Manuela Hennrich, Chefin des Hubertushofs lachend. „Das Angebot an Wein hier ist begrenzt, und Kaffee gibt es natürlich auch nicht lokal. Solche Sachen kaufen wir über den Großhandel ein.“ Der Hubertushof in Würzbach, den Manuela Hennrich Anfang 2020 von ihren Eltern übernommen hat, ist ein Beispiel für die Kreislaufwirtschaft im Bliesgau. Bevor es auf der Speisekarte losgeht mit den Gerichten, gibt eine Seite den Gästen den Überblick über die Partnerbetriebe, bei denen die Familie seit vielen Jahren einkauft: Mehl, Eier, Milchprodukte, Säfte, Fleisch, Pilze – alles direkt aus der Nachbarschaft. „Heute wird das immer so betont, als wäre es etwas ganz Besonderes“, sagt die junge Gastwirtin. „Für uns war es immer selbstverständlich, bei Unternehmen aus der Region einzukaufen. Wir kaufen bei denen, die

feiern bei uns.“ Daher verzichtet der Hubertushof auch auf die sonst in der Gastronomie übliche Belieferungslogistik. „So bin ich viel näher dran an meinen Lieferanten“, erklärt Manuela Hennrich. „Ich kriege mit, wann die Spargelernte anfängt oder wenn einer ein Rind schlachtet. Dann können wir das direkt bei unserer Planung berücksichtigen.“ Und sie merkt, dass immer mehr Gäste schätzen, dass Wirtin und Küche einen persönlichen Bezug zu den Lieferanten haben und genau wissen, woher die Zutaten stammen. Die Nachfrage nach regionalen Produkten wächst. Das Biosphärenreservat mit seiner kleinräumigen Produktionsstruktur liegt da voll im Trend. Ich lasse mich verwöhnen von dieser reichen Landschaft. Tagsüber beim Wandern pflücke ich mir immer wieder knackige, rotbackige Äpfel, die intensiv schmecken. Im Windschatten einer Hecke sitze ich auf der Wiese, genieße die Herbstsonne, lese oder schaue den Rotmilanen zu, die

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NORD

Text & Fotos: Ricah Wedegärtner

Mehr als Ausdauer Allein zu Fuß — quer durch Schottland

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Schottland

Ich mach das jetzt! Allein 300 Kilometer durch Schottland wandern auf einem einsamen Trail RICAH, 27 JAHRE, HYDROGEOLOGIN

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NORD

SOUTHERN UPLAND WAY: Trotz guter Wegmarkierung braucht man Karte und Kompass

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a l ker s a re welc ome here begrüßt mich das Schild an der Tür des Beehive Bothy, irgendwo im Wald. Aus den Augenwinkeln sehe ich noch den kleinen Fuchs, der eilig im Dickicht verschwindet. Nebenan plätschert ein Bach, der torfig braunes Wasser führt. Den letzten Schafen bin ich vor einer Stunde begegnet, als ich eine Farm und das weite Moor hinter mir ließ. 45 Kilometer liegt das hübsche Portpatrick mit seinen weißen Steinhäuschen nun zurück – und etwa 300 Kilometer schottische Landschaft liegen vor mir. Ich drücke die Klinke nach unten und trete in eine kleine Stube mit breiten Holzbänken. Draußen tropft der Regen auf die Fensterscheiben. Einige Wochen vorher in Bonn. Feierabend, überall sind Menschen. Seit Tagen klettern die Temperaturen immer höher, jenseits der 30 Grad. Autos drängeln sich an Fahrrädern vorbei und die wiederum an Fußgängern. Es riecht nach Abgasen. Es ist laut. „Ich muss hier raus“, denke ich. Ich will einfach nur allein sein.

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Der Southern Upland Way – 347 Kilometer Zu Hause recherchiere ich schottische Wanderwege. Vier Jahre liegt meine erste Solo-Wanderung auf dem West Highland Way nun zurück. Ziemlich lange für etwas, von dem man sich versprochen hat, es bald wieder zu tun. Ich stoße auf den Southern Upland Way. Schottlands erster offizieller Fernwanderweg führt von Portpatrick an der Westküste nach Cockburnspath an die Ostküste, von wo es nicht mehr weit zur Grenze Englands ist. Der Weg scheint wenig bekannt und ist 347 Kilometer lang – länger als alles, was ich bisher gewandert bin. Mit oft 30 Kilometern haben es die Etappen in sich. Da ich seit einiger Zeit anfällig für Knieschmerzen bin, ist meine größte Sorge: „Was, wenn ich es nicht schaffe?“ Weitere Horrorszenarien machen sich breit, ganz vorn mit dabei: Gewitter im Freien und Männer mit bösen Absichten. Aber der Wunsch, den Weg allein zu wandern, setzt sich durch. Erstmals soll das Zelt mit. Ich will unabhängig von Unterkünften sein, in meinem ganz eigenen Tempo gehen. Mit 16 Kilo auf dem Rücken stehe ich Mitte August aufgeregt in Brüssel und warte auf den Zug durch den Ärmelkanal. Ich zweifelte lange, mein Vorhaben durchzuziehen, sodass ein Tag vor Abfahrt kein Standardticket für den Eurostar mehr verfügbar


ZEIT, Abschied zu nehmen von vollen Schränken und leeren Verpflichtungen. Wir brauchen Luft

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OST

Freiheit erfahren! Im Alltag will ich klimafreundlich und unabhängig mobil sein – also fahre ich Fahrrad. Diese Freiheit wollte ich auch gern im Urlaub haben und habe Radreisen für mich entdeckt.

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Ostseeradweg

Moin Ostsee! Es gibt kaum eine schönere Art, ein Land kennenzulernen, als vom Fahrradsattel aus. Das Gefühl von Freiheit während einer langen Radreise ist unbezahlbar. Text & Fotos: Marcella Müller

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OST

Fahrrad fahr’n auf der 8 durch Dänemark

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iese Reise hat gleich zwei Premieren: Andreas und ich machen unsere erste gemeinsame Radreise, und wir nehmen zum ersten Mal die Räder im Zug mit. Die Fahrt von Brühl über Köln nach Flensburg mit zweimal Umsteigen verläuft reibungslos. Alle Züge sind pünktlich, wir finden im Fahrrad­ abteil schnell die reservierten Plätze und an allen Bahnhöfen funktionieren die Aufzüge. Unsere Sorge, die bepackten Fahrräder Treppen hinaufwuchten zu müssen: unbegründet. Mitreisende helfen beim Ein- und Ausladen der Räder. Und schon ist man mitten im Gespräch: Der fahrradbegeisterte Sitznachbar schwärmt von seiner eigenen Tour entlang der Ostsee: Er war durch Polen, Litauen, Lettland und Estland bis in die finnische Hauptstadt Helsinki unterwegs. Wir wollen Dänemark kenWAS FÜR EINE SUPPE: Nur wenige Meter Sicht. nenlernen und haben uns dafür Aber der Nebel schluckt den neuen Ostseeradweg ausalle Geräusche geguckt, der sich wie eine Acht über die dänische Inselwelt legt. Dreieinhalb Wochen und knapp 1.000 Kilometer liegen vor uns. Etwa auf der Hälfte der Strecke werden wir einen Abstecher nach Kopenhagen machen, wo wir unseren Freund Dimi treffen - ab dann fahren wir zu dritt weiter auf der zweiten Hälfte der Acht.

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Moin Ostsee!

In Flensburg sagen wir das erste Mal der Ostsee „Moin!“ und starten bei Nieselregen Richtung deutsch-dänische Grenze — gut, dass unsere Fahrradtaschen wasserdicht sind und wir Regensachen dabeihaben. Hinter der Grenze fahren wir durch Wälder, kleine Orte, über Wiesen und Felder. Außer Kühen und Schafen begegnen wir fast niemandem. Wir genießen die Weite, die Ruhe, die frische Luft, die Bewegung, fahren Slalom, einfach, weil genug Platz dafür ist. Uns kommt ein Lied von Achim Reichel in den Kopf, das wir mal bei der


Ostseeradweg

Rund um die Ostsee

W eiße Strände, malerische Städte und eisblaues Meer. Die Ostsee bietet beides: unberührte Natur wie die Kurische Nehrung und glamouröse Kultur Sankt Petersburg. Am schönsten lässt sich die Ostsee mit dem Rad erkunden. Wer sie einmal komplett umrunden möchte, fährt auf der EuroVelo-Route 10 und hat erst einmal Stoff für viele Urlaube oder eine lange Auszeit. Auf gut 9.000 Kilometern durchqueren Radfahrerinnen und Radfahrer neun Länder: Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland, Russland, Estland, Lettland, Littauen und Polen. EuroVelo ist ein Netzwerk aus 16 Radfernwegen, die den gesamten europäischen Kontinent verbinden und zusammenbringen. Das Streckennetz soll im Wesentlichen bis 2020 fertig sein.

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©Mikko Nikkinen

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Neuanfang im Tourismus

Diese Menschen gehen neue Wege Interviews: Valeska Zepp & Katharina Baum

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J Sardinien


Sardinien

BUON APPETITO: Ohne gutes Essen geht auf Sardinien gar nichts. Jean-Luc Madinier und Christine Wolfangel beim Pausen-Snack

„Meine Motivation ist meine Liebe zu dieser Insel und zu ihren Menschen.“ CHRISTINE WOLFANGEL: 51 Jahre, PR-Beraterin, Journalistin, Reiseleiterin, Trekkingguide

Fotos S. 68-70: Anna & Fabrizio Piroddi

WAS HABEN SIE SICH GETRAUT? Christine Wolfangel: Vor zehn Jahren habe ich in Deutschland alles hinter mir gelassen, um mich auf Sardinien niederzulassen. Gemeinsam mit „Sardaigne en liberté – Ökotourismus Sardinien“ habe ich mich getraut, die Idee von einem gelebten – und nicht nur zu Werbezwecken hochgehaltenen – nachhaltigen Tourismus nach Sardinien zu bringen. Jean-Luc Madinier hatte das Unternehmen 2016 gegründet. Ich betreue seit dem Sommer 2019 die deutschen Gäste. Unser Einsatz trägt erste Früchte: Wir haben aktuell zusammen mit der Initiative Slow Food Ogliastra die erste Transhumanz-Wanderung organisiert. Transhumanz ist eine Form der Wanderweidewirtschaft. Wir begleiten Schafherden beim traditionellen Wechsel vom Sommer- ins Winterquartier. Noch immer ist bei jedem Neukontakt viel Überzeugungsarbeit notwendig. Aus kulturgeschichtlichen, tief verankerten Gründen verlassen sich die Sarden gern nur auf die eigene Familie und kooperieren ungern mit anderen. Jeder kocht sein eigenes Süppchen, die Angst vor Konkurrenz ist groß. Diese Haltung versuchen wir nach und nach durch positive Beispiele zu ändern.

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AU S G E Z E IC H N E T E G A S TG E B E R F Ü R N AC H H A LT IG E F E R I E N

Unterkünfte 2020

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Blaue Schwa lbe


NACHHALTIGKEIT UND KREATIVITÄT fördert dieses ungewöhnliche Urlaubsdorf am Polarkreis in Norwegen. Ein Musiker hat den inspirierenden Rückzugsort für Urlauber und Künstler geschaffen – auf einer kleinen Insel im Fleinvær-Archipel. Das Titelbild zeigt einen Schlafraum mit unübertroffenem Blick auf Landschaft und Sternenhimmel. Mehr Informationen: www.urlaubsarchitektur.de > Karte > Nordnorwegen bei Bodø

ausgezeichnete Gastgeber Die Blaue Schwalbe steht seit über 25 Jahren für Urlaubsunterkünfte mit familiärem Ambiente, persönlichem Service und Gastgebern, die sich für Nachhaltigkeit engagieren. Regionale Verankerung

und ein verantwortungsvoller Umgang mit der Natur stehen im Vordergrund. Eine gesunde Küche mit hohem Genussfaktor und vielen frischen Zutaten aus der Region gehört selbstverständlich dazu.

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Deutschland

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Österr eich

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Italien

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schweiz frankreich italien österreich DeutschlanD

Großbritannien

Foto: Pasi Aalto (Cover & Inhalt)

INHALT

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Schweiz

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