Weltzeit 3 | 2012: Kultur. Bildung. Medien.

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weltzeit Das Magazin der Deutschen Welle

Ausgabe 3 | 2012

Kultur. Bildung. Medien.


B e e t h o v e n f e s t B o n n

7. 9. B i s 7. 1 0 . 2 0 1 2 e i g e n s i n n

tic k e ts 0 228 - 5 0 2 0 13 13 w w w. B e e t h o v e n f e s t. d e


Editorial

Wir alle wissen um den Januskopf der Globalisierung. Sie mag ökonomischen, wissenschaftlichen und technischen Fortschritt bedeuten, macht sie doch den weltweiten Austausch von Gütern, Kapital, Dienstleistungen und Arbeitskräften möglich. Dennoch setzen kritische Stimmen die Globalisierung mit sozialem und ökologischem Rückschritt gleich, andere erhoffen sich eine fortschreitende Globalisierung der Menschenrechte, der Demokratie und des Weltwissens. Denn es mangelt nicht an Chancen in diesem Prozess, sondern an Orientierung, wie nur Wissen und Bildung sie geben können. Hier setzt das diesjährige D ­ eutsche Welle Global Media Forum an. „Kultur. Bildung. Medien – Zukunft lebenswert gestalten“ lautet der Titel der dreitägigen Veranstaltung vom 25. bis 27. Juni in Bonn. Sie stellt die Themen Bildung, kulturelle Vielfalt, Erziehung und Aufklärung in den Kontext der sich weltweit verändernden Medienwelt. Qualifikation ist ein wichtiges Stichwort, denn die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer. Der Schlüssel zur Lösung des Problems liegt in einer ­Intensivierung

der Bildungsanstrengungen. Gesellschaften, die hier sparen, sparen am falschen Ende. Dabei stehen die Medien als Vermittler und Aufklärer weltweit vor einer wichtigen Aufgabe. Das Deutsche Welle ­Global Media Forum wird in 50 Workshops und Paneldiskussionen mit namhaften Expertinnen und Experten aus Politik, W ­ irtschaft, Wissenschaft und Medien die Chancen d ­ iskutieren,

»Die Konferenz stellt Bildung in den Kontext der Medienwelt.«

Mit­veranstalter ist die Stiftung Internationale Begegnung der Sparkasse in Bonn. Unterstützt wird die Konferenz zudem vom Auswärtigen Amt, dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen, der Stadt Bonn, DHL, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie der Fritz Thyssen ­Stiftung für Wissenschaftsförderung. Ich würde mich freuen, Sie in Bonn begrüßen zu können. Annelie Gröniger Geschäftsführerin DW Media Services GmbH

Widersprüche aufdecken und interdisziplinär Lösungen entwickeln. Die vorliegende Ausgabe der Weltzeit stellt interessante Referenten mit ihren Thesen vor und vermittelt einen ersten Eindruck von der Themenvielfalt des internationalen Medienkongresses. Das Deutsche Welle Global Media ­­Forum 2012 steht unter der Schirmherrschaft der Deutschen UNESCO-Kommission e. V.

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Welt anschauen

Javad Talee schreibt seit seiner frühen Kind-

heit. Mit 17 veröffentlichte der Iraner einen Gedichtband. Inspirieren lässt er sich stets von eigenen Erlebnissen. Nun hat der Autor und Journalist, der seit 2003 in der Farsi-Redaktion der DW arbeitet, seine erste deutschsprachige Erzählung vorgelegt: „Station 13“. Der Protagonist, ein Exil-Iraner in Frankfurt am Main, erzählt einem Psychoanalytiker von seinen Ängsten. Aus einem Geisterland komme er, wo die Menschen solange gefoltert würden, bis sie selbst zu Geistern würden. Es sei „ein Land, in dem die Lebendigen missachtet und die Verstorbenen geehrt werden“.

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Vieles in dieser Erzählung ist autobiographisch. In seiner Heimat setzte sich Talee für die Pressefreiheit ein – und musste deshalb einige Repressionen erleiden. Sogar zu Peitschenhieben wurden er und seine Frau verurteilt, bevor sie vor 27 Jahren nach Deutschland kamen. Der 62-Jährige, der auch für iranische Exil-Zeitungen schreibt, möchte mit seinem Buch zugleich auf Probleme von Exilanten aufmerksam machen. „Station 13. Frankfurt – Teheran – Frankfurt“ ist soeben im Verlag Goethe und Hafis erschienen und kostet 9,99 Euro.


Inhalt Aktuelles erfahren

HEIMAT ERLEBEN

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22 Kolumne: Deutschlandbild Polen – Steffen Möller über Pilze, Petersilie und Punkte

The BOBs Exil-Iraner ausgezeichnet 6 Partner Palästina TV-Training der DW Akademie

24 Kolumne: Deutschlandbild Ukraine – Jurko Prochasko über Alleen, Autobahnen und Kreuzungen

Learning by Ear Neue Staffel der Radionovela 7

ANDERE VERSTEHEN titelthema 8 Das Ticket für die Zukunft

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Deutsche Welle Global Media Forum

26 Kolumne: Wir sprechen Ukrainisch 27 Kolumne: Kulturtransfer Glück statt Currywurst

12 Fundament für Meinungsbildung

Intendant Erik Bettermann im Interview MEDIENWELT EINORDNEN

14 Auf dem Podium

29 Ampel-Redaktion

Speaker auf der Bonner Medienkonferenz

Datenbank für Rechtemanagement

16 „Wir helfen nachhaltig“

CEO Frank Appel, DHL, im Interview 17 Kolumne: Das läuft Multimediaprojekt Bildung für alle

Gestern reflektieren

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31 Nische im „Land der Freiheit“ 50 Jahre Polnisches Programm

18 Wissen macht Spaß Bildungsprojekte der DW Akademie

POSITION BEZIEHEN

19 Kolumne: Meinung

33 Kein Frühling der Pressefreiheit

Bildung und Medien in den USA

Der Kommentar

20 Tradiertes dokumentieren Blogger Boukary Konaté im Interview

33 Impressum menschen begegnen

21 Wissen. Märkte. Partner.

34 Tahani Salim aus Syrien Leben auf zwei Bühnen

DW-Angebote weltweit gefragt

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aktuelles erfahren

TV als Jobcenter Näher ran an die Zielgruppe, das ist das Motto eines neuen TV-Magazins der ­Palestinian Broadcasting Corporation (PBC). Begleitet von Experten der DW Akademie wurde im Mai die Pilotsendung für das Jugendformat produziert. Im Westjordanland liegt das Durchschnittsalter bei 21 Jahren, im Gazastreifen ist es noch niedriger – die palästinensische Bevölkerung ist sehr jung. Die Jobsuche ist eine der größten Herausforderungen. PBC und DW Akademie haben gemeinsam das Konzept für eine Sendung entwickelt, die Jugendliche aus den palästinensischen Gebieten stärker in die Produktion einbinden und mit professionellen Berichten direkt ansprechen soll. „Wir wollen neue Berufsbilder vorstellen, Alternativen aufzeigen und positive Beispiele präsentieren“, so Projektmanager Thomas Rehermann. Weitere Themen, etwa Ehe, Familie, Mode oder Technik, sind im Programm. Die Sendung sei politisch, denn „in fast jedem Thema schwingt der Konflikt mit Israel mit“, erklärt Jens-Uwe Rahe, Landeskoordinator der DW Akademie. Die DW setzt darauf, dass sich

Alles im Kasten: Kursteilnehmer aus Palästina

die junge, k ­ ritische Redaktion auch mit der palästinensischen Politik und Gesellschaft befasst. Mitarbeiter des Partners PBC haben mit Trainern der DW Akademie in Berlin Management- und Produktionsfertigkeiten vertieft und sich auf Standards geeinigt. Sie haben das Format der neuen Sendung festgelegt – mit mehr Interviews, Umfragen, Reportagen und Service – und die Pilotsendung produziert.

Die DW Akademie wird das Projekt weiter begleiten. PBC befindet sich in einer Reformphase auf dem Weg zu einem Sender nach öffentlich-rechtlichem Vorbild. Das Projekt mit der DW Akademie soll helfen, bürger­ nahe Berichterstattung und zivile Strukturen in den palästinensischen Gebieten zu stärken. Auch an der Universität von Nablus ist die DW vertreten – hier unterstützt sie den Aufbau eines Bildungskanals.

The BOBs für Exil-Iraner

Fenster zu mehr Freiheit: Blogger Arash Sigarchi

Sigarchi, der im Exil in den USA lebt, berichtet auf Persisch und Englisch über soziale und politische Themen in seinem Heimatland Iran, insbesondere über die Lage der Menschenrechte. In der Kategorie Best Social Activism Campaign kürte die Jury die Facebook-Seite „Free Syrian Blogger & ­Activist Razan Ghazzawi“, die syrischen

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©© privat

Das Blog „Window of Anguish“ des iranischen Journalisten Arash Sigarchi ist Haupt­ gewinner des jüngsten internationalen Blog-Awards The BOBs der Deutschen Welle.

Bloggern gewidmet ist, die in Haft sind. Das Blog „Fasokan“ wurde in der Kategorie Special Topic Culture and Education ausgezeichnet. Der 36-jährige Boukary Konaté aus Mali dokumentiert hier in der westafrikanischen Sprache Bambara und auf Französisch seine Bemühungen, die digitale Kluft in seiner Heimat zu überwinden (Interview Seite 20).

Für „Harassmap“ aus Ägypten entschied sich die Jury in der Kategorie Best Use of Technology for Social Good. Auf der Webseite können Frauen anonym sexuelle Belästigungen melden, die dann auf einer Karte lokalisiert und kategorisiert werden. Bester Video-Kanal ist „Kuang Kuang ­Kuang“. Ein Team um den Chinesen Wang Bo kritisiert mit einer Cartoon-Reihe die Politik Pekings und greift soziale Probleme auf. ­ Der Reporter-ohne-Grenzen-Preis ging an das Blog des bengalischen Journalisten Abu Sufian, der gesellschaftliche und politische Missstände in den Fokus rückt. Die Preisträger werden auf dem Deutsche Welle Global Media Forum am 26. Juni 2012 in Bonn geehrt. www.thebobs.com Interview mit Arash Sigarchi: http://blogs.dw.de/weltzeit


Inovator für Indonesien Die erste Fernsehproduktion der DW auf Indonesisch, das Magazin Inovator, wird seit April über den staatlichen Sender TVRI und über Bali TV ausgestrahlt. Die wöchentliche, halbstündige Sendung greift Themen aus Wissenschaft, Technik und Umwelt auf. Schwerpunkte sind Entwicklungen in den Bereichen Gesundheit und Medizin. Die DWPartner gehören zu den größten Sendern Indonesiens.

Ausbildung für Bolivien

Bildung für die Ohren Das Bildungsprogramm Learning by Ear, das die DW mit Radiopartnern in Afrika und Afghanistan produziert, ist sehr populär. Das zeigte sich einmal mehr beim Start einer neuen Staffel auf Kisuaheli im April in Dar es Salaam, Tansania. Rund 70 Akteure hatten sich zum Casting eingefunden – trotz strömenden Regens. Selbst 300 Kilometer stellten für manche Bewerber keine unüberwindbare Entfernung dar. Zum Beispiel für Amanuel Nguto, der sich bereits in väterlichen Rollen bewährt hatte: „Die Serien sind zwar für die Jugend geschrieben, aber auch meine Generation kann viel lernen. Es macht großen Spaß mitzuwirken, denn die Geschichten sind nicht nur lehrreich, sondern zugleich sehr unterhaltsam.“ Acht neue Folgen werden in Dar es Salaam aufgenommen. Sie behandeln Themen, die auch in Ostafrika sehr sensibel sind – wie sexuelle Gewalt gegen Kinder und der Umgang mit Menschen mit Behinderung. „Eine große Herausforderung für junge Laienschauspieler, denn wir wollen die Problematik in unseren Hörspielen glaubhaft darstellen“, so Andrea Schmidt, Leiterin der KisuaheliRedaktion. Ob die neuen Radiogeschichten ankommen, werden wieder die Hörer der DW und der 25 Partnersender in Ostafrika entscheiden.

Die DW Akademie wird in Bolivien Strukturen für eine praxisnahe Journalistenausbildung aufbauen und mit kommerziellen und staatlichen Medien kooperieren. Mit der „Fundación para el Periodismo“ (Stiftung für Journalismus) wird sie eine duale Ausbildung, ähnlich einem Volontariat, entwickeln. Das Projekt, das auf mehrere Jahre angelegt ist, soll Modellcharakter haben. Gemeinsam mit dem Universitätsverband ABOCCS (Asociación Boliviana de Carreras de Comunicación Social) legt die DW Akademie darüber hinaus ein Programm zur Weiterqualifizierung von Dozenten auf. Beteiligt ist auch die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).

Online-Preis für DW-Reporter Stefan Nestler hat jüngst den „Großen Online-Preis“ des Verbands Deutscher Sportjournalisten erhalten. Nestler, DW-Reporter und passionierter Bergsteiger, hatte in seinem Blog über den Versuch berichtet, den Siebentausender Putha Hiunchuli zu besteigen. Der Sportjournalist war im Herbst 2011 im Rahmen einer Expedition zu der Tour aufgebrochen. In 7150 Metern Höhe, nur 100 Meter unter dem Gipfel, musste er die Tour abbrechen – unter anderem wegen schlechten Wetters.

„Investiga“ für Journalistinnen Die Deutsche Welle hat zwei Lokaljournalistinnen im kolumbianischen Barranquilla mit dem Medienpreis „Investiga“ ausgezeichnet. Für ihre filmische Geschichte über die Vallenato-Musik an der kolumbianischen Karibikküste gewann Lina Fuenmayor den ersten Preis. Der zweite Preis ging an Martha Amor Olaya für einen Radiobeitrag über das Geschäft mit Bodenschätzen in Kolumbien – ein äußerst brisantes Thema im Land. Der Medienpreis „Investiga“ wird einmal jährlich von der DW Akademie und der Universidad del Norte in Barranquilla vergeben.

Radionovelas zu sensiblen Themen: das Produktionsteam in Tansania

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Titelthema

©© Angelika Mendes, Deutschland

Fernstudium aus dem Flüchtlingslager in Kenia: Somalierin mit Studentenausweis der REGISUniversität in Denver, USA

Text Susanne Nickel, Freie Journalistin Bilder aus den Einsendungen zum KLICK!-Fotowettbewerb

Das Ticket für die Zukunft In der Diskussion um globale Entwicklung erhält das Thema Bildung wachsende Bedeutung. Dieser ­„Rohstoff mit Zukunft“ steht daher auch im Fokus des Deutsche Welle Global Media Forum 2012 in Bonn. „Kultur. Bildung. Medien – Zukunft lebenswert gestalten“, so der Titel der dreitägigen internationalen Medienkonferenz. Schirmherrin ist die Deutsche UNESCO-Kommission.

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©© Vesela Bogdanovic, Mazedonien

Medien als Mittler von Bildungsangeboten: Mädchen in Mazedonien

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om 25. bis 27. Juni erwartet die Deutsche Welle in Bonn wieder mehr als 1.600 Teilnehmer aus aller Welt. Medienschaffende treffen auf Vertreter aus Kultur, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. In mehr als 50 Veranstaltungen werden sie unter anderem über kulturelle Vielfalt, neue Formen der Wissensvermittlung und Nachhaltigkeit sowie über Bildung und Entwicklung diskutieren. Und stets geht es um die Frage, welche Rolle den Medien zukommt. „Über fehlende Bildung wird Armut zementiert“, so Professor Klaus Töpfer unlängst im DW-Interview. Der ehemalige Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen und ausgewiesene Afrika-Kenner sieht die Industrienationen in der Verantwortung. Es sei ihre Pflicht, dieses Thema auf die globale Agenda zu heben und entsprechend zu handeln. Doch dafür braucht es Mitstreiter und Öffentlichkeit. Deshalb fragt das Deutsche Welle Global Media Forum insbesondere nach der (Vorbild-)Funktion der Medien: Was können sie leisten, um das Bewusstsein für die Bedeutung von Bildung zu fördern?

Wie tragen Medien zu einem konstruktiven Umgang mit kultureller Vielfalt bei? Inwieweit können sie selbst nicht nur Mittler von Bildungsangeboten, sondern auch Akteur in Sachen Bildung sein? Denn, so DW-Intendant Erik Bettermann: „Wissen und Bildung sind das Fundament für Meinungsbildung.“ (siehe Interview Seite 12)

Den Einzelnen in der Masse sehen Die Sender dürften nicht nur auf die Quote schauen und dabei die Qualität aus dem Blick verlieren, appelliert Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks. ­ „Fernsehen muss schlau machen“, sagt er mit Blick auf den „Mediengipfel“ zum Auftakt der Konferenz: Im World Conference Center Bonn wird sich eine Expertenrunde im Plenum am Montag, 25. Juni, mit dem Thema „Medien zwischen Erfolgsdruck und Bildungsauftrag“ auseinandersetzen. Professor Franz Josef Radermacher von der Universität Ulm gibt den Impuls in einer

­ eynote. Aus seiner Sicht sind Quote und K Qualität dann miteinander vereinbar, wenn sich die Verantwortlichen einig sind, dass Aufklärung ihr Kerngeschäft sein muss. „Medien können und sollten einen größeren Beitrag leisten als bisher.“ Nur mit einem Angebot, das die Menschen motiviere, könne man Quote und Qualität gleichermaßen gewährleisten. Medien müssten stets „das Interesse an einer neuen Aufklärung“ verfolgen, so Radermacher. Sich inhaltlich ausschließlich einem Massenvotum zu unterwerfen, davor warnt auch Mikhail Shvydkoj aus Moskau. Der Sonderbevollmächtigte des russischen Präsidenten, der in der Runde dabei sein wird, sieht für die Medien „zwei Aufgaben: weltweit Informationen über wichtige Ereignisse zu liefern und Bildung zu vermitteln“. Shvydkoj: „Ein Ideal für Medien müsste berücksichtigen, was Thomas Mann als Aufgabe des Theaters beschreibt: den Einzelnen in der Masse sehen.“ Was bedeutet Bildung – angesichts eines weit gefassten Kultur-Verständnisses – im Kern? Die Ansprüche und Erwartungen der Teilnehmer und Partner des ­Deutsche

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Titelthema

Welle Global Media Forum sind vielfältig. Um dem gerecht zu werden, ist das Themenspektrum der Konferenz entsprechend breit: Es geht um Demokratie-Erziehung und globale Ethik, um die Schlagworte lebenslanges Lernen und Bildung für alle, um Integration und Chancengleichheit, um kulturelle Diversität, Identitätsverlust und interkulturellen Dialog. Stets im Blick haben die Teilnehmer dabei die Chancen und Risiken der Globalisierung und die Nachhaltigkeit von Maßnahmen.

Bildung im kulturellen ­Kontext verankern Dass es höchst unterschiedliche Sichtweisen gibt, bringt der Titel des zweiten Plenums am Folgetag zum Ausdruck: „Globalisierung – Freund oder Feind von k ­ ultureller

Konferenz-Splitter Rund 1.600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus aller Welt werden in diesem Jahr zum Deutsche Welle Global Media Forum erwartet. 2011 kamen die Gäste aus 90 Ländern, die etwa 400 Medienvertreter darunter aus 70 Ländern. Das World Conference Center Bonn ist auch 2012 Schauplatz der dreitägigen Konferenz. Der ehemalige Plenarsaal des Deutschen Bundestags am Rhein liegt in unmittelbarer Nähe zum UN-Campus und zur Deutschen Welle. Die Deutsche UNESCO-Kommission e. V. ist Schirmherrin des diesjährigen Kongresses. Rund 50 Partner unterstützen die Konferenz. Viele sind vor Ort präsent und stellen ihre Arbeit vor. Am Stand der Deutschen Welle haben die Gäste die Möglichkeit, einige Referenten in „Five Minutes for Debate“ zu erleben. Auch ein Medientraining bietet die DW Akademie an – ebenfalls am DW-Stand. Die drei besten Motive des Fotowettbewerbs „KLICK!“ können die Teilnehmer bis Dienstag, 26. Juni, 16 Uhr, ­auswählen.

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Es geht um die Wahl aus den zehn Finalisten – einige der KLICK!-Fotos finden Sie in dieser Weltzeit. Die Preisverleihung erfolgt am Mittwoch, 27. Juni, im Rahmen der Abschlussveranstaltung. Eine Twitterwall informiert in den Pausen über aktuelle Diskussionen zu Themen des Forums in den Sozialen Netzen. Die Bootstour auf dem Rhein mit Abendessen und Tanzmusik auf Einladung von DHL am Montag, 25. Juni, ist ebenso Teil des Rahmenprogramms wie der Empfang der Stadt Bonn am Dienstag in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland. Die Preisträger der BOBs Awards, da­ runter der Exil-Iraner Arash Sigarchi und Boukary Konaté aus Mali, erhalten ihre Auszeichnungen zum Abschluss des zweiten Konferenztags am Dienstag ab 18 Uhr im Plenarsaal des WCCB. Zum Abschluss des dreitägigen Kongresses lädt Intendant Erik Bettermann alle Gäste in die Deutsche Welle ein. Interessierte haben dann auch Gelegenheit, an Führungen durch die Zentrale des deutschen Auslandssenders teilzunehmen.

Vielfalt und interkulturellem Dialog“ lautet die Fragestellung. Georg Schütte, Staats­ sekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, der auf der Bonner Konferenz dabei sein wird, betont in einem Interview, wie notwendig es sei, Bildung im kulturellen Zusammenhang zu verankern: „Bildungszusammenarbeit und kulturelle Zusammenarbeit gehen Hand in Hand. Bildung schafft und rekonstruiert in immer neuen Formen die Bildungstradition einzelner Länder. Bildung kann nicht aus dem kulturellen Kontext herausgezogen werden“, so Schütte. Dazu gehören historische Entwicklungen und kulturelle Verwerfungen, die unterschiedliche Voraussetzungen schaffen, wie der Bürgerrechtler Denis Goldberg aus Südafrika erklärt: „Wir begreifen Bildung ganzheitlich. Bildung ist das Lebensmittel für die Generationen nach der Apartheid und viel mehr als bloßes Universitätswissen. Es umfasst die Sozialpolitik, die Ökonomie, unser Streben nach Wohlstand – unseren Alltag eben.“

Verantwortung und ­Wächterrolle übernehmen Nur einige Tage nach dem UN-Erdgipfel Rio+20 in Brasilien bietet das Deutsche Welle Global Media Forum ein namhaft besetztes Panel zum Thema „Bildung und nachhaltige Entwicklung – Zwei Seiten einer Medaille“: Mit Goldberg wird hier unter anderem Thomas Pogge, Philosoph und Professor an der Yale University (USA), diskutieren. Pogge wird in der Presse als „Weltverändererdenker“ und „radikalster Gerechtigkeitsdenker der Gegenwart“ bezeichnet. Mit Blick auf die Bonner Konferenz findet Pogge deutliche Worte, wenn es um Chancengleichheit im globalen Kontext geht. Im DW-Interview wirft er den Industriestaaten Versagen vor und nimmt sie in die Pflicht: Unsere moralische Verantwortung ergebe sich „daraus, dass wir – zusammen mit vielen anderen wohlhabenden Menschen weltweit – die Armen viel zu viel schädigen“. Die Wächterrolle der Medien sieht er nur unzureichend erfüllt: „Sie müssen sich auf ihre Verantwortung besinnen, das Gewissen der Bürger zu sein oder wenigstens zu informieren und anzuregen“, sagte ­Pogge. Als man 2001 die UN-Millenniumsziele „verfälscht“ habe, indem beispielsweise die für das Jahr 2015 angestrebte Höchstzahl extrem armer Menschen um 335 Millionen erhöht worden sei, habe er alles versucht,


Für Werte sensibilisieren Von anderen Verbrechen wird im Panel „Umkämpftes Wissen: Chancen und Risiken der Bildungsarbeit in Krisen- und Konfliktsituationen“ die Rede sein, spätestens wenn die Menschenrechtsaktivistin Theary Seng aus Phnom Penh, Kambodscha, das Wort ergreift. Unter der Gewaltherrschaft der Roten Khmer saß sie im Gefängnis, ihre Eltern wurden ermordet. Sie weiß um die Schwierigkeit, Menschen in einer geschundenen Gesellschaft wieder aufzurichten und für

©© Muhammad Fuqan, Pakistan

©© Aditya Rahman, Indonesien

„diesen Betrug auf Kosten der Ärmsten in die Medien zu bringen“. Was ihm nicht gelungen sei. Dabei zeigte sich Pogge überzeugt: „Mithilfe der Medien hätte dieses Verbrechen verhindert werden können.“

©© Zheng Nan Ying, China

Bildung hat viele Gesichter, kennt viele Wege, aber kein Alter: Impressionen aus China, Indonesien und Pakistan

Werte zu sensibilisieren. Dabei ist Bildung ein elementarer Baustein: „Bis heute fokussiert sich die demokratische Erziehung bei uns auf die Rechte und selten auf die Verantwortung. Für mich definiert sich ein Bürger als eine Person, die ihre Rechte kennt und sie verantwortlich wahrnimmt. Verantwortung und Rechte sind zwei Seiten einer Medaille.“ Bildung, Erziehung, Kultur: Nur auf der Grundlage eines historischen Bewusstseins, über Aufklärung und Information könne in unserer globalisierten Welt Orientierung vermittelt werden, ist DW-Intendant Bettermann überzeugt. Experten und Zeitzeugen aus aller Welt werden auf dem Deutsche Welle Global Media Forum 2012 über die Rolle diskutieren, die den Medien dabei ­zukommt.

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Titelthema

Fragen von berthold stevens

„Das Fundament für Meinungsbildung“ ©© DW/J. Schulzki

Erik Bettermann, Intendant der Deutschen Welle, erläutert im Weltzeit-Interview, ­welchen Stellenwert Bildung und Wissen als Zukunfts­ themen haben, welche Rolle den Medien zukommt und wie die DW ihren Bildungsauftrag ­umsetzt. 2014 endet die „Weltdekade Bildung für nachhaltige Entwicklung“, die Bildungsoffensive der Vereinten Nationen. Ist das Thema „Bildung für alle“ also in Kürze durch? Keineswegs. Bildung in ihrer ganzen Vielschichtigkeit hat nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt. Es ist eines der zentralen Zukunftsthemen der Globalisierung und bleibt daher aktuell – auch hier in Deutschland. Wissen und Bildung sind auch für unser Land ein wichtiger Rohstoff. In der Informations- und Wissensgesellschaft gilt lebenslanges Lernen nicht nur für den einzelnen Menschen, sondern auch für Gesellschaften und Nationen. Erziehung, Kultur und Bildung für alle sind ein Schlüssel zu einem friedlichen Miteinander, zu Entwicklung und interkulturellem Dialog. Hierfür müssen wir nachhaltig weltweit Bewusstsein schaffen – über 2014 hinaus. Brauchen wir eine weitere globale Bildungsoffensive? Ja, denn wir sind noch weit entfernt davon, dass der Wissensschatz und die Bildungsressourcen im globalen Dorf für alle zugänglich sind und jeder nach seinen individuellen Möglichkeiten teilhaben kann. Auf der einen Seite haben wir die vernetzte Informationsgesellschaft, auf der anderen

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„Wir legen das Hauptaugenmerk auf Nachhaltigkeit und partnerschaftlichen Dialog“: DW-Intendant Erik Bettermann


©© Andreas Herrmann, Deutschland

Seite weltweit 800 Millionen Analphabeten. Die „digitale Alphabetisierung“ ist eine zusätzliche Herausforderung: Ein Drittel der Menschheit hat Zugang zum Internet. Für sie ist Wissen nur einen Klick entfernt, sind Austausch und Vernetzung Alltag. Alle anderen sind ausgeschlossen. Wir müssen die Voraussetzungen schaffen, dass sich diese Schere schließt.

©© Amy Elshaarawy, Ägypten

Wie kann das Deutsche Welle G ­ lobal Media Forum dazu beitragen? Wir bringen Medienvertreter aus aller Welt mit Akteuren aus Kultur, Politik, Wirtschaft, Entwicklungszusammenarbeit und Wissenschaft zusammen. Drei Tage lang erarbeiten sie interdisziplinär Lösungsansätze. Zahlreiche Organisationen und Ins­ titutionen beteiligen sich als Partner an den 50 Veranstaltungen. Wir werden ein großes Spektrum von Aspekten eines weit verstandenen Bildungs- und Kulturbegriffs diskutieren. So wird es beispielsweise darum gehen, wie sich Lernen im Zeitalter der Neuen Medien verändert, welche Chancen sich uns durch orts- und zeitsouveränes Lernen bieten. Was heißt das für die Zukunft der traditionellen Präsenzuniversitäten? Müssen Entwicklungsländer noch in teure Hochschulbauten investieren oder besser in eine virtuelle Bildungsinfrastruktur? Wir fragen: Wie muss künftig Politische Bildung vermittelt werden? Welche Rolle spielt Diversity Reporting, also die Vielfalt in der Berichterstattung, die nichts und niemanden außen vor lässt. An Fallbeispielen zeigen wir, was der Einzelne tun kann. Ein wunderbares Beispiel ist Boukary Konaté aus Mali, ein Gewinner unseres Blog-Awards The BOBs: Er macht das Internet der Dorfbevölkerung seines Landes zugänglich und schreibt in seinem Blog darüber.

Nur ein Drittel der Menschheit hat ­Zugang zum Internet: ortssouveräner Leser in Ghana, Studentinnen in Ägypten

Welche Rolle kommt international agierenden Sendern wie der DW zu? Das Deutsche Welle Global Media Forum ist ein Medienkongress. Das heißt zum einen, dass auch in diesem Jahr wieder zahlreiche Vertreter unserer Partnersender aus aller Welt in Bonn dabei sein werden. Das bedeutet zum anderen, dass wir stets die Rolle der Medien im Kontext des Konferenzthemas beleuchten. Medien kommt beim Thema Bildung und Kultur eine zentrale Bedeutung zu. Internationale Sender wie die Deutsche Welle erreichen fast jeden

­ inkel der Welt. Eine große HerausfordeW rung ist etwa die Entwicklung von Formaten, die Wissen und Bildung im partnerschaftlichen Dialog vermitteln. Auch der Austausch zwischen Sendern in Industrie-, Transformations- und Entwicklungsländern zählt hierzu. Medien müssen durch eine umfassende Darstellung, durch Hintergrundinformationen und Einordnungen diese Prozesse begleiten – und auch beeinflussen. Bildung und Wissen sind das Fundament für Meinungsbildung.

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©© Horst Frommont, Deutschland

Titelthema

Wie setzt die DW das um? Wir liefern den Menschen die Informationen, die im Sinne von Demokratisierung und Entwicklung, Dialog und Frieden erforderlich sind. Zu unserem Auftrag gehört, auf der Grundlage unseres Wertekanons ein umfassendes Bild unseres Landes zu vermitteln. Wir berichten unter anderem über gesellschaftliche und kulturelle Aspekte, die in anderen Ländern Interesse wecken, vielleicht Modellcharakter haben können. Mit Blick auf das Konferenzthema sei hier auf die duale Berufsausbildung verwiesen – ein stark nachgefragter Exportartikel. Unser föderales System, die duale Medienordnung, deutsche Ingenieurskunst, das sind weitere

Felder. Wir schauen aber natürlich über den deutschen Tellerrand weit hinaus. So stellen wir beispielsweise gelungene Bildungsprojekte in anderen Ländern vor und machen sie unserem weltweiten Publikum in vielen Sprachen zugänglich. Information, Bildung und interkultureller Austausch – das ist der Kern der DW. Wie spiegeln das die journalistischen Angebote? Lassen Sie mich einige Projekte hervorheben: „Bildung für alle“ ist der Titel eines aktuellen Multimediaprojekts. Junge Blogger aus Argentinien, Deutschland, Irak, Kenia und Russland schildern ihre individuellen

Bildungswege und berichten von den Erfahrungen, die sie mit den Themen Bildung und Chancengleichheit in ihrer Heimat gemacht haben. „Global Ideas“ ist eine Sendereihe, in der wir Ideen aus aller Welt für eine bessere Zukunft vorstellen. In der Reihe ­Learning by Ear produzieren wir gemeinsam mit Partnern in Afrika und Afghanistan Radionovelas zu jungen Alltagsthemen. Wer bei uns studieren möchte, greift auf das Informationsportal „Study in Germany“ zu, und wer Deutsch lernen will, findet bei der DW ein umfassendes, facettenreiches Sprachkursangebot. Eine zusätzliche Dimension unseres Bildungsauftrags ist das Portfolio u ­ nserer

Jürgen Boos ist seit 2005 Direktor der Frankfurter Buch­ messe. Der 50-Jährige stammt aus Mannheim, ist ausgebildeter Verlagsbuchhändler und studierter Betriebswirt. Seit 1991 war er in diversen Verlagen verantwortlich tätig.

Denis Goldberg aus Südafrika wurde als Bürgerrechtler im Kampf gegen Apartheid 1963 zu lebenslanger Haft verurteilt, 1985 kam er frei. 1995 gründete er die Organisation „Community H.E.A.R.T.“, um schwarze Südafrikaner zu unterstützen.

Christine M. Merkel, Leiterin des Fachbereichs Kultur, Memory of the World, der Deutschen UNESCOKommission e. V., ist studierte Historikerin und Psychologin. Sie berät Bundesregierung und Bundestag in UNESCO-­Fragen.

Mohamed Ibn Chambas ist Generalsekretär der Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP). Der Anwalt und Politiker aus Ghana war bis 2010 Vorstandssekretär der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS).

Bacharuddin Jusuf Habibie, indonesischer Wissenschaftler und Politiker, war von 1998 bis 1999 Staatspräsident seines Landes. Nach Beendigung seiner politischen Laufbahn gründete er gemeinsam mit seiner Frau und seinen Söhnen in Jakarta das „Habibie Center“.

Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn und Mitglied des „Scientific Advisory Board on EU Development Policy“, wurde kürzlich in die neu gegründete „Knowledge Advisory Commission“ der Weltbank berufen.

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©© Habibie Center

Auf dem Podium


©© Ryan Fernandez, Philippinen

©© Al-Hadithee Nawfal, Irak

Akademie mit dem Ziel weltweiter Medienförderung. Ihre aktuellen Schwerpunkte reichen vom Kinderfernsehen in den paschtunischen Gebieten Pakistans – an denen auch afghanische Kollegen teilnehmen – über eine Exzellenzinitiative der UNESCO in Afrika, die sich an Hochschullehrer von 21 Partneruniversitäten aus 14 Ländern wendet, bis hin zur Unterstützung beim Aufbau von öffentlich-rechtlichen Strukturen, etwa bei vormaligen Staatssendern in arabischen Ländern und in ­Lateinamerika. Immer geht es um Langzeitprojekte, denn das Hauptaugenmerk legen wir auch hier auf Nachhaltigkeit – und auf partnerschaftlichen Dialog.

Schere schließen, Perspektiven ­eröffnen: Bildung für alle – in Äthiopien, Irak und auf den Philippinen

Mahmoud Mohieldin, ägyptischer Politiker und Professor der Volkswirtschaft und Politikwissenschaft an der Universität Kairo, wurde im Herbst 2010 zu einem der Direktoren der Weltbank ernannt. Er ist dort verantwortlich für den Wissens­ transfer.

Thomas Pogge, seit 2008 Professor für Philosophie und internationale Angelegenheiten an der Yale University, hat zahlreiche Arbeiten zu Kant und Rawls und zu Fragen der globalen Gerechtigkeit veröffentlicht. Viel diskutiert wird sein Buch „World Poverty and Human Rights“.

Theary Seng ist kambodschanische Menschenrechtsaktivistin und Gründungspräsidentin des „Center for Cambodian Civic Education“ (CIVICUS). 2008 erregte sie Aufsehen mit ihrer Aussage vor dem Tribunal gegen „Brother Number Two“ Nuon Chea.

Traver Ncube aus Simbabwe ist Medienunternehmer und Direktor der „Mail & Guardian“-Gruppe in Südafrika sowie des „Zimbabwe Independent“ und Vorsitzender der „Commonwealth Press Union“. 2008 erhielt er den Afrika-Preis der Deutschen ­Afrika Stiftung.

Franz Josef Radermacher ist Professor für „Datenbanken und Künstliche Intelligenz“ an der Universität Ulm. Seit 2002 ist er Mitglied im Club of Rome und seit 2005 Mitglied im Deutschen Nationalkomitee der UNESCO für die Weltdekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“.

Mikhail Efimovich Shvydkoj, promovierter Kunsthistoriker, ist seit 2008 Sonder­ bevollmächtigter des Präsidenten der russischen Föderation für internationale kulturelle Zusammenarbeit.

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Titelthema

Fragen von Ralf Nolting Geschäftsführer DW Media Services GmbH

„Wir helfen nachhaltig“

Bezieht sich diese Bedeutung der „­sozialen Kompetenz“, die dadurch zum Ausdruck kommt, auch auf die Rekrutierung Ihres Personals? Mitarbeiter wählen heute ihren Arbeitgeber mehr denn je auch nach dem gesellschaftlichen Leistungsbeitrag des Unternehmens aus. Als weltweit führender Post- und Logistikdienstleister spielen wir ohnehin eine zentrale Rolle für die Wirtschaft als Ganzes wie auch für jeden Einzelnen. Darüber hin­ aus tragen wir Verantwortung für die Gesellschaft und unseren Planeten. Mit den drei Programmen GoGreen, GoHelp, GoTeach wollen wir hier unseren Beitrag leisten – zum Beispiel durch die Zusammenarbeit mit unseren Partnern, etwa den Vereinten Nationen oder den SOS-Kinderdörfern. Im Rahmen dieser Partnerschaften sind es wiederum unsere Mitarbeiter, die ihre sozialen und fachlichen Kompetenzen einbringen. Das tun sie beispielsweise, indem sie Schülerinnen und Schüler aus SOSKinderdörfern als Mentor unterstützen und ihnen so den Zugang zur Arbeitswelt ermöglichen, der ihnen ansonsten verwehrt bliebe. Bei all diesen Aktivitäten kommt der persönlichen und sozialen Kompetenz aus meiner Sicht eine große Bedeutung zu.

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©© Deutsche Post DHL

Deutsche Post DHL unterstützt das Deutsche Welle Global Media Forum. Unter dem Schlagwort „Living Res­ ponsibility“ fokussiert das Unternehmen drei Themen: „GoGreen“ hat sich eine Reduzierung der CO2-Emissionen zum Ziel gesetzt, „GoHelp“ bietet logistische Hilfe nach Naturkatastrophen und ­„GoTeach“ bündelt Bildungsaktivitäten weltweit. Fragen dazu an CEO Frank Appel.

470.000 Mitarbeiter weltweit: Deutsche Post DHL-Chef Frank Appel

Globalisierungskritiker monieren, dass Wirtschaftsunternehmen ihrer Verantwortung vor Ort nicht immer gerecht werden. Welcher Kodex ist Ihnen in diesem Zusammenhang als Unternehmer wichtig? Wir sind ein weltweit agierendes Unternehmen mit rund 470.000 Mitarbeitern in fast allen Ländern dieser Welt. Gerade weil wir einen direkten Einblick in unterschiedliche Lebensbedingungen haben, wollen wir Verantwortung übernehmen. Dies spiegelt sich auch in unserem Leitmotiv

„­ Respekt und ­Resultate“ wider, das im Umgang ­miteinander und mit unserer Umwelt gleichermaßen gilt. Seit 2006 sind wir Unterzeichner des Global Compact der Vereinten Nationen, der die Rahmenbedingungen für verantwortliches und ethisches Handeln für u ­ nsere Mitarbeiter stellt. Wir folgen außerdem einem Verhaltenskodex, der für alle u ­ nsere Regionen und Geschäftsbereiche gilt. Er beschreibt unsere Ziele und Regeln für ein verantwortliches, ethisches und rechtsverbindliches Verhalten.


Verantwortung hat für uns in dem Zusammenhang viele Dimensionen: So möchten wir den Zugang und die Qualität von Bildung verbessern. Gemeinsam mit unseren Partnern Teach For All und SOS-Kinderdörfer sind wir mittlerweile in elf Ländern tätig. Während der Schwerpunkt in Brasilien etwa auf Mentoring-Programmen liegt, hat Südafrika einen größeren Bedarf an Berufspraktika. Es ist uns wichtig, dass wir unser Know-how nachhaltig einsetzen. Und das funktioniert am besten, wenn man direkt vor Ort tätig ist. Was kann ein Unternehmen wie DHL tun, um Zukunftsfähigkeit zum Beispiel auf dem afrikanischen Kontinent zu fördern? Afrika hat ein sehr großes Entwicklungspotenzial. Dank seiner immensen Vielfalt, der vorhandenen Ressourcen und insbesondere dank seiner Menschen. Afrika hat große Rohstoffvorräte und mit der kontinuierlichen Entwicklung steigt auch der ­Handelsbedarf.

»Verantwortung hat für uns viele Dimensionen.« Ein effizienter und funktionierender Transportsektor wird damit zu einer entscheidenden Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes. Mit unserer Dienstleistung, die wir in diesen Ländern anbieten, leisten wir also bereits einen wichtigen Beitrag zur Förderung Afrikas. Doch damit endet unser Engagement noch lange nicht: Auch in Afrika arbeiten wir sehr eng mit den SOS-Kinderdörfern zusammen, um Kindern und Jugendlichen eine berufliche Ausbildung zu ermöglichen. Momentan in Madagaskar und Südafrika, noch in diesem Jahr kommen Partnerschaften in Ghana und Kenia hinzu. Wir engagieren uns hier nicht nur aus purem Altruismus, denn schließlich sind auch wir auf gut ausgebildete Mitarbeiter mit lokalem Know-how angewiesen. Fühlen Sie sich als Unternehmer im Globalisierungsprozess seitens der Presse – gerade auch im Bereich von „Social Media“ – gelegentlich zu Unrecht attackiert? Wir wissen, dass nicht alle unsere Prozesse jeden Tag zu einhundert Prozent funktionieren – auch wenn das unser Anspruch sein muss. Wenn sich also hin und wieder Unmut regt, müssen wir das akzeptieren und damit umgehen. Auch das gehört zu unserem Geschäft.

das Läuft

Bildung für alle Die Deutsche Welle hat Anfang Mai das Multimediaprojekt „Bildung für alle“ gestartet. Im Mittelpunkt: fünf Blogger aus Argentinien, Deutschland, Irak, Kenia und Russland, die über die Bildungsziele der UNESCO diskutieren. Auf dem Weltbildungsforum 2000 in Dakar (Senegal) hatten sich 164 Länder verpflichtet, sechs Bildungsziele bis zum Jahr 2015 zu erreichen. Unter anderem geht es darum, die Alphabetisierungsrate besonders unter Frauen deutlich zu erhöhen und eine Gleichberechtigung der Geschlechter im gesamten Bildungsbereich anzusteuern.

Das Multimediaprojekt der DW beleuchtet aus unterschiedlichen Perspektiven, wie weit die Umsetzung der Bildungsziele gediehen ist, wo es noch hakt und in welchen Ländern Bildung bewusst gefördert oder unterdrückt wird. Auf Deutsch und Englisch schildern fünf junge Blogger aus Argentinien, Deutschland, Irak, Kenia und Russland ihre individuellen Bildungswege und berichten von den Erfahrungen, die sie mit den Themen Bildung und Chancengleichheit in ihrer Heimat gemacht haben. Darüber hinaus gehen sie zwei Monate lang im Dialog miteinander der Frage nach, ob Menschen in Industrienationen von besseren Bildungschancen eher profitieren als Bürger in Schwellen- und Entwicklungsländern. „Lesen und schreiben lernen reicht nicht. Wenn dies nicht zur Verbesserung der eigenen Lebensverhältnisse genutzt werden kann, verlernen Schüler die Grundkenntnisse wieder“, ist Claudia Lohrscheit vom Institut für Menschenrechte überzeugt. Gute Bildung sei zudem nicht nur ein Problem armer Länder, sondern hinterlasse auch in Industriestaaten Spuren. Lohrscheit: „Privat finanzierte Elitenförderung darf nicht zur Ausgrenzung und Diskriminierung von Kindern aus ärmeren Schichten führen.“ Ergänzt wird das vorwiegend Internet-basierte Projekt der DW um Korrespondentenberichte aus mehreren Ländern, etwa mit Videos über beispielhafte Bildungsprojekte. Darüber hinaus geben DW-Journalisten einen Überblick über die weltweite Bildungssituation und über die äußerst unterschiedlichen Etats für Bildung. Und sie zeigen, wie weit sich Länder in Afrika, Asien, Lateinamerika und Europa den Zielen der UNESCO-Erklärung aus dem Jahr 2000 angenähert haben. Alle fünf Blogger haben ihre Teilnahme am Deutsche ­Welle Global Media Forum Ende Juni zugesagt. www.dw.de/bildungfueralle http://blogs.dw.de/bildungswege www.dw.de/educationforall http://blogs.dw.de/educationblog

Deutsche Welle

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Titelthema

Text Gunnar Rechenburg Freier Mitarbeiter

Wissen vermitteln – Perspektiven schaffen Die DW Akademie steht für Medienentwicklungszusammenarbeit weltweit. Dabei geht es auch um Bildung: Journalisten werden trainiert, Sender und Verlagshäuser beraten. Und es ­werden Möglichkeiten gesucht, über Medien Bildungsangebote zu machen.

480 Projekte in 70 Ländern Bildungsförderung ist ein Schwerpunkt der deutschen Entwicklungspolitik. Ohne Bildung, so heißt es in der entsprechenden Strategie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), „ist menschliche Entwicklung nicht möglich“. Sie zu fördern sei deshalb eine wichtige Aufgabe der Entwicklungspolitik. Die DW Akademie ist der wichtigste Partner des BMZ in der Medienentwicklungszusammenarbeit.

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Weltzeit 3 | 2012

Kinder-TV in Sambia: das Projekt „Wissen macht Spaß“ der DW Akademie

©© Katarzyna J. Kowalska, Polen

„Unser Auftrag ist sehr vielschichtig“, sagt Gerda Meuer, Direktorin der DW Akademie. „Volontariate für Jungjournalisten aus aller Welt, der Masterstudiengang International Media Studies, Medientrainings für Hilfsorganisationen, Verbände und staatliche Stellen und die Projekte der Medienentwicklung im Ausland.“ 2011 waren es rund 480 Projekte in 70 Ländern. Immer geht es dabei um die Aus- und Fortbildung von Medienmachern. „Unser Anspruch ist es, die Kompetenz und Souveränität der Journalisten, Techniker, Manager und Trainer unserer Partnersender in Entwicklungs- und Transformationsländern zu stärken“, so Meuer. Das Bildungskonzept des BMZ hat drei Säulen. Unter die Berufliche Bildung fällt auch Bilals Ausbildung zum Trainer. Die zweite Säule ist die Hochschulausbildung, auch hier ist die DW Akademie stark engagiert. Ein Beispiel ist Nicaragua. Dort wird in diesem Jahr ein bislang einzigartiges Projekt beginnen: „Diplom Umweltjournalismus“ ist der Titel dieser Zusatzausbildung für Journalisten an der Universität von Managua. Ziel ist es, Lokaljournalisten zu befähigen, professionell und vor allem investigativ über Umweltthemen zu berichten. Bereits seit 2009 arbeitet die DW Akademie eng mit der Universität zusammen. Ähnliche Kooperationen gibt es unter anderem mit Hochschulen in Kolumbien und Laos. Besonderes Augenmerk legt das BMZ auf den Bereich Grundbildung. Laut UNESCO haben weltweit mindestens 72 Millionen Kinder im Grundschulalter nicht die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen. Es fehlt an gut ausgebildeten Lehrern, an Unterrichtsmaterialien und Klassenräumen. Und es fehlt an Geld. Noch immer können es sich

72 Millionen Kinder sind vom Besuch einer Grundschule ausgeschlossen: Schulen im Kongo und in Ägypten

©© Zahra Salah El Din, Ägypten

„Radio ist in der Lage, sozialen Wandel herbeizuführen. Es muss nur gut gemacht und vor allem glaubwürdig sein“, sagt Mohammad Bilal. Er arbeitet als Journalist für die staatliche Pakistan Broadcasting Corporation (PBC) in Peschawar, im Westen Pakistans, nahe der afghanischen Grenze. Kurz hinter Peschawar beginnen die sogenannten Tribal Areas, die Rückzugsgebiete der Taliban. Die Menschen dort sind oft von Informationen abgeschnitten. Das machen sich vor allem die radikal-islamischen, den Taliban nahestehenden Gruppen zunutze. Mit Piratensendern verbreiten sie Propaganda und suchen Unterstützer. Geht diese Rechnung auf, könnte sich die politische Lage in der Region noch verschärfen. „Es hat sich gezeigt, dass Radio im Kampf gegen die Radikalen ein effektives Mittel sein kann“, sagt Bilal. Und wieder fällt das Wort Glaubwürdigkeit. Bilal hat in den vergangenen Jahren an mehreren Trainings der DW Akademie in Pakistan teilgenommen. Jetzt wurde er selbst zum Trainer ausgebildet.


meinung

Text Miodrag Soric Leiter Studio Washington

Business und Bildung Geben wir es zu: Viele Europäer schauen mit Unverständnis auf die US-Amerikaner. Manche blicken sogar herab auf den „großen Bruder“. Weshalb? Ein oft genannter Grund ist die angeblich mangelhafte Bildung der Amerikaner, die zurückgeführt wird auf das amerikanische Fernsehen. Zu Recht?

viele Familien vor allem in Afrika nicht leisten, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Die Armut wird vererbt.

„Wissen macht Spaß“ An dieser Stelle setzt unter anderem das Projekt „Wissen macht Spaß“ an. Die DW Akademie trainiert Journalisten und Fernsehtechniker aus Ost- und Südafrika bei der Entwicklung neuer TV-Sendungen für Kinder. Im vergangenen Dezember haben Trainingsteilnehmer des sambischen Senders MUVI TV ein Magazin für Sieben- bis Elfjährige produziert. Die Pilotsendung reichten sie beim internationalen Jugendfilmfestival Prix Jeunesse in München ein. Anfang Juni 2012 wurde die Sendung dort im Rahmen des Wettbewerbs gezeigt. Ziel des Projekts ist es, Wissen zu vermitteln und neue Perspektiven zu schaffen. Klar ist: Massenmedien können Schulbildung nicht ersetzen – aber sie äußerst effektiv ergänzen. Dass das funktioniert, zeigt sich schon jetzt in Pakistan. Dort konnten neue TV-Formate für Kinder etabliert werden, vor allem im fragilen Westen des Landes, im Grenzgebiet zu Afghanistan. In Zukunft soll die Ausbildung dort intensiviert werden – auch in Zusammenarbeit mit der Universität in Peschawar. Ziel ist es, gute Journalisten zu Trainern im eigenen Land zu machen. So wie Bilal, der in Peschawar Radiojournalisten ausbildet.

Fox-News oder MSNBC zum Beispiel. Die Massenmedien würden Propaganda verbreiten, seien unprofessionell und fokussiert auf die USA. Kein Wunder, so heißt es, dass die Amerikaner nichts vom Rest der Welt verstünden. Gegenrede: Was heißt hier „unprofessionell“ oder „Propaganda“? Europäer, die das US-Fernsehen kritisieren, gehen von falschen Voraussetzungen aus. Sie glauben, dass diese privat geführten Kanäle so etwas wie einen Bildungsauftrag hätten. Sie meinen, die Fernsehsender sollten – wie die öffentlich-rechtlichen in Deutschland – über das politische Geschehen berichten, aufklären. Weit gefehlt. Den Inhabern von Fox-News oder anderen sogenannten Nachrichtenkanälen geht es vor allem ums Geldverdienen. In Wahlkampfzeiten ein besonders gutes Geschäft. Meinungsjournalismus ist in den USA Mittel zum Zweck. Wer „on camera“ ist, weiß, was die Zuschauer erwarten: die Beschimpfung des jeweiligen politischen Gegners. Moderatoren bei Fox-News lassen kein gutes Haar an den Demokraten. MSNBC-Propagandisten machen sich lustig über die Kalten Krieger bei den Republikanern. Für diese Form der Unterhaltung werden sie fürstlich bezahlt, die prominentesten scheffeln Millionen für ihre Sendungen. Womit wir beim beruflichen Selbstverständnis der journalistischen Zunft in den USA wären. Nach deutschen Maßstäben sollte ein Redakteur zumindest fair berichten, sich der Wahrhaftigkeit verpflichtet fühlen. Im Prinzip gilt das auch für die meisten US-amerikanischen Redakteure. Doch bei den großen Networks gilt vor allem das Gesetz der Quote. Da bleibt Qualitätsjournalismus schon mal auf der Strecke.

Nach den Terrorangriffen vom 11. November 2001 wurde bei rechtskonservativen Sendern so etwas wie „patriotischer Journalismus“ populär. Reporter sympathisieren bei der Berichterstattung offen mit den amerikanischen Truppen in Irak oder Afghanistan. Fernsehmoderatoren geben gar nicht erst vor, eine neutrale Haltung einzunehmen. Für westeuropäische Korrespondenten in Washington ist das nur schwer erträglich. Doch selbstverständlich kann sich jeder US-Bürger umfassend informieren: im Internet, bei hervorragenden Zeitungen wie Washington Post, New York Times oder Wall Street Journal. Beim Public Radio NPR. Beim Doku-Kanal C-Span. Viele Amerikaner greifen auf liberale und konservativ ausgerichtete Medien zurück. Am Ende bilden sie sich eine eigene Meinung. Ermüdet vom Hurra-Patriotismus einheimischer Sender, überfordert durch die Kriege in den vergangenen 20 Jahren, lernen immer mehr US-Bürger Auslandssender schätzen. Dabei konkurrieren europäische Sender wie BBC, DW und TV5 mit den finanziell gut ausgestatteten Kanälen Russia Today, Al Jazeera und dem chinesischen CCTV. Freilich erreichen Auslandssender nur eine Minderheit im Land, eine Elite vor allem in den großen Metropolen – New York, Washington, Chicago, Los Angeles. Laut einer repräsentativen Studie, die soeben von der Deutschen Botschaft in Washington veröffentlicht wurde, nutzen übrigens immer mehr US-Bürger das TV-Angebot der DW, um sich über das Geschehen in Deutschland und die deutsche Sicht auf das Weltgeschehen zu informieren.

Deutsche Welle

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Titelthema

Fragen von Anne Le Touzé-Schmitz Französisch-Redaktion

Wenn die Bibliothek brennt Boukary Konaté aus Mali ist Lehrer und Blogger. Bei den ­Deutsche Welle Blog Awards The BOBs 2012 hat er für seinen Blog „Fasokan“ den Special Topic Award Education and Culture erhalten.

Wie machen Sie das konkret? Es hat 2008 mit dem Projekt „Toujours pas sages“ (Immer noch nicht weise) angefangen. Es ging darum, Dorfbewohnern die Grundlagen für die Informationssuche im Netz und für mobile Kommunikation zu vermitteln. Mit Unterstützung der Netzwerke Global Voices und Rising Voices haben wir einen Workshop organisiert, in dem die Teilnehmer lernten, lokale Nachrichten per SMS ins Internet zu stellen, auch selbstgedrehte Videos im Netz zu veröffentlichen. Später gab es eine „Internet-Karawane“ entlang des Flusses Niger. Was motiviert Sie? Mir ist wichtig, Brücken zwischen den Dörfern und der Welt zu bauen. Nicht nur, damit ländliche Regionen ihre Traditionen und Kulturen mit dem Rest der Welt teilen, sondern auch, damit sie von den Erfahrungen anderer profitieren, um sich nachhaltig weiterzuentwickeln. Dörfer sind Orte, wo Tradition noch großgeschrieben, aber meistens nur mündlich weitervermittelt wird. Bei uns sagt man: „Stirbt ein alter Mensch, ist es so, als ob eine Bibliothek brennt.“ Deshalb müssen wir unsere kulturellen Reichtümer unbedingt schriftlich festhalten und im Internet veröffentlichen, für künftige Generationen und für Menschen anderer Kontinente. Mein Ziel

20 Weltzeit 3 | 2012

©© privat

Worum geht es in Ihrem Blog? Ich will einen Beitrag zur Förderung und zum Erhalt der Kulturen und Sprachen Malis leisten. Fasokan heißt „Sprache des Landes“ auf Bambara. Ich denke, dass Bloggen in afrikanischen Sprachen dabei helfen kann. Mein zweites Anliegen: Das Internet sollte der Bildung und Entwicklung dienen. Ländliche Regionen dürfen nicht ausgeschlossen bleiben. Deshalb bringe ich das Internet in die Dörfer.

ist auch, ­authentische Nachrichten aus den Dörfern, am besten in deren lokalen Sprachen, herauszubringen. Denn – wie wir sagen – „niemand kennt die Augenfarbe des Krokodils besser als der Fisch“. Auf welche Probleme stoßen Sie ­dabei? Oft bin ich in Dörfern unterwegs, wo es keinen Strom gibt, das ist das Hauptproblem. Ich löse es mit einer Solarzelle, einem Akku und einem Transformator, die ich dank eines Stipendiums gekauft habe. Es fehlt auch an finanzieller Unterstützung und an Ausrüstung. Aber wenn man von einer Sache überzeugt ist, sollte man vor Schwierig-

„Niemand kennt die Augenfarbe des Krokodils besser als der Fisch“: Boukary Konaté will tradiertes Wissen dokumentieren

keiten nicht zurückschrecken. Man muss mit den wenigen Mitteln, die man hat, die ersten Schritte machen. Vielleicht klopft das Glück dann doch an die Tür. Sie kommen zur Preisverleihung am 25. Juni nach Deutschland. Was erwarten Sie von Ihrem Besuch? Ich freue mich sehr, an diesem Wissensund Erfahrungsaustausch teilzunehmen. Das Deutsche Welle Global Media Forum in Bonn ist für mich auch die Gelegenheit, Menschen zu treffen, die ich bisher nur über das Internet kenne. Außerdem hoffe ich, viel über Deutschland zu erfahren.


Text Dominik Ahrens marketing

Wissen. Märkte. Partner.

Video für die Schule „Den dritten und am schnellsten wachsenden Absatzmarkt für edukative Inhalte stellen die boomenden Video-on-Demand-Plattformen dar“, betont Schneider. Gerade im Umfeld von Schule und Universität müssten die Lernenden jederzeit Zugriff auf die Sendungen haben. „Flexible Lizenzen für TV-Formate im Netz bieten wir schon lange erfolgreich an. Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit mit Yuan Lei, einer IPTV-Plattform chinesischer Universitäten.“ Dort stellen die Server der Universität Tausende Stunden Bildungsprogramme zum Abruf bereit, darunter ein Großteil des Angebots von DW Transtel. Auch für den afrikanischen Markt bietet die DW maßgeschneiderte Lösungen für Information und Bildung. Hier sind vor allem Radioangebote beliebt. Neben schulischen und universitären Kooperationen besteht eine große Nachfrage nach grundlegenden Angeboten zu Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Radionovelas der Reihe Learning by Ear vermitteln in sechs Sprachen alltagstaugliches Wissen vor allem für junge Leute. Auf

­ nterhaltsame Weise geht es beispielsweise um Gesundheitsvoru sorge, um Unternehmensgründung oder um interreligiösen Dialog. DW-Partner erreichen mit diesen Formaten ein großes Publikum: Über Radio Free Africa, den größten Sender in Tansania, und weitere Partner empfangen regelmäßig rund 40 Millionen Menschen ­Learning by Ear.

©© Hannah Münzer, Deutschland

Deutsche Expertise ist in vielen Bereichen hoch angesehen. „Unser Land genießt in der Welt einen hervorragenden Ruf, insbesondere, wenn es um Wissenschaft, Forschung und Bildung geht“, meint Vertriebsleiterin Petra Schneider: „In den Augen unserer Partner werden die Inhalte von DW und DW Transtel diesem Ruf sehr gerecht. Vor allem in Asien und Lateinamerika sehen wir eine steigende Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Inhalten, die auch in Schule und Universität eingesetzt werden können.“ Ob in Indien, Mexiko oder Tansania – edukative Inhalte sind ein globaler Wachstumsmarkt, in dem sich die DW mit anderen internationalen Anbietern platziert. „Die Partnerschaften der DW bedienen drei unterschiedliche Mediengruppen“, erklärt Schneider. „Zum einen kooperieren wir mit staatlichen Sendern, bei denen Bildungsprogramme einen festen Platz haben. Es sind zumeist Sender mit nationaler Reichweite, wie etwa La RED in Mexiko.“ Dieser größte öffentlich-rechtliche Verbund in Lateinamerika erreicht mit 56 angegliederten Radio- und TV-Sendern mehr als 35 Millionen mexikanische Haushalte. Die staatlichen Sender übernehmen nicht nur komplette Programme, gefragt sind besonders Formate von DW Transtel: Die Reihen Great Moments in Science and Technology und Know it! gehören zu den beliebtesten Angeboten. Die zweite große Gruppe der Partner sind laut Schneider ausgewiesene Bildungskanäle. „Das Netzwerk der IGNOU, der Indira Gandhi National Open University in Indien, ist ein Paradebeispiel für die Integration von DW-Inhalten in die universitäre Bildung. Durch diese Partnerschaft erhalten vier Millionen Studierende im ganzen Land Zugang zu Wissenschaftsprogrammen der DW, sowohl im Fernsehen als auch im Radio.“ Partner wie IGNOU schätzen besonders die Dokumentationen von DW Transtel und Magazine wie Tomorrow Today, die mit Analysen aktueller Forschungstrends das universitäre Angebot ergänzen.

Sprache als Exportartikel: Deutschunterricht in Chile

Deutsch auf Kurs Weit über 100 Radiopartner in Afrika und Asien, darunter mehrere Universitätssender, strahlen die Deutschkurse der DW aus. Hinzu kommen landesweite Radioketten in Afghanistan, Bangladesh, Pakistan und demnächst auch Indien, die ebenfalls Deutschkurse übernehmen. Die Radiosender in Indien und Pakistan haben eine edukative Mission: So gehört das landesweite indische Gyan Vani zur Indira Gandhi University und die pakistanische Kette VU Radio zur Virtual University of Pakistan. Bei Video-Plattformen, die Schulen und Universitäten in den USA, Kanada und Australien beliefern, ist die Telenovela Jojo sucht das Glück besonders gefragt.

Deutsche Welle

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heimat erleben

©© Heinz Heiss [M]

Unterwegs zwischen Heimat und Heimat: Steffen Möller

Steffen Möller ist bekennender Betweener. „Das sind Leute, die mit einem Bein diesseits und mit dem anderen Bein jenseits der Oder stehen und deswegen manchmal Muskelkater haben“, so der Kabarettist, Jahrgang 1969. Aufgewachsen ist er in Wuppertal, studiert hat er in Berlin: Philosophie und evangelischen Theologie. 1994 emigrierte er nach Warschau, wo er einige Jahre als Lektor arbeitete. Ein eigenes polnisches Kabarettprogramm brachte er erstmals 2001 in Krakau auf die Bühne. Der Beginn einer großen Karriere als „deutscher Gastarbeiter in Polen“, wie Möller sagt. Seither erhielt er eine Reihe von Auszeichnungen – darunter das Bundesverdienstkreuz. Im polnischen Fernsehen spielte er in 500 Folgen einer Telenovela, war Gast einer Comedy-Show und moderierte die polnische „Wetten, dass“-Show – dies allerdings „ein Total-Flop“, wie er es nennt.

22 Weltzeit 3 | 2012

deutschlandbild

FrAGEN VON Gönna Ketels Freie Mitarbeiterin

Pilze statt Punkte Wo die Polen die „Welle“ machen und warum Fußball ­Nebensache ist. Warum Angela Merkel klein und bescheiden r­ überkommt, Deutschland für Polen aber dennoch der große Nachbar bleibt. Antworten von dem in Warschau ­lebenden deutschen Kabarettisten Steffen Möller.

Zur Fußball-EM kommen wohl mehr deutsche Touristen nach Polen als je zuvor. Welcher Ruf eilt den deutschen Fans voraus? Der typische deutsche Fußballfan ist in den Augen der Polen der typische Deutsche, mit anderen Worten: der typische Bayer. Beim deutschen Fußball denken die meisten an die Allianz-Arena in München. Da fahren

polnische Reisegruppen hin, sitzen mit bis zu 30 Leuten im leeren Stadion und machen La Ola – weil sie Deutschland mit Hightech assoziieren. Kein Mensch würde hier Fahrradurlaub oder so etwas machen. Nach Deutschland fährt man ins Mercedes- oder BMW-Museum, in die Autostadt Wolfsburg und eben in die Allianz-Arena.


»Alle Polen sind Pilzesammler, Fußball ist eine marginale Sportart.« Polen klauen deutsche Autos – gibt es derlei Klischees umgekehrt auch in Polen von den Deutschen? Ja, klar. Was für uns der polnische Autodieb ist, ist für Polen der deutsche Nazi. Außerdem gelten wir als humorlos, als Angeber, wir können nicht tanzen, unsere Frauen sind hässlich, unsere Sprache ist hart, aber logisch – so wie auch unsere Mentalität. Hat sich daran in den vergangenen Jahren etwas verändert? Ja, es gab drei Ereignisse, die Deutschlands Image etwas verbessert haben. Erstens der EU-Beitritt, zweitens die Wahl des deutschen Papstes, der ja befreundet war mit Johannes Paul – mehr kann man auf dieser Welt nicht erreichen! – und drittens die Fußball-WM 2006. Außerdem Angela Merkel, weil sie so undeutsch wirkt: Sie ist klein, bescheiden, uneitel und leise. Das wird als sehr wohltuend empfunden. Trotzdem gelten wir Deutsche als der große Nachbar. Selbst wenn die deutsch-polnische Geschichte positiv verlaufen wäre, gäbe es trotzdem auf polnischer Seite Animositäten. Wie wir Komplexe gegenüber den Amerikanern ­ haben, so haben die Polen sie gegenüber ihrem großen deutschen Nachbarn. Und wer klaut in Polen die Autos? Die Russen natürlich, das große Feindbild. Und die Ukrainer. Werden mit den Deutschen auch positive Eigenschaften in Verbindung gebracht? Natürlich. Solidität, Disziplin und Pünktlichkeit. Aber wie wir wissen, kann man damit auch ein KZ leiten. Es fehlt uns ein bisschen die emotionale Sympathie in Polen. Man hat sie über den Kopf, aber die große Liebe? Offensichtlich können die Polen aber auch über uns lachen. Oder wie erklären Sie sich Ihren Erfolg als Komiker? Das wundert mich ja auch. Das wundert

auch viele Polen, die mir sagen: Das hätten sie sich nie vorstellen können, dass sie mal über einen Deutschen lachen würden. Ich werde immer wieder nach meinem Erfolgsrezept gefragt. Kurz gesagt: Selbstironie. Die erwartet man nicht von Deutschen. Außerdem ist es ein Sympathiefaktor, wenn man die Sprache kann. Und dann mache ich eben viele Beobachtungen über die Polen selbst. In meiner Show mache ich einen Crashkurs „Die wichtigsten polnischen Wörter“. Da üben wir die Frage „Jak tam?“ – „Wie geht’s?“ Darauf, sage ich, darf man in Polen nicht antworten: gut oder super. Das wäre Positive Thinking, das ist typisch deutsch. In Polen muss man gnadenlos realistisch sagen: „Stara bieda“, die alte Armut. In Polen gilt Negative Thinking. Bei all den Unterschieden – gibt es Parallelen zwischen Deutschen und Polen? Ja, es fängt bei der Geografie an. Es gibt nur diese zwei Länder in Europa, die eine völlig gleiche Geografie haben: Im Norden das Meer, im Süden die Berge, im Osten die Hauptstadt. Polen hat ähnlich wie Deutschland eine Ost-West-Teilung. Und die polnische Mentalität ist der unseren sehr ähnlich. Das können Sie schon daran festmachen, dass es in Polen die zweithöchste Zahl an Schrebergärten in Europa gibt – nur übertroffen von Deutschland. Stichwort: Pilzesammeln als polnischer Volkssport. Was hat es damit auf sich? Wer zwischen Juli und Oktober nicht mit einem Pilzeimerchen durch die Wälder rennt, der ist so seltsam wie ein Deutscher, der während des WM-Finales auf Arte einen portugiesischen Schwarzweißfilm guckt. Alle Polen sind Pilzesammler, Fußball ist dagegen eine marginale Sportart. In meinem neuen Buch stelle ich Fußball- und Pilzjargon gegenüber. Zum Beispiel Grundwissen: Der Ball ist rund. In Pilze wäre das: Pilze sind nicht Pflanzen und nicht Tiere, sondern irgendwas dazwischen. Und sie lassen

sich nicht züchten. Pilze machen, was sie wollen. Deshalb sind wir Deutschen auch keine Pilzsammler, weil sich das so schlecht planen lässt. Man muss improvisieren. Ein Deutscher baut lieber Petersilie im Garten an – da weiß er, wo die wächst.

Soeben erschienen ist sein neues Buch „Expedition zu den Polen – Crashkurs für Auswanderer“ (Malik, 2012, 14,99 Euro). So lautet auch der Titel seiner aktuellen Bühnenshow. Es geht um die wachsende Zahl deutscher Auswanderer nach Polen. Möller gibt Tipps: Was muss ich mitnehmen, wo gibt es Giftschlangen, wie baggere ich Doda Elektroda an? Außerdem: Die wichtigsten polnischen Wörter, falls mich die Polizei anhält. Tournee-Termine und mehr zu ­Steffen Möller und seinen Büchern: www.steffen.pl

Deutsche Welle 23


©© Fotolia/kameramann

heimat erleben

deutschlandbild

Text Jurko Prochasko Gastautor, Ukraine

Wo sich Allee und Autobahn kreuzen Unser Land als komplexes, vielfältiges Geflecht. Oder als ganzheitliches, gradliniges, unbeirrbares Land. Ein poetisches Deutschlandbild aus der Ukraine – und Einblicke in das Deutschlandbild der Ukrainer.

24 Weltzeit 3 | 2012

W

ie erkläre ich Deutschland? Deutschland ist das Land der Alleen. Mein Deutschland. Von dichten oder lichten, langen Alleen. Die sind sonnig und schattig, immer schön und vielversprechend. Und die führen von Anbeginn meines Deutschlands an in verschiedene Richtungen, verlieren sich in mannigfaltigen Landschaften, verführen zu mehr. Irgendwann kreuzen sie sich, selbst wenn sie in entgegengesetzte Richtungen führen, überschneiden sich, indem sie ein sehr komplexes, kompliziertes und vielfältiges Geflecht ausmachen. Dieses Geflecht ist für mich Deutschland. Mitten in diesen sehr schönen, sehr unterschiedlichen Landschaften liegen verschiedene Städte. Meistens sind sie eher klein. Aus der Ferne unterscheiden sie sich hauptsächlich durch die Farbe ihrer Dächer und die Art und Weise, wie die Dachsteine darauf liegen. Auch durch Silhouetten ihrer Kirchen und Dome. Ist man in ihrem Inneren angekommen, kommt es auch auf die Aussprache der Menschen und die jeweilige Bauweise an. Große Städte sind nicht so zahlreich, und die meisten tragen Spuren der früheren Zerstörungen, die die Städte mit mehr oder weniger gelungener Nachkriegsarchitektur wieder gutzumachen suchen. Im Laufe der Zeit werden diese neuen Bauten immer besser, so viel steht fest. Trotz der erheblichen Unterschiede in allem schafft das ganze Deutschland es aber, unmissverständlich deutsch zu sein.

Schnurgerade und schattenlos In meinem Heimatland Ukraine stellt man sich Deutschland ganz anders vor. Vielleicht liegt es daran, dass die wenigsten meiner Landsleute wirklich dort waren. Und diejenigen, die dort waren, kommen nur selten für längere Zeit zurück oder behalten die Erinnerungen für sich. Im Bild dieser Landsleute sind die Alleen, die kleinen Städte und die erheblichen Unterschiede nicht vorhanden. Für Sie ist das D-Land ein ganzheitliches Land, ein Land der Autobahnen, ja, das der Autobahnen, nicht der Alleen. Die Autobahnen sind schnurgerade, breit, glatt, schattenlos, sie kreuzen sich nie (glaubt man) und führen trotzdem immer sicher ans Ziel. Das Ziel kennt man immer klar und man weiß immer genau, wie man es erreicht. Ein Fehler auf der Autobahn ist unverzeihlich, deshalb gibt es in diesem Land der Autobahnen auch keine Fehler. Deutschland ist fehlerfrei, weil die Deutschen erstens perfekt sind und sich zweitens keine


Fehler ­leisten können. Die Deutschen sind unfehlbar, doch wenn sie irren, dann fatal. Und nicht nur für sich allein. Daher sind die Deutschen einfach überlegen. Obwohl das unbestritten ist und bedingungslos an- und hingenommen wird, bleibt der Wille, von den Deutschen zu lernen, irgendwie seltsam gelähmt. Man hat Angst, dann die Seele zu verlieren, egal, was das ist. Diese ukrainische Grundannahme vom unfehlbaren Deutschland wäre aber ganz unerträglich ohne eine hochinteressante innerseelische Operation. Sie ist denkbar einfach und beruht auf Spaltung, und damit werden die von Menschen gemachten Phänomene von den natürlich gegebenen streng und scharf unterschieden. Man lässt gern und irgendwie sogar willfährig die Deutschen in allem besser sein, was dem Geist der Organisation entspringt: im Technischen, Maschinellen, Selbstorganisatorischen, Institutionellen, Infrastrukturellen.

»Die Deutschen sind unfehlbar, doch wenn sie irren, dann fatal.«

Natürlich und organisatorisch

Jurko Prochasko

©© Fotolia/af photo

Dafür spricht man ihnen umso entschiedener alles Einfach-So-Gegebene und Leidenschaftliche ab. Deshalb haben die Deutschen in unserer Fantasie perfekte Autos, unschlagbare Geräte, einwandfreie Hochschulen, gut funktionierende Politik und Diplomatie, qualifizierte Fachleute in allen nur erdenklichen Bereichen, ein gerechtes und ausgefeiltes Rechtssystem. Aber eben keine Naturschönheiten und keine breiten Naturen. Deutsche Witze können bestenfalls anal sein, das deutsche Essen schmeckt nur, wenn es eine Bratwurst ist, und die schönsten deutschen Frauen sind Einwanderinnen und deren Nachkommen oder Mischlinge. Die deutsche Seele ist zwar kompliziert gestaltet und kann sogar tief sein, ohne jemals breit zu werden. Bier lässt man ihnen auch gern, weil dessen hohe Qualität ja eher der Technik als dem Gefühl verpflichtet ist. Vom deutschen Wein ahnt man in der ­Ukraine kaum, und wäre das der Fall, wäre die Erklärung so ähnlich. Ein Wunder, dass das Land so viele hervorragende Komponisten hervorgebracht hat. Fußball – wie der Sport insgesamt – fällt in eine besondere Kategorie, die diese klare Trennung ein wenig kaputtmacht. Denn er befindet sich gerade dort, wo sich das Natürliche mit dem Organisatorischen kreuzt, wie Allee mit Autobahn. Deutsche Mannschaften sind zwar perfekt zusammengebaute, sehr gut organisierte und nach neuesten Erkenntnissen schlau trainierte Maschinen, bestehen aber am Ende auch aus Menschen.

Und mit Menschen kann man sich messen. Wohl deshalb ist der Mythos vom Kiewer „Spiel des Todes“ so hartnäckig. Wie auch immer: Man beneidet und bemitleidet Deutschland. Und das sagt wie immer viel mehr über uns aus als über das „Deutschland an und für sich“.

Jahrgang 1970, lebt in Lemberg/ Lwiw, Ukraine. Der Germanist, Literaturwissenschaftler und Essayist arbeitet als Autor und Übersetzer. Er schrieb unter anderem im Sammelband „Sarmatische Landschaften“ und ist als Essayist für Die Zeit tätig. Ins Ukrainische übersetzt hat er beispielsweise Romane von Joseph Roth, Prosa von Gottfried Benn und Lyrik von Günter Eich sowie Texte von Friedrich Schleiermacher, Martin Heidegger und Jürgen Habermas. 2008 wurde Jurko Prochasko von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung mit dem FriedrichGundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland ausgezeichnet. Er ist Mitglied der Vereinigung Ukrainischer Schriftsteller (AUP), des ukrainischen PEN-Clubs und Begründer des Ukrainischen Übersetzerverbandes (PA).

Deutsche Welle 25


andere verstehen

Text Mariya Ruettinger volontärin

wir sprechen

Ukrainisch Das u ­ krainische p entspricht dem deutschen r, das c dem s und das н dem n. Aber zum Glück gibt es auch einige Buchstaben, die in Schriftbild und Aussprache übereinstimmen: a, o, i, e, к, м oder т. Das таксi wird unser Fan am Flughafen mit diesen ersten Kenntnissen leicht finden. Und wenn der Fahrer fragend футбол (gesprochen: futból) sagt, wird er auch verstehen, was gemeint ist. Aufgrund der ähnlichen Aussprache wird man auch den Weg zum стадiон (Stadion) finden. Wer Russisch gelernt hat, kann sich in der Ukraine leicht verständigen. Russisch war in der gesamten Sowjetunion Amtssprache. Nach dem Zerfall der UdSSR rückte Ukrainisch wieder in den Vordergrund und wurde Amtssprache. Russisch ist allerdings auch heute noch Alltagssprache in Teilen der Ukraine, vor allem im Osten und auf der Halbinsel Krim. Beide Sprachen haben viele

Gemeinsamkeiten, aber auch viele Unterschiede. Ukrainisch ist weltweit nicht so verbreitet wie Russisch. Die Ukraine selbst zählt rund 45 Millionen Einwohner. Schätzungsweise jeweils eine Million Ukrainer leben in Kanada und den USA. Auch in Polen, Kasachstan und Argentinien gibt es eine große ukrainische Gemeinde in der Diaspora. Die ukrainische Botschaft in Berlin meldet 30.000 Landsleute in Deutschland. Inoffiziell dürften es einige mehr sein. Das Vertiefen der ukrainischen Sprachkenntnisse ist also für die deutschen Fans auch nach der EM möglich. Ach ja, Ласкаво просимо (gesprochen: laskávo prósymo) heißt: Herzlich willkommen!

стадiон

Ласкаво просимо

26 Weltzeit 3 | 2012

футбол

©© picture alliance/dpa

Deutsche Fußballfans, die zur Europameisterschaft in die Ukraine reisen, werden am Flughafen mit dem ukrainischen Ласкаво просимо begrüßt. Schon diese beiden Worte zeigen den Besuchern: Die ukrainischen Buchstaben unterscheiden sich von der lateinischen Schrift. Ukrainisch verwendet – wie die ostslawischen Sprachen Russisch und Belarussisch – kyrillische Buchstaben. Einige Zeichen des kyrillischen Alphabets wie das л oder das п zu Beginn der genannten Wörter sehen in der lateinischen Schrift anders aus. Der Buchstabe л steht für das deutsche l; das ukrainische п wird wie das deutsche p gesprochen. Aber wie spricht man das ukrainische p, das im anderen Wort der Begrüßung steht? Das gehört zur zweiten Gruppe von Buchstaben. Diese sehen zwar in beiden Sprachen gleich aus, haben aber einen anderen Laut.


Text Zakhar Butyrskyi Ukrainisch-Redaktion

Kulturtransfer

Glück statt Currywurst Gastfreundschaft messen wir an Vielfalt und Qualität der ­Speisen auf dem Tisch des Gastgebers. Was erwartet die Fußballfans zur EURO 2012 in der Ukraine? Ein kleiner Einblick in die bunte ­Nationalküche möge Appetit machen. Der Ukrainer liebste Tradition ist Borschtsch, die Rote-­BeeteSuppe. Der „rote Borschtsch“ wird aus der Fleischbrühe gegart, mit einem breiten Sortiment an Gemüse. Am Ende wird eine geröstete Mischung aus Zwiebeln, Rote Beete und Tomaten (Pidscharka) hinzugefügt. Im Winterfrost, bei Minustemperaturen von bis zu 30 Grad, erwärmt der heiße Borschtsch, in sommerlicher Hitze kühlt er schon mal ein Mütchen. Es gibt viele unterschiedliche Rezepte, Variationen in jeder Region, ja in jeder Familie. Zum Borschtsch gibt es Pampuschki – frittierte Hefeteigbällchen mit Knoblauch-Öl. Soljanka, Okroschka, Rassolnik, Kapusnjak – Besucher können jede Menge leckere Suppen kosten. Deutsche Fußballfans ohne Currywurst? Die Ukrainer sind stolz auf ihre Hausmacherwürste – vielleicht eine Alternative, denn sie schmecken ähnlich wie jene hierzulande. Oder die Deruny – fast

©© iStockphoto/Mark Rose

Wegweiser nicht nur für Fußballfans: Restaurant-Schild in Kiew

identisch mit deutschen Reibekuchen, nur nicht so salzig und mit etwas sanfterer Textur. Sie werden mit Smetana verzehrt – der fetten Sauren Sahne, dem Pendant zu Mayonnaise. Smetana wird zum Großteil der Suppen und süßen Speisen gegeben. Koch-Talent prüft man durch die Qualität der Maultaschen ­Warenyky – gefüllt mit Kartoffeln, Fleisch, Kohl, Pilzen oder Kirschen. Die nicht süßen Warenyky werden von Schkwarky – ausgebratenen Grieben mit gerösteten Zwiebeln – begleitet. Man kann die Schkwarky auch getrennt genießen. Ach ja, Salo. Nicht gebratener, kalter, frischer Schweinespeck, geräuchert oder gesalzen, ist die wichtigste ukrainische Vorspeise. Kalorienreich und länger haltbar, eine bequeme Zwischenmahlzeit. Wenn man Knoblauch hinzufügt, nennt man das „Ukrainisches Glück“! Dazu passt ein Gläschen Horilka, der 40-prozentige Wodka – dessen hausgemachte, althergebrachte Variante Kalhaniwka die Manneskraft mehren soll. In kleinen Mengen gilt der Horilka den Ukrainern als gesundes Getränk – mit minimalen Folgen. Das moderne Leben verlangt, dass Speisen möglichst gesund sind und die Zubereitung so wenig Zeit wie möglich in Anspruch nimmt. Ukrainische Gerichte bestehen dagegen auch aus deftigen Komponenten – und sie sind zeitaufwendig. Das ist der obligatorische Luxus, das Geheimnis und das Glück der gemütlichen, traditionellen, bunten ukrainischen Nationalküche.

Deutsche Welle

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24. MedienfoRuM.nRW 18. – 20. Juni 2012, Köln, Staatenhaus am Rheinpark

ScHöne neue MedienweLt: Vernetzt, offen, MobiL. 24. MedienforuM.nrw // 18.–20. Juni 2012, Köln www.medienforum.nrw.de eine Veranstaltung der Landesanstalt für Medien nrw (LfM), gefördert mit Mitteln des Landes nordrhein-westfalen. Verantwortlich für Konzeption und durchführung ist die LfM nova GmbH.


medienwelt einordnen

Text christoph ricking, volontär

Ampel-Redaktion Fotos, Videos, Audios und Texte unterliegen dem Urheberrecht. Über den Umgang mit geistigem Eigentum wird ­heftig gestritten. Die Deutsche Welle geht hier neue Wege: Eine Datenbank zeigt auf einen Blick, welches Material wie verwendet werden darf. Wenn ein Redakteur ein Foto, ein ­ ideo oder Audio oder einen Text verwenV det, muss er die Urheberrechte beachten. Das klingt einfach. Eine Vielzahl unterschiedlicher Nutzungsrechte macht die Praxis jedoch kompliziert – gerade für einen Auslandssender wie die Deutsche Welle. Denn hier geht es in der Regel um weltweite Verbreitung. Manche Videos dürfen in weitere Sprachen adaptiert werden, andere nicht. Agenturmaterial darf beispielsweise nicht ohne Weiteres für Podcasts im Internet verwendet werden. Beiträge, die fremdes Material enthalten, dürfen in bestimmten Ländern nicht vertrieben werden. Die neue Datenbank REIS (Rechte-Informations-System) soll Licht in den Dschungel der Urheberrechte bringen und im journalistischen Betrieb vor allem Zeit sparen. „Die Datenbank soll sicherstellen, dass kein Material verbreitet wird, das nicht verbreitet werden darf, und dass das Material, das verbreitet werden darf, auch verbreitet wird“, sagt Projektleiter Ingo Daniels.

Grünes Licht für REIS 1.0 Vor drei Jahren nahm die Projektgruppe „Rechtemanagement“ ihre Arbeit auf. Zunächst wurde geprüft, was vergleichbare Systeme anderer ARD-Sender und des ZDF leisten, und festgelegt, was ein Rechte­ management-System der DW leisten muss. Auf dieser Grundlage wurde in einer zweiten Phase die neue Datenbank aufgebaut. In diesem Frühjahr ist REIS 1.0 gestartet. Die Datenbank umfasst bereits Urheberrechtsverträge über Agenturmaterial, Programmübernahmen und Musik. Jeder Mitarbeiter hat Zugriff auf die Daten. Ein Ampelsymbol zeigt an, wie das Material

Grünes Licht für freie Rechte: Projektleiter Ingo Daniels

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medienwelt einordnen

Getwitter Sind Facebook und Google in fünf Jahren tot? ­Forbes sieht Parallelen zu vergangenen InternetGrößen: http://onforb.es/JJfRcn Datenjournalismus ist vom Trend zum festen Bestandteil der Presse geworden. Ein neues Handbuch erklärt die Entwicklung: http://bit.ly/zvnygu Wie glaubwürdig sind Online-Informationen? Die Zusammenstellung des Poynter Institute erleichtert Quellenchecks: http://bit.ly/Ix6aMc Die New York Times verkauft sich unter der Woche digital öfter als analog: Rund 27.000 Stück mehr auf Kindle und Co.: http://bit.ly/J9up5Q Einmal die Welt durch die Augen des „Terminators“ sehen: Google plant eine Datenbrille für „Augmented Reality“: http://bit.ly/HaKvdO Live-Regie mit dem iPhone: Die App CollabraCam verwaltet die Videostreams von bis zu vier iPhones im gleichen Netz: http://tnw.co/fbeM0g Jeder dritte Deutsche hat ein Smartphone. Laut Branchenverband Bitcom hinken Senioren hinterher: http://bit.ly/HMhCHN Tablet-Nutzer sind bereit, für Journalismus zu zahlen. Jeder zweite iPad-Besitzer nutzt täglich eine Zeitungs-App: http://bit.ly/Jg4NIw Verbrecherjagd per Handy: Die App von Scotland Yard und Facewatch schickt Usern Fotos von Verdächtigen in der Umgebung: http://bit.ly/ldPd3q Die thailändische Polizei hat im Quartal 1/2012 5.000 Webseiten wegen angeblicher Majestätsbeleidigung blockiert: http://bit.ly/A9WnvV Wie die Zeit vergeht: Mit einem kostenlosen Tool können Journalisten einfache Zeitleisten für Onlinetexte entwickeln: http://bit.ly/zYuWDs Das passende Handy zum Netzwerk: Facebook will mit einem eigenen Smartphone am Mobil-Boom teilhaben: http://nyti.ms/KwmQas Spione in der Hosentasche: Laut Medienmagazin „Zapp“ und Stiftung Warentest geben zu viele Apps Daten ungefragt weiter: http://bit.ly/Lj92xS

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­ enutzt werden darf: Grün bedeutet, es gibt keinerlei Einschräng kungen; Gelb heißt, dass die Nutzung mit Einschränkungen ­erlaubt ist – diese werden angezeigt. Steht die Ampel auf Rot, ist die Nutzung verboten. REIS 1.0 ist mit Musikstücken in der Audiodatenbank verknüpft. Auch hier regelt nun die Ampel die Informationen zu den Nutzungsrechten.

Freie Fahrt für REIS 2.0 REIS 1.0 ist ein Zwischenschritt. Das System wird erweitert und an zusätzliche DW-Systeme angebunden. Zurzeit entwickelt die Projektgruppe die sogenannte Digitale Verwendungsnotiz. Diese kann an einen Beitrag angehängt werden und enthält Informationen darüber, welches Material in dem Beitrag verwendet wurde. „In Zukunft können wir die Informationen darüber, welches Material ein Beitrag enthält, mit den Informationen über die Nutzungsrechte dieses Materials verknüpfen“, erläutert Thomas Gardemann vom Justitiariat der DW. Die Redakteurinnen und Redakteure sollen nicht mehr selbst nach den Nutzungsrechten suchen müssen. Die REIS-Ampel ist dann in die tägliche Arbeit integriert und zeigt an, wie ein Beitrag verwendet werden kann. Und auch, ob er an Dritte weitergegeben werden darf. REIS erleichtert zugleich die Arbeit des Justitiariats. Wenn sich Nutzungsrechte durch Vertragsänderungen oder durch neue Verträge ändern, muss dies in Zukunft nur in die REIS-Datenbank eingetragen werden. Die Ampeln ändern sich dann in allen Systemen automatisch. Ende 2013 soll REIS 2.0 einsatzfähig sein.

Mediendialog auf Arabisch Über die Medienlandschaft nach dem Arabischen Frühling haben am Mittwoch, 16. Mai, Medienexperten aus acht Ländern im ­Bonner Funkhaus diskutiert. Anlass war der 3. Mediendialog der DW Akademie. Drei Fragen dominierten die Veranstaltung: Inwieweit hat sich die Medienlandschaft in der arabischen Region verändert? Welchen Einfluss hatten die Sozialen Medien? Und: Welche Auswirkungen wird der Arabische Frühling auf die Medienlandschaft in Zukunft haben? Unter der Regie von Professor Dr. Christoph Schmidt, Wissenschaftlicher Leiter der DW Akademie, stellten die Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen ihre Forschungsergebnisse vor. Unter anderem berichtete die Vertreterin des DW-Studiengangs International Media Studies (IMS), Eira Martens, über Soziale Medien, Identität und den Einfluss auf die ägyptische Revolution. Sie stützte sich vor allem auf Untersuchungen und Befragungen in Kairo. Professor Dr. Michael Krzeminski, Dekan der Hochschule BonnRhein-Sieg, resümierte: „Der Arabische Frühling war keine FacebookRevolution. Die Sozialen Netze können im Kontext der Revolution nicht allein betrachtet werden, sondern nur im Zusammenhang mit anderen Medien und vor allem mit anderen kulturellen und politischen Aspekten.“ Alle Vorträge des 3. Mediendialogs werden im kommenden Herbst als Buch erscheinen.


©© picture alliance/dpa

gestern reflektieren

„Polen ist für mich das europäische Land der Freiheit“: ­Bundespräsident Joachim Gauck zu Gast bei seinem Amtskollegen ­Bronislaw Komorowski

lesetipp Text Friedel Taube, Freier Mitarbeiter

Medien-Nische im „Land der Freiheit“ Die Polnisch-Redaktion der Deutschen Welle blickt auf bald 50 Jahre journalistisches Wirken im Dienst der deutsch-polnischen Beziehungen zurück. Aufgabe und Selbstverständnis haben sich gewandelt. „Polen ist für mich das europäische Land der Freiheit“ – das waren die Worte von Bundespräsident Joachim Gauck, als er Ende März in Warschau weilte. Dass er Polen als erstes Ziel einer Auslandsreise gewählt hatte, zeugte nicht nur von der großen persönlichen Wertschätzung Gaucks, sondern auch vom Stellenwert, den Deutschland seinem östlichen Nachbarn inzwischen einräumt. Polen ist seit vielen Jahren Partner in Nato und EU. Da stellt sich die Frage, ob man auch nach 50 Jahren jenseits der Oder noch die Deutsche Welle, die „mediale Stimme Deutschlands“, braucht. „Ja“, sagt Bartosz Dudek, Leiter der Polnisch-Redaktion. „Denn ich beobachte seit Jahren, dass polnische Medien ihre Korrespondenten aus Deutschland abziehen.“ Außerdem sei das Deutschlandbild der Polen oft von Stereotypen geprägt. „Die deutsch-polnische Geschichte ist immer noch nicht aufgearbeitet. Boulevardmedien in Polen zeichnen ein reißerisches Bild von

30 Millionen Pakete „Es gibt wenige positive Erinnerungsorte für Deutsche und Polen. Die Polenhilfe ist einer davon“, so Albrecht Lempp, Direktor der Stiftung Deutsch-Polnische Zusammenarbeit. Die Polnisch-Redaktion der DW hat dazu gemeinsam mit dem Willy-­ Brandt-Zentrum in Wroclaw (Breslau) und dem Verband der Polnischen Journalisten in Deutschland eine Dokumentation vorgelegt: „Polenhilfe. Als Schmuggler für Polen unterwegs“. Das Buch erinnert an die große Welle der Sympathie der Deutschen für die polnische Oppositionsbewegung, nachdem im Dezember 1981 in Polen das Kriegsrecht verhängt worden war. Es enthält bislang unveröffentlichte Bilder und Dokumente, unter anderem Flugblätter und Berichte von Zeitzeugen. Über 30 Millionen Pakete gingen damals nach Polen. Unzählige Hilfstransporte mit Medikamenten, medizinischen Geräten und Babynahrung. Auch ElektronikTeile für Druckereien und Radiosender wurden geschmuggelt, um die eingeschränkte Informationsfreiheit zu umgehen. Das zweisprachige Buch richtet sich insbesondere an junge Deutsche und Polen, die dieses Kapitel der bilateralen Beziehungen kaum kennen. Interessenten erhalten die Dokumentation über die Polnisch-Redaktion der DW – Mail an polish@dw.de Malgorzata Matzke

Deutsche Welle

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gestern reflektieren

das Läuft

Pomosty – Oder – Brücken Die Fußball-EM lenkt die Blicke nach Polen. Tausende deutsche Fans machen sich auf den Weg, viele überqueren zum ersten Mal die Oder. Über die Brücken. Ohne Grenzkontrollen. So selbstverständlich war es nicht immer. Im Multimediaprojekt „­ poMOSTY“ (Die Brücken) zeigt die Polnisch-Redaktion der DW auf, wie sich die deutsch-polnische Nachbarschaft in den vergangenen 20 Jahren entwickelt hat. Vom Grenzzaun zur Brücke – diese symbolische Entwicklung liegt der Projekt-Idee zugrunde. Sie wird in einer animierten Grafik dargestellt: Der Nutzer kann die Bretter des Zauns anklicken und bekommt jeweils ein Video zu sehen. Dann legt sich der Zaun aufs Wasser und wird zu einer Brücke. Mehr als 20 Jahre nach der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschafts- und Freundschaftsvertrags zeichnet die DW die Meilensteine der deutsch-polnischen Erfolgsgeschichte und der Integration Polens in die EU nach. Die einzelnen Filme kreisen um Aspekte des Vertrags von 1991: Jugendaustausch, Wirtschaft, Umwelt und Kultur. Ein Video zeigt den Alltag an der deutsch-polnischen Grenze – vor 20 Jahren und heute. Ein anderes vergleicht die Situation der deutschen Minderheit in Polen und der polnischen Gemeinschaft in Deutschland. Klicken Sie durch die Bildergalerie „Von Feinden zu Freunden“, Impressionen aus der Geschichte der bilateralen Beziehungen seit 1939. Entdecken Sie „Das Experiment D-PL“, Filme, die im Rahmen eines Wettbewerbs des Goethe-Instituts in Warschau von deutschen und polnischen Jugendlichen zum Thema „Nachbarschaft“ auf Handys gedreht wurden. Sie zeigen einen frischen Blick der jungen Generation auf Gegenwart und Zukunft des deutsch-polnischen Miteinanders in Europa. „poMOSTY“ wurde mit Mitteln des Auswärtigen Amts finanziert und unter anderem vom Partnerportal onet.pl übernommen. www.dw.de/polish

Bartosz Dudek

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­ nserem Land. Da sehe ich es als unsere Aufgabe, dem gegenzuu steuern“, so Dudek. Das DW-Angebot in polnischer Sprache steht heute auf zwei Säulen: Zum einen betreut das Redaktionsteam die multimedial aufbereiteten Informationen im Internet (www.dw.de/polish). Zum anderen produziert es bereits seit 1999 in Polen ein deutsch-polnisches Fernsehmagazin – Euronachbarn, eine Koproduktion mit dem polnischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen, das über TVPinfo bis zu 500.000 Zuschauer erreicht. Dudek: „Wir setzen immer häufiger auf Video, so zum Beispiel im aktuellen Projekt ,Mein Leben in Deutschland‘, für das wir fünf Porträts von polnischstämmigen Menschen in Deutschland drehen.“ Auch zur größeren Verbreitung der Internetangebote setzt man auf Partner – insbesondere auf Onet.pl. „Es ist das größte polnische Webportal“, erklärt Dudek. „Hohe Klickzahlen zeigen, dass das Interesse an deutschen Themen in Polen groß ist. Wir besetzen dort eine Nische“, ist Dudek überzeugt. Am 1. August 1962 wurde die Redaktion gegründet. Es ging um die Aussöhnung mit Polen. An diplomatische Beziehungen zwischen Bonn und Berlin war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu denken. Die Anerkennung der polnischen Westgrenze vollzog die Bundesrebpulik erst acht Jahre später unter Willy Brandt. In den Jahren des Kalten Kriegs spielte das Polnische Programm der DW über Kurzwelle eine wichtige Rolle. Gerade in der Zeit der Solidarność 1980/81 war das Programm in Polen geschätzt. „Ich selbst habe es damals in Polen gehört“, erinnert sich Dudek, „die Berichterstattung galt als ausgewogen.“ Die Redaktion informierte die polnische Bevölkerung auch über die politische Lage im Land. „­Diese Unterstützung für die Bemühungen der polnischen Opposition um Demokratie und Zivilgesellschaft wird bis heute gewürdigt“, sagt Dudek. Bei allen Verdiensten in der Vergangenheit – auch für die Zukunft sieht man sich bestens gerüstet. Und hat eine klare thematische Ausrichtung im Blick. „Im vergangenen Jahr wurde der deutsche Arbeitsmarkt für Polen geöffnet – deshalb bauen wir den Themenbereich Arbeit aus“, so Dudek. Ein zweiter Schwerpunkt dreht sich ums Studium – denn Polen sind nach Chinesen die zweitgrößte Gruppe von ausländischen Studierenden in Deutschland.


position beziehen

Text Rainer Sollich Leiter Arabisch-Redaktion, Bonn

Kein Frühling der Pressefreiheit Die Bilder des Arabischen Frühlings sind uns in lebhafter Erinnerung: Junge Menschen ziehen zu Tausenden auf die Straßen und fordern ihre Rechte ein. Sie demonstrieren für ein menschenwürdiges Leben, für Gerechtigkeit, Demokratie, Menschenrechte – und nicht zuletzt für Presse- und Meinungsfreiheit, für ein Leben ohne Maulkorb. Haben sie ihre Ziele erreicht? Die Bilanz fällt zwiespältig aus. Positiv ist zu vermerken: Viele Menschen lassen sich den Mund nicht mehr verbieten. Allerdings laufen sie selbst in Ländern des Arabischen Frühlings immer noch Gefahr, dafür bestraft zu werden. In Ägypten zum Beispiel ist die Armee, anfänglich von den Massen noch euphorisch als „Freund des Volkes“ verehrt, zum Bremsklotz für jeglichen demokratischen Fortschritt avanciert. Dem Militärrat wurden immer wieder willkürliche Verhaftungen und Drangsalierungen von Journalisten oder Bloggern vorgeworfen. „Reporter ohne Grenzen“ zählt die Generäle vom Nil inzwischen zu den „Feinden der Pressefreiheit“. Dort befinden sie sich in einer Reihe mit dem syrischen Diktator Bashar Al-Assad, unter dessen brutaler Herrschaft unabhängige Journalisten sogar um ihr Leben fürchten müssen.

»Formel-1-Stars geben ordentlich Gas, unliebsame Journalisten werden ausgebremst.« Probleme gibt es auch in anderen „Revolutionsländern“: In Tunesien wurden Journalisten kürzlich massiv von Salafisten unter Druck gesetzt, die sich an einem religionskritischen Film störten. In Libyen sind unabhängige Berichterstatter mehrfach von Milizen bedroht worden – ein Phänomen, das seit vielen Jahren auch aus Irak bekannt ist. Nein, einen Frühling der Pressefreiheit erleben wir noch nicht. Deshalb ist es wichtig, dass internationale Sender wie die Deutsche Welle diesen Prozess weiter kritisch begleiten, dass sie genau hinschauen und Bloggern und Internet-Aktivisten aus der Region ein Forum bieten. Das tun wir in unseren arabischen TV- und Radiosendungen ebenso wie auf unseren Social-Media-Plattformen. Genauso wichtig ist, dass die DW Akademie mit Partnern vor Ort den schwierigen Aufbau professioneller, unabhängiger Mediensysteme in der Region unterstützt. Wenn wir über Meinungsfreiheit in der arabischen Welt sprechen, müssen wir unseren Blick auch auf Länder richten, zu denen wir im Westen durchaus gute Beziehungen unterhalten: In Bahrain dürfen unsere Formel-1-Stars wieder ordentlich Gas geben – aber unliebsame Journalisten werden ausgebremst und teilweise massiv schikaniert. In Saudi-Arabien sieht es nicht viel besser aus. Das Öl brauchen wir wohl – aber muss Deutschland Panzer dorthin liefern? Die Frage muss gestattet sein. Und unsere Zuschauer und Nutzer erwarten mit einigem Recht, dass wir diese Frage von allen Seiten beleuchten und kontrovers diskutieren. Bei einem so zentralen Thema wie der Meinungs- und Pressefreiheit dürfen und können wir uns keine Scheuklappen und schon gar keine Doppelstandards leisten.

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menschen begegnen

„Frauen haben immer noch Probleme in der Gesellschaft, wenn sie anders sind oder wenn sie anders sein wollen“: Tahani Salim in der Maske

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Text Richard Fuchs, Freier journalist

Leben auf zwei Bühnen Tahani Salim ist Schauspielerin und Journalistin. Auf beiden Bühnen fühlt sie sich wohl, auch wenn sie diese Kombination „ganz schön fordert“, wie sie sagt. Im Fernsehen der DW moderiert die gebürtige Syrerin das Journal auf Arabisch und das Magazin Fit & gesund.

T

ahani Salim hatte von Kindheit an einen Traum, der ihr viel Widerspruch bescherte. Als jüngstes von elf Kindern wächst sie in einer traditionellen palästinensischen Großfamilie in der syrischen Hauptstadt Damaskus auf. Schon als Schülerin engagiert sie sich in einer Tanzgruppe, singt im Chor und spielt Theater. „Ich war total besessen von der Idee, Schauspielerin zu werden“, sagt sie über den Traum, der sie und ihre Eltern entzweit. Denn Künstler haben in arabischen Gesellschaften ein eher schlechtes Image. Und dieses Image fällt auf die Familie zurück. Salim nimmt Rücksicht, beginnt in Damaskus ein Wirtschaftsstudium. Doch das Theater lässt sie nicht los: In Jordanien organisiert sie Theaterkurse für Kinder und Jugendliche, inszeniert Stücke und spielt selbst mit. Vier Jahre lang tourt sie als Schneewittchen von Bühne zu Bühne, sieht mit eigenen Augen, wie aus schüchternen Kindern selbstbewusste Schauspieler werden. „Ich denke, durch diese Arbeit habe ich etwas in der Gesellschaft verändert“, sagt sie heute. An einer jordanischen Privatschule heuert sie als Schauspiellehrerin an, setzt sich vor allem für die Rechte von Mädchen ein. „Frauen haben immer noch Probleme in der Gesellschaft, wenn sie anders sind oder wenn sie anders sein wollen.“ 1998 folgt eine Einladung in eine TVUnterhaltungsshow bei einem jordanischen Sender. Aus dem Gast wird eine Mitarbeiterin: Tahani moderiert die Show bald selbst, lässt in Interviews ein buntes Spektrum der jordanischen Gesellschaft zu Wort kommen. Das Theater begleitet sie auch jetzt weiter: In den palästinensischen Gebieten organisiert sie für Kinder Theaterkurse, die Grenzen

überwinden sollen. Als die Abschlussvorstellung einer kleinen Tournee entgegen aller politischen Hindernisse in Jerusalem stattfinden kann, geht für sie ein weiterer Traum in Erfüllung – zu zeigen, dass Theater verbindet. Mit ihrem damaligen Lebenspartner zieht Tahani Salim nach der Jahrtausendwende in die Schweiz, beginnt ein neues Leben. Das Theater bleibt an ihrer Seite: Im Stück „Scheherazade Now“, einer Inszenierung für die Schweizer Expo 2002, führt sie Interviews rund um das Thema Orient und

»Ich war immer schon ein sehr politischer Mensch.« Okzident, aus denen später ein Theaterstück entwickelt wird. Auch „Light Sky“ wird über drei Jahre auf Deutsch und Arabisch gespielt – sowohl in Europa als auch im arabischen Raum. „Leute wie ich, die mit einem orientalischen Background hier leben, können Brücken zwischen beiden Welten bauen“, darin sieht sie ihre Aufgabe. Auch Brückenbauer haben ihre Probleme: Ihr erster Langzeit-Auslandsaufenthalt in Europa wird für sie privat zur Mutprobe, denn Distanz und Kühle im europäischen Alltag sind für die „sehr emotionale“ Frau zunächst ein Kulturschock. Angetrieben vom Wunsch, Kommunikationswissenschaften zu studieren, büffelt sie Deutsch. Innerhalb eines Jahres besteht sie die A ­ ufnahmeprüfung zum

Studiengang, den sie 2008 in Luzern erfolgreich abschließt – für sie der Startschuss in die Medienwelt in Europa. „Es war wie eine Bestätigung meiner Arbeit bis dahin und gab mir Sicherheit.“ Sie bewirbt sich bei der Deutschen ­Welle. Als sie bereits über eine Rückkehr nach Jordanien nachdenkt, kommt eine Einladung zum Casting. Seit gut zwei Jahren gehört Tahani Salim zum Moderatorenteam der Nachrichtensendung Journal. Ein Schritt, durch den ihre Arbeit am Theater und im Fernsehstudio näher zusammenrücken. „Das passt gut zu mir, weil ich auch in meiner Arbeit am Theater immer schon ein sehr politischer Mensch war“, sagt sie. Seit der jüngsten Ausweitung des arabischen TV-Angebots moderiert sie auch das Magazin Fit & gesund. Eine Sendung, die im Nahen und Mittleren Osten sehr gut ankommt. „Deutschland hat dort ein sehr gutes Image, besonders im ­Medizinbereich.“ Das Leben zwischen Fernsehstudio und Theaterbühne hat seinen Preis. Tahani Salim lebt auch privat auf zwei Bühnen. Ihr Leben kennt viele Ortswechsel, denn nach wie vor pendelt sie zwischen Berlin und Zürich hin und her. „Das macht mein Leben chaotisch, aber es macht auch Spaß. Und Schwierigkeiten machen mutig und stark.“ An Willensstärke mangelt es ihr wahrlich nicht: Auch nach über 20 Jahren muss sie damit leben, dass ihre Familie ihre Arbeit als Künstlerin und Journalistin nicht akzeptiert. Aufgeben ist für Tahani Salim dennoch keine Option: „Wenn ich aufgebe, dann passiert nichts.“

Deutsche Welle

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