Weltzeit 1 | 2013: Ticket für ein Wiedersehen – Das Alumni-Netz der DW Akademie

Page 29

lesetipp

Wir sind politisch, nur anders

#

Fiktionale Formate haben darüber hinaus noch andere Möglichkeiten. Die Pseudo-­ Reality-Serie „Berlin Tag und Nacht“ ist nicht nur im Programm von RTL2, sondern auch bei Facebook sehr beliebt. Dort können die Nutzer auch außerhalb der Sendezeiten am „Leben“ der Figuren teilnehmen, was wiederum den Reiz der Sendung erhöht. Diese Strategie setzt auch die Redaktion Deutschkurse der DW für ihre Telenovela Jojo sucht das Glück erfolgreich ein. Die Herausforderung für Fernsehmacher wird in Zukunft noch stärker darin bestehen, Ereignisse zu schaffen, über die ihre Zuschauer sprechen, twittern oder posten möchten. Denn das gemeinsame, „soziale“ Fernseherlebnis ist auch im Jahr 2013 nicht tot. Und auch die immer zahlreicher werdenden Singles sind dank Sozialer Medien keineswegs einsam vor dem Fernseher. Nur die Chips reicht auf der virtuellen Couch niemand rüber.

„Er lebt in Berlin und im Internet“: Wolfgang Gründinger, 28-jähriger Politik- und Sozialwissenschaftler und Autor von „Wir Zukunftssucher. Wie Deutschland enkeltauglich wird“. Er sieht mit leuchtenden Augen, wie sich ein Generationenkonflikt zusammenbraut: Endlich tut sich was. Konfliktherd ist dabei nicht die Rente – das Symbolthema des Demografiewandels. Es ist vielmehr die Ignoranz der Alten und somit auch der Politik gegenüber der gesellschaftlichen Realität, insbesondere der Lebenswelt der Jungen. „Generationengerechtigkeit ist keine Einbahnstraße.“ „Liebe Alte, Ihr habt keine Ahnung.“ Während die Alten allein durch ihr strukturelles Wählergewicht die politische Agenda bestimmen, fühlen die Jungen sich unverstanden, nicht repräsentiert und erhoffen sich nichts von den – ebenfalls alten – Politikern. Ohne eine Interessenvertretung der nachwachsenden Generation kann es jedoch keine zukunftsweisende Agenda geben. Auf 200 Seiten schafft Gründinger es nicht nur, die scheinbar undurchdringliche Komplexität des Dilemmas unserer alternden Gesellschaft mit klaren Worten und lebendigen Beispielen zu durchleuchten. Es gelingt ihm auch stets, konstruktive Kritik zu üben – mal mit simplen Lösungsansätzen, mal mit Forderungen zum radikalen Umdenken. Gründinger räumt mit Vorurteilen der 68er auf und macht uns Jungen Mut. Wir sind keine politikverdrossene Spaßgesellschaft. Wir sind politisch. Nur anders. Und das müssen wir selbst erst begreifen. Unser Engagement hat nichts mit Ideologien und Revolte zu tun. Es ist nicht so laut wie die Parolen der 68er, aber viel bunter, heterogener und keinesfalls weniger wert. Es ist geprägt vom Pragmatismus und der Eigenverantwortlichkeit unserer Generation: Wir verändern unsere Lebenswelt im Kleinen und werden dort tätig, wo wir konkrete Ergebnisse sehen können – in Eltern-Initiativen, Online-Petitionen, Baumpflanzaktionen oder Fair-Trade-Projekten. Aber wir müssen keine Einzelkämpfer sein, sondern sollten uns gemeinsam Gehör verschaffen. Vielleicht können die Liedtexte von Wir sind Helden oder Sportfreunde Stiller, die Gründinger als Kapitelüberschriften einsetzt, zur Einstimmung auf ein neues Wir-Gefühl dienen. Dabei werden wir nicht gegen die Alten kämpfen, sondern um das Recht auf Mitsprache und Zukunft – und für eine zukunftsfähige Gesellschaft. Gründingers Buch ist kein Aufruf zum Kampf Jung gegen Alt, sondern zum Miteinanderreden und Neuentdecken der Solidarität der Generationen. Und es bewegt, lässt den Leser mit einer positiven Unruhe zurück. Mein erster Beitrag zur Zukunftsbildung unserer Gesellschaft wird es sein, dieses Buch unters Volk zu bringen. Lisa Flanakin (31), Designerin Wolfgang Gründinger: Wir Zukunftssucher. Wie Deutschland ­enkeltauglich wird; 224 Seiten; edition Körber-Stiftung, Hamburg 2012; ISBN: 978-3-89684-092-9; 16 Euro

Deutsche Welle 29


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.