Weltzeit 1 | 2013: Ticket für ein Wiedersehen – Das Alumni-Netz der DW Akademie

Page 26

unterwegs sein

„Was bringt es uns, unser Gesicht in die Kamera zu halten?“: Ölkocher im ­knöcheltiefen Schlamm

Dilemma im Delta Text und Bilder Katrin Gänsler, Reporterin

Nigerias Reichtum stammt aus dem Nigerdelta im äußersten Südosten des Landes. Aber vor Ort profitiert niemand von den Einnahmen aus dem Öl. Wenn das Schwarze Gold zur Pest wird – ein Thema im Multimediaprojekt über Afrikas Rohstoffe.

D

ie dunkelgrünen Gummistiefel sind zehn Nummern zu groß, riechen nach Schweiß und erinnern an von Fußpilz zerfressene Zehen. Doch ohne die hohen Stiefel ist ein Besuch in einer der lokalen Ölraffinerien unmöglich. Der grau-schwarze Boden ist schlammig und schmatzt bei jeder Bewegung. Wer hier nicht zügig läuft, sackt sofort bis zum

26 Weltzeit 1 | 2013

Knöchel ein und muss den Stiefel mühsam wieder aus dem Schlamm herausziehen. Wenn die Sonne ab und zu durch die dichten Mangrovenwälder scheint, schimmert der Boden manchmal in Regenbogenfarben. Das Öl – das Schwarze Gold des Nigerdeltas – ist überall und sickert völlig unkontrolliert in die Erde. Doch das interessiert niemanden. Auch die Ölkocher nicht, die auf einer Lichtung am Ufer des Nigerdeltas arbeiten. Hier produzieren sie selbst Diesel, Benzin und Kerosin. Egal, wie heiß es wird, egal, wie groß die gesundheitlichen Risiken sind und wie beißend der Rauch ist, der bei dem Erhitzen des Rohöls aufsteigt. Joshua, der weit oben in der Hierarchie steht, ein sauberes grün-weiß gestreiftes Polo-Shirt trägt und auf Englisch mit Journalisten spricht, rechtfertigt sich: „Wovon sollten wir denn sonst leben? Für uns gibt es doch keine Arbeit. Shell und die anderen stellen uns nicht ein.“

Von Ölkochern und Ölmultis Im Nigerdelta sind es immer die anderen, die für schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen verantwortlich sind. Juliette, die regelmäßig bei den Ölkochern Kerosin kauft, lächelt anfangs noch ein wenig verlegen. Mit Journalisten spricht sie nicht oft und sie wechselt immer wieder ins Pidgin-Englisch. Doch dann beginnt sie, auf die Politiker zu schimpfen. Besonders auf Präsident Goodluck Jonathan, erstes Staatsoberhaupt aus dem Nigerdelta. Obwohl der Bundesstaat Bayelsa seine Heimat sei, tue er nichts für die Bewohner. Politiker wiederum verfluchen die Ölmultis. In der Verantwortung für rechtliche Rahmenbedingungen sehen sie sich nicht. Und für die multinationalen Ölunternehmen sind es meist die Einheimischen, die das Dilemma im Delta selbst verursacht haben: Wenn sie nicht so gierig wären und nicht ständig die Pipelines anzapfen


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.