chilli – das Freiburger Stadtmagazin

Page 1

Ausgabe Juli/August 12. Jahrgang / #111

Ausgabe 07- 0 8/15 2,50 Euro

Was da wieder los ist: Termine & Partys 18.07. – 31.08.15

Ein Rentner räumt auf. eine kinokomödie von ALVARO BRECHNER

Ab

16. Juli im Kino

»Brutal war er auf jeden Fall« SC-Coach Streich und Käpt’n Schuster über die alte und neue Saison

VERBOTEN

Regierung plant Entmündigendes

VERRÜCKT

Der kuriose Aufstieg von Hans Entertainment

VERFILMT

Filmfest mit Kurzfilmnacht

mit Wirt s c h a ft sM a g a zin biB



CHILLI EDITORIAL

Kultur, Kreative & ein Kurzer Bild: © FWTM

chilli legt Nummer 111 vor

Alles so schön bunt hier: Freiburg will wissen, was es tun kann, um der Kreativszene neue Impulse zu geben.

Liebe Leserin & lieber Leser, Kultur erhebt sich. Unter dieses Motto haben das städtische Kulturamt und die Wirtschaftsförderungsgesellschaft (FWTM) den Auftakt zu einem Prozess gestellt, der die Kultur- und Kreativwirtschaft (KuK) in Freiburg erst einmal besser kennenlernen, ihr einen neuen Wert beimessen und auch neue Orte für ein Miteinander ermöglichen will. Das reizte mehr als 200 Kulturschaffende und Kreative, ins Jazzhaus zu kommen, wo Oberbürgermeister Dieter Salomon ganz „verblüfft“ darüber war, dass die Kulturwirtschaft volkswirtschaftlich der drittgrößte Wirtschaftsfaktor in Deutschland ist. FWTM-Chef Bernd Dallmann, von dem die Initiative ausgegangen war, wusste zu berichten, dass 10,6 Prozent der Freiburger Unternehmen der KuK angehören, die mit 9000 Beschäftigten 6 Prozent des Bruttosozialprodukts in der Region erwirtschaftet: „Die wirtschaftliche Dimension des Sektors wird unterschätzt.“ Als Referenten geladen waren Dieter Hasel-

bach, Geschäftsführer des Zentrums für Kulturforschung und Unternehmensberater für Kultur, sowie Reinhard Strömer vom Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes. Wer die KuK fördern möchte, so Strömer, brauche auch eine „unternehmerische und kreative Politik“. Und Haselbach legte den Finger in eine Wunde: Für eine prosperierende Kultur- und Kreativszene seien nicht zuletzt günstige Mieten wichtig, denn es sind die kleinen Betriebe, die maßgeblich sind und „vor allem auf diese müssen die Kommunen achten“. Es wird nach dem bemerkenswerten Auftakt im September eine Folgeveranstaltung als Workshop geben. Alle Infos und die Online-Branchenbefragung unter: kultur-erhebtsich.de Auch das chilli zählt zur Kultur- und Kreativwirtschaft. Wir trinken einen Kurzen drauf. Es ist die 111. Ausgabe. Wir wünschen anregende Lektüre. Bleiben Sie, bleibt uns gewogen.

Herzlichst, Ihr Lars Bargmann, Chefredakteur & die chillisten

JUli/AUGUST 2015 CHILLI 3


TITEL Fussball

In die Pedale treten: Im Trainingslager in Schruns legt der neue Kader die Grundlagen für den Angriff auf die Tabellenspitze der zweiten Liga. Ganz vorne mit dabei ist Nils Petersen, der von den Freiburgern so lange bearbeitet worden war, bis er wusste, „worauf ich Bock habe“.

Neues anStrampeln nach bru Der SC Freiburg spielt wieder Zweite Liga und muss aus deutlich Von Dominik Bloedner

E

in Anruf in Schruns, im Sommertrainingslager im Westen von Österreich. Gerade eben kommt der SC-Kapitän Julian Schuster vom Mittagstisch. „Hallo, Herr Schuster. Alles gut? Waren Sie eigentlich schon einmal in Sandhausen?“ Der 30-jährige Mittelfeldmann zögert kurz, lacht leise und sagt: „Doch, tatsächlich.“ Damals in der Regionalliga sei es gewesen, als er noch in der zweiten Mannschaft des VfB Stuttgart tätig war, rund zehn Jahre her. Nun muss er wieder nach Sandhausen, irgendwann im Februar 2016. Als Zweitligist.

Schusters Grübelei hat Folgendes ergeben: „An den vielen späten Gegentoren war nicht der Fußballgott schuld, sondern wir selber. Mangelnde Konzentration hat zu Fehlern geführt.“ Und der SC sei in der abgelaufenen Saison – im Gegensatz zu früher – nicht in der Lage gewesen, allein aufgrund der Physis Spiele noch zu drehen. „Jetzt geht es weiter“, sagt Streich. Mund abputzen, sich schütteln, wieder aufstehen. „Wir sind bereit für die zweite Liga“, ergänzt Schuster. Viele seiner Kollegen sind weg: Mehmedi, Schmid, Krmas, Klaus, Bürki, andere vielleicht auf dem Sprung. Einer war kurz weg, ist dann aber für rund 2,8 Millionen Euro wieder gekommen: Nils Petersen, Stürmer, neunfacher Torschütze in der Rückrunde, Hoffnungsträger, und nun gefragt, die neue junge Mannschaft zu führen. Wie er den 26-Jährigen, der Angebote hatte von höherklassigen Clubs, überzeugen konnte, mit dem SC in die zweite Liga zu gehen, das will Streich im Gespräch nicht verraten. Betriebsgeheimnis. Das erzählt aber Petersen (im Interview

Fotos: © ns

Mund abputzen, wieder aufstehen

Schuster ist dabei, den 23. Mai 2015 – die Pleite bei Hannover, den von vielen nicht für möglich gehaltenen Abstieg, den unnötigen Saisonausklang – zu verdauen. „Ich habe die ersten Tage ziemlich grübeln müssen, ein Urlaub und die räumliche Distanz haben mir geholfen.“ Auch sein Trainer Christian Streich sagt in Schruns: „Ich war für ein paar Tage raus. Kein Fußball, nur Ruhe.“ Und weiter: „Wer sich mit dem SportClub beschäftigt, wird einen Abstieg nie im Unmöglichen ansiedeln. Brutal war er aber auf jeden Fall.“ 8 CHILLI Juli/August 2015


TITEL Kolumne

Sehr sportlich: Stadion aus Holz

Holzschüssel: Daniel Ebermann hat für „Stadionwelt“ mal einen ersten Vorstoß gewagt.

Kapitän Julian Schuster (hier im Testspiel gegen Moskau): „An den vielen späten Gegentoren war nicht der Fußballgott schuld.“

talem Abstieg

weniger Geld sehr viel machen mit bundesliga.de) selbst: „Streich hat mir aufgezeigt, dass man wieder eine junge Mannschaft zusammenstellt mit vielen entwicklungsfähigen Spielern. Und dann ging es darum, dass ich hier vielleicht in eine Führungsrolle schlüpfen kann.“ Petersens großes Ziel ist, „einmal im Leben aufzusteigen. Unser Ziel ist natürlich, wieder nach oben zu kommen.“ Nicht nur der Trainer, auch andere Offizielle und viele Mitspieler hatten sich nahezu täglich um Petersen bemüht. „Ich habe dann beschlossen, einfach das zu machen, worauf ich Bock habe.“ In Schruns sind auch viele andere neue Gesichter zu sehen: Etwa der Rückkehrer Alexander Schwolow und der Routinier Patric Klandt zwischen den Pfosten; im Mittelfeld der quirlige Amir Abrashi und der blutjunge Jonas Hufnagel; im Angriff der Ex-Cottbusser Tim Kleindienst und der Dribbler Vincenzo Grifo. „Von einem Komplettaustausch würde ich da nicht sprechen“, sagt Streich. Auf der offensiven Außenbahn wurde der Argentinier Gonzalo Zarate in Schruns getestet, spielte gegen Moskau, aber nicht mehr gegen Sandhausen. Eine gute Stunde agierte Mensur Mujdza als Rechtsverteidiger, seine Zukunft (1860 hat Interesse) ist aber noch offen.

Visualisierung: © Daniel Ebermann

Nun sind sie also auf dem Holzweg. Mit 21 (vor allem grünen und roten) Ja- gegen 18 Nein-Stimmen hat der Gemeinderat unlängst beschlossen, ein neues SCStadion alternativ auch in Holzbauweise zu prüfen. Gegen Baubürgermeister Martin Haag und Oberbürgermeister Dieter Salomon. „Lieber eine Feindschaft aus ganzem Holz als eine geleimte Freundschaft“, hätte Friedrich Nietzsche vielleicht gesagt. Es war in der mittlerweile sechs Jahre andauernden Debatte um eine neue Arena nicht das erste Mal, dass das Gremium gegen den OB stimmte. Ende 2012 kam auf Drängen der Grünen der Flugplatz in eine Standortdebatte, die eigentlich nur noch die Hirschmatten und den Hettlinger für machbar hielt. Einmal hat der OB sogar gegen sich selbst gestimmt, denn im Wahlkampf 2010 hatte er sich (wie Ulrich von Kirchbach und Günter Rausch) gegen einen Neubau positioniert. Nach der Wahl drehte sich peu à peu das Blatt: Im April 2013 legten sich Rathausspitze und SC auf den Wolfswinkel fest. Am 14. Mai 2014 beschloss der Gemeinderat die Aufstellung eines Bebauungsplans (zwei Entwürfe sind noch bis 24. Juli im Stadtplanungsamt zu sehen), am 1. Februar siegte der Neubauplan in einem Bürgerentscheid – und mit ihm war auch klar, dass 70 Millionen Euro ins Stadion, 40 in die nötige Infrastruktur fließen können. Vor ein paar Wochen schrieb das Rathaus vier neue Stellen für Ingenieure aus, die den Bau vorbereiten. Einer sollte was von Holz verstehen. Der SC soll sein Holz nicht vor, sondern in der Hütte haben. Zumindest im Dach, findet auch Meinrad Joos, seines Zeichens Forstpräsident im Regierungspräsidium. Wenn schon ein neues Schwarzwaldstadion, dann auch eines, im dem ein Stück Schwarzwald steckt. SC-Präsident Fritz Keller ist skeptisch. Haag und andere, die was vom Bauen verstehen, sind es auch. Es wäre eine stammdicke Überraschung, wenn Bauen mit Holz in dieser Dimension nicht deutlich teurer wäre als mit Beton. Und nicht zuletzt stünde der Brandschutzgutachter vor einer sehr sportlichen Herausforderung. Lars Bargmann JUli/AUGUST 2015 CHILLI 9


TITEL Fussball

Der Knipser trifft: Nach dem späten 2:1 gegen die Bayern durch Petersen glaubten die Fans fest an den Klassenerhalt. Auch Coach Christian Streich. Nun muss der Übungsleiter wieder einen neuen Kader formen. Streich und Petersen zählen zu den Hoffnungsträgern beim SC.

Als neuer Testspieler gastierte Vincent-Louis Stenzel, 18, der ablösefrei von Borussia Dortmund gehen könnte, zuvor beim FC St. Pauli mittrainierte, dort aber nicht genommen wurde. Auch diese Personalie war bis zum Redaktionsschluss (12. Juli) offen. Es wird nicht leicht, bis zur Saisoneröffnung im Schwarzwaldstadion am 27. Juli gegen den 1. FC Nürnberg eine halbwegs eingespielte Mannschaft zu formen. „Natürlich ist die Vorbereitung kurz, aber mir gefällt es, wie unsere Neuen die Sache angehen und sich reinhauen“, sagt Streich: Was weiter Zuversicht vermittelt: Im Gegensatz zu anderen Vorbereitungen ist der SC bislang vom Verletzungspech verschont geblieben. Schuster spricht von einer guten Mischung, von jungen, ehrgeizigen Spielern, die für frischen Wind sorgen. Und charakterlich würden die Neuen prima passen. Der eine oder andere wird noch gehen, der eine oder andere wird noch kommen. Vor allem die Abwehr zeigt in Schruns noch Schwächen. Streich sagt zu weiteren Verpflichtungen: „Klar ist, dass uns durch den Abstieg sehr viel Geld verloren geht. Wir haben eine Verantwortung dem Verein gegenüber, keine unvernünftigen Dinge zu tun.“ Die Einnahmen aus den TV-Geldern sind drastisch gesunken, der Etat ist wohl um mehr als 20 Millionen Euro geschrumpft. Auch die Dauerkarten sind nun billiger. „Wir werden dennoch 13.000 Saisontickets verkaufen, vergangene Spielzeit haben wir

bei 15.000 den Verkauf eingestellt. Die Reaktion der Fans stimmt uns zuversichtlich“, sagt Sascha Glunk von der Pressestelle. Und die Saisonziele? Die zweite Liga ist bekanntlich kein Tanzcafé. „Wir wollen eine gute Rolle spielen, aber zehn andere Mannschaften wollen das auch, etwa Karlsruhe oder Kaiserslautern. Uns als Absteiger automatisch zu den Aufstiegsfavoriten zu zählen, birgt Gefahren. Man denke nur an Fürth in der abgelaufenen Saison“, erzählt Schuster. Warum so defensiv, so zurückhaltend? Warum das südbadische Understatement? „Die Mannschaft muss sich entwickeln, sie muss einen Lauf bekommen, sie muss sich finden. Das alles ist ein Prozess“, meint der Kapitän. Und wenn der SC im Februar 2016 auf einem zweistelligen Tabellenplatz logieren würde? „So eine Situation kann natürlich immer eintreten in einer Umbruchphase.“ Doch die Werte des SportClub werde man auch in diesem Fall weiter leben. Einen Vorgeschmack auf die zweite Liga gab es am 11. Juli in Röthis, 45 Kilometer weg von Schruns. Gegen den Ligarivalen SV Sandhausen kassiert der SC bei einem unterhaltsamen, für den Trainer aufschlussreichen Kick eine 1:2-Niederlage. Das Tor machte Mike Frantz. Das ist wohl ein Hinweis darauf, dass sich die Kicker wirklich warm anziehen müssen, wenn sie dann im Februar nach Sandhausen zum Pflichtspiel fahren. Noch spricht längst nicht alles dafür, dass der 23. Mai 2015 als ein Betriebsunfall in die inzwischen 111-jährige Vereinsgeschichte eingeht.

Fotos: © ns

»Werden keine unvernünftigen Dinge tun«

10 CHILLI Juli/August 2015


N I H O W ZUM P U D N STA ? G N I L PADD Gleich nachschauen:

TIPPS -TERMINE -TICKETS


SZENE Gastronomie

Verkaufen verboten Bedeutet eine Gesetzesänderung das Aus für Cocktailtaxi und Automaten-Emma?

Schwäbisches Prohibitiönle: Der Automaten-Emma (links) und Björn Riegers Cocktailtaxi (rechts) soll ab 22 Uhr der Hahn zugedreht werden.

I Foto:s © tbr, tln

m Kampf gegen Alkoholgelage auf öffentlichen Plätzen will die Landesregierung eine Gesetzeslücke schließen: Nach Tankstellen und Supermärkten sollen künftig auch Bringdienste und Automaten keinen Alkohol mehr nach 22 Uhr verkaufen dürfen. Kommt das Gesetz durch, könnte es das Ende für Freiburgs Traditionsautomaten, die Automaten-Emma, und für Lieferservices wie das neue Cocktailtaxi sein. Denn das Innenministerium bestätigt auf chilli-Anfrage: Auch ins Wohnzimmer darf dann nicht mehr geliefert werden. Mexikanischer Bohneneintopf, Katzenfutter, Kondome, Laufener Gutedel und die „Biergit“ – die Automaten-Emma in der Zähringerstraße bietet rund um die Uhr alles, was man zu später Stunde

noch brauchen könnte. Einst war der Automat, den es in Freiburg seit 1976 gibt, die einzige Möglichkeit, nach 18.30 Uhr noch einzukaufen, jetzt könnte zumindest mit dem Bier- und Weinflaschen-Verkauf bald Schluss sein: Die grün-rote Landesregierung hat eine Gesetzesänderung auf den Tisch gebracht, die Bringdienste und Warenautomaten ins nächtliche Alkoholverkaufsverbot mit einbezieht. Bereits seit März 2010 dürfen Supermärkte und Tankstellen in Baden-Württemberg nach 22 Uhr keinen Alkohol mehr verkaufen. Für Gaststätten oder Pizzalieferservices, die auch einen Verzehrraum und damit eine Schankerlaubnis haben, galt und gilt auch weiterhin das Lieferverbot nicht. Für andere Bringdienste und Automaten herrschte jedoch bisher eine Gesetzeslücke. uu

MEINE SORGEN Freibad-Krieg

Jeden Monat das gleiche: Schreibe ich über das, was meine Sorgen sein sollten, oder darüber, was mich tatsächlich beschäftigt? Das Sollte ist klar: Die armen Griechen, die kein Geld bekommen. Die arme Kollegin, der sie das Auto quasi unterm Hintern weg geklaut haben. Der arme Japaner, der während des Weinfests ins Bächle gefallen ist und sich den Fuß verletzt hat. Doch meine dringlichste, jeden anderen Gedanken konsumierende Sorge: Mir ist heiß. Ich weiß – was für eine lang14 CHILLI Juli/August 2015

weilige Mainstream-Sorge! Die einzigen Freiburger, die diese gerade nicht teilen, sind die Freibad-Betreiber. Die sind zu sehr damit beschäftigt, neue Besucherrekorde aufzustellen. Denn in den Freibädern herrscht Krieg. Ein Krieg, in dem es ausnahmsweise nicht um Öl geht – außer vielleicht um Sonnenöl –, sondern um Wasser, Schattenplätze und Eis. Militante Splittergruppen versuchen ihr Territorium mit Hilfe von Handtüchern zu vergrößern, Wasser-

bomben fliegen durch die Lüfte, und im Sandkasten hat man sich auf mittelalterliche Verteidigungsmechanismen besonnen und baut fleißig Burgen. Daher eine ernste Warnung ins Krisengebiet: Erst wenn der letzte Tropfen Wasser durch Schweiß verdrängt, der letzte Grashalm von einem Handtuch bedeckt, das letzte Eis geschleckt ist, werdet ihr merken, dass man der Hitze nicht entkommen kann. Darauf ein fröhliches Schwitz Schwitz Hurra! Tanja Bruckert


Eine Lücke, die auch die Automaten-Emma genutzt hatte. 2013 klagte deren Besitzer Hans Ludwig Bahner gegen die Stadt Freiburg, weil die ihm den nächtlichen Verkauf von Alkohol verboten hatte. Das Verwaltungsgericht gab Bahner Recht und bezog sich auf die Gesetzeslücke, wonach lediglich Ladengeschäften der Verkauf untersagt sei. „Wenn ich Bier und Wein rausnehmen muss, dann bin ich pleite“, beschreibt der Inhaber die Konsequenzen. Die Alkoholika machen einen Großteil seines Geschäfts aus. Ohne deren nächtlichen Verkauf müsste Bahner seinen Automaten abbauen, mit dem er sich etwas zur Rente hinzuverdient. Es wäre das Ende einer Freiburger Institution. Die Gründe kann der Betreiber nicht nachvollziehen: „Was ist das für eine Wirtschaftsordnung, wenn Politiker erwachsenen Menschen vorschreiben, dass sie nach 22 Uhr keinen Alkohol mehr trinken dürfen?“ Entsetzen auch bei Freiburgs kürzlich eröffnetem Cocktailtaxi. Hier war man bisher davon ausgegangen, dass die Gesetzesänderung keine Lieferungen nach Hause betreffen würde, doch eine chilli-Anfrage beim Innenministerium bestätigt: Auch die Lieferung ins eigene Wohnzimmer soll verboten werden. Selbst Bierautomaten im Studentenwohnheim müssen abgeschaltet werden, sollten sie öffentlich zugängig sein.

»Dann bin ich pleite« Doch noch ist die Gesetzesänderung nicht in trockenen Tüchern, momentan läuft die Anhörungsphase. Der Landtag muss das Gesetz noch beschließen, doch das Innenministerium geht davon aus, dass das Gesetz zum Jahreswechsel in Kraft treten wird. Die Cocktailtaxi-Inhaber Robert Mrozek und Björn Rieger haben noch Hoffnung, das Gesetz kippen zu können: Sie planen eine Unterschriftenaktion, denn die Gesetzesänderung würde sie empfindlich treffen: Ihr Geschäft geht erst ab 21 oder 22 Uhr in die heiße Phase. Der Sinn des Gesetzes erschließt sich Mrozek nicht: „Warum darf in Bars noch getrunken werden und bei uns nicht? Wer betrunken zu uns kommt, bekommt von uns auch keinen Alkohol mehr.“ Kritik gegen die Änderung kam im Land auch von der Opposition sowie der grünen und der SPD-Parteibasis auf. Auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) kritisiert die Änderung. „Ich sehe es sehr kritisch, dass der Staat immer mehr regulativ eingreift“, so der baden-württembergische Geschäftsführer Alexander Hangleiter. „Die Frage ist, ob Verbote hier weiterhelfen oder ob man das Problem nicht eher an der Wurzel packen sollte.“ Die Freiburgerin Edith Sitzmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, begrüßt indes, dass die Gesetzeslücken nun geschlossen werden. Doch auch sie macht deutlich, dass man auf „Prävention statt Repression“ setzen müsse: Präventionsarbeit und Suchtberatung seien der richtige Weg, um Foto: © Nachweis Alkoholmissbrauch und Gewalt entgegenzuwirken.

Foto: © ddp

SZENE Kolumnen

Kein Alkohol ist auch keine Lösung Kommentar Grün-Rot hat sich verrannt. Gesellschaftliche Probleme durch Verbote zu lösen – wann hat das schon einmal funktioniert? Woran die US-Regierung in den 20ern gescheitert ist – während der Prohibition hat sich die Zahl der Kneipen in New York fast verdoppelt –, wird auch das schwäbische Prohibitiönle nicht in den Griff kriegen. Wer durch Alkohol verursachte Gewalttaten eindämmen will, muss informieren und nicht verbieten. Das Gesetz ist nicht neu, seine Änderung soll für mehr Gerechtigkeit sorgen: Wenn Tankstellen nicht verkaufen dürfen, soll niemand auf Automaten und Bringdienste ausweichen können. Doch warum darf der Pizzadienst Alkohol liefern und das Cocktailtaxi nicht? Warum darf eine Bar Drinks zum Mitnehmen verkaufen und der Automat nicht? Was daran gerecht sein soll, ist schwer nachzuvollziehen. Außerdem wird niemand daran gehindert, sich in einer Bar zu besaufen und danach auf der Straße Krawall zu machen. Die Widersprüche lassen sich erklären: Die Landesregierung hätte gerne ein Konsumverbot erlassen, dafür fehlen jedoch die rechtlichen Grundlagen. Auch Freiburg scheiterte bereits mit einem Alkoholverbot im Bermudadreieck. So wurde mit dem Verkaufsverbot ein Kompromiss gefunden, der weder Befürworter noch Gegner zufriedenstellen kann. Wir nähern uns mithin der gleichen Schwachsinnsregelung wie sie bereits für Cannabis gilt: Es darf zwar konsumiert, aber nicht gekauft werden. Man könnte die Regelung als nichtig abtun, betrifft sie doch nur wenige Akteure – die dafür umso schmerzhafter. Doch das Gesetz wirft eine Grundsatzfrage auf: Welches Recht hat der Staat, erwachsene, mündige Bürger durch Verbote zu erziehen? Denn bestraft wird nicht nur saufendes Jungvolk, sondern auch jeder, der sich am späten Abend spontan ein Feierabendbier kaufen möchte. Und das kann nicht Sinn des Verbots sein. tbr

Tanja Bruckert Juli/August 2015 CHILLI 15


VERANSTALTUNGSKALENDER

Termine

Partys

Foto: © Nachweis

18. 7.– 31. 8.

Blues Pills Blues Rock am 11. August 2015 um 20 Uhr im Jazzhaus Freiburg

VERANSTALTUNGSKALENDER Samstag

18.7.2015 Ausstellungen ‌Making Africa

‌ Continent of Contemporary Design, A 14.3.-13.9. Vitra Design Museum, Weil am Rhein Info: www.design-museum.de

‌Keramik der Moderne

‌ erke von Horst Kerstan, 20.6.-4.10. W Augustinermuseum, Freiburg Info: www.freiburg.de/museen

‌Un/sichtbar – Frauen überleben Säure

Events ‌Bang your Head!!!

‌ it dabei: Accept, Sabaton, Kreator, m Dream Theater & viele mehr Messegelände, Balingen ★ 11.30 Uhr Info: www.bang-your-head.de

‌Historisches Burgfest

‌ ittelalterliches Treiben, 13-21 Uhr M Festivalgelände Hohentwiel, Singen ★ 13 Uhr Info: www.hohentwielfestival.de

‌Holi Gaudy Festival Tour 2015

‌ olour your Day! C Messe, Villingen-Schwenningen ★ 14 Uhr Info: www.holi-gaudy.com

‌Black Forest Battle

‌Vintage Flohmarkt

‌ lamotten & Accessoires K mit entspannter Mucke Schmitz Katze, Freiburg ★ 16 Uhr Info: www.schmitz-katze.com

‌Gold in den Straßen

L‌ ilian Loke liest aus ihrem Debütroman Café Pausenraum, Burgdorfer Weg 19, Freiburg ★ 17 Uhr Info: www.literaturbuero-freiburg.de

‌10. Basel Tattoo

L‌ ive-Spektakel mit Glanz & Glamour, auch um 21.30 Uhr Kasernenareal, Basel ★ 17.30 Uhr Info: www.baseltattoo.ch

‌Feuerwehrhock

F‌ otografien von Ann-Christine Woehrl, 9.5.-20.9. Museum Natur & Mensch, Freiburg Info: www.freiburg.de/museen

‌ harity Dance Event C Saal im E-Werk, Freiburg ★ 14 Uhr Info: www.ewerk-freiburg.de

‌ rillen & Chillen mit DJ Chris G Feuerwehrhaus in der Eschholzstraße, Freiburg ★ 18 Uhr Info: www.abteilung02-freiburg.de

‌Uhren aus vier Jahrhunderten

‌Christopher Street Day

‌ olitparade/Demonstation, 15-18 Uhr P Innenstadt, Freiburg ★ 15 Uhr Info: www.csd.freiburg.de

‌12. Haslacher Hofmusik

‌ ie Sammlung Ehrensberger, 14.2.-10.1. D Augustinermuseum, Freiburg Info: www.freiburg.de/museen

‌Klaus Prior

‌ kulpturen aus Holz, 9.5.–20.9. S Altes Rathaus, Lahr Info: www.lahr.de

26 CHILLI Juli/August 2015

‌Bad Krozinger Lichterfest

‌ ber 150 Kerzen & Lampions erleuchten Ü den Kurpark, 18.-19.7. Kurpark, Bad Krozingen ★ 15 Uhr Info: www.bad-krozingen.Info

‌ reites musikalisches Angebot B Melanchthonscheuer, Markgrafenstr. 18b, Freiburg ★ 18.30 Uhr Info: www.freiburg.de/stadtbibliothek

‌Einstein & die Schwarzen Löcher ‌ ie Geschichte der Gravitation D Planetarium, Freiburg ★ 19.30 Uhr Info: www.planetarium-freiburg.de

Kino ‌12. Freiburger Filmfest ‌ ie Schüler der Madame Anne D Kino Harmonie, Freiburg ★ 16.45 Uhr Info: www.filmfest-freiburg.de

‌12. Freiburger Filmfest ‌ er Letzte der Ungerechten D Friedrichsbau Kino, Freiburg ★ 17 Uhr Info: www.filmfest-freiburg.de

‌12. Freiburger Filmfest ‌Taxi Teheran Friedrichsbau Kino, Freiburg ★ 19 Uhr Info: www.filmfest-freiburg.de

‌12. Freiburger Filmfest ‌ bout a Girl A Kino Harmonie, Freiburg ★ 21.10 Uhr Info: www.filmfest-freiburg.de

‌12. Freiburger Filmfest L‌ earning to Drive MensaGarten, Freiburg ★ 21.30 Uhr Info: www.filmfest-freiburg.de

‌12. Freiburger Filmfest ‌El Club Kino Harmonie, Freiburg ★ 22.30 Uhr Info: www.filmfest-freiburg.de

› Alle Angaben ohne Gewähr


VERANSTALTUNGSKALENDER Music ‌Lisa Batiashvili ‌ hamber Orchestra of Europe C Festspielhaus, Baden-Baden ★ 19 Uhr Info: www.festspielhaus.de

‌Musik im Exil ‌ erke von Arnold Schönberg, W Stefan Wolpe & Béla Bartók Galerie depot.K, Freiburg ★ 20 Uhr Info: www.depot-k.com

‌Juanes L‌ oco de Amor Tour Zirkuszelt, Mundenhofgelände, Freiburg ★ 20 Uhr Info: www.zmf.de

‌Talisco & Sophie Hunger ‌Supermoon-Tour Marktplatz, Lörrach ★ 20 Uhr Info: www.stimmen.com

‌The Teddyshakers

‌ hapeau! – DeutschC französischer Theatersommer

‌Sea You Festival ‌ it dabei: Bakermat, Carl Cox, Lexy & m K-Paul & viele mehr, 18.-19.7. Tunisee, Freiburg ★ 12 Uhr Info: www.seayou-festival.de

‌Noche de Salsa

‌ it DJ Gregorio m Latinclub Mamasita, Freiburg ★ 21 Uhr Info: www.mamasita-club.de 2‌ 4 Stunden Trauung mit Pfarrer Diskothek BerGWerK, Offenburg ★ 21 Uhr Info: www.bergwerk-offenburg.de

‌Sommerkonzerte im Lorettobad

‌Offizielle CSD Party

‌ it den Twojays m Slow Club, Haslacher Str. 25, Freiburg ★ 21 Uhr Info: www.slowclub-freiburg.de F‌ einster House, TechHouse, Deephouse & Techno Crash, Freiburg ★ 22 Uhr Info: www.crash-freiburg.de

‌SchwuLesDance

‌ lavierabend mit Bernd Glemser K Historisches Kaufhaus am Münsterplatz, Freiburg ★ 20.15 Uhr Info: www.internationaleklavierakademie.org

‌ ay – Lesbian Party der Rosa Hilfe Freiburg G Waldsee, Freiburg ★ 22 Uhr Info: www.waldsee-freiburg.de

‌UST Singers

‌ it Oliver Schories, Unueberlegt & anderen m Hans-Bunte-Areal, Freiburg ★ 22 Uhr Info: www.facebook.com/hansbunteareal

‌Preisgekrönter Weltklassechor Dom, St. Blasien ★ 20.15 Uhr Info: www.ustsingers.com

‌De Phazz feat. Pat Appleton ‌Female Special Kulturzentrum Tollhaus, Karlsruhe ★ 20.30 Uhr Info: www.tollhaus.de

‌Bucher‘s Organ Book ‌ on Balladen bis zu Latin-Grooves V Bird‘s Eye Jazz Club, Basel ★ 20.30 Uhr Info: www.birdseye.ch

Musical ‌The Lion King ‌ as original Broadway-Musical, D 14.30 & 19.30 Uhr Musical Theater, Basel ★ 14.30 Uhr Info: www.thelionking.ch

Christopher Street Day

‌Just Married Las Vegas

‌Bunter Abend

‌ ianofest der internationalen P Klavier Akademie Freiburg

Foto: © csd-freiburg.de

Party

‌ as Beste kommt zum Schluss D Spiegelzelt, Mundenhofgelände, Freiburg ★ 20 Uhr Info: www.zmf.de ‌ lbert-Louis-Jazzband wird 50! A Lorettobad, Freiburg ★ 20 Uhr Info: www.lorettobad.de/veranstaltungen.html

demonstration

‌ arlene Piaf – Das Leben zweier Diven M Theaterzelt an der Stadthalle, Lahr ★ 20 Uhr Info: www.baalnovo-news.com

Innenstadt, Freiburg

Samstag, 18. Juli, 15 Uhr

Gleiches Recht für alle Diskriminierung stoppen. Ausgrenzung beenden. Gewalt verhindern. Liebe leben. Für die Rechte von Homo- und Transsexuellen gehen bei den CSD-Paraden in fast allen deutschen Großstädten Menschen auf die Straße. Freitagabend ist feierliche Eröffnung in der Uni. Die eigentliche Parade startet Samstag um 15 Uhr auf dem Stühlinger Kirchplatz. www.csd-freiburg.de

‌Sea You Aftershow

‌Neid Club Weekender – Vol. 2 ‌Techno/House/DeepHouse Schmitz Katze, Freiburg ★ 23 Uhr Info: www.schmitz-katze.com

‌Drifter‘s Allstars

‌ it DJ Robert Heart m Drifter‘s Club, Freiburg ★ 23 Uhr Info: www.drifters-club.de

‌Meet & Greet ‌ it DJ 2 Face m Schneerot, Freiburg ★ 23 Uhr Info: www.schneerot.de

‌‌Sea You Aftershow ‌ it Thomas Schumacher m Klangraum, Freiburg ★ 23 Uhr Info: www.klangraum-freiburg.de

Jubiläum Fotos: © Patrick Straub, Christoph Junck

10. Basel Tattoo Kasernenareal, Basel | 17. bis 25. Juli | Info: www.baseltattoo.ch

Rund um den Dudelsack Das Militärmusikfestival Basel Tattoo feiert in diesem Sommer seine zehnte Auflage. Dafür wird die Basler Kaserne, in der bis 1966 noch ein Teil der Schweizer Armee residierte, wieder einmal zum Schauplatz für mehr als 1000 Künstler aus aller Welt. Das Basel Tattoo ist nach dem in Edinburgh das zweitgrößte Militärmusikfestival der Welt. Mittlerweile strömen jedes Jahr rund 120.000 Zuschauer in die Kaserne. Bei der diesjährigen Jubiläumsshow treten › Noch mehr Termine auf chilli-freiburg.de

prominente Bands wie die Blue Devils aus den USA und die Band of The Household Cavalry aus dem britischen Königshaus auf. Ein weiteres Highlight ist das Imps Motorcycle Display Team aus Großbritannien: Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 16 Jahren präsentieren auf ihren Motorrädern die verrücktesten Akrobatikübungen. Aber auch zahlreiche Tanztruppen wie die Ailsa Craig Highland Dancers und allen voran die Celtic Irish Dancers bevölkern diesen Sommer die Kaserne. Juli/August 2015 CHILLI 27


KINO Filmtipp

Mit dem Fernglas in den Dünen Ein heiteres Sommerstück um ein ernsthaftes Anliegen

SeÑor Kaplan Uruguay 2014 Regie: Alvaro Brechner Mit: Héctor Noguera, Néstor Guzzini, Rolf Becker u. a. Verleih: Neue Visionen Laufzeit: 98 Minuten Start: 16.7.2015

A

ls das Freiburger Filmfest mit dieser sommerlich-heiteren Komödie eröffnet wurde, schienen die beiden mit Liegestühlen, Kühltasche und Fernglas bepackten Männer nicht nur durch die Dünen zu gehen, sondern direkt auf das Publikum zuzukommen. Ein wenig erinnerten sie an Don Quijote und Sancho Panza auf ihrem Weg in den Kampf gegen Windmühlen, die sie für Riesen hielten: Hager, hochgewachsen und vorneweg der Anführer, klein, korpulent und hintendrein sein Adjutant. Jacob Kaplan und Wilson Contreras kämpfen freilich nicht gegen vermeintliche Riesen. Sondern für Gerechtigkeit. Allerdings ist ihr Kampf, wie sich später herausstellen soll, einer ähnlich blühenden Fantasie geschuldet wie der des edlen Ritters und seines Knappen. Doch wir wollen das Ende dieser wunderbaren tragikomischen Geschichte mit Tiefgang nicht vorwegnehmen, die in Uruguay im Jahr 1997 spielt – und sich nicht nur fiktiv, sondern höchst real ereignet haben könnte. Dorthin sind in den 1940er Jahren nämlich viele Menschen geflohen: In der ersten Hälfte vornehmlich Juden, um sich vor den Nazis zu retten – und in der zweiten Hälfte eben diese Nazis, um sich davor zu retten, Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen. Jacob Kaplan gehört zur ersten Gruppe: Kurz vor dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen war der damals 18-Jährige von seinen Eltern auf die Flucht geschickt worden. Allein, ohne Angehörige – damit wenigstens ein Familienmitglied überlebte. So wie es heute noch viele

Fotos: © Neue Visionen

63 CHILLI Juli/August 2015

Menschen in Kriegsgebieten machen. So, wie es auch die Urgroßeltern von Regisseur Alvaro Brechner machten, die seinen Großvater unbegleitet auf die Reise schickten. Im Film bleibt das Holocaust-Thema in seiner ganzen leidvollen Dimension indessen nur eine Randnotiz. Doch man muss es kennen, um ihn zu verstehen. Um zu verstehen, warum der inzwischen 76-jährige Señor Kaplan sich in den Kopf setzt, dass er, der Davongekommene, in der nicht mehr allzu langen Zeit bis zu seinem Tod unbedingt noch Großartiges vollbringen muss. Und warum er sich zu diesem Zweck ausgerechnet als Nazijäger betätigt. Zunächst ist da eine Reportage über Simon Wiesenthal, die Erinnerungen weckt. Und dann ist da die Andeutung seiner Enkeltochter, dass ein Deutscher, der von allen Kunden „El Nazi“ genannt wird, an einem Strand in der Nähe Montevideos eine Bar namens Estrella betreibt. Und als er auch noch herausfindet, dass das Wehrmachtschiff, das gegen Ende des 2. Weltkriegs heimlich in Buenos Aires vor Anker ging, ebenfalls Stern hieß, steht sein Entschluss fest: Er heuert den ehemaligen, wegen Unzuverlässigkeit und heimlicher Trunksucht gefeuerten Polizisten Contreras als Chauffeur an und begibt sich auf Beobachtungsposten in die Dünen. Mit dem Ziel,„El Nazi“ zu fangen und nach Israel auszuliefern. Ein wirklich geglückter Film, der ein ernsthaftes Anliegen mit einem sympathischen Augenzwinkern angeht. Mit schönen Bildern, überzeugenden Schauspielern und trefflichem Soundtrack. Erika Weisser


DVD neuerscheinungen

Selma

Still Alice – Mein Leben ohne Gestern

Frau Müller muss weg

Großbritannien/USA 2014 Regie: Ava DuVernay Mit: David Oleyowo, Oprah Winfrey u. a. Vertrieb: Arthaus Laufzeit: 125 Minuten Preis: ca. 14 Euro

USA 2014 Regie: R. Glatzer & W. Westmoreland Mit: Anke Engelke, Ken Duken u. a. Vertrieb: Polyband Laufzeit: 99 Minuten Preis: ca. 16 Euro

Deutschland 2014 Regie: Sönke Wortmann Mit: Anke Engelke, Ken Duken u. a. Vertrieb: Constantin Film Laufzeit: 87 Minuten Preis: ca. 15 Euro

Gott hat zuerst geweint Nach innen gewandt

in der Kampfarena

„Selma“ war als bester Film für den Oscar 2015 nominiert. Und erhielt die Trophäe – für den besten Song: „Glory“. Und der geht zu Herzen. So wie der ganze Film, der ein kluges Porträt von Martin Luther King zeichnet. Ohne falsche Sentimentalität beschreibt er die Gewalt, die im Land der unbegrenzten Möglichkeiten noch vor 50 Jahren von einem Teil der Bevölkerung gegen den anderen ausgeübt wurde. Allein wegen einer Hautfarbe, die von weißen Überlegenheitsfanatikern als minderwertig angesehen wurde. Er zeigt, wie sich in dem vom Rassentrennungs-Hardliner George Wallace regierten Südstaat Alabama trotz allen rassistischen Hasses die Bürgerrechtsbewegung der Afro-Amerikaner formierte, wie sie niedergeknüppelt wurde – und sich schließlich doch durchsetzte: Der legendären Marsch von Selma nach Montgomery war der Anfang. Über dem ganzen Szenario weht die Konföderierten-Flagge. So wie heute noch in South Carolina, wo jüngst neun Schwarze in einer Kirche ermordet wurden. Von einem weißen Überlegenheitsfanatiker.

Der Film war ein Highlight des KinoFrühjahrs; führte lange die Programmkino-Charts an. Zu Recht: Sönke Wortmanns bissige Satire auf den Leistungsdruck an Grundschulen zeigt, wie weit elterliche Eitelkeit gehen kann, wenn sie angesichts schulwegsentscheidender Abschlussnoten einen neurotischen Touch bekommt. Nun gibt es den Film als treffliche Unterhaltung für die Ferien. Zur Rückschau auf überstandene Schlachten – oder zur Vorbereitung für bevorstehende. Eine Versammlung engagierter Eltern hat beschlossen, dass Frau Müller, eine engagierte und bisher sehr beliebte Lehrerin, ihren Kindern nicht länger zuzumuten sei, da sie „die Klasse und den Lehrstoff nicht mehr im Griff“ habe, sprich: die zu erwartenden Noten möglicherweise zu schlecht für den Übergang aufs Gymnasium sind. Und der muss unbedingt erreicht werden, ob die Kinder das nun wollen oder nicht. Doch Frau Müller reagiert gelassen, stellt die Probleme der Schüler aus ihrer Sicht dar – und verschwindet. Den Eltern bleibt nichts übrig, als sich selbst zu zerfleischen.

Erika Weisser 3 DVDs zu gewinnen!

Teilnahme über www.chilli-freiburg.de – Stichwort: „Selma “

Die Veränderung sieht man am Blick: Der kann das betrachtete Objekt nicht festhalten, schweift ab, sucht einen Anhaltspunkt, richtet sich nach innen, wird leer. Allein für dieses Spiel der Augen, das die allmähliche Verwirrung, die zunehmende Orientierungslosigkeit einer an Alzheimer erkrankten Frau mit einer unglaublichen Intensität nacherlebbar macht, hätte Julianne Moore einen Oscar verdient. Und sie hat ihn bekommen – als beste Hauptdarstellerin, für die ganze Rolle der Alice, die sich zwar innerlich mehr und mehr von der Welt verabschiedet, äußerlich jedoch genauso präsent bleibt wie bisher. Und die der Mensch bleibt, der sie immer war. Zumindest für ihre jüngere Tochter, deren Verhältnis zur Mutter ohnehin nicht das beste war. Was sich im Verlauf der Krankheit aber ändert. In einem gemeinsam verbrachten Sommer im Strandhaus der Familie kommen die beiden sich so nahe wie nie zuvor. Ein unerschrockener, erstaunlich unsentimentaler und doch sehr bewegender Film zum Thema Demenz – ab 31. Juli als DVD erhältlich. Erika Weisser 3 DVDs zu gewinnen!

Teilnahme über www.chilli-freiburg.de – Stichwort: „Still Alice“

Erika Weisser 3 DVDs zu gewinnen!

Teilnahme über www.chilli-freiburg.de – Stichwort: „Frau Müller muss weg“


Ausgabe Juli/August 12. Jahrgang / #111

Ausgabe 07- 0 8/15 2,50 Euro

Was da wieder los ist: Termine & Partys 18.07. – 31.08.15

FLÜCHTLINGE „Keine Familie, kein Leben“

MÜLLWERKER

Herdern ist das Psychodrom

FESTIVALS

Was da wieder los ist

SC FREIBURG

Streich und Schuster vor der neuen Saison

mit W irtschafts M aga zin biB

»Made in Südbaden«

Viele heimische Streifen auf dem 12. Freiburger Filmfest


Dies war eine Leseprobe der Juli/August-Ausgabe 2015.

Sie haben lust auf mehr? Das komplette Heft ist unter abo@chilli-online.de oder im Handel erh채ltlich.


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.