chilli cultur.zeit

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HEFT NR. 3/24 14. JAHRGANG LITERATUR LETZTER SCHLIFF VOR BUCHMESSE-PREMIERE KULTUR NEUER NAME FÜR „LEGAL RAVES“ MUSIK „PROBERAUM“ WILL RAUS AUF BÜHNEN
AB 25.4. IM KINO! Lars Eidinger STERBEN

Neue Räume für die Freiburger Kunstszene

STADT FREIBURG KAUFT DAS GEBĂ„UDE DES MORAT-INSTITUTS

reiburgs Kunstszene hat ein Platzproblem. Die städtische Galerie L6 muss Ende Juni aus der Lameystraße ausziehen. Eine Zusammenarbeit mit dem Morat-Institut bringt der Stadt nun neue Möglichkeiten: Das Gebäude an der Lörracher Straße 31 mit knapp 2000 Quadratmetern soll in Zukunft nicht nur die städtische Galerie L6, sondern auch andere Künstler·innen unterbringen. Ein Glücksfall.

Von außen lässt das gelbe Haus mit den Graffitibemalungen nicht darauf schließen, dass sich im hinteren Teil drei riesige Hallen und ein kleinerer Raum befinden. Und auch das eher unscheinbare, renovierungsbedürftige Foyer und die großen Papierstapel am Treppenab-

gang in den Keller zeigen nicht, dass hier in den letzten 40 Jahren Kunstgeschichte geschrieben wurde. Und doch erfüllt es einen beim Eintreten in die gewaltigen Hallen mit Ehrfurcht. Links vom Foyer sind in einem Raum Bilder in dicken Glaskästen ausgestellt. Durch eine rahmenlose Tür geht es in die erste Halle. An den Wänden hängen Kunstwerke. Die Deckenhöhe ist gewaltig, das Dach abgeschrägt, durch große Dachflächenfenster kommt viel Licht herein. Auch die beiden anderen Hallen, die durch Türen übers Foyer betretbar sind, sind bis auf einige spektakuläre Bilder und zwei Skulpturen leer.

Hinter einer unscheinbaren TĂĽr, die von weitem wie ein Teil der Wand aus-

KULTUR 46 CHILLI CULTUR.ZEIT APRIL 2024

sieht, befindet sich die Bibliothek, in der rund 50.000 (!) Bücher gelagert sind. Die Bücherregale ächzen unter dem Gewicht, der typische Duft der alten Raritäten hat sich festgesetzt. Auch mehrere Werke von Dürer sind dort untergebracht, fein säuberlich aufgereiht. Im Gebäude sind zudem rund 7500 Grafiken, 500 Gemälde und Skulpturen, die die Besucher in den vergangenen 40 Jahren bestaunen konnten.

Im November sind die Institutsgründer Eva-Maria und Franz Armin Morat in den Ruhestand gegangen – und haben die Sammlung und das Gebäude ihren Söhnen Daniel und Robert übergeben. Damit die Kunstwerke in Freiburg verbleiben und das Rathaus das Gebäude als Ort der Kunst und Kultur bewahren kann, haben Stadt und die Familie Morat eine Kooperation beschlossen, die auch den Kauf der Hallen beinhaltet.

Am 19. März hat der Gemeinderat dem Erwerb der Liegenschaft für 1,61 Millionen Euro zugestimmt. Aktuell beschäftigt sich das Rathaus mit dem Kaufvertragsentwurf, zeitnah soll ein Notartermin vereinbart wer-

Viel Platz: Die drei Hallen mit den hohen Decken bieten gerade für Künstler optimalen Platz, während die Bibliothek in Zukunft in neuem Glanz erstrahlt.

den. „Sobald das geschehen ist, geht die Immobilie an die Stadt über“, sagt Pressesprecher Kolja Mälicke. Finanziert wird das Projekt maßgeblich durch eine „hohe“, aber nicht konkret genannte Summe der Mäzenin Gertraud Hurrle. „Mit ihrer außergewöhnlichen und sehr großzügigen Spende möchte sie diesen ganz besonderen Ort mit seinen einzigartigen Ausstellungshallen als attraktiven Ort der Kultur zukünftig sichern und erhalten“, sagt Mälicke.Die Südhalle, die Bibliothek und die Lagerflächen sollen unter anderem für wissenschaftliche Aufarbeitungen und die Inventarisierung der Sammlung dienen. In Halle zwei wird die städtische Galerie L6 umziehen. Zudem sollen Initiativen und Vereine aus der Freiburger Kunstszene, vor allem diejenigen, die keine festen Räumlichkeiten haben, die Hallen mitbenutzen können.

in der Planungsphase“, sagt Mälicke. Dabei immer im Blick: die verschiedenen Akteure der Bildenden Kunst und deren Rahmenbedingungen. Proberäume soll es keine geben, denn das Gebäude soll auf ausdrücklichen Wunsch der Familie und der Mäzenin vor allem der Bildenden Kunst zur Verfügung stehen.

„Attraktiven Ort der Kultur zukünftig sichern und erhalten“

„Dazu entwickeln wir ein tragfähiges Nutzungskonzept, sind aber noch

Für die nötige Sanierung stehen, unter anderem durch die Spende von Hurrle, zunächst 580.000 Euro zur Verfügung. Sie sollen vor allem für den Brandschutz, für die Barrierefreiheit und die Erweiterung der Toilettenanlage genutzt werden. „Wir schaffen einen Ort für die Freiburger Kunstszene, an dem sich die unterschiedlichsten Initiativen und Vereine entfalten dürfen. Genau das brauchen wir, um unsere Stadt als lebendige Kulturstadt voranzubringen“, sagt Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach.

Fotos: © Jennifer Patrias Gebäude mit großer Geschichte: 40 Jahre stellte die Morat-Stiftung ihre Werke der Öffentlichkeit zur Verfügung.
KULTUR APRIL 2020 CHILLI CULTUR.ZEIT 47

„Selbst disqualifiziert“

SO GEHT ES MIT DEN „FREE OPEN AIR“-RAVES WEITER

Auch diesen Sommer gibt es im Dietenbachpark legale Raves. Sie heißen jetzt aber anders, erzählt Mitorganisator Johannes Lutz von der Taskforce der IG Subkultur im Interview mit Till Neumann. Er schmiedet mit einem Team bereits Pläne, um den Platz zu optimieren. An die Kritiker hat er eine Bitte.

chilli: Johannes, wie geht es weiter mit dem Legal Raves?

Lutz: Erst mal zum Wording: Wir wollen den Begriff Free Open Air benutzen. Ähnliche Projekte nennen sich auch so. Raves haben einfach einen anderen Charakter. Am 16. April laden wir zu einem Infotreffen ein, da werden wir die ersten Dates bekannt geben. Die ersten fünf von zehn Terminen sind fix, die Leute können sich drum bewerben.

chilli: Der Platz im Dietenbachpark ist gesetzt?

Lutz: Es gibt aktuell keine Alternative. Unser Ziel ist, da zu bleiben und perspektivisch auch baulich was zu machen. Letztes Jahr hat sich gezeigt, dass es im Sommer wahnsinnig heiß wird, wenn die Sonne auf den Teerplatz knallt. Da geht es um Sachen wie Sonnenschutz – auch in Verbindung mit Emissionsschutz.

chilli: Also eine Schallisolierung?

Lutz: Genau. Es gibt ja ein Messgerät für die Lautstärke, einen Limiter. Wir würden das gerne erweitern. Baulich könnten wir mit Containern Schatten schaffen, für Schallschutz sorgen und sie als Lagerfläche nutzen. Das wäre eine Überlegung, aber das ist noch lange nicht spruchreif.

chilli: Ist die Fläche dort an sich cool? Lutz: Ja. Abgesehen davon, dass es im Sommer super heiß wird. Sie ist befestigt, gut zu erreichen mit Öffentlichen, aber nicht zentral in der Stadt. Der Platz hat eine ordentliche Größe, die Open Airs beleben den Park und bringen ein kulturelles Angebot für den Stadtteil Weingarten.

chilli: Die VorzĂĽge sehen Anwohnende aus Betzenhausen anders.

Lutz: Letztes Jahr gab es Messungen, die zeigen: Alle Richtlinien wurden eingehalten. Wir sind eine Stadtgesellschaft. Das bedeutet nicht, dass es immer nur leise ist. Wenn ein paar Leute aus Betzenhausen das Open Air als störend empfinden, ist das für uns noch lange kein Grund, es zu beenden. Wir sind bereit zur Kommunikation, solange sie respektvoll ist. Was tatsächlich nicht der Fall war. Die Leute haben sich teilweise im E-Mail-Verkehr selbst disqualifiziert.

chilli: Sind die Anwohnenden auch trotz Limiter noch verschnupft?

Lutz: Letztes Jahr hat die Problematik tatsächlich angefangen, weil bei der ersten Veranstaltung die Anlage

falsch ausgerichtet war. Dadurch gab es Lärm-Beschwerden, was uns leidtut. Dadurch war der schlafende Hund geweckt und es wurden Themen verwechselt und zusammengeschmissen. Es ging auch um andere Plätze und Raves, mit denen wir überhaupt nichts zu tun haben.

chilli: Ihr seid also überzeugt, das mit dem Limiter und unter Einhaltung der Zeiten da gefeiert werden kann, ohne Anwohnende zu stören?

Lutz: Selbstverständlich. Dafür haben wir die Messung in verschiedenen Stadtteilen gemacht.

chilli: Was ist der größte Wunsch für die kommende Open-Air-Saison?

Lutz: Dass Leute, die Dinge kritisch sehen, einmal vorbeikommen und mit den Leuten sprechen. Dass sie sehen, was für Glücksmomente so ein Event schaffen kann. Und nicht den Weg hintenrum gehen. Wir sind immer bereit zum Gespräch.

Mitorganisator: Johannes Lutz lädt Kritiker ein, bei den Open Airs vorbeizukommen.

Foto: © tln Foto: © corner ev 48 CHILLI CULTUR.ZEIT APRIL 2024

„Ein Jahr Lücke“

WARUM SICH DER START DER PROBERAUM-MODULE VERZĂ–GERT

Seit Jahren hoffen Freiburger Bands auf mehr Proberäume. Seit Sommer ist bekannt, dass Module beim Eschholzpark Abhilfe schaffen sollen. Der Plan war, Mitte 2024 bei der Edith-Stein-Schule zu starten. Doch es wird rund ein Jahr länger dauern, berichtet Vize-Kulturamtsleiter Udo Eichmeier. Für Multicore-Sprecher Markus Schillberg ist die Variante ohnehin nur „Schadensbegrenzung“.

Im Juni schließt das Kunsthaus L6 in Zähringen. Und die dortigen Proberäume. Seit 2004 verwaltet sie die Musikerinitiative Multicore – und bietet rund 20 Bands Raum zum Üben. Bislang konnten sie auf einen Übergang in Holz-Container am Eschholzpark hoffen. Sechs Doppelmodule sollen dort installiert werden, meldete das Rathaus im vergangenen Juli. Doch der Zeitplan ist geplatzt: „Inzwischen haben wir alle zusam-

men gemerkt, dass diese Module nicht mal eben so auf eine Wiese gestellt werden können“, sagt Eichmeier. Die Planung sei umfangreich und müsse dieselben Schritte durchlaufen, als würde man da ein Ein- oder Mehrfamilienhaus hinsetzen. Es brauche ein Boden-Gutachten, Zuleitungen und Zuwegung, auch Mauereidechsen und Bäume seien zu berücksichtigen. Daher gebe es „ein Jahr Lücke“. Angepeilt sind nun Mai oder Juni 2025 als Startpunkt. Eichmeier betont: „Wir sind da hinterher gewesen, das schnellstmöglich hinzukriegen.“

ausgewählt: Der Verein wird die Module verwalten und zu einer „vertretbaren Miete“ an Bands weitergeben. Eichmeier vertraut dem Verein trotz des Desasters beim Reboot Festival. Im Sommer 2022 bekam Multicore 90.000 Euro Förderung für das Festival und machte ein Minus von 30.000 Euro. Eichmeier betont: „Unsere Unterstützung für Multicore, diese Proberäume weiter zu verwalten, ist deswegen nicht gesunken.“

„Wir trauen das Multicore zu 100 Prozent zu“

Die sechs Doppelmodule sind je 36 Quadratmeter groß. Eichmeier vermutet, dass ungefähr die Zahl der L6Bands dort unterkommen könnte. Das hänge aber von der Größe der Bands und möglichen Untervermietungen ab. Eine Band werde jeweils Hauptmieter und könne das entscheiden. Für den Betrieb der Anlage hat das Rathaus Multicore als Partner

Der Verein habe in Freiburg die meisten Kontakte zur Szene und die meiste Erfahrung in dem Bereich. „Das hier ist eigentlich identisch zum Kunsthaus L6, sodass wir denen das zu 100 Prozent zutrauen.“

Schillberg freut sich darüber. Dass das Areal eine Art Innenhof bekommen könnte, findet er gut. Auch ein Multicore-Büro ist vorgesehen, jedoch keine Lagerfläche, so Schillberg. Zudem stünde eine Mitnutzung der Musikschule Freiburg im Raum. Das hält er persönlich für schwierig. „Das ist für Musiker ein Rückzugsraum, um sich auszutoben, die haben da auch mal einen Kasten Bier stehen.“ Für Schillberg bleibt aber die Fläche beim Eschholzpark „nichts anderes als Schadensbegrenzung für das Wegfallen von L6“. Das Ende vom Lied könne das nicht sein. Am Horizont bleibt daher eine langfristige Lösung mit Modulen an der Schönauer Straße in Haslach. Aktuell hat dort noch der Katastrophenschutz sein Zentrum. Auch Eichmeier hofft auf diese Variante, bremst aber die Euphorie: „Erst mal müssen wir die Module an der Edith-Stein-Schule fertigkriegen.“ Dann werde man sich mit der Schönauer Straße beschäftigen

Mobil, aber stabil:
park. Aber erst in rund einem Jahr.
Sechs solcher Doppel-Module der Firma Meom kommen in den Eschholz-
Foto: © meom
KULTUR APRIL 2020 CHILLI CULTUR.ZEIT 49

Eine vitale Dokumentarszene

SEIT FĂśNF JAHREN GIBT ES IN FREIBURG EINE KOMMUNALE FILMFĂ–RDERUNG

Kinostadt Freiburg: Dass hier pro Einwohner·in so viele Menschen ins Kino gehen wie nirgendwo sonst, ist eine gern zitierte Besonderheit. Dass Freiburg jedoch eine von bundesweit nur drei Städten mit eigener Kommunaler Filmförderung ist, wissen fast nur die Filmschaffenden, die hier leben.

„Die Szene ist groß, vielfältig und, insbesondere im Dokumentarbereich, recht vital“, sagt Sarah Moll vom Vorstand der Initiative Freiburger Film (IFF). Sie gehörte zu den rund 100 Regisseur·innen, die sich im Frühjahr 2016 vernetzten, um die Forderung nach „einem städtischen Förderetat für die Kunstsparte Film“ auf den Weg durch die Gremien zu bringen. Mit Erfolg: Seit Herbst 2019 gibt es beim Kulturamt einen Fördertopf für Filme, die in Freiburg entstehen. Das anfängliche Volumen von 20.000 Euro im Jahr hat sich inzwischen auf 40.000 Euro verdoppelt.

Zweimal im Jahr können in Freiburg wohnende Filmschaffende auf die kommunale Förderung zurückgreifen. Die aktuelle Antragsfrist endet am 1. Mai, sagt die ehemalige ARTE-Chefredakteurin Sabine Rollberg. Sie bildet zusammen mit der Filmemacherin Sigrid Faltin, Ann-Kathrin Harr vom Kulturamt und Fabian Kiefer von der Filmcommission Freiburg Schwarzwald die vierköpfige Jury, die über die jährlich etwa 35 Anträge entscheidet.

Rollberg findet es „toll, dass es in Freiburg so viele engagierte Menschen im Kontext Film gibt“. Und ist schon gespannt auf die neuen Projekte, die nach Kriterien wie der handwerklichen und künstlerischen Umsetzung eines Themas bewertet werden, aber auch danach, ob die inhaltliche Zielsetzung oder die Gesamtfinanzierung erreicht werden kann.

Rollberg und Moll lassen keinen Zweifel daran, dass es

Filmstadt Freiburg: Mit kommunaler Förderung entstanden die Dokus „Fitness California“ (o.) sowie „FahrradKuriere“, „Beyond the White“ und „Olinda“ (l. u.)

sich bei den Zuschüssen, die sich zwischen mindestens 500 und höchstens 6000 Euro pro Antrag bewegen, lediglich um eine Teil- oder Anschubfinanzierung handeln kann. Doch diese könne als Türöffner für weitere Förderungen fungieren, wie es etwa bei dem von der Freiburger Editorin Nina Bärmann produzierten und weltweit prämierten Film „Beyond the White“ über das Leben auf der Halbinsel Kola im Polarkreis der Fall war.

Manchmal dient die Kommunale Förderung auch dazu, eine Finanzierungslücke zu schließen. So war es etwa bei Nadine Zacharias’ „Fitness California“ über die Freiburger Ringerszene um Weltmeister Adolf Seger – ein Film, der Anfang April bundesweit in die Kinos kam. Damit „mehr Filme eine Förderchance kriegen“, ist nach Molls Auskunft ein Antrag auf Erhöhung des Budgets in Arbeit. Denn es genüge nicht, „dass es weitergeht. Es soll sich auch weiterentwickeln“. Damit Freiburg auch in dieser Hinsicht Kinostadt werde.

www.iff-freiburg.de

Fotos: © Sarah Moll, Nina Bärmann, Marco Keller, Nadine Zacharis
50 CHILLI CULTUR.ZEIT APRIL 2024 KINO

EVIL DOES NOT EXIST

Japan 2023

Regie: Ryusuke Hamaguchi

Mit: Hitoshi Omika, Ryo Nishikawa u.a.

Verleih: Pandora

Laufzeit: 106 Minuten

Start: 18. April 2024

Glamping versus Idylle

(ewei). Stille. Minutenlang streift die Kamera durch einen lichten Wald, erfasst Schneereste, aber auch knospende Sträucher. Sie entdeckt sprießende Wasabi-Blättchen, beobachtet erste Krabbeltierchen und den einen oder anderen frühen Vogel. Und zoomt den teilweise noch mit Eis bedeckten Bergsee heran.

Diese Quelle eines Bergbachs dient der Frischwasserversorgung einer kleinen Dorfgemeinschaft, zu der auch der Gemeindearbeiter Takumi und seine Tochter Hana gehören. Takumi kommt ins Bild, fast andächtig schöpft er Wasser aus dem Bach in bereitstehende Kanister. Später streift er mit Hana durch den Wald, erklärt ihr Bäume, Tiere, Zusammenhänge und das ökologische Gleichgewicht.

Dieses ist bedroht: Eine Tokioter Schnellgeld-Firma will in dieser Idylle einen Glamping-Park für gestresste Städter einrichten; das Abwasser soll in den Bach geleitet werden, ohne Rücksicht auf die flussabwärts liegenden Orte. Die Dorfgemeinschaft stellt sich geschlossen gegen diese Pläne.

STERBEN

Deutschland 2024

Regie: Matthias Glasner

Mit: Lars Eidinger, Corinna Harfouch u.a.

Verleih: Wild Bunch

Laufzeit: 180 Minuten

Start: 25. April 2024

Toxisches Familiengeflecht

(ewei). „Nicht alle Menschen haben das Talent zum Glücklichsein“, stellt Tom irgendwann fest. Der Sohn einer ziemlich dysfunktionalen Familie lebt als erfolgreicher Dirigent in Berlin – und hat darüber hinaus wenig Glückstalent. Seine Freundin Liv hat ihn verlassen; er kümmert sich dennoch um ihr Kind, das nicht seins ist. Denn Liv kann den Vater des Kinds nicht leiden.

Neben diesem vertrackten Co-Parenting-Dreier kümmert er sich um seinen besten Freund, der seit 20 Jahren unglücklich bis suizidal ist. Toms Schwester Ellen hangelt sich entschieden selbstzerstörerisch von Vollrausch zu Vollrausch, bringt es nie über One-Night-Stands hinaus –bis sie eine Affäre mit dem verheirateten Zahnarzt Sebastian beginnt.

Auch die Eltern beharken sich und ihre Kinder, die sie wohl auch nie richtig leiden konnten. Beide sind sterbenskrank und sich gegenseitig nur noch Last. Ein toxisches Geflecht, schonungslos in Szene gesetzt. Silberner Bär 2024.

WAS VON DER LIEBE BLEIBT

Deutschland 2023

Regie: Kanwal Sethi

Mit: Serkan Kaya, Seyneb Saleh u.a.

Verleih: Filmwelt

Laufzeit: 100 Minuten

Start: 2. Mai 2024

Fragwürdige Verdächtigung

(ewei). Als Yasemin ohne erkennbares Motiv von einem Unbekannten erschossen wird, bleibt Ilyas als gebrochener Mann zurück. Nicht nur aus Trauer um die Frau, die 15 Jahre lang sein Leben teilte. Nicht nur wegen der Unbegreiflichkeit ihres Tods. Auch wegen der Sorge um die Tochter Senna, um die er sich nun allein kümmern muss – neben dem Café, das sie gemeinsam gründeten und führten. Auch dabei ist er nun auf sich selbst gestellt.

Hinzu kommt, dass die Polizei ihn offenbar zum Kreis der Verdächtigen zählt. Zumal den Ermittlern gerüchteweise zu Ohren kommt, dass die beiden in mancher, auch politischer Hinsicht unterschiedliche Meinungen hatten – und dass Yasemin ein selbstbestimmtes Leben führte und der kurdischen PKK nahestand. Was bei einem „biodeutschen“ Ehepaar als Selbstverständlichkeit angesehen worden wäre, führt in diesem Fall zu fragwürdigen Hausdurchsuchungen und unterschwellig rassistischen Tätertheorien.

Fotos: © Pandora Fotos: © Wild Bunch Fotos: © Filmwelt
KINO

„Nicht die perfekte Band“

WARUM „PROBERAUM“ GEMEINSAME SACHE MACHEN

Sechs Musiker haben sich zusammengetan, um als „Proberaum“ im Kollektiv aufzutreten. Beim Freiburger Bandcontest Rampe haben sie zuletzt mit urbanem Indie-Sound beeindruckt. Und einen Tag später die Bar am Funkeneck randvoll gemacht. Die Soloprojekte laufen weiter, aber als Crew hoffen sie auf mehr Bühnenpräsenz. Eine Akustik-Session sticht besonders raus.

In einem Hinterhof an der Schwarzwaldstraße haben die sechs Musiker ihren Proberaum eingerichtet. Die Stimmung ist gelöst an diesem Mittwochabend. Es gibt Bier und viele Lacher. Schnell wird klar: Elias Reißer (Gesang), Laurids Hoppenheit (Gesang), Milan Mettbach (Gesang, Bass), Till Freyschmidt (Drums), Joshua Schurr (Gitarre, Gesang, Klavier) und Leo Pommer (Gitarre und Gesang) sind Bandkollegen, aber auch Freunde. Sie haben sich über Sessions, Skaterunden oder Mitbewohner kennengelernt und waren früher als „Louey and Friends“ aktiv. Damals probten sie noch im Haus der Jugend. Da ihre Künstlernamen schwer zu merken waren, stellte sie das Team mehrfach als

die Jungs aus dem Proberaum vor. „Irgendwann ist es ein Insider geworden“, erzählt Elias. Also behielten sie das bei.

Obwohl sie mit Soloprojekten wie Milxn (Milan), Louey (Elias) oder Peezy (Leo) auf digitalen Kanälen Tausende Menschen erreichen, waren Auftritte kaum zu bekommen. „In Freiburg ist das unfassbar schwer“, erzählen sie. Der Plan im Kollektiv zu punkten geht auf: Mitte Dezember traten sie als Voract im ausverkauften Jazzhaus vor Kasi auf. „Wo kann ich eure Musik finden?“, fragten Fans. „Wir so, keine Ahnung“, sagt Milan und lacht. Jeder hatte nur sein eigenes Profil.

2024 war ein „Tiefpunkt“. Eingeschüchtert seien sie gewesen von anderen Bands: „Vor uns hat der Gitarrist so frank-zappa-mäßig hinterm Kopf kranke Solos gespielt“, erinnert sich Laurids. Beim Proberaum spielt beispielsweise Milan neuerdings Bass, beherrscht aber nur Grundtöne.

„Wir haben alle was im Kanonenrohr liegen“

Jetzt hat die Band eigene SocialMedia-Accounts und ist auf Spotify. „Wir haben Bock, dass die Leute uns finden“, betont Milan. Wie gut sie harmonieren, zeigt der Song „Vakuum“. Den haben sie im September als Akustik-Version aufgenommen und auf Instagram veröffentlicht. Mit zwei Gitarren, poetischen Texten und autotune-getränktem Gesang liefern sie da urbanen Indie-Sound. Das begeistert und erntet viel Lob.

Bescheiden bleiben sie trotzdem: Ihren Auftritt beim Bandcontest Rampe im Jahr 2023 bezeichnen sie als Katastrophe. Technisch sei vieles schief gelaufen. Und auch die Rampe

Obwohl viele Fans gekommen waren, reichte es nicht für die ersten drei Plätze. „Ich glaube, die Bands bei der Rampe konnten einfach mit Skill punkten“, sagt Elias. „Wir können vielleicht ein bisschen mehr damit punkten, dass wir nicht diese perfekte Band sind, die musikalisch alles krass auf der Kette hat.“ Doch ihre Fanbase ist da. Das zeigte sich einen Abend später beim Auftritt in der Bar am Funkeneck. Der war ausverkauft. Und mit dem sind sie zufrieden.

Wie hoch sie hinaus wollen? Da sind sie sich uneins. Sie teilen aber Motivation und Fleiß: „Wir haben alle in irgendeiner Art und Weise was im Kanonenrohr liegen“, sagt Leo. Die ersten Proberaum-Fanschals gibt’s schon. Aber nur sechs Exemplare. Am Größenwahnsinn dürfte die Karriere nicht scheitern.

Aus 6 mach 1: Das Kollektiv „Proberaum“ will kreative Energie bündeln.
Fotos: © tln, privat 52 CHILLI CULTUR.ZEIT APRIL 2024 MUSIK
von Till Neumann

Zukunft: Pop

A-CAPPELLA-CHOR „TWÄNG!“ FEIERT JUBILÄUM

Am 4. Mai feiert der A-Cappella-Popchor „Twäng!“ sein zehnjähriges Bestehen im Paulussaal. Wie er von der Notlösung zum beliebten Ensemble heranwuchs, was die Gruppe zum Jubiläum auf die Beine stellt und warum die Auftritte dennoch begrenzt sind, erzählt Gründungsmitglied Mirjam Küpper.

„Ich habe immer darauf gehofft, dass wir irgendwann an dem Punkt stehen, an dem wir jetzt sind, aber sicher war ich mir nicht“, sagt Küpper. Die Sopranistin ist eines der drei Gründungsmitglieder des Freiburger Popchors „Twäng!“ und erinnert sich auch nach all den Jahren gerne an den Anfang zurück. „Nachdem wir für den Jugendchor Voice Event zu alt waren, sind wir auf der Suche nach einem neuen Chor gewesen, haben aber nichts Vergleichbares in Freiburg gefunden“, so die 31-Jährige.

Kurzerhand beschlossen Küpper, Maj-Brit Strobel und Lukas Halbritter, einfach selbst einen Chor zu gründen. Über einen Hochschuldozenten der Musikhochschule Freiburg fanden sie in Adrian Goldner schließlich auch einen Chorleiter, der bis heute für die musikalische Leitung des Chors zuständig ist.

Die erste Probe fand 2014 mit 25 Musikbegeisterten statt, inzwischen zählt der Pop-Chor 45 Mitglieder. Geprobt wird einmal in der Woche in der Freiburger Lortzingschule, die Mitglieder sind allesamt Laien mit Musikerfahrung. Im Repertoire hat die A-Cappella-Gruppe sowohl deutsche als auch englische Songs – unter anderem von Peter Fox, The Weeknd, Aurora und Lizzo.

Im Jahr absolviert der A-Cappella-Chor um die fĂĽnf Auftritte, ĂĽber-

wiegend im südbadischen Raum. „Wir haben nicht viele finanzielle Mittel, daher können wir auch nicht sehr weit weg fahren“, sagt Küpper. Ausnahmen waren ein Konzert in Berlin und das Vocal Festival im dänischen Aarhus im Jahr 2022, bei dem sie den ersten Preis in der Choir Competition gewonnen haben.

Gerade deshalb hat sich das Ensemble fürs Jubiläum etwas Besonderes einfallen lassen: Neben dem Jubiläumskonzert am 4. Mai im Paulussaal, bei dem unter den 20 Songs auch ältere Stücke gespielt werden, geht das Ensemble an zwei Wochenenden auf Süd- und Nord-Tour quer durch Deutschland. „Geplant sind Doppelkonzerte mit anderen Chören unter anderem in Köln, München und Augsburg“, erzählt die Sopranistin.

Warum der Chor so gewachsen ist, erklärt sich die Wahlfreiburgerin vor allem damit, dass er sich von Anfang an durch viel ehrenamtliches Engagement getragen hat. „Anfangs haben wir selbst an Weihnachten Konzerte in der Innenstadt organisiert, jetzt sind wir viel größer und haben uns weiterentwickelt.“ Das zeigt sich auch in der Bühnenperformance. „Wir sind auf Einzel-Mikrofonierung umgestiegen. Das gefällt nicht jedem, aber für uns ist es besser.“ Denn der Sound sei nicht nur viel direkter und poppiger, es gehöre inzwischen auch als Showelement dazu. Für die Zukunft hofft „Twäng!“ auf eine institutionelle Förderung der Stadt Freiburg. „Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass wir immer größer werden, mehr Konzerte spielen möchten, aber die Finanzierung dadurch eben auch viel größer ist“, sagt Küpper. Eine Mammutaufgabe, die nicht nur das Organisationstalent der Mitglieder brauche, sondern auch das Entgegenkommen des Rathauses.

10 Jahre Pop: Der A-capella-Chor rund um Mirjam Küpper (Mitte) freut sich nicht nur auf das Jubiläumskonzert, sondern auch auf die Tour.
Fotos: ©
Fabio Smitka
APRIL 2020 CHILLI CULTUR.ZEIT 53 MUSIK
von Jennifer Patrias
„Schweres

Booking“

4 FRAGEN AN BELA GURATH

Die MĂĽnsterplatzkonzerte gehen vom 4. bis 9. Juni in Runde zwei. Das Veranstalter-Kollektiv Freiburg Live nimmt dafĂĽr leichte Optimierungen vor, berichtet Sprecher Bela Gurath. Lokale Voracts sind fĂĽr das Event aber keine Option.

Herr Gurath, was wird dieses Jahr auf dem Platz anders?

Der Technikturm wandert zum Münster hin. Im hinteren Bereich haben so deutlich mehr Leute freie Sicht auf die Bühne. Außerdem haben wir dadurch bei bestuhlten Konzerten etwa 30 Prozent mehr Kapazität an Plätzen. Bei Stehplatzkonzerten wird es auch ein Tick mehr.

Auch bei der Gastronomie gibt’s eine Änderung? Genau, dieses Jahr sind Bezahlungen mit Karte möglich. Das ist zeitgemäß, der Game Changer. Zudem bekommen wir einen ökumenischen Gottesdienst am Sonntag. Das hat sich angeboten, wir sind ja Nachbarn der Kirche und die haben viel Rücksicht auf uns genommen. Da kam die Idee gemeinsam mit OB Martin Horn auf.

Worauf freuen Sie sich besonders?

Einfach der bunte Strauß von allem. Ich bin ja nicht so klassikaffin, aber trotzdem finde ich das hier einfach schön. Das Booking war aber extrem schwer dieses Jahr. Die Location ist natürlich wichtig, aber am Ende muss die Gage stimmen.

Wie wäre es mit einem Slot für eine lokale Band? Die Idee ist schön und gut, aber dafür haben wir das Schlossberg Festival. Da liegt der Fokus auf lokalen Bands. Wir können auf dem Münsterplatz die Spielzeiten nicht auf 23 Uhr ausdehnen, das Korsett ist eng. Es muss auch nicht immer alles lokal sein. tln

Hymne an die Frauen

(jp). Bahar Kizil is back! Lange hat sich die Freiburgerin in der Musiklandschaft rar gemacht, jetzt ist sie mit neuem Sound zurück. Die Sängerin, die 2006 durch die Casting-Sendung „Popstars“ in die Band „Monrose“ gewählt wurde, blickt auf eine eindrucksvolle Karriere zurück: Vier Alben, elf Singles und über 1,5 Millionen Tonträger machten sie und Bandkolleginnen Mandy Capristo und Senna Gammour zu Deutschlands führender Girlgroup.

2011 folgte die Trennung – und Bahar versuchte es im Alleingang. Doch das Soloalbum „Bullets of Love“ versank in der weiten Musiklandschaft und Bahar konzentrierte sich anschließend auf ihr Studium.

Pünktlich zum Weltfrauentag hat sie nun ihre Single „They Said“ veröffentlicht. Sie ist nicht nur ein Song, sondern auch eine Hymne zur Selbstbestimmung und Stärkung der weiblichen Individualität. Bahar singt auf Deutsch, lediglich die Passage „They said be like that“ ist auf Englisch. Mit 2.17 Minuten ist die Single außergewöhnlich kurz, die Message des Aufrufs zur Freiheit und ein Manifest gegen gesellschaftliche Normen und Erwartungen ist dennoch klar zu verstehen.

Im Vers lässt die Freiburgerin leichten Rap mit einfließen, der poppige Refrain erinnert eingefleischte Fans an alte Monrosezeiten.

MARKUS MASCHER

WONDERLOST (LP)

Singer-Songwriter / Ambiant

Im Fluss

(tln). Der Singer-Songwriter und Klangkünstler Markus Mascher ist im Januar aus Jena nach Freiburg gezogen. Hier hat er Ende März sein erstes Album veröffentlicht. Mit 14 Tracks kommt „Wonderlost“ daher –und aufwendig illustrierten Grafiken. Psychedelisch sieht das aus. Und die Musik steht dem in nichts nach: Mascher setzt auf akustische Gitarren, schwebende Synthie-Sounds und seine warme Stimme. Sieben Songs sind auf Englisch, sieben auf Deutsch.

Schon der Opener „The Phoenix“ hüllt in smoothe Klänge. Verträumt klingt das, im Fluss mit Klang und Natur. Wer abschalten will, ist hier richtig. Und wenn mit Wonderlost eigentlich Wanderlust gemeint ist, geht’s hier auf Spurensuche durch Wälder voller Überraschungen.

Mal taucht eine Stimme zwischen Blättern auf, dann rollt ein sanfter Bass durchs Dickicht. Bei „Dear Moon“ wird der Wind etwas rauer, wenn die tiefen Töne druckvoller daherkommen. In „Lärm und Stille“ erzählt er von seiner Kindheit, als ihn niemand hören wollte.

Das könnte sich mit der Musik ändern: Wonderlost ist ein rundes Werk mit Tiefe, das neugierig macht, das mal live zu hören. Wenn im 11. Track der „Regenbogen über Freiburg“ schillert, ist der Musiker im Breisgau womöglich angekommen. Ein Prise Kitsch gehört da wohl dazu.

MUSIK Platte desMon a st BAHAR KIZIL THEY SAID (SINGLE) Pop
Foto: © Till Neumann
54 CHILLI CULTUR.ZEIT APRIL 2024

AufgeblĂĽht

(mwa). Pünktlich zur Legalisierung am 1. April hat auch die Zwillingsband Zweierpasch ihrer Lieblingspflanze (musikalischen) Tribut gezollt. Und ihre knapp dreiminütige Ode an die grüne Freiheit hat es in sich – fetzige Gitarrenloops, feierliche Trompetenklänge, andächtige Biggie-Samples:

„It was all a dream“. Der Kiffertraum ist nun blühende Realität geworden, die „Grenzgänger“ aus Freiburg befürworten diese Entwicklung seit Jahren.

„Durchziehen“ – eines von zahllosen Wortspielen, die den Song vielschichtiger erscheinen lassen, als eine Kifferhymne auf den ersten Blick vermuten lässt. Hier werden keine kanonischen Kifferklischees befeuert, sondern Kreativität, Leidenschaft und Schaffensdrang zelebriert.

Auch ist der Song ein Plädoyer für die Wertschätzung von aufstrebenden Künstler·innen hierzulande – so sei „das Standing der Kulturschaffenden in Frankreich ganz anders“.

Ein harziger Geruch dringt durch die Kopfhörer, doch der Beigeschmack könnte süßer sein. Ist das noch eine Kifferhymne? Auch das „Puzzles“ ist kein gewöhnlicher Drehort für eine Liebeserklärung an die immergrünen Blüten. Der organische Flow und das symbiotische Klangbild garantieren dennoch für einen frischen Sound mit Ohrwurmqualitäten – man muss nur die „Grüne Brille“ zurechtrücken.

Sanft und verstörend (pb). Seit 2020 macht sich Hannah Who einen Namen in der deutschen Szene. Die Freiburger Sängerin mischt Jazz, Neo Soul und poetischen Pop, arbeitet aber auch mit Naturgeräuschen, um die Musik authentischer zu machen. Ihr Song „Roses“ ist Ende März erschienen und die vierte Single ihres angekündigten Albums.

Das Lied beginnt mit pulsierenden Drumbeats. Und Greta Thunbergs warnenden Worten, dass die Welt erwacht ist. Dann folgen das Piano und Hannahs helle Stimme. Geschickt lässt sie ihren Gesang mit Samples der Klima-Ikone verfließen, die schon fast nach spoken words klingt.

„You are failing us, but the young people are starting to understand your betrayal”, heißt es da. Gesangsflächen treffen auf kantige Einwürfe. Spannende Kontraste zur Lage rund um den Globus. Hannah Who macht auf den Klimawandel aufmerksam. Sie ruft zum Widerstand auf, um wieder frei und stark zu sein: „like Roses in your garden“.

Der Track hat etwas Sanftes, aber auch Verstörendes. Bis ein Männerchor einsetzt und Hoffnung keimt. Durch die schnellen Wechsel muss man ihn öfter hören, um alles zu erfassen. Tanzen kann man dazu nicht unbedingt. Aber mit klarer, eindringlicher Stimme regt Hannah Who zum Nachdenken an.

... zum „Biker“

Die Freiburger Geschmackspolizei ermittelt schon seit 20 Jahren gegen Geschmacksverbrechen –nicht nur, aber vor allem in der Musik. Für die cultur.zeit verhaftet Ralf Welteroth fragwürdige Werke von Künstlern, die das geschmackliche Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich beeinträchtigen.

„Der Biker“. Nie gehört? Gut so. Biker gibt es viele, die Anrainer der Schwarzwaldtäler wissen davon ein Lied zu singen, sind sie jetzt nun vor allem wochenends wieder dauerbeschallt von Mitfünfzigern und ihren röhrenden Maschinen, Blutkonserven werden oftmals im Juni schon knapp, ein zusätzliches Problem.

Aber nun zu DEM „Biker“, bürgerlich Frank Schwung. Er fährt längst kein Motorrad mehr, sondern hat leider irgendwann das Singen angefangen. Zunächst im Duo „Frank und Frank“ und mit Rudi Assauer himself nahmen sie den Song „Wenn der Schnee schmilzt, siehst du wo die Kacke liegt“ auf, eine klare Kampfansage. Daraus wurden dann „Die Partybiker“. Mit Titeln wie „Wir kommen aus dem Ruhrgebiet“, einem Cover des Songs „Lady in Black“ von Uriah Heep, machten sie sich zumindest in einschlägigen Kreisen wie auf Schalke und auch dem Ballermann einen Namen.

Nun schöpft er solo als „Der Biker“ sein volles Gefahrenpotential aus, aktuell mit dem Song „Laber Rhabarber“. Einfach gestrickte Politikerschelte gepaart mit alberner Rockerattitude – „sie stopfen sich ihre Taschen voll und schon wieder mal falsch gewählt“ – oder er formuliert in dem Song „Leben“ solch epische Weisheiten wie „Träume sterben auf Asphalt“. Gut gemeint? Schlechte Ausrede: Plattfuß, abschleppen!

Abgefahrene GrĂĽĂźe, Ihre Geschmackspolizei

KOLUMNE
HANNAH WHO ROSES (SINGLE) Pop ZWEIERPASCH EINEN BAUEN (SINGLE) Hip-Hop

„Schöne Seiten des Lebens“

DIE ERSTE FREIBURGER BUCHMESSE ERHĂ„LT GERADE NOCH DEN LETZTEN SCHLIFF

Wie exklusiv im chilli (Oktober) zu lesen war, gibt es vom 3. bis 5. Mai bei den Kreativpionieren im „Schopf 2“ die erste Freiburger Buchmesse, bei der die hier entstandenen „schönen Seiten des Lebens“ präsentiert werden – von Verlagen, Autoren und Literaturvermittlern.

FreiBUCH ist die Veranstaltung benannt, die „weit über eine Verkaufsmesse hinausgeht“, wie Astrid Ogbeiwi sagt. Die Literaturübersetzerin, die seit vielen Jahren die Herdermer Sommerlesungen organisiert, betont den besonders wichtigen gemeinsamkeitsstiftenden Charakter dieses neuen und „längst überfälligen“ Formats: Hier entstehe „ein Treffpunkt für die ganze Freiburger Buchbranche“; hier kommen renommierte, überregional wirkende Verlage mit Nischen- und Wohnzimmereditoren zusammen, hier begegnen sich Szenenneulinge und erfahrene Autoren, die sich längst einen Namen gemacht haben.

„Und hier können ganz neue Möglichkeiten für Kontakte und Austausch entstehen, auch zwischen den Schreibenden und den Lesenden ihrer Bücher“, freut sich Ogbeiwi, die zum 22-köpfigen Koordinationsteam gehört, das FreiBUCH seit etwa einem Jahr in ehrenamtlicher Arbeit vorbereitet. In dieses Team hat sie der Journalist und Autor Arne Bicker eingeladen, dem „das Projekt Buchmesse seit geraumer Zeit im Kopf herumging“ und für dessen Realisierung beim jungen Kunst- und Kulturverein „Kreativpioniere“ begeisterte und tatkräftige Zustimmung fand.

„Die haben gleich Nägel mit Köpfen gemacht“, lobt Krimi-Autorin Anne Grießer, die auch einschlägige Erfahrung ins Team mit einbringt: Sie hat den Freiburger Krimipreis ins Leben gerufen, der alle zwei Jahre vergeben wird und dessen Umsetzung „einiges Organisationstalent“ erfordere. Obwohl sie schon lange in der Buchbranche unterwegs ist, habe sie sich nie gefragt, warum es in Freiburg keine eigene Buchmesse gebe.

Erst im Zuge der Vorbereitungen für die FreiBUCH sei ihr „aufgefallen, dass so etwas schon die ganze Zeit gefehlt hat“: Ein Forum, das vermittle, dass Literatur „nicht unbedingt nur etwas Vergeistigtes ist“, sondern auch sehr lebendig und niederschwellig sein könne. Ein Forum auch, das jungen Autoren, die es bei den kommerziellen Messen oft sehr schwer haben, eine Bühne bietet.

Zu diesen gehört Pauline Faßbender, deren erstes Werk bei der Buchmesse seine Premiere hat: eine Anthologie mit dem Titel „Liebes Patriarchat“, für die sie 18 Autor·innen gewann. Auch sie ist begeistert von der Idee der Buchmesse – und

erstaunt, „wie zügig und gut die Arbeitsgruppen vorangekommen sind“, die für die verschiedenen Programmbereiche in den Räumen, auf der Bühne, in den Workshops und auch im Kinderzelt im Freien zuständig sind. Alles sei bestens gerichtet – im Moment gehe es nur noch um „den letzten Schliff“.

Bei den drei Mit-Organisatorinnen „hält sich die Sorge, dass zu wenig Besucher kommen, sehr in Grenzen“. Angesichts des „tollen Programms“ und großen Interesses, auf das FreiBUCH von Anfang an bei den professionellen Teilnehmern stieß, gehen sie eher davon aus, dass die nicht besonders großen Räume in der „Schopf 2“ an die Grenzen ihrer Aufnahmekapazität kommen: Mehr als 300 Gäste gleichzeitig sollten sich nicht in den Messehallen aufhalten.

Zuversichtlich: Astrid Ogbeiwi, Anne GrieĂźer und Pauline FaĂźbender (v.l.) vom Koordinationsteam freuen sich auf die erste Freiburger Buchmesse bei den Kreativpionieren; Karikaturist Klaus Karlitzky setzt sie witzig ins Bild.

Foto: © ewei; Karikatur: © Klaus Karlitzky
56 CHILLI CULTUR.ZEIT APRIL 2024 LITERATUR

DREI OSTDEUTSCHE

FRAUEN ... von Annett Gröschner, Peggy Mädler, Wenke

Seemann

Verlag: Hanser, 2024

404 Seiten, Hardcover

Preis: 22 Euro

Seven drunken Nights

(ewei). Durchtanzt sind sie nicht, die sieben Nächte, in denen drei nicht mehr junge, aber auch noch nicht alte Frauen in Berlin zusammenkommen. Eher schon durchzecht. Denn Alkohol ist reichlich im Spiel in den Nächten, die sie durchquatschen, durchlachen, durchstreiten, durcherinnern: Es geht um ein Land, das es nicht mehr gibt. Obwohl die drei immer dort wohnten. Bis heute.

Sie nehmen das Klischee der Ostfrauen ins Visier – wissend, dass sie selbst zu diesem beitragen. Weitere Themen sind „die Schwerkraft der Verhältnisse“ und der weibliche Körper, der nicht nur im Kapitalismus zum „Schlachtfeld“ werden kann. Gelegentlich kommt auch ein Ort in den Blick, der einst selbst Schlachtfeld war – zumindest ideologisch –und fast spurlos verschwunden ist: Von einem Balkon einer Plattenbauwohnung in der achten Etage sehen sie auf einen Kanal, an dem früher die Mauer entlangführte.

Mit diesem Ausblick beschwören sie Geister der Vergangenheit und der Zukunft und fragen sich, „warum die klassenlose Gesellschaft für die Mehrheit der Deutschen das Schlimmste ist“. An ihren gewagten Überlegungen kann man sich beteiligen am 2. Mai, 19.30 Uhr im Literaturhaus, wenn die drei Autorinnen mit ihrem Freiburger Kollegen Karl-Heinz Ott ins Gespräch kommen.

EIN SCHĂ–NES AUSLĂ„NDERKIND

von Toxische Pommes

Verlag: Zsolnay, 2024 208 Seiten, Hardcover

Preis: 23 Euro

Perfekte Migrantin

(ewei). Das Mädchen, dessen Werdegang die Wiener Bloggerin „Toxische Pommes“ in ihrem Debütroman nachzeichnet, ist beliebt bei den Freunden und Nachbarn seiner Eltern. Doch dann ist Krieg in Jugoslawien; nach der plötzlich herrschenden Logik werden die Menschen in Kroatien „zu Ethnien und Religionen“.

Angesichts der Feindseligkeit verlässt die kleine, aus Montenegro stammende Familie den intern verfeindeten Vielvölkerstaat. Sie zieht in ein Einwanderungsland, das keines sein will. Und lebt dort unter Bedingungen, die an Haussklavenhaltung gemahnen: In den Wirren der Flucht fielen die bis dahin als Ingenieure tätigen Eltern des Mädchens auf das Angebot einer gut situierten Familie herein, vorübergehend gegen Mitarbeit in Haushalt und Garten vorerst miet- und lebenshaltungskostenfrei in deren Haus mitwohnen zu können. Bis „die Papiere geregelt“ seien.

Doch die angebliche Starthilfe wird zum Dauerzustand. Das „schöne Ausländerkind“ verbringt seine ganze einsame Schulzeit in dieser Abhängigkeit, deren Hauptlast die Mutter trägt, die stets zu Diensten sein muss. Derweil bemüht sie sich unter der Obhut des dauerarbeitslosen Hausmann-Vaters, eine perfekte Migrantin zu werden, die trotz bester Leistungen „nie auffällt und nichts verlangt“.

von Sylvia Schmieder

Verlag:

Edition Federleicht, 2024

326 Seiten, Broschur

Preis: 18 Euro

Die Menschenmischerin

(ewei). Immer, wenn Claudia ihre geliebte Großmutter Mari besucht, rennt sie in deren geöffnete Arme „wie ein Pfennig in einen Magneten“. Sie fühlt sich glücklich und aufgehoben bei dieser Frau, die wie keine andere „die Kunst der Worte“ beherrscht. Und die Kunst, unterschiedlichste Menschen an einen Tisch zu bringen.

Dabei überzeugt Mari nicht nur mit wunderbaren selbst gebackenen Kuchen und unter mitreißendem Gelächter vielsprachig erzählten Geschichten ihrer ungarischen Familie, mit der sie bis 1939 in Bratislava lebte. Sie verbreitet auch eine derart ansteckende Liebe, dass selbst verfeindete Familienmitglieder wie ihr mit der Nachkriegsordnung hadernder deutscher Ehemann Ludwig und ihr stets rebellischer Bruder Péter einander aushalten.

Als Kind spürt Claudia nur eine Missstimmung zwischen den beiden, schnappt ab und zu gehässige Worte auf, die sie nicht versteht. Später findet sie heraus, dass Ludwig überzeugter Nazi und Péter beim antifaschistischen Widerstand in der Slowakei war. Wie es der „Menschenmischerin“ Mari gelang, dass die „Familie der besonderen Worte“ zusammenblieb, erzählt die Freiburger Autorin in ihrem gerade erschienenen Roman. Und liest daraus: „Kultur wider das Vergessen“, 9. Mai, 16 Uhr, Bürgerhaus Zähringen

FREZI ZUSAMMEN BLEIBEN
APRIL 2024 CHILLI CULTUR.ZEIT 57
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