StiftungsReport 2007

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oder vielleicht sogar seit Jahrhunderten) kaum veränderter Stiftungszweck, sondern das, was ihr auch den Namen gibt: die Bürgerschaft einer konkreten Gemeinde und die in dieser Gemeinde vorhandenen Engpässe und Chancen. Es ist darum immer ein ganz konkreter, von allen Stiftern gelebter Bezug zu einem Stück Heimat, der den eigentlichen Auftrag einer Bürgerstiftung ausmacht. In einer für Deutschland so bisher nicht bekannten Organisationsform manifestiert sich der Lokalpatriotismus des 21. Jahrhunderts. Man könnte das Ethos vieler junger Organisationen dieser Art als ein Wirsind-die-Stadt-Gefühl beschreiben: Eine Bürgerstiftung folgt dem Impuls selbstbewusster Bürger, für ihre Lebenswelt etwas Gutes zu tun und das Miteinander gerade ihrer lokalen Gemeinschaft zu verbessern. Nicht, indem sie nach dem Staat rufen, sondern indem sie die Lösung der Missstände selbst in die Hand nehmen. Die Renaissance der Heimatverbundenheit in den Kommunen begünstigt die neu entstehenden Bürgerstiftungen, beflügelt durch eine hohe und wachsende Bereitschaft zum Engagement und durch das Bewusstsein, dass der Staat allein – auch aus nicht-finanziellen Gründen – bei zahlreichen Herausforderungen an die Grenzen des staatlich Machbaren stößt. Lokale Loyalität paart sich mit Anerkennung gegenüber der Gemeinschaft, der die Stifter ihren beruflichen Werdegang, unternehmerische Erfolge und ihr soziales Kapital verdanken. Eine Bürgerstiftung liegt damit auf den ersten Blick hinsichtlich der Organisationsstrukturen und der Motive ihrer Mitglieder näher bei einem Verein als bei einer klassischen Privatstiftung. Die demokratische Entscheidungsfindung der in ihr versammelten Stifter macht aus ihr mancherorts den Kristallisationspunkt einer engagierten bürgerlichen „Elite“. Freilich lebt eine Bürgerstiftung – an-

ders als ein Verein oder traditionsreiche Clubs wie Rotary oder Lions – nicht von regelmäßigen Beiträgen und Spenden ihrer Mitglieder. Sie gewinnt ihre Aktionskraft – mit wachsendem Stiftungskapital zunehmend – daraus, dass die Einzelnen zusammen ein klassisches Stiftungskapital aufbringen, das dann wie bei nahezu allen Stiftungen prinzipiell „bis in alle Ewigkeit“ mit seinen Vermögenserträgen die Ziele der Stiftung ermöglichen soll, und das auch der Stiftungsaufsicht unterliegt. Bürgerstiftungen sind insofern thematisch breiter und nachhaltiger als Vereine und partizipativer als klassische Stiftungen.

Wie hat alles angefangen? Seit Jahrhunderten kennt die deutsche Stiftungslandschaft Bürger, die zum Wohle ihrer Kommune Vermögen stiften. Die Idee der modernen Bürgerstiftung gelangte jedoch erst Mitte der 1990er Jahre nach Deutschland. Die erste Bürgerstiftung nach dem Vorbild amerikanischer Community Foundations wurde 1996 in Gütersloh von der Bertelsmann Stiftung ins Leben gerufen. Um die Idee in Deutschland systematisch voranzutreiben, haben die drei großen privaten Stiftungen Bertelsmann Stiftung, Körber-Stiftung und Klaus Tschira Stiftung gGmbH ein entsprechendes Projekt auf den Weg gebracht. Es gelang ihnen, zusätzlich Gelder der amerikanischen Charles Stewart Mott Foundation einzuwerben, die in Europa das bürgergesellschaftliche Engagement vornehmlich in Ländern des ehemaligen Ostblocks fördert. Diese – eine der großen amerikanischen Privatstiftungen – unterstützt auch in den Vereinigten Staaten Bürgerstiftungen in ihrer Gründungsphase. Als der Stein so weit ins Rollen gebracht war, beteiligte sich das Bundesfamilienministerium an dem Projekt. Auf diese Weise konnte die „Initiative Bürgerstiftungen“

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