StiftungsReport 2007

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Was können Bürgerstiftungen besser als herkömmliche gemeinnützige Einrichtungen – wie Vereine, Verbände, Bürgerinitiativen, der Lions Club oder die Rotarier? In Deutschland ist das Vereinswesen stark ausgeprägt. Allerdings haben heute viele Einrichtungen, beispielsweise kirchliche oder gewerkschaftliche, an Anziehungskraft verloren, weil ihre jeweiligen Zielsetzungen vielleicht zu einseitig ausgeprägt sind. Von den angelsächsischen Ländern lernen wir jetzt, dass sich Menschen auch für ihr Gemeinwesen als solches engagieren und verantwortlich fühlen. Der auf Dauer ausgerichtete Stiftungsgedanke trägt noch stärker dazu bei, sich in besonderer Weise zu identifizieren und einzubringen, und zwar neben Geldstiftungen auch mit ebenso wichtigen Zeitspenden der Ehrenamtlichen. Hängt dieses breite Engagement damit zusammen, dass der Staat heute weniger Aufgaben wahrnimmt? Nein, ich denke, hier entwickelt sich etwas anderes: Die Lust und Bereitschaft vor Ort, im eigenen Umfeld Verantwortung zu übernehmen. Wer sich für seine Region oder die Gemeinschaft engagiert, verdient und genießt Ansehen. Das war in der Vergangenheit nicht unbedingt so der Fall. Das heißt für unser Thema, dass Menschen selbst die Initiative übernehmen möchten, etwas zu bewegen, zu gestalten. Obwohl allseits Klagen zu vernehmen sind, überbeansprucht zu sein, bringen sich viele Bürgerinnen und Bürger mit beachtlichem Zeiteinsatz ein, um etwas Sinnstiftendes zu tun. Dabei verzichten viele von ihnen nicht auf ihren erreichten Wohlstand, sie geben davon etwas ab, ohne Einbußen für das eigene Wohl. Das heißt, gemeinnütziges Engagement als Selbstverwirklichung? Natürlich machen Menschen bei Bürgerstiftungen beispielsweise im Bereich Kunst und Kultur ihr Hobby zu ihrer ehren-

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amtlichen Profession. Die Leute bringen sich ein, sie möchten aber damit auch als Akteure wahrgenommen werden, denen das Gemeinwohl am Herzen liegt. Selbstverwirklichung in einem so verstandenen Sinn ist doch etwas Gutes und Lohnendes für andere und für sich selbst. Können Bürgerstiftungen in ihrer Arbeit das Niveau erreichen, das einst der Staat garantiert hat? Der Staat dünnt seine Leistungen aus. Da sind Bürgerstiftungen eine willkommene Hilfe. Politiker geben das auch unumwunden zu. Der materielle Einsatz ist ungleich geringer, dafür aber spürt man viel Herz und Esprit bei den Beteiligten, den Initiatoren wie den Adressaten. Aber wir müssen ganz klar sehen: Bürgerstiftungen sind ein zartes Pflänzchen. Ihr Wirkungsgrad ist mit dem staatlicher Leistungen überhaupt nicht zu vergleichen. Welchen Anteil können Bürgerstiftungen übernehmen? Bürgerstiftungen sorgen für eine Form von menschlicher Zuwendung, die der Staat nicht bieten kann. Vor mehr als sechs Jahren haben in Hamburg beispielsweise Migrantenkinder mit einem nicht geringen Konfliktpotenzial auf Anleitung engagierter Lehrer und Bürger Schlaginstrumente aus Schrottmaterialien gebaut und eine Band namens „Hot Schrott“ gegründet. Eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung, in der Aggressionen abgebaut, etwas für gemeinschaftliches Erleben getan und Musikerleben erfahren worden ist. Heute musizieren die Kids selbstständig und überlegen, einen kleinen Teil ihrer Gage, die sie mittlerweile erlösen, der Bürgerstiftung zurückzuspenden. Hier haben junge Menschen erst erfahren, was Zuwendung und ihnen entgegengebrachte Aufmerksamkeit bedeuten, um jetzt selbst mitzuhelfen, dass anderen Ähnliches wiederfahren kann. Das ist ein wunderbares Beispiel, das Wirkmechanismen verdeutlicht, die weit über den quantitativen Mitteleinsatz hinausreichen!


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