Petr Popelka & Rundfunk Sinfonieorchester Prag | 21.05.2024

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Walzer Alles (Fast)

21. MAI 2024

DAS GROSSE ABONNEMENT IX SAISON 2023/24

Jonathan Berlin | Sprecher

Lawrence Foster | Dirigent

Vinzenz Praxmarer | Dirigent

SO 26 MAI 18:00

GROSSER SAAL

ELISABETH

LEONSKAJA UND MARTIN NÖBAUER

Von Schumanns ‚Schmetterlingstänzen‘ über Brahms’ Ungarische und Dvořáks Slawische Tänze bis Liszts Mephisto-Walzer wird die ganze emotionale Bandbreite des Tanzes ausgelotet.

SO 9 JUN 18:00

MITTLERER SAAL

JONATHAN BERLIN LIEST VASLAV NIJINSKY

Der Schauspieler Jonathan Berlin und das Klavierduo Shalamov begeben sich auf die Spuren des legendären Tänzers und Choreografen Vaslav Nijinsky.

DO 20 JUN

19:30

GROSSER SAAL

SO 23 JUN 11:00

GROSSER SAAL

LAWRENCE FOSTER & BRUCKNER

ORCHESTER LINZ

Ein Konzert im Zeichen von Richard Strauss’ Don Quixote (das Cellosolo spielt Christoph Heesch), mit Werken von Viktor Ullmann und Jacques Ibert

VINZENZ PRAXMARER & ORCHESTER DIVERTIMENTO VIENNESE

Nur den zweiten Akt eines geplanten Balletts hat Zemlinsky 1904 vollendet. Das Werk, Ein Tanzpoem genannt und erst 1992 uraufgeführt, erlebt nun seine Brucknerhaus-Premiere.

Karten und Infos: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at

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KOMMENDE HIGHLIGHTS SAISON 2023/24
Elisabeth Leonskaja | Klavier

(Fast) Alles Walzer

Dienstag, 21. Mai 2024, 19:30 Uhr

Großer Saal, Brucknerhaus Linz

Dmitry Shishkin | Klavier

Rundfunk Sinfonieorchester Prag

Petr Popelka | Dirigent

Saison 2023/24 – Das Große Abonnement IX

9. von 10 Konzerten im Abonnement

Brucknerhaus-Debüt

Programm

Dmitri Schostakowitsch (1906–1975)

Suite für Varietéorchester (1940–56)

Nr. 1 Marsch. Giocoso. Alla marcia

Nr. 2 Tanz Nr. 1. Presto

Nr. 3 Tanz Nr. 2. Allegretto scherzando

Nr. 4 Kleine Polka. Allegretto

Nr. 5 Lyrischer Walzer. Allegretto

Nr. 6 Walzer Nr. 1. Sostenuto

Nr. 7 Walzer Nr. 2. Allegretto poco moderato

Nr. 8 Finale. Allegro moderato

Benjamin Britten (1913–1976)

Konzert für Klavier und Orchester op. 13 (1938, rev. 1945)

I Toccata. Allegro molto e con brio

II Waltz. Allegretto

III Impromptu. Andante lento –

IV March. Allegro moderato sempre alla marcia

– Pause –

Sergei Rachmaninoff (1873–1943)

Sinfonische Tänze für Orchester op. 45 (1940)

I Non allegro – Lento – Tempo I

II Andante con moto (Tempo di valse)

III Lento assai – Allegro vivace

Konzertende ca. 21:45

Ein Radiomitschnitt des Konzerts ist am Freitag, 31. Mai 2024, um 19:30 Uhr auf Ö1 in der Sendereihe Das Ö1 Konzert zu hören.

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alla breve

Das Programm auf einen Blick

Unter dem Motto (Fast) Alles Walzer versammelt das Programm des heutigen Konzerts drei Werke, die in ihrer stilistischen Bandbreite und klanglichen Vielfalt keinesfalls leicht auf einen Nenner zu bringen sind, die jedoch durch den mitreißenden 3/4-Takt des Walzers unterschwellig miteinander verbunden sind und dabei zeigen, welch unterschiedliche Facetten der populären Tanzform entlockt werden können.

Dmitri Schostakowitschs Suite für Varietéorchester etwa wartet mit nicht weniger als drei Walzern auf, von denen der Walzer Nr. 2 durch seine Verwendung in Werbespots und Filmen zu weltweiter Berühmtheit über die klassische Musik hinaus gelangte. Auch in Benjamin Brittens 1938 komponiertem Klavierkonzert versteckt sich ein Walzer, der allerdings durch die virtuose, zuweilen fast groteske Orchestrierung des Komponisten über weite Strecken nur wenig mit der tradierten Beschaulichkeit des Gesellschaftstanzes gemein hat. Ähnlich facettenreich ist auch der zweite, mit „Tempo di valse“ überschriebene Satz von Sergei Rachmaninoffs Sinfonischen Tänzen, dessen schwelgerischmelancholische Stimmung Maurice Ravels La Valse nahesteht, wie auch ein Kritiker der Uraufführung am 3. Jänner 1941 bemerkte: „Ein schwermütiger Ennui weht durch die Komposition, und Ravel, Richard Strauss und Sibelius nehmen, in tiefes Violett getaucht, am Tanze teil.“

(Fast) Alles Walzer

ANSPRUCHSVOLLE LEICHTIGKEIT

Wer an Dmitri Schostakowitsch denkt, denkt vermutlich an einen seriösen, meist ernst dreinschauenden Mann, der ebenso ernsthafte Sinfonien komponierte und dem man auf den ersten Blick eines wohl kaum zutrauen würde: Humor. Doch weit gefehlt: Anders als es das klischeebehaftete Bild des Komponisten vermuten lässt, war Schostakowitsch stilistisch alles andere als engstirnig und sah sich keineswegs nur der ,großen hehren‘ Kunst verpflichtet. Er schrieb Opern ebenso wie Filmmusik, komponierte Streichquartette ebenso wie Gebrauchsmusik für Revuen und festliche Anlässe. Die Motive dahinter waren freilich vielfältiger Natur: Mal waren es schlicht finanzielle Gründe, die ihn dazu bewogen, populärere Stücke zu schreiben, mal beugte er sich den staatlichen Forderungen nach ,einfacher‘, ,volksnaher‘ Kunst, mal folgte er schlicht einem inneren Drang. Schon in jungen Jahren interessierte Schostakowitsch sich auch für den Jazz, lernte etwa im Juni 1930 in Odessa Leonid Utjossow kennen, der als Sänger, Bandleader und Geiger mit seinem Ensemble Tea Jazz (Tea steht hier für teatralny = theatralisch) zu den Begründern des sowjetischen Jazz zählt, wobei es sich stilistisch dabei nach heutigen Begriffen weniger um Jazz als vielmehr um leichte Unterhaltungsmusik mit Swing-Elementen handelte.

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1934 wurde Schostakowitsch sogar Mitglied einer staatlichen Kommission, die es sich zur Aufgabe machte, den „sowjetischen Jazz“ vom Stigma der seichten Unterhaltungsmusik zu befreien und auf ein professionelles Niveau zu heben. In diesem Zusammenhang entstand die Jazz-Suite Nr. 1, vier Jahre später für das neugegründete staatliche Jazzorchester unter der Leitung von Wiktor Knuschewitzki die Jazz-Suite Nr. 2. Bei der im heutigen Konzert gespielten Suite für Varietéorchester handelt es sich dagegen um eine Auswahl eigener Tanz- und Filmmusiken, die Schostakowitsch Mitte der 1950er-Jahre arrangierte und zusammenstellte. Als das Werk jedoch am 1. Dezember 1988, 13 Jahre nach dem Tod des Komponisten, in London vom London Symphony Orchestra unter der Leitung Mstislaw Rostropowitschs uraufgeführt wurde, hielt man es fälschlicherweise für die in den Wirren des Zweiten Weltkriegs verschollen geglaubte Jazz-Suite Nr. 2. Erst als 1999 ein Klavierauszug dieser Suite auftauchte, wurde der Fehler korrigiert und das Werk erhielt den heutigen Namen Suite für Varietéorchester.

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Dmitri Schostakowitsch Suite für Varietéorchester Dmitri Schostakowitsch während eines Fußballspiels (rechts: der Komponist Juri Lewitin), um 1940

Die musikalische Bandbreite dieser Suite ist groß: Während der einleitende Marsch mit markantem Schlagwerk den Charakter von Zirkusmusik heraufbeschwört, galoppiert der aus der Filmmusik zu Die Stechfliege entnommene Tanz Nr. 1 heroisch voran, ehe er dem rustikal aufstampfenden Tanz Nr. 2 Platz macht. Die Kleine Polka hingegen klingt mit ihrer naiven Melodie des Xylofons fast wie ein Kinderlied, dessen Charakter jedoch nach und nach die Eleganz einer Strauß’schen Tanzweise annimmt. Beginnend mit dem pittoresk instrumentierten Lyrischen Walzer, folgen daraufhin drei Walzerkompositionen, deren zweite, der Walzer Nr. 1, an die märchenhaft-verträumten Klangsphären von Pjotr Iljitsch Tschaikowskis Nussknacker erinnert, während der Walzer Nr. 2 mit seiner melancholischen Altsaxofon-Melodie bis heute zu den bekanntesten Melodien klassischer Musik überhaupt zählt und Eingang in Filmmusik, Werbespots und Popmusik fand. Das abschließende Finale ist mit seinen festlichen Bläserfanfaren und leichtfüßigen Melodien ein Kehraus im besten Sinne. Er stammt, wie auch der einleitende Marsch, aus der Filmmusik zum 1940 erschienenen, im Zirkusmilieu spielenden Kurzfilm Korsinkinas Abenteuer

AUGENZWINKERNDER ERNST

Benjamin Brittens 1938 komponiertes Konzert für Klavier und Orchester op. 13 stellt einen wichtigen Markstein im Schaffen des Komponisten dar. Es ist ein Werk des Übergangs, in dem sich sein Verhaftetsein in der Tradition, die Einflüsse seiner Vorbilder und seines Lehrers Frank Bridge ebenso zeigen wie sein bereits stark ausgeprägter Individualstil, mit dem er sich unter anderem vom schlichten folkloristischen Stil seiner Zeitgenossen wie Ralph Vaughan Williams oder Gerald Finzi abheben wollte.

Anlass für die Komposition war ein Auftrag der BBC für die Londoner Promenade Concerts (besser bekannt als Proms) im Sommer 1938. Der 24-jährige Britten begann mit der Arbeit an seinem Klavierkonzert im Frühjahr desselben Jahres. Während er allerdings den Kopfsatz in einem Schub inspirativer Kraft innerhalb weniger Tage zu Papier bringen konnte, bezeichnete Britten das Ringen um den zweiten Satz

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in seinem Tagebuch selbst als „Chaos“ und schaffte es letztlich gerade noch, die Partitur vor den ersten Proben fertigzustellen. Bei der Uraufführung am 18. August in der Londoner Queen’s Hall mit dem BBC Symphony Orchestra unter der Leitung von Henry Wood saß er selbst am Klavier. Im Programmheft erklärte der Komponist, das Werk sei „mit der Idee konzipiert, unterschiedliche zentrale Möglichkeiten des Klaviers auszuschöpfen, wie seinen enormen Tonumfang, seine perkussiven Qualitäten und seine Eignung für Figurationen; es ist also keineswegs eine Sinfonie mit Klavier, sondern vielmehr ein Virtuosenkonzert mit Orchesterbegleitung.“ Die live im Radio und ohne Bild im Fernsehen ausgestrahlte Uraufführung wurde vom Publikum frenetisch bejubelt, die Kritiker:innen hingegen zeigten sich zwiegespalten. So schrieb etwa die Times:

Dies ist das wichtigste Werk, das der Komponist geschrieben hat, auch wenn es das Versprechen seines offensichtlichen Talents noch nicht ganz erfüllt. Dass Britten die technischen Aspekte meisterhaft beherrscht, ist schon seit einiger Zeit bekannt, und dieses Konzert bestätigt diesen Eindruck voll und ganz. Die Schreibart sowohl für Klavier als auch für Orchester ist brillant und wirkungsvoll. Auch die Form, in die das Werk gegossen ist, ist originell, ohne seltsam zu sein, ebenso wie die Harmonie ,zeitgenössisch‘ ist, ohne beim ersten Hören unverständlich zu sein. In der Tat ist die Klarheit von Form und Textur das beste Merkmal des Stücks. Es ist der Inhalt, der Zweifel am wirklichen Wert des Werkes aufkommen lässt, das sicherlich einen höheren Rang anstrebt als den eines cleveren Jeu d’esprit [i. e. Denksportaufgabe] … Ist das Ende des dritten Satzes, das in seinem Romantizismus eher gewöhnlich ist, ernstzunehmen, oder ist es vom Komponisten immer noch mit einem Augenzwinkern gemeint, wie es im ersten Teil des Satzes der Fall ist?

Nicht zuletzt derartige Reaktionen bewogen Britten schließlich dazu, den ursprünglichen dritten Satz (Recitative and Aria) 1945 durch ein neu komponiertes Impromptu zu ersetzen, für das er auf seine Musik zum Radiohörspiel King Arthur zurückgriff.

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Benjamin Britten Konzert für Klavier und Orchester
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Benjamin Britten Konzert für Klavier und Orchester Benjamin Britten, Fotografie von Gerti Deutsch, 1946

Benjamin Britten

Konzert für Klavier und Orchester

Die von Britten erwähnten „perkussiven Qualitäten“ des Klaviers treten schon in den ersten Takten der eröffnenden Toccata in den Vordergrund, wenn das Soloinstrument über treibenden Rhythmen der Holzbläser das markante Hauptthema anstimmt. Im Wortsinne „konzertierend“, also „streitend, kämpfend“, stehen sich Klavier und Orchester hier gegenüber, greifen ineinander, stoßen sich ab und changieren dabei zwischen motorisch drängenden und lyrischen Passagen, die dabei stets vom Puls des initialen Grundrhythmus vorangetrieben werden. Der anschließende Walzer ruft die Worte des TimesKritikers in Erinnerung, wagt man doch schwer zu entscheiden, ob es sich hier um eine subtile Parodie oder spielerische Reverenz handelt. Einfallsreich, stellenweise fast kammermusikalisch instrumentiert, sich jedoch zuweilen ins Experimentelle, geradezu Bizarre steigernd entzieht sich diese Musik jedweder eindeutigen Charakterisierung … und ehe man sich ein klares Bild davon machen kann, ist der Satz auch schon wieder vorbei. Das neu komponierte Impromptu stellt dem ein introvertiertes Thema entgegen, das sich als Grundlage einer von virtuosen Kadenzen durchbrochenen Variationenfolge entpuppt. Später bemerkte der Komponist gegenüber seinem Kollegen William Walton: „Ob dieses kleine Motiv all das tragen kann, weiß ich immer noch nicht!“ Walton selbst muss sich dessen sicher gewesen sein, er verwendete das Motiv als Grundlage seines 1970 uraufgeführten Orchesterwerks Improvisations on an Impromptu by Benjamin Britten Der abschließende Marsch bewegt sich mit seinen martialischen Rhythmen, seiner extremen Dynamik und seiner fantasievollen Orchestrierung irgendwo zwischen Hector Berlioz’ Symphonie fantastique, den Scherzi Gustav Mahlers und den marschähnlichen Sinfoniesätzen Dmitri Schostakowitschs, mit dem Britten in späteren Jahren eine intensive künstlerische Freundschaft verbinden sollte.

EIN KOMPOSITORISCHES VERMÄCHTNIS?

Der Mythos vom krönenden Opus ultimum, dem „Letzten Werk“, dem letzten künstlerischen Blick in ferne, jenseitige Gefilde, bildet seit jeher einen der beliebtesten Schauplätze wissenschaftlicher und feuilletonistischer Erörterungen. Auch Sergei Rachmaninoffs letzte vollendete Komposition, seine 1940 niedergeschriebenen Sinfonischen

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Tänze op. 45, reiht sich in die Tradition dieser allzu gerne mystifizierten ,Schwanengesänge‘ ein. Nachdem der Komponist seine Heimat Russland 1917 infolge der Oktoberrevolution verlassen und das unstete Leben eines von Ort zu Ort reisenden Klaviervirtuosen geführt hatte, fand er ab 1931 auf seinem Gut Villa Senar (der Name setzt sich aus den ersten beiden Buchstaben seines Vornamens und dem seiner Frau sowie dem ersten Buchstaben ihres Nachnamens zusammen: Sergei und Natalia Rachmaninoff) am Vierwaldstättersee in der Schweiz erstmals wieder Zeit und Muße, um zu komponieren: „Als ich Rußland verließ, hatte ich kein Verlangen mehr zu komponieren: der Verlust der Heimat verband sich mit dem Gefühl, selbst verloren zu sein. Der Vertriebene ist seiner musikalischen Wurzeln und Tra-

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Sergei Rachmaninoff, anonyme Fotografie, 1938 Sergei Rachmaninoff Sinfonische Tänze

Sergei Rachmaninoff Sinfonische Tänze

ditionen beraubt und deshalb ohne Neigung, seiner Persönlichkeit künstlerisch Ausdruck zu geben; was bleibt, ist nur der Trost sprachloser, unauslöschlicher Erinnerungen.“ Ein geplantes dreitägiges Rachmaninoff-Festival des Dirigenten Eugene Ormandy mit dessen Philadelphia Orchestra in Pennsylvania nahm das Ehepaar schließlich zum Anlass, in den USA ihre ,dritte Heimat‘ zu suchen, die sie dort allerdings, wie sich herausstellen sollte, niemals wirklich finden sollten. Am 23. August des Jahres 1939, einen Tag vor Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts, bestiegen sie eines der letzten Passagierschiffe und flüchteten über den Atlantik. Neben seiner Konzerttätigkeit als Pianist beschäftigte sich Rachmaninoff, der nun zurückgezogen auf einem Landgut in Orchard Point bei Huntington auf Long Island lebte, mit der Sichtung und Bearbeitung kompositorischer Skizzen und Entwürfe. Ein Fragment gebliebenes Ballettprojekt des Jahres 1915, das die Geschichte des Reiternomadenvolks der Skythen zum Thema hatte, zog ihn derart in seinen Bann, dass er es zu einem eigenständigen instrumentalen Satz ausarbeitete, dem schließlich in einem wahren Schaffensrausch zwei weitere folgten. Am 10. August 1940 vollendete er die Klavierfassung seiner Sinfonischen Tänze, die er anschließend innerhalb weniger Wochen orchestrierte. Die ursprüngliche Konzeption nahm den performativen Charakter des Titels dabei wörtlich: Gemeinsam mit Michail Fokin, dem legendären Choreografen der Ballets Russes, der bereits Igor Strawinskis Feuervogel und Maurice Ravels Daphnis et Chloé auf die Bühne gebracht hatte, wollte er eine szenische Aufführung seines Werks erarbeiten; ein Vorhaben, zu dessen Umsetzung es nach dem Tod Fokins 1942 nicht mehr kommen sollte. Schließlich verwarf Rachmaninoff den ursprünglichen Titel Phantastische Tänze, strich auch die zuvor hinzugefügten Satzbezeichnungen Mittag, Dämmerung und Mitternacht und schuf auf diese Weise ein rein instrumentales sinfonisches Werk frei von programmatischen Erläuterungen. Dennoch finden sich in den Sinfonischen Tänzen zahlreiche musikalische Referenzen, anhand derer der Komponist seinen eigenen Lebensweg nachzeichnete und damit eine eindringliche Reflexion seiner künstlerischen Existenz wagte: die Conclusio seines Schaffens, sein selbsterklärtes Opus ultimum also?

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In den markanten begleitenden Achtelimpulsen des ersten Tanzes spiegeln sich die trabenden Horden der Skythen wider, über denen eine fanfarenartige Dreiklangsfigur und martialische Paukenwirbel das Gefühl innerer Erregung vermitteln. Nach einer Überleitung, in der die Oboe ein Motiv aus Rachmaninoffs 3. Sinfonie zitiert, folgt im Mittelteil eine lyrische, melancholische Kantilene des Altsaxofons, die von der wieder hervorpreschenden ,Reitermusik‘ des ersten Teils unterbrochen wird. In der Coda erklingt schließlich ein nach Dur gewendetes Zitat des Beginns der 1. Sinfonie, deren eklatanter Misserfolg den Komponisten 1897 in eine tiefe künstlerische Depression gestürzt hatte. Nach dem grotesk verzerrten Walzer des zweiten Satzes – „Ein schwermütiger Ennui weht durch die Komposition, und Ravel, Richard Strauss und Sibelius nehmen, in tiefes Violett getaucht, am Tanze teil“, schrieb die Zeitung New York World-Telegram nach der Uraufführung am 3. Jänner 1941 –, dessen melancholischer Charakter Maurice Ravels La Valse nahesteht, folgt im abschließenden dritten Tanz eine fast traumartige Symbiose heterogener, durch wiederkehrende Motive gleichwohl miteinander verbundener Sequenzen, aus denen schließlich das gregorianische „Dies irae“-Motiv hervortritt, jener mittelalterliche Hymnus über das Jüngste Gericht, der in zahlreichen Werken des Komponisten – darunter die Rhapsodie über ein Thema von Paganini und die sinfonische Dichtung Die Toteninsel –aufscheint und sich wie ein roter Faden durch sein gesamtes Œuvre zieht. Doch statt sich dieser übermenschlich erdrückenden Gewalt zu ergeben, leistet Rachmaninoff kompositorisch Widerstand gegen die endzeitlichen Schrecknisse und zitiert zuletzt den neunten Gesang seiner 1915 vollendeten Ganznächtlichen Vigil, dessen Text an eben jener Stelle lautet: „Die dem Leben Entsunkenen aber hat zu demselben zurückgeführt der aus dir Fleisch gewordene Gott und Mensch.“ „Alliluya“ schrieb der Komponist hier in seine Partitur: „Dank sei Gott“.

Zwar hatte Rachmaninoff den Tod mit den Mitteln der Kunst in seinen Sinfonischen Tänzen triumphal überwunden, doch blieb dem Komponisten die ,Erlösung‘ zu Lebzeiten verwehrt. In seine russische Heimat sollte er nie wieder zurückkehren. Am 28. März 1943 verstarb er entfremdet und von Krankheit gezeichnet in Beverly Hills. Zwei Jahre

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zuvor hatte er in seinem letzten Interview erklärt: „Komposition ist ein wesentlicher Teil meiner Existenz wie Atmen oder Essen.“ Vielleicht – aber nur vielleicht – hatte Sergei Wassiljewitsch Rachmaninoff nach der meisterhaften Zusammenfassung seines Schaffens in den Sinfonischen Tänzen tatsächlich bewusst beschlossen, auf diesen Teil seiner lebenserhaltenden Maßnahmen fortan zu verzichten.

„Alliluya“-Vermerk Rachmaninoffs in der Erstausgabe der Sinfonischen Tänze, 1941

Dmitry Shishkin

Klavier

Als Silbermedaillengewinner beim XVI. Internationalen TschaikowskiWettbewerb und Gewinner des Concours de Genève 2018 wird der russische Pianist Dmitry Shishkin für seinen kreativen und individuellen Zugang zur Musik gelobt. Kritiker:innen bezeichnen ihn als einen „elektrisierenden und extravaganten Pianisten von großer musikalischer Ehrlichkeit und Strenge“. Zu seinen jüngsten Höhepunkten gehören Schostakowitschs Klavierkonzert im Musikverein Wien, Mozarts 20. Klavierkonzert mit dem Budapest Festival Orchestra unter Gábor Takács-Nagy, ein Auftritt mit dem Orchestre de la Suisse Romande unter Jonathan Nott, Recitals in Südkorea und Taiwan sowie im Teatro Massimo Bellini in Catania, in der Wigmore Hall in London und beim Verbier Festival.

Dmitry Shishkin konzertierte auch mit der Staatskapelle Weimar, dem Warsaw Philharmonic Orchestra, dem Belgischen Nationalorchester, dem Tokyo Symphony Orchestra, dem Russischen Nationalorchester, dem Orchester des Mariinski-Theaters, dem Tschaikowski Sinfonieorchester, dem Staatlichen Sinfonieorchester Istanbul, dem Orchestra del Teatro Massimo Bellini und dem Cape Town Philharmonic Orchestra. Er wird häufig zu renommierten Festivals eingeladen, darunter das Festival International de Piano de La Roque d’Anthéron, das Festival de Radio France Occitanie Montpellier, das Verbier Festival, das Bergen International Festival, das Festival „Chopin and his Europe“ und das Festival Pianistico Internazionale di Brescia e Bergamo. Zudem arbeitet er mit Künstlern wie Jean­Efflam Bavouzet und Daniel Lozakovich zusammen.

Dmitry Shishkin lebt in der Schweiz. Er begann seine Ausbildung an der Moskauer Gnessin-Musikschule, gefolgt von einem Studium am P. I. Tschaikowski-Konservatorium bei Eliso Virsaladze und später am Conservatorio Vincenzo Bellini in Catania sowie an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover bei Arie Vardi.

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Biografie
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Rundfunk Sinfonieorchester Prag

Das Rundfunk Sinfonieorchester Prag ist eines der wichtigsten tschechischen Orchester unserer Zeit. Seit der Saison 2022/23 hat Petr Popelka die Position des Chefdirigenten und künstlerischen Leiters inne. In der Saison 2024/25 wird das Orchester unter anderem mit der Geigerin Isabelle Faust, dem Dirigenten und Geiger Renaud Capuçon, den Pianisten Lucas und Arthur Jussen sowie mit den Dirigent:innen Han-Na Chang und Wayne Marshall auftreten. In den letzten Jahren wurde das Orchester von Jakub Hrůša, Cornelius Meister, Alexander Liebreich, Anu Tali, Wayne Marshall und Omer Meir Wellber dirigiert. Zu den Solist:innen, die vom Orchester begleitet wurden, gehören Krystian Zimerman, Pierre Amoyal, Frank Peter Zimmermann, Patricia Kopatchinskaja, Gidon Kremer, Gautier Capuçon, der Jazzmusiker Avishai Cohen sowie die Sänger:innen Renée Fleming, Elīna Garanča, José Cura und Jonas Kaufmann.

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Biografie

Der tschechische Dirigent Petr Popelka wurde mit Beginn der Saison 2024/25 zum Chefdirigenten der Wiener Symphoniker ernannt. Gleichzeitig wird er seine Position als Chefdirigent und künstlerischer Leiter des Rundfunk Sinfonieorchesters Prag beibehalten. Zum Auftakt seiner Amtszeit in Wien wird er eine Aufführung von Schönbergs GurreLiedern im Musikverein Wien leiten. Danach folgen Tourneen durch Europa und Asien sowie zahlreiche Auftritte im Wiener Konzerthaus und im Musikverein. Weitere Höhepunkte der Saison sind seine Debüts mit dem Tonhalle-Orchester Zürich, dem Orchestre de Paris und dem NHK Symphony Orchestra sowie Wiedereinladungen zur Staatskapelle Berlin, zur Sächsischen Staatskapelle Dresden, zum Gewandhausorchester, zur Tschechischen Philharmonie, zu den Bamberger Symphonikern, zum Danish National Symphony Orchestra sowie zu den Sinfonieorchestern von hr, SWR und WDR.

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Biografie

VOM 4. SEPTEMBER BIS 11. OKTOBER 2024

Highlights

DI, 10 SEP, 19:30 GROSSER SAAL

PHILIPPE HERREWEGHE & ORCHESTRE DES CHAMPS-ÉLYSÉES

Übersteigern – Bruckners 8. Sinfonie

DI, 17 SEP, 19:30

GROSSER SAAL

MARC MINKOWSKI & LES MUSICIENS DU LOUVRE

Entgrenzen – Bruckners 6. Sinfonie

SO, 22 SEP, 18:00 STIFTSBASILIKA ST. FLORIAN THOMAS HENGELBROCK & MÜNCHNER PHILHARMONIKER

Bruckners f-Moll-Messe

SO, 6 OKT, 18:00

GROSSER SAAL

Befreien – Bruckners 7. Sinfonie

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Karten
77 52 30 | kassa@liva.linz.at
Jérémie Rhorer
und Infos: +43 (0) 732
| brucknerhaus.at
JÉRÉMIE RHORER
& LE CERCLE DE L’HARMONIE
Thomas Hengelbrock Marc Minkowski Philippe Herreweghe

Lawrence Foster & Bruckner Orchester Linz

Don Quixote tanzt

Donnerstag, 20. Juni 2024, 19:30 Uhr

Großer Saal, Brucknerhaus Linz

Werke von Viktor Ullmann, Jacques Ibert, Richard Strauss

Benedict Mitterbauer | Viola, Christoph Heesch | Violoncello Bruckner Orchester Linz, Lawrence Foster | Dirigent

18:30 Uhr: Konzerteinführung

Karten und Info: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at

Herausgeberin: Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH, Brucknerhaus Linz, Untere Donaulände 7, 4010 Linz CEO: René Esterbauer, BA MBA, Kaufmännischer Geschäftsführer LIVA

Redaktion & Texte: Andreas Meier | Biografien & Lektorat: Romana Gillesberger | Gestaltung: Anett Lysann Kraml Leiter Programmplanung, Dramaturgie und szenische Projekte: Mag. Jan David Schmitz

Abbildungen: M. Borggreve (S. 2 [1. v. o.]), P. Bünning (S. 2 [2. v. o.]), M. Ginot (S. 2 [3. v. o.]), J. Wesely (S. 2 [4. v. o.]), DSCH publishers, Moskau (S. 7), Hulton Archive (S. 10 & 12), C. Foley (S. 15), D. Gueldani (S. 17), M. Fanta (S. 18), K. Baalbaki (S. 19), M. Hendryckx (S. 21 [1. v. o.]), B. Chelly (S. 21 [2. v. o.]), F. Grandidier (S. 21 [3. v. o.]),C. Doutre (S. 21 [4. v. o.]), K. Baalbaki (S. 22) Programm-, Termin- und Besetzungsänderungen vorbehalten

LIVA – Ein Mitglied der Unternehmensgruppe Stadt Linz

in
Saison
VORSCHAU : Das Große Abonnement
der
2023/24
Lawrence Foster

Mit unserer eigenen Hammerkopfproduktion entfesseln wir das volle tonliche Spektrum unserer Flügel und Klaviere –eine Kunst, die Leidenschaft, Erfahrung und Disziplin erfordert. www.bechstein-linz.de

HAMMERKOPF
HAPPY DIAMONDS
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