Markus Poschner & Bruckner Orchester Linz | 22.03.2024

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zum

50-Jahr-Jubiläum Festkonzert

der Eröffnung des Brucknerhauses Linz

22. MÄRZ 2024

JUBILÄUMSKONZERT SAISON 2023/24

Anders, weil:

wir Kultur nicht nur fördern, sondern auch fordern.

Kultur ist kein Extra, kein „Nice-to-have“ oder reines Freizeitvergnügen. Wir verstehen Kultur als integrierten Bestandteil des Menschseins. Als Oberbank sehen wir uns daher nicht nur gesellschaftlich verpflichtet, Kultur zu fördern; nein, wir wollen sie leben. Sie spürbar machen, auch im Umgang mit unseren Kund:innen. Ja, es gibt so etwas wie eine ganz spezielle Oberbank Kultur. Darauf sind wir stolz. Gerne erzählen wir Ihnen mehr darüber in einem persönlichen Gespräch.

Festkonzert zum 50-Jahr-Jubiläum der Eröffnung des Brucknerhauses Linz

Freitag, 22. März 2024, 19:30 Uhr Großer Saal, Brucknerhaus Linz

Bruckner Orchester Linz

Markus Poschner | Dirigent

Programm

Rudolf Jungwirth (* 1955)

LETTERS. Fünf Stücke für Orchester (2023–24) [Uraufführung]

Nr. 1 Affettuoso – Andante – Adagio

Nr. 2 Tranquillo

Nr. 3 Allegro moderato – Meno mosso – Tempo primo

Nr. 4 Adagio

Nr. 5 Moderato

Ludwig van Beethoven (1770–1827)

Sinfonie Nr. 8 F-Dur op. 93 (1812–13)

I Allegro vivace con brio

II Allegretto scherzando

III Tempo di Menuetto

IV Allegro vivace

– Pause –

Anton Bruckner (1824–1896)

Sinfonie Nr. 1 c-Moll WAB 101 (1865–66) „Linzer Fassung“

I Allegro – Mit vollster Kraft, im Tempo etwas verzögernd –Tempo I

II Adagio – Andante – Tempo I

III Scherzo. Schnell – Trio. Langsamer – Coda

IV Finale. Bewegt, feurig

Konzertende ca. 21:45

Das Konzert ist zeitgleich in der Sendereihe Das Ö1 Konzert live zu hören.

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alla breve

Das Programm auf einen Blick

Am 23. März 1974 wurde das Brucknerhauses Linz mit einem Eröffnungsakt durch das Bruckner Orchester Linz unter Leitung seines Chefdirigenten Kurt Wöss und einem abendlichen Festkonzert mit Herbert von Karajan und den Wiener Philharmonikern eingeweiht, wobei bereits am Abend des 22. März eine Vorraufführung des Eröffnungsaktes stattfand. 50 Jahre später steht nun abermals das Bruckner Orchester Linz unter seinem Chefdirigenten Markus Poschner auf der Bühne des Großen Saals, um dieses historische Ereignis zu feiern.

Wie schon 1974 ist dabei eine Uraufführung mit Bruckner-Bezug Teil des Programms. Damals war es Gottfried von Einems Bruckner-Dialog op. 39, heute ist es das Werk LETTERS des Linzer Komponisten Rudolf Jungwirth, das sich in Form von fünf „fiktiven Briefen“ mit Wolfgang Amadé Mozart, Ludwig van Beethoven und natürlich Anton Bruckner auseinandersetzt. Im Anschluss daran erklingen zwei ,Linzer Sinfonien‘: Ludwig van Beethoven begann mit der Reinschrift seiner 8. Sinfonie während eines Aufenthalts bei seinem Bruder Nikolaus Johann im Oktober 1812 in Linz. Das zwischen klassischen Konventionen und hintergründigem Humor schwankende Werk fristet bis heute – für Beethoven’sche Verhältnisse freilich – ein Schattendasein im Repertoire, offenbart bei genauerem Hinhören jedoch einen in der Rezeption meist zu Unrecht vernachlässigten Wesenszug des Komponisten: den Humor. Anton Bruckners Sinfonie Nr. 1 c-Moll ist wiederum die einzige seiner Sinfonien, deren Uraufführung in Linz stattfand. Am 9. Mai 1868 versammelte sich hierfür ein verhältnismäßig kleines Orchester im Linzer Redoutensaal, der mit insgesamt 220 m² kaum größer als die Bühnenfläche des Großen Saals im Brucknerhaus Linz ist.

Festkonzert zum

50-Jahr-Jubiläum

der Eröffnung des Brucknerhauses Linz

FIKTIVE BRIEFE AN ALTE KOLLEGEN

Rudolf Jungwirth stellt seine Kompositionen häufig in Bezug zu Werken anderer Komponist*innen. Dabei handelt es sich stets um Musik, die ihn gefühlsmäßig besonders berührt. Sein Ziel ist es, in keinem Fall die Stilistik des ausgesuchten Werkes zu treffen oder gar zu imitieren, sondern ihm etwas entgegenzusetzen. So wird gleichsam Musik über Musik geschrieben, beziehungsweise in einen Diskurs mit musikalischen Stilen getreten, woraus sich in den vergangenen 25 Jahren eine Art ,work in progress‘ ergeben hat. Jungwirths Kollektion umfasst bis dato Werke in solistischer Besetzung bis hin zu Kompositionen für großes Orchester, wobei Charakterstücke mit aphoristischen Zügen überwiegen. Es entsteht Musik, die den Komponist*innen der ausersehenen Werke gleich einer Nachricht – eines Statements – in fiktiven Briefen zugesendet wird. LETTERS ist daher auch der Titel der heute uraufgeführten fünf Orchesterstücke.

Das erste – an Anton Bruckner gerichtete – Stück beginnt mit einer fanfarenartigen Einleitung mit nach oben hin zerlegten Akkorden, an die ein im Pianissimo einsetzendes Fugato anschließt. Die Fugenstruktur wird dabei ständig durch unterschiedliche Klangschleier vernebelt. Kurz taucht ein Abschnitt aus Anton Bruckners Orgelfuge d-Moll auf. In starkem Kontrast zum Fortissimo-Satzbeginn endet das Stück nach einer durchführungsartigen Steigerung schließlich in

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Fundamentlegung des Brucknerhauses, 1969

elegischer Ruhe. Das ebenfalls an Bruckner adressierte langsame Stück Nr. 2 ist eine Art Klangfarbenstudie. Nach oben geführte Akkordzerlegungen leiten eine Steigerung ein und kulminieren schließlich in einem extrem dissonanten und zusätzlich in seinen Klangfarben verfremdeten Akkord aus dem Adagio der 9. Sinfonie Bruckners. Das dritte Stück – eine Nachricht an Ludwig van Beethoven – setzt sich mit einer kräftig-vitalen Szenerie auseinander. Zunächst bestimmen

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Rudolf Jungwirth LETTERS

Tonwiederholungen, später rollende Bewegungen in Verbindung mit einem Bläserchoral das musikalische Geschehen. Im etwas ruhigeren zweiten Teil prägen Klopfmotive die Musik. Mit seiner klaren Dreiteiligkeit bildet das Stück zu den anderen vier LETTERS einen auffallenden Gegensatz. Stück Nr. 4 richtet sich an Wolfgang Amadé Mozart. Von allen „Briefen“ folgt es jener Komposition, auf die es Bezug nimmt, am stärksten, nämlich einem mit Adagio betitelten, alleinstehenden Konzertsatz für Violine mit Orchesterbegleitung. Schon im Mozartjahr 2006 entstand eine sich mit diesem Satz befassende „Reminiszenz“. Mittels Collage­Technik neu formuliert und strecken­

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Grundsteinlegung des Brucknerhauses durch Bundespräsident Franz Jonas am 16. Mai 1969

Ludwig van Beethoven

Sinfonie Nr. 8 F-Dur

weise leicht übermalt, gibt es nun quasi ein „Double“. Das letzte Stück wendet sich noch einmal an Anton Bruckner. Ein Hang zum Minimalismus bestimmt die Figuren der Streicher. Dazu bilden Andeutungen von Flügelschlägen, Windgeräuschen, Schreien von Wasser vögeln und rollenden Wellenbewegungen den Ausgangspunkt der Komposition. Das formale Konzept beruht auf einer sukzessiven Intensitätszunahme, angeführt vor allem durch die Blechbläser. Nach einem kurzen Kulminationspunkt, der in gewisser Weise an den Anfang des Bruckner’schen Te Deum erinnert, folgt das allmähliche Versiegen des Geschehens – ein langes Ein- und Ausatmen.

BÖMISCHE BÄDER

Nach Abschluss der Skizzenarbeit an seiner 7. Sinfonie, deren Reinschrift er am 13. April 1812 beendet, arbeitet Ludwig van Beethoven zunächst an der Komposition eines Klavierkonzerts in F-Dur. Wann genau er es zugunsten eines Sinfonie-Konzepts verwirft, lässt sich nicht eindeutig klären, einzig ein Brief vom 25. Mai an den Verlag Breitkopf & Härtel gibt einen ungefähren Anhaltspunkt: „Ich schreibe 3 neue sinfonien, wovon eine bereits vollendet“. Die vollendete ist die Siebte, eine der beiden anderen die Achte, die dritte eine nur skizzierte und nie ausgeführte d-Moll-Sinfonie. Spätestens Ende Mai muss sich Beethoven also dazu entschlossen haben, die Orchestereinleitung seines Klavierkonzerts als Grundlage für den Kopfsatz seiner Sinfonie Nr. 8 F-Dur op. 93 zu verwenden. Während mehrere Kuraufenthalte in böhmischen Bädern, die ihn nach Prag, Teplitz – wo er seinen berühmten Brief an die „Unsterbliche Geliebte“ schreibt und später Johann Wolfgang von Goethe kennenlernt –, Karlsbad und schließlich wieder nach Wien führen, vollendet er das Werk. Als er sich im Oktober bei seinem Bruder Nikolaus Johann in Linz aufhält, beginnt er mit der Reinschrift der Partitur, auf der er vermerkt: „Linz im Monath October 1812“. Stolz verkündet die Linzer Musikalische Zeitung für die österreichischen Staaten: „Nun haben wir auch das längst schon gewünschte Vergnügen den Orpheus und größten musikalischen Dichter unsrer Zeit Hrn. L. van Beethoven hier seit einigen Tagen in unsrer Hauptstadt zu besitzen […].“

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BÖHMISCHE DÖRFER?

Bei der Uraufführung der 8. Sinfonie am 27. Februar 1814 im Rahmen einer Akademie im großen Redoutensaal in Wien, in der auch die 7. Sinfonie und das sinfonische Schlachtengemälde Wellingtons Sieg erklingen, kann Beethoven mit seinem neuen Werk allerdings keinen nennenswerten Erfolg erzielen. „Die grösste Aufmerksamkeit der Zuhörer schien auf dies neueste Product der B[eethoven’]schen Muse gerichtet zu seyn“, berichtet die Allgemeine musikalische Zeitung, „und alles war in gespannter Erwartung: doch wurde diese, nach einmaligem Anhören, nicht hinlänglich befriedigt, und der Beyfall, den es erhielt, nicht von jenem Enthusiasmus begleitet, wodurch ein Werk ausgezeichnet wird, welches allgemein gefällt: kurz, sie machte – wie die

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Sinfonie Nr. 8 F-Dur

Italiener sagen – kein Furore.“ Tatsächlich scheinen der fehlende heroische Gestus, die vergleichsweise lapidare Kürze sowie der heitere, unbeschwerte Charakter des Werkes „dem günstigsten Erfolge“ bis heute im Weg zu stehen. Wie Beethovens 1. Sinfonie gilt seine Achte gemeinhin als ,klassisch‘, die dramatische Bildgewalt, die ihre Schwesterwerke heraufbeschwören, liegt ihr fern und selbst Beethoven bezeichnet sie in einem Brief an Johann Peter Salomon als „kleinere Sinfonie in F“. Doch wie im Fall der 1. Sinfonie versteckt sich der wahre Gehalt des Werkes auch hier hinter der Fassade. Wagt man einen Blick dorthin, so erkennt man einen faszinierenden Wesenszug, der in keinem der Werke Beethovens derart vielschichtig zum Tragen kommt: den Humor.

Luftaufnahme vom Bau des Brucknerhauses, 1969

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Ludwig van Beethoven

Bereits in den ersten Takten des Kopfsatzes, nach Vorstellung des majestätisch wogenden F-Dur-Hauptthemas, verliert sich die Musik in monoton wiederholten Phrasen, die schon bald von hinkenden Synkopen aus dem Takt gebracht werden und mit verwegenen Harmoniewechseln in den Seitensatz überleiten. Der beginnt zunächst ,fälschlicherweise‘ in D-Dur, ehe ein verlegen innehaltendes Ritardando den Irrtum zu bemerken scheint und nonchalant in die Dominanttonart C-Dur überleitet. Gleich zu Beginn zeigt sich hier, wie Beethoven mit den klassischen Konventionen, den bekannten Formmodellen sein Spiel treibt, ein Spiel, das sich dabei nur den aufmerksamen Zuhörer*innen offenbart. Ein ähnlicher Scherz ereignet sich im Allegretto scherzando des zweiten Satzes, in dem stolpernde Akzente, verschobene Themeneinsätze und unvermutete Fortissimoausbrüche ein ebenso grelles wie kunstvolles Geflecht ineinandergreifender Mosaiksteine bilden, deren Gesamtbild wie die Parodie eines barocken Gemäldes anmutet. Die von Beethovens Biografen Anton Schindler überliefer te Anekdote, der Komponist habe das Thema des Satzes seinem Johann Nepomuk Mälzel gewidmeten Scherzkanon An Mälzel entnommen, hat sich, wie der Kanon selbst, letztlich als Erfindung des Autors herausgestellt.

Die auch in der archaischen Klanggewalt des Menuetts – ein zweites und letztes Mal verwendete Beethoven hier den veralteten Gattungsbegriff anstelle des bereits von ihm etablier ten Scherzos – fortgeführte Form des musikalischen Zerrbildes in Gestalt insistierender, geradezu burlesker Akzentuierungen und melodischer Plattitüden gipfelt kurz vor dem beschaulichen Trio gar in einem ,falschen‘ Einsatz der Holzbläser und erzeugt in den atemlosen Repetitionen und bizarren harmonischen Rückungen des Finalsatzes – „als ob jemand mitten im Gespräch die Zunge herausstreckt“ (Louis Spohr) – eine regelrecht bacchantische Ausgelassenheit, bei der die kleinsten Notenwerte der Streicherfiguren in Beethovens nachträglicher Metronomisierung an der Grenze der physischen Spielbarkeit liegen.

Beethovens 8. Sinfonie bleibt bis heute unergründet: Ist sie ein musikalischer Scherz, ein doppeldeutiges Spiel mit den Konventionen? Handelt es sich um die sorglosen Klänge einer böhmischen Kurreise oder schlichtweg um sprichwörtlich böhmische Dörfer? – Vielleicht

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Ludwig
van Beethoven Sinfonie Nr. 8 F-Dur

enthält das Werk letztlich beides, freimütigen Humor ebenso wie tiefgründige Reflexion; oder, wie es der Musikkritiker Paul Bekker trefflich zusammenfasste, „lachende Philosophie“.

DER SPÄTE SCHÜLER

Am 13. November 1855 kann Anton Bruckner, zu diesem Zeitpunkt Lehrer und Organist im Stift St. Florian, das Probespiel um die provisorische Besetzung der Stelle des Dom- und Stadtpfarrorganisten in Linz für sich entscheiden. Im Wettstreit mit den Konkurrenten Engelbert Lanz und Raimund Hain fantasiert er, so der Bericht seiner Biografen August Göllerich und Max Auer, dabei „so überwältigend, daß alle Strenge der Prüfungskommission sich in Ergriffenheit auflöst“ und der Mitbewerber Lanz ihm ehrfurchtsvoll bescheinigt: „Du bist der Tod aller!“ Nachdem er das am 25. Jänner 1856 abgehaltene Konkurrenzspiel zur definitiven Vergabe der Position ebenfalls gewinnen kann, gelingt es Bruckner, sich in Linz erst als Organist, später auch

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Anton Bruckner Sinfonie Nr. 1 c-Moll Bau des Brucknerhauses, 1970

als Komponist vor allem sakraler Werke zu profilieren. Kurioserweise schlüpft er in dieser Zeit noch einmal in die Rolle des Schülers, um von 1855 bis 1861 zunächst Theorie beim Wiener Konservatoriumsprofessor und Hoforganisten Simon Sechter, anschließend bis 1863 Formenlehre und Instrumentation beim zehn Jahre jüngeren Linzer Theaterkapellmeister Otto Kitzler zu studieren. Unter Kitzlers Anleitung, der ihn unter anderem mit den Partituren klassischer Meister bis hin zu den neuesten Werken Franz Liszts und Richard Wagners vertraut macht, schafft es Bruckner endlich, sich den Weg zur sinfonischen Großform zu bahnen. Besonders stark prägt sich dabei das

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Anton Bruckner Sinfonie Nr. 1 c-Moll Letzte Aufräum- und Reinigungsarbeiten vor der Eröffnung, 1974

Erlebnis der Aufführung von Richard Wagners Tannhäuser ein, die Kitzler am 13. Februar 1863 erstmals in Linz dirigiert. Der Abend wird zum kompositorischen Erweckungserlebnis für Bruckner, der in den Monaten vor und nach der Premiere laut Kitzler die „Neuheit der Instrumentation“ gründlich studiert und in Wagner ein Vorbild findet, dessen Einfluss sich in der 1863 zum Abschluss seines Unterrichts komponierten, später als Schularbeit ad acta gelegten „Studiensinfonie“ f-Moll ebenso widerspiegelt wie in der im Jänner 1865 begonnenen Sinfonie Nr. 1 c-Moll WAB 101.

Bezeichnenderweise reist Bruckner unmittelbar nach dem Abschluss des Kopfsatzes am 14. Mai 1865 zur Münchner Uraufführung von Wagners Tristan und Isolde, wo er die noch unvollendete Partitur dem Dirigenten Hans von Bülow vorlegt und sich auch Wagner persönlich vorstellt. Unter dem Eindruck seines 14-tägigen Aufenthaltes komponiert er das mit „München 25. Mai [1]865“ datierte Trio seines ansonsten bereits fertiggestellten Scherzos, dessen tatsächlich an den Tristan erinnernde chromatische Holzbläserfiguren und expressive harmonische Wendungen in deutlichem Kontrast zum menuettar tigen Rest des Satzes stehen. Dass Bruckner das Scherzo im Jänner des folgenden Jahres durch ein formal und klanglich deutlich umfangreicheres ersetzt und dabei einzig das Münchner Trio unverändert lässt, verdeutlicht die wohl auch für ihn offenkundige Diskrepanz zwischen seinem vor- und nachwagner’schen Stil.

Nachdem Bruckner seine 1. Sinfonie mit der Vollendung des Adagios am 14. April 1866 fertiggestellt hat, muss er noch mehr als zwei Jahre warten, ehe er das Werk der Linzer Öffentlichkeit präsentieren kann. Die Uraufführung am 9. Mai 1868 im Redoutensaal unter seiner eigenen Leitung, wenige Wochen, bevor er als Nachfolger Sechters die Professur für Harmonielehre und Kontrapunkt am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien antritt, ruft allerdings nur verhaltenes Echo hervor. So schreibt Moritz von Mayfeld in der Linzer Zeitung: „Ob Herr Bruckner von den drei formellen Gesichtspunkten: Instrumentirung, Architektur, Verknüpfung, aus, – Vollkommenes erreicht hat, darüber mag die Meinung getheilt sein; gewiß

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Anton Bruckner Sinfonie Nr. 1 c-Moll

ist, daß er auch von diesen Gesichtspunkten aus Großes geschaffen, ja, daß gerade hieraus seine große und wirkliche Begabung abzuleiten ist. Ueber die hiedurch erreichten großen Schönheiten des Werkes schwebt freilich durch das Streben nach Effekt auch ein leichter Schatten; aber das hervorragende Talent Bruckners tritt uns auch hier entschieden entgegen und wir wünschen, daß er bald eine seinen Fähigkeiten und musikalischen Kenntnissen entsprechende Stellung in der Residenzstadt Wien finden möchte, um seinem schöpferischen Streben mit Muße obliegen zu können.“

„1te Sinfonie wundervoll!! Die muß gedruckt werden und ge spielt – aber bitte, bitte –ändern Sie nicht zu viel – es ist Alles gut, wie es ist, auch die Instrumentation! Nicht zu viel retouchi ren, bitte, bitte!“

Hermann Levi am 16. Februar 1890 an Anton Bruckner

Nachdem Bruckner bereits 1877 kleinere Korrekturen an seiner Partitur vorgenommen hat, unterzieht er das Werk vom März 1890 bis April 1891, nach Umarbeitung seiner Sinfonien Nr. 4, 3 und 8, einer umfassenden Revision. Neben der Korrektur von Satzfehlern, wie Oktav- und Quintparallelen, größeren Instrumentierungsretuschen sowie der Präzisierung von Vortragsbezeichnungen versucht er dabei zuvorderst, die Konturen der metrischen und formalen Struktur durch Streichungen und Hinzufügungen von Takten zu schärfen sowie die in der „Linzer Fassung“ oft blockhaft aufeinanderfolgenden harmonischen Abläufe organischer zu gestalten. In dieser „Wiener Fassung“, in der das Werk nach Ansicht Bruckners nunmehr „auf wissenschaftlicher­contrapunctischer Grundlage“ beruht, gelangt die Sinfonie am 13. Dezember desselben Jahres durch die Wiener Philharmoniker unter der Leitung Hans Richters zur umjubelten Erstaufführung im Großen Saal des Wiener Musikvereins.

„Wer könnte selbst nach einmaligem Hören je das scharf gezeichnete, echt symphonische und zugleich Bruckner’sche Thema vergessen, mit welchem orgelpunktartig der erste Satz anhebt?“ So beschreibt

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der Kritiker Theodor Helm wenige Tage nach der Wiener Premiere in der Deutschen Zeitung den unnachahmlichen Eindruck des Werkbeginns. Schon im Kopfsatz offenbaren sich zahlreiche Charakteristika, die für den sinfonischen Stil Bruckners bestimmend wurden: die Kontrastierung des rhythmisch prägnanten Hauptthemas mit einer lyrischen Gesangsperiode, ein wuchtiges drittes Thema, dessen Melodik und Instrumentierung hier hörbar die nachhaltige Wirkung des Tannhäuser-Erlebnisses von 1863 erkennen lässt, markante Triolenbewegungen in den Begleitfiguren, fugierte Abschnitte in der Durchführung sowie eine grandiose Schlusssteigerung. Harmonisch suchend, von schwermütigen Seufzern und Vorhalten durchzogen, hebt anschließend der Gesang des Adagios an, in dessen Zentrum eine weit ausschwingende Violinkantilene steht. Bruckners Biograf August Göllerich zufolge soll Hans Richter dem Komponisten im Zuge der Erstaufführung der „Wiener Fassung“ augenzwinkernd zugeraunt haben: „Da warn’s aber sehr verliebt, wie’s das g’schrieben hab’n!“ Während die verworfene erste Fassung des dritten Satzes noch ganz dem konventionellen Menuett der Klassik verpflichtet war, stellt die Letztfassung mit ihren kräftigen Unisoni und ihrer rhythmisch markanten Melodik gewissermaßen die Blaupause des in späteren Sinfonien fortgeführten Scherzo-Stils Bruckners dar, innerhalb dessen schroffer Klanglandschaft das verträumt sinnende Trio einen idyllischen Ruhepol bildet. „Bewegt, feurig“, mit scharfen Doppelpunktierungen und wilden Sechzehntelkaskaden stürmt das Finale voran: „S’kecke Beserl sagt glei ohne viel Schnacks’n: ,Da bin i’!“, wie Bruckner diesen Beginn laut Göllerich „mit köstlich­spitzbübischem Ausdruck“ selbst beschrieb. Einprägsam führt der Satz noch einmal vor Ohren, weshalb der Komponist seine 1. Sinfonie oft als „kecken Besen“ oder „Beserl“ bezeichnete: Kantig, widerspenstig, auf charmante Weise sperrig und vor Ideenfülle überbordend reihen sich die Themen aneinander, überlagern sich und münden letztlich in eine feierliche Schlussapotheose in jubelndem C-Dur.

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Andreas Meier Anton Bruckner Sinfonie Nr. 1 c-Moll

Bruckner Orchester Linz

Das Bruckner Orchester Linz (BOL) zählt zu den führenden Klangkörpern Mitteleuropas, blickt auf eine mehr als 200-jährige Geschichte zurück und trägt seit 1967 den Namen des Genius loci. Seit dem Antritt von Markus Poschner als Chefdirigent vollzieht das BOL einen Öffnungsprozess, der viele neue Formate generiert, unerwartete Orte aufsucht, in der Vermittlung überraschende Wege findet und vor allem für künstlerische Ereignisse in einer unnachahmlichen Dramaturgie sorgt, die bei Publikum und Presse in Oberösterreich und der Welt unerhörte Resonanz hervorruft. Markus Poschner und das BOL sind einer ureigenen Spielart der Musik seines Namensgebers auf der Spur und lassen diese in einem unverwechselbaren oberösterreichischen Klangdialekt hören, was sich in einer Gesamtaufnahme aller Sinfonien in allen Fassungen im heurigen Brucknerjahr manifestiert. Das BOL ist nicht nur das Sinfonieorchester des Landes Oberösterreich,

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Biografie

sondern spielt die musikalischen Produktionen des Linzer Landestheaters im Musiktheater, das auch seine Heimstätte ist. Konzerte beim Internationalen Brucknerfest Linz, Konzertzyklen im Brucknerhaus Linz und spektakuläre Programme im Rahmen des Ars Electronica Festivals gehören zum Spielplan des Orchesters wie die Aufgabe als Botschafter Oberösterreichs und seines Namensgebers auf Konzertpodien weltweit. Das Bruckner Orchester Linz hat seit 2012 einen eigenen Konzertzyklus im Wiener Musikverein und seit 2020 erstmals auch einen im Brucknerhaus. Die Zusammenarbeit mit großen Solist*innen und Dirigent*innen unserer Zeit unterstreicht die Bedeutung des Klangkörpers. Das BOL wurde beim Musiktheaterpreis 2020 als „Bestes Orchester“ ausgezeichnet. 2024 wurden das BOL und Markus Poschner mit dem renommierten ICMA Special Achievement Award für die Gesamteinspielung der Bruckner-Sinfonien geehrt.

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Markus Poschner

Dirigent

Seit seinem Antritt als Chefdirigent des Bruckner Orchester Linz (BOL) 2017 begeistern der gebürtige Münchner Markus Poschner und das österreichische Spitzenensemble Publikum und Presse gleichermaßen. Dafür steht beispielhaft Poschners Vision, in der Bruckner-Interpretation eigene Wege zu gehen. Dies schlug sich 2020 in der Auszeichnung als „Bestes Orchester“ und „Bester Dirigent“ beim Österreichischen Musiktheaterpreis nieder. Seit er 2004 den Deutschen Dirigentenpreis erhielt, gastiert Markus Poschner regelmäßig bei namhaften Orchestern und Opernhäusern, darunter die Bamberger und die Wiener Symphoniker, die Sächsische Staatskapelle Dresden, die Münchner Philharmoniker, das Konzerthausorchester Berlin, das ORF Radio-Symphonieorchester (RSO) Wien, das Netherlands Philharmonic Orchestra, das NHK Symphony Orchestra Tokyo, die Staatsopern von Berlin, Hamburg und Stuttgart, die Oper Frankfurt und das Opernhaus Zürich. Das Bayreuther Festspielorchester dirigierte er erstmals bei dessen Gastspiel 2019 in Abu-Dhabi mit Richard Wagners Die Walküre. 2022 eröffnete er mit Tristan und Isolde die Bayreuther Festspiele und dirigierte dieselbe Produktion dort auch 2023.

Mit dem Orchestra della Svizzera italiana, dessen Chefdirigent Markus Poschner seit 2015 ebenso ist, gewann er den International Classical Music Award (ICMA) 2018 für den Brahms-Sinfonien-Zyklus. Gemeinsam mit dem Orchestre National de France wurde er für seine Produktion von Offenbachs Maître Péronilla mit dem Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik 2021 ausgezeichnet. 2024 erhielt er für seine Gesamteinspielung der Bruckner-Sinfonien mit dem BOL und dem RSO Wien den ICMA Special Achievement Award.

Von 2007 bis 2017 war Markus Poschner Generalmusikdirektor der Bremer Philharmoniker. Ab der Saison 2025/26 wird er zusätzlich zum BOL die Chefposition am Dirigentenpult des Sinfonieorchesters Basel übernehmen.

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Biografie
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ANTON BRUCKNERS SINFONIEN ALS

ORIGINALKLANGZYKLUS

Eine Entdeckungsreise in elf Konzerten

Beim Internationalen Brucknerfest Linz 2024 werden erstmals alle elf Sinfonien Anton Bruckners in ihrer Originalklanggestalt aufgeführt.

Dieses einzigartige Konzertprojekt bietet ein besonderes Hörerlebnis und wird von weltweit gefeierten Orchestern und Dirigenten präsentiert.

Eine fulminante und musikalische Entdeckungsreise in elf Konzerten, exklusiv in Linz, die Sie nicht verpassen sollten!

Karten und Infos:

+43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at brucknerfest.at

Alle elf Konzerte des Originalklangzyklus online entdecken: brucknerhaus.at/originalklang

VOM 4. SEPTEMBER BIS 11. OKTOBER 2024
Weltsensation!Alle elf SinfonienBrucknerim Originalklang

Highlights

DI, 10 SEP, 19:30 GROSSER SAAL

PHILIPPE HERREWEGHE & ORCHESTRE DES CHAMPS-ÉLYSÉES

Übersteigern – Bruckners 8. Sinfonie

DO, 12 SEP, 19:30 GROSSER SAAL

JORDI SAVALL & LE CONCERT DES NATIONS

Experimentieren – Bruckners „Annullierte“

SO, 6 OKT, 18:00 GROSSER SAAL JÉRÉMIE RHORER & LE CERCLE DE L’HARMONIE

Befreien – Bruckners 7. Sinfonie

DI, 8 OKT, 19:30 GROSSER SAAL

ÁDÁM FISCHER & THE ORCHESTRA OF THE AGE OF ENLIGHTENMENT

Anbeten – Bruckners 5. Sinfonie

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Ádám Fischer Jérémie Rhorer Jordi Savall Philippe Herreweghe

KOMMENDE HIGHLIGHTS

SAISON 2023/24

Bundesjugendballett

The Queen’s Cartoonists

MI

3 APR 19:30

GROSSER SAAL

BUNDESJUGENDBALLETT

In the Blue Garden: ein Ballett mit einer legendären Choreografie von John Neumeier zur magischen Musik von Maurice Ravels Ma mère l’Oye.

DI

9 APR 19:30 GROSSER SAAL

SO

14 APR 18:00

MITTLERER SAAL

DANIELE RUSTIONI & ULSTER ORCHESTRA

Weberns op. 1, Schostakowitschs 1. Violinkonzert (Solist: Sergey Khachatryan) und Brahms’ 4. Sinfonie –drei Werke, in denen die alte Form der Passacaglia neu belebt wird.

THE QUEEN’S CARTOONISTS

Bei ihrem Streifzug durch 100 Jahre Animationsgeschichte verbinden The Queen’s Cartoonists Zeichentrick- und Animationsfilme mit vibrierendem Jazz.

SO 28 APR 11:00

GROSSER SAAL

GIOVANNI GUZZO, ANA DE LA VEGA & CAMERATA SALZBURG

Italienisches Flair versprühen Mercadantes 6. Flötenkonzert mit Ana de la Vega als Solistin sowie Mendelssohns 4. Sinfonie, die „Italienische“

Karten und Infos: +43 (0) 732 77 52 30 |

kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at

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Daniele Rustioni | Dirigent Ana de la Vega | Flöte

VORSCHAU

Petr Popelka

Petr Popelka & Rundfunk

Sinfonieorchester Prag

Dienstag, 21. Mai 2024, 19:30 Uhr

Großer Saal, Brucknerhaus Linz

Werke von Dmitri Schostakowitsch, Benjamin Britten, Sergei Rachmaninoff

Dmitry Shishkin | Klavier

Rundfunk Sinfonieorchester Prag

Petr Popelka | Dirigent

ab 200 jahre

Herausgeberin: Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH, Brucknerhaus Linz, Untere Donaulände 7, 4010 Linz

CEO: René Esterbauer BA MBA, Kaufmännischer Vorstandsdirektor LIVA

Redaktion & Texte: Andreas Meier | Biografien & Lektorat: Romana Gillesberger | Gestaltung: Anett Lysann Kraml

Leiter Programmplanung, Dramaturgie und szenische Projekte: Mag. Jan David Schmitz

Abbildungen: Archiv der Stadt Linz (S. 7, 8, 10–11 & 13), A. Durchan (S. 14), R. Winkler (S. 18–19), K. Kikkas (S. 21), M. Hendryckx (S. 23 [2. v. o.]), D. Ignaszewski (S. 23 [3. v. o.]), C. Doutre (S. 23 [4. v. o.]), N. Lund (S. 23 [1. v. o.]), studio visuell heidelberg (S. 25 [1. v. o.]), D. Cerati (S. 25 [2. v. o.] & 26), L. Desberg (S. 25 [3. v. o.]), B. Arad (S. 25 [4. v. o.])

Programm-, Termin- und Besetzungsänderungen vorbehalten

LIVA – Ein Mitglied der Unternehmensgruppe Stadt Linz

Karten und Info: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at : Das Große Abonnement in der Saison 2023/24
(Fast) Alles Walzer
Foto: Irène Zandel C.BECHSTEIN KLAVIERABEND VERANSTALTUNGSORT UND KARTEN Brucknerhaus Linz · Untere Donaulände 7 · 4010 Linz +43 (0) 732 77 52 30 · kassa@liva.linz.at 16.Mai 2024 · 19:30 Uhr C.Bechstein Centrum Linz / Klaviersalon Merta GmbH Bethlehemstraße 24 · A-4020 Linz · +43 (0) 732 77 80 05 20 linz@bechstein.de · bechstein-linz.de Alexander Schimpf Werke von Mozart, Beethoven, Skrjabin und Rachmaninoff
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