Mikhail Timoshenko & Elitsa Desseva | 16.03.2024

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Tod Liebe
Tanz
16. MÄRZ 2024 LIEDERABENDE III SAISON 2023/24 und
Der
von

KOMMENDE HIGHLIGHTS

SAISON 2023/24

Bundesjugendballett

The Queen’s Cartoonists

MI

3 APR 19:30

GROSSER SAAL

BUNDESJUGENDBALLETT

In the Blue Garden: Ein Ballett mit einer legendären Choreografie von John Neumeier zur magischen Musik von Maurice Ravels Ma mère l’Oye

DI

9 APR 19:30

GROSSER SAAL

SO

14 APR 18:00

MITTLERER SAAL

DANIELE

RUSTIONI & ULSTER ORCHESTRA

Weberns op. 1, Schostakowitschs 1. Violinkonzert (Solist: Sergey Khachatryan) und Brahms’ 4. Sinfonie –drei Werke, in denen die alte Form der Passacaglia neu belebt wird

THE QUEEN’S CARTOONISTS

Bei ihrem Streifzug durch 100 Jahre Animationsgeschichte verbinden The Queen’s Cartoonists Zeichentrick­ und Animationsfilme mit vibrierendem Jazz.

SO 28 APR 11:00

GROSSER SAAL

GIOVANNI GUZZO, ANA DE LA VEGA & CAMERATA SALZBURG

Italienisches Flair versprühen Mercadantes 6. Flötenkonzert mit Ana de la Vega als Solistin sowie Mendelssohns 4. Sinfonie, die „Italienische“

Karten und Infos: +43 (0) 732 77 52 30 |

kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at

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Daniele Rustioni | Dirigent Ana de la Vega | Flöte

Der Tanz von Liebe und Tod

Samstag, 16. März 2024, 19:30 Uhr Mittlerer Saal, Brucknerhaus Linz

Mikhail Timoshenko | Bariton

Elitsa Desseva | Klavier

Saison 2023/24 – Liederabende III

3. von 3 Konzerten im Abonnement

Programm

Charles Ives (1874–1954)

Memories A. Very Pleasant (1897)

Maurice Ravel (1875–1937)

Chanson romanesque, Nr. 1 aus:

Don Quichotte à Dulcinée M. 84 (1932–33)

Chanson épique, Nr. 2 aus:

Don Quichotte à Dulcinée M. 84 (1932–33)

William Denis Browne (1888–1915)

To Gratiana Dancing and Singing (1913)

Gerald Finzi (1901–1956)

The Self-unseeing, Nr. 3 aus:

Before and After Summer op. 16 (1932–49)

Modest Mussorgski (1839–1881)

Kolybel’naja (Wiegenlied), Nr. 1 aus: Lieder und Tänze des Todes (1875, 1877)

Johannes Brahms (1833–1897)

Auf dem Kirchhofe, Nr. 4 aus: Fünf Lieder op. 105 (1886–88)

Robert Schumann (1810–1856)

Dichters Genesung, Nr. 5 aus:

Sechs Gedichte aus dem Liederbuch eines Malers op. 36 (1840)

Der Hidalgo, Nr. 3 aus:

Drei Gedichte op. 30 (1840)

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Jacques Ibert (1890–1962)

Chanson à Dulcinée, Nr. 2 aus:

Chansons de Don Quichotte (1932)

Chanson du Duc, Nr. 3 aus:

Chansons de Don Quichotte (1932)

Modest Mussorgski

Serenada, Nr. 2 aus:

Lieder und Tänze des Todes (1875, 1877)

– Pause –

Charles Ives

Memories B. Rather Sad (1897)

Jacques Ibert

Chanson du départ de Don Quichotte, Nr. 1 aus:

Chansons de Don Quichotte (1932)

Dmitri Schostakowitsch (1906–1975)

„Proščaj, Grenada“ („Leb wohl, Granada“), Nr. 1 aus: Spanische Lieder op. 100 (1956)

Pervaja vstreča (Erste Begegnung), Nr. 3 aus: Spanische Lieder op. 100 (1956)

Maurice Ravel

Chanson à boire, Nr. 3 aus:

Don Quichotte à Dulcinée M. 84 (1932–33)

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Modest Mussorgski

Trepak, Nr. 3 aus:

Lieder und Tänze des Todes (1875, 1877)

Camille Saint-Saëns (1835–1921)

Le Danse macabre (1872)

Franz Schubert (1797–1828)

Der Geistertanz D 116 (1814)

Der Jüngling und der Tod D 545 (1817)

Jacques Ibert

Chanson de la mort de Don Quichotte, Nr. 4 aus:

Chansons de Don Quichotte (1932)

Modest Mussorgski

Polkovodec (Der Feldherr), Nr. 4 aus:

Lieder und Tänze des Todes (1875, 1877)

Gerald Finzi

The dance continued, Nr. 10 aus:

A Young Man’s Exhortation op. 14 (1926–29)

Konzertende ca. 21:15

Brucknerhaus-Premiere

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alla breve

Das Programm auf einen Blick

Wir sitzen im Opernhaus; wir warten, dass der Vorhang sich hebt mit Wundern für unser Auge, ein Gefühl der Erwartung, eine Form von Verzückung, Erwartung und Verzückung … Pssssst! (Vorhang auf!)

Charles Ives: Memories A. Very Pleasant

Ein außergewöhnlicher Liederabend erwartet uns. Zwar sitzen wir nicht im Opern-, wohl aber im Konzerthaus. Ein Gefühl der Erwartung, eine Form von Verzückung ... Angekündigt vom Heroldsruf zweier Memories von Charles Ives stehen die „sehr angenehmen“ Stücke in der ersten Hälfte den „eher traurigen“ Liedern des zweiten Teils gegenüber. Zwischen Modest Mussorgskis hochexpressiven Liedern und Tänzen des Todes, durchwoben mit deutschsprachiger Romantik von Schubert über Schumann bis Brahms, geistert die legendäre Figur des Don Quijote durch die Programmfolge: von selbstbewusster Vergewisserung des eigenen Edelmuts über das schwelgerische Umwerben der angebeteten Dulcinea bis hin zu Abschied und Tod des ,Ritters von der traurigen Gestalt‘.

Und trau’re nicht um mich unter dem gelb leuchtenden Baum; denn es kümmert mich nicht, friedlich schlummernd. Gerald Finzi: The dance continued

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Der Tanz von Liebe und Tod

RITTER VON DER TRAURIGEN GESTALT

Don Quijote de la Mancha – seit knapp über 400 Jahren bewährt sich ein fahrender Ritter in der Weltliteratur, der per se gar keiner ist. Der „Ritter von der traurigen Gestalt“, wie er sich auf Anraten seines Knappen selbst nennt, bestreitet Abenteuer, die eigentlich gar nicht existieren: Er hält Windmühlen für Riesen, Tierherden für feindliche Armeen, Herbergen für Schlösser und ein Bauernmädchen für seine adlige Geliebte. Don Quijote ist dabei Leidtragender seiner fanatischen Lesefreude an Ritterromanen, durch die er nach und nach seinen Verstand verliert und sich in einer völlig imaginären Welt verfängt: einer Welt, in der er selbst glaubt, ein mittelalterlicher Ritter zu sein. Der Zusatz „de la Mancha“ – also „aus la Mancha“ – gibt sogleich Auskunft über den Ort, an dem sich die tragikomische Handlung abspielt: in der Region Kastilien-La Mancha. Musik und Tanz sind hier von einer solchen kulturellen Bedeutung, dass sie als Aktivität, Brauch und Zeremonie zu den alltäglichen Gewohnheiten der Bewohner*innen zählen und die repräsentativste Art der Folklore in diesem Gebiet sind. Als der österreichische Filmregisseur Georg Wilhelm Pabst 1932 beauftragt wird, den Stoff von Miguel de Cervantes zu verfilmen, scheint die Besetzung der Hauptrolle auf Anhieb sonnenklar: Die Wahl fällt auf den damaligen Opernstar Fjodor Schaljapin, der zwischen etwa 1890 und 1930 der führende Charakterdarsteller auf der europäischen Opern-

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bühne ist. Die Entstehungsgeschichte der dazugehörigen Filmmusik ist hingegen deutlich undurchsichtiger, nicht zuletzt, da die Produzenten mit insgesamt fünf Komponisten Kontakt aufnehmen, darunter Maurice Ravel und Jacques Ibert.

Zunächst bekommt Ravel den Auftrag zugesprochen, wahrscheinlich auch deshalb, weil er mit dem Drehbuchautor des Films, Paul Morand, eng befreundet ist. Ob aufgrund seiner immer weiter fortschreitenden Krankheit, die ein kontinuierliches Arbeiten undenkbar macht oder qualitativer Mängel, welche die Filmproduzenten von seiner Musik absehen lassen: Ravel schafft es nicht, seine Arbeit für den geplanten Zweck als Filmmusik zu vollenden. Seine Kompositionen am ,Don Quijote‘ schließt er dennoch ab – unter großen Qualen und ebenso großer Anstrengung – und veröffentlicht sie als sein letztes vollendetes Werk unter dem Titel Don Quichotte à Dulcinée. Dulcinea ist der Name, den Don Quijote sich für seine imaginäre Geliebte überlegt. Im Dezember 1934 in Paris uraufgeführt, werden die insgesamt drei Lieder begeistert rezipiert. Alle drei folgen ausnahmslos spanischen Tanzmodellen und befassen sich mit unterschiedlichen Abschnitten der Handlung: Im Chanson romanesque steht der diegetische Aspekt durch die Hervorhebung rhythmischer Elemente im Vordergrund, während im Chanson épique, anders als der Name anmutet, kein narrativer Charakter vorherrscht, sondern vielmehr mithilfe eines musikalischen Gebets die Mariengestalt mit der angebeteten Dulcinea verwoben wird. Das letzte Lied, das Chanson à boire, versinnbildlicht in melismatischen Ausführungen den Zustand immer weiter steigender Betrunkenheit während einer Gasthofszene.

Nach Ravels Ausscheiden wird nun dringend ein neuer Komponist gesucht. Die Wahl fällt dabei auf Jacques Ibert, der dabei ironischerweise angeblich von Ravel selbst vorgeschlagen wird. Seine Chansons de Don Quichotte von 1932 bestehen aus insgesamt fünf Kompositionen, von denen vier Lieder für den Protagonisten sind. Im Chanson du départ nimmt Don Quijote Abschied von der Realität, um vielmehr als Ritter in seine imaginäre Welt hinaus zu ziehen. Die Musik ist kaum liedhaft, sondern zeichnet sich vielmehr durch eine große Sprachnähe

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Der
Tanz von Liebe und Tod Zum Programm

Der Tanz von Liebe und Tod Zum Programm

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Don Quijote und Sancho Panza, Ölgemälde von Honoré Daumier, um 1866

und teils sogar rezitativische Elemente aus. Während das Chanson à Dulcinée eine dem noch relativ ähnliche Struktur aufweist, ist das Chanson du Duc differenzierter gestaltet: Die Ebenen des Realen und Irrealen sind zu diesem Zeitpunkt innerhalb der Handlung schon dahingehend verschoben, dass Don Quijote singend vom Leben eines fahrenden Ritters erzählt. Diese gleichsame Verwebung von Wirklichkeit und Einbildung verschleiert Ibert durch die bewusste Vermeidung eines einheitlichen dynamischen Formverlaufs der ansonsten einfachen Strophenform. Das Chanson de la mort de Don Quichotte spielt bereits nach dem Tod des Helden: Im Kampf mit den Windmühlen schwer verletzt, muss Don Quijote bei der Rückkehr in sein Heimatdorf mit ansehen, wie all seine Bücher auf einem Scheiterhaufen verbrannt werden – der Grund für seine unheilvolle Einbildung wird demnach buchstäblich zerstört. Dieser Anblick bricht ihm das Herz, wodurch er letztendlich stirbt. Das abschließende Lied ist lyrischer Gesang, in dem sich Don Quijote in Form seines eigenen „Geistes“ in apotheotischer Art und Weise selbst verklärt.

LEIDEN UND EKSTASE

1936, drei Jahre nach Entstehung des Don Quijote-Films, beginnt in Spanien ein Bürgerkrieg, der im Grunde genommen ein Kampf zwischen den politischen Ideologien des Kommunismus und des Faschismus ist. Viele der verwaisten Kinder, die nach dem Sieg des Regimes unter Francisco Franco zurückbleiben, zieht es in die kommunistische Sowjetunion. Diese ausgebürgerten spanischen Kinder bringen die traditionellen Lieder und die Musik ihres Heimatlandes mit, Musik, die Dmitri Schostakowitsch über eine Aufnahme spanischer Straßenmusiker*innen kennenlernt, die ihm von Freund*innen und Bekannten zugespielt wird. Die Texte zu den Melodien, die Schostakowitsch hört, stammen aus einem Band mit spanischen Gedichten, die ins Russische übersetzt worden waren. Es dauert dennoch bis 1956, also bis drei Jahre nach Stalins Tod und damit endlich außerhalb der langen politischen Drucksituation, bis Schostakowitsch seine Spanischen Lieder op. 100 komponiert. Mithilfe relativ konventioneller Arrangements versucht Schostakowitsch dabei, die Melodien der Lieder von Abschied und Kälte selbst in den Mittelpunkt zu stellen.

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Der Tanz von Liebe und Tod Zum Programm

Der Tanz von Liebe und Tod Zum Programm

Den Maler und Dichter Robert Reinick lernt Robert Schumann zwar erst Mitte der 1840er-Jahre in Dresden kennen, doch schon Jahre vorher beschäftigt er sich mit dessen künstlerischem Schaffen. Reinick ist bekannt für seine Holzschnitte, von denen einige seine Gedichte illustrieren. Illustrationen, die Schumann in seinem „Liederjahr“ 1840 so sehr inspiriert haben müssen, dass daraus die Sechs Gedichte aus dem Liederbuch eines Malers op. 36 hervorgehen. Inhaltlich behandeln diese Gedichte die typischen großen romantischen Topoi: die Liebe und die pantheistische Natur. Dichters Genesung wird davon nicht ausgenommen, sondern behandelt eine Thematik, die Franz Schubert mit dem Erlkönig bereits so dramatisch erforschte. Die Verlockung der „Elfenkönigin“ bleibt bei Reinick allerdings erfolglos –anstelle von „Trug und Schein“ wählt das lyrische Ich die reale Liebe. Der Hidalgo, das letzte der Drei Gedichte op. 30 von Emmanuel Geibel, erzählt hingegen erst die verschiedenen Abenteuer eines spanischen Adeligen, ehe er mit einer kämpferischen Botschaft an die Liebe beschließt: „Der Mondnacht Dämmrungsstunden / Sie bringen Liebeskunden / Sie bringen blut’gen Strauß / Und Blumen oder Wunden / Trag’ morgen ich nach Haus.“

1888 veröffentlicht der Simrock Verlag Fünf Lieder op. 105 von Schumanns engem Freund Johannes Brahms. Die Grundlage dafür bilden zunächst Gedichtvertonungen, die Brahms bereits 1886 in einem Tagebuch schriftlich festhält, ehe der Zyklus nach einem persönlichen Treffen des Komponisten und des Verlegers um die Gedichte Klage sowie Auf dem Kirchhofe erweitert wird. Die einzelnen Lieder sind inhaltlich und stilistisch so verschieden, dass sie nicht nur metaphorisch als „Liederstrauß“ beschrieben werden können – wie Blumen, die aus verschiedenen Quellen „gepflückt“ und dann zu einem Ganzen kombiniert werden –, sondern auch separat uraufgeführt und auch in späteren Aufführungen und Aufnahmen in unterschiedliche Kontexte gestellt werden. Auf dem Kirchhofe beschreibt einen Gang über den Friedhof an einem regnerischen Tag, der ganz im Sinne der Vanitas an die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens erinnert. Nach lauten Passagen und einer plötzlich aufkommenden ruhigen Melodie nach dem protestantischen Kirchenlied „O Haupt voll Blut und Wunden“

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Der Tanz von Liebe und Tod

Zum Programm

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Tod, einer Mutter das kranke Kind entreißend, Strichätzung von Käthe Kollwitz, 1911
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wandelt sich das beängstigende „Gewesen“ final in ein trostvolles „Genesen“ – und zeigt, dass Musik, mit den Wor ten Schostakowitschs, Leiden und Ektase gleichermaßen auszudrücken vermag.

DAS LIED ALS TOTENTANZ

Einhergehend mit der romantischen Auseinandersetzung mit dem Tod und der Vergänglichkeit, kommt dem Totentanz als Textgrundlage im Lied des 19. Jahrhunderts eine wichtige Bedeutung zu: Die Darstellungen von Menschen, die mit der Personifikation des Todes konfrontiert werden und so letztendlich begreifen, dass sie sterben müssen, wird Gegenstand zahlreicher Lieder. Eines der bekanntesten Beispiele hierfür ist das 1817 erscheinende Lied Der Jüngling und der Tod D 545 von Franz Schubert Das männliche Pendant zum im gleichen Jahr erscheinenden und sofort berühmt gewordenen Der Tod und das Mädchen ist im Vergleich etwas komplexer. Anstelle eines kurzen Dialogs zwischen einem verängstigten jungen Mädchen und dem Tod als beruhigenden Akteur tritt das genaue Gegenteil: Der Tod, nun befreiend, setzt in gnadenvoller Art und Weise den Leiden eines jungen Mannes auf dessen Bitte ein Ende. Den Geistertanz D 116 komponiert Schubert drei Jahre zuvor, wobei das Gedicht von Friedrich von Matthisson ihn in einem solch außerordentlichen Maß künstlerisch angeregt haben muss, dass er es insgesamt viermal ver tont. Den ersten beiden (und unvollendeten) Versuchen, die als reine Programmmusik dem Klavier eine tragendende Rolle zukommen lassen, steht das unbegleitete Quartett für Männerstimmen gegenüber, welches ein deutlich gefälligeres Geisterbild malt. Genau dazwischen steht D 116: Gerade einmal drei Tage vor dem geschichtsträchtigen Gretchen am Spinnrade geschrieben, zeigt sich die aufblühende Reife Schuberts, der der Versuchung widersteht, den Text der Gruselballade allzu wörtlich zu interpretierten, sondern vielmehr auf eine differenzierte Gestaltung der Schrecken verbreitenden Geister bedacht ist. Le Danse macabre von Camille Saint-Saëns von 1872 handelt von Ähnlichem: Auf einem Friedhof um Mitternacht treffen sich Liebende im Geheimen, während sie vom Geigenspiel des personifizier ten Todes immer wieder unterbrochen werden.

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„WILL THE WORLD EVER SANER BE“

Die Textvorlage für William Denis Brownes To Gratiana Dancing and Singing von 1913 geht auf Richard Lovelaces gleichnamiges Gedicht zurück und feiert die Schönheit und Anmut des Gesangs und Tanzes einer Frau mit dem Namen Gratiana. Der Einfluss elisabethanischer Musik in Brownes bekanntestem Lied, das als eines des wichtigsten im gesamten englischen Liedfundus des 20. Jahrhunderts gilt, ist offensichtlich: Die Musik bedient sich eines Tanzes aus Elizabeth Rogers’ Virginal Book des 17. Jahrhunderts, der als Akkordschema im Klavier erklingt. Brownes Leben findet bereits 1915 im Ersten Weltkrieg ein frühes Ende. Ein Jahr zuvor beschreibt der britische Schriftsteller Thomas Hardy in seinem Gedicht Channel Firing den kommenden Horror beinahe vorausahnend: „,I wonder, / Will the world ever saner be,‘ / Said one, ,than when He sent us under / In our indifferent century!‘“ Es sind die Texte Hardys, in denen Gerald Finzi jenen düsteren emotionalen Stimmungsgehalt findet, die er für seinen Liederzyklus Before and after Summer op. 16 sucht. Umso passender, dass die Lieder zwischen 1932 und 1949 entstehen, also genau zwischen dem nächsten großen globalen Schrecken seiner Zeit, dem Zweiten Weltkrieg. Das dritte Lied, The Self-unseeing, behandelt die positiven Erinnerungen des Dichters bei der Rückkehr in das Elternhaus, bevor am Schluss die Erkenntnis einsetzt, dass dieses Glück in der Vergangenheit nicht bemerkt und damit nicht genügend gewürdigt wurde. Genau anders herum funktioniert das Lied The dance continued aus A Young Man’s Exhortation op. 14, das Finzi zwischen 1926 und 1929 komponiert. Hardys Gedicht stammt aus seinen Satires of Circumstance, über die seine Frau Florence sagt, dass sie „einige der zartesten und am wenigsten satirischen Verse, die je aus seiner Feder kamen“ enthält. Diese Beschreibung erweist sich als außerordentlich zutreffend: Nach dem Tod des lyrischen Ichs ermutigt dasselbe seine geliebte Person, sein Ableben nicht zu bedauern, sondern weiterhin am alltäglichen Miteinander teilzunehmen. Die finale Botschaft des Gedichts ist eine hoffnungsvolle: die Toten sollen nicht betrauert werden, sie schlummern in Frieden – also eine unkonventionell friedliche Akzeptanz des Todes.

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Charles Ives gilt als der erste große Komponist des amerikanischen Liedes, insbesondere deshalb, weil er sich ganz bewusst von der europäischen Tradition entfernte und so Musik hervorbrachte, die vor allem eines ist: originell. Vielleicht zu originell, denn Ives Musik rief bisweilen so anstößige Reaktionen hervor, dass sie erst von Aaron Copland und Leonard Bernstein in einer Art „Wiederentdeckung“ wieder ins öffentliche Bewusstsein gebracht wurde. Inmitten dieses von vornherein besonderen Œuvres steht das Lied Memories Den Text für das 1897 komponierte Werk schreibt Ives selbst: Er handelt von zwei verschiedenen Kindheitserinnerungen von großer emotionaler Diskrepanz: Memories A. Very pleasant erzählt von der nahezu fieberhaften Vorfreude zweier Jungen, die im Opernhaus auf den Beginn einer Vorstellung warten. Die große Aufregung der beiden – in der Partitur heißt es „So schnell wie möglich“ – wird im Lied mittels verschiedener skurriler Elemente wie Pfeifen dargestellt. Mit dem abrupten Ende dieser aufgewühlten Stimmung beginnt alsbald der zweite Teil, Memories B. Rather Sad. Hier hört der Erzähler in Form eines langsamen viktorianischen Gesellschaftslieds eine Melodie, die ihn an seinen Onkel erinnert. Die beiden Teile unterscheiden sich in einem solchen Maß voneinander, dass man meinen könnte, es handele sich um zwei getrennte Lieder, obwohl Ives durch die Namensgebung deutlich darauf aufmerksam macht, dass es sich um ein Lied mit zwei Teilen handelt. Offen bleibt, ob das Lied von Rather Sad das Gleiche ist, das bei der Aufführung in Very pleasant gespielt wird und die beiden Erinnerungen auf diese Art und Weise miteinander verbunden sind.

„SPRACHWEISE IN ALL IHREN VIELEN SCHATTIERUNGEN“ Durch eine besondere Form verbindet auch Modest Mussorgski seine insgesamt drei Liederzyklen. Diese sind anstatt als klassische Zyklen vielmehr als Liedergruppen zu verstehen, da sie keine stringente Geschichte erzählen, sondern vielmehr durch Stimmung und Thema miteinander verflochten sind. Im Vergleich zu Kinderstube und Ohne Sonne sind es die vier Lieder des Zyklus Lieder und Tänze des Todes, komponiert zwischen 1875 und 1877, die musikalisch am deutlichsten ins Opernhafte gehen. Im Vergleich zu anderen Opernkomponisten, die sich an Liedkompositionen versuchten, ist sich

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Der Tanz von Liebe und Tod Zum Programm

Der Tanz von Liebe und Tod Zum Programm

Mussorgski des Unterschieds zwischen den beiden Gattungen allerdings vollends bewusst, sodass sich die Gegenüberstellung des Dramatischen und des Lyrischen exemplarisch auch in den Inhalten der Lieder und Tänze des Todes findet: Im Wiegenlied und der Serenada wandelt sich die scherzhafte Ironie des Kinderzimmers schnell ins Tragische. Deutlich dramatischer sind die letzten beiden Lieder: Während sich in Trepak ein betrunkener Bauer des Nachts im Wald verirrt und letztendlich im Schnee erfriert, inszeniert sich der Tod in Der Feldherr als siegreicher Feldmarschall. Musik, die, laut Mussorgski, mit all ihren Facetten eine „künstlerische Wiedergabe der menschlichen Sprachweise in all ihren vielen Schattierungen sein [soll], das heißt, [dass] die Laute der menschlichen Sprache als der hörbare Ausdruck von Gedanken und Gefühlen […] ohne Übertreibung […] in wahrheitsgetreue Musik umgesetzt werden [müssen]“.

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Gesangstexte

Charles Ives

Memories A. Very Pleasant

Text: Charles Ives (1874–1954) | Übersetzung: Andreas Meier

We’re sitting in the opera house;

We’re waiting for the curtain to arise

With wonders for our eyes;

We’re feeling pretty gay, And well we may, “O, Jimmy, look!” I say, “The band is tuning up And soon will start to play.”

We whistle and we hum, Beat time with the drum.

We’re sitting in the opera house; We’re waiting for the curtain to arise

With wonders for our eyes, A feeling of expectancy, A certain kind of ecstasy, Expectancy and ecstasy … Sh’s’s’s. (Curtain!)

Wir sitzen im Opernhaus; wir warten darauf, dass der Vorhang sich mit Wundern für unser Auge hebt; wir fühlen uns recht fröhlich und das dürfen wir auch, „O, Jimmy, schau!“, rufe ich, „das Orchester stimmt sich ein und wird bald zu spielen beginnen.“ Wir pfeifen und wir summen, schlagen den Takt mit der Trommel.

Wir sitzen im Opernhaus; wir warten darauf, dass der Vorhang sich mit Wundern für unser Auge hebt; ein Gefühl der Erwartung, eine Form von Verzückung, Erwartung und Verzückung … Pssssst! (Vorhang auf!)

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Maurice Ravel

Chanson romanesque

Text: Paul Morand (1888–1976) | Übersetzung: Boris Kehrmann

Si vous me disiez que la terre À tant tourner vous offensa, Je lui dépêcherais Pança:

Vous la verriez fixe et se taire.

Si vous me disiez que l’ennui

Vous vient du ciel trop fleuri d’astres,

Déchirant les divins cadastres,

Je faucherais d’un coup la nuit.

Si vous me disiez que l’espace Ainsi vidé ne vous plaît point, Chevalier dieu, la lance au poing.

J’étoilerais le vent qui passe.

Mais si vous disiez que mon sang

Est plus à moi qu‘à vous, ma Dame, Je blêmirais dessous le blâme

Et je mourrais, vous bénissant.

Ô Dulcinée.

Wenn ihr mir sagtet, dass euch die Erde mit ihrem ewigen Drehen stört, würde ich Panza zu ihr schicken und ihr würdet sehen: Sie steht still und gibt Ruhe.

Wenn ihr mir sagtet, dass euch der Himmel mit seiner überreichen Sternenblüte langweilt, die das himmlische Grundbuchregister durcheinander bringt, würde ich sie in der Nacht mit einem Sichelhieb abmähen.

Wenn ihr mir sagtet, dass euch der Weltraum nicht mehr gefällt, der jetzt kahl und leer ist, würde ich als Kreuzritter, die Lanze in der Faust, den vorbeirauschenden Wind durchlöchern und mit Sternen zieren.

Aber wenn ihr mir sagtet, meine Herrin, dass mein Blut mir mehr bedeutet als euch, würde ich blass werden ob dieses Tadels und, euch segnend, sterben.

Oh Dulcinea.

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Gesangstexte

Chanson épique

Text: Paul Morand | Übersetzung: Boris Kehrmann

Bon Saint Michel qui me donnez loisir

De voir ma Dame et de l’entendre, Bon Saint Michel qui me daignez choisir

Pour lui complaire et la défendre,

Bon Saint Michel veuillez descendre

Avec Saint Georges sur l’autel

De la Madone au bleu mantel.

D’un rayon du ciel bénissez ma lame

Et son égale en pureté

Et son égale en piété

Comme en pudeur et chasteté : Ma Dame.

(Ô grands Saint Georges et Saint Michel)

L’ange qui veille sur ma veille, Ma douce Dame si pareille

À Vous, Madone au bleu mantel !

Amen.

Lieber St. Michael, der du mir die Gnade gewährst, meine Herrin zu sehen und zu hören, lieber St. Michael, der du mich würdig befandest, ihr zu gefällig zu sein und für sie zu streiten, lieber St. Michael, lass‘ dich mit dem Heiligen Georg herab auf den Altar der SchutzmantelMadonna mit dem blauen Umhang.

Segne mein Schwert mit einem Himmelsstrahl, und sein Ebenbild an Reinheit, und sein Ebenbild an Frömmigkeit wie an Keuschheit und Scham: meine Herrin.

Ihr großen Schutzheiligen, St. Georg und St. Michael, und Engel du, der über mir wacht, und du, Schutzmantel-Madonna: Meine milde Herrin ist euch so ähnlich. Amen.

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Gesangstexte

To Gratiana Dancing and Singing

Text: Richard Lovelace (1618–1657) | Übersetzung: Andreas Meier

See! With what constant motion

Even, and glorious, as the sun, Gratiana steers that noble frame,

Soft as her breast, sweet as her voice

That gave each winding law and poise,

And swifter than the wings of Fame.

Each step trod out a lover’s thought

And the ambitious hopes he brought, Chain’d to her brave feet with such arts;

Such sweet command, and gentle awe,

As when she ceas’d, we sighing saw

The floor lay pav’d with broken hearts.

So did she move; so did she sing

Like the harmonious spheres that bring

Unto their rounds their music’s aid;

Which she performèd such a way,

As all th’ enamoured world will say:

The Graces danced, and Apollo play’d.

Sieh! Mit welch gleichmäßiger Bewegung, ebenmäßig und glorreich wie die Sonne, Gratiana diesen edlen Wagen lenkt, weich wie ihre Brust, süß wie ihre Stimme, die jeder Windung Ordnung und Haltung verlieh und schneller als die Schwingen des Ruhms.

Jeder Tritt schreitet den Gedanken eines Liebenden

und seine begierigen Hoffnungen aus, gekettet mit solcher Kunst an ihre mutigen Füße;

solch süßer Befehl und sanfte Ehrfurcht, dass, wenn sie endete, wir voller Seufzen den Boden bedeckt mit gebrochenen Herzen sahen.

So ging sie hin; so sang sie wie die harmonischen Sphären, die auf ihren Bahnen von Musik geleitet werden. Das alles führte sie in solcher Weise aus, dass die ganze verzückte Welt sagen musste:

Die Grazien tanzten und Apollo spielte.

23 Gesangstexte

Gesangstexte

Gerald Finzi

The Self-unseeing

Text: Thomas Hardy (1840–1928) | Übersetzung: Andreas Meier

Here is the ancient floor, Footworn and hollowed and thin, Here was the former door Where the dead feet walked in.

She sat here in her chair, Smiling into the fire; He who played stood there, Bowing it higher and higher.

Childlike, I danced in a dream; Blessings emblazoned that day; Everything glowed with a gleam; Yet we were looking away!

Hier ist der alte Fußboden, abgenutzt und hohl und dünn, hier war einmal die Tür, wo die toten Füße eintraten.

Sie saß hier in ihrem Stuhl, lächelte in das Feuer; er, der spielte, stand dort und bog es höher und höher.

Wie ein Kind in einem Traum tanzte ich; Segnungen schmückten diesen Tag; Alles glühte mit einem Schimmer; und doch sahen wir weg!

Modest Mussorgski

Kolybel’naja

Text: Arseni Golenischtschew­Kutusow (1848–1913) | Übersetzung: Barbara Höfling

Stonet rebënok …

Sveča, nagoraja, Tusklo mercaet krugom.

Celuju noč’ kolybel’ku kačaja, Mat‘ ne zabylasja snom.

Ranym­ranëchon’ko v dver’ ostorožno

Smert’ serdobol’naja stuk!

Vzdrognula mat’, ogljanulas’ trevožno … „Polno pugat’sja, moj drug!

Weinen und Klagen

Das Licht flackert müde Traurig verglimmt schon sein Schein Sanft wiegt die Mutter ihr Kind

Ohne Ruhe und Schlaf in der einsamen Nacht

Früh in der Dämmerung nähert sich leise, Tod, die Barmherzige, und pocht Aufgeregt schaut ihr die Mutter entgegen „Musst nicht erschrecken vor mir

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Blednoe utro už smotrit v okoško …

Plača, toskuja, ljublja, Ty utomilas’, vzdremni­ka nemnožko, Ja posižu za tebja.

Ugomonit’ ty ditja ne sumela.

Slašče tebja ja spoju.“ –

„Tiše! rebënok moj mečetsja, b’ëtsja, Dušu terzaja moju!“

„Nu, da so mnoju on skoro ujmëtsja. Bajuški, baju, baju.“ –

„Ščëčki blednejut, slabeet dychan’e …

Da zamolči­že, molju!“ –

„Dobroe znamen’e, stichnet stradan’e, Bajuški, baju, baju.“

„Proč’ ty, prokljataja!

Laskoj svoeju sgubiš’ ty radost’ moju!“

„Net, mirnyj son ja mladencu naveju. Bajuški, baju, baju.“ –

„Sžal’sja, poždi dopevat’ chot’ mgnoven’e, Strašnuju pesnju tvoju!“

„Vidiš’, usnul on pod tichoe pen’e.

Bajuški, baju, baju.“

Schaut schon der Morgen so blass in das Fenster

Müde von Tränen und Schmerz.

Du kannst nun ruhen, vergiss deine Sorgen. Ich werde wachen für dich

Wusstest dein Kind nicht zur Ruhe zu bringen Süßer als du singe ich“

„Leise! Mein Kind es windet sich, quält sich. Ach, es zerreißt mir das Herz!“

„Nun denn, bei mir wird es ruhiger schlafen Schlaf mein Kind, schlaf ein“

„Wangen erblassen, der Atem wird schwächer Halt ein! Ich flehe dich an!“

„Das verheißt Gutes, es endet sein Leiden Schlaf …“

„Fort mit dir, Schreckliche! Mit deinem Singen nimmst du mein Liebstes, mein Glück.“

„Nein, schon umwehen es liebliche Träume. Schlaf …“

„Warte! Erbarme dich doch, lass dein Singen! Ende dein grausames Lied!“

„Siehst du! Da liegt es und lächelt im Schlummer Schlaf mein Kind, nun schlaf“

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Gesangstexte

Gesangstexte

Johannes Brahms

Auf dem Kirchhofe

Text: Detlev von Liliencron (1844–1909)

Der Tag ging regenschwer und sturmbewegt, Ich war an manch vergess’nem Grab gewesen.

Verwittert Stein und Kreuz, die Kränze alt, Die Namen überwachsen, kaum zu lesen.

Der Tag ging sturmbewegt und regenschwer, Auf allen Gräbern fror das Wort: Gewesen.

Wie sturmestot die Särge schlummerten –Auf allen Gräbern taute still: Genesen.

Robert Schumann

Dichters Genesung

Text: Robert Reinick (1805–1852)

Und wieder hatt’ ich der Schönsten gedacht, Die nur in Träumen bisher ich gesehen; Es trieb mich hinaus in die lichte Nacht, Durch stille Gründe musst ich gehen.

Da auf einmal

Glänzte das Tal, Schaurig als wär’ es ein Geistersaal.

Da rauschten zusammen zur Tanzmelodei

Der Strom und die Winde mit Klingen und Zischen, Da weht’ es im flüchtigen Zuge herbei

Aus Felsen und Tale, aus Wellen und Büschen,

Und im Mondesglanz

Ein weißer Kranz, Tanzten die Elfen den Reigentanz.

26

Und mitten im Kreis ein luftiges Weib, Die Königin war es, ich hörte sie singen:

„Lass ab von dem schweren irdischen Leib! Lass ab von den törichten irdischen Dingen!

Nur im Mondenschein

Ist Leben allein!

Nur im Träumen zu schweben, ein ewiges Sein!

Ich bin’s, die in Träumen du oft geseh’n, Ich bin’s, die als Liebchen du oft besungen, Ich bin es, die Elfenkönigin, Du wolltest mich schauen, es ist dir gelungen. Nun sollst du mein

Auf ewig sein, Komm mit, komm mit in den Elfenreih’n!“

Schon zogen, schon flogen sie all um mich her, Da wehte der Morgen, da bin ich genesen.

Fahr wohl nun, du Elfenkönigin, Jetzt will ein andres Lieb ich mir erlesen; Ohn’ Trug und Schein

Und von Herzen rein

Wird wohl auch für mich eins zu finden sein!

Der Hidalgo

Text: Emanuel Geibel (1815–1884)

Es ist so süß zu scherzen

Mit Liedern und mit Herzen

Und mit dem ernsten Streit!

Erglänzt des Mondes Schimmer, Da treibt’s mich fort vom Zimmer, Durch Platz und Gassen weit; Da bin zur Lieb’ ich immer

Wie zum Gefecht bereit.

Die Schönen von Sevilla

Mit Fächern und Mantilla Blicken den Strom entlang; Sie lauschen mit Gefallen, Wenn meine Lieder schallen Zum Mandolinenklang, Und dunkle Rosen fallen Mir vom Balkon zum Dank.

27
Gesangstexte

Gesangstexte

Ich trage, wenn ich singe,

Die Zither und die Klinge

Vom Toledan’schen Stahl.

Ich sing an manchem Gitter

Und höhne manchen Ritter

Mit keckem Lied zumal, Den Damen gilt die Zither, Die Klinge dem Rival.

Auf denn zum Abenteuer!

Schon losch der Sonne Feuer

Jenseits der Berge aus.

Der Mondnacht Dämmrungsstunden, Sie bringen Liebeskunden,

Sie bringen blut’gen Strauß, Und Blumen oder Wunden Trag’ morgen ich nach Haus.

Jacques Ibert

Chanson à Dulcinée

Text: Alexandre Arnoux (1884–1973) | Übersetzung: Boris Kehrmann

Un an me dure la journée

Si je ne vois ma Dulcinée.

Mais, amour a peint son visage, Afin d’adoucir ma langueur,

Dans la fontaine et le nuage,

Dans chaque aurore et chaque fleur.

Un an me dure la journée

Si je ne vois ma Dulcinée.

Toujours proche et toujours lointaine, Étoile de mes longs chemins.

Le vent m’apporte son haleine

Quand il passe sur les jasmins.

So lang wie ein Jahr scheint mir jeder Tag, An dem ich meine Dulcinea nicht sehe.

Um meine Sehnsucht zu lindern aber Hat Amor ihr Gesicht

Auf das Wasserspiel des Brunnens und die Wolke, Auf jedes Morgenrot und jede Blume gemalt.

So lang wie ein Jahr scheint mir jeder Tag, An dem ich meine Dulcinea nicht sehe.

Du bist mir fern und doch so nah, Du bist der Leitstern all‘ meiner Wege. Der Wind trägt deinen Atem zu mir her, Wenn er über die Jasmin-Felder streicht.

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Chanson du Duc

Text: Alexandre Arnoux | Übersetzung: Boris Kehrmann

Je veux chanter ici la Dame de mes songes

Qui m’exalte au dessus de ce siècle de boue

Son cœur de diamant est vierge de mensonges

La rose s’obscurcit au regard de sa joue.

Pour Elle, j’ai tenté les hautes aventures

Mon bras a délivré la princesse en servage

J’ai vaincu l’Enchanteur, confondu les parjures

Et ployé l’univers à lui rendre homage.

Dame par qui je vais, seul dessus cette terre,

Qui ne soit prisonnier de la fausse apparence

Je soutiens contre tout Chevalier téméraire

Votre éclat non pareil et votre précellence.

Singen will ich hier die Herrin meiner Träume, die mich hoch über dieses schmutzige Jahrhundert erhebt.

Ihr diamantenes Herz ist unberührt von Lüge.

Die Rose wird blass, wenn sie die Farbe ihrer Wangen sieht.

Für sie habe ich gefährliche aventiuren auf mich genommen.

Mein Arm hat die Prinzessin aus Leibeigenschaft befreit.

Ich habe den Zauberer besiegt, die Heiden unterworfen

und die Welt auf die Knie gezwungen, um ihr Ehre zu erweisen.

Herrin, durch die ich als einziger über diese Erde ziehe, der nicht falschem Schein erliegt,

jedem verwegenen Ritter gegenüber werde ich

Euren Glanz ohne Gleichen und euren Vorrang verteidigen.

29
Gesangstexte

Modest Mussorgski

Serenada

Text: Arseni Golenischtschew­Kutusow | Übersetzung: Barbara Höfling

Nega volšebnaja, noč’ golubaja, Trepetnyj sumrak vesny.

Vnemlet, poniknuv golovkoj, bol’naja

Šopot nočnoj tišiny.

Son ne smykaet blestjaščie oči, Žizn’ k naslažden’ju zovët, A pod okoškom v molčan’i polnoči

Smert’ serenadu poët:

„V mrake nevoli surovoj i tesnoj

Molodost’ vjanet tvoja; Rycar’ nevedomyj, siloj čudesnoj

Osvobožu ja tebja.

Vstan’, posmotri na sebja: krasotoju

Lik tvoj prozračnyj blestit, Ščëki rumjany, volnistoj kosoju

Stan tvoj, kak tučej obvit.

Pristal’nych glaz goluboe sijan’e, Jarče nebes i ognja; Znoem poludennym veet dychan’e …

Dämmernde Frühlingsnacht, tiefblauer Himmel

Magisches Zittern der Luft

Still wacht die Kranke

Mit fiebrigem Blicke lauscht sie dem Flüstern der Nacht

Schlaflos ihr Auge gebannt vor Verlangen

Lockend das Leben sie ruft

Doch unterm Fenster mit schmeichelndem Sange

Bringt ihr sein Ständchen der Tod:

„Einsam gefangen in Schranken und Ketten

welkt deine Jugend dahin

Ich will dein Ritter sein, will dich befreien

Hab nur dein Bestes im Sinn

Schau in dem Spiegel dein Bild, Sieh die Schönheit deiner bleichen Stirn

Lippen so lockend, so voll Verlangen, Haare so dunkel und schön

Glänzend die Augen, so blau und begehrend

Strahlend wie Frühling im Mai

Brennt deiner Lippen Glut, heiß und verzehrend

Hast mir entzündet mein Herz

30 Gesangstexte

Ty obol’stila menja.

Sluch tvoj plenilsja moej serenadoj, Rycarja šopot tvoj zval, Rycar’ prišël za poslednej nagradoj: Čas upoen’ja nastal.

Nežen tvoj stan, upoitelen trepet … O, zadušu ja tebja

V krepkich ob’jat’jach: ljubovnyj moj lepet

Slušaj! … molči! … Ty moja!“

– Pause –

Charles Ives

Memories B. Rather Sad

Text: Charles Ives | Übersetzung: Andreas Meier

From the street a strain on my ear doth fall,

A tune as threadbare as that “old red shawl”,

It is tattered, it is torn, It shows signs of being worn,

It’s the tune my Uncle hummed from early morn, ’Twas a common little thing and kind ’a sweet, But ’twas sad and seemed to slow up both his feet;

I can see him shuffling down

To the barn or to the town,

A humming.

Höre, es tönen für dich Serenaden Riefst du nicht lange mich schon?

Nun kommt dein Ritter, den Lohn zu verlangen

Nur eine Stunde der Lust

Schlank ist dein Leib, mich berauscht deine Nähe Schließ fest und fester dich in meine Arme

Den Brautkuss dir geben will ich

Sei still! Du bist mein!“

Von der Straße gelangt eine Weise an mein Ohr, eine Melodie so abgenutzt wie dieses „Old red shawl“, sie ist zerfleddert, sie ist zerfetzt, sie weist Zeichen der Abnutzung auf, die Melodie, die mein Onkel frühmorgens summte, eine gewöhnliche kleine Sache, irgendwie süß, aber doch traurig und sie schien seine beiden Füße zu bremsen; ich sehe ihn hinunterschlurfen in die Scheune oder die Stadt summend.

31
Gesangstexte

Gesangstexte

Jacques Ibert

Chanson du départ de Don Quichotte

Text: Pierre de Ronsard (1524–1585) | Übersetzung: Boris Kehrmann

Ce Chasteau­neuf, ce nouvel edifice

Tout enrichy de marbre et de porphire, Qu’Amour bastit chasteau d e son empire, Où tout le Ciel a mis son artifice, Est un rempart, un fort contre le vice,

Où la Vertu maistresse se retire,

Que l’œil regarde, et que l’esprit admire, Forçant les cœurs à luy faire service.

C’est un Chasteau fait de telle sorte, Que nul ne peut approcher de la porte, Si des grands Rois il n’a sauvé sa race, Victorieux, vaillant et amoureux.

Nul Chevalier, tant soit aventureux, Sans estre tel, ne peut gaigner la place.

Dieses neue Schloss, neu erbaut und reich mit Marmor und Porphyr geziert, das sich Amor als Zentrum seines Reiches schuf, in dem alle Himmel mit ihren Gaben wohnen, ist Trutzburg und Schutzwall gegen das Laster. Hier zieht sich die Tugend als Herrin zurück.

Das Auge betrachtet, der Geist bewundert es und die Herzen können nicht anders, als ihm zu dienen.

Dieses Schloss ist so beschaffen, dass sich keiner seinen Toren nahen darf, der sich nicht königlich bewährt hat: siegreich im Kampf, tapfer und liebenden Herzens. Kein Ritter, und ritte er auch auf noch so viele aventiuren aus, findet diesen Ort, ohne so geartet zu sein.

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Dmitri Schostakowitsch

„Proščaj, Grenada“

Text: Anonymus in der russischen Übersetzung von Sergej Bolotin (1912–1994)

Übersetzung: Andreas Meier

Proščaj, Grenada, moja Grenada, S toboj naveki mne rasstat’sja nado!

Proščaj, ljubimyj kraj, očej uslada, Navek proščaj! Ach!

Budet pamat’ o tebe moej

Edinstvennoj otradoj

Moj ljubimyj, moj rodimyj kraj!

Navek mne serdce

toska pronzila, Pogiblo vsë, čto v žizni bylo milo, Moja ljubov’

ušla vo mrak mogily, I žizn’ ušla! Ach!

I vokrug mne vsë postylo, Žit’ kak prežde, net už sily

Tam gde junost’ tak byla svetla!

Leb wohl, Granada, mein Granada, für immer muss ich von dir scheiden! Leb wohl, mein geliebtes Land, meine Augenweide, leb wohl! Ach!

Meine Erinnerung an dich wird mein einziger Trost bleiben. Mein geliebtes, mein Heimatland!

Für immer wird mein Herz voll Traurigkeit sein, alles, was mir im Leben wertvoll war, ist fort,

meine Liebe verschwand

in der Dunkelheit des Grabes, mein Leben ist dahin! Ach!

Und um mich herum ist alles widerlich, Ich kann nicht weiterleben wie zuvor, dort, wo meine so glückliche Jugend war!

33
Gesangstexte

Pervaja vstreča

Text: Anoynmus in der russischen Übersetzung von Sergej Bolotin

Übersetzung: Andreas Meier

Ty u ruč’ja vody mne dala kogdato, Svežej vody, cholodnoj, kak sneg v uščel’jach sinich gor.

Noči temnej tvoj vzor, v kosach aromat lepestkov dikoj mjaty …

Vidiš’, opjat’ kružit chorovod, Buben gremit, zvenit i poët.

Každyj tancor podružku vedët, smotrit na nich, ljubujas’, narod.

Bej, moj buben bej, gremi, budto grom!

S miloju moej my tancuem vdvoëm.

Lenta na tebe nebes golubej!

Bej, moj buben, bej! Buben, bej! Buben bej!

Mne ne zabyt’ vovek ėtoj pervoj vstreči, Laskovych slov i smugloj ruki, i bleska čërnych glaz …

Ponjal ja v ėtot čas, čto tebja ljublju i ljubit’ budu večno!

Einmal hast du mir Wasser am Bach gegeben, frisches, kaltes Wasser, wie Schnee in den Schluchten der blauen Berge.

Deine Augen sind dunkler als die Nacht, und deine Zöpfe duften nach wilden Minzblüten …

Sieh’, der Reigen dreht sich wieder, das Tamburin rasselt und klingelt und singt.

Jeder Tänzer führt seine Partnerin, die Leute sehen ihnen bewundernd zu.

Schlage, Tamburin, schlage, rassle wie der Donner!

Mein Schatz und ich, wir tanzen zusammen.

Sie trägt ein Band so blau wie der Himmel!

Schlage, Tamburin, schlage! Tamburin, schlage!

Ich werde diese erste Begegnung niemals vergessen, die zärtlichen Worte und die dunkle Hand, und das Leuchten der schwarzen Augen … In dieser Stunde wurde mir klar, dass ich dich liebte und immer lieben werde!

34
Gesangstexte

Maurice Ravel

Chanson à boire

Text: Paul Morand | Übersetzung: Boris Kehrmann

Foin du bâtard, illustre Dame, Qui pour me perdre à vos doux yeux

Dit que l’amour et le vin vieux

Mettent en deuil mon cœur, mon âme !

Ah !

Je bois

À la joie !

La joie est le seul but

Où je vais droit ...

lorsque j’ai bu !

Ah ! Ah ! Ah ! La joie !

Ah ! Ah ! Ah ! La joie !

La, la, la, je bois à la joie !

Foin du jaloux, brune maîtresse, Qui geint, qui pleure et fait serment

D’être toujours ce pâle amant

Qui met de l’eau dans son ivresse !

Zum Teufel mit dem Bastard, erhabene Herrin, der mir, um mich um eure schönen Augen zu bringen, einredet, dass Liebe und alter Wein mein Herz und meine Seele ins Verderben stürzen.

Ah!

Ich trinke auf die Freude!

Die Freude ist das einzige Ziel, auf das ich geraden Wegs zureite … und wenn ich auf die Freude getrunken habe, trinke ich nochmal auf die Freude und nochmal … auf die Freude! Auf die Freude!

Zum Teufel mit dem Neidhammel, braunhaarige Geliebte, der lamentiert und greint und schwört, immer jener blasse Liebhaber zu bleiben, der sich mit Wasser betrinkt!

35
Gesangstexte

Modest Mussorgski

Trepak

Text: Arseni Golenischtschew­Kutusow | Übersetzung: Barbara Höfling

Les da poljany, bezljud’e krugom.

V’juga i plačet i stonet, Čuetsja, budto vo mrake nočnom, Zlaja, kogo-to choronit; Gljad’, tak i est’!

V temnote mužika

Smert’ obnimaet, laskaet,

S p’janen’kim pljašet vdvoëm trepaka, Na ucho pesn’ napevaet:

Oj, mužičok, staričok ubogoj, P’jan napilsja, poplëlsja dorogoj,

A mjatel‘-to, ved’ma, podnjalas’, vzygrala.

S polja v les dremučij nevznačaj zagnala.

Gorem, toskoj da nuždoj tomimyj, Ljag, prikorni, da usni, rodimyj!

Ja tebja, golubčik moj, snežkom sogreju,

Vkrug tebja velikuju igru zateju.

Vzbej-ka postel’, ty mjatel’-lebëdka!

Gej, načinaj, zapevaj pogodka!

Skazku, da takuju, čtob vsju noč’ tjanulas’, Čtob p’jančuge krepko pod neë zasnulos’!

Wald, öde Heide und nirgends ein Haus

Wütendes Sturmgetöse

War es nicht Schluchzen im wirbelnden Schnee?

Gräbt dort nicht jemand ein Grab?

Da! Ja so ist’s. Durch den Wald wankt ein Mann

Schleicht sich die Todesbraut an

Fasst ihn und tritt mit ihm an zum Trepak

Raunt ihm ins Ohr dabei leise:

Ach du erbärmlicher alter Bauer

Hast einen Rausch, kannst den Weg nicht finden

Und das böse Wetter lag schon auf der Lauer

Trieb vom offnen Felde in den Wald dich Bauer

Schleppst ja noch kaum mehr die matten Glieder

Komm, leg ein wenig zur Rast dich nieder

Du sollst hier mein Freund gar warm und weich liegen

Will mit Spiel und Tanz in süßen Schlaf dich wiegen.

Sturm! Schüttle hoch ihm auf das Bette

Auf! Fange an mit dem Lied, du Wetter

Singe ihm ein Märchen, eine lange Sage

Dass er feste schlafe bis zum jüngsten Tage

36 Gesangstexte

Oj, vy lesa, nebesa, da tuči, Tem’, veterok, da snežok letučij!

Svejtes’ pelenoju, snežnoj, puchovoju; Eju, kak mladenca, starička prikroju …

Spi, moj družok, mužičok sčastlivyj.

Leto prišlo, rascvelo!

Nad nivoj solnyško smeëtsja da serpy gljajut, Pesenka nesëtsja, golubki letajut …

Camille Saint-Saëns

Le Danse macabre

Tanzet ihr Wälder und Wolkenhimmel Finstere Nächte und Schneegewimmel Kreiset um den Alten, winterliche Winde Webt ihm eine Decke, weich wie einem Kinde.

Schlaf nun mein Freund, schlafe ein und träume.

Schon kam der Sommer ins Land

Es wehen erntereife Ähren und es lacht die Sonne

Leise tönen Lieder und es flattern Tauben …

Text: Henri Cazalis (1840–1909) | Übersetzung: Andreas Meier

Zig et zig et zig, la mort en cadence

Frappant une tombe avec son talon, La mort à minuit

joue un air de danse, Zig et zig et zag, sur son violon.

Le vent d’hiver souffle, et la nuit est sombre, Des gémissements sortent des tilleuls ;

Les squelettes blancs vont à travers l’ombre

Courant et sautant sous leurs grands linceuls.

Klick und klick und klick, der Tod im Takt schlägt mit der Ferse aufs Grab, der Tod spielt zu Mitternacht eine Tanzmelodie, klick und klick und klack, auf der Geige.

Der Winterwind weht und die Nacht ist finster, ein Ächzen dringt aus den Lindenbäumen; die weißen Skelette durchziehen die Schatten, rennend und springend in ihren weiten Totenhemden.

37
Gesangstexte

Zig et zig et zig, chacun se trémousse,

On entend claquer les os des danseurs,

Un couple lascif s’asseoit sur la mousse

Comme pour goûter d’anciennes douceurs.

Zig et zig et zag, la mort continue

De racler sans fin son aigre instrument.

Un voile est tombé !

La danseuse est nue !

Son danseur la serre amoureusement.

La dame est, dit-on, marquise ou baronne.

Et le vert galant

un pauvre charron –

Horreur ! Et voilà qu’elle s’abandonne

Comme si le rustre était un baron !

Zig et zig et zig, quelle sarabande !

Quels cercles de morts se donnant la main !

Zig et zig et zag, on voit dans la bande

Le roi gambader auprès du vilain !

Mais psit! tout à coup on quitte la ronde,

On se pousse, on fuit, le coq a chanté …

Oh ! La belle nuit pour le pauvre monde !

Et vive la mort et l’égalité !

Klick und klick und klick, ein jeder zappelt wild, man hört die Knochen der Tänzer klappern, ein lüsternes Paar bettet sich auf das Moos, als ob es vergangene Süße genösse.

Klick und klick und klack, der Tod fährt fort, sein bittersüßes Instrument abzuschaben. Ein Schleier ist gefallen!

Die Tänzerin ist nackt!

Ihr Tänzer drückt sie liebevoll an sich.

Die Dame ist, sagt man, Marquise oder Baronin. Und der grüne Kavalier ein armer Rädermacher –Entsetzlich! Und nun gibt sie sich hin als wäre der Tölpel ein Baron!

Klick und klick und klick, welch Sarabande! Welch Reigen an Toten, die sich die Hände reichen!

Klick und klick und klack, man sieht unter ihnen den König neben dem Schurken hüpfen!

Doch pst! Auf einmal löst sich die Runde auf, man stößt sich, man flieht, der Hahn hat gekräht … Ach! Welch schöne Nacht für die Armen der Welt!

Es lebe der Tod und die Gleichheit!

38 Gesangstexte

Franz Schubert

Der Geistertanz

Text: Friedrich von Matthisson (1761–1831)

Die bretterne Kammer

Der Toten erbebt,

Wenn zwölfmal den Hammer

Die Mitternacht hebt.

Rasch tanzen um Gräber

Und morsches Gebein

Wir luftigen Schweber

Den sausenden Reih’n.

Was winseln die Hunde

Beim schlafenden Herrn?

Sie wittern die Runde

Der Geister von fern.

Die Raben entflattern

Der wüsten Abtei,

Und flieh’n an den Gattern

Des Kirchhofs vorbei.

Der Jüngling und der Tod

Text: Joseph von Spaun (1788–1865)

Der Jüngling

Die Sonne sinkt, o könnt’ ich mit ihr scheiden!

Mit ihrem letzten Strahl entfliehen!

Ach diese namenlosen Qualen meiden

Und weit in schön’re Welten zieh’n.

O komme, Tod, und löse diese Bande!

Ich lächle dir, o Knochenmann,

Wir gaukeln und scherzen

Hinab und empor

Gleich irrenden Kerzen

Im dunstigen Moor.

O Herz, dessen Zauber

Zur Marter uns ward, Du ruhst nun in tauber

Verdumpfung erstarrt;

Tief bargst du im düstern

Gemach unser Weh;

Wir Glücklichen flüstern

Dir fröhlich: Ade!

Entführe mich leicht in geträumte Lande, O komm’ und rühre mich doch an.

Der Tod

Es ruht sich kühl und sanft in meinen Armen, Du rufst! Ich will mich deiner Qual erbarmen.

39
Gesangstexte

Jacques Ibert

Chanson de la mort de Don Quichotte

Text: Alexandre Arnoux (1884–1973) | Übersetzung: Boris Kehrmann

Ne pleure pas Sancho, ne pleure pas, mon bon.

Ton maître n’est pas mort.

Il n’est pas loin de toi.

Il vit dans une ile heureuse

Où tout est pur et sans mensonges.

Dans l’ile enfin trouvée où tu viendras un jour.

Dans l’ile désirée, O mon ami Sancho!

Les livres sont brulés et font un tas de cendres.

Si tous les livres m’ont tué

Il suffit d’un pour que je vie

Fantôme dans la vie, et réel dans la mort.

Tel est l’étrange sort du pauvre

Don Quichotte.

Weine nicht, mein Sancho,

Weine nicht, mein Lieber,

Dein Herr ist nicht tot.

Er ist nicht fern von dir.

Er lebt auf einer glücklichen Insel, Auf der es weder Falschheit, noch Lüge gibt.

Und wenn ich die Insel erst gefunden habe, kommst du eines Tages nach.

Das ist die Insel, die du dir immer gewünscht hast, Sancho, mein Freund!

Die Bücher sind alle verbrannt und nur noch ein Häuflein Asche.

Aber so, wie sie mich umgebracht haben,

So genügt ein einziger Roman, dass ich ewig lebe, Als schattenhafter Begleiter im Leben, aber wirklich im Tod.

Dies ist das seltsame Schicksal des armen Don Quijote.

40
Gesangstexte

Modest Mussorgski

Polkovodec

Text: Arseni Golenischtschew­Kutusow | Übersetzung: Barbara Höfling

Grochočet bitva, blešut broni, Orud’ja žadnye revut, Begut polki, nesutsja koni

I reki krasnye tekut.

Pylaet polden’, ljudi b’jutsja; Sklonilos’ solnce, boj sil’nej; Zakat bledneet, no derutsja

Vragi vse jarostnej i zlej.

I pala noč’ na pole brani.

Družiny v mrake razošlis’ …

Vsë stichlo, i v nočnom tumane

Stenan’ja k nebu podnjalis’.

Togda, ozarena lunoju, Na boevom svoëm kone, Kostej sverkaja beliznoju, Javilas’ smert’; i v tišine, Vnimaja vopli

i molitvy, Dovol’stva gordogo polna, Kak polkovodec

mesto bitvy

Krugom ob’echala ona.

Na cholm podnjavšis’, ogljanulas’, Ostanovilas’, ulybnulas’ …

I nad ravninoj boevoj

Razdalsja golos rokovoj:

Kanonen donnern, Menschen kämpfen,

es tobt die Schlacht in wilder Wut

Die Erde bebt, die Reiter jagen, in roten Strömen fließt das Blut.

Es glüht der Mittag, kein Erbarmen.

Die Sonne senkt sich, wirres Bild!

Es naht der Abend, doch der Kampf lässt nicht nach

Das Morden endet nicht

Es senkt die Nacht sich kühl und milde, Die letzten Krieger ziehen ab.

Still ist es …

Durch den düstren Nebel

Nur Seufzer stöhnen durch die Nacht. Und da im bleichen Mondenscheine, auf seinem hohen fahlen Ross

schneeweiß die knöchernen Gebeine, erscheint der Tod Reglos verharrt er, lauscht dem Schreien und dem Beten

Zufrieden schaut er auf ihr Werk

Reitet dann langsam um das Schlachtfeld

Mit langem, feierlichem Schritt. Steht auf dem Hügel, schaut sich um; Lauscht in die Stille, und er lächelt

Ruft dann mit steinerner Gewalt

Über das Schlachtfeld weit hinaus:

41
Gesangstexte

„Končena bitva! ja vsech pobedila!

Vse predo mnoj vy smirilis’, bojcy!

Žizn’ vas possorila, ja pomirila!

Družno vstavajte na smotr, mertvecy!

Maršem toržestvennym mimo projdite, Vojsko moë ja choču sosčitat’;

V zemlju potom svoi kosti složite, Sladko ot žizni v zemle otdychat’!

Gody nezrimo projdut za godami, V ljudjach isčeznet i pamjat’ o vas.

Ja ne zabudu i gromko nad vami

Pir budu pravit’ v polunočnyj čas!

Pljaskoj tjažëloju zemlju syruju

Ja pritopču, čtoby sen’ grobovuju

Kosti pokinut’ vovek ne mogli, Čtob nikogda vam ne vstat’ iz zemli!“

„Aus ist der Kampf nun, Nur ich bin der Frieden

Auf nun ihr Toten

Zum letzten Appell!

Ziehet in festlichem Marsche vorüber

Zählen will ich mein gewaltiges Heer Leget sodann in die Erde euch wieder

Ahnet die Süße im Lande des Tods

Jahre um Jahre im Fluge verrinnen

Langsam erlischt die Erinn’rung an euch

Einzig der Tod wird sich eurer erinnern

Auf eurem Grab werd ich feiern ein Fest!

Tanzet zur Mitternacht, tödliche Schatten Stampfet die Erde in nächtlichem Reigen Tretet die Knochen noch fester hinein! Damit sie nie mehr ersteh’n aus dem Grab!“

The dance continued

Text: Thomas Hardy (1840–1928) | Übersetzung: Andreas Meier

Regret not me;

Beneath the sunny tree

I lie uncaring, slumbering peacefully.

Swift as the light

I flew my faery flight; Ecstatically I moved, and feared no night.

I did not know

That heydays fade and go, But deemed that what was would be always so.

Bedaure mich nicht; unter dem sonnigen Baum liege ich taub, friedlich schlummernd.

Rasch wie das Licht, flog ich meinen Feenflug; verzückt bewegte ich mich und fürchtete keine Nacht.

Ich ahnte nicht, dass Blüten verwelken und vergehen, sondern dachte, dass es immer so bleiben würde.

42 Gesangstexte

I skipped at morn

Between the yellowing corn, Thinking it good and glorious to be born.

I ran at eves

Among the piled-up sheaves, Dreaming, ‘I grieve not, therefore nothing grieves’.

Now soon will come

The apple, pear, and plum, And hinds will sing, and autumn insects hum.

Again you will fare

To cider-makings rare, And junketings; but I shall not be there.

Yet gaily sing

Until the pewter ring

Those songs we sang when we went gipsying.

And lightly dance

Some triple-timed romance

In coupled figures, and forget mischance;

And mourn not me

Beneath the yellowing tree; For I shall mind not, slumbering peacefully.

Ich sprang am Morgen durch das gelbe Korn und hielt es für gut und herrlich, geboren zu sein.

Ich rannte am Abend durch die aufgestellten Garben und träumte: Ich trau’re nicht, daher trauert nichts.

Jetzt wird schon bald der Apfel, die Birne, die Pflaume kommen Hirschkühe werden singen und Herbstinsekten summen.

Wieder wirst du gehen, um raren Apfelwein zu machen und Quarkspeisen; doch ich werde nicht da sein.

Doch fröhlich singen bis zum zinnernen Ring die Lieder, die wir umherstreunend sangen.

Und leichtfüßig eine Romanze im Dreivierteltakt tanzen in umschlungenen Figuren und das Unglück vergessen.

Und trau’re nicht um mich unter dem gelb leuchtenden Baum; denn es kümmert mich nicht, friedlich schlummernd.

43
Gesangstexte

Liedduo Timoshenko-Desseva

den Yamaha-Preis beim Concours International de Musique de Chambre in Lyon. Ihre Zusammenarbeit führte die beiden Künstler*innen in Konzertsäle wie die Wigmore Hall, das Konzerthaus Berlin und den Stefaniensaal in Graz, zum Festival Neuland.Lied in Heidelberg und zum Festival Idéal au Potager du Roi in Versailles. Im Brucknerhaus

44
Biografie

wurde 2022 von Thomas Hampson eingeladen, offizielle Pianistin und Studienleiterin der Heidelberger Liedakademie zu werden, womit sie die erste Liedbegleiterin in dieser prestigeträchtigen Position ist. Dort begleitet sie Meisterkurse mit Wolfram Rieger, Susan Manoff, Graham Johnson, Hartmut Höll, Malcolm Martineau und Gerold Huber.

45
Biografie

ANTON BRUCKNERS SINFONIEN ALS

ORIGINALKLANGZYKLUS

Eine Entdeckungsreise in elf Konzerten

Beim Internationalen Brucknerfest Linz 2024 werden erstmals alle elf Sinfonien Anton Bruckners in ihrer Originalklanggestalt aufgeführt.

Dieses einzigartige Konzertprojekt bietet ein besonderes Hörerlebnis und wird von weltweit gefeierten Orchestern und Dirigenten präsentiert.

Eine fulminante und musikalische Entdeckungsreise in elf Konzerten, exklusiv in Linz, die Sie nicht verpassen sollten!

Karten und Infos:

+43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at brucknerfest.at

Alle elf Konzerte des Originalklangzyklus online entdecken: brucknerhaus.at/originalklang

VOM 4. SEPTEMBER BIS 11. OKTOBER 2024
Weltsensation!Alle elf SinfonienBrucknerim Originalklang

Highlights:

DI, 10 SEP, 19:30 GROSSER SAAL

PHILIPPE HERREWEGHE & ORCHESTRE DES CHAMPS-ÉLYSÉES

Übersteigern – Bruckners 8. Sinfonie

DO, 12 SEP, 19:30 GROSSER SAAL

JORDI SAVALL & LE CONCERT DES NATIONS

Experimentieren – Bruckners „Annullierte“

SO, 6 OKT, 18:00 GROSSER SAAL JÉRÉMIE RHORER & LE CERCLE DE L’HARMONIE

Befreien – Bruckners 7. Sinfonie

DI, 8 OKT, 19:30 GROSSER SAAL

ÁDÁM FISCHER & THE ORCHESTRA OF THE AGE OF ENLIGHTENMENT

Anbeten – Bruckners 5. Sinfonie

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Ádám Fischer Jérémie Rhorer Jordi Savall Philippe Herreweghe

JUNGES TICKET JUNGES ABO

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Entdecke mit dem JUNGEN TICKET die faszinierende Welt der Musik und erlebe unvergessliche Konzerte im Brucknerhaus Linz!

Hol dir dein Ticket zum unschlagbaren Preis von nur € 10,–** (für Veranstaltungen im Großen Saal) bzw. € 7,–** (für Veranstaltungen im Mittleren Saal). Egal ob du Schüler*in, Lehrling, Student*in, Grundwehr- oder Zivildiener (bis 27 Jahre) oder Ö1 intro-Mitglied bist – dieses Angebot ist speziell für dich!

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Karten und Infos:

+43 (0) 732 77 52 30 brucknerhaus.at

**ausgenommen Gastveranstaltungen, Kinder- und Jugendveranstaltungen, Kooperationen, Veranstaltungen mit Catering, Konzerte der Reihe ShowTime sowie von der Geschäftsführung ausgewählte Konzerte.

Mit freundlicher Unterstützung der

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VORSCHAU

Julia Lezhneva & Helmut Deutsch

Liederabend

Mittwoch, 2. Oktober 2024, 19:30 Uhr

Mittlerer Saal, Brucknerhaus Linz

Lieder von Frédéric Chopin, Bedřich Smetana, Anton Bruckner, Peter Cornelius u. v. m.

Julia Lezhneva | Sopran

Helmut Deutsch | Klavier

Karten und Info: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at

Herausgeberin: Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH, Brucknerhaus Linz, Untere Donaulände 7, 4010 Linz

CEO: Mag. Dietmar Kerschbaum, Künstlerischer Vorstandsdirektor LIVA, Intendant Brucknerhaus Linz; René Esterbauer, BA MBA, Kaufmännischer Vorstandsdirektor LIVA

Redaktion: Andreas Meier | Texte: Andreas Meier (S. 7), David Meier | Biografien & Lektorat: Romana Gillesberger

Gestaltung: Anett Lysann Kraml, Lukas Eckerstorfer | Leiter Programmplanung, Dramaturgie und szenische Projekte: Mag. Jan David Schmitz | Abbildungen: studio visuell heidelberg (S. 2 [1. v. o.]), D. Cerati (S. 2 [2. v. o.]), L. Desberg (S. 2 [3. v. o.]), B. Arad (S. 2 [4. v. o.]), Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin (S. 10–11), Käthe Kollwitz Museum Köln (S. 14–15), M. Cessat-Bégler (S. 44–45), M. Hendryckx (S. 47 [1. v. o.]), D. Ignaszewski (S. 47 [2. v. o.]), C. Doutre (S. 47 [3. v. o.]), N. Lund (S. 47 [4. v. o.]), E. Matveev (S. 50) Programm-, Termin- und Besetzungsänderungen vorbehalten LIVA – Ein Mitglied der Unternehmensgruppe Stadt Linz

Internationales Brucknerfest Linz 2024
:
Julia Lezhneva
Foto: Irène Zandel C.BECHSTEIN KLAVIERABEND VERANSTALTUNGSORT UND KARTEN Brucknerhaus Linz · Untere Donaulände 7 · 4010 Linz +43 (0) 732 77 52 30 · kassa@liva.linz.at 16.Mai 2024 · 19:30 Uhr C.Bechstein Centrum Linz / Klaviersalon Merta GmbH Bethlehemstraße 24 · A-4020 Linz · +43 (0) 732 77 80 05 20 linz@bechstein.de · bechstein-linz.de Alexander Schimpf Werke von Mozart, Beethoven, Skrjabin und Rachmaninoff
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