Jerusalem Quartet | 25.01.2024

Page 1

Aus meinem

Leben 25. JÄNNER 2024 STREICHQUARTETTE II SAISON 2023/24


KOMMENDE HIGHLIGHTS SAISON 2023/24 SO 28 JAN 11:00 GROSSER SAAL

Spanische Impressionen spiegeln Rimski-Korsakows Capriccio espagnol, Lalos Symphonie espagnole und Schtschedrins Carmen-Suite wider.

DI 6 FEB 19:30

ROBERT TREVIÑO & BASKISCHES NATIONALORCHESTER

GROSSER SAAL

Ob Boléro oder La Valse – viele Orchesterwerke Ravels sind von Tänzen inspiriert. Auch in Ginasteras Harfenkonzert klingt ein argentinischer Malambo an.

MI 7 FEB 19:30

MICHAEL KORSTICK

Antonio Méndez | Dirigent

Robert Treviño | Dirigent

MITTLERER SAAL

Michael Korstick | Klavier

MI 14 FEB 19:30 MITTLERER SAAL

Tomasi-Musso Gitarrenduo

AN­TO­NIO MÉN­DEZ & BRUCK­NER OR­CHES­TER LINZ

Der deutsche Meisterpianist fordert zum Tanz auf, nach Noten von Weber, Schumann (Carnaval), Bartók (Tanz-Suite), Albéniz, Ginastera und anderen.

TOMASI-MUSSO GITARRENDUO Das Duo überreicht am Valentinstag ein prächtiges Bouquet aus temperamentvollen spanischen und latein­ amerikanischen Tänzen.

Karten und Infos: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at

2


Aus meinem Leben Donnerstag, 25. Jänner 2024, 19:30 Uhr Mittlerer Saal, Brucknerhaus Linz

Jerusalem Quartet Alexander Pavlovsky | Violine Sergei Bresler | Violine Ori Kam | Viola Kyril Zlotnikov | Violoncello

Saison 2023/24 – Streichquartette II 2. von 3 Konzerten im Abonnement Brucknerhaus-Debüt


Programm Erwin Schulhoff (1894–1942) Fünf Stücke für Streichquartett (1923) Nr. 1 Nr. 2 Nr. 3 Nr. 4 Nr. 5

Alla Valse viennese. Allegro Alla Serenata. Allegretto con moto Alla Czeca. Molto Allegro Alla Tango milonga. Andante Alla Tarantella. Prestissimo con fuoco

Bedřich Smetana (1824–1884) Streichquartett Nr. 1 e-Moll JB 1:105 (Aus meinem Leben) (1876) I Allegro vivo appassionato II Allegro moderato a la Polka III Largo sostenuto IV Vivace – Meno presto – Moderato – Allegro

– Pause – Dmitri Schostakowitsch (1906–1975) Streichquartett Nr. 2 A-Dur op. 68 (1944) I Ouverture. Moderato con moto II Rezitativ und Romanze. Adagio III Valse. Allegro IV Thema mit Variationen. Adagio – Moderato con moto – Allegretto – Allegro – Adagio

Konzertende ca. 21:30

Brucknerhaus-Premiere 4


alla breve Das Programm auf einen Blick

Dass das Streichquartett in seiner über die Jahrhunderte behaupte­ ten Ausnahmestellung als ‚Königsdisziplin der Kammermusik‘ nicht nur den Geist, sondern auch den Körper in Bewegung bringen kann, beweist auch das zweite Konzerte der Reihe Streichquartette in dieser Saison. Erwin Schulhoffs Fünf Stücke für Streichquartett etwa sind mit ihrer stilistischen Vielfalt zwischen Tango und Tarantella ganz dem Geist der Roaring Twenties verpflichtet: „Ich habe eine außerordentliche Leidenschaft für modische Tänze“, schrieb er 1921 an seinen Kolle­gen Alban Berg, „und es gibt Zeiten, da gehe ich Nacht für Nacht tanzen, allein aus Begeisterung für den Rhythmus und aus unterbewusster Sinnlichkeit.“ In Bedřich Smetanas 1. Streichquartett, das den pro­ gram­matischen Titel Aus meinem Leben trägt, erzählt der Komponist seine ganz persönliche Lebens- und Leidensgeschichte, vom Tanz­ ver­gnügen der Jugendzeit bis zur beginnenden Taubheit. Diesen beiden Stücken gegenüber steht in der zweiten Hälfte Dmitri Schostakowitschs 2. Streichquartett, das dieser 1944 während des Zweiten Weltkriegs komponierte und als des­sen dritter Satz ein von spukhaften Pizzicati und gedämpften Me­lo­die­fetzen durchzogener Walzer erklingt.

5


Aus meinem Leben

ZWISCHEN DEN STILEN Der am 8. Juni 1894 als Sohn eines jüdischen Wollwarenhändlers in Prag geborene Erwin Schulhoff gehört zu jenen Komponisten, deren großes Talent und vielversprechende Karriere durch die Gräuel des Naziregimes unterdrückt und schließlich vergessen wurden, um erst in den letz­ten Jahren wieder in das Bewusstsein eines breiteren Pu­bli­ kums zurückzukehren. Auf Empfehlung Antonín Dvořáks erhält Schulhoff bereits mit sie­ben Jahren Klavierunterricht am Prager Konservatorium, ehe er drei Jahre darauf sein reguläres Studium beginnen kann und schon bald erste Konzertreisen als Pianist unternimmt. Nach weiteren Studien am Leipziger Konservatorium, wo er unter anderem die Kompositions­ klasse Max Regers besucht, setzt Schulhoff seine Ausbildung 1911 am Konservatorium der Musik in Köln fort und wird 1913 mit dem dortigen Wüllner-Preis sowie dem Mendelssohn-Preis der Stadt Ber­lin ausgezeichnet, den er 1918 noch einmal für die Komposition seines Streichquartetts G-Dur op. 25 erhält. Zentral für seine künstlerische Entwicklung werden schließlich die Jahre 1919 und 1920, die er in Dresden bei seiner Schwester Viola verbringt und in denen er mit ex­ pressionistischen und dadaistischen Künstler*innenzirkeln in Kontakt kommt sowie seine Reihe der „Fortschrittskonzerte“ (auch: „Aus der Werkstatt der Zeit“) begründete: „Die Veranstaltungen dieser Abende mit Werken zeitgenössischer Tonsetzer sollen den Zweck erreichen, das Dresdner Musikleben zu fördern und sein Publikum aufzuklären und mit der Musikrevolution bekanntzumachen. […] Absolute Kunst ist Revolution, sie benötigt weitere Flächen zur Entfaltung, führt Um­sturz herbei, um neue Wege zu öffnen.“ Wie kaum ein anderer 6


Erwin Schulhoff Fünf Stücke für Streichquartett

Kom­ponist seiner Zeit versucht Schulhoff danach, die mannigfaltigen sti­listischen Strömungen zu verbinden, wofür er sich ebenso mit klassi­schen und romantischen Kompositionsformen und barocken Satzstrukturen wie mit den Klängen des Jazz und der konzeptuellen Freiheit des Dadaismus beschäftigt. Nach Stationen in Saarbrücken und Berlin übersiedelt Schulhoff Ende des Jahres 1923 nach Prag, wo er in der Nachfolge Max Brods Mu­sik­ referent beim Prager Abendblatt wird. Hier entstehen im Dezember 1923 seine Fünf Stücke für Streichquartett, die mit ihrer formalen Gedrängtheit an die Werke der Neuen Wiener Schule um Arnold Schön­ berg anknüpfen, in ihrer stilistischen Vielfalt zwischen Walzer, Tango und Serenade jedoch ganze andere Wege – vergleichbar in etwa mit denen des Widmungsträgers Darius Milhaud – gehen. „Ich habe eine außerordentliche Leidenschaft für modische Tänze, und es gibt Zei­ ten, da gehe ich Nacht für Nacht tanzen, allein aus Begeisterung für den Rhythmus und aus unterbewusster Sinnlichkeit“, hat er bereits am 2. Februar 1921 seinem Kollegen Alban Berg erklärt, „das gibt

Erwin Schulhoff, um 1935 7


Bedřich Smetana Streichquartett Nr. 1 e-Moll

meiner schöpferischen Arbeit einen phänomenalen Impuls.“ Das ur­ sprünglich als sechster Satz der Sammlung komponierte Alla Napo­ letana streicht Schulhoff unmittelbar vor der Uraufführung des Werks am 8. August 1924 beim Fest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik. „NICHTS MEHR.“ Ambivalent. Mit keinem anderen Wort lässt sich die nationale Stel­lung Bedřich Smetanas innerhalb des im 19. Jahrhundert immer mehr an Bedeu­tung gewinnenden Bestrebens nach einer eigenständigen tschechi­schen Musik besser beschreiben. Obwohl der Komponist von vielen spätestens nach dem fulminanten Erfolg seiner 1866 urauf­ geführten Oper Die verkaufte Braut als Begründer der tschechischen National­musik verehrt wird und auch in zahlreichen anderen Werken wie etwa den Opern Dalibor und Libusa immer wieder Themen der tschechischen Geschichte sowie der nationalen Mythen- und Sagen­ welt aufgreift, sieht er sich vor allem in seinen späten Schaffens­jah­ren den Anfeindungen und Boykotten zahlreicher Kolleg*innen, da­run­ ter etwa der junge Leoš Janáček, ausgesetzt. Dabei wird ihm al­len voran eine zu starke Orientierung am deutsch-österreichischen Kom­ positionsstil vorgeworfen und seine expressive Tonsprache als Wag­ ne­rismus kritisiert, was der Komponist nach der Uraufführung von Da­libor in einem Brief an den Dirigenten Adolf Čech vom 4. De­zem­ber 1882 entschlossen zurückweist: „Sie kennen dies schon lan­ge bei mir, aber andere begreifen es nicht und denken, daß ich den Wagneris­ mus einführe! Ich bin zur Genüge mit dem Smetanismus beschäftigt und dieser Stil genügt mir, wenn er nur ehrlich ist!“ Ein wei­terer Grund für die ablehnende Haltung einiger Kolleg*innen scheint darüber hi­ naus Smetanas gesellschaftliche und musikalische Sozia­lisation zu sein. Tatsächlich wird der am 2. März 1824 im östlich von Prag gele­ genen Litomyšl geborene Komponist von seinen Eltern deutschspra­ chig erzogen und beschließt erst infolge des Prager Pfingstaufstan­ des im Jahr 1848, seinen Vornamen Friedrich in der tschechischen Form Bedřich zu verwenden und fortan vornehmlich Tschechisch zu sprechen und zu schreiben. Obwohl er sich musika­lisch an den Ver­ treter*innen der Neudeutschen Schule orientiert, unter de­nen ihm 8


Bedřich Smetana Streichquartett Nr. 1 e-Moll

Bedřich Smetana, um 1878 9


Bedřich Smetana Streichquartett Nr. 1 e-Moll

insbesondere Franz Liszt als „unerreichbares Vorbild“ gilt, und er den panslawistischen Strömungen innerhalb der Kunst kritisch gegenübersteht, spürt er doch die kreative Kraft des aufkeimenden Nationalbewusstseins der tschechischsprachigen Bevölkerung Böh­mens, deren Suche nach Identität im k. u. k. Vielvölkerstaat mit dem Versuch einer Abkopplung vom Wiener Zentralismus einhergeht. Nachdem er 1872 seine Oper Libusa vollendet hat, in deren Schluss­ szene die Titelfigur, eine sagenumwobene böhmische Fürstin des frü­ hen Mittelalters, auf der Burg Vyšehrad ihre Vision der Zukunft des tschechischen Volkes und der Gründung Prags beschreibt, beschäf­ tigt er sich mit dem Gedanken, diesen nationalen Mythos, losgelöst von literarischen Vorlagen, auch sinfonisch umzusetzen; eine Idee, aus der in den folgenden Jahren schließlich die sechs sinfonischen Dichtungen des Zyklus Má vlast (Mein Vaterland) hervorgehen. Noch während er an dem Werk arbeitet, beginnt er aus Anlass der Grün­ dung des Kammermusikvereins in Prag mit der Arbeit an seinem Streichquartett Nr. 1 e-Moll JB 1:105, dem er den Titel Aus meinem Leben gibt. Über die Hintergründe dieses programmatischen Zusatzes schreibt er später dem befreundeten Musikjournalisten Josef Srb: „Meine Absicht war es, den Verlauf meines Lebens in Tönen zu schildern. I. Satz: Hang zur Kunst in meiner Jugend, Vorherr­ schaft der Romantik, unaussprechliche Sehnsucht nach etwas, was ich nicht in Worten ausdrücken und mir gar nicht in be­ stimmter Gestalt vorstellen konnte; aber zugleich wie eine War­ nung vor dem Unheil, das mir bevorstand

; der

lang anhaltende Ton im Finale entstand aus diesem Anfang ; es ist jenes schicksalsschwere Pfeifen in den höchsten Tönen, das im Jahr 1874 in meinem Ohr meine begin­ nende Taubheit ankündigte. Dieses kleine Spiel erlaubte ich mir deshalb, weil es für mich so fatal war. Der II. Satz: Quasi-Polka führt mich in der Erinnerung in das heitere Leben meiner Ju­gend­ zeit, in der ich meine Umwelt mit Tanzstücken überschüttete, selbst als leidenschaftlicher Tänzer bekannt war u. s. w. Der mitt­ lere Satz: Meno vivo, Des-Dur, ist jener, den die Herren Mitglieder 10


Bedřich Smetana Streichquartett Nr. 1 e-Moll

des Streichquartetts als absolut undurchführbar bezeichnet ha­ ben. Die gebotene Reinheit der Akkorde lässt sich nach ihrer Mei­ nung angeblich nicht erzielen. Ich bemerke, dass ich in den Tö­ nen dieses Satzes meine Erinnerungen an die Kreise der Ade­li­gen male, in denen ich lange Jahre gelebt habe. […] Ich glau­be, dass dieser Satz die Hauptursache ist, warum sich jene Herren wei­ gern, das Quartett zu spielen; sie wiegt schwerer als der Ein­wand gegen den orchestralen Stil. Der dritte Satz: Largo sostenuto er­ innert mich an die Wonne der ersten Liebe zu dem jungen Mäd­ chen, das später meine treue Frau wurde. Der vierte Satz: Die Er­ kenntnis der Wesensart der nationalen Musik und die Freude an den Ergebnissen des beschrittenen Weges bis zu jenem Au­gen­ blick, da sein weiterer Verlauf durch die ominöse Katastrophe jäh unterbrochen wurde: Beginn der Taubheit, Ausblick in eine freud­lose Zukunft, ein kleiner Hoffnungsstrahl, dass doch noch eine Wendung zum Guten eintreten wird, aber, in Erinnerung an die ersten Etappen meiner Lebensbahn ist es doch ein schmerz­ liches Gefühl. Das ist ungefähr der Inhalt dieser Komposition, die, sozusagen, einen privaten Charakter hat und deshalb absicht­ lich nur für vier Instrumente geschrieben wurde. Diese sollen sich gleichsam wie in engem Freundeskreise gegenseitig mitteilen, was mich so bedeutsam bedrückt. Nichts mehr.“

„[…] jenes schicksalsschwere Pfeifen in den höchsten Tönen, das im Jahr 1874 in meinem Ohr meine beginnende Taubheit ankündigte.“ Ausschnitt aus dem vierten Satz von Smetanas Streich­quartett Nr. 1 e-Moll

11


Dmitri Schostakowitsch Streichquartett Nr. 2 A-Dur

Als Smetana die Arbeit am 29. Dezember 1876 abschließt, ist er be­ reits seit knapp zwei Jahren fast vollständig ertaubt: „Ich beende ge­ rade ein Streichquartett“, schreibt er an Srb, „und bevor ich damit nicht ganz zu Ende bin, will ich keine neue Arbeit beginnen, weil mir meine Krankheit nicht erlaubt, länger als eine Stunde in einem Zuge zu ar­ beiten; dann muss ich eine Pause eintreten lassen, weil gewöhnlich das Brausen in den Ohren einsetzt und mich an der Weiterarbeit hin­ dert. Ich muss daher in ziemlich kurzen Zeitabschnitten arbeiten und mich vor jeder Überanstrengung hüten.“ Die geplante Uraufführung am 19. Februar 1877 durch das Bennewitz-Quartett muss aufgrund der enormen technischen Anforderungen – wie in Smetanas obigem Brief beschrieben, lehnt das Ensemble vor allem den Mittelteil des zweiten Satzes „als absolut undurchführbar“ ab – vertagt werden, seine erste Aufführung findet das Werk im April 1878 in der Prager Wohnung von Josef Srb. Smetana selbst spielt Violoncello während kein Geringerer als Antonín Dvořák den Violapart übernimmt. ZWISCHEN DEN STÜHLEN Fast fünf Monate arbeitet Dmitri Schostakowitsch bereits an seiner 4. Sinfonie – eine erste Version hatte er zuvor vollständig verworfen –, als er am 28. Jänner 1936 den Bahnhof im nordrussischen Archan­ gelsk betritt, um sich die aktuelle Ausgabe der Prawda zu kaufen: „Ich durchblätterte sie und fand auf der dritten Seite den Artikel ‚Chaos statt Musik‘“, erinnert er sich später. „Diesen Tag werde ich nie ver­ges­ sen. Er ist vielleicht der denkwürdigste in meinem ganzen Leben.“ Die ohne Angabe eines Verfassers veröffentlichte Kritik betrifft Schosta­ kowitschs Oper Lady Macbeth von Mzensk, die zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre lang erfolgreich auf den Spielplänen in Leningrad und Moskau steht: „Von der ersten Minute an verblüfft den Hörer in dieser Oper die betont disharmonische, chaotische Flut von Tönen. Bruchstücke von Melodien, Keime einer musikalischen Phrase versinken, rei­ ßen sich los und tauchen erneut unter im Gepolter, Geprassel und Gekreisch. Dieser ‚Musik‘ zu folgen, ist schwer, sie sich ein­ zuprägen, unmöglich. […] Diese absichtlich ‚verdrehte‘ Musik ist 12


Dmitri Schostakowitsch Streichquartett Nr. 2 A-Dur

so beschaffen, dass in ihr nichts mehr an die klassische Opern­ musik erinnert und sie mit sinfonischen Klängen, mit der einfa­ chen, allgemeinverständlichen Sprache der Musik nichts mehr gemein hat. […] Das ist ‚linke‘ Zügellosigkeit anstelle einer na­ tür­lichen, menschlichen Musik. Die Fähigkeit guter Musik, die Massen mitzureißen, wird hier kleinbürgerlichen formalistischen Anstrengungen und der Verkrampfung geopfert, damit man mit Methoden der Originalitätshascherei Originalität vortäuschen kann. […] Die Gefahr einer solchen Richtung in der Sowjetmusik liegt klar auf der Hand. Die ‚linke‘ Entartung in der Oper hat den gleichen Ursprung wie die ‚linke‘ Entartung in der Malerei, der Dichtung, der Pädagogik und der Wissenschaft.“

Dmitri Schosta­kowitsch, um 1940

Schnell ist dem Komponisten klar, dass sich hinter der anonymen Drohung nie­mand anderer als Stalin persönlich verbirgt, der im Jän­ ner 1936 erstmals eine Aufführung der Oper besucht hat: „Der Ar­ tikel auf der dritten ‚Prawda‘-Seite veränderte ein für allemal meine ganze Existenz. Er trug keine Unterschrift, war also als redak­tions­ eigener Artikel gedruckt. Das heißt, er verkündete die Mei­nung der 13


Dmitri Schostakowitsch Streichquartett Nr. 2 A-Dur

Partei. In Wirklichkeit die Stalins, und das wog be­deu­tend mehr.“ Als kurz darauf auch sein Ballett Der helle Bach in einem Prawda-Artikel, der mit „Heuchelei als Ballett“ über­schrie­ben ist, kritisiert und bei­ de Kompositionen einige Tage da­rauf noch einmal unter der Über­ schrift „Eine klare und einfache Spra­che in der Kunst“ verurteilt werden, weiß Schostakowitsch, dass er in die grausamen Mühlen des „Großen Terrors“ geraten ist. Zwar stellt er seine 4. Sinfonie im Mai 1936 fertig, zieht sie jedoch aus ungeklärten Gründen nach wenigen Orchesterproben zurück. Es werden 25 Jahre vergehen, ehe das Werk am 30. De­zember 1961 erstmals zur Aufführung kommt. Obwohl Schostakowitsch sich die staatliche Duldung in den folgen­ den Jahren nicht zuletzt durch öffentliche Lippenbekenntnisse und vordergründig linientreue Werke wieder sichern kann – 1939 wird er sogar zum ordentliche Professor am Leningrader Konservatorium ernannt – sieht er sich in seiner Musik während der Zeit des Zweiten Weltkriegs ständig mit der Unmöglichkeit eines Spagats zwischen der öffentlich geforderten Propagandamusik und seinem eigenen künst­ lerischen Ideal konfrontiert. Im September 1944, acht Jahre nach dem verhängnisvollen Prawda-Artikel, komponiert er sein Streichquartett Nr. 2 A-Dur op. 68 innerhalb von nur 19 Tagen in Iwanowo, 300 Kilo­ meter nördlich von Moskau. „Dieser Tage ist mir aufgefallen, dass es genau zwanzig Jahre her ist, seit ich dich das erste Mal getroffen ha­ be“, schreibt er an den befreundeten Kollegen Wissarion Schebalin. „Ich bin mit Komponieren beschäftigt. Habe ein Trio (4 Sätze) been­ det. Heute habe ich den zweiten Satz des Quartetts abgeschlossen, mit dem ich hier begonnen habe. Ich habe gleich ohne Pause mit dem drit­ ten Satz (dem vorletzten) weitergemacht. Um unser erwähntes Jubi­ läum zu feiern, würde ich dir das Quartett gerne widmen.“ Gemein­ sam mit dem zeitgleich entstandenen 2. Klaviertrio e-Moll kommt das Werk am 14. November desselben Jahres durch das Beethoven Quar­ tet zur Uraufführung. Andreas Meier

14


XXX XXX

15


Biografie

Jerusalem Quartet

„Leidenschaft, Präzision, Wärme, eine Gold-Mischung: Das sind die Mar­kenzeichen dieses exzellenten israelischen Streichquartetts“, ur­ teilt die New York Times über das Jerusalem Quartet. Die vier Musi­ker haben seit der Gründung des Ensembles im Jahr 1996 einen Rei­fe­prozess durchlaufen, der ihnen heute erlaubt, auf ein breites Reper­ toire und eine entsprechende klangliche Tiefe zurückzugreifen, ohne dabei auf ihre Energie und ihre Neugier auf Unbekanntes zu verzich­ ten. Das Jerusalem Quartet ist regelmäßiger Gast auf den großen Kon­ zertbühnen dieser Welt. Zu den Highlights der vergangenen Spiel­ zeit gehören ein Beethoven-Quartett-Zyklus in der Wigmore Hall in London, ein Bartók-Zyklus bei den Salzburger Festspielen, das dritte jährliche Streichquartettseminar in Crans Montana in der Schweiz und seit 2022 eine Residency an der Jerusalem Academy of Music. Seit 2005 hat das Jerusalem Quartet 16 Alben bei harmonia mundi 16


Biografie

veröffentlicht, die mit zahlreichen Preisen wie dem Diapason d’Or oder dem BBC Music Magazine Award für Kammermusik ausgezeichnet wurden. Zu den neuesten Aufnahmen gehören ein Album, das die jü­dische Musik in Mitteleuropa zwischen den Weltkriegen beleuchtet und das zweite (und damit letzte) Album der Gesamteinspielung ih­ res Bartók-Zyklus. Höhepunkte der Saison 2023/24 sind Touren durch Schweden, Großbritannien, Deutschland und die Schweiz sowie Kon­ zerte bei den Biennalen in Paris, Amsterdam und Lissabon. Neben den regulären Quartettprogrammen wird das Jerusalem Quartet das Yid­ dish Cabaret zurück auf die Bühne bringen. Außerdem spielt es einen Bartók-Zyklus in der Elbphilharmonie in Hamburg und wird im April erneut durch Nordamerika touren. Im Juni 2024 reisen die Mu­si­ker nach Asien – China, Südkorea, Japan – und treten in wich­ti­gen Sälen wie der Suntory Hall In Tokio oder dem Seoul Arts Center auf. 17


VORSCHAU: Streichquartette in der Saison 2023/24

Takács Quartet Folkloristische Tanzrhythmen

Dienstag, 28. Mai 2024, 19:30 Uhr Mittlerer Saal, Brucknerhaus Linz Werke von Franz Schubert, Antonín Dvořák, Maurice Ravel Takács Quartet Edward Dusinberre | Violine Harumi Rhodes | Violine Richard O’Neill | Viola András Fejér | Violoncello

Karten und Info: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at Herausgeberin: Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH, Brucknerhaus Linz, Untere Donaulände 7, 4010 Linz CEO: Mag. Dietmar Kerschbaum, Künstlerischer Vorstandsdirektor LIVA, Intendant Brucknerhaus Linz; Dr. Rainer Stadler, Kaufmännischer Vorstandsdirektor LIVA Redaktion & Texte: Andreas Meier | Biografie & Lektorat: Romana Gillesberger | Gestaltung: Anett Lysann Kraml Leiter Programmplanung, Dramaturgie und szeni­sche Projekte: Mag. Jan David Schmitz Abbildungen: IGORSTUDIO (S. 2 [1. v. o.]), H. Rojder (S. 2 [2. v. o.]), M. Koell (S. 2 [3. v. o.]), M. Fabricci (S. 2 [4. v. o.]), Národní muzeum, Prag (S. 7), Library of Congress, Washington, D.C. (S. 9), privat (S. 11 & 13), A. Tipton (S. 18) Programm-, Termin- und Besetzungsänderungen vorbehalten LIVA – Ein Mitglied der Unternehmensgruppe Stadt Linz


Yumeka Nakagawa Werke von Mozart, Debussy, Schumann, Liszt und Gounod

Foto: Susanne Diesner

C. BECHSTEIN KLAVIERABEND 15. Februar 2024 · 19:30 Uhr VERANSTALTUNGSORT UND KARTEN

Brucknerhaus Linz · Untere Donaulände 7 · 4010 Linz +43 (0) 732 77 52 30 · kassa@liva.linz.at C. Bechstein Centrum Linz / Klaviersalon Merta GmbH Bethlehemstraße 24 · A-4020 Linz · +43 (0) 732 77 80 05 20 linz@bechstein.de · bechstein-linz.de


HAPPY DIAMONDS


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.