Christoph Heesch & Friedrich Thiele | 01.12.2023

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Pas de deux

auf acht Saiten 1. DEZEMBER 2023 STARS VON MORGEN IV SAISON 2023/24


KOMMENDE HIGHLIGHTS SAISON 2023/24 SO 3 DEZ 11:00

MICHAEL ALEXANDER WILLENS & KÖLNER AKADEMIE

GROSSER SAAL

Eine Matinée mit Werken von JeanFéry Rebel, Carl Philipp Emanuel Bach und Ludwig van Beethoven

Michael Alexander Willens | Dirigent

DI 12 DEZ 19:30 GROSSER SAAL

Alexander Malofeev spielt Liszt und Chopin, dazu Suiten aus den Balletten Romeo und Julia und Der wunderbare Mandarin

SO 31 DEZ 19:30

DAS GROSSE SILVESTERKONZERT

Alevtina Ioffe | Dirigentin

GROSSER SAAL Theresa Grabner & Dietmar Kerschbaum

DI 9 JÄN 19:30 GROSSER SAAL

Maxim Emelyanychev | Dirigent

ALEVTINA IOFFE & UNGAR. NATIONAL­ PHILHARMONIE

mit dem Operetten­klassiker Der Vogelhändler von Carl Zeller Zusätzlich am 5. Jänner im beliebten Varieté-Format!

MAXIM EMELYANYCHEV & MAHLER CHAMBER ORCHESTRA Beethovens 7. Sinfonie und Hindemiths Vier Temperamente mit Alexander Melnikov als Solisten

Karten und Infos: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at

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Pas de deux auf acht Saiten Freitag, 1. Dezember 2023, 19:30 Uhr Mittlerer Saal, Brucknerhaus Linz

Christoph Heesch | Violoncello Friedrich Thiele | Violoncello

Brucknerhaus-Debüt

Saison 2023/24 – Stars von morgen IV 4. von 10 Konzerten im Abonnement


Programm Joseph Haydn (1732–1809) Duo D-Dur Hob. X:11 & XII:3+5 (vor 1770) I II III IV

Moderato Menuetto Adagio con variazioni Finale. Presto

Friedrich August Kummer der Jüngere (1797–1879) Duo C-Dur für zwei Violoncelli op. 103, Nr. 4 (1851) I II III

Allegro ma non troppo Hymne. Andante Bolero. Allegro

Jacques Offenbach (1819–1880) Duo E-Dur für zwei Violoncelli op. 54, Nr. 2 (1847) I II III

Allegro Andante Polonaise

– Pause – François Couperin (1668–1733) Konzert Nr. 13 G-Dur aus: Les Goûts-réunis (1724) [Arrangement für zwei Violoncelli von Paul Bazelaire (1886–1958)] I II III IV

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Vivement Air. Agréablement Sarabande. Tendrement Chaconne. Legére


Ingo Ingensand (* 1951) SpürSinn für zwei Violoncelli op. 19 (2023) [Uraufführung] I Begegnung. Risoluto – II Tanz. Con slancio III Dialog. Calmo – IV Disput. Scherzando concitato – V Konsens. Moderato VI Metamorphose. Contemplativo VII Aufbruch. Allegro assai

David Popper (1843–1913) Suite G-Dur für zwei Violoncelli op. 16 (1866) I II III IV V

Andante grazioso Gavotte. Allegro vivace ma non troppo Scherzo. Quasi Presto Largo espressivo Marcia. Finale. Allegro ma non troppo

Konzertende ca. 21:30

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alla breve Das Programm auf einen Blick

Anders als Trios, Quartette oder Quintette fristet das Duo – mit Ausnahme der schier unzähligen Werke mit Begleitung von Tas­ ten­ instrumenten – im heutigen Konzertleben eher ein Schattendasein. Dabei haben sich über die Musikgeschichte hinweg herausragende Komponisten wie Georg Philipp Telemann, Joseph Haydn, Wolfgang Amadé Mozart, Ludwig van Beethoven oder Jacques Offenbach der Form des Duos beziehungsweise Duetts angenommen, deren dialogische, zugleich re­duziert-intimen und hochvirtuosen Ausprägungen das heutige Konzert beleuchtet. Im Fokus stehen dabei Werke für zwei Violoncelli, die bei François Couperin und Joseph Haydn noch ganz das Gepräge der barocken Generalbass-Stilistik tragen: Während eine Stimme melodisch führt, übernimmt die zweite die Rolle der begleitenden Stütze und des kommentierenden Kontrapunkts. Im 19. Jahrhundert, mit Werken von Friedrich August Kum­mer dem Jüngeren, Jacques Offenbach und David Popper, stehen sich die beiden Duettpartner schließlich auf Augenhöhe gegenüber, eine Perspektive, die auch Ingo Ingensand in seinem neuen Werk SpürSinn verfolgt, in dem sich die Instrumente zum titelgebenden „Pas de deux auf acht Saiten“ die Hände reichen.

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Pas de deux auf acht Saiten

FÜRSTLICHE DUETTE „[I]ch war von der Welt abgesondert, Niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irre machen und quälen, und so musste ich original werden.“ Als Joseph Haydn 1761 die Stelle als Vizekapellmeisters bei der Familie Esterházy angeboten wird, ahnt er noch nicht, dass er knapp 30 Jahre – bis zur Auflösung der gesamten Hofmusik 1790 – für eine der wohlhabendsten Adelsfamilien im Königreich Ungarn arbeiten wird. Als angestellter Musiker reist Haydn dabei zwischen dem Familiensitz der Esterházys in Eisenstadt und der Winterresidenz in Wien, ehe 1766 – in zeitlicher Nähe zu seiner Ernennung zum Kapellmeister – das Schloss Eszterháza im ländlichen Ungarn fertig gestellt wird. Das Prestigeprojekt des Fürsten Nikolaus I. Joseph Esterházy de Galantha wird bald zu dessen neuem Lebensmittelpunkt und damit auch von Haydn und der gesamten musikalischen Belegschaft. Nikolaus ist ein überaus fachkundiger Musikkenner und ein in solchem Maß begeisterter Musikliebhaber, dass er auf Eszterháza sehr schnell einen regen Konzertbetrieb etabliert. Dass der Fürst daneben regelmäßig nach kammermusikalischen Werken verlangt, an deren Aufführung er selbst im privaten Rahmen mitwirkt, bezeugt die berüchtigte Regulatio Chori KissMartonensis – Kismarton ist der ungarische Name für Eisenstadt – vom November 1765: „Endlichen wird ihme Capel-Meister Hayden bestermassen anbefohlen, sich selbsten embsiger alß bißhero auf die Compositionen zu legen, und besonders solche stücken, die man auf der Gamba spielen mag, und wovon wir noch sehr wenig gesehen haben, zu Componieren […]“. Mit der Gamba, auf die Nikolaus explizit hinweist, ist dabei das sogenannte Baryton (Viola di bordone) gemeint, ein Instrument, das der Fürst ausgesprochen verehrt und selbst gut beherrscht. Das der Gambe durchaus 7


Joseph Haydn Duo D-Dur

Joseph Haydn, Ölgemälde von Ludwig Guttenbrunn, ca. 1770

Friedrich August Kummer der Jüngere, Fotografie von Conrad Albus, nach 1868

Jacques Offenbach, Fotografie von Nadar, vor 1880

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Joseph Haydn Duo D-Dur

ähnliche Instrument besitzt neben den sechs oder sieben Saiten, die über dem Griffbrett verlaufen, eine mehr als doppelt so große Anzahl an Saiten unterhalb des Griffbretts, die zwei verschiedene Funktionen erfüllen: Zum einen schwingen sie beim Streichen der Spielsaiten mit und verändern so die Klangfarbe, zum anderen können sie mit dem Daumen der linken Hand gezupft werden. Die zeitgenössischen Meinungen über dieses Instrument gehen weit auseinander. Während der Musikschriftsteller Friedrich August Weber voll des Lobes meint, „man hat das Gefühl gleichzeitig eine Viola da Gamba und eine Harfe zu hören“, beschreibt der englische Musikhistoriker Charles Burney die Basssaiten des „undankbare[n] Instrument[s]“ als „ein ausgezeichnetes Hilfsmittel, wenn man in einer Wüste musiziert oder auch in einem Haus, in dem man ganz allein ist“. Die ,Rüge‘ des Fürsten verfehlt ihre Wirkung nicht: Insgesamt sind 126 Trios mit Baryton von Haydn erhalten, daneben existieren noch etwa 40 weitere Stücke in anderen Besetzungen. Mit über 160 Werken bilden sie, noch vor seinen 108 Sinfonien, die größte Werkgruppe in Haydns Schaffen. Dabei achtet er in seinen Kompositionen stets darauf, an die Solostimme, die fast immer dem Baryton und damit dem Fürsten zufällt, keine allzu großen Anforderungen zu stellen. Nur ein einziges dieser Werke, das Duo D-Dur Hob. X:11 & XII:3+5, das in der Zeit vor 1770 entsteht, ist ein Duett für Baryton und Violoncello. Während das Thema des ersten Satzes das Finalthema von Ludwig van Beethovens Septett op. 20 vorwegnimmt, konzipiert Haydn den Mittelsatz in Form eines Menuetts. Nach dem volkstümlichen Trio in hoher Lage spielt das schnelle Presto-Finale mit einem sehr virtuosen Gegeneinander der beiden Instrumente. DER BOLERO EINES THÜRINGERS Als „eine[n] der ersten und berühmtesten Violoncellisten und Componisten für dies Instrument“ beschreibt der Flötist und Musikhistoriker Moritz Fürstenau den im thüringischen Meiningen geborenen Friedrich August Kummer den Jüngeren im Jahr 1849. Dabei beginnt Kummers musikalische Karriere an der Dresdner Hofkapelle 1814 9


Friedrich August Kummer der Jüngere Duo C-Dur

vorerst auf einem anderen Instrument: Als nach seinem Studium bei Friedrich Dotzauer, dem renommierten Solocellisten der Dresdner Hofkapelle, keine Stelle als Cellist vakant ist, tritt Kummer zunächst in die Fußstapfen seines Vaters und nimmt eine gut dotierte Stelle als Oboist in der kurfürstlich-sächsische Kapelle an. Drei Jahre später schafft er es mit der Hilfe und ausdrücklichen Fürsprache von Carl Maria von Weber, die nun frei gewordene Position als Cellist zu ergattern. Nach dem Ausscheiden Dotzauers wird Kummer 1852 die Stelle des ersten Solocellisten übertragen, die er bis zu seiner eigenen Pensionierung 1864 behält. Neben seiner Tätigkeit als Cellist der Hofkapelle erarbeitet sich Kummer als Kammermusiker einen hervorragenden Ruf, insbesondere in der Zusammenarbeit mit Clara Schumann und dem Dresdner Komponisten Franz Anton Schubert (nicht verwandt mit jenem aus Wien). Sein kompositorisches Œuvre, das etwa 400, heute zum Teil verschollene, Werke umfasst, geht dabei eng mit seiner Lehrtätigkeit einher, der er nach seiner Pensionierung sowohl privat als auch als Dozent am Dresdner Konservatorium nachkommt. Unter seinen methodischen Werken ist es vor allem die Violoncell-Schule für den ersten Unterricht, die sich als bedeutendes Lehrwerk sehr schnell großer Beliebtheit erfreut. Kummers Cellokompositionen bestechen laut Fürstenau allen voran durch ihre „geist- und seelenvollen Melodien“, so auch das Duo C-Dur für zwei Violoncelli op. 103, Nr. 4 aus dem Jahr 1851. Besonders hervorzuheben ist hier der vierte Satz in Form eines Boleros, der den Geist der lateinamerikanischen Tanzform meisterlich einfängt, mehr als 70 Jahre bevor Maurice Ravel den Bolero durch sein gleichnamiges Orchesterstück weltbekannt macht. DER UNBEKANNTE CELLOVIRTUOSE Ob Orpheus in der Unterwelt, Die schöne Helena oder Hoffmanns Erzählungen: Jacques Offenbachs Schaffen im Bereich der Oper und Operette ist musikhistorisch so bahnbrechend, dass er auch heute noch in erster Linie als Schöpfer der modernen Operette wahrgenommen wird. Man darf allerdings nicht vergessen, dass Offenbach vor seiner kompositorischen Laufbahn zunächst für sein Violoncello10


Jacques Offenbach Duo-E-Dur

spiel bekannt wird. So beschreibt die Pariser Musikzeitschrift L’Artiste Offenbach im Jahr 1843 wie folgt: „Wenn sein Bogen die Saiten vibrieren lässt, dann scheint sich zwischen dem Künstler und seinem Instrument eine jener geheimnisvollen Beziehungen anzubahnen, von denen Hoffmann so wundervoll erzählt hat. Mit seinen langen Haaren, seinem schmalen Wuchs und seiner geistvollen Stirn könnte man ihn für eine Gestalt aus den fantastischen Erzählungen Hoffmanns halten. Mit einem Wort, er wird der Liszt des Violoncellos sein, oder vielmehr, er ist es schon.“ Offenbach als guten Cellisten zu bezeichnen, wäre tatsächlich eine gewaltige Untertreibung. Er studiert gerade ein Jahr, als er in der Opera comique in Paris angestellt und schon bald darauf von der ,feinen Gesellschaft‘ für sein Spiel gefeiert wird. Als Virtuose im 19. Jahrhundert ist er ein Star, der sich dementsprechend darstellen muss und das vornehmlich nicht mit dem einfachen Vortrag einer strikten Sonate. Das kann Offenbach auch, tut es aber so selten, dass die Kritik aufkommt, er könne „doch nicht verlangen, für einen Meister gehalten zu werden, nur weil [er] auf dem Cello wie auf einem Hackbrett spielt“. Wie virtuos Offenbach tatsächlich spielen kann, zeigen unter anderem seine primär für den Eigengebrauch geschriebenen Konzerte. Die größte Sammlung seiner Celloduos wird unter dem Titel Cours methodique de duos pour deux violoncelles veröffentlicht. Die technischen Anforderungen der Duos steigert sich mit jeder Opuszahl – von op. 49 bis op. 54 –, sodass chronologisch nach und nach insgesamt alle technischen Probleme des Cellospiels thematisiert werden. Die drei Celloduos aus dem Jahr 1847, die zusammen das Opus 54 bilden, befinden sich demnach zweifellos im Bereich „tres difficiles“ („sehr schwierig“). Dabei ragt vor allem das Duo E-Dur op. 54, Nr. 2 hervor, mit einem besonders interessanten und sanglichen Thema, das durch das stetige Auf- und Abblühen am jeweiligen Phrasenende eine Assoziation des Nie-enden-Wollens hervorruft. Offenbach scheint, ähnlich wie Franz Schubert (diesmal jener aus Wien), über eine schier unerschöpfliche Quelle melodischer Ideen zu verfügen, aus der er sich bedienen kann. Das zeigt sich auch im Andante, dessen Gestus von 11


François Couperin Konzert Nr. 13 G-Dur

der Oper zum Lied überzugehen scheint, bevor mit dem PolonaiseFinale auch das tänzerische Element nicht zu kurz kommt. DIE VERMISCHTEN GESCHMÄCKER Schon zu Zeiten Offenbachs wird Musik immer mehr als allgemeingültige und internationale Kunst verstanden, die weltweit über alle Ländergrenzen hinweg in gleicher Weise rezipiert werden kann. Eine Auffassung, die dem Kunstverständnis im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts kaum stärker widersprechen könnte: Das Verlangen der einzelnen Nationen nach kultureller Individualität lässt mannigfaltige Musikstile entstehen, die sich voneinander abheben und sich profilieren wollen. So wird der Streit zwischen den größten Antagonisten der Zeit, Frankreich und Italien, nicht alleine politisch, sondern auch kulturell ausgetragen und spiegelt sich direkt im Kunstgeschehen wider. Die Situation ist dermaßen festgefahren, dass sich einzelne Musiker*innen der jeweiligen Nationen sogar weigern, Musik der anderen ,Seite‘ zu spielen – und zwar so lange, bis im 18. Jahrhundert der sogenannte „vermischte Geschmack“ entsteht. Diese Polarität zwischen Frankreich und Italien zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Barockzeit. Auch wenn die Gegensätze heute, knapp 300 Jahre später, beim Hören der Musik nicht immer direkt verständlich werden, so zeigen sie sich in den zeitgenössischen Partituren und Quellen dafür umso deutlicher: Während in der französischen Musik das Augenmerk auf klar definierten und stringent konzipierten Werken liegt, in denen jedes Detail der Ausführung streng festgelegt wird, lebt die italienische Musik von beinahe übertriebener Theatralik und freier Improvisation. Einer der wenigen Künstler, der es wagt, diese beiden so gegensätzlichen Auffassungen zu vereinen, ist François Couperin. Wie ernst die gesamte Situation dabei ist, zeigt der Umstand, dass er dafür zunächst seine wahre Identität verschleiern muss. Im Vorwort zu seinem Werk Les Nations (1726) gesteht er, dass er für die erste Sonate der Sammlung vor über 30 Jahren aufgrund der „erbitterten Kritik der Franzosen gegenüber fremden Neuheiten“ die „Buchstaben [s]eines Namens so [verdrehte], dass sie einen italienischen Namen ergaben“ und er sich damit eine „Verteidigung 12


François Couperin Konzert Nr. 13 G-Dur

François Couperin, Kupferstich von Jean Jacques Flipart nach einem Gemälde von André Boüys, 1735

Ingo Ingensand, Fotografie von Reinhard Winkler

David Popper, Fotografie von Emil Bieber, um 1904

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François Couperin Konzert Nr. 13 G-Dur

ersparen“ konnte. Als nun anerkannter Komponist muss Couperin die Folgen dieses Geständnisses augenscheinlich nicht mehr fürchten. In seinen letzten Lebensjahren lässt er sich von dem Gedanken, die beiden gegensätzlichen Stile endlich vollends zu vereinen, derart inspirieren, dass der zweite Band seiner Concerts royaux, die er für die Sonntagskonzerte in Versailles komponiert, den Titel Les Goûts-réunis trägt – Die vermischten Geschmäcker. Der Titel ist dabei tatsächlich Programm: Couperin gelingt es hier, die Qualitäten und Eigenarten der französischen und der italienischen Musik zu vereinen. Das 1724 erschienene Werk ist auf zwei Notensysteme gedruckt. Der Titelzusatz „à l’usage de toutes les sortes d’instrumens de Musique“ macht deutlich, dass Couperin die Wahl des Instrumentariums den Ausführenden selbst überlässt. Nur das zwölfte Konzert in A-Dur und das Konzert Nr. 13 G-Dur sind mit dem Zusatz „à deux Violes, ou autres jnstruments à L’unisson“ versehen, was den Gebrauch zweier Instrumente mit gleicher Tonhöhe nahelegt. Dass der französische Cellist Paul Bazelaire 1923 also eines dieser beiden Konzerte für zwei Violoncelli arrangiert, ist ebenso naheliegend. Bazelaire ergänzt dabei vor allem dynamische Einträge und Strichanweisungen, in der musikalischen Struktur folgt er dem Original. DER VERGESSENE CELLOVIRTUOSE Seit seinem Aufkommen im frühen 19. Jahrhundert hat sich die Darstellung und Auffassung des öffentlich auftretenden Musikvirtuosen bis in die Gegenwart hinein kaum verändert. Schon hier gab es he­ rausragende Persönlichkeiten, von denen ganz Europa sprach und für die man von weither anreiste. So sind Namen wie Niccolò Paganini für die Violine oder Franz Liszt für das Klavier bereits zu Lebzeiten in einem solchen Maß bekannt, dass sie auch heute noch unmittelbar mit ihrem jeweiligen Instrument verbunden sind. Eigentlich sollte sich der Cellist David Popper nahtlos in diese Liste einfügen, denn während seiner aktiven Karriere steht sein Ruf den eben genannten Musikern in keinster Weise nach. Dass er heute beinahe vollständig in Vergessenheit geraten ist und eine wirklich substanzielle Forschungsarbeit über Poppers Leben und Werk noch aussteht, mag viele Gründe haben. Als der in Prag geborene Popper auf die Empfehlung Hans 14


David Popper Suite G-Dur

von Bülows hin 1868 als Solocellist an die Wiener Hofoper wechselt, dauert es nur knapp fünf Jahre, bis er aufgrund seiner immer weiter zunehmenden Tätigkeit und Bekanntheit als Solist so viele Konzerte spielt, dass er seine Orchestertätigkeit aus zeitlichen Gründen aufgeben muss. Ob Bruckner, Brahms, Liszt oder Wagner: Popper kennt sie alle und ist allen durch sein virtuoses Spiel bekannt. Gleichzeitig sind Poppers Kompositionen bereits zu Beginn seiner Wiener Zeit schon so weit verbreitet, dass nahezu kein Celloabend ohne den obligatorischen „unvermeidlichen Popper“ auskommt – eine Formulierung, die George Bernard Shaw 1892 prägt. Eine der frühesten dieser bekannten Kompositionen ist die Suite für zwei Violoncelli op. 16, die 1866 entsteht und 1876 schließlich veröffentlicht wird. Wie in vielen von Poppers Werken beweist er auch hier sein großes Geschick in der Instrumentation: Neben der ursprünglichen Komposition entsteht ein alternatives Finale als auch eine Fassung mit Klavier. Und trotz aller technischen Anforderungen – Popper treibt beide Stimmen an die Grenzen des damals Machbaren – ist die Musik gänzlich vom Geschmack der Zeit geprägt, von sensiblen Empfindungen und Humor. Musik, die, wie fast alle seine Werke, bis heute noch nicht die Aufmerksamkeit erhalten hat, die sie verdient. David Meier DAS „SINNSPÜREN“ Einen „Pas de deux auf acht Saiten“ zu schreiben, ist nicht so einfach, besonders unter dem Aspekt, dass die acht Saiten im heutigen Programm schon vier Stücke lang von den beiden Virtuosen betanzt wurden. Mein Zugang war eher, dass sich in einem Duett immer zwei Musikerpersönlichkeiten begegnen, jeder in seiner Einzigartigkeit aber gleichzeitig mit dem Wunsch nach größtmöglicher Abstimmung aufeinander. So entstand eine siebenteilige Suite (in drei Abschnitten) SpürSinn für zwei Violoncelli op. 19, die einer menschlichen Beziehungsfindung entsprechen könnte. Am Anfang stellen sich die Musiker in der 15


Ingo Ingensand SpürSinn

Begegnung sehr unterschiedlich vor, kommen ins Gespräch und gehen gemeinsam zum Tanz. Nach dieser körperlichen Annäherung entsteht das Bedürfnis nach näherem Kennenlernen der jeweiligen persönlichen Geschichte des anderen im Dialog. Dieser mündet allerdings bald (wie nicht selten) in einen etwas rechthaberischen Disput. Doch als Musiker sind sie trotz der Auseinandersetzung auch in der Lage, einen Konsens zu finden. Ihre neugefundenen Gemeinsamkeiten versuchen sie in der Metamorphose zu formulieren, quasi eine gemeinsame Absichtserklärung. Die führt zum Aufbruch, in dem gemeinschaftliche Zielsetzungen (nach außen) verfolgt werden, bis hin zu einer neuen, vielleicht besseren menschlichen Wirklichkeit, einer Utopie. Als Musiker glaube ich sowohl an die zersetzende wie auch die gemeinschaftsstiftende Kraft von Kunst. Im zweiten Satz Tanz – dem Motto der Saison – wird das vielleicht zum ersten Male spürbar. Zumindest die beiden ersten Begriffe „Rhythmus“ und „Schwung“ (die das Tanzmotto des Brucknerhauses gewissermaßen erklären/weiterführen) finden wohl auf alle Sätze Anwendung. Der dritte Begriff „Ekstase“ ist für mich ein fragwürdiger. Mein Wunschziel ist nicht die Besinnungslosigkeit, sondern eher Geist, Intellekt und Emotion in Einklang (Harmonie!) zu bringen, damit menschliche/musikalische Beziehung gedeihen kann. So ist denn auch der Titel des Stückes durchaus als Imperativ zu verstehen. Deshalb: Viel Vergnügen und/oder Freude und/oder Unterhaltung beim „Sinnspüren“. Das Werk ist Jan David Schmitz gewidmet, dem die Begegnung des Komponisten mit den Musikern zu verdanken ist, der das Werk anregte und es für das Brucknerhaus Linz in Auftrag gab. Ingo Ingensand 16


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MUSIKFREUNDE. Die Musik bereichert unser Leben. Sie schenkt uns unvergessliche Momente. Daher unterstützen wir gerne die „Stars von morgen“ im Brucknerhaus Linz.

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Biografie

Christoph Heesch Violoncello

Der in Berlin geborene Christoph Heesch gehört zu den interes­san­tes­ ten Cellisten seiner Generation. Er studiert derzeit an der Uni­ver­sität der Künste Berlin bei Jens Peter Maintz, nachdem er zwischenzeit­ lich von Wolfgang Emanuel Schmidt unterrichtet wurde. Sein DebütAlbum The Golden Age: Cello 1925 wurde mit einem International Clas­ sical Music Award 2019 in der Kategorie „Concertos“ ausgezeichnet. Seit 2019 ist er Mitglied des Philharmonischen Streichquartetts Ber­ lin und seit 2023 Erster Solocellist beim SWR Symphonieorchester. Er ist mehrfacher Preisträger nationaler wie internationaler Wett­be­ werbe: So erhielt er unter anderem den 2. Preis sowie den Publikums­ preis beim Grand Prix Emanuel Feuermann 2022. Als Preisträger des Deutschen Musikinstrumentenfonds spielt Christoph Heesch seit 2022 ein Cello von Giovanni Battista Grancino (Mailand um 1700), eine Leihgabe der Deutschen Stiftung Musikleben. 18


Biografie

Friedrich Thiele Violoncello

Friedrich Thiele gewann zahlreiche bedeutende nationale und inter­ nationale Preise, unter anderem den 2. Preis sowie mehrere Sonder­ preise beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD 2019 und den Preis des Deutschen Musikwettbewerbs 2019. Als Solist gastierte er bereits bei vielen renommierten Orchestern wie dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dem Orchester des Nationaltheaters Brasília, der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, der Kammer­akademie Potsdam, der Dresdner Philharmonie und dem Orquesta Sinfónica Simón Bolívar de Venezuela. Seit 2021 ist er Erster Kon­zert­meister der Violoncelli in der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Als leidenschaftlicher Kammermusiker trat Friedrich Thiele bei namhaften Festivals auf und spielte dort unter anderem mit Igor Levit, Julia Fischer, Tabea Zimmermann, Patricia Kopatchinskaja, Antoine Tamestit, Benjamin Beilman und Nils Mönkemeyer. 19


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ab 200 jahre

HIGHLIGHTS BRUCKNER-JAHR 2024 MO 1 JÄN 17:00 GROSSER SAAL Markus Poschner | Dirigent

Markus Rupprecht | Orgel

FR 22 MÄR 19:30 GROSSER SAAL

Markus Poschner | Dirigent

DI 10 SEP 19:30 GROSSER SAAL Philippe Herreweghe | Dirigent

DO 19 SEP 19:30 GROSSER SAAL Christian Thielemann | Dirigent

SO 22 SEP 18:00 STIFTSBASILIKA ST. FLORIAN Thomas Hengelbrock | Dirigent

NEUJAHRSKONZERT Eröffnungskonzert mit dem Bruckner Orchester Linz A. Bruckner: Scherzi aus der ‚Nullten‘ und Neunten u. a.

MARKUS POSCHNER & BRUCKNER ORCHESTER LINZ Festkonzert zum 50-Jahr-Jubiläum des Brucknerhauses Linz

PHILIPPE HERREWEGHE & ORCHESTRE DES CHAMPS-ÉLYSÉES Übersteigern – Bruckners Achte im Originalklang

CHRISTIAN THIELEMANN & WIENER PHILHARMONIKER Bruckners Erste

THOMAS HENGELBROCK & MÜNCHNER PHILHARMONIKER Bruckners f-Moll-Messe

Karten und Info: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at

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VORSCHAU: Stars von morgen in der Saison 2023/24

Klaudia Tandl & Gisela Jöbstl „Tanzt, tanzt, sonst seid ihr verloren!“

Dienstag, 23. Jänner 2024, 19:30 Uhr Mittlerer Saal, Brucknerhaus Linz Lieder von Sophie Gail, Franz Schubert, Hector Berlioz, Johannes Brahms, Camille Saint-Saëns, Pjotr Iljitsch Tschaikowski, Antonín Dvořák u. a. Klaudia Tandl | Mezzosopran Gisela Jöbstl | Klavier

Karten und Info: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at Herausgeberin: Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH, Brucknerhaus Linz, Untere Donaulände 7, 4010 Linz CEO: Mag. Dietmar Kerschbaum, Künstlerischer Vorstandsdirektor LIVA, Intendant Brucknerhaus Linz; Dr. Rainer Stadler, Kaufmännischer Vorstandsdirektor LIVA Redaktion: Andreas Meier | Texte: Andreas Meier (S. 6), David Meier, Ingo Ingensand Biografien & Lektorat: Romana Gilles­berger | Gestaltung: Anett Lysann Kraml, Lukas Eckers­torfer Leiter Programmplanung, Dramaturgie und szeni­sche Projekte: Mag. Jan David Schmitz Abbildungen: J. Casares (S. 2 [1. v. o.]), V. Goriachev (S. 2 [2. v. o.]), R. Mittendorfer (S. 2 [3. v. o.]), A. Grilc (S. 2 [4. v. o.]), Internationale Joseph Haydn Privatstiftung Eisenstadt (S. 8), Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main (S. 8), privat (S. 8), Bibliothèque nationale de France, Paris (S. 13), R. Winkler (S. 13), Österreichische Nationalbibliothek, Wien (S. 13), F. Broede (S. 18), R. Gaens (S. 19), V. Weihbold (S. 21 [1. v. o.]), R. Winkler (S. 21 [2. v. o.]), M. Hendryckx (S. 21 [3. v. o.]), M. Creutziger (S. 21 [4. v. o.]), F. Grandidier (S. 21 [5. v. o.]), J. Wesely (S. 22) Programm-, Termin- und Besetzungsänderungen vorbehalten LIVA – Ein Mitglied der Unternehmensgruppe Stadt Linz


Andrey Gugnin Werke von Grieg, Vine, Sylwestrow, Tschaikowski und Strawinski

Foto: Anna Shlykova

C. BECHSTEIN KLAVIERABEND 13. Dezember 2023 · 19:30 Uhr VERANSTALTUNGSORT UND KARTEN

Brucknerhaus Linz · Untere Donaulände 7 · 4010 Linz +43 (0) 732 77 52 30 · kassa@liva.linz.at C. Bechstein Centrum Linz / Klaviersalon Merta GmbH Bethlehemstraße 24 · A-4020 Linz · +43 (0) 732 77 80 05 20 linz@bechstein.de · bechstein-linz.de


HAPPY DIAMONDS


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