E-paper BoleroMen Winter 2014

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Men

WINTER 2014 | CHF 8.– | EUR 6.–

BoleroMen MODE TRIFFT INTELLIGENZ DER GUIDE FÜR DEN MANN

PLAISIR

LUXUSAUSGABE

35 Seiten Fashion

Coole Männer im Hotel Ein echtes Vergnügen: der Luxus von morgen Le grand Plaisir mit: Andrea della Valle Martina Kühne Daniel & Markus Freitag Graf von Faber-Castell Lionel Messi Bleibende Werte: Uhren


BOULEVARD close-up

INTERVIEW BRUNO AFFENTRANGER | SITHARA ATASOY

«In New York begann ich vom Leben zu lernen» ANDREA DELLA VALLE «Hogan bietet einen erschwinglichen Luxus an», findet der Eigentümer der Marke Hogan und 23-reichste Mann Italiens.

Die Brüder Andrea und Diego della Valle bestimmen heute in Italien als Industrielle die Wirtschaft mit. Gewachsen aus einem väterlichen Schuhgeschäft, haben sie die Marken Tod’s, Fay und Hogan erfunden. Schuhe, Business – für Andrea della Valle ist es nicht alles. Ein Gespräch über Zufälle, Bruderherz, den USSound in der Marke und Hobbys. BoleroMen: Warum haben Sie 1986 Hogan gestartet? Andrea della Valle: Das war eigentlich ein Zufall. Ich studierte damals in den USA und erhielt quasi den Auftrag, den ersten Tod’s-Shop in New York zu eröffnen und zu führen. Dabei hatte ich die Idee, die ich eigentlich schon eine Weile mit mir herumtrug: Warum sollte man nicht denselben Schuh in der Freizeit und am Arbeitsplatz tragen können? Warum denn das? Sie erinnern sich vielleicht nicht. Ich rede über die Zeit, als die Männer und Frauen auf dem Weg zur Arbeit Sneakers trugen, dort angekommen ihre Business-Schuhe aus der Tasche nahmen, die Sneakers auszogen und die mitgebrachten Schuhe anzogen. Ich fand das seltsam und überflüssig und wollte einen Schuh geschaffen haben, der formalen Ansprüchen genügen würde und dennoch casual war. Das war der erste Hogan-Schuh. So einfach? So einfach. Man sollte sich nicht unwohl fühlen müssen. Für mich war dieser amerikanische Brauch des Schuhwechsels eine Art Schock. Haben wir etwas missverstanden? Wir dachten, Sie hätten Hogan in Italien und nicht in den USA gestartet. Stimmt, als ich nach meinen Jahren in den USA zurück nach Italien kam, startete ich mit dieser Idee. Tod’s war damals bereits etabliert, aber setzte auf einen formaleren Stil. Ich gab also meinem Team den Auftrag, die Idee zu entwickeln. So entstand Hogan. Mit einer Idee, einem Schuh und von Null ausgehend. War der erste Hogan-Shop in New York? Nein, in Mailand. Wir begannen zu Hause damit. Warum waren Sie zuvor in den USA? Zum Studieren. Aber ich war nicht wirklich ein guter Student. Wie mein älterer Bruder, Diego. Wir waren keine Genies in der Schule. Meine Mutter sagte uns das oft. Dafür waren wir neben und nach der Schule besser. Nichtsdestotrotz besuchte ich in jungen Jahren in San Diego, Kalifornien, eine Business-Schule, aber ehrlich gesagt, genoss ich viel mehr das Leben. Aus Kalifornien wechselte ich nach New York: Ich sollte an die Columbia-University. Doch mein Bruder Diego kam dazwischen.

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MÄNNER, MOTORRÄDER UND LEDERWAREN «Jeder Mensch trägt in gewissen Momenten den Geist des Rebells in sich», sagt Andrea della Valle über den kreativen Teil seines Unternehmens.

Was geschah da? Diego setzte mir den Floh ins Ohr, diese New Yorker Boutique für Tod’s zu gründen. Wir begannen also in Soho an der West-Broadway zusammen zu arbeiten und hatten eine grossartige Zeit. Fünf Jahre ging das so – und ich verliess natürlich sofort die Universität. Ich begann vom Leben zu lernen. Ihr Bruder Diego ist einiges älter als Sie und Chef des Familienunternehmens in der dritten Generation. Wie ist Ihr Verhältnis zu ihm? Ich bin 49 Jahre alt, er ist zwölf Jahre älter. Aber der wahre Patriarch zu Beginn war mein Vater. Diego war damals bereits erfolgreich im Geschäft und konnte mir wichtige Ratschläge im strategischen Bereich geben. Wir haben eine fantastische Beziehung bis heute. Haben Sie – zwei Alphatiere – nie Streit? Wir kämpfen manchmal um die bessere Idee, aber immer mit dem Ziel, das Unternehmen noch besser zu machen. Wir sind zwei sich sehr nahe stehende Brüder und dementsprechend teilen wir uns auch Tod’s. Woher stammt eigentlich der Name Hogan? Aus den USA, ganz offensichtlich. In dieser Zeit waren die US-Marken in Europa extrem erfolgreich und angesehen. Allein der Sound der Brands, der Wörter, verhalf mit zum Erfolg. Es war eine Zeit, in der das amerikanische Feeling alles schlug. Er hat keine wirkliche Bedeutung. Es ist ein amerikanischer Name, und ich kann mich gar nicht mehr

daran erinnern, woher ich ihn genommen habe. Die Wohnhäuser der Diné, eines indigenen Volkes, hiessen Hogan. Das höre ich zum ersten Mal. Daran dachte ich sicherlich nicht, als ich den Namen Hogan wählte. Es war eher eine mechanische Wahl. USSound – das muss es sein. Hogan führt heute eine Abteilung, die sich «Rebell» nennt. Fühlen Sie sich so? Das ist nicht der Punkt, es geht nicht darum, wie ich mich fühle. Ich glaube, dass jeder Mensch in einem gewissen Moment und in sich drin diesen Geist des Rebells trägt. Mit dem Begriff bezeichnen wir den kreativen Teil unseres Unternehmens. Ich finde es wichtig, dass man manchmal die eingeschlagenen Wege verlässt und neu zu denken versucht. Man soll enthusiastisch sein, künstlerisch, kreativ. Das sage ich zu meinem Kreativteam: Es soll sich frei fühlen, tun, was es will. An mir liegt es dann, dafür zu sorgen, dass die Wurzeln des Unternehmens nicht verloren gehen. Wir stellen die dritte Generation dar, wir verkörpern die DNA und das Erbe unseres Grossvaters. Trends kommen und gehen, aber der Ursprung bleibt. Giovanni Agnelli und Lady Di waren Fans von Hogan. Und heute? Madonna, Jessica Alba, Katy Perry, Lady Gaga. Sie alle wollen das Produkt. Wir bezahlen ihnen nichts. Manchmal melden sich die Künstler oder ihre Stylisten selber.

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BOULEVARD watches


LONGINES. «THE LONGINES COLUMN-WHEEL SINGLE PUSHPIECE CHRONOGRAPH» (40 MM) AUS EDELSTAHL ERINNERT AN DEN 1913 ENTWICKELTEN ARMBANDCHRONOGRAPHEN. ALLE FUNKTIONEN WERDEN ÜBER DEN MONODRÜCKER IN DER KRONE GESTEUERT. CHF 4150.–

BELL & ROSS. «PW 1 IVORY DIAL» (49 MM) AUS EDELSTAHL MIT PVDFINISH. DIE GEGENWART IM ZEICHEN DER VERGANGENHEIT. DIE POCKET WATCH IST EINE REFERENZ AN DIE TASCHENUHREN DES ERSTEN WELTKRIEGES. MECHANISCHES WERK MIT HANDAUFZUG. CHF 3000.–

CHOPARD. «MILLE MIGLIA CHRONOGRAPH 2014» (42 MM) AUS EDELSTAHL. EINE HOMMAGE AN DIE RENNWAGEN DER ZWANZIGER UND DREISSIGER JAHRE, Z. B. MIT GELÖTETEN BAND-ANSTÖSSEN UND BARENIA-KALBSLEDERARMBAND. AUTOMATIKWERK. CHF 4900.–

PANERAI. «RADIOMIR 1940 CHRONOGRAPH PLATINO» (45 MM) AUS PLATIN. WASSERDICHT BIS 50 METER. MECHANISCHES PANERAI-UHRWERK MIT HANDAUFZUG UND GENFER STREIFENDEKOR. 55 STUNDEN GANGRESERVE. ZWEI CHRONOGRAPHEN-ZÄHLWERKE. CHF 67 600.–

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COVERSTORY plaisir liste

TEXT BRUNO AFFENTRANGER

was uns wirklich freude macht

Die Leichtigkeit des Seins ist meist mit Dingen oder Erlebnissen verbunden, die Freude machen oder steigern. Wir haben uns auf die Suche gemacht. Sie können womöglich profitieren. Hier dreht sich alles ums Vergnügen. DIE STADT PLAISIR? Naja. Guter Versuch. Aber nicht die Vollendung. Die Expedition ins Glück hat die Reisenden weitergeführt. Wo ist das wahre Vergnügen zu finden? Was macht Freude? Und was hat wirklich mit Plaisir zu tun? Wir präsentieren eine nicht abgeschlossene Liste, aus der Sie Ihre Favoriten selber aussuchen können. Je nach Wahl sind Sie eher der Typ «Plaisir plus», «Plaisir deluxe» oder auch «Plaisir modeste». «PLAISIR DELUXE» Ein Château Mouton-Rothschild, Pauillac, 1er Grand Cru Classé, aus dem Jahre 2009. Ein vorzüglicher Rotwein, intensive und dichte Nase, mit starker und gesunder Struktur. Perfekt ausgewogen in den Tanninen und mit lang anhaltendem, elegantem Abang. Der Preis: CHF 1036.80, das kostengünstigste Angebot haben wir bei www.gazzar.ch gefunden. Ein eigenes Boot auf einem Schweizer See, was einen unabhängig und automatisch naturverbunden werden lässt. Keine Kunst, eines zu kaufen. Einen festen Anlegeplatz zu finden – eine Spassbremse. Kosten: variieren je nach See, mit CHF 2400 für den Platz pro Jahr ist immer zu rechnen, Motorboote kosten zwischen CHF 5000 und ca. 2 Millionen. Man wähle. Ferien im Hotel Le Touessrok auf Mauritius, mit Golfcourse auf der eigenen Insel Île aux Cerfs, sehr teuer, sehr exquisit (www.letouessrokresort.com). Sonntags ein Ausflug nach Port Louis zu den ältesten Pferderennen der südlichen Hemisphäre. Ein Faltrad und eine kurze Ausfahrt auf einen nahen Aussichtsberg. Mit ihm kommt man überall hin, ob man nun darauf sitzt, es trägt oder im Kofferraum verstaut hat. Wir empfehlen die klassischen Räder des britischen Tüftlers und Ingenieurs Alex Moulton. Wiegen nur 12 bis 14 kg und sind trotz kleinem Radumfang stylish. Preise zwischen CHF 16 000 und CHF 28 000 (www.moultonbicycles.co.uk).

«PLAISIR PLUS» Antara: Schon der Name ist ein Vergnügen. Es steht für eines der besten katalanischen Olivenöle. In Siurana im südlichen Katalonien produziert. Sein Säuregehalt liegt unter 0,2 Prozent. Sein fruchtiger Geschmack erinnert an reife Oliven, gepaart mit einem leichten Mandelduft. In Bezug auf die hervorragende

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Qualität ein preiswertes Vergnügen: CHF 18.50 für einen halben Liter (www.myoliveoil.ch) Ein Wein aus Sancerre weckt die Geister: Das Haus Henry Bourgeois keltert seit zehn Generationen Weine. Rund 130 km südlich von Plaisir, im beschaulichen Gebiet rund um Sancerre, gedeihen die Trauben des Sauvignon blanc auf LehmKalksteinböden. Der «La Bourgeoise» 2011 begeistert den Liebhaber mineralischer, zitroniger Weine auf Anhieb. Der Preis ist mit rund CHF 18.00 moderat (www.moevenpick-wein.com). Feigenkuchen in Alcúdia im Norden Mallorcas kaufen, auf der spanischen Insel, die zu Recht einen schlechten Ruf hat (Bau- und Strandsünden), aber zu Unrecht in Verruf ist (Naturschönheiten und Köstlichkeiten en masse). Die Feigenküchlein von Francisca Valls Picó zum Beispiel packt die Grossmutter selber von Hand in Feigenblätter, nachdem sie vorher stundenlang mallorquinische Kleinstfeigen von ihren Stielen befreit und die Früchte zusammen mit Anis zerknetet hat. Aufgehängt und sicher vor Ungeziefer, überdauern die Leckereien locker fünf Tage ohne Schaden. Kostenpunkt: CHF 5.40 ohne Verpackung, CHF 13.80 mit Blatt («Figues Seques», C/ Major, 22, Alcúdia, T. +34 97 189 72 56). Nächtigen im Hotel Oitavos bei Cascais, Lissabon, Portugal, dazu eine Runde Golf spielen auf dem hoteleigenen Court und abends, zwei Steinwürfe entfernt, im Restaurant «Mar do Inferno» die beste Dourada ever essen. Am nächsten Tag am besten alles nochmals. (www.theoitavos.com und www.mardoinferno.com)

«PLAISIR MODESTE» Eine Joggingtour entlang der Loire und dann inmitten von Rebbergen um Sancerre kostet nichts. Danach schmeckt der Sauvignon wie Nektar. Anderswo auch durchführbar. Dann vielleicht mit Apfelschorle den Durst löschen. Übernachten im Schlafsack am nahen Waldrand, je älter, desto mehr Liegematten mitnehmen, Insekten krabbeln hören und manchmal auch den Wind in den Blättern. Stevie Wonders «Superstition» hören und mittanzen. Îles Flottantes auf Schokoladencreme. Dessert: Reines Vergnügen geht durch den Magen. Kostet etwas Fingerspitzengefühl in der Küche (Rezept unter www.swissmilk.ch).


SPASS MUSS SEIN Der Château Mouton Rothschild aus dem Pauillac ist eine ziemliche Wucht (o. links), ein Boot auf einem Schweizer See ebenfalls (o. rechts). Technisch anforderungsreich golfen kann man auf der Île aux Cerfs (links) auf Mauritius, danach die Rennen in Port Louis besuchen. Empfehlenswert sind die traditionellen Faltfahrräder vom britischen Tüftler Alex Moulton (rechts). Wenig kosten: Eine ausgedehnte Joggingrunde in Sancerre (u. links), oder die süssen Feigenküchlein aus Mallorca (u. rechts).


COVERSTORY plaisir

anton-wolfgang graf von faber-castell BILD GIAN MARCO CASTELBERG | INTERVIEW BRUNO AFFENTRANGER

business-regel: glück haben Wann wird ein Geschäft zum Erfolg? Reichen Verstand und Planung? Der Graf der Schreibutensilien sagt, dass Glück, Freude, Vernunft und ein eigener Kopf wichtig sind. Dann wird es auch ein Vergnügen. BoleroMen: Wenn Sie mit jemandem am Tisch sitzen, schauen Sie dann auf die Stifte? Graf von Faber-Castell: Das mache ich. Ich bin aber völlig gelassen, was das Fabrikat betrifft. Ihr Stift zum Beispiel berührt mich ebenfalls nicht. Weil er so hässlich ist? Keineswegs. Ich befasse mich vorzugsweise mit unseren eigenen Produkten. Lässt das Schreibgerät Rückschlüsse auf den Charakter des Schreibenden zu? Füllfeder-Schreibende haben wahrscheinlich einen ausgeprägten Sinn für Ästhetik, unter ihnen gibt es viele Sammler. Handschriftliches ist ihnen wichtig. Aber mit Rückschlüssen wäre ich vorsichtig. Ich selber bin kein grosser Füllfederhalter-Fan. Ich benutze ein Rollerball-Schreibgerät oder den so genannten perfekten Bleistift aus der Graf von Faber-Castell Collection. Seit 1978 sind Sie verantwortlich für das Familienunternehmen und haben dieses ziemlich umgekrempelt. Das kann man so sagen. Damals erwirtschafteten wir etwa 30 Prozent unseres Gruppenumsatzes im Ausland. Heute generieren wir rund 75 Prozent ausserhalb von Deutschland. Sie sind überaus stark am Auslandgeschäft interessiert. Ist dieses Wachstum direktes Resultat davon? Mein Vater war bereits sehr interessiert am Ausbau des Auslandgeschäftes und ich habe diese Bemühungen fortgesetzt. Aber man muss auch das berühmte Glück haben – sowohl bei der Erschliessung neuer Märkte als auch dabei, die richtigen Mitarbeiter zu finden. Das geben die wenigsten zu. Glück ist alles, um erfolgreich zu sein? Natürlich nicht nur. Ich war z. B. klug genug, um die Chancen für unser Unternehmen in Asien frühzeitig zu erkennen. Rückschläge gehörten von Anfang an dazu, auch Unkenrufe, das Falsche zu tun, beispielsweise in Japan. Ich werde nie das Auf und Ab vergessen, das mit der Erschliessung der Märkte in Indonesien und Malaysia einherging. Apropos Unkenrufe: Ende der achtziger Jahre war bei Unternehmensberatern gerade die Theorie des strategischen Dreiecks in aller Munde: Japan, die USA und Europa bildeten dieses Dreieck, diese Märkte verhiessen Zukunft und der Rest sollte links liegen gelassen werden. Mein Beirat riet mir, dass wir uns aus allen anderen Ländern zurückziehen sollten, insbesondere aus den Entwicklungsländern. Das war vor 25 Jahren. Hätte ich

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diese Ratschläge befolgt, wir wären heute nicht da, wo wir sind: Faber-Castell Malaysia und Faber-Castell Indonesien gehören heute zu den wachstumsstärksten Märkten in unserer Gruppe. Woher stammt diese dickköpfige Beratungsresistenz? Ich hatte das grosse Glück, dass ich als Mehrheitsgesellschafter Dinge durchhalten konnte. In einem amerikanischen Unternehmen wäre ich sicher dreimal in dieser Zeit gefeuert worden, weil ich nicht auf kurzfristiges Wachstum und Erträge gezielt habe. Ein Unternehmen ist wie eine Pflanze, die nicht ab morgen diese oder jene Plangrösse haben kann, sondern täglich gegossen werden muss. Beim Aufbau des Südamerika-Geschäftes ging ich systematisch vor. Man liess mir Zeit, und man musste sie mir lassen, weil man mich als Mehrheitsgesellschafter nicht ohne Weiteres entlassen konnte. Hatten Sie diese Gelassenheit schon von Anfang an? Ach wo, ich war ungeduldig. Ich dachte, in drei Jahren sei eine Vertriebsgesellschaft in einem Land gegründet, installiert und profitabel. Ich darf Ihnen sagen: Es geht länger. Heute blicke ich auf viele dieser Pflänzchen und freue mich. Manchmal muss man einfach die Ohren zuhalten und sein eigenes Ding machen? Das ist so. Mein Tipp: Manchmal einfach auf niemanden hören. Wie lautet Ihr komplettes Erfolgsrezept? Ausreichend Glück haben, über gesunden Menschenverstand verfügen, Dinge wagen, sich im richtigen Moment taub stellen, Potenziale ausnutzen und einen Instinkt haben, um Potenziale zu erkennen und auszunutzen. Das klingt gut. Wie lautet Ihre Geschichte zum Schlagwort der ausgenutzten Potenziale? Nehmen wir das Beispiel Brasilien. Hier haben wir früh auf Nachhaltigkeit gesetzt. Das kam so: Anfang der achtziger Jahre kauften wir von Drittlieferanten zu, aber die Qualität war nicht konsistent. Das brachte mich auf die Idee, die Holzversorgung in die eigene Hand zu nehmen. Wir befassten uns intensiv mit unterschiedlichen Holzarten und mit Wegen eines möglichst umweltschonenden Umgangs mit der Ressource. Wir investierten schliesslich in 10 000 Hektar Pinienforste, die wir im Südosten Brasiliens anpflanzten und die heute knapp 90 Prozent unseres Holzbedarfs abdecken. Sie wurden vom FSC als nachhaltig zertifiziert. Übrigens haben wir vor kurzem ein vielversprechendes ähnliches Projekt in Kolumbien ins Leben gerufen. (Das ganze Interview finden Sie auf www.boleromagazin.ch)


EIN HONORIGES UNTERNEHMEN Faber-Castell ist kein Unternehmen, das aus dem Augenblick geboren worden ist. 253 Jahre alt ist die Firma und wird von Anton-Wolfgang Graf von Faber-Castell (73) in achter Generation gef체hrt. Der gelernte Bankier steht seit 1978 an der Unternehmensspitze und seit dieser Zeit f체r eine starke Internationalisierung des Gesch채fts. FaberCastell produziert pro Jahr mehr als zwei Milliarden Bleiund Farbstifte und hat sich als globale Marke im Premiumsegment etabliert.


COVERSTORY plaisir freitag brüder

BILD GIAN MARCO CASTELBERG | INTERVIEW BRUNO AFFENTRANGER

ausbrechen aus dem öko-furor

Nach fünf Jahren Experimentieren kommen die Gebrüder Markus und Daniel Freitag mit biologisch vollständig abbaubaren Kleidern auf den Markt. Klingt verdammt lustfrei und angestrengt – ist es aber nicht. Über die vergnügliche Überwindung des Ökologie-Furors und einen unternehmerischen Selbstversuch.

MICHAEL BRAUNGART, der Prediger des «Wiege-zu-Wiege»Prinzips, ist manchmal etwas direkt. Vor versammelter Unternehmer-Zuhörerschaft kann er schon mal alle zuvor geäusserten Meinungen zu Ökologie und Nachhaltigkeit verächtlich abtun. «Unsinn», sagt er dann, «kompletter Unsinn.» Wie man denn nur darauf käme, dass umweltgerechtes Verhalten frei von Lust und Freude sein müsse. Ökonomie werde behindert oder gar beschränkt durch Ökologie? «Unsinn», wirft Braungart den Bankiers entgegen. Die Verunsicherung ist jeweils greifbar. Der Professor aus Deutschland, der lange Zeit in den USA gelebt hat und als ein Guru der weltweiten Gemeinden der Upund Recycler gilt, teilt gerne aus. Auch die Öko-Bewegungen kriegen ihr Fett ab. Schlechtes Gewissen hält er für einen schlechten Antrieb für gutes Tun. Aber damit kein Missverständnis aufkommen mag: Ohne Gewissen geht es nicht. Der ehemalige Greenpeace-Mann und fleissige Vortragsreisende vertritt die These, dass im Idealfall jedes Produkt in seinem Entstehen schon auf sein Verenden hin angelegt sein müsse. «Cradle to Cradle» nennt er dieses Konzept. Er hat es vor etwas mehr als zehn Jahren in die Welt gesetzt. Eines seiner liebsten Beispiele geht so: Warum muss der Stoffüberzug eines Sitzes im Flugzeug im Prinzip ess- und verdaubar sein, ohne dass der Mensch deswegen Schaden nimmt? Warum soll sich der Stoff zum Schluss selbst abbauen und kompostierbar sein? Weil die gemeinte Textilie während ihrer Lebenszeit um zehn bis 25 Prozent des Gewichtes schwindet. Sie lässt Fasern und verliert Substanz. Im geschlossenen Kreislauf eines Flugzeuginnenraums schwirren Kleinstteile unentwegt umher und finden ihren Weg in den Körper des Passagiers. Deshalb also. Und dass der Reststoff am Ende sich selbst auflösen und neuen Humus bilden soll, ist sonnenklar. Asche zu Asche, Staub zu Staub. Die Brüder Daniel und Markus Freitag haben Braungart vor sechs Jahren in ihr Unternehmen eingeladen. Er hat sich die KultFirma in Zürich angeschaut. Das 21 Jahre alte, inzwischen oft kopierte Projekt, Lastwagenplanen in Taschen zu verarbeiten, baut auf einer grundlegenden Überzeugung auf, die sich mit dem «Wiege-zu-Wiege»-Prinzip über weite Strecken deckt. Braungart hat Zulieferketten durchleuchtet und mit den beiden Freitags diskutiert.

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Daraus nun abzuleiten, der Professor sei der Ideengeber für das neueste Freitag-Vorhaben, wäre übertrieben. Diese Idee, Kleider herzustellen und die Marke auszuweiten, ist schon vor dem Besuch des Gurus entstanden. Braungart habe vieles bestätigt, was für Freitag gelte. Schon lange hätten sie ihre neueste Idee mit sich herumgetragen. Sie sei nach und nach entstanden und nach den Beratungen zur Gewissheit gewachsen, dass man es nun doch damit versuchen soll. Nach mehr als fünf Jahren Herantasten ist es nun soweit: Die ersten Hosen und T-Shirts stehen zum Verkauf bereit. Was die Freitags bisher nur intern mit Freunden und den 150 Mitarbeitenden ausprobiert haben, ist derzeit auf dem Weg in die unberechenbare Wildbahn der freien Marktwirtschaft. Es sind Produkte aus Stoffen und Elementen, die sich allesamt selber wieder abbauen, werden sie denn einst nicht mehr gebraucht.

THESE UND ANTITHESE Daniel Freitag, der jüngere der beiden Brüder, hat den Professor vor zehn Jahren erstmals an einem Vortrag gehört. Der hat ihn mit seinem provokativen Wesen beeindruckt. Der folgende Satz könnte von Braungart stammen. «Die letzten 15 Jahre Nachhaltigkeitsberichterstattung sagen: Der beste Konsument ist ein toter Konsument.» Daniel Freitag sagt auch: «Es kann aber doch nicht sein, dass man ein lebensfeindliches System aufrecht erhält, in dem Konsum immer negativ konnotiert ist. Das macht keinen Sinn», um gleich anzufügen: «Man muss vorsichtig sein. Jedes Nachhaltigkeitskonzept kann ins Negative kippen, wenn man es missinterpretiert. Man muss immer alles überprüfen. Aber wenn man etwas Gutes hat, darf man damit etwas verschwenderisch umgehen.» Daniel redet, und kaum gesagt, wandert seine Hand ans Gesicht, und Falten legen sich über die Stirn. Mit dem Wort Verschwendung tut er sich schwer. Markus blickt derweil abwartend. Das Bruderpaar ist eingespielt – und geübt in der Kritik. Nicht alles, was der andere sagt, ist gültig. Auch nach 21 gemeinsamen Geschäftsjahren nicht. These trifft auf Antithese. Markus Freitag sagt: «Ich recycle und bleibe sparsam. Verschwendung ist eine schöne Perspektive, aber keine Lebenshaltung.» Daniel nickt und liefert damit die nonverbale Synthese.


BRÜDER IM GEISTE Manchmal sind sie sich nicht einig, eigentlich selten, hat man den Eindruck, aber einig bleiben sie im Geschäft. Seit 1993 sind Markus (44, links) und Daniel (43) Freitag mit ihrer Firma Freitag tätig. Sie sind Pioniere auf dem Feld der Wiederverwertung und haben mit dem Recycling von gebrauchten Lastwagen blachen in kultige Taschen ein Unternehmen gegründet. Im November starten sie ein neues Projekt: Mit völlig natürlich abbaubaren Kleidern wollen sie diversifizieren. Markus und Daniel Freitag sind in Meilen aufgewachsen und leben mit ihren Familien mit je zwei Kindern in Zürich.


COVERSTORY plaisir martina kühne

BILD GIAN MARCO CASTELBERG | INTERVIEW BRUNO AFFENTRANGER

der letzte zug der «68er»

Martina Kühne, Senior Researcher am Gottlieb Duttweiler Institut GDI, hat den neuen Luxus erforscht. Sie ist sich sicher: Statt Eigentum zählen in westlichen Industriestaaten Erfahrung und Erlebnis. Verschwendung und Blingbling haben ausgedient, Verschlichterung und Verzicht werden sexy. Und: Richtig vergnügen wird uns sinnvolles Tun. Die Babyboomer bestimmen künftig den wahren Luxus.

BoleroMen: Worauf haben Sie heute verzichtet und damit luxuriös gelebt? Martina Kühne: Ich habe heute noch nicht richtig verzichtet. Vielleicht auf Schlaf, davon hätte ich gerne mehr haben können. Das wäre in diesem speziellen Fall die Umkehr Ihrer LuxusTheorie, dass weniger mehr ist. Stimmt. Das Prinzip «weniger ist mehr» beziehen wir auf die materiellen Produkte, auf teure Autos, Designerhandtaschen, Schmuck. Musse, Ruhe oder Schlaf sind hingegen Dinge, die heute für viele rar geworden und deshalb so begehrt sind. In einer Gesellschaft, die im Überfluss lebt, steigt tendenziell die Sehnsucht nach dem einfachen Leben. Was ist denn allgemein Luxus? So allgemeingültig ist dies immer schwieriger zu sagen, weil der Luxusbegriff heute so inflationär verwendet wird und deshalb profilloser denn je ist. In unseren Untersuchungen haben wir festgestellt, dass Luxus individueller definiert wird. Für den einen ist es der Nachmittag auf dem Liegestuhl, für den anderen die Rolex, für die Dritte eine Reise oder eine Auszeit. Verändert sich unsere Meinung gegenüber Luxus gerade? Ja. Was als Luxus gilt, war schon immer abhängig vom Zeitgeist. Nun entwickelt sich – insbesondere in den reifen und gesättigten Wohlstandsgesellschaften – eine neue Definition von Luxus. Zugleich existieren grosse Luxuskonzerne, die sich sehr gut entwickelt haben und mit dem Verkauf von traditionellen Luxusprodukten in gewissen Märkten dieser Welt nach wie vor sehr gut verdienen. Davon sind wir ausgegangen und haben versucht, die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Luxus zu erfassen und einzuordnen. Wir reden zum Beispiel über die kindliche Phase oder über die Senioritäts-Phase des Luxus. Was prägt die kindliche Phase Luxus? Alles, was glänzt und glitzert. Für uns schlägt dieser von Kinderträumen geprägte Konsum schnell in Kitsch um. Diese kindliche Phase kann man auch auf Länder münzen, in denen die Konsumenten noch hungrig sind, die noch nicht über gesättigte Märkte verfügen. Dort blinken Handtaschen, Uhren, Autos. Wo bewegen wir uns in der Schweiz? Wir stecken in der Maturitäts- oder Erwachsenenphase. Sie ist ge-

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prägt vom abnehmenden Grenznutzen des Materiellen. Die Erkenntnis also, dass das Glücksgefühl beim Erwerb einer Designerhandtasche abnimmt, wenn es bereits die fünfte oder zehnte ist, die man kaufen kann. Folglich verschiebt sich der Luxuskonsum von der Produkt- auf die Erlebnisebene. Denn Erlebnisse lassen sich unendlich steigern. Welches sind die treibenden Kräfte? Wir leben in einer alternden Gesellschaft. Die Babyboomer – also die geburtenstarken Jahrgänge der zwischen 1946 und 1964 Geborenen – werden in den kommenden Jahren pensioniert. Sie haben Zeit und Geld und sich im Leben schon viele materielle Wünsche erfüllt. Jetzt stellen sich in einem letzten Lebensabschnitt neue Fragen. Wie gestalte ich die neue Lebensphase sinnvoll? Welche Spuren hinterlasse ich? Was werde ich vor dem Tod noch tun? Das sind einige Fragen, die umtreiben. Das beeinflusst den Luxus stark, weil die Babyboomer eine wichtige Klientel der Branche sind. Bei Jüngeren definiert sich der Status neu, die Toleranz gegenüber klassischer Verschwendung nimmt klar ab, Themen wie Nachhaltigkeit werden wichtiger. Der dritte Treiber ist die Technologie, was sich am besten in Mobilitätsfragen zeigt: Man will nicht mehr viel Geld für ein eigenes, selten genutztes Auto ausgeben, sondern eher ein Auto teilen und die Leerzeiten minimieren. Zugang zu Mobilität wird wichtiger als der Besitz. Das iPhone wird das grössere Statussymbol als das Auto. Wer heute ein Auto kauft, ist der Verlierer von morgen? Zumindest ist es cooler, sein Auto mit anderen zu teilen, als es in der eigenen Garage für sich zu horten. Erfahrung schlägt Eigentum? Natürlich ist Besitz für viele nach wie vor erstrebenswert, aber nicht länger das Anhäufen davon. Dann wird er schnell zum Ballast, so wie eben das Auto in der Stadt. Wieso soll man es das ganze Jahr hindurch warten und den Parkplatz dafür bezahlen, wenn man es nur für die Ferien benötigt? Hier wächst die Bedeutung der «Sharing Economy», der Wirtschaft des Teilens. Sie sprechen viel von Autos. Kennen Sie weitere Beispiele für den neuen Umgang mit Luxus? Statt Statussymbole zählen neu Skills – das Wissen um die Machart der Dinge, ihre Verarbeitung und Zubereitung. Beim Essen


MARTINA KÜHNE IST SENIOR RESEARCHER AM GOTTLIEB DUTTWEILER INSTITUT IN RÜSCHLIKON und hat kürzlich die Studie «Der nächste Luxus» veröffentlicht, die sich auf eine repräsentative Befragung von 1003 Personen in der Schweiz und in Deutschland stützt. Die GDI-Forscherin analysiert gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologische Veränderungen mit den Schwerpunkten Konsum, Handel und Mobilität. An den Universitäten von Zürich und Barcelona studierte Martina Kühne Ökonomie. Sie arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Universität Zürich, wo sie 2008 auch promovierte. Neben ihrer Forschungstätigkeit am GDI lehrt sie heute als Dozentin an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) in Master of Arts and Design.


BILD: JOST WILDBOLZ STYLING: ANDREA LUCIA BRUN GROOMING: BASSIL VIKON MODELS: RAINER@SCOUT, MARCO@AQUA, JADE@OPTION FOTOASSISTENZ: SANDRO DIENER WIR DANKEN DEM HOTEL CASTELL IN ZUOZ FÜR SEINE UNTERSTÜTZUNG

glücksgefühle in mode und im hotel Wer nach der wilden, rauen Natur und gleichzeitig nach den Annehmlichkeiten eines atmosphärisch einzigartigen Hotels sucht, der findet dies in Zuoz. Das über hundert Jahre alte Hotel Castell ist die stilvolle Trutzburg gegen Kälte und Unterkühltes. Geschichtsträchtiges trifft auf modernes Design und vermischt sich mit spektakulärer Kunst zu einem Gesamtwerk. Die Mode mit den Höhepunkten des Winters darf da nicht zurückstehen: Lässig-elegante Anzüge verwandeln Sie abends in einen Gentleman. In dicken Pullovern, Jogginghosen, Jacken und Parkas trotzen Sie der Wildnis. Auf ins Abenteuer!

BEZUGSQUELLEN SEITE 104

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fashion

1 Rainer: Violettes Hemd mit braunem Kragen, graues Jackett, brauner SeidencrĂŞpe-Schal, hellblaue Hose mit grauem Seitenstreifen. Schwarz-braune Lederstiefelette. Alles Prada. Socken, Falke.


Ob Algenextrakte, Mandarinenaroma oder Mineralwasser – diese acht Produktneuheiten aus dem Parfum- und Groomingbereich sind ein wahrer (Pflege-)Genuss.

Die Pflegelinie «Clinique for Men» vereint dermatologisches Know-how mit der von Männern gewünschten Handlichkeit. Die Feuchigkeitsemulsion «Anti-Age Moisturizer» kontrolliert den Ölglanz auf der Haut und sorgt für ein mattes Finish (ca. CHF 49.–).

Die Labore der Schweizer Marke La Colline setzen neben ausgeklügelten Technologien auch auf Mineralwasser aus den Walliser Alpen. Die Emulsion «Cellular for Men Cellular Revitalizing Care» befeuchtet die Haut und mindert Müdigkeitserscheinungen (ca. CHF 188.–).

Das leicht schäumende «Aktiv-Duschgel» von Weleda Men wirkt mit Zitrusnoten und Bio-Rosmarin belebend und hinterlässt keinen fettigen Film auf der Haut. Vetiver, ein Süssgras aus den Tropen, sorgt für ein holzig-herbes Aroma (ca. CHF 10.–).

Das After-Shave «Aquapower Active Lotion» von Biotherm Homme ist so unkompliziert wie Wasser und so effektiv wie eine Pflege: Panthenol schützt vor dem Feuchtigkeitsverlust der Haut. Thermalplankton unterstützt die Heilung von kleinen Schnittwunden (CHF 58.–).

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