Nord & Süd | Nummer 4 | Ressourcen

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Nummer 4 — 2015

Nord & Süd

Leben, Arbeit, Wirtschaft in Südtirol

Ressourcen



Nummer 4 — 2015   Nord & Süd  Leben, Arbeit, Wirtschaft in Südtirol

Ressourcen


4 Ressourcen sind ein Geschenk

29 Die Abenteuer des Ressourcen-schonen-Man

Der Umweltphilosoph Andreas Weber plädiert dafür, die Welt nicht in Ressourcen zu denken. Ein Ausblick auf das Thema.

Zwischen Stoßlüften und Radfahren versucht der von Jochen Schievink geschaffene Comic-Held die Welt zu retten. Dabei verpasst er den letzten Bus.

Unternehmen

34 Angezogene Handbremse

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Italiens Wirtschaft ist trotz massiver struktureller Mängel eine der stärksten Europas. Warum das so ist, erklärt Ulrike Sauer, die Italienkorrespondentin der „Süddeutschen Zeitung“.

Das Geschäft mit der Endlichkeit

Der Laaser Marmor ist in aller Welt gefragt. Wie geht ein Unternehmen damit um, dass sein Produkt nicht unbegrenzt verfügbar ist? Martin Wittmann, Journalist der „Süddeutschen Zeitung“, hat sich in Laas umge­sehen.

16 „Wir minimieren die falschen Dinge“ Das meint Michael Braungart, Entwickler des Cradleto-Cradle-Konzepts, im Interview mit Chefredakteur Jan Grossarth. Stattdessen brauche es Kreisläufe für technische und organische Materialien.

20 Die Geschichte vom Südtiroler Apfel

37 Über Südtirol nach Italien Simone Treibenreif von der „Südtiroler Wirtschafts­ zeitung“ analysiert den Nord-Süd-Import.

38 Gemeinwohl und Suffizienz Sich mäßigen ist das Motto der Gemeinwohl-Öko­no­ mie. Christoph Lütge, Professor für Wirtschaftsethik, spricht sich dagegen aus.

Leben 41 Schneekönig

Jeder zehnte in der EU produzierte Apfel stammt aus Südtirol. Über diesen Exportschlager sowie Europas erste pestizidfreie Gemeinde berichtet die Journalistin Mona Jaeger.

Georg Eisath hat eine Firma für Schneekanonen auf­ gebaut, ein Skigebiet gekauft und ein Hotel. Er lebt von der Ressource Schnee. Warum es Kunst­schnee braucht, auch wenn es acht Meter im Jahr schneit, erklärt Jan Grossarth in seinem Unter­nehmer­porträt.

26 Ich und die Johannis­beere

49 Selbstvermostung

Der Kolumnist Heinrich Mayer Kaibitsch schreibt über die Übernahme des elterlichen Hofes und die Frage: Was anbauen?

Suhrkamp-Autor Andreas Maier hat in fast all seinen bisherigen Romanen die Wetterau verarbeitet. Ein­ mal schrieb er über Südtirol. Heimat kann ein un­er­ schöpflicher Quell für Geschichten sein.

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Digital ­vernetzt, Material gespart

Carsten Knop, Wirtschafts-Ressortleiter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, sieht in der „Industrie 4.0“ eine Möglichkeit der verbesserten Ressourcen­effizienz.

52 Über Umwege auf den Holzweg Martino Gamper machte zuerst eine Schreiner­lehre, um später am Royal College of Art in London zu studieren. Als Designer bleibt er dem Holz treu, schreibt die Journalistin Anna Soucek in ihrem Porträt.


54 Ganes lässt die Sprache klingen

83 Kann der Staat Innovationen herbeifördern?

Das ladinische Frauentrio begeistert Karl Forster, Teamleiter Kultur der „Süddeutschen Zeitung“ und selbst Musiker. Ganes singen in einer Minderheiten­ sprache, ihr Pop kommt trotzdem beim Publikum an.

Das Buch der Ökonomin Mariana Mazzucato über die Innovationsleistungen des Staates sorgt für Dis­ kus­sion. Die Deutschlandkorrespondentin der „La Stampa“, Tonia Mastrobuoni, analysiert ihre These.

57 Ohne Titel (gut aufgelegt)

86 Räume sind zu gestalten

Die Heftmitte der aktuellen Ausgabe gestaltet die Südtiroler Künstlerin Martina Steckholzer.

Der Architekt Christoph Mayr Fingerle und der Inge­ nieur­biologe Florin Florineth erörtern zusammen mit dem Journalisten Markus Larcher, wie man Wohnraum verdichten und Grünraum erhalten kann. Gelungene Beispiele hierfür liefert der Architekturfotograf David Schreyer.

60 Messner, Moroder, Ötzi –

das Alter ist nur für Erben eine Ressource

Eigentlich sind die Alten unverschämt: Sie wollen nicht mehr sterben! Findet Leo Fischer, der ehemalige Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“.

62 Sprachschule Südtirol Zweisprachige Schilder und Anzeigen an allen Ecken. Man würde meinen, nirgends ließe sich Deutsch oder Italienisch besser lernen als in Südtirol. Verleger Aldo Mazza spricht von einer ungenutzten Ressource.

63 Topologien Walter Niedermayr ist Südtirols renommiertester Fotograf. Seit Jahrzehnten beschäftigt er sich mit alpinen Landschaften und der Präsenz des Menschen darin.

74 Kommen Sie zu uns, wir haben nichts Der Spruch stammt von einem Bergführer. Die Autorin Waltraud Mittich hat ihn auf­ge­griffen und spinnt darum ihre Gedanken zum Thema Berg.

P ER S P E K T I V EN 76 Aula mit Aussicht Von Massenvorlesungen keine Spur: An der jungen, dreisprachigen und gut vernetzten Freien Universität Bozen läuft die Lehre noch so ab, wie sie sollte, stellt die Journalistin Barbara Bachmann fest.

94 Regionalität und Supermarkt – passt das zusammen? Regional ist das neue Bio. Und der verwöhnte Kon­ sument hätte die regionalen Produkte gern ganzjährig im Supermarktregal. Georges Desrues, Journalist und Absolvent der Slow-Food-Universität, fragt sich, ob das funktionieren kann.

97 Wem das Wasser gehören soll Allen! Doch damit ist noch nicht geklärt, ob es ein Gemeingut oder ein öffentliches Gut sein soll. Die Autorin Alessandra Quarta zeigt, dass dies keine juristische Spitzfindigkeit ist, sondern Auswir­kungen auf Kommunen und Verbraucher hat.

98 Das Fortwirken der Vergangenheit Südtirol produziert über 90 Prozent des Stroms mit Wasserkraft und speist diesen ins italienische Netz ein. Dieses lukrative Geschäft baut auf einem Erbe des Faschismus auf, wie Felice Espro, Wirtschafts­ redakteur des „Corriere dell’Alto Adige“, aufzeigt.

100 Quellen zum Rechnen und Staunen Zum Abschluss ein Rückblick aufs Heft von Jan Grossarth in Briefform.


Ressourcen sind ein Geschenk Andreas Weber


Um es gleich vorwegzusagen: Kaum ein Wort hat unser Verhältnis zur Wirklichkeit so sehr vergiftet wie der Begriff „Ressource“. Denn kaum ein Be­ griff prägt stärker unsere Vorstellung erfolgreicher Existenz: Wer über Res­ sourcen verfügt, ist zu beständiger (Selbst-)Optimierung in der Lage. Wie ein­ fach all jenes, was uns am Herzen liegt, als Ressource darstellbar ist! Und wie gut wir damit funktionieren! Die stabile Ehe – Ressource zur Verlängerung der Lebenszeit. Naturerfahrung im Kindergarten – Ressource für die Motorik, die Abwehrkräfte, Kraftfutter für die Abstraktionsfähigkeit kleiner Wissen­ schaftler. Eine naturnahe Brachfläche – Ressource für Ökosystem­dienst­ leistungen (Sauerstoff, Jahreszeiten, Äpfel, Sinnmomente). Natur überhaupt, oder „Vitamin N“, wie es der amerikanische Sachbuchautor Richard Louv nennt – ein notwendiges Spurenelement, um täglich zu funktionieren. Aber lässt sich das, was zu einem glückenden Leben gehört, als Ressource denken? Oder verstehen wir Leben überhaupt ganz falsch, wenn wir ihm mit Nützlichkeit beikommen wollen? Nicht nur unseres, sondern auch das aller anderen Wesen? Birgt womöglich das Katalogisieren und eifrige Abpumpen von Ressourcen eine größere ökologische Bedrohung als Erderwärmung und die gegenwärtige „sechste Aussterbewelle“ der Arten zusammen?

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„Ressource“, das ist ein Begriff, den Ökonomen benutzen. Und weil die Öko­ nomie in Ermangelung eines anderen zum heimlichen Wertesystem gereift ist, neigen wir dazu, auch den Rest der Wirklichkeit von dieser Seite zu betrachten. Welche Ressourcen benötige ich für mein Glück? Wie kann ich sie mir ver­ schaffen? Gefügig machen? Sie einem anderen wegnehmen?

S B L I C K

Das Scheitern des gut gemeinten Wortes „Nachhaltigkeit“ kommt daher. Denn Nachhaltigkeit plädiert dafür, die Welt stärker als Ressource zu be­ trachten und nicht weniger. Nachhaltigkeit stammt aus der Forstwirtschaft. Hier geht es um Erträge. Um Schonung für langfristigen payoff. Um Zwecke, Geldverdienen nämlich, und um ein Mittel dazu, den schönen Wald. Die Rede von Ressourcen im Hinblick auf unser seelisches Gedeihen meint: Das, was sich unmittelbar selbst legitimiert, weil wir unser Sein als Freude oder Schmerz erleben, zu einem Instrument zu machen. Oder global gesagt: Leben zu einem Instrument zu erklären, um etwas zu erreichen, was außer­ halb dieses Lebens liegt, was kein Sein ist, sondern ein Haben. Darin liegt das Totalitäre. Die Lebensgefahr des Ressourcendenkens. Wir ­machen das, was keinen Zweck hat als den, in sich selbst zu sein und 5


aus diesem Sein mit anderen schöpferische Verbindungen einzugehen, zu einem Instrument, um genau diese schöpferischen Verbindungen zu stören. Man kann das Scheitern einer Utopie daran erkennen, dass in ihr Zwecke zu Mitteln werden. Derzeit verwandelt die green economy das Lebendige in eine Dienstleistungsressource und will damit auch noch die Welt retten. Aber man rettet nicht, was man nicht erkennt, und man kann niemanden schützen, den man zugleich benutzt. Ressourcendenken ist die Pointe unseres – gesellschaftlichen und persön­ lichen – Narzissmus. Aber mein Körper ist keine Ressource, mein Körper ist das, was ich bin. Auch die Natur, unser aller gemeinsamer Leib, ist kein Mittel, sondern das, was ich bin – aber auch das, was du bist, der andere Mensch, die anderen Wesen, und was wir alle nur zusammen werden können. Was könnte ein neuer Begriff sein, der unsere Fixierung auf Ressourcen a ­ blöst und der damit endlich wieder das Gute dieser Wirklichkeit im Sein und nicht im Haben lokalisieren würde? Ein Begriff, der etwas die Freude am Augenblick, die unser Existieren immer durchdringt, schmecken lässt? „Geschenk“ vielleicht. Ein Geschenk ist das, was ich erhalte, wenn ich es durch nichts verdient habe. Es ist das, was ich gebe, wenn ich selbst nicht ­genug besitze. Eine Ressource schwindet und muss verteidigt werden. Ein Geschenk wird, wie das Leben, mehr, wenn man es teilt. Andreas Weber (*1967), Biologe und Philosoph, Schriftsteller und Journalist, u. a. für „GEO“, „Greenpeace Magazin“, „Die Zeit“. Deutscher Reporterpreis (Essay) 2011. Aktuelle Buchveröffentlichung: „Lebendigkeit. Eine erotische Ökologie“, Kösel, 2014. Weber lebt in Berlin und in der Nähe von Genua.

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Doch ist er erstmal unten, der Marmor, überwältigt er. Massiv und weiß, nichts als weiß, als wäre er vom Himmel gefallen und nicht mit Stahlseilen und Quarzsand aus dem Bruch am Jennwandstock herausgesägt. A u s d e r Re p o r t age ü b e r de n Mar mo rabbau in L aas, ab S. 8

Ich traf mal jemanden in Indien. Den fragte ich: Was isst du am liebsten? Er sagte: Erdbeeren. Eine im Jahr. Sa g t C ra d l e - to - C ra dle -Er f in de r Mic h ae l B rau n gar t im I nte r v ie w, ab S. 16

Das Ausbringen von EU-weit zugelassenen Pestiziden ist nun verboten. Mals könnte zum Vorzeige-Ökodorf werden. A u s d e r Ge sc h ic hte vo m Sü dtiro le r A pfe l, ab S. 20

Pizzabäcker? Italien gehört zu den führenden Ländern in der Realisierung von Infrastrukturprojekten und ist derzeit an 1.000 Großbaustellen in 90 Staaten der Erde aktiv. Di e Ko r re s p o n d e nt i n d e r „Sü dde u t sc h e n Ze itu n g“ r ü c k t das I t alie n bild z u re c ht , ab S. 3 4

Unternehmen

Erfahren Sie außerdem mehr über • eine Hofübernahme mit Johannisbeeranbau, ab S. 26 • das Anrollen der nächsten industriellen Revolution, ab S. 27 • die Abenteuer von Ressourcen-schonen-Man, ab S. 29 • Südtirol als Importeur deutscher Markenprodukte, ab S. 37 • die Ethik des Wettbewerbs, ab S. 38


Das Geschäft mit der Endlichkeit

Text  Martin Wittmann Fotografie  Amadeus Waldner & Gerwald Wallnöfer


Der Laaser Marmor ist so rein und schön, dass er auf der ganzen Welt begehrt ist. Ein Großauftrag für Ground Zero in New York beschäftigt das Abbauunternehmen noch für Jahre. Doch wie geht es dann weiter? Di e Re p o r t ag e au s L a as

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Die nächste Lieferung ist schon unterwegs. Ein kleiner Wagen mit heller Ladung ist zu erkennen auf den Gleisen, die steil und schnurgerade am Berg liegen und direkt hierher ins Tal, ins Marmorwerk führen. Der Wagen kriecht die Schrägbahn herunter, einen Meter legt er pro Sekunde zurück, 474 Höhenmeter bei 62,4 Prozent Ge­fälle. Um die Bahn herum sind kaum berührte Wälder zu sehen, eine idyllische Bergwelt im Nationalpark Stilfser Joch. Dazwischen wirkt der kleine Wagen mit seinem weißen Rucksack wie eine hingeklebte Spielzeugeisenbahn. Doch ist er erstmal unten, der Marmor, überwältigt er. Massiv und weiß, nichts als weiß, als wäre er vom Himmel gefallen und nicht mit Stahlseilen und Quarzsand aus dem Bruch am Jennwandstock herausgesägt. Rein und gleißend liegt der mächtige Stein in der Vinschgauer Sonne und reiht sich ein ins Freiluftlager der Lasa Marmo GmbH, Block an Block. Nun fühlt man sich selber klein im Schatten der luxuriösen Würfel. Wer klotzen statt kleckern will, findet im Vinschgauer Nörderberg jedenfalls die passenden Klötze. Vom Nörderberg aus betrachtet liegt die Laaser Mar­ morinsel im Apfelbaummeer wie eine strahlende Insel – eine, die vielleicht zu schön strahlt? Kann man hier wo­­ möglich blind werden wie ein Bergsteiger in der Schnee­ landschaft, kann man zu viel von dem Schatz wollen wie ein Kind, das nach immer mehr Zucker verlangt, kann man übergeschnappt werden wie ein Kokser, der eine Überdosis nimmt? Prosaischer gefragt: Vergisst man bei all der verschwenderischen Schönheit womöglich, dass das weiße Gold endlich ist? Wie viel Wahrheit steckt dann noch in dem Versprechen, mit dem das Unternehmen wirbt: „Lasa Marmo ist Zukunft!“? Zumindest eine Antwort ist recht schnell gefunden: Die Mitarbeiter der Lasa Marmo GmbH bekommen vom Arbeitgeber eine Sonnenbrille gestellt. Um die Augen muss man sich schon mal keine Sorgen machen. Die Suche nach den anderen Antworten ist schon schwieriger, sie führt von Laas über Bozen nach New York, sie erzählt von Krieg und von Frieden und sie beginnt vor immerhin 400 Millionen Jahren.

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Der Abbau des Laaser Marmors erfolgt in einem Nationalpark und daher mit umweltschonenden Seilkränen und Schrägbahnen. Fotos dieser Doppelseite: Amadeus Waldner

Dass diese Geschichte derart früh beginnt, ist wichtig und liegt wortwörtlich in der Natur der Sache. Das Marmormassiv entstand bei der Verschmelzung zweier uralter Kontinente: Gondwana auf der Südhalbkugel mit dem nördlichen Laurasia. Dabei wurde im heutigen Nordafrika gelagerter Kalkstein in die entstehende Nordostflanke der Ortlergruppe gepresst; durch den Druck dieser Land­ bewegung und die geschätzten 600 Grad Hitze wurde aus Kalkstein metamorphes Gestein, der Marmor. Weiß man von seinem Alter und den Umständen seiner Entstehung, wirkt der Stein noch wertvoller als er seinen Käufern ohnehin schon erscheint. „Wir verlangen einen stolzen Preis“, bestätigt Georg Lechner und sieht dabei nicht verschämt aus, sondern genau: stolz. Der Preis für den Kubikmeter Marmor habe sich in den vergangenen 13 Jahren nahezu verdoppelt, sagt er. 4.000 bis 5.000 Euro koste der Kubikmeter heute, die reinste Sorte mit 98 Prozent Calciumcarbonat bis zu 15.000 Euro. Lechner sitzt bei einem kleinen Radler in einem schattigen Biergarten in Bozen. Vor Kurzem hat er seinen Posten

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An die 20 Tonnen wiegen die Marmorblöcke. Zu Tal transportiert werden sie über die Schrägbahn der Laaser Marmorwerke. Die Leipziger Firma Adolf Bleichert & Co. baute sie bereits 1929 und seitdem überwindet sie 483 Meter Höhendifferenz. Nun soll sie gar in die Liste des Unesco-Welterbes aufgenommen werden. Fotos: Amadeus Waldner

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C H A N C Anfangs wurden die Blöcke durch Bohrungen und mit Eisenkeilen aus der Wand gebrochen, dann wurde trotz hoher Material­ verluste ­gesprengt. Seit den 1930er-Jahren wird gesägt, heute mit modernsten Diamantseilsägen. Foto: Gerwald Wallnöfer

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als Geschäftsführer des Unternehmens an einen Mitarbeiter übergeben. „Den Vertrag mit New York habe ich aber noch unterschrieben“, sagt er und meint damit einen spektakulären Großauftrag aus dem Jahr 2013, von dem das Unternehmen immer noch zehrt: Mit dem Laaser Marmor wird gerade die neue U-Bahn-Station Ground Zero in New York ausgekleidet. „Der Auftrag macht derzeit 60 Prozent unserer Produktion aus“, sagt Lechner. Lechner, Anfang 50, hat einen bedeutenden Namen in der Branche, ist er doch ein Nachkomme des berühmten Marmor-Lechners. Sein Urgroßvater forcierte einst den Abbau in jenem Weißwasserbruch auf 1.567 Meter, der heute noch die Lagerfläche der Lasa Marmo GmbH im Tal nährt. Im Jahr 1883 leistete Josef Lechner hier industrielle Pionierarbeit – ein halbes Jahrhundert, bevor die Gegend zum Nationalpark erklärt wurde. „Der Abbau gehört zum Park dazu“, sagt in Glurns Hanspeter Gunsch, der Außenamtsleiter des Schutzgebietes. Die Leute in Laas seien stolz auf den Marmor „und auf den Weltruhm, den er erreicht hat.“ In Laas gibt es nicht nur Brunnen und Grabsteine aus Marmor, selbst das Straßenpflaster ist streckenweise damit veredelt. Die Konstellation in der Umgebung stellt allerdings eine Herausforde-

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rung dar: Auf der einen Seite steht eine Parkverwaltung, die schädliche Eingriffe in die Umwelt verteufelt, auf der anderen Seite ein Unternehmen, ja eine Ortschaft, die von diesen Eingriffen lebt. „Aber wir versuchen miteinander statt gegeneinander zu arbeiten“, sagt Gunsch. So schonend wie möglich sollen der Abbau und vor allem der Abtransport des Marmors vonstatten gehen. Die Marmorbahn sei da sehr hilfreich, „ein technisches Meisterwerk“, sagt Gunsch. Die Bahn wurde 1929 gebaut – und sie läuft immer noch mit Originalteilen. Vor allem aber wirbelt sie im Gegensatz zu Lastwagen keinen Staub auf, sie fährt zudem leise, und ihre Gleise brauchen im Winter nicht gestreut zu werden. Georg Lechner ist ein Fan die­ses treuen Oldtimers, der gar auf der Unesco-Welterbeliste landen könnte: „Ich habe mich immer dafür eingesetzt, die Bahn zu behalten, trotz der Nachteile.“ Damit gemeint sind die Kosten. Zwei Verkehrsstudien habe das Unternehmen dazu an der Universität Trient in Auftrag gegeben, sagt Lechner. Das Ergebnis darf als weltwirtschaftlich all­ gemeingültig gelten: Der Lkw-Transport wäre günstiger, der Bahntransport ist umweltverträglicher. Lechner, heute noch als Berater und kleiner Anteils­ eigner mit dem Unternehmen verbunden, fährt fort mit der langen Geschichte des Unternehmens, die doch,

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aus der Nähe Triests in den Betrieb ein. Jahrzehntelang führten die auswärtigen Italiener die Laaser Geschäfte – bis sich Georg Lechner, eher Lebemann denn Ehr­ geizling, Anfang der 1990er-Jahre doch noch seiner geerbten Bruchrechte besann und dazu eine marmorschwere Portion Glück hatte.

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und auch das ist wichtig, um so viel kürzer ist als die des Marmors. Josefs Sohn Julius sollte damals den Betrieb übernehmen, doch er fiel früh im Ersten Weltkrieg. Sein Bruder, Josef jun., sprang ein, und es begann das Kapitel, das in Hansjörg Telfsers Chronik „Marmor. Spurensuche“ überschrieben ist mit: „Der schleichende Niedergang des Imperiums“. Josef jun. hätten die handwerklichen wie die wirtschaftlichen Fähigkeiten seines Vaters gefehlt, steht da. Am Ende sollte er das Marmorgeschäft gänzlich aufgeben und Bauer werden. Bruchrechte wurden danach zwar innerhalb der Familie weitervererbt, aber es fehlte den lieben Verwandten an Einigkeit und auch an Glück. Nach diversen historischen Irrungen und Wirrungen kaufte sich 1962 die Aktiengesellschaft Cava Romana

Lechner erzählt im Biergarten: „Damals hatte ich eine ­eigentlich erfolgreiche Marmorwerkstatt, aber ich hatte mich mit dem Management und Marketing übernommen. Ich war mit meinen Produkten auf einer Messe in der Schweiz, es war ein letzter Versuch. Finanziell ging es mir gar nicht gut, und am Schlusstag dachte ich mir: ,Scheiß der Hund drauf, mit dem letzten Geld geh’ ich mit meiner Crew aus‘. Ich fragte einen Messebe­ sucher nach einem guten Club in Basel. Weil sich dabei schnell herausstellte, dass wir beide den gleichen ­Musikgeschmack haben, kamen wir ins Gespräch. Ich erzählte dem Mann von den Bruchrechten.“ Der Mann war der Schweizer Medien­unternehmer Bernhard ­Burgener. Zusammen gründeten die beiden Männer 1992 die ­Lechner Marmor AG – Bur­gener besorgte das nötige Kapital, Lechner brachte die Bruchrechte, die Marke „Laaser Marmor“ und seinen berühmten Namen ein. Später über­­nahm die Lechner Marmor AG die Lasa Marmo GmbH. Laas und Lechner waren end­gültig wieder vereint. Weil der Laaser Marmor so weiß wie kein anderer strahlt, ist er keiner Mode unterworfen, zudem ist er nicht sehr wetterfühlig. Diese beiden Charakteristika sind es, die

Ein ganzes Stollenund Bruchhallen­ system durchzieht heute den Berg. Die Hallen sind etwa 40 Meter hoch, über 100 Meter lang und 30 Meter breit. Ist ein Marmorblock erst im Freien, wird er auf den Seilkran verladen, der ihn scheinbar mühelos zur Bergstation der Schrägbahn bringt. Fotos dieser Doppelseite: Amadeus Waldner

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Der Marmor wird zu Fliesen, Fensterbänken oder Fassadenverkleidungen weiterverarbeitet; gefragt ist er auch bei Bildhauern. Foto oben: Amadeus Waldner, unten: Gerwald Wallnöfer

das Südtiroler Produkt von dem der anderen Marmor­ brüche in Südeuropa, in der Türkei, in Amerika und in Asien unterscheiden – und die den Südtirolern ein wenig den Druck nehmen, mit den deutlich billigeren Angeboten der internationalen Konkurrenz mitzuhalten.

So wurde der Südtiroler Stein über Jahrhunderte aufwendig in die weite Welt hinausgetragen, und dort steht er immer noch wacker. Eine beeindruckende Weltkarte, die vor dem Werk steht, zeigt die wichtigsten Exporte des ­Unternehmens an: etwa das Queen-Victoria-Memorial vor dem Buckingham Palast, die Löwen vor der Feldherrenhalle in München, die Scheich-Zayid-Moschee in Abu Dhabi; die 86.000 Kreuze beziehungsweise Davidsterne der amerikanischen Soldatenfriedhöfe auf der ganzen Welt. Und nun also die Großbestellung für den New Yorker Ground Zero. Die habe dem Unternehmen 25 Millionen Euro eingebracht, sagt Lechner. Die Zahl der Mitarbeiter stieg auch dadurch von 35 im Jahr 2008 auf 80 in diesem Jahr. Zwei Jahre zehre das Unternehmen noch von dem Coup, was danach komme, sei zwar noch nicht ganz klar, aber keinesfalls unsicher. „Um Folgeaufträge müssen wir uns nach so einem Prestigeprojekt wohl keine Sorgen machen“, sagt Lechner. Noch eine Sorge weniger. Erstmal. Aber wie lange wird das noch so funktionieren mit der Planung von Großauftrag zu Großauftrag? Wie sieht die langfristige Vision aus? „Geologen schätzen das hiesige Vorkommen reinen, weißen Marmors auf 30 bis 50 Millionen Kubikmeter“, sagt Lechner. „Davon werden noch

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In den Werkshallen entstehen derzeit Platten für die U-Bahn-Station und Empfangshalle des Ground-Zero-Areals in New York. Foto: Amadeus Waldner

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­ enerationen leben können. Und danach wird vielleicht G mal ein Museum draus.“ Aus familienbetrieblicher Sicht mag das einigermaßen nachhaltig klingen. Verglichen mit den 400 Millionen Jahren, die der Marmor hier sitzt, ist die Zeit, die ihm noch bleibt, allerdings nur ein Wimpernschlag. „Irgendwann wird der Berg alles hergegeben ­haben“, sagt Hanspeter Gunsch vom Nationalpark. „Und man muss bedenken, dass Südtirol sonst nicht viele ­Rohstoffe hat.“ Deswegen versuchten alle Beteiligten, am Berg so schonend wie möglich zu arbeiten. „Wir entwerfen gemäßigte Abbaupläne, die einen Raubbau verhindern sollen und die Stabilität des Berges garan­tieren.“ Der Berg muss es aushalten können, dass nebeneinander und übereinander im Massiv hallengroße Löcher klaffen: 40 Meter hoch, mehr als 100 Meter lang und 30 Meter breit. Der Marmorsand, der bei der Verarbeitung im Werk entsteht, wird wieder hierher zurückgeführt. Wie ein Danke­schön für das viele edle Material, das man dem Berg tonnenweise entnimmt.

zählt auf: Zu viele Konzessionen, zu viele Unternehmen, verheerende Preiskämpfe, kaum Auflagen für den Naturschutz, Hunderte Lkw auf den Straßen, durch­löcherte Berge, „und nach Schätzungen von Geologen geht ihnen in weniger als 50 Jahren der Marmor aus“. So desolat steht es mitnichten um die Brüche der Lasa Marmo. Aber auch hier gibt es Streit, mit den lokalen Konkurrenten aus Göflan. Es geht vor allem um Fragen des Transports, also um Göflaner Lkw und die Laaser Bahn. „Ich mache mir da schon Sorgen“, sagt Lechner bei seinem zweiten Radler. Wer will es ihm verdenken – wie auch immer sich die öffentliche Verwaltung entscheiden wird, davon hängt die Gegenwart und auch die nähere Zukunft des Unternehmens ab; weltgeschichtlich betrachtet aber ist diese Sorge natürlich: ein Luxusproblem.

Martin Wittmann (*1979), seit 2009 freischaffender Journalist in München, in erster Linie für die „Süddeutsche Zeitung“. Aktuelle Buchveröffentlichung: „Total alles über Bayern“, Folio Verlag, 2014.

Als abschreckendes Beispiel gilt den Umweltschützern wie den Unternehmern die Entwicklung der berühmten Marmorstadt Carrara. „Ein Trauerspiel“, sagt Lechner und

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Michael Braungart „Wir minimieren die falschen Dinge“ Text  Jan Grossarth Illustration  Paula Troxler

Michael Braungart ist Chemiker und ­auto­didaktischer Umweltphilosoph. Sein Konzept für die ­Zukunft: Abfälle vermeiden. Er erklärt, warum sein Konzept Cradle to C ­ radle, von der Wiege zur ­Wiege, mit gängigen Begriffen von Nachhaltigkeit wenig zu tun hat. Und weshalb grüne ­Symbol­politik der ­Umwelt mehr schadet als nützt. Ei n G e s p rä c h ü b e r d ie Unmö g lichkeit ab soluter Nachhaltig keit

Nach diesem Gespräch, das etwa zwei Stunden gedauert hatte, fragte ich Michael Braungart, an welche Adresse ich den fertigen Text zur Abstimmung schicken solle. Das ist so üblich im Fall von Interviews, die im Wortlaut veröffentlicht werden. Er sagte, das müsse gar nicht sein. „Da vertraue ich Ihnen.“ Solche Großzügigkeit ist ganz unüblich und dürfte ein Zeichen von bemerkenswerter Uneitelkeit sein. Herr Braungart, Sie waren Ende der 1980er-Jahre auch mal bei den Grünen. Ja, ganz kurz. Wie ist Ihr Blick auf die Partei heute? Die machen nur Symbolpolitik. Sie tun nur so, als ob. Für mich sind die Leute, die nur so tun, problematischer als die, die gar nichts tun. Weil sie nur die Illusion vermitteln, es täte sich was. Die Grünen machen Symbolpolitik? Ja. Zum Beispiel das Glühbirnenverbot. Da gäbe es effektivere Maßnahmen, aber die wären nicht populär. Wenn man

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festlegen würde, dass Frauen im Winter eine Krawatte tragen müssen, würde das zum Beispiel mehr bringen als jedes Glühbirnenverbot. Dann können Sie die Raumtemperatur um zwei Grad senken, das spart viel mehr Energie ein. Das ist nicht realistisch. Also lieber gar keine ­Verbote? In den Vereinigten Staaten sind wir mit unserem Konzept Cradle to Cradle deswegen so populär geworden, weil ​ es George W. Bush gab. Der hat gesagt: Ich bin ein Idiot und ich tue nichts. Da wusste immerhin jeder, wie man dran ist. Und was tun Sie für die Umwelt? Wir haben zum Beispiel ein Papier entwickelt, das man wirklich ganz kompostieren kann. Das hat 18 Jahre ge­ dauert. Denn wenn Sie eine normale Zeitung verbrennen, ist die Asche so verseucht, dass Sie die nicht mehr als Dünger in der Landwirtschaft verwenden können. Die Farbstoffe, die Additive sind nie für biologische Kreisläufe entwickelt worden. Heute gewinnt man die Fasern, knapp die Hälfte, zurück – und den Rest gibt man als Schlämme in Zementwerke. Unser Papier ist frei von Gift.

Wir minimieren die falschen Dinge

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Der ideale Kreislauf des Cradle to Cradle: Alle Bestandteile eines Produkts werden wiederverwendet oder sind abbaubar.

In Form eines Umweltpapiers mit Rote-BeeteFarbe? Ach was, nichts da natürliche Farben! Die am stärksten Krebs erzeugenden Stoffe sind Naturstoffe. Etwa Schimmelpilze. Uns geht es nicht darum, die Natur zu romantisieren. Die Natur ist nicht harmlos, aber sie ist auch nicht dumm. Wir können von ihr lernen. Einer der Hauptgründe, warum wir die Natur zerstören, ist, dass wir sie zuerst romantisieren. So wie Prinz Charles, der fragt: What did we do to Mother Earth? Oder Vandana Shiva. Doch das macht uns als Menschen klein. Und deswegen wehren wir uns dagegen. Die Natur ist nicht unsere Mutter, sie ist unsere Partnerin. Der promovierte Chemiker arbeitet seit mehr als 30 Jahren am Konzept einer abfallfreien Wirtschaft. Und vor allem an dessen Umsetzung. Unter dem Schlagwort

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Cradle to Cradle geht Braungart der Frage nach: Wie kann man wirtschaften, ohne dass am Ende Müll übrig bleibt? Von der Wiege bis zur Wiege – dieses Bild meint geschlossene Stoffkreisläufe in allen Bereichen. Braungart will alle Stoffe in biologische und technische Kreisläufe trennen. Was sich abnutzt, also in der Erde, im Meer oder in der menschlichen Lunge verbleibt, solle abbau- und essbar sein. Zum Beispiel Autoreifen, Kinderspielzeug. Technische Komponenten sollen so zerlegbar sein, dass alle Einzelteile neu verbaut werden können. Braungart will nicht weniger erreichen als eine „neue industrielle Revolution“. Alles, sagt Braungart, „müssten wir konsequent in Nährstoffen denken“. Die Ameisen, erzählt er gern, hätten auf der Welt eine vielfach so große Biomasse wie die Menschen. Ihr Überleben stelle aber niemand wegen der Ressourcenknappheit oder des Klimawandels infrage. Denn sie verursachen keinen Müll.

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Dass die Natur nicht nur gut ist, sieht man zum ­Beispiel an der Jahreszeit Winter. Ja, sie ist nicht freundlich zu uns. Die natürliche Lebenserwartung lag in vorindustriellen Gesellschaften bei 30 Jahren. Dass wir älter wurden, liegt an Ingenieuren, Medizinern, Chemikern, Biologen, Hygienikern. Driftet der Zeitgeist von einem Extrem ins andere – vom Wachstumsfetisch in eine Romantisierung? Wer heute noch den Kapitalismus verteidigt, muss schon mutig sein. Und Forschungsgeld vom Staat gibt es für die populäre Postwachstumsökonomie. Es ist viel schlimmer. Frankfurt zum Beispiel will 2040 klimaneutral sein, Kopenhagen schon 2025. Das können Sie aber nur sein, wenn Sie tot sind. Kein Baum ist klimaneutral. Wir wollen also dümmer als Bäume sein. Kein einziger Baum minimiert seinen carbon footprint. Wir wollen alles minimieren. Wir kasteien uns und sagen: Es wäre besser, wir wären gar nicht da.

Konsumieren wir Menschen zu viel? Ja, aus Angst. Ich habe mir viele Naturvölker angeschaut. Menschen sind an sich immer großzügig und freigiebig, wenn sie sich sicher und geschätzt fühlen. Wenn wir unsicher sind, raffen wir an uns. Das ist ein Symptom von Unsicherheit. Dann sagen wir aber: Scheißüberbevölkerung! Erkennt man ängstliche Leute an ihrem dicken Bauch? Man erkennt sie daran, dass sie immer versuchen, Dinge an sich zu raffen. Alle möglichen Dinge. Konsumieren wir nicht auch aus Lust? Natürlich! Ich traf mal jemanden in Indien. Den fragte ich: Was isst du am liebsten? Er sagte: Erdbeeren. Eine im Jahr. Das wäre mir zu selten.

Mögen Sie das Wort Nachhaltigkeit? Wenn Ihre Freundin Sie fragt: Wie geht es dir? – Antworten Sie dann: nachhaltig? Herzliches Beileid dann! „Komposchtierbar“, würde Wolfgang Grupp von Trigema auf Schwäbisch sagen. Ein „komposchtierbares“ T-Shirt. Ich bin ja schon kompostierbar geboren. Also, naja, das ist ja gerade das Minimum. Innovation kann nicht nachhaltig sein! Darüber hinaus fängt der Spaß doch erst an. Alle Welt redet von Nachhaltigkeit. Das hat ja schon vor 300 Jahren begonnen, und das hatte auch seinen Zweck. Der deutsche Wald musste romantisiert werden, um ihn zu retten, denn er war fast abgeholzt. Dann musste Goethe dichten: Über allen Wipfeln ist Ruh – die ganze deutsche Romantik wäre ohne die Nachhaltigkeitsgeschichte nicht denkbar gewesen. Dann wurde aufgeforstet, das war eine Riesenkulturleistung. Die Ideologie war wichtig, weil man sonst keine Motivation gehabt hätte, einen Baum zu pflanzen. Dann aber musste man den Wald dämonisieren, um ihn zu schützen vor den Bauern und dem Vieh, das die Eicheltriebe abfraß. Hänsel und Gretel mussten also in den bösen Wald rein, mit dem Wolf und so. Was können wir heute vom Wald lernen? Wald ist die einzige Wirtschaftsform, die Boden aufbaut. Selbst Demeter-Landbau zerstört den Boden. Denn es gibt kein Biosiegel, das erlaubt, dass unsere eigenen Exkremente wieder dem Boden zugeführt werden. So schuldig fühlen wir uns: Es kann nur bio sein ohne uns.

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Das macht die Einmaligkeit aber erst aus. Jeden Tag Erdbeeren zu fressen oder Kaviar, das ist doch jämmerlich. Es ist auch einfach dumm, so viel Rindfleisch zu essen. Das ist die ungesündeste Form von Eiweiß. Das heißt aber nicht, dass man nicht mal ein Steak essen darf. Insekten wären viel gesünder. Mit Tiermehl müsste man Würmer füttern und diese essen! Oder Algen. Natürlich. Braungart, Professor an den Universitäten Rotterdam und Lüneburg und auch selbständiger Unternehmensberater, hat Bewunderer auf der ganzen Welt: in der Nachhaltigkeitsszene, in der Politik und auch der Wirtschaft. In Amerika und China ist er bekannter als in seinem Heimatland Deutschland. Dort verkauft er Millionen von Büchern, in China so viele wie kein Deutscher sonst außer Karl Marx, meint er. Braungart hält nicht nur Vorlesungen und Vorträge. Eines seiner Büros in Amerika zertifiziert Cradle-­to-Cradle, kurz C2C-Produkte. Dafür gibt es viele Beispiele: Der Stifthersteller Stabilo hat schon essbare Buntstifte nach diesem Konzept entworfen, es gibt ess­ bare Flugzeugsitzbezüge und zertifizierte Bürostühle, deren Bauteile sich wieder verwerten lassen und deren Abriebteile biologisch abbaubar sind. Die meisten zertifizierten Produkte sind Textilien, etwa Teppichböden für Büros, Stofftiere, Sportkleidung; es gibt auch Dämm­ stoffe, Reinigungsmittel, Bierdosen, Druckfarben, Spülmittel. Aber es gab auch Rückschläge. Der Sportartikelkonzern Puma nahm einen kompostierbaren Turnschuh ins Programm und wollte seine ganze Produktion auf C2C umstellen, doch nach einem Führungswechsel ruderte er zurück.

Wir minimieren die falschen Dinge

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Ist die Zukunft schwarz? Die Welt wird nicht untergehen. Aber im schlimmsten Fall kannibalisieren wir uns und werden wieder zwei Milliarden Menschen auf der Welt. Das passiert, wenn wir so weitermachen. Wir sind auf dem Weg. In den Firmen gibt es schon lange keine Personalabteilungen mehr, sondern menschliche Rohmaterialabteilungen. Oder lesen Sie den BASF-Nachhaltigkeitsbericht. Erstes Kapitel: Natürliche Ressourcen – wie viel Wasser wurde eingespart, wie viel Rohstoffe, wie viel Öl. Zweites Kapitel: Human Resources. Immer die gleiche Logik: Wo kann ich minimieren? Ist das Sparen nicht eine Tugend? Wenn Dinge selten sind, ist eine Effizienzstrategie ­ge­boten. Natürlich. Aber das sollte man nicht auf alles über­tragen. Zum Beispiel wäre es dann nutzlos, Treppen zu steigen. Eine Vegetarierin, die Treppen steigt, braucht fünfmal mehr Energie, als wenn sie mit dem Aufzug fährt. In dieser Logik müsste derjenige, der die Umwelt schützen will, auch immer Zug fahren. Oder am besten einfach sterben. Wir minimieren die falschen Dinge. Alles, was im Leben schön ist und lebenswert, ist meist verschwenderisch und nicht effizient. Um ein Baby zu zeugen, ­pro­­duziert der Körper nicht einen Samen, sondern zig ­Millionen. Wir begreifen aber zu lange schon selbst die Menschen als Rohmaterialien. Wir müssten die Menschen aber als Allererstes feiern für ihre Fertigkeiten und nicht sagen: Scheißüberbevölkerung. Die Leute weiden sich am Weltuntergang.

sein. Die Verschleißdinge müssen für die Biosphäre geeignet sein. Und technische Teile müssen einen eigenen Stoffkreislauf bilden, wiederverwertbar für neue technische Geräte. So gesehen, ist es nicht gut, dass die Biolandwirtschaft mit Kupfer Schädlinge bekämpft. Ja, der Kupfergehalt im Kompost nimmt exponentiell zu. Aber auch deshalb, weil die Geflügelindustrie ihre Hähnchen mit Kupfer füttert, um ihre Darmflora zu zerstören und die Tiere drei Tage früher schlachten zu können. Dafür wird die ganze Biosphäre mit Kupfer verseucht. In China setzen sie Arsen ein. Deshalb sieht das Hähnchenfleisch dort so rosa aus. Sie haben Hunderttausende Bücher verkauft, beraten Unternehmen und Regierungen, doch Ihr Konzept ist weit entfernt vom Durchbruch. Was stimmt Sie dennoch optimistisch? Zwischen der Erklärung der Menschenrechte in Frankreich bis zum Frauenwahlrecht in Deutschland sind 130 Jahre vergangen. Von der Erkenntnis zur Implementierung braucht es wahnsinnig viel Zeit. Es braucht Geduld.

Michael Braungart (*1958), Studium der Chemie und Verfahrens­ technik, Professor an der Erasmus-Universität Rotterdam, G ­ e­­schäftsführer der EPEA Internationale Umweltforschung GmbH in Hamburg und wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Um­welt­ instituts. Aktuelle Buchveröffentlichung: „Intelligente Verschwen­

Gibt es zu viele Menschen?

dung: The Upcycle: Auf dem Weg in eine neue Überflussgesell­ schaft“, zusammen mit William McDonough, Oekom-Verlag, 2014.

Nein. Die Ameisen auf der Welt entsprechen in ihrem Kalorienverbrauch etwa 30 Milliarden Menschen. Das heißt, wir sind nicht zu viele. Wir sind nur zu blöd. Sobald sich die Menschen sicher fühlen, haben sie ­außerdem auch nicht mehr so viele Kinder. Sie haben in ­Entwicklungsländern so viele Kinder aus Angst. Wenn das In­dividuum „gepampert“ wird, wo der Mensch sich ­sicher fühlt, wie bei uns, kriegt er auch weniger Kinder.

Jan Grossarth (*1981), Studium der Volkswirtschaftslehre, Wirt­ schaftsredakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Dort verantwortlich für die Reportage-Seite „Menschen und Wirt­ schaft“. Unter anderem Axel-Springer-Preis, Medienpreis Politik des Deutschen Bundestages. Nächste Buchveröffentlichung: „Vom Land in den Mund. Warum sich die Nahrungsindustrie neu erfinden muss“, Nagel & Kimche, 2016.

Was können wir von den Ameisen lernen? Ameisen produzieren keinen Abfall. So haben Sie es vor mit der Weltwirtschaft: kein Abfall, geschlossene Stoffkreisläufe für Technik und organische Materialien. Ja. Wir müssen nicht die Dinge frei von irgendwas machen, sondern wir müssen sie gut machen. Alle Dinge, die verschleißen und kaputtgehen wie Autoreifen, Schuhsohlen, Bremsbeläge, müssen wieder biologisch nützlich

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Jan Grossarth

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Die Geschichte vom Südtiroler Apfel

Text  Mona Jaeger Fotografie  Franziska Gilli

Südtirol ist stolz auf seine wirtschaftliche Kraft – und die hat viel mit Äpfeln zu tun. Jede zweite Frucht geht ins Ausland. Doch der Verkauf am Weltmarkt wird ­schwieriger, die Kundenwünsche auch. Die Zukunft des Apfels enthält weniger Pestizide, erstaunlich viel Wissenschaft und ein paar Prozent Alkohol. E ine Reise d urchs A nb aug eb ie t

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Die Geschichte vom Südtiroler Apfel

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So. Ein Apfel also. Da ist man überrascht. Immerhin hatte Christine Schönweger gesagt, sie würde uns nun eines der vielseitigsten, spannendsten, innovativsten Produkte Südtirols zeigen. Es ist ja nicht so, als würde man den Apfel nicht auch nördlich der Alpen kennen. Und er heißt dort genau so: Pink Lady, Braeburn, Golden Delicious. Also, Frau Schönweger, was ist bitte so toll am Südtiroler Apfel? Die dunkelhaarige Frau im weißen Polohemd hält sich nicht lange auf mit historischen Betrachtungen. Sie steht auf ihrer Apfelplantage, inmitten der Bäume, die schon Blüten, aber noch keine Früchte tragen, und sprudelt gleich los: „Schauen Sie nach oben. Hier scheint die Sonne so kräftig und so lang wie an kaum einem anderen Ort.“ Ohne Zweifel ist es hier, in Partschins, in der Mitte von Südtirol, sehr schön. Jetzt, im Frühjahr, bilden die Apfelblüten links und rechts der Straße an den Hängen ein weißes, schier unendliches Meer. Ein leichter Wind wogt beständig durch dieses Meer. Südtirol hat vor allem zwei Dinge zu verkaufen, und die verkaufen die Menschen hier geschickt: die Landschaft und die Äpfel.

Apfelbäuerin Christine Schönweger (links) führt Gäste durch ihre Apfelplantage und erklärt, welche Arbeitsschritte im Laufe des Jah­ res notwendig sind, damit im Herbst die Ernte eingefahren werden kann.

Der Apfel ist der Exportschlager der Region. Auf rund 18.400 Hektar werden Golden Delicious, Granny Smith und Co. angebaut, das sind 2,5 Prozent der Gesamtfläche Südtirols. Die Strukturen sind dabei auch über die vielen Jahrhunderte des Anbaus kleinteilig geblieben: Es gibt etwa 8.000 Obstbauern in Italiens nördlichster Provinz, die jedes Jahr insgesamt eine Million Tonnen Äpfel ­ernten. Nur die Hälfte der Ernte bleibt in Italien, der Rest wird exportiert. Deutschland ist der größte Abnehmer, 30 Prozent der ausgeführten Früchte gehen dorthin. Auch die anderen Länder der Europäischen Union sind wichtige Handelspartner – und Russland. Zumindest war es das. Als aber die Europäische Union Sanktionen gegen das Land verhängt hatte, ist der Handel ins Stocken geraten. Etwa zehn Prozent weniger konnten die Bauern plötzlich absetzen. Darüber reden die Bauern in Südtirol nicht gerne. Denn sie verkaufen mit ihren Äpfeln ein Lächeln, ein Versprechen von Sonne, Entspannung und Leichtigkeit. Das gehört zum Konzept. Um die Weltpolitik mögen sie sich nicht auch noch kümmern. Aber diese Krise hat Südtirol, das so viel Wert legt auf seine Eigenständigkeit, gezeigt, dass es sich nicht vom Lauf der Welt abschotten kann. Mancher Apfelbauer sagt jetzt: Wir müssen weg von der Monokultur der Äpfel und nach weiteren Früchten und Getreiden Ausschau halten. Das meint auch Apfelbäuerin Christine Schönweger. Dennoch: „Die Voraussetzungen für den Apfelanbau sind hier eben besonders gut.“ Das heißt konkret: 2.000 Sonnenstunden bekommt hier jeder Apfel im Durchschnitt ab.

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Mit rund 18.400 Hektar Anbau­ fläche ist Südtirol das größte geschlossene Apfelanbaugebiet der EU. Die jährliche Ernte liegt bei fast einer Million Tonnen. Besonders in den Tallagen werden seit den Flussregulierungen Ende des 19. Jahrhunderts Äpfel an­ gebaut. Ideale Bedingungen, die aber streckenweise zu einer Monokultur geführt haben.

Das macht die Äpfel prall, rund und makellos. So wollen es die Verbraucher und so will es deswegen auch die Genossenschaft. Kaum einer der 8.000 Südtiroler Bauern vermarktet sein Obst selbst, fast alle geben es an eine Genossenschaft. Je schöner der Apfel ist, umso mehr zahlt diese dem Produzenten. Das freut den Endkunden im Supermarkt, weil er wunderschöne Ware bekommt, macht es aber zum Beispiel Biobauern sehr schwer. Von den schönen Früchten ist im Frühjahr noch nicht viel zu ahnen. Bis sie reif am Baum hängen, hat der Bauer noch eine Menge Arbeit. Sie beginnt im Winter, wenn zu starke und überzählige Triebe abgeschnitten werden. Zu steil aufragende Triebe bindet der Bauer außerdem nach unten. Die Bäume sehen dann ein wenig wie Weihnachtsbäume aus, aber so bekommen die Früchte am meisten Licht ab. Im April muss der Bauer einen genauen Blick auf die Wettermessstationen haben. In den Nächten, in denen es frieren könnte, schaltet der Landwirt die sogenannte Frostberegnung ein und schützt so die Blüten durch einen Eismantel vor dem Erfrieren. Nun werden auch die Bienen aktiv: Sie bestäuben die Apfelblüten und sorgen so für eine ertragreiche Ernte. Die überzähligen und beschädigten Früchte entfernt der Bauer dann im Sommer mit derHand. Ist es zu trocken, bewässert er die Bäume. Außerdem muss er immer schauen, ob es zu viele Schädlinge gibt. Wenn ja, werden Pflanzenschutzmittel gespritzt. Wird das Laub dann langsam bunt, wird geerntet. Die Bäume werden gepflegt, alte Bäume womöglich gerodet. Dann beginnt das Apfeljahr von Neuem. Das ist ein eingespielter Ablauf. Vielleicht etwas zu eingespielt, was erklären würde, dass zwar die Apfelsorten, die jeder kennt, meist aus Südtirol stammen, es aber keine

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eigene Südtiroler Sorte gibt. Warum das so ist, kann auch Bäuerin Christine Schönweger, die regelmäßig interessierte Leute durch ihre Plantage führt, nicht ganz erklären. Auch den Hinweis, dass Südtiroler Äpfel inzwischen an manchen Orten einen nicht mehr allzu guten Ruf hat, kann sie nicht nachvollziehen. Jedenfalls waren in deutschen Geschäften vereinzelt Schilder mit der Aufschrift „Nicht aus Südtirol“ am Apfelregal zu sehen. Diese Botschaft richtet sich an Kunden, die schrumpelige Äpfel von Bauern aus der Region der konfektionierten Handelsware vorziehen; eine Nische. Schönweger meint außerdem, dass man sich in Südtirol in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten eine ganze Menge habe einfallen lassen zum Apfel. Das stimmt. Ein Apfel darf heutzutage nicht mehr bloß ein Apfel sein. Er ist zum Beispiel auch zu einem Wellnessprodukt geworden. Und zum Forschungsobjekt. Natürlich werden aus den meisten Äpfeln nach der Ernte heute wie früher Säfte gepresst. Zunehmend fährt man, wenn man Südtirol von Westen nach Osten durchquert, an Schildern am Wegesrand vorbei, die nicht nur Apfelsaft, sondern eine ganze Menge unterschiedlicher Apfelprodukte anpreisen. Viele Bauern könnten vom Apfelanbau allein nicht leben und verarbeiten deswegen einen Teil ihrer Ernte selbst, zum Beispiel zu Destillaten, und verkaufen diese. Der Kult um den Apfel nimmt inzwischen aber auch etwas seltsame Züge an. In Thermen und Hotels werden Apfelaromabäder angeboten, die Gäste können Apfelcreme, Apfelbalsam und Apfelmilch kaufen. So etwas würde Maximilian Alber womöglich als Chichi bezeichnen, wäre er nicht so freundlich und nett. Denn der Mann will auch etwas verkaufen – und er weiß, wie

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Der Großteil der Äpfel wird an Genossenschaften geliefert, die mittels modernster Kühltechnik das Obst über das gesamte Jahr lieferbar halten. In Wasserstraßen werden die Äpfel gewaschen, sortiert und kontrolliert, bevor die Qualitätsware händisch geprüft wird.

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man das macht. Bisher arbeitete er ausschließlich für das Marketing von Südtirol, bis er eines Abends, man kann es wohl als Schnapsidee bezeichnen, mit zwei Freunden den Plan schmiedete, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Am Anfang stand das Wundern: Warum gibt es in Südtirol so gute Äpfel, aber keinen guten eigenen Cider? Auch die drei jungen Männer hatten nicht geahnt, welchen Aufwand es bedeutet, die richtige Rezeptur auszuklügeln (vor allem wenn man wie die drei keine Ahnung von der Alkoholherstellung hat), eine hübsche Flasche zu gestalten, den Cider, dem sie den Namen „Hoila“ gaben, in diese abzufüllen und Etiketten aufzukleben. Ach ja, und eine nicht ganz unwichtige Frage: Wie den Drink an Frau und Mann bringen? Maximilian Alber und seine beiden Mitstreiter tingeln seither durch Bars und Hotels und ver­suchen, die entscheidenden Personen von ihrer Erfindung zu überzeugen. Das ist nicht leicht. Denn Südtirol ist fest in der Hand von Hugo und Aperol Spritz. Aber es ist Zeit für etwas Neues, findet Jungunternehmer Maximilian Alber. Für Südtirol und für den Apfel. Die Erntemenge ist so üppig, dass mit den Äpfeln auch solche Dinge angestellt werden können. Ein Grund dafür ist in der Laimburg zu finden, ein paar Kilometer südlich von Bozen. Am dortigen Land- und Forstwirtschaftlichen Versuchszentrum wird ständig versucht, den Apfel und seinen Anbau zu optimieren. In den vergangenen Jahren fand eine regelrechte Verwissenschaftlichung des Apfels statt. So gibt es zum Beispiel eine Studie, die untersucht, wie viel Kohlenstoffdioxid bei der Apfelproduktion entsteht und ob die derzeitige Anbauform umweltverträglich ist (im Vergleich mit anderen, oft energieintensiveren Obstsorten sagt die Studie: ja). Besteht dabei die Gefahr, dass der Apfel zerrieben wird zwischen Tradition und Globalisierung? Einer, der genau das verhindern will, weil er den Apfel und seine Heimat Südtirol mag, ist Ulrich Veith. Er ist Bürgermeister der Gemeinde Mals im Vinschgau, im Westen des Landes. Maximilian Alber und Philipp Zingerle, zwei der Gründer der Cider-Marke „Hoila“.

Ulrich Veith hat sich als Bürgermeister von Mals für ein ­Pestizidverbot in seiner Gemeinde eingesetzt.

Er stammt zwar nicht aus einer Bauernfamilie, aber die Landwirtschaft ist auch für ihn ein großes Thema. Denn in Mals wie auch in den Gemeinden ringsherum gedeiht der Apfel prächtig. Das liegt an der Sonne und am leichten Wind. Dieser Wind ist es jedoch auch, der die Pestizide, die die Bauern einsetzen, auf die Straßen, Gehwege und Spielplätze der Umgebung verteilt. Viele im Dorf finden das nicht gut, denn sie glauben, dass Pestizide den Menschen schaden, vor allem Kindern. Es bildete sich rund um den Apotheker Johannes Fragner-Unterpertinger eine Bürgerinitiative, welche eine Volksabstimmung an­­­­ strengte: Mals sollte zur ersten pestizidfreien Gemeinde Europas werden. Noch wirtschaften in Südtirol 96 Prozent der Bauern kon­ventionell, nur vier Prozent nach Biokriterien. Viele Landwirte wollen ihren Betrieb nicht umstellen, weil sie befürchten müssten, dass der Wind die Pestizide des konventionell arbeitenden Nachbarn auch auf ihre Plan­ tage weht, und sie dann aufwendig nachweisen müssten, dass die Pflanzenschutzmittel nicht von ihnen stammen. Außergewöhnlich viele Malser nahmen an der Volks­ abstimmung teil – und sprachen sich zu 75 Prozent dafür aus, Pestizide im Gemeindegebiet von nun an zu ver­

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Seit Juni 2015 ist die Gemeinde Mals pestizidfrei – zumindest steht dies nun in der Gemeindesatzung. Der Streit zwischen Befürwortern und Gegnern wird aber wohl noch länger dauern.

bieten. Die ausländische Presse wurde auf Mals und die Initiatoren des Pestizidverbots aufmerksam. Bürgermeister Veith wurde von Bioland, Deutschlands größtem Biobauernverband, sogar nach Berlin eingeladen, um sein Projekt auf der „Grünen Woche“ vorzustellen. Alle waren begeistert von der Idee. Doch in Mals wurde ­weiter gespritzt. Warum? Die Mehrheit der Bürger mag für das Projekt sein. Die großen Apfelbauern sind es nicht. Sie befürchten Ein­ nahmeeinbußen, wenn ihre Äpfel nicht mehr so makellos sind. Der Bürgermeister macht den Produzenten des­ wegen auch keinen Vorwurf, sondern den Konsumenten. Das Pestizidverbot hätte verbindlich in die Gemeinde­ satzung im Januar aufgenommen werden sollen. Doch es gab Druck. Einige Malser Politiker wurden abends ­besucht, ihnen wurde dringend angeraten, gegen die Umsetzung des Volksentscheids zu stimmen. In der entscheidenden Gemeinderatssitzung stimmten dann auch viele von Ulrich Veiths Parteikollegen dagegen. Sie haben daraufhin die Partei verlassen. Ulrich Veith glaubt trotz aller Widerstände an das Projekt. Er sieht darin Chancen für den Tourismus und die Wirtschaft. Tradition und Moderne miteinander verbinden – das ist die Idee.

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Glaubt man Ulrich Veith, hängt davon auch die wirt­ schaftliche Zukunft Südtirols ab, ist doch die einst arme Provinz in Norditalien vor allem auf ihre wirtschaftliche Kraft so stolz. Letztlich haben Veiths Argumente überzeugt. Bei den Gemeinderatswahlen im Mai dieses Jahres wurde er mit 72 Prozent der Stimmen wiedergewählt – indirekt ein erneutes Votum für ein Pestizidverbot. Der neue Gemeinderat stimmte dann im Juni für eine entsprechende Änderung der Gemeinde­satzung. Das Ausbringen von EU-weit zugelassenen chemisch-synthetischen Pestiziden ist nun „im Rahmen des rechtlich Möglichen“ verboten. Mals könnte zum Vorzeige-Ökodorf werden. Doch die Gegner und deren Anwälte haben angekündigt, weiter dagegen anzukämpfen. Es bleibt spannend.

Mona Jaeger (*1987), Studium der Politik und Germanistik, Journa­ listin in Frankfurt, ­Hessischer Journalistenpreis 2011. Aktuelle Buchveröffentlichung: „Wer will schon Quotilde sein: Gegen Quotenwahn und Gleich­macherei“, Weissbooks, 2015.

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Ich und die Johannis­beere Text  Heinrich Mayer Kaibitsch Fotografie  Claudia Corrent

Hofübernahme. Aus dem alten Heustadel wird ein junger Buschenschank, und für die neue ­Generation gibt es viel zu bedenken: Was den Gästen anbieten, was selber produzieren, wie ­wirtschaften, wie leben? Unser neuer Kolumnist, Bauer und Koch, erklärt das Zusammenspiel von Landwirtschaft und Gastronomie. Ku l i n a r i s c h e s au s d e r Pra x i s

tet. U ­ nsere Familie am Stang­lerhof ist also mit den Beeren aufgewachsen. Seit 100 Jahren in Familienbesitz, liegt der drei Hektar große Hof auf 1.000 ­Meter Meereshöhe in St. Konstantin zwischen Völs und Seis am Schlern. Als die Pläne konkret w ­ urden, den Hof zu übernehmen und von der bisherigen Sommerfrische wieder zu einem Vollerwerbs­bauernhof umzuwandeln, mussten dafür die wirtschaftlichen Grund­lagen ge­schaffen werden. Als zweites Standbein neben der Land­ wirtschaft wurde der Stadel unter Verwendung von natürlichen M ­ aterialien zu einem Buschenschank umgebaut. ­Seitdem finden dort Konzerte, Aus­­­ stellungen und Märkte statt. Den Gäs­ ten wird neben anderen Säften auch schwar ­zer Johannisbeersaft an­ge­bo­ ten. Als zu entscheiden war, was sich für den Anbau auf unseren F ­ eldern ­eignen könnte und was wir gleichzeitig für u ­ nseren Buschenschank ver­edeln könn­ten, bin ich wieder bei der schwar­ zen Johannisbeere gelandet. Ein Feld von circa 100 Sträuchern, ein Erbe ­meiner Großmutter und meiner Eltern, bildete den Startpunkt für unseren ­Anbau. Heute haben wir an die 6.000 Pflanzen. Die Ribiseln erfüllen viele der Kriterien, die mir bei der Auswahl einer Kultur­ pflanze wichtig sind, angefangen bei der ausgeprägten geschmacklichen Komplexität (man unterscheidet fast 50 ­verschiedene Aromastoffe!) und den vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten bis zur Eignung für den biologischen Anbau. Die von uns gewählte Hauptsorte Titania benötigt recht wenig Pflege und ist pilzresistent, gleichzeitig aber auch aromatisch interessant.

Heinrich Mayer Kaibitsch: Geerntet wird am Hof und Feld, aber auch im Wald.

Wir haben eine Geheimwaffe gegen das Altern, die auch ideal für stillende Mütter und Schwangere ist, mit dreimal so viel Vitamin C wie Zitronen, mit ­Antioxidantien aus Gerbstoffen und ­Anthozyanen gegen gefährliche Zell­ wucherungen – klingt nach einem ­Nutraceutical, ­einem labordesignten ­Superfood für gesundheitsbewusste Großstädter. Doch tatsächlich ist es eine der ältesten bekannten Beeren, weit verbreitet und anspruchslos: die ­schwarze Johannisbeere. Sie ist ein

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­ lleskönner. Fast jeder Pflanzenteil dieA ses Mitglieds der Familie der Stachel­ beergewächse kann genutzt werden und hat spezifische Inhalts­stoffe: die Blätter für Tees und natürlich die Beeren für Säfte, Müslis, Marme­laden und vieles mehr. Die schwarzen Ribisel, wie die Beere in Südtirol und Österreich genannt wird, ist in jedem Fall ein Genuss. Bei uns zu Hause stand schwarzer Johannisbeersirup immer auf dem Tisch. Bereits meine Großmutter hat Ribiseln angebaut und zu Saft verarbei-

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Schwarze Johannisbeeren sind zwar „pflegeleicht“, aber sehr arbeitsin­­ tensiv. Bis zu 1.000 Stunden pro Hektar beträgt die Zeit, die man für die ­ma­nuelle Ernte kalkuliert, also die ­Jahres­arbeits­zeit eines klassischen 40-­­­­Stun­­den-­­Jobs. Deshalb findet die Pflanze eine weite Verbreitung in den Hausgärten, wird aber eher selten ­professionell ­angebaut. Großflächigen gewerblichen Anbau findet man in Großbritannien, Polen und Deutschland, in Frankreich vor allem im Burgund und in Österreich in der Steiermark, international betrachtet in Neuseeland. Dieser Anbau zeichnet sich durch eine starke Mechanisierung

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aus. Es wird maschinell ge­erntet, pro Hektar braucht man dafür nur ein­ einhalb Stunden. Wir hingegen ernten (noch) manuell. Dabei greifen wir auf eine Vielzahl von helfenden Händen zu­­ rück. Keine Profis, aber Amateure mitLiebe zur Sache. Ein bunter Haufen, bestehend aus Bekannten und jungen Leuten aus ganz Europa, unterstützt uns immer wieder mal bei der Hofund Feldarbeit. Fachexpertise Landwirtschaft? Ausbaufähig. Lernkurve? Steil ansteigend. Doch auch wir ­über­­­­legen die Anschaffung einer ge­ brauch­ten Erntemaschine, die sich in wenigen Jahren amortisieren würde.

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Der Anbau mit seinen Tücken ist das eine. Die Herausforderung für die nächsten Monate und Jahre liegt jedoch vor allem darin, verkaufsfähige Sirupe und Säfte zu entwickeln. Liköre, Tees und Knospenwasser wären weitere i­nteressante Produkte. Sie alle ­sollen Durst löschen, gesund sein, ­ge­­­schmacklich begeistern und all das Bunte und Vielfältige vom Hof be­­­­ inhalten, das uns ausmacht. Der Preis wird eher hoch sein, da die Produktion aufwendig und kostenintensiv ist. Sobald unsere Kunden aber die schwarze Ribisel und ihre Inhaltsstoffe kennen, werden sie auch den Preis v­ erstehen. So ­hoffen wir.

Heinrich Mayer Kaibitsch (*1978), Studium der Kommunikationswissenschaft und Geschichte in Wien, Master in Food Culture an der Università di Scienze Gastronomiche von Slow Food in Parma, nun Bauer, Koch und Veredler hofeige­ ner Produkte.

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Digital ­vernetzt, Material gespart Text  Carsten Knop Illustration  Gino Alberti

Big Data, Internet der ­Dinge und 3-D-Druck – die ­nächste industrielle Re­ volution ist voll im Gange, doch wird sie helfen, ­Ressourcen zu sparen? E ine Frag e f ür unsere T hemenkolumne „ Mehr o d er wenig er “

Dies ist ein sehr nachhaltiger Text, denn er umfasst eine Zeitspanne von drei Jahrhunderten – und handelt von gleich vier industriellen Revolutionen. Die erste industrielle Revolution folgte den Jahren um 1750: Wasser- und Dampfkraft ­mechanisierten damals die Wirtschaft. ­Darauf folgte die zweite industrielle Revolution um das Jahr 1870: Möglich wurde nun die Massenfertigung mithilfe von Fließbändern und elektrischer Energie. Daran schloss sich die digitale ­Revolution ab 1960 an – der Einsatz von Elektronik und integrierten Mikro­ prozessoren zur weiteren Automatisierung der Produktion. Jetzt aber kommt die vierte industrielle Revolution, auch ­„Industrie 4.0“ genannt. Sie war in Deutschland im Jahr 2015 das beherrschende Thema der beiden Großmessen in Hannover, der CeBIT und der ­Industriemesse. Dabei geht es um die intelligente Fabrik. Ihre technische Grundlage sind cyber-physische Systeme und das Internet der Dinge: ­Gemeint ist damit die vollständige Ver­ netzung und Digitalisierung der Produktion. Und die zeichnet sich durch eine hohe Wandlungsfähigkeit und Varia­ bilität bis hin zur Losgröße eins aus. Solche Einzelprodukte werden ein entscheidender Schritt für den weiteren Fortgang der Globalisierung werden.

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Carsten Knop

Denn eine Losgröße von eins in China zu fertigen und von dort nach Europa zum Kunden zu schicken, lohnt sich nicht. Weitere Folgen der digital vernetzten Produktion sind nach einhelliger Überzeugung der damit befassten Entwickler eine erheblich verbesserte ­Ressourceneffizienz sowie die Integration von Kunden und Geschäftspartnern in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse. All dies ist längst mehr als eine ferne Vision. Selten hat eine technische Entwicklung so schnell um sich gegriffen. Auch diese zunehmende Entwicklungsgeschwindigkeit ist Teil der neuen industriellen Welt. Innovationsprozesse, die früher Jahre in Anspruch nahmen, dauern heute nur noch wenige Monate. Das wird noch befördert durch sogenannte 3-D-Drucker, die in der Lage sind, sehr schnell Pro­ totypen von neuen Produkten zu er­ zeugen – und eines ­Tages sogar in der ­unmittelbaren Nähe der Kunden zu produzieren, was zusätzliche Möglichkeiten zur Schonung von Ressourcen schaffen würde. Den umfassenden Wandel in Produktion und Wertschöpfung können Einzelunternehmen immer seltener bewältigen. Daher sind neue Produkte und Prozesse zunehmend das Ergebnis von Kooperationen, auch von solchen über traditionelle Unternehmens- und Branchengrenzen hinweg. Die Wirtschaft vernetzt sich also nicht nur virtuell, sondern auch in der Realität. Ohne Beziehungen zwischen Menschen wird auch die vierte industrielle Revolution nicht funktio­nieren. Viele Beobachter dieser Verän­derung sind davon überzeugt, dass die vernetzte Produktion die Industrie noch wettbewerbsfähiger machen wird; ­zudem zeige ein Blick in die Geschichte, dass immer dann, wenn es Produkti­vitätsgewinne gegeben habe, auch ­zusätzliche Arbeits-

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und vielleicht noch an eine Heizung oder an einen Kühlschrank denkt, die ihre Einstellungen automatisch nach der Wettervorhersage wählen, hat eine zu enge Vorstellung von dem, was auf die Menschen zukommt. Allerdings: Auch so eine Haussteuerung könnte ja eine tolle Sache werden, das Leben sowohl bequemer als auch effizienter machen – ganz nachhaltig.

Carsten Knop (*1969), verantwortlicher ­Redakteur für die Wirtschaftsbericht­­er­s tattung der „Frankfurter Allgemeinen ­Zeitung“. Aktuelle Buchveröffentlichung: ­„Gescheiterte Titanen: Welche neuen ­Manager unsere Welt braucht“, Frank­ furter Allgemeine Buch, 2015.

plätze ent­standen seien. Diese These ist allerdings umstritten. Sie widerspricht zum B ­ eispiel der Feststellung namhafter ­Professoren wie etwa Andrew McAfee vom MIT, der durch die Digitalisierung der industri­ellen Produktion und die Ver­netzung mit dem Internet der Dinge Arbeitsplatz­ver­ luste vor allem in der Mittelschicht befürchtet. Sicher ist: In jedem Fall wird sich die Arbeitswelt erheblich verändern. Und die Frage, wie die Auto­ matisierungsgewinne künftig verteilt werden, wird eine der entscheidenden sozialen Fragen der Zukunft sein. Sparen – und damit auf der anderen Seite der Gleichung gewinnen und entsprechend neu verteilen – lässt sich hier nämlich eine Menge. Siemens zum Beispiel prognostiziert dank der Mo­ dellierung, Simulation und Optimierung in der Produktion allein durch den vorherigen Einsatz einer Planungssoftware eine Materialeinsparung von bis zu 50 Prozent. Auch der Bear­bei­tungs­vor­ gang einer realen Werk­zeug­maschine könne am Computer vorab simuliert werden. „Dies spart Zeit, reduziert ­Stillstandszeiten und verringert überflüssiges Zerspanen“, heißt es dazu bei ­Siemens – mit einer gewissen Begeisterung im Unterton. Aber auch eine ganz sachliche Studie der Wirt­schafts­ prüfer von Price Waterhouse kommt zu dem Schluss, dass sich U ­ nternehmen

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durch Einführung der ­Industrie 4.0 über alle Branchen und Unternehmen hinweg derzeit eine durch­schnittliche Effizienzsteigerung in Höhe von 18 Prozent für die kommenden fünf Jahre versprechen. Das entspricht einer jährlichen Effizienzsteigerung von 3,3 Prozent, und tat­sächlich gingen sehr viele Unternehmen von noch erheblich größeren Potenzialen aus. Ein Beispiel aus dem Bereich des 3-D-Drucks und vorgestellt vom Kompetenzzentrum Ressourceneffizienz der Ingenieursvereinigung VDI sind kleine Kabinenelemente in Passagierflug­­ zeugen, welche das Aus- und Einklappen der Monitore ermöglichen. Nach dem alten Herstellungsverfahren wiegt der Aluminiumarm 0,8 Kilogramm. Mithilfe eines neuen 3-D-Druck-­Ver­ fahrens, dem Laser Melting (Laserschmelzen), hat das Produkt in seiner endgültigen Gestalt nun ein Gewicht von 0,37 Kilogramm. Bei der Fertigung wird ein V ­ ielfaches des Materialverbrauchs ein­gespart. Zudem werden 20 Prozent weniger Energie benötigt. Die Leichtbauweise des Kabinenelements führt zudem zu Treibstoffeinsparungen im Flug, was angesichts der langen Lebensdauer eines Flugzeugs ein beträchtlicher Faktor ist. Wer beim Thema Vernetzung also nur an sein heimisches Computernetzwerk

Digital vernetzt, Material gespart

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Die Abenteuer des Ressourcen-schonen-Man

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Warum funktioniert eigentlich Italiens Wirtschaft? Trotz schlechtem Image und offensichtlicher Schwächen zählt Italien nach wie vor zu den führenden Industrie­nationen. Italiener sind einen alltäglichen Hindernislauf gewohnt. Diese Flexibilität macht letztlich auch die Wirtschaft stark. E in and erer Blick auf I t alien

Angezogene Handbremse Text  Ulrike Sauer


Wenn italienische Unternehmer aus dem Alltag erzählen, hört sich das an wie bei Diego Cusumano. Der Winzersohn verdankt den Durchbruch seiner Familienfirma auf Sizilien dem Auftreiben einer Ladung Papier. Cusumano war gerade dabei, den väterlichen Weinbaubetrieb in eine Qualitätskellerei mit eigener Abfüllung zu verwandeln, als ein Händler aus den USA bei ihm 3.000 Kisten à 12 Flaschen orderte. Der junge Mann aus Partinico bei Palermo schwebte im siebten Himmel. Leider war es Mitte Juli und Italien stand wie immer im Hochsommer still. Der Verpackungshersteller aus Catania winkte ab. Cusumano hängte sich ans Telefon. Schließlich trieb er mitten in der Sommerpause Papier auf, aus dem sein Lieferant rechtzeitig die Kartons fertigen konnte. Ein Schlüsselerlebnis für den jungen Unternehmer, an das er sich immer noch erinnert. „Kann ein Amerikaner Anfang des 21. Jahrhunderts begreifen, dass nicht die Weine, son­­ dern Pappkartons ein Problem sind?“ Wohl kaum. Heute verkauft die Familie Cusumano ihre guten Tropfen in 62 Länder der Welt. Etwa 400 Kilometer nördlich, in Rom, sagt Pietro Beccari: „Ich mag die Mentalität der Italiener, dieses Zupackende, diese Nichts-ist-unmöglich-Haltung.“ Der Manager aus Parma machte 18 Jahre im Ausland Karriere. New York, Düsseldorf, Brüssel, Paris. Dann kehrte er nach Italien zu­­ rück, als Chef des römischen Luxuslabels Fendi. Die tra­­ ditionsreiche Pelz- und Ledermarke hat er erfolgreich neu erfunden und ihren Ruf dabei sehr eng an Rom geknüpft. Ausgerechnet an die verwahrloste, paralysierte Hauptstadt. Seit zwei Jahrzehnten ist die Ewige Stadt zum In­­be­ griff des Stillstands geworden. Kürzlich enthüllten die Staatsanwälte die Unterwanderung der Stadtverwaltung durch die „Mafia Capitale“. Das Ansehen der Stadt fiel ins Bodenlose. Dass man in Rom nichts bewegen kann, hält Italiens Wirtschaft von ihrer besten Seite: links das Raumfahrt­ unternehmen Avio S.p.A., Hersteller von Feststoffraketenantrieben und Zulieferer von Komponenten für Flugzeugmotoren; unten ein Blick auf das Gelände der Expo 2015 in Mailand.

Beccari für eine Ausrede. Ihm bot die Stadt eine einzig­ artige Chance. Ein anderes Beispiel: Im Mai 2012 erschütterten schwere Erdstöße die Emilia Romagna. 26 Menschen starben, die meisten an ihrem Arbeitsplatz. Die Überlebenden machten in Zelten und Holzhütten weiter. In Mirandola, einem Städtchen mit 25.000 Einwohnern und 94 hoch spezialisierten Unternehmen aus der Biomedizinbranche, zogen Forscher und Gerätebauer ins Freie oder schlüpften in den sterilen Labors eines Konkurrenten unter. Sie fanden das normal. Mirandola hat inzwischen die Folgen des Bebens überwunden. Den Unternehmern wird in Italien nichts geschenkt. Sie stellen sich Herausforderungen, die nördlich der Alpen kaum vorstellbar sind. Das trainiert offenbar: Als Hürdenläufer sind Italiener unschlagbar. Mafiös, korrupt, verfilzt, politisch instabil. Italien war schon immer ein Sonderfall in Europa. Ökonomen grü­ belten über die Frage, wie es die unförmige Hummel bloß schaffe zu fliegen. In der Bildersprache der Wirtschaftswissenschaftler stand der dicke Brummer für ein Land, das trotz schwerer Handicaps vom rückständigen Agrarland zum Mitglied des G7-Klubs aufgestiegen war. Die Standortnachteile sind struktureller Art. Die Wirtschaft kämpft bis heute mit hohen Energiepreisen und erdrückenden Steuern, mit einer lähmenden Bürokratie, Infrastrukturdefiziten und als Folge eines ineffizienten Justizsystems mit dem Fehlen von Rechtssicherheit. Dann kam die Globalisierung und mit ihr die zweite Phase. Die Hummel hörte auf zu fliegen. Italien verabschiedete sich vom Wachstum. Die Karten wurden international neu gemischt. Die Welt erlebte die sprunghafte Entwicklung neuer Technologien und stürzte 2008 in die Finanzkrise. Italien verharrte in Selbstblockade und Zukunftsvergessenheit. Wen scheren Wettbewerbschancen und Arbeitsplätze von morgen? Privilegien und Klientelismus sicherten der machthabenden Generation ein komfortables Auskommen. Das Buch „La casta“ von Gian Antonio Stella und Sergio Rizzo, Journalisten des Corriere della Sera, deckte diese Sonderrechte und Freiheiten der Politikerkaste schonungslos auf. Aber niemand weiß, wie man eine vom Eigennutz gelenkte Führungsklasse loswird. So ging die Zeit routinierter Krisenbewältigung zu Ende. Es erwischte die Italiener schlimmer als 1929. Ein Volk von Stehaufmännchen? Nicht mehr. Man erlitt drei Rezessionen in Folge. Firmen starben wie die Fliegen. Hunderttausende Stellen wurden gekürzt, Fabriken stillgelegt. Es wuchs eine Nichts-wie-weg-Generation heran. Bis heute liegt die Industrieproduktion 25 Prozent unter dem Vor­ krisenniveau im April 2008. Wie verkraftet ein Land diesen Absturz? Man staunt wieder über Italien, das angeschlagen ist, aber nicht k.o. Die Hummel fliegt wieder.

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Ulrike Sauer

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Die Verwunderung mag unserem Blick auf Italien geschuldet sein. Italien weckt Assoziationen, die blenden. Italien liegt im Bereich Maschinenbau in Europa nach Deutschland an zweiter Stelle. Trotzdem denken wir nur an Sonne, Michelangelo und Pasta. Oder an Gomorra, Bunga Bunga und Regierungskrisen. Carlo Calenda, früher Ferrari-Manager und nun als VizeIndustrieminister für den Außenhandel verantwortlich, versteht sich heute als oberster Salesmanager Italiens. Der umtriebige 42-Jährige startete eine Imagekampagne, um den Vorurteilen gegen sein Land entgegenzuwirken. Er ließ das Video „Italy – an extraordinary commonplace“ drehen. Der Film spielt mit Klischees. Pizzabäcker? Italien gehört zu den führenden Ländern in der Realisierung von Infrastrukturprojekten und ist derzeit an 1.000 Großbaustellen in 90 Staaten der Erde aktiv. Latin Lovers? Italien erwirtschaftet den fünftgrößten Handelsüberschuss bei Industriegütern weltweit. Partylöwen? Italiener stellen ein Drittel der weltweit eingesetzten Kontrastmittel her und verbuchen den größten Zuwachs beim Export von Pharmaka und biomedizinischen Geräten. Gebärdenspieler? Italiener sind Europas zweitgrößte Exporteure von Robotern und Fabrikanlagen. Ewige Kinder? Italien ist die Heimat moderner Raumfahrtunternehmen und hat als dritte Nation einen Satelliten ins All geschossen.

Der US-Ökonom Nouriel Roubini ist überzeugt: Die Anpassungs­fähigkeit von Italiens Mittelständlern macht das Land flexibel und wettbewerbsfähig.

Der US-Ökonom Nouriel Roubini wundert sich schon lange über das verzerrte Italienbild. „Es hat mich immer überrascht, wie sehr die Welt die Erfindungsgabe der Italiener in hoch entwickelten Industrietechnologien unterschätzt“, sagt der New Yorker Starprofessor. Na­ türlich kennen alle Fiat. „Aber das industrielle Gewerbe Italiens wuchs dank der Erfolgsstrategie mittlerer Un­ ternehmen, die im gehobenen Segment kleiner Markt­ nischen antreten.“ Ihr Modell hat für Roubini eine ­inter­­essante Tiefenwirkung: Die Fragmentierung der Unter­­nehmenslandschaft überträgt sich in eine systemische Flexibilität Italiens als Ganzem. Besonders zum Tragen kommt dies, wenn der Wandel die Reaktionsfähigkeit eines Landes auf die Probe stellt. Experimente und Korrekturen werden so nie zu teuer. Freilich hemmt ein unbeweglicher Staat diese Dynamik. Erst der Leidensdruck der Schuldenkrise begann die verkrusteten Strukturen aufzubrechen. Der Reformer Matteo Renzi versucht das Land seit dem Antritt seiner Regierung im Februar 2014 vom Bann des Stillstands zu erlösen. Seit der Konjunkturwende Anfang 2015 wächst die italienische Wirtschaft wieder – wenn auch langsam. Der Weg ist noch weit. „Nach uns wird es ein Italien mit angezogener Handbremse nicht mehr geben“, verspricht die Industrieministerin Federica Guidi. Den Unternehmen winken Chancen. Sie profitieren derzeit von der sprunghaften Ausweitung der Absatzmärkte durch den Boom in den Schwellenländern. Die Ministerin Guidi, selbst eine Industrielle, rechnet mit 800 Millionen neuen Kunden, denen ihr Land viel zu bieten hat. Italien scheint sich heute bewusst auf seine Stärken zu besinnen. Mitten in Mailand, an der Porta Garibaldi, versetzt während der Weltausstellung Expo 2015 ein fünf Meter hoher 360-Grad-Bildschirm die Zuschauer ins Bel Paese. Sie tauchen ein in drei Jahrtausende Geschichte, in künst­lerische Meisterwerke, Kulinarik, exklusives Handwerk, High-Tech-Produktionen und atemberaubende Landschaften. Andrea Illy, Kaffeefabrikant aus Triest und Mitinitiator des Kinos, sagt: „In 3.000 Jahren Geschichte hat sich in Italien ein unermessliches Erbe künstlerischer und landschaftlicher Schönheit abgelagert, das heute und für alle Zeiten die Kreativität und das Handwerk inspi­rieren und dem Land einen vortrefflichen Wettbewerbs­vorteil schenken wird.“ Diego Cusumano, der sizilianische Winzer, drückt es schlichter aus: „An schönen Orten entstehen schöne Dinge“, sagt er.

Ulrike Sauer (*1964), Wirtschaftskorrespondentin der „Süddeut­ schen Zeitung“ in Rom.

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Angezogene Handbremse

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Über Südtirol nach Italien Text  Simone Treibenreif Illustration  Nadine Gerber

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Viele Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum suchen sich Vertriebspartner aus Süd­ tirol. Warum? Die Südtiroler bieten Ressourcen, die den Erfolg am Markt erleichtern, findet unsere Kolumnistin.

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A n a l ys e d e s N o rd - Sü d - I mp or t s

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Was haben Tee von Twinings, Sandalen von Birkenstock und Fahrwerks­ federn von Eibach gemeinsam? Ihr Weg zu den italienischen Kunden führt über Süd­tirol – und zwar nicht nur der physische Transport über den Brennerpass. Die Pro­duzenten setzen nämlich für den Ver­­trieb im rund 60 Millionen Einwohner umfassenden Markt auf Südtiroler Unternehmen und deren Kompetenzen. Besonders aus dem deutschsprachigen Raum entscheiden sich viele Hersteller für eine Zusammenarbeit mit Süd­ tirolern. Die Vorteile liegen auf der Hand: die geografische Lage des Landes an der Grenze zwischen italienischem und deutschsprachigem Markt und die Zweisprachigkeit, die die Kommunikation sowohl nach Norden als auch nach Süden einfach macht. Auch Mentalitätsunterschiede zwischen den beiden Kulturkreisen können über die Zwi­ schen­station Südtirol einfacher überwunden werden. Zudem tun sich ­Süd­tiroler Unternehmer, die mit dem um­fangreichen rechtlichen Regelwerk des italienischen Staates groß ge­ worden sind, mit den bürokratischen ­Stolpersteinen leichter als ihre aus­ ländischen Kollegen.

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Und so importiert Südtirol beispielsweise doppelt so viel wie die Nachbarprovinz Trentino; 2011 waren es Waren und Dienstleistungen im Wert von mehr als elf Milliarden Euro, davon ­Waren und Dienstleistungen im Wert von 3,8 Milliarden Euro aus dem Ausland. Ein großer Teil des Imports aus dem Ausland wird dann in anderen italie­nischen Regionen verkauft. Insgesamt wurden 2011 Waren und Dienstleistungen im Wert von 9,6 Milliarden Euro aus Südtirol ausgeführt – davon 5,5 M ­ illiarden Euro in das restliche italie­nische Staatsgebiet (es ist dies der ­aktuellste verfügbare Wert für den sogenannten interregionalen Export). Auch der erfolgreiche Südtiroler Waffelhersteller A. Loacker AG, der nahe Bozen produziert und in mehr als 100 ­Länder exportiert, bringt ausländische Lebensmittel zu italienischen Konsumenten: Loacker hat die Generalver­ tretung für die britische Teemarke ­Twinings, die Produkte des Schweizer Herstellers Ovomaltine, Vollkornbrote von Pema und Snacks von Lorenz (beide Deutschland). 30 Prozent des Jahresumsatzes von 270 Millionen Euro werden im italienischen Markt erzielt, ein Fünftel davon durch den Ver-

Simone Treibenreif

trieb von Fremdmarken. Und was ist der Grund für die Übernahme des Vertriebs von Produkten ausländischer Lebensmittelhersteller? „Die Doppelrolle Produzent und Ver­käufer anderer Marken ist im Lebensmittelsektor durchaus üblich“, teilt L ­ oacker auf Anfrage mit. „Vor allem wegen der sich ergebenden Synergien: die Logistik, die gesteigerte Ge­samt­aus­lastung des Außendienstteams und die gegenseitige Stärkung der P ­ osition und damit Zugang zu neuen Absatzkanälen.“ Ein eher ungewöhnlicher Import­schla­ ger im Modeland Italien sind Sandalen. Doch das Bozner Unternehmen Naturallook schafft dies: Neben der Ei­gen­ mar­­ke Benvado bringt es die deut­schen Marken Papillio, FinnComfort, Haf­ linger und Birkenstock in italienische ­Läden. Besonders Birkenstock hat ­einen be­eindruckenden Siegeszug angetreten: Lange Zeit wurden die vermeintlich u ­ nästhetischen Gesundheitslatschen von modebewussten Italienern be­lächelt, doch mittlerweile gibt es ­immer mehr begeisterte Birkenstock-­ Träger. An diesem Erfolg hat Naturallook einen wesentlichen Anteil, musste doch lange und intensive Aufklärungsund Über­zeugungsarbeit geleistet

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­werden, ehe erste Kunden gewonnen ­werden ­konnten. Wichtig für einen erfolgreichen Vertrieb in Italien sind kompetente Außendienstmitarbeiter – das betonen Unternehmer, die in diesem Markt tätig sind, immer wieder. „Der Italiener will nicht als ­Nummer gesehen werden“, sagt etwa ­Jochen Trettl, Geschäftsführer der N.T.P. GmbH in Eppan. „Er will mit einer Firma zusammenarbeiten, der er ein Gesicht zuordnen kann. Und das ist der Vertreter.“ N.T.P. importiert Autozubehör und verkauft dieses an wichtige italienische Automobilhersteller. Eibach, Remus und Zimmermann sind nur einige der Marken, die N.T.P. exklusiv in Italien vertritt – doch das Portfolio soll weiter ausgebaut werden. „Im Auto­ motive-Bereich gibt es viele Angebote und es gibt immer wieder Innovatives und Neues. Der Markt steht nicht still“, ­unterstreicht Trettl. Das gilt nicht nur für N.T.P. und die Automobilbranche, sondern für alle Produkte, mit denen sich Handel betreiben lässt.

Simone Treibenreif (*1977), Redakteurin der „Südtiroler Wirtschaftszeitung“.

Gemeinwohl und Suffizienz Text  Christoph Lütge Illustration  Gino Alberti

Die Forderung, für das sogenannte Gemeinwohl zu arbeiten, klingt attraktiv und plausibel. Wie kann man auch dagegen sein? Christian Felber, Autor des Buches „Gemeinwohl-Ökonomie“ (2010) setzte sich in „Nord & Süd“ bereits für Kooperation statt Konkurrenz ein. Ein zentraler Gedanke seiner GemeinwohlÖkonomie ist die Idee der Mäßigung, Suffizienz und Bescheidenheit. Hier kommt eine entschlossene Gegenrede. Unsere Kolumne z um T hema „ Konkurrenz “

Was meint man eigentlich mit Suffizienz? Es gibt zwei voneinander zu trennende Perspektiven auf diesen Begriff: Bei Suffizienz 1 geht es darum, dass wir alle grundsätzlich weniger verbrauchen – auch wenn sich dadurch unsere wirtschaftliche Entwicklung massiv ­verändern sollte. Suffizienz 2 dagegen hat nichts gegen einen aufwendigen Lebensstil und setzt sich nur dafür ein, dass wir diesen nachhaltig gestalten, in klassisch ökonomischer Weise: Alle ­Akteure in einer Gesell­schaft, gerade auch Unternehmen, müssen ständig inves­tieren in die langfristige Sicherung der gesellschaftlichen Grundlagen so wie auch in Forschung und Entwicklung oder Ähnliches. Von den Einzelnen wird dabei aber nicht verlangt, dass sie sich fundamental anderen Lebensstilen ­zuwenden. Suffizienz 1 dagegen verlangt ka­te­ gorisch nach Mäßigung. Sie fordert ­damit eine Verhaltensweise, die sich an einer historisch überholten Situation orientiert. In früheren Jahrhunderten spielten Gesellschaften in der Tat Null­ summenspiele, in denen der Gewinn des einen notwendig der Verlust eines anderen war. Das war die Kon­se­quenz einer Situation ohne dauerhaftes Wirtschaftswachstum – eine ­Situation,

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Gemeinwohl und Suffizienz

die in der gesamten Mensch­heits­ge­ schich­te bis zur Industrialisierung ge­ geben war. Und aus dieser Situation entwickelte sich die Ethik der Mäßigung, die verlangte, sich etwa mit maß­ vollen Gewinnen zufriedenzugeben. Sie verlangte auch das Zinsverbot und einen gerechten Preis. Unsere heutige Gesellschaft aber funktioniert kategorisch anders. Sie weist ein historisch unvergleichbares Wachstum auf, das durch kurzfristige Krisen nur kleine Dellen erhalten kann. In den entwickelten Ländern liegt das Ein­ kommenswachstum bei durchschnittlich 1,5 Prozent jährlich – aber das seit 200 Jahren. Hier werden Positivsummenspiele gespielt, in denen sich alle Betroffenen besserstellen. Nur hat die Ethik diese Entwicklung kaum nach­ vollzogen. Sie verlangt in der Regel immer noch für das Gemeinwohl zu teilen, sie glaubt, durch Mäßigung würden wir die Probleme dieser Welt lösen. Sie sieht nicht, dass Forderungen nach ­Mäßigung und Suffizienz im scharfen globalen Wettbewerb geradezu kontraproduktiv sein können. Wir können nicht wollen, dass Unternehmen sich mäßigen, sondern wir müssen erreichen, dass Anbieter – gerade auch Anbieter von ökologisch wertvollen, nachhaltigen

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oder Bioprodukten – einander scharfe Konkurrenz machen. Nur so kann tatsächlich etwas sowohl für die Umwelt als auch für die Menschen e ­ rreicht werden. Es bringt nichts, sich lokal in einem Land der Suffizienzidee und der Idee eines Gemeinwohls zu verschreiben, während an anderen Orten weiterhin Umweltsünden, Raubbau oder Verschmutzungen größten Stils betrieben werden. Ressourcen zu sparen ist sinnvoll, lässt sich jedoch nicht gegen die ökonomische Wettbewerbslogik durchsetzen.

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Aber das ist auch gar nicht nötig. Viele Beispiele aus anderen Teilen der Welt zeigen, dass wir sowohl für ökonomische als auch für ökologische Ziele ­etwas erreichen können, wenn wir uns gerade nicht mäßigen. China steht in den Augen vieler nach wie vor für große Umweltschäden und Umweltsünden. Dabei wird aber völlig übersehen, dass China seit vielen Jahren massiv in Öko­ logie und Ökotechnologie investiert. Schon 2012 hatte China den höchsten Anteil an den weltweit in Umwelttechnologien investierten Mitteln, etwa 70 Milliarden Dollar. Die chinesische Regie-

rung geht davon aus, dass nach 2020 weitere 243 Milliarden Dollar, langfristig sogar über 400 Milliarden, zusätzlich notwendig sein werden, um eine öko­ logische Wende in Bereichen wie Windund Solarkraft, Erosionsbekämpfung oder etwa Elektromobilität zu schaffen. Zum Vergleich: Deutschland gibt derzeit etwa 35 Milliarden Euro im Jahr für Umweltschutz aus. Ressourcenschonung ist zwar sinnvoll. Aber ihre Umsetzung durch Rufe nach Gemeinwohl oder Suffizienz ist kontraproduktiv. Wir wollen mehr – das gehört zu unserem Menschsein dazu. Es heißt nicht notwendig, mehr Geld oder nur materielle Dinge insgesamt zu wollen. Wir wollen vielleicht mehr Entspannung und Muße, mehr Zeit für Freunde und Privatleben. Aber sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen, auf dem Er­reichten stehen bleiben zu wollen, das ist keine Tugend. Nicht nur Mäßigung, auch der Hunger auf mehr ist eine T ­ ugend. Wir können uns nicht vor der Verantwortung drücken, im Wettbewerb zu be­ stehen und auf diese Weise die langfristigen Grundlagen unserer Gesellschaft

zu sichern. Der Moralismus der Gemeinwohl-Ökonomie hilft uns dabei in keiner Weise weiter. Es kann nicht ­darum gehen, unsere Lebensweise im ­großen Stil umzustellen. Stattdessen müssen wir Nachhaltigkeit und andere ökologische Belange in unsere öko­ nomische Produktionsweise integrieren – so, wie dies viele Unternehmen bereits jetzt sehr erfolgreich umsetzen. Nachhaltigkeit und Moral werden zum Produktionsfaktor. Dann nutzen sie uns ­allen, das heißt jedem Einzelnen – und nicht einem abstrakten Gemeinwohl. Literatur: Christian Felber, Die Gemeinwohl-­Öko­ nomie – Das Wirtschaftsmodell der ­Zukunft, Wien: Deuticke 2010. Christoph Lütge, Ethik des Wett­bewerbs, München: Beck 2014.

Christoph Lütge (*1969), Ökonom und Philo­ soph, Inhaber des Peter-Löscher-Stif­ tungslehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Technischen Universität München.

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Christoph Lütge

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Aus Wasser Geld machen: Man muss es nur blitzschnell einfrieren und weit rauspusten auf die Novemberwiesen. A u s d e m Po r t rät e i n e s Unte r n e h me r s in Sac h e n Sc h n e e , ab S. 41

Ich vermoste und verkeltere sozusagen permanent die Region, aus der ich stamme, beziehungsweise mich selbst als deren Frucht. Sa g t S c h r i f t s te l l e r A n d re as Maie r ü b e r die Re sso u rc e He imat , ab S. 49

Ein großer Teil unserer Arbeit besteht im Versuch, Materialien wie Holz neuartig einzusetzen und Konstruktionsmöglichkeiten zu erforschen. S o w i rd d e r De si g n e r M a r tin o Gamp e r in se in e m Po r trät z itie r t , ab S. 52

Spätestens, als sie ihre Schuhe abstreiften und barfuß zu musizieren begannen, war klar: Es geschieht gerade ein kleines Wunder. Da s M u s ik tr io Gan e s fasz in ie r t , ab S. 54

Ein unermesslicher Geldsegen steckt in den ach so unmodischen, ach so abgenutzten Hand- und Herrentäschchen. Das einzige Problem: Der Erbfall tritt immer später ein. E i n s at i r i sc h e r B lic k au f das A lte r, ab S. 60

Leben Entdecken Sie zudem • Kunst in der Heftmitte, ab S. 57 • die Vorzüge und Schwächen der Freiluftsprachschule Südtirol, auf S. 62 • den Blick des Fotografen Walter Niedermayr auf die Berge, ab S. 63 • die Berge als literarische Reibungsfläche, ab S. 74


Georg Eisath wächst als Sohn von Bergbauern auf. Später gründet er eine Firma und baut Schneekanonen. TechnoAlpin wird zum Weltmarktführer in dieser Branche. Eisath verdient Millionen. Dann steigt er aus und kauft sich ein Skigebiet. Über ein Leben im Kunstschnee. E ine Be g e g nung am Pistenrand

Schneekönig Text  Jan Grossarth Fotografie  Anna-Kristina Bauer


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Schneekรถnig

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Aus Wasser Geld machen: Man muss es nur blitzschnell einfrieren und weit rauspusten auf die Novemberwiesen. Dann hält es den ganzen langen Winter und die Touristen gondeln rauf und schlittern runter wie am Fließband. Kennt jeder, und man wundert sich nicht, dass es so einfache Dinge sind, die einen Mann reich machen. Dazu muss er dieses Ding nicht mal selbst erfunden haben. So ­etwas Praktisches wie die Schneekanone. Georg Eisath ist so jemand. Und ein ganz besonderer. Erst mal muss er einen Mythos klarstellen. Die Geschichte, die gewöhnlich über Schneekanonenhersteller erzählt wird, geht nämlich so: Der Klimawandel lässt den na­ türlichen Schnee schmelzen und deswegen braucht der Skibetrieb immer mehr künstlichen. Die Schneekanonenindustrie profitiert davon. Die Natur ist kaputt, die Technik soll es retten. Eisath, der Schneekanonenmillionär, wirkt davon gelangweilt. Er hält überhaupt nichts von dieser Story. Sie wurde auch schon über ihn geschrieben. Er hat die angeblich so schnee­erfüllte, goldene Vergangenheit mit eigenen Augen gesehen. Eisath wurde auf einem Bergbauernhof in einfachen Ver­hältnissen groß, im Südtiroler Eggental auf einer Höhe von mehr als 1.200 Metern. Aber es sei so, sagt er, dass die Schneedecke hier schon immer dünn war. Der Mangel ist das Natürliche. Jetzt sind die Pisten schneeweiß. Eisath, dem seit einigen Jahren das Skigebiet Carezza gehört, eine Winter­ wunderwelt mit verstaubten Grandhotels und modernsten Gondelbahnen, wurde 1957 geboren. Er lernte das Ski­fahren auf Holz mit drei oder vier Jahren, genau weiß er es nicht mehr. Er wanderte mangels Skilift den Abhang immer hin­auf und fuhr hinunter, wie es die progressiven Ökotouristen heute anderswo in Südtirol wieder machen. Der Skisport aus Eisaths Kindheit ist ein Wandersport. Berg rauf, Berg runter. Das tat ihm gut. Aber es brachte niemandem Geld. Andere Sport­arten waren in einem Bergdorf auch gar nicht möglich, mit der Ausnahme des beschwerlichen Holzhackens für den Kamin, wenn man so will. Auf all das hatte er keine Lust mehr. Und die Urlauber auch nicht, meist Familien und Skifahrer mit ge­wissen Ansprüchen an Material und Tempo. Häufig, sagt Eisath, konnte er als Kind nicht Ski fahren. Denn wegen der südlichen Alpenlage gibt es in Südtirol wenig Niederschlag. „Im Krieg“, erzählt Georg Eisath und beruft sich auf eine oft gehörte Erzählung seiner Eltern, „fiel zwei Jahre in Folge überhaupt kein Schnee“. Da haben es die Skigebiete in Österreich besser, wo aber dennoch schneekanonisierte Pisten zu sehen sind. Es kam in den vergangenen zehn Jahren in Südtirol sogar mehr Schnee vom Himmel als im langjährigen Mittel,

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Das Königreich von Georg Eisath besteht aus Bergen, Pisten, Liftund ­Beschneiungsanlagen. Ein Paradies für Erwachsene und Kinder.

zeigen die Niederschlagswerte der Behörden. Der mittlere Temperaturanstieg, sagt Eisath, liege lediglich im De­­ zimal­bereich. „Ich habe mir die historischen Wetter­daten sehr genau angesehen.“ Daraus folgt: Jedenfalls in Süd­tirol, auf dieser Höhe, ist die Schneekanone kein Repara­turwerk­zeug gegen die Erderwärmung, sondern ein Tool, das den Skisport in seiner heutigen Form überhaupt möglich macht. Auch wenn es acht Meter im Jahr schneie, was es höchst selten tue, bräuchte man heutzutage Kanonen. Es sei die reine Menge an Abfahrten und Pisten, der Anspruch der Urlauber und der Profisportler, wie auch sein Sohn einer ist, sagt Eisath. Sie akzeptieren keinen Huckel mehr und keine grasige Stelle. Der Schnee muss zehntausenden Ab­fahrten standhalten. Dafür ist der Kunstschnee ohnehin viel besser geeignet als der vom Himmel kommende. Er ist dichter und schwerer. „Der Naturschnee ist viel zu fluffig“, sagt Eisath. Naturschnee ist den Kiefernwipfeln vorbehalten. Die drei Kinder von Georg Eisath sind Skifahrer. Eine Tochter und ein Sohn waren bis zum Wadenbruch Profifahrer, und Florian Eisath fährt immer noch, mit Anfang dreißig, für die Ski-Nationalmannschaft Italiens. Der Vater hat auch noch gesunde Knie. Er fährt, sagt er, fast täglich die schwarzen Pisten herab. Ohne Krafttraining geht es nicht, dafür hat er einen Kraftraum in seinem neuen Hotel, der Moseralm. Das Hotel mitsamt Skigebiet hat er sich

Jan Grossarth

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Kompakt und griffig soll der Schnee sein. Diese Eigenschaften erfüllt Kunstschnee besser als natürlicher. Zudem ist er formbarer und somit ideal für die Pistenpräparierung. Naturschnee sorgt nur mehr für die schöne Landschaft.

einfach gekauft. Die Moseralm liegt in der Hochebene von Karerpass und Karersee (italienisch Carezza), wo sich die Dolomiten erheben und eine Menge Kiefern wachsen, knapp eine Autostunde von Bozen entfernt. Seit dem Kauf hat er hier ganz schön aufgerüstet, ist ein guter Abnehmer geworden der Schneekanonen von TechnoAlpin, seinem alten Unternehmen. Er investierte etwa 40 Millionen Euro in Gondeln, Sessellifte, Schneekanonen. Das Gebiet war ein wenig in die Jahre und außer Mode gekommen, es mehrten sich Insolvenzen von Hotels, die Lifte blieben stehen, die Gäste blieben weg. Eisath formte aus einem Flickenteppich von Mini-Skigebieten ein anständiges – den „King of the Dolomites“. Eisath sitzt im Hotel Moseralm, das er mit seiner Frau führt, und isst Truthahnschnitzel mit Kraut. Bei Techno­­

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Alpin ist er raus, weil er den Stress nicht mehr wollte. Das Unternehmen hatte rund 100 Millionen Euro Jahresumsatz. Nach etwa dreißig Jahren war ganz schön etwas zusammengekommen: Die Firma, von ihm und einem Freund 1985 als WI.TE gegründet, verkaufte mittlerweile Schneekanonen nach Russland, Kasachstan, Amerika und China. Die jährliche Produktion war von fünf auf etwa 2.000 angestiegen. Ein guter Zeitpunkt, um zu gehen. TechnoAlpin geht es gut, aber der Markt wird härter, es gab einige Unternehmensfusionen. Der Markt gilt zudem als gesättigt, weil die großen Skigebiete Europas schon voller Kanonen sind. Jetzt geht es eher um Ersatz. Im Jargon der Pressemeldungen heißt es: „Auch wenn die Betreiber der Skigebiete, hauptsächlich in Europa, in den letzten zwei Jahren befriedigende Saisons hatten, geht der Trend des Beschneiungsmarktes eher nach unten.“

Schneekönig

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Pistenspaß gibt es nur, wenn es auch Lifte gibt. Undenkbar, dass man früher zuerst mit den Skiern hochtrippeln musste, um erst nach dieser Plackerei die Piste hinunterwedeln zu können. Eisaths Skigebiet verfügt über 15 Skilifte und 40 Pistenkilometer.

Der Schnee war mal eine natürliche R ­ essource. Jetzt sind es Wasser und Strom, aus denen Schnee wird. Drei Wasserspeicherseen füttern die Schneekanonen von Carezza Ski. Das Wasser, 130.000 Kubikmeter, reicht für ­die erste Beschneiung im Spätherbst aus. Sie findet im November statt, wenn es erstmals sieben Grad minus wird. Vier oder fünf Tage muss es so kalt bleiben, dann schmeißen Eisaths Leute – rund zehn Personen sind mit der Pistenpflege beschäftigt – die Maschinen an. Über kilometerlange unterirdische Wasser­leitungen saugen mehr als 150 Kanonen das Wasser aus den künstlich angelegten Seen. Eine Turbine schießt kalte Luft hinaus, mit einem Kompressor werden über soge­nannte Nukleatoren Eiskeime erzeugt, blitzschnell gefriert das Wasser und wird mit Wasserdampf umnebelt, der die Schnee­ flocken größer macht. Das Spektakel dauert fünf Tage,

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dann liegen auf den Skipisten 30 Zentimeter Schnee. Ärger mit Umweltschützern, die für den Schutz des Grundwassers kämpfen, gibt es hier oben in den Bergen kaum. „Es gibt mehr als genug Wasser, wir hatten regenreiche Sommer“, sagt Eisath, „und die Apfelbauern brauchen viel mehr Wasser und geben es gemischt mit Chemie wieder zurück in den natürlichen Kreislauf“. Das Wasser, an dem alles hängt, fließt später über Bäche neu ins Tal. Zehn Prozent des Wassers aus diesen Bächen darf Eisaths Skigebiet entnehmen, die Speicher füllen sich langsam neu. Bis zum April benötigt Carezza Ski etwa noch einmal so viel Wasser wie am Anfang, um den Schnee zu erhalten. Die Ressource Wasser wird nicht verbraucht, aber der Kreislauf wird beschleunigt. Ohne Folgen für das Ökosystem geht das nicht. Es gibt

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Der Latemar ist der Hausberg des Karerpasses direkt oberhalb der Skipisten. Hier beginnt das Reich der Bergdohlen.

Der zugefrorene Karersee ist im Winter, sein tiefblaues Wasser im Sommer eine Attraktion.

­ odenerosion und verstärkte Frostschäden, da der B schwere Kunstschnee die darunter liegende Vegetation nicht so gut vor Kälte isoliert wie Naturschnee, Gras­ narben­schäden durch die Skikanten. Der Schnee liegt länger, die Vegetationszeit verkürzt sich. Das Futtergras enthält we­niger Nährstoffe, Almbetrieb wird erschwert. Am Ende bleibt es eine Frage von Ausmaß und Ab­ wägung. Was will man: optimale Almen oder optimale ­Pisten?

pressor und ein paar Düsen kannst du auch einzeln kaufen und selbst zusammensetzen.“ Er kündigte und gründete eine Firma, gemeinsam mit einem Kollegen. 1990 kam ein dritter Gesellschafter hinzu. Die beiden anderen führen das Unternehmen mit Sitz in Bozen bis heute. Es lässt die Schnee­kanonen mit dem markanten Design hier montieren, die technischen Komponenten stammen, damals wie heute, von Zulieferern unter ­an­derem aus Deutschland, Amerika und Tschechien.

Die Kanonen arbeiten 200 Stunden im Jahr. Das kostet Georg Eisath zwischen einer und zwei Millionen Euro. Die Summe hängt von den Temperaturen und vom Strompreis ab. Je wärmer die Lufttemperatur, desto mehr Strom kostet es, die gleiche Menge Schnee zu machen. „Im November studieren wir sehr genau den Wetterbericht“, sagt Eisath, der einen schwarzen Thermopullover trägt, aus dessen Halsöffnung ein goldenes Kruzifix an einer goldenen Kette herausbaumelt. Die heutigen Schnee­kanonen sind um einiges sparsamer als frühere Modelle. Zwar brauchen sie gleich viel Wasser wie die ­ersten Modelle aus den 1980er-Jahren: Einen Kubik­ meter Wasser für zweieinhalb Kubikmeter Schnee, das ist ein Gesetz der Physik. Aber den Stromverbrauch haben sie, sagt Eisath, fast um 90 Prozent reduziert.

Georg Eisath flog um die Welt und feilschte mit den Banken um Kredite. Das Leben im Flugzeug war anstrengend. Er hatte Lust und Heimweh nach dem Berg. Die Moseralm war frei. Georg Eisath sagt, so eine Chance bekomme man nur alle zweihundert Jahre. „Heute bin ich das ganze Jahr hier oben, nur an wenigen Tagen fahre ich nach Bozen für, wie heißt das … für Behördengänge.“ Einen Dienstwagen hat er noch. Und für die Schnee­ kanonen bekommt er einen kleinen Rabatt.

Jan Grossarth (*1981), Wirtschaftsredakteur der „Frankfurter Allge­ meinen Zeitung“. Dort verantwortlich für die Reportage-Seite „Menschen und Wirtschaft“.

Er vergleicht diese Kanonen mit dem Modell, das ihn im Jahr 1983 so verärgert hatte, dass er selbst damit begann, Kanonen zu bauen. Eisath hatte die Fachoberschule für Maschinenbau beendet und arbeitete als Betriebsleiter der Liftanlagen in einem Skigebiet. Die erste Schnee­ kanone musste aus A ­ merika angekauft werden. Das em­pörte Eisath, schließlich war die Konstruktion keine große Kunst. „Ich dachte: Einen Ventilator, einen Kom-

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Das Fotoprojekt „Der Baum“ zeigt die Allgegenwärtigkeit und Banalität von Bäumen auf. Hier ein Baum am Festspielhaus in Bayreuth.


Selbst­vermostung Text  Andreas Maier Fotografie  Erik van der Weijde

Ich kenne eine Familie in Ockstadt in der Wetterau, die wollte eine Wirtschaft gründen. Eine Wirtschaft, wo man sitzt und trinkt, wenn es warm ist und man draußen unter freiem Himmel sein will, ähnlich einem Südtiroler Buschenschank, wo man törggelt (heutzutage törggelt hauptsächlich der Tourist, er hat gemeinhin nicht bei der Weinlese und beim Keltern geholfen und sitzt infolge dessen beim Törggelen nicht im Weinberg oder vor dem Preßhaus, sondern in der Wirtschaft und zahlt). Die Wirtschaft, die ich meine, liegt in Hessen, 30 Kilo­ meter oberhalb Frankfurts. Da gibt es viele Äpfel. Äpfel macht man bei uns zu Apfelwein. Deshalb haben wir einen besonderen Bezug zu Äpfeln. Und wir haben ge­ wisse Erwartungen an Äpfel. Südtiroler Perfekt-Spalierobst-Äpfel würde bei uns kein Mensch anfassen, auch wenn sie im Kaufhaus angeboten werden. Südtiroler Perfekt-Spalierobst-Äpfel machen auf uns den Eindruck von implantierten Playboy-Hochglanz-Bunnys. Aus solchen Bunny-Äpfeln könnte niemals Apfelwein werden. Die Ockstädter Familie hat einige alte Hochstämmer an einer kleinen Bahnlinie gepachtet, Bäume, die ansonsten für gar nichts mehr genutzt würden. Im Herbst sind zwar einige Apfeldiebe unterwegs, aber groß schaden tun die nicht. Selbst die große Frankfurter Kelterei Possmann kommt nicht zu uns aufs Wetterauer Land, um dort kostenlos die Äpfel mitzunehmen. Kostenlose Äpfel vom Baum zu holen und nach Frankfurt zu bringen ist teurer, als Auslandsware anzukaufen, die auf den Hof geliefert wird. Dann hat meine Familie gelernt, Apfelwein zu machen, und den schenken sie nun das halbe Jahr über aus. Sie pflegen die Region, indem sie den Baum pflegen, sie nutzen die Region, indem sie den Baum nutzen, aber sie nutzen sie nicht aus, sondern erhalten sie. Sie schaden niemandem und sie hinterlassen auch nichts. Das Paradies, in dem sie ernten (so heißt das Grundstück an der Bahnlinie), sieht aus wie eh und je, nur dass die

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­ äume jetzt geschnitten sind. Ich habe mal eine ZeitB lang in Brixen gewohnt. Weder riecht das Paradies wie die ­Plantagen um Brixen herum (da wird ja gespritzt wie in der Hölle), noch werden irgendwelche Lagerhallen ­gebaut, noch ragen Tanktürme in die Gegend. Sie haben ihre Wirtschaft gegründet, aber eigentlich ist nichts passiert. Und es kommen nicht einmal aus­ wärtige Gäste in großem Maßstab. Parkplätze haben sie überhaupt keine. Die Wirtschaft liegt in einem Dorf. Die Auswärtigen kommen meistens mit dem Fahrrad. Wenn im Sommer der Hof voll ist, sitzen da sechzig, siebzig Leute, und weil die Familie dann völlig überfordert ist, wartet man auf die nächste Bestellung manchmal eine halbe Stunde. Da alle die Familie kennen, ist das allen egal. Wenn ich heute über meine „Karriere“ als Literat nachdenke, fallen mir die Ockstädter Äpfel und diese Familie ein. Wir haben etwas auf ähnliche Weise gemacht. Wo­ rauf ich vor allem stolz bin: Ich habe nichts hinterlassen. Ich habe niemals einen Firmenkomplex in die Landschaft gesetzt. Ich habe niemals „Arbeitsplätze geschaffen“. Ich habe keinerlei Struktur begründet. Würde ich heute aus der Welt verschwinden, wäre meine Hinterlassenschaft, idealiter, ein etwa einen halben Meter hoher Stapel Bücher. Die würden noch gut zu mir in den Sarg passen – und dann wäre gar nichts mehr da. Die Ockstädter Familie und ich, wir haben, wie ich heute weiß, einen ganz ähnlichen Bezug zu unserer Region. Unsere Region ist unsere Natur. Sie ist die Welt, aus der wir kommen, in der wir uns bewegen und in der wir leben, denn alles andere wäre künstlich. Ich lebe zwar derzeit in Hamburg, aber dennoch lebe ich in der Wetterau, geistig, und zwar vollkommen. Bin ich nicht in der Wetterau, bin ich in der Diaspora. Irgendwann habe ich, übrigens ohne weiter darüber nach­­zudenken, meine Heimat abzuernten begonnen.

Andreas Maier

Leben


Ein Baum in der Umgebung des von Oscar Niemeyer geplanten Kulturzentrums „Le Volcan“ in Le Havre.


Ich weiß bis heute nicht, wie das kam. Als sei das selbst ein na­türlicher Impuls. Ich wollte mein Leben nie zu einem Modell machen, und es hat auch keinen Modellcharakter. Aber dieses Magazin hier fragte mich nach dem Thema Re­gion und Ressource, und da fielen mir meine Ockstädter Familie und meine eigene Literatur ein. Äpfel und Romane. Es ist nämlich so, dass meine ökonomische Basis zum größten Teil aus meiner Region und Herkunft besteht. Ich habe die Wetterau, den Landstrich, aus dem ich komme, zu meinem literarischen Fundament gemacht, und ich habe das nicht einmal mit Absicht getan. Es geschah einfach so.

allem übernächstes Jahr tragen sie wieder Äpfel, einfach so. Die ­Äpfel kommen in die Kelter, dann ins Faß, dann in den Gast, und der geht betrunken nach Hause, und an­schließend ist es, als sei nichts geschehen. Und das ist ein Leben, und so kann es sein. Wir sind Wetterauer. Das kann schon reichen. Das kann schon ein Leben sein.

Andreas Maier (*1967), Schriftsteller, lebte wechselweise in der Wetterau und in Südtirol. Sein Roman „Klausen“ (Suhrkamp 2002) handelt von der Südtiroler Kleinstadt. Von seiner auf elf Teile angelegten autobiografischen Romanserie erschien zuletzt „Der Ort“ (Suhrkamp 2015).

Tourismus beutet Heimat aus, immer. Tourismus ist immer falsch, mag er auch vordergründig Geld in die Re­gion bringen. Aber das ist nicht dramatischer als anderes. Fast alles, was wir machen, ist falsch. Wenn wir „Arbeitsplätze schaffen“, mag das vordergründig Geld bringen. Meine Ockstädter Familie würde nie von ­„Arbeitsplätzen“ reden. So entfremdet sind sie da noch nicht. Ich habe auch keinen „Arbeitsplatz“. Aber wir haben ein Verhältnis zu unserer Herkunft. Ich beispielsweise habe es als meine Spezialität erfunden, ständig überall von der Wetterau, meiner Herkunftsregion, zu schreiben. Wenn ich heute um einen Text angefragt werde, wollen die Leute meistens etwas haben, was mit der Wetterau zu tun hat. Auch meine Romane spielen fast ausschließlich in der Wetterau. Wenn ich aber nicht um die Wetterau angefragt werde, schreibe ich dennoch alles immer auf die Wetterau hin. Ich vermoste und verkeltere sozusagen permanent die Region, aus der ich stamme, beziehungsweise mich selbst als deren Frucht. Ich schaffe es inzwischen bei jedem Themengebiet, immer spätestens nach einem Drittel des Textes, den Bogen zur Wetterau hin zu machen. Die Wetterau, für manche nichts als die bedroh­ liche, flüchtenswerte Heimat, ist mein großes Glück, so gesehen. Das einzige Buch, in dem die Wetterau nicht vorkam, spielte ausgerechnet in Südtirol, aber auch das hat ein Wetterauer geschrieben, ich. Für manche bin ich inzwischen geradezu die Wetterau. Aber fährst du über die Autobahn, siehst du nichts von mir. Kein Schild weist auf mich hin. Kein Einkaufs­ center trägt meinen Namen: Maiers Wetterau-Store oder so. Nirgends kann man hinfahren, um die Maier­ wetterau zu erwerben. Du kannst die Wetterau wochenlang durchwandern, du wirst nichts von mir finden. In Wahrheit bin ich so unauffällig wie die Hochstämmer meiner Ockstädter Familie. Wo sie stehen, wird ja keiner erfahren. Und sie tragen Äpfel, und nächstes und vor

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Andreas Maier

Leben


Über Umwege auf den Holzweg Text  Anna Soucek Fotografie  Ivo Corrà

Der Südtiroler Stardesigner Martino Gamper interpretiert Bekanntes neu und greift dabei auf Handwerkskunst und Formensprache seiner Heimat zurück. Das funktioniert auch in London. Por t rät vo n e i n em, d er au szo g

Die Neuerfindung eines Gebrauchsgegenstandes, den es in tausendfachen Variationen bereits gibt, ist eine Herausforderung, der sich Designer stellen und an der sie auch immer wieder scheitern. Martino Gamper ergriff die Flucht nach vorne. Er nahm sich das bereits un­ zählige Male interpretierte Möbelstück Sessel vor und er erfand nicht nur eines, sondern 100 neue Modelle. In genau 100 Tagen. Das sah das Konzept seines Projekts „100 chairs in 100 days“ vor. Es war seine Reaktion auf die Massen­fertigung, die das Möbeldesign der letzten Jahrzehnte bestimmt hatte. Seine Fingerübung in ­manueller Produktion. Über zwei Jahre hinweg hatte er das Rohmaterial für ­dieses außergewöhnliche Unterfangen gesammelt: Ausrangierte Sessel, die er auf den Straßen seiner Heimatstadt London gefunden oder von Freunden und Bekannten erhalten hatte. Anonyme Massenware war ebenso dabei wie Designklassiker. In Einzelteile zerlegt baute Martino Gamper daraus neue, originelle und zumal erstaunliche Kombinationen zusammen. „100 chairs in 100 days“ war für den Südtiroler, der in Wien bei Michel­ angelo Pistoletto Bildhauerei und in London bei Ron Arad Design studiert hatte, nicht nur eine Möglichkeit, seine Ideen kostengünstig umzusetzen. Das Projekt, das er als sein „dreidimensionales Skizzenbuch“ bezeichnet, verhalf ihm zum internationalen Durchbruch. Mittlerweile ist der 1971 in Meran geborene Martino Gamper nicht nur als Industriedesigner gefragt, er ­ge­­­staltet auch Ausstellungen und hat seine Position an den Schnittstellen zwischen Kunst und Design,

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z­ wischen Konzeptarbeit und Alltagsgebrauch etabliert. „Design is a state of mind“ heißt eine Ausstellung, die nach der Serpentine Gallery in London und der Pina­ coteca Giovanni e Marella Agnelli in Turin auch im Museion in Bozen gezeigt wird. In einer Landschaft aus Regalsystemen von 1930 bis heute werden Privatsammlungen von Freunden und Designerkollegen präsentiert. In Bozen sind eine Künstlerin, ein Designer und ein Mineraliensammler dazugekommen. Letzteren, Florian Mair, kennt Martino Gamper schon lange. Sie waren Nachbarn in Südtirol und Gamper war als Kind oft bei der Familie Mair zu Besuch. „Da war so ein riesiger Schrank voller Steine aus Südtirol – manche wirken richtig exotisch, als wären sie aus Brasilien oder aus einem anderen fernen Land“, sagt Gamper. Dieser Amateursammlung, die nie in größeren Teilen öffentlich gezeigt worden war, räumt Gamper in seiner Museion-Schau Platz ein, „auch weil Mineralien etwas Metaphysisches haben und ihnen eine gewisse überirdische Kraft zugeschrieben wird“, was ihn im ­Kontext von Designobjekten interessiert habe, so der ­Designer. Privatsammlungen sind für Gamper „Vorboten der eigenen Inspiration“. Was gesammelt und was weggelassen wird, welche Geschichten sich hinter Gegenständen verbergen und welche Erzählung sich aus ihrer Gesamtheit ergibt, das entspricht dem state of mind, den sich jeder selbst zusammenstellen kann. Sammeln als Identitätssuche, Bestehendes als Ausgangspunkt für Neues. Seine eigene Sammlung von Gebrauchsgegenständen, ob von Designern entworfen oder von der Natur geformt, ist für Martino Gamper ebenso eine Wissensquelle wie museale Kollektionen, private Kunstsammlungen und Bücher. Verbindungen zu Italien bestehen für Gamper nicht nur in der Design- und Architekturgeschichte der Nachkriegszeit – so hat er sich mit den Werken der Säulenheiligen Gio Ponti und Carlo Mollino auseinandergesetzt –, sondern auch im Handwerk der Gegenwart. Es gibt in Italien „ein wahnsinnig hohes handwerkliches Niveau und Leute, mit denen ich gerne arbeite“, sagt Gamper. Handwerk und Design betrachtet er nicht als getrennte Bereiche, die sich gelegentlich überkreuzen – er will die beiden zusammenführen. Etwa indem er in seinem Londoner Studio, dem eine große Werkstatt angeschlossen ist, selbst Hand anlegt und mit verschiedenen Materialien experimentiert: „Ein großer Teil unserer Arbeit besteht im Versuch, Materialien wie Holz neuartig einzusetzen und Konstruktionsmöglichkeiten zu erforschen.“ Obwohl Gamper als junger Mann in Meran eine Schreinerlehre gemacht hat, ist er zum Material Holz, wie er selbst sagt, über Umwege gekommen, wiewohl „Holz immer in der Nähe“ war und ist.

Über Umwege auf den Holzweg

Leben


Martino Gamper legt immer selbst Hand an. Seine Verbundenheit zum Handwerk zeigt sich auch im blauen Arbeitsschurz.

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Anna Soucek

Leben


Das Material „neu interpretieren“ nennt Gamper seine Arbeitsweise mit Holz, deren Resultate keineswegs rustikal anmuten. Für die Luxusmarke Prada hat er ein Designkonzept für Schaufenster entwickelt, das – nach der Londoner Filiale Anfang 2015 – auch weltweit zur Anwendung kommt. Aus Ebenholz und Ahorn wurde eine sich perspektivisch extrem verjüngende Ecke geschaffen, die dem Schaufenster die Illusion von Tiefe verleiht. Am liebsten hätte er grob mit einer Säge zugeschnittene Bretter verwendet, doch das sei dem Auftraggeber dann doch zu derb gewesen, erzählt Gamper über die Arbeit für Prada. Ein Experiment mit weniger öffentlicher Aufmerksamkeit, aber auf größerem Maßstab entsteht derzeit im Osten von London, wo Gamper sein Atelier hat. „Wir bauen ein kleines Wohnhaus aus Holz, was für London sehr ungewöhnlich ist. Das wird alles mit Südtiroler Handwerkern gemacht und mit Technologien, die in Tirol und Vorarlberg entwickelt wurden.“ Aus Österreich stammt auch das Holz für das Designerhaus, das im Sommer 2015 bezugsfertig sein soll. Martino Gamper schafft damit erneut mithilfe von Fachkräften aus Altbewährtem etwas noch nie Dagewesenes. Manchmal ist das Erfolgsrezept so einfach.

Anna Soucek, österreichische Kunsthistorikerin und Kura­torin, Mitbegründerin des „forum experimentelle architektur“, seit 2004 freie Mitarbeiterin bei Ö1, schreibt für „Salzburger Nachrichten“, „KONstruktiv“, „QUER-Magazin: Architektur und Leben im urbanen Raum“.

Ganes lässt die Sprache klingen Text  Karl Forster Fotografie  Ivo Corrà

Sie sind wunderbar anzuschauen. Sie singen, als kämen sie aus dem Paradies. Und sie benützen dafür eine Sprache, die selbst wie Musik klingt. Ganes, zwei Schwestern und ihre Cousine, sind ein Trio, das die anspruchsvolle Popkultur um neue Klänge bereichert. Mehr als ein Band p or trät

Die drei sind ein Solitär zeitgenössischer Liedkunst, weil ihnen Musik und Musikantentum in die Wiege gelegt waren. Und weil diese Wiege in einer Gegend stand, in der man eine Sprache pflegt, die längst auf der Roten Liste aussterbender Arten steht: Ladinisch. So schön kann die Bemerkung „Kein Problem“ klingen, wenn Ganes sie auf Ladinisch singen: „Mai Guai“. Elisabeth und Marlene Schuen und ihre Cousine Maria Moling sind also nicht nur neue, glänzende Perlen des gehobenen Musikgeschäfts, sie sind auch Kulturbotschafterinnen eines Landstrichs, den viele nur als perfekte Gegend für Skifahren und Bergsteigen kennen. Zu Hause im Dolomitendorf La Val am Fuße der Kreuz­ kofelgruppe inmitten der Südtiroler Dolomiten wachsen die Schwestern Elisabeth und Marlene in einer von Kunst und Kultur geprägten Familie auf („Schon der Opa hat sich beim Theaterspielen in die Oma verliebt“, erinnert sich Marlene). Musik gehört zum Leben, es wird gesungen und gegeigt, der Vater dirigiert die örtliche Blas­ kapelle, Jahre später werden die zwei Schwestern und die seelenverwandte Cousine Maria Musik studieren: Marlene Geige, Elisabeth Operngesang (das Ziel? „Die Carmen!“), Maria Jazzschlagzeug. Man musizierte viel gemeinsam in den Ferien, doch von einer Karriere im Trio, von professionellem Business, war da noch lange nicht die Rede. Der Weg dahin, die Findung solch eines Weges, ist einem Mann zu verdanken, der auch schon als Jugendlicher mit Musik infiziert wurde und aus dieser anfangs verhassten

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Ganes lässt die Sprache klingen

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Die ladinischen Musikerinnen Elisabeth Schuen, Maria Moling und Marlene Schuen der Gruppe Ganes.

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Karl Forster

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„Krankheit“ Großes gemacht hat: Hubert Achleitner, besser bekannt als Hubert von Goisern. Damals, 2002, war er längst ein über die alpinen Grenzen hinaus bekannter Star und brauchte eine neue Geigerin. Er stieß bei dieser Suche auf Marlene Schuen. Eine ideale Part­ nerin: hochmusikalisch, eigene Persönlichkeit, schön. Dann fing Hubert von Goisern mit der Organisation seiner mittlerweile legendären Donaumusikfahrt an. Geplant war ja, mit dem Motorschiff als Konzertzentrum durch die Länder des großen Flusses auf musikalischkulturelle Sammelfahrt zu gehen. Dazu brauchte er Profis mit viel Gefühl für den Augenblick. Auch für den Backgroundgesang. So kam es, dass Marlene ihm von ihrer Schwester und ihrer Cousine erzählte, woraufhin die drei sich alsbald an Bord wiederfanden. So eine Schifffahrt zieht sich zwischen den Häfen. Und was machen Musiker, wenn sie nichts zu tun haben? Sie machen Musik. So auch die drei aus Süd­tirol. Und plötzlich spitzen die an­ deren die Ohren: Was waren das für Melodien und Harmonien und Rhythmen! Und die Sprache, ein einziger Wohlklang. Etwas später sagte Hage Hein, der Manager von Hubert von Goisern: „­ Mädels, wenn ihr jemals was Professionelles zusammen macht, ich bin dabei.“ Das war die G ­ eburtsstunde von ­Ganes.

Elisabeths Sohn wird mit Klang aufwachsen, mit Wohllaut und Harmonien. Das Wort „Musik“ aber wird ihm vielleicht etwas zu hart klingen. Er wird das Ladinische dafür benützen. Es heißt „Musiga“.

Karl Forster (*1950), Teamleiter Kultur der „Süddeutsche Zeitung“, Musiker und Verfasser des Bandes „Segeln“ aus der Reihe „Kleine Philosophie der Passionen“, dtv, 1997.

Ganes sind in der ladinischen Tradition Wasserhexen, die Menschen nicht nur Angst und Schrecken einjagen, sondern sie auch mit großem Glück belohnen. Und als Elisabeth, Marlene und Maria im Frühjahr 2010 ihre erste Scheibe „Rai de Sorëdl“ (Sonnenstrahl) im Jazzclub des Bayerischen Hofs in München vorstellten, wusste man hinterher: Man muss ein guter Mensch gewesen sein, denn eben haben die Wasserhexen aus La Val einen mit großem Glück beschert. Spätestens, als sie ihre Schuhe abstreiften und barfuß zu musizieren begannen, war klar: Es geschieht gerade ein kleines Wunder. Heute haben die drei musizierenden Wasserhexen vier Scheiben auf dem Markt, sind für edle Konzertsäle gebucht und trotzdem noch immer auf der Wanderschaft und der Suche nach dem perfekten Klang. Hört man die vier Werke hintereinander an, fühlt man sich als Begleiter auf diesem Weg und bei dieser Suche. Es fasziniert die musikalische Klarheit unter den dreien. Und der Klang der Sprache. Diese Sprache, sie ist für die drei Musikerinnen auch im Alltag wichtig. „Wir sprechen zu Hause und privat immer Ladinisch“, sagt Elisabeth Schuen. „Das ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Schon weil man, bevor man in die Schule kommt, nur Ladinisch kennt.“ Und für die Musik sei Ladinisch eben die Sprache ihrer Seele, in der sich am besten Gefühle ausdrücken lassen. Auch mit ihrem kleinen Sohn spricht Elisabeth Ladinisch, obwohl er in Salzburg aufwächst. „Nicht in meiner Muttersprache mit ihm zu reden, wäre für mich sehr fremd.“

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Ganes lässt die Sprache klingen

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Ohne Titel (gut aufgelegt) D I

Martina Steckholzer

E M I T T E

Nächste Doppelseite: 2015, 170 × 140 cm, Pigment auf Baumwolle, Courtesy Galerie Meyer Kainer, Wien




messner, moroder, Ötzi – das Alter ist nur für erben eine ressource

Die Zeit arbeitet für die Alten: Wer heute jung ist, so beweisen neueste Statistiken, ist heute allein schon im Gesicht wesentlich älter, als es sich noch die Generation seiner Großeltern jemals hätte leisten können – oder gar nur wollen. Umgekehrt ist die Anzahl der Senioren, die ein typischer Jungspund heute durchfüttern muss, um ein Vielfaches gestiegen. Altersforscher berichten von Menschen mit bis zu acht Großeltern, die alle erhalten und am Wochenende angerufen werden wollen. Von Ötzis Zeiten an bis noch vor wenigen Jahrzehnten hätten sie den Anstand gehabt, rechtzeitig zu sterben; heute wollen sie mit auf Adventure-Urlaub fliegen und beim Renovieren nützliche Tipps geben – jahrelang akkumuliertes Frühstücksfernsehen bricht sich unbarmherzig Bahn. Und es ist beileibe nicht so, als seien die neuen Alten nicht willkommen. Ganze Wirtschaftszweige scheinen von gerontophiler Raserei befallen; je faltiger, je zahnloser, umso geiler, gieriger werfen sie sich den Zauseln an die eingefallene Brust. Seniorentelefone sind erst der Anfang; auf einschlägigen Messen werden schon jetzt Seniorentoaster vorgestellt, die den fertigen Toast selbständig auswerfen, belegen, vergessen und vergammeln lassen; außerdem Seniorenkühlschränke, die nur mehr für Einmachgläser zugelassen sind. Die Medien tanzen schon länger nach der Pfeife der Altersgewinner: Freimütig bekennen die Programmplaner der Öffentlich-Rechtlichen, dass auch die sogenannten jungen Formate ein durchschnittliches Zuschaueralter von 64 haben; unter einem „jungen Publikum“ versteht man hier eines, das den Fernseher noch ohne fremde Hilfe ein- und ausschalten kann. Auch in Sachen Sexappeal haben die Senioren mitzureden: Toy-Tatterich und Gero-Girl sind Statussymbole der Superreichen! Je mehr Lebensjahre man um sich schart, umso besser, denn umso mehr kann man sich leisten: Die Pflegekosten, die schon bei einem einzelnen Hochbetagten heute anfallen, stellen den Unterhalt für das typische Playboy-Bunny weit in den Schatten.

Text Illustration

Leo Fischer Patrick Vollrath

Preisfrage: Wer sieht eigentlich älter aus? Der sonnengegerbte, bestens gelaunte Mallorca-Senior, dessen Studium noch aus Willy Brandts persönlichem Sparstrumpf bezahlt wurde und der nach 20 sinn- und gedankenlos bei einem Staatsbetrieb vertrödelten Jahren mit 40 in den unverdienten Vorruhestand geht? Oder der moderne Turbostudent, der mit 14 Jahren Abitur gemacht hat, mit 16 den Bachelor, mit 20 die Promotion und mit 22 den Nobelpreis, seither in Endlosschleife durch unbezahlte Praktika gondelt und mit 25 dann als zitterndes Wrack in der Nervenklinik weggelasert wird?

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In gewisser Weise erfüllt der Hochbetagte die Rolle des idealen Konsumenten: Kaufkräftig, mit starker Markenloyalität, und wenn er einmal mit einem Produkt unzufrieden war, hat er das morgen schon wieder vergessen. Oder auch schon in zehn Minuten. Unternehmer schätzen aber auch das Innovationspotenzial der Methusaleme. Lange bevor das Wort „Essens-Flatrate“ erstmals ausgesprochen wurde, schwörte Großmutter schon auf die gute alte Magensonde. An unseren Greisen verwirklicht sich aber auch das Prinzip Zwangskonsum. 24 Stunden läuft der Fernseher, Tag und Nacht tropft der Katheter die verrücktesten Partydrogen in den Organismus. Wer Widerworte gibt, wird gleich als renitent eingestuft. Tabletten, Frühaufstehen und endlose Bingoabende zerstören das letzte bisschen Persönlichkeit, das noch da war.

Messner, Moroder, Ötzi – das Alter ist nur für Erben eine Ressource

Leben


Die Enkel? Lassen es mit sich geschehen. Die nächste Generation der Erben steht schon in den Startlöchern; noch nie wurde in Deutschland so viel vererbt wie heute. Der Grund: unterm Sofa verschlampte Sparbücher, zu verrückten Vorkriegszinsen angelegt, die über Jahrzehnte hinweg vor sich hin gären wie Fantadosen in der Sommersonne. Ein unermesslicher Geldsegen steckt in den ach so unmodischen, ach so abgenutzten Hand- und Herrentäschchen. Das einzige Problem: Der Erbfall tritt immer später ein, teilweise schon gar nicht mehr. Wenn die liebe Uroma, der niedliche Großonkel endlich ins wohlverdiente Gras gebissen hat, ist der potenzielle Erbe meist schon selber hochbetagt, entmündigt, hockt in eingenässter Kleidung in irgendeiner Pflegehölle herum. Skrupellose Testamentsvollstrecker, selber kaum volljährig, lachen sich ins Fäustchen – und fahren die Ernte ein. Auch „Rentenfonds“ hört sich zunächst gut an, aber kaum einer denkt daran, dass für ein einziges Glas Rentenfond Hunderte Rentner zusammengepfercht werden, auf teilweise menschenunwürdigen Butterfahrten hilf- und kraftlos irgendwelche Dokumente unterschreiben, in der Hoffnung auf einen schnellen Tod.

Still alive: Reinhold Messner, Giorgio Moroder und Ötzi.

Gibt es einen Ausweg aus der Altersfalle? Vielleicht hilft die richtige Ernährung: Ein täglicher Aufguss von Eisenwurz, Grippostad und hautverträglichen Jojobaölen kann das Unvermeidliche angeblich ein paar Jahre hinauszögern. Andere steigen, bis sie hundert sind, auf Matterhörner wie Reinhold Messner, andere wie Giorgio Moroder wanken mit dem Rollator zum DJ-Pult und beschallen mit dem Synthiepop ihrer Jugend weitere Generationen. Luis Trenker wurde mit 96 nochmal Vater – auch Windelwechseln hält jung, zumal die eigenen dazukommen. Wieder andere schließen sich zu sogenannten Alterskohorten zusammen, machen erbarmungslos Jagd auf Teenager und Krabbelgruppen. Doch sind das lediglich Scheingefechte – die wahren Probleme sind ökonomischer Natur. Altern ist einfach zu wertvoll geworden. Wir müssen es an der Wurzel packen: im Personalausweis. Wer dort sein Geburtsjahr tilgt, wird dadurch vielleicht nicht jünger. Aber er macht sich und der Behörde erst mal einen Riesenhaufen Arbeit – über die man sich dann die heißbegehrten grauen Haare wachsen lassen kann. Dann endlich verliert das Alter seinen Reiz – wenn es einfach jeder haben kann. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg.

Leo Fischer (*1981), Satiriker, ehemaliger Chefredakteur des Satire­ magazins „Titanic“, Kolumnist für „Jungle World“ und „Neues Deutschland“. Aktuelle Buchveröffentlichung: „Niemand sagt’s Angela. Das supergeheime Abhörprojekt der NSA“, Bastei, 2014.

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Leo Fischer

Leben


Sprachschule Südtirol Text  Aldo Mazza Illustration  Gino Alberti

Deutsch und Italienisch lernen in einem zweisprachigen Land, das klingt nach idealen Voraussetzungen. Südtirol ist ein offenes Wörterbuch, eine Freiluftsprachschule. Doch die Nähe der ­Kul­turen hat ihre Tücken. Sie erschwert auch ein Eintauchen in die Sprache des anderen. U n s e re Ko l u mn e z u m T h ema „Üb erse t zen“

Südtirol als Sprachschule? Zugegeben, es leben hier mehrere Sprachgruppen, das heißt aber noch lange nicht, dass alle, die hier leben, mehr als eine Sprache beherrschen. Wer will und entsprechend interessiert ist, der findet genug Gelegenheiten, die zweite Sprache zu pflegen, egal ob Deutsch oder Italienisch. Besonders der Dialog mit Muttersprachlern ist einer der effizientesten Wege, um die zweite Sprache zu lernen. Außerdem gibt es Sprachkurse, Zei­ tungen und Zeitschriften in der anderen Sprache, auch Radio und Fernsehen können nützlich sein. Und schließlich ist das ganze Land eine Art zweisprachiges Wörterbuch. Schilder auf der Straße, an Geschäften oder in Büros, die Werbung, Mitteilungen im Bus oder Zug: Vieles ist zweisprachig gehalten. Man lernt dann automatisch, dass farmacia die Apotheke ist, fermata die Haltestelle oder svendita der Ausverkauf. So einfach ist es dann aber doch nicht. Die Erfahrung zeigt, dass man sich in der Kommunikation, also beim Lesen, Zuhören und Sprechen, nur auf eine Sprache wirklich konzentriert. Das zeigt sich auch in der Geschichte des Sprachgebrauchs in Südtirol: Bis in die 1970erJahre, als in der öffentlichen Verwaltung fast ausschließlich Italienisch gesprochen wurde, konnten die deutschsprachigen Südtiroler besser Italienisch als heute, und das, obwohl die Zweisprachigkeit inzwischen zum Standard ­geworden ist. Dass man eine Sprache dann besser erlernt, wenn man dazu gezwungen ist, ist freilich die falsche

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Schluss­folgerung. Es macht aber eines deutlich: Nur am gleichen Ort zu leben reicht nicht. Die neuere Geschichte belegt, dass die beiden größten Sprachgruppen in Südtirol gelernt haben, ­nebeneinander zu leben. Was schon besser ist als in der Vergangenheit, als man gegeneinander lebte. Doch ein ­bloßes Nebeneinanderleben kann da­­zu ­führen, dass der eine ohne den an­deren lebt, so, als gäbe es ihn gar nicht. Damit würde man wieder zum Ausgangspunkt zurückkehren, nämlich zum Konflikt z­ wischen den Sprachgruppen. Fakt ist, dass das bloße Zusammenleben der Sprachgruppen für den Sprach­ erwerb nicht nur unzureichend ist – es

ist auch kontraproduktiv. Paradoxerweise ließe sich in Bologna vielleicht einfacher Deutsch lernen als in Bozen. Das Lernen wäre unbefangen, es gäbe keine Vorurteile. Interessierte erfahren die Sprache und Kultur aufgrund von

Sprachschule Südtirol

persönlichen, positiv behafteten Entscheidungen; in Südtirol hingegen fühlt man sich gewissermaßen gezwungen. Wichtig für das Sprachenlernen ist also das Umfeld, das kulturelle Klima. Die jüngeren Generationen haben in dieser Hinsicht große Fortschritte in Richtung einer wirklichen Zweisprachigkeit gemacht. Man kann also doch sagen: Trotz allem lässt sich in Bozen leichter Deutsch lernen als in Bologna. Dass es ein Vorteil ist, mehr als eine Sprache zu beherrschen, bestreitet heute niemand. Interessant ist es zu hinterfragen, was mit „mehr als eine Sprache“ jedoch wirklich gemeint ist. Eine Sprache – jede Sprache – ist nicht nur eine Gesamtheit von Lauten und Regeln. Vokabeln und Grammatik zu lernen reicht nicht aus, um eine Sprache zu können, denn sie ist so viel mehr. Ihr Vokabular und sogar ihre Strukturen vermitteln Bedeutungen, Botschaften und Werte, die von Geschichte, Traditionen und Erfahrungen geprägt wurden. Sprache ist Kultur. Eine Sprache zu erlernen bedeutet also, sich einer Kultur anzu­ nähern, deren Ausdruck diese Sprache ist. Und wer wirklich an der anderen ­Kultur interessiert ist und Freude daran hat, ihre Eigenheiten zu entdecken, der lernt eine Sprache viel schneller. Die Bemühungen der Schulen, den Zweitsprachenunterricht zu verbessern, und die Tatsache, dass an der Freien Universität Bozen in italienischer, deutscher und englischer Sprache gelehrt wird, zeigen, dass sich Südtirol stark gewandelt hat. Selbst wenn das Autonomiestatut als Verfassung Südtirols rechtliche Grenzen setzt, verfügen Schulen über Freiheiten, ihren Sprachunterricht zu gestalten. Sie haben diese genutzt und im Laufe der Jahre gute Ergebnisse erzielt. In der Gesellschaft wächst das Engagement für die Entwicklung von Projekten und für Innovation. Die Voraussetzungen für eine „Sprachschule Südtirol“ sind also gegeben. Der nächste Kurs findet in der Bar um die Ecke, beim Einkaufen oder im Bus statt. Teilnahme kostenlos.

Aldo Mazza (*1948), Gründer der Sprach­ schule alphabeta und des gleichnamigen Verlages. Aktuelle Buchveröffentlichung: „Stare insieme è un’arte. Vivere in Alto Adige/Südtirol“, zusammen mit Lucio Giudiceandrea, alphabeta Verlag, 2012.

Leben

Ü B E R S E T Z E N


Walter Niedermayr

Topologien D U R C H Q U E R E N

Unsere Landschaft wird zunehmend vom Menschen besetzt. In den Bergen zeigt sich dies besonders deutlich. Der unwirtliche Lebensraum Berg entwickelte sich in den ver­gangenen 50 Jahren zur Freizeitstätte, zum erweiterten Sportgerät. Diese Entwicklung der Landschaft verfolgt der Künstler und Fotograf Walter Niedermayr als neutraler Beobachter. Die Wirkung seiner Bilder ist vordergründig eine ästhetische, erst auf den zweiten und dritten Blick erkennt man die Brüche, Widersprüche und Paradoxe in der vermeintlichen „Naturlandschaft“. Es geht Niedermayr weniger um Moral oder Kritik. Er lädt uns ein genauer hin­ zuschauen, wie die Welt, die uns umgibt, sich rasant verändert, ohne dass es uns bewusst wird. Es geht ihm um die Sichtbar­machung von Raum und wie dieser von den Menschen wahrgenommen, erlebt und gestaltet wird. Topologisches Denken berücksichtigt lokale Werte: den Boden, die Pflanzen, das Wetter, die Gebräuche. Es folgt einem Menschenbild, das den Menschen nicht nur als physisches, sondern auch als geistiges Wesen erkennt. E ine S p urensuche in d en A lp en

Folgende Seiten: Stilfserjoch 17, 2004 (Italien/Südtirol) | Passo Tonale 13, 2004 (Italien/Trentino) | Madritsch 03, 2008 (Italien/Südtirol) | Tignes 08, 2008 (Frankreich/Rhône-Alpes) | Les Arc 2000 01 (2014) (Frankreich/Rhône-Alpes); Bilder: Courtesy Galerie Nordenhake Berlin/Stockholm












Kommen Sie zu uns, wir haben nichts Text  Waltraud Mittich Skulptur  Karin Welponer

Die folgende ist eine Kurzgeschichte, möglicherweise eine Mär, von einem Gut, einem Wert, über den sich Südtirol definiert. Wir sind ein alpines Völklein. Das Alpenglühen als Widerschein der Feste des Zwergenkönigs Laurin in seinem Rosengarten verkaufen wir jedem, der unsere Festung betritt, ob er will oder nicht. Denn wir sind findig, auch listig, und unser Hang zum Materiellen ist ausgeprägt. Ob uns der Berg so ­gemacht hat? Dass die Berge prägen, so wie es die Ebenen tun und die Gewässer, steht außer Frage. Den Bergbewohnern wird nachgesagt, sie seien einfach, ehrlich, tatkräftig, beharrlich, dies die positiven Eigenschaften, denen als negative vor allem Engstirnigkeit, Unbeweglichkeit, Sturheit, Sprachlosigkeit gegenüber­ stehen. Was haben wir, so gestrickt, mit oder aus unseren Bergen gemacht? Nicht vom touristischen Extremismus in den Alpen oder von deren Vermarktung soll an dieser Stelle die Rede sein. Auch nicht von der Sehnsucht nach dem ­Gleichen, der Furcht vor dem ­Anderen, ­wovon Bergler eher befallen sind als urbane Gesellschaften. Welt­ offenheit kann nicht verordnet werden, sie kann nur diskursiv entstehen, doch an Gesprächsfähigkeit mangelt es in den Bergen. Ich möchte vielmehr davon erzählen, was mit mir persönlich geschieht, wenn ich die Berge Richtung Süden verlasse: Ob im Auto, im Zug oder per Fahrrad, irgendwann nach der sogenannten Salurner Klause, dieser Verengung des Etschtales, beginnt die Ebene und irgendwann, sobald es flach wird und übersichtlich, überkommt mich ein völlig grundloses Gefühl des Freiseins. Ich atme leichter, meist beginne ich sogar zu singen. Von anderen Berglern habe ich allerdings gehört, dass sich Kopf­­

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Mythos Berg: Die Künstlerin Karin Welponer verwendete Öl, Holz und Stein. Titel: Bergbeschreibung, 1985.

schmerzen einstellen nach der Salurner Klause, sobald die Ebene sie einholt. Alle meine bisherigen Feststellungen hätte ich eigentlich gerne außen vor gelassen, weil sie nicht zielführend sind für das, was ich über Berg und Tal und Land und Leute sagen möchte. Nun gut, ein Umweg ist auch ein Weg. Weil dem so ist, nehme ich mir nun einen zweiten vor oder tue ihn dem Leser an. Also: Wenn in Silicon Valley der Schritt geprobt wird ins posthumane Zeitalter, wo etwa Mensch und Maschine verschmelzen, so sollten wir Menschen in den Bergen trotzdem Menschen bleiben, unseren Erwartungshorizont, was den Berg betrifft, jedoch erweitern, ihm Schicht für Schicht seine Träume entlocken. Dabei leichtfüßig gehen, nicht wissen wollen, wie lang. Versuchen, die noch nicht vom (Nutzungs-)Sinn besetzten Segmente

des Berges ausfindig zu machen. So entstünde möglicherweise eine Vorhut von Bergbewohnern mit anderen, mit zeitgemäßen Ansprüchen. Ich bin mir nämlich sicher, dass es am Berg verborgene Stellen gibt, von wo wir hinuntersteigen können zu den dort gelagerten Traumbildern. Wer könnte uns die Fährten legen? Die unerprobten, die eigenen. Die alten Griechen sprachen davon, dass es geheime Stellen gebe, die hinunter führten in den Orkus. Vielleicht sind unsere Bergmythen, die Dolomitensagen, dieser Schöpfungsmythos, nicht gerade Wegweiser, aber doch Fährtenleger in unsere innere Berg-Unterwelt, wo wir die Stille ertragen wollen und müssen. Rückzugsgebiete zum Denken und Träumen, zum symbolischen Denken. Traumähnliche Mondlandschaften – Bündnisse mit Murmeltieren, Berge, die erröten wie die Croda Rossa, Seelenlandschaften. Ahninnenkult wird zelebriert, der Karfunkelstein, die alpine Entsprechung des Steines der Weisen, wird gesucht. Derlei Gedanken können leicht verschroben wirken, es geht auch anders: So wie ein Schüler im Werkunterricht mitunter mehr mathematisches Wissen erwirbt als im Mathematikunterricht selbst, so verhält es sich mit der Gewichtung der Berge. Profit, Gewinn, Ressourcen könnten sich an ungeahnter Stelle und aus ungenutzten Quellen ergeben und im jetzigen Sinne völlig unergiebig sein. Leben ist ein Kuss des Himmels, das Unverfügbare. „Nur wer an der goldenen Brücke für die Karfunkelfee / das Wort noch weiß, hat gewonnen“, sagt Ingeborg Bachmann. Das Wort, der Satz, der zu wissen wäre, mit dem wir gewinnen könnten, ist es vielleicht der Titelsatz der vorliegenden Kolumne? „Kommen Sie zu uns, wir haben nichts“. Er stammt von Hannes Grüner, Berg­ führer aus Villgratten. Was wir brauchen, nicht nur wir in den Bergen, ist Hoffnung, die lebendig hält. Die Zuversicht darf sich nicht beugen vor der eingehegten Angst. Feiern wir das Leben. Mit nichts.

Waltraud Mittich (*1946), Schriftstellerin. Aktuelle Buchveröffentlichung: „Abschied von der Serenissima“, Edition Laurin, 2014.

Kommen Sie zu uns, wir haben nichts

Leben

K O L U M N E M I T T I C H


Das Spannende an der Lehre in Bozen ist, dass das Verhältnis Dozent-Student ständig gesprengt wird. Der Lehrende nimmt eher die Rolle des Kurators ein. G l ü c k l i c h , we r so ü b e r se in e Un i spr ic ht , ab S. 76

Immer war es der Staat, der allen Widrigkeiten zum Trotz wagte, über das scheinbar Unmögliche nachzudenken. S o d i e Th e se de r Öko n o min Mar ian a Maz z u c ato, ab S. 83

Sträucher und Gemüse auf dem Balkon in Ehren, aber mit ein paar Blumentrögen wird es nicht getan sein. Es geht um die Frage, wie man Räume verdichten und Grünraum erhalten kann. M e i nt d e r A rc h i t e k t z u m I n ge n ie u r bio lo ge n in de r Disku ssio n , ab S. 86 Da ra u f h i n su c ht e i n A rc h ite k tu r fo to graf Spu re n de r Ve rdic htu n g, ab S. 90

Wer tatsächlich etwas verändern will, sollte danach trachten, die Hand zu schütteln, die ihn füttert. Fi n d e t d e r Fo o d j o u r n a l i s t in B ez u g au f re gio n ale Pro du k te in Su p e r mär k te n , ab S. 94

Reicht es, Wasser als Gemeingut zu definieren, um eine gerechte Wasserversorgung zu garantieren? Die A nt wo r t au f die se Frage , ab S. 97

P ER S P E K T I V EN Überlegen Sie am Ende selbst • welche Vorteile wir heute aus der Vergangenheit ziehen, ab S. 98


Aula

mit Aussicht Text  Barbara Bachmann Fotografie  Andreas Müller


Gute Aussichten nicht nur auf Berge, s­ ondern für den Berufseinstieg verspricht die Freie Universität Bozen: fünf Fakultäten, ­dreisprachige Lehre und internationale ­Professoren und Studenten lassen die kleine Institution Großes bieten. Por trät e i n er Un i u n d i h rer S t u d enten

11 Uhr Vormittag an der Uni Bozen. Vor dem Schwarzen Brett im Hauptgebäude notiert sich eine Studentin Namen und Telefonnummer von einem Zettel, auf dem steht: Ich biete Englisch, Chinesisch und suche Deutsch, Italienisch. Nebenan in der Unicafeteria unterhalten sich zwei Studentinnen in Standarddeutsch, während Kaffeetassen klirren und frischer Orangensaft gepresst wird. Am Tresen bestellt ein junger Mann sein Croissant auf Italienisch und von den Tischen im Freien, auf dem Universitätsplatz 1, dringt Südtiroler Deutsch in den Raum.

gänge sowie fünf Forschungsdoktorate an fünf Fakul­ täten, verteilt auf drei Standorte. Mehrsprachig und interkulturell, so bezeichnet sich die Universität selbst. Anders als das heimische Schulsystem, das in einen italienischund einen deutschsprachigen Zweig getrennt ist, wird an der Uni Bozen dreisprachig gelehrt: auf Englisch, Italienisch und Deutsch. Ein paar Kurse werden auch auf Ladinisch, der dritten Amtssprache Südtirols, angeboten. Tatsächlich ist die Universität, die 2015 18 Jahre alt wird, erstaunlich kosmopolitisch: 63 Nationen studieren hier. 2014 kamen 16 Prozent der 3.183 inskribierten Studenten aus dem Ausland, national liegt die Quote bei 3,2 Prozent. „Die Tatsache, dass unsere Uni dreisprachig ist, führt zu einer Auswahl von sehr guten und sehr motivierten Studenten“, sagt Christian Lechner, Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. Auch der Anteil der ausländischen Professoren sei mit 30 Prozent höher als gewöhnlich, aber noch ausbaufähig – 70 Prozent sind laut Gesetz möglich.

Es gibt in der 500.000 Einwohner zählenden Region Südtirol wenige Orte, die so international sind wie die Freie Universität Bozen. Eine kleine Institution in einem kleinen Land, ihr Angebot: je zehn Bachelor- und Masterstudien­

Bevor der Deutsche vor zwei Jahren Professor an der Universität Bozen wurde, lehrte er zwölf Jahre lang an der Universität von Toulouse Entrepreneurship und begleitete dort rund 50 Firmengründungen. In Bozen versucht er Ähnliches aufzubauen. Im zweiten Jahr des Masters

Wirtschaftsprofessor Christian Lechner bindet regionale Unternehmer als Mentoren für die Studierenden ein.

Daniel Kaneider, ehemaliger Student der Uni Bozen und Co-Gründer des Sockenunternehmens WAMS.

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Barbara Bachmann

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Die Bibliothek bildet das Herz der Bozner Universität und bietet neben Kursen und einem eigenen Magazin auch besondere Events wie die „Lange Nacht der ungeschriebenen Abschlussarbeiten“.

­ nternehmensführung und Innovation erarbeiten LechU ners Studenten Businesspläne, regionale Unternehmer sind dabei ihre Mentoren. Für ihn ein klarer Vorteil der überschaubaren Größe der Region. „In München würde ich es bei der Vielzahl von Studenten nie schaffen, für jedes Projekt einen Coach aus der Wirtschaft zu finden.“ Da Süd­tirol als Absatzmarkt von vornherein klein sei, seien die Studenten zudem gezwungen, „sofort über den Tellerrand zu schauen.“ Gut ein Drittel der Studenten bleibt nach Abschluss in der Region, Lechners ehemaliger Student Daniel Kaneider ist einer von ihnen. Als der Südtiroler im März 2015 sein Masterstudium abschloss, war er schon beinahe zwei Jahre als Jungunternehmer tätig. 2013 gründete er mit Robert Larcher das Sockenunternehmen WAMS. „Neben dem produktiven Austausch mit den anderen 30 Studierenden habe ich vor allem von der intensiven Betreuung durch die Professoren profitiert“, sagt Kaneider heute. Dass er auch Kurse an der Fakultät für Design besuchen konnte, habe ihm bei der Entwicklung seines Produktes sehr weitergeholfen. Die erste Kollektion haben Kaneider und Larcher selbst designt, die aktuelle wurde von einer Studentin an der Fakultät für Design und Künste konzipiert.

Fabrizio Mazzetto, Professor und Prodekan für Forschung an der Fakultät für Naturwissenschaften und Technik.

Das fakultätsübergreifende und interdisziplinäre Arbeiten – ein Grundprinzip der Freien Universität Bozen – macht auch für Fabrizio Mazzetto, Professor und Prodekan für Forschung an der Fakultät für Naturwissenschaften und Technik, eine ihrer zentralen Stärken aus. „Es ist einzig­ artig auf nationaler Ebene, aber auch im europäischen Vergleich.“ An nur einer Fakultät arbeiten Experten zusammen, die üblicherweise getrennt agieren: Agrar- und Umweltwissenschaftler, Ingenieure im Bereich Energie und Industrie. Auch hier ist die Größe der Grund dafür: „Wir sind gezwungen, zusammenzuarbeiten, um die ­kritische Masse zu erreichen“, sagt Mazzetto. Aber eben das mache die Universität zu ihrem Vorteil. Die Uni Bozen wird zu 86,4 Prozent von der Autonomen Provinz Bozen finanziert. Vermutlich mit ein Grund, ­warum sich die Fakultäten auf Lehrangebote spezialisiert haben, die den Besonderheiten des Landes angepasst sind. Mit 18.000 Hektar ist Südtirol das größte zusammenhängende Obstanbaugebiet Europas, passend dazu wird an der Fakultät für Naturwissenschaften und Technik ein Masterstudiengang in internationalen Garten- und Obstbauwissenschaften angeboten, ein anderer widmet sich dem Umweltmanagement in Bergregionen.

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Rektor Walter Lorenz ist stolz darauf, dass „seine“ Uni die beste Arbeitseintrittsquote aller italienischen Universitäten hat.

Barbara Bachmann

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Ein Designobjekt aus dem Seminarraum von Professor Roberto Gigliotti an der Fakultät für Design und Künste.

Tanu Shri Sahu, Absolventin des Europäischen Masters in Compu­ tational Logic, hat zuvor in Dresden studiert.

Als eine junge Universität, die dabei sei, ihre Rolle im re­ gio­nalen und internationalen Kontext zu finden, sei man bemüht, den universitären Gedanken in die Bevölkerung zu tragen, sagt Rektor Walter Lorenz. Das geschieht zum Beispiel durch das Studium generale – ein Studienangebot, das bildungsferne Gruppen anregen soll, uni­versitäre Kurse zu besuchen. „Ein anderes Projekt heißt ‚Junior­ Uni‘: Universitätsprofessoren erklären Kindern ab sechs Jahren zum Beispiel die chemische Zusammen­setzung von Speiseeis.“ Weil eine kleine Universität nicht in allen Fächern Spezialist sein kann, strebt die Uni Bozen seit ein paar Jahren eine länderübergreifende Zusammenarbeit mit den Uni-

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versitäten Trient und Innsbruck an. „Das Projekt EuregioUniversität ermöglicht es Studierenden, an allen drei Standorten Module zu studieren und sie automatisch angerechnet zu bekommen“, erzählt Fabrizio Mazzetto. Eng arbeitet die Fakultät für Naturwissenschaften und Technik auch mit heimischen Forschungseinrichtungen wie der Europäischen Akademie (Eurac) und dem L ­ and- und Forstwissenschaftlichen Versuchszentrum Laimburg zusammen. „Trotz vieler erfolgreicher Projekte leiden wir manchmal noch etwas an der knappen Struktur“, sagt Mazzetto. Lange ersehnt sich seine Fakultät daher die Fertigstellung des Technologieparkes Bozen, in dem Forschungssein-

Aula mit Aussicht

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Die Gebäude der 1997 gegründeten Universität liegen im Herzen der Bozner Altstadt und bestehen aus einem Ensemble an historischen Bauten des ehemaligen Krankenhauses und neuen Gebäuden, entworfen von den Zürcher Architekten Matthias Bischoff und Roberto Azzola.

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richtungen in Kooperationen untereinander und in der ­Zusammenarbeit mit Unternehmen ihre Kompetenzen bündeln und zur technologischen und wissenschaftlichen Innovation und zum Wissenstransfer im Land beitragen sollen. Über Praktika oder Forschungsprojekte stehen die Studierenden schon jetzt im Austausch mit heimischen Unternehmen aus dem ­alpinen Sektor und der Landwirtschaft. Mit den Jahren habe sich dieser Austausch immer mehr verbessert, sagt Stefan Pan, Präsident des Unternehmerverbandes: „Er basiert auf täglicher Kleinarbeit.“ Die Uni Bozen sei für alle Unternehmen interessant, die auf Innovation setzen, da mache er als Produzent von Tiefkühlprodukten keine Ausnahme. Im Zuge einer dualen Ausbildung haben Studenten des Industrie- und Ma­schi­nen­ingenieurwesens einen Teil ihrer Ausbildung in seinem Unternehmen absolviert, „nach Abschluss haben wir sie gleich behalten“, sagt er fast selbstverständlich. Den Agrartechniker Mazzetto wundert das nicht. „Süd­ tirol ist ein kulturell und menschlich sehr fruchtbares Land.“ 2010 wechselte er von der Universität Mailand nach Bozen. Hier sei er freier in der Forschung und darü-

Gerhard Glüher, Dekan der Fakultät für Design und Künste, sieht die Universität als Denkfabrik und bemängelt, dass über den­ Lehralltag hinaus manchmal zu wenig weit gedacht wird.

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ber hinaus lasse ihn die Region, obwohl sie eine der niedrigsten Akademikerraten der EU hat, staunen. Er habe in Südtirol Bauern kennengelernt, die die halbe Welt bereisten, nur um zu sehen, wie unterschiedlich man Reben anbauen kann. „So eine große Neugier ist mir nirgendwo anders begegnet.“ Die Südtiroler Mentalität hat auch Tanu Shri Sahu aus Indien überzeugt. „Sie ist eine Mischung aus deutscher Genauigkeit und italienischer Gelassenheit“, sagt die 25-jährige Informatikstudentin. Seit drei Semestern ist sie an der Universität Bozen inskribiert. Tanu Shri Sahu absolviert hier einen europäischen Master in Compu­ tational Logic. Zuvor hat sie ein halbes Jahr an der Universität Dresden studiert. Die Unterrichtsart in Bozen ­bevorzugt sie. „Sie ist praktischer. Was wir hier lernen, ­­probieren wir im Projekt sofort aus.“ Wenn sie in ein paar Monaten ihren Abschluss macht, möchte sie in Süd­ tirol eine Arbeit suchen. „Es gibt eine Menge kleiner Infor­matikfirmen, mit denen ich schon während des Studiums in Kontakt gekommen bin.“ Laut Statistik wird ihr das g ­ elingen, italienweit erreicht die Uni Bozen die beste ­Arbeitseintrittsquote aller Universitäten, sie liegt bei 80 Prozent.

Roberto Gigliotti, Professor für Interior and Exhibit Design, lobt den Vorteil einer kleinen Uni: Der Lehrende wird zum Kurator.

Aula mit Aussicht

Perspektiven


So wichtig der Praxisbezug und die Anbindung an die Außenwelt auch seien, ein bisschen Elfenbeinturm solle die Universität dennoch bleiben, sagt Gerhard Glüher, Dekan der Fakultät für Design und Künste. „Eine Universität ist eine Denkfabrik. Und hier wird mir manchmal zu wenig gedacht.“ Ändern soll sich das mit dem ersten Master in Ecosocial Design an der Fakultät, der ab dem Studienjahr 2015/2016 angeboten wird. Bisher arbeiten die Studierenden der Fakultät für Design und Künste wohl am praktischsten von allen Fakultäten. Drei Tage in der Woche widmen sie der Projektarbeit, in die drei Disziplinen wie etwa Produktdesign, Digital ­modelling und Kulturanthropologie integriert sind. Das Betreuungsverhältnis ist intensiv, drei Dozenten betreuen zusammen zwanzig Studierende. Auf die Projekttage folgen zwei Vorlesungstage. Standardisierte Vorlesungen und fixe Stundenpläne gibt es keine an der Fakultät. Für die Dozenten bedeute das eine enorme Vorbereitung. „Ich war an vielen Akademien und Universitäten tätig“, sagt Glüher. „Aber so etwas habe ich nur hier erlebt.“ Sein Kollege und Prodekan für Lehre Roberto Gigliotti stimmt zu. Eben hat er bei der Vorbereitung der Vor­ lesung „Innen- und Ausstellungsarchitektur“ eine Pause eingelegt. Das Spannende an der Lehre in Bozen sei, dass das Verhältnis Dozent-Student ständig gesprengt werde. Der Lehrende nehme eher die Rolle des Kurators ein, wende keine Generalmethoden an. Eine Schwäche, die Lehrende und der Rektor gleichermaßen bemängeln: Im Vergleich zum steigenden Interesse der Studierenden aus dem Ausland und dem restlichen Italien ist das Interesse aus Südtirol eher gering. Von der heimischen Politik und Wirtschaft ist die kreative Kraft der Freien Universität Bozen aber schon lange entdeckt worden. „Jeden Tag bekomme ich Anrufe von Interessierten aus Wirtschaft und Politik“, sagt Glüher. Auch wenn jedes zweite Projekt in Verbindung mit externen Partnern entstehe, von Seilbahn- bis Sportbekleidungsunternehmen, lehne er 80 Prozent der Anfragen ab: Weil die Universität nicht in Konkurrenz zu in der Praxis etablierten Designern stehen sollte und weil sie kein Dienstleistungsunternehmen sei. „Unsere Aufgabe ist es, zwei Schritte vorauszudenken.“ Wenn die Uni nicht an übermorgen denke, wer dann?

Barbara Bachmann (*1985), freischaffende Journalistin, u. a. für „brand eins“, „Die Zeit“ und „Süddeutsche Zeitung“.

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Kann der Staat Innovationen herbeifördern? Text  Tonia Mastrobuoni Illustration  Guido Scarabottolo

Wer hat’s erfunden? „Ich!“, rufen die Unternehmen. Dem Staat traut kaum jemand Innovationen zu. Doch auch die öffentliche Hand hat oft großen Anteil an neuen Produkt­ erfindungen. Wer hat recht? A nmerkung en z u d en T he sen der Öko no m in Mariana Maz z uc ato

Manche Mythen wollen einfach nicht vergehen. Besonders das herrschende neoliberale Dogma hat einige verbreitet, die hartnäckig jeder empirischen Widerlegung standhalten. Dies auch aufgrund einer Politik des rechten wie des linken Lagers, die sich der Vorstellung unterwirft, es gebe keine Alternative zur berühmten, aber meist schlecht interpretierten Metapher Adam Smiths von der unsichtbaren Hand des Marktes. Ein solcher Mythos, der sich zäh hält, besagt, dass große technische Erfindungen nicht in den trägen, verkrusteten Strukturen des Staates entstehen können. Diese seien zu sehr durch die Politik in Beschlag genommen und dadurch verdorben, sie litten unter fehlenden Anreizen und würden durch Ineffizienz sowie mangelnde Investitionsbereitschaft gelähmt. Ein anderer Mythos besagt, Unternehmen und Finanzwelt würden die Verzerrungen und die Effizienzdefizite der Märkte von alleine zurechtbiegen und riesige Summen in Innovation, Forschung und Entwicklung investieren. Diese Gemeinplätze widerlegt ein Buch der amerikanischen Ökonomin italienischer Abstammung Mariana Mazzucato, das für viel Diskussionsstoff gesorgt hat. Es handelt sich um „The Entrepreneurial State. Debunking Public vs. Private Sector Myths“ (Anthem Press, 2013). Auf Deutsch erschien die Streitschrift 2014 unter dem Titel „Das Kapital des Staates. Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum“ (Kunstmann), in Italien trägt das Buch der Professorin für Wissenschafts- und Techno-

Tonia Mastrobuoni

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logiepolitik an der Universität Sussex den schönen Titel „Lo stato innovatore“ (Laterza, 2014) – auf Deutsch etwa: Der Staat als Innovator. Für Italien ist diese Ver­öffent­ lichung wichtig, weil das Wort Industriepolitik nach der wenig erbaulichen Erfahrung des Iri (Istituto per la Ricostruzione Industriale) weitgehend verpönt war. Diese unter dem Faschismus gegründete Staatsholding wurde nach Jahren der Krisen und Skandale im Jahr 2000 auf­­ gelöst. Industriepolitik als Maßnahme des Staates im ­Bereich der Industrie und Innovation wurde erst durch die Finanzkrise in der breiteren Öffentlichkeit als B ­ egriff abseits der akademischen Zirkel wiederentdeckt.

Finanzspritzen nicht gegeben hätte, ohne den Staat als Unternehmer, wie Wirtschaftswissenschaftler sagen würden. Gerade in für die Volkswirtschaften der Industrienationen besonders wichtigen Bereichen hat der Staat gezeigt, dass er jener geduldige Investor ist, den man im Privatsektor viel seltener antrifft. Dies gilt auch für Länder wie die USA, die rund um die Privatinitiative eine sehr lebhafte Mythenwelt aufgebaut haben. Mazzucato zeigt mit dem Finger auf viele börsennotierte Unternehmen, die anstatt Anteile ihrer Gewinne in Forschung und Entwicklung zu stecken und den Weg der Innovation zu gehen, Milliarden für den Rückkauf eigener Aktien ausgeben und so deren Wert erhöhen, um die eigenen Gehälter in die Höhe zu treiben – Boni von Spitzenmanagern sind bekanntlich sehr oft an den Wert der Aktien gekoppelt. Eine „kurze Sicht“, wie Dante es genannt hätte, die jahrzehntelang einzelne bereichert und die Allgemeinheit arm gemacht hat. Die in Großbritannien lehrende Wirtschaftswissenschaftlerin fordert die Regierenden überall in der Welt auf, alle Schüchternheit abzulegen: Der Staat hat in der Geschichte gezeigt, dass er ein guter Investor ist. Seine Aufgabe erschöpft sich nicht darin, Verzerrungen des Marktes zu korrigieren. Er darf durchaus direkt in die Wirtschaft eingreifen und soll vielmehr neue Märkte schaffen. Das ist die Hauptthese von Mazzucatos Buch. Und die zahllosen Erfolgsgeschichten des Staates als Unternehmer belegen dies.

„Wenn wir nicht die vielen Mythen über wirtschaftliche Entwicklung infrage stellen und uns von der üblichen Sicht auf die Rolle des Staates verabschieden, werden wir den strukturellen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht gerecht werden und den technologischen und organisatorischen Wandel nicht schaffen, den wir für ein langfristiges, nachhaltiges und gerechtes Wachstum brauchen“, schreibt Mazzucato. Und die Beispiele, die sie nennt, liegen vor aller Augen. Eine der revolutionärsten Erfindungen des 20. Jahr­ hunderts, das Internet, wurde dank der Investitionen der Defense Advanced Research Project Agency (Darpa) entwickelt, einer Einrichtung des amerikanischen Ver­ teidigungsministeriums. Ohne die mehr als sichtbare öffentliche Hand wäre auch die Entstehung des amerikanischen Giganten Apple undenkbar gewesen, Gleiches gilt für die Erfindung des Personal Computer, und selbst das GPS geht auf staatliche Initiative zurück. Aber auch hoch­moderne Smartphonetechnologien wie der Touchscreen oder das Spracherkennungssystem Siri wären nie entstanden, wenn es die ach so getadelten öffentlichen

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„Ob in der Computerbranche, beim Internet, in der pharmazeutischen Industrie, der Bio- und der Nanotechnologie oder bei der grünen Revolution: Immer war es der Staat, der allen Widrigkeiten zum Trotz wagte, über das scheinbar Unmögliche nachzudenken. Er schuf die neuen technologischen Chancen, finanzierte die großen Anfangsinvestitionen, ermöglichte einem dezentralen Netzwerk von Akteuren, risikoreiche Forschungen durchzuführen, und brachte schließlich dynamische Entwicklungsund Kommerzialisierungsprozesse auf den Weg“, schreibt Mazzucato. Es ist also besser, nicht auf den Abenteuergeist Einzelner zu setzen, wenn man die Gewissheit haben will, dass in eine neue Gaspipeline investiert wird statt in die Aktien der eigenen Firma, sprich in die eigene Brieftasche.

Tonia Mastrobuoni, Deutschlandkorrespondentin der Tageszeitung „La Stampa“, bereits für „Reuters“, „Apcom“ sowie als freischaffen­ de Journalistin für Radio Radicale und den Westdeutschen Rund­ funk tätig. Aktuelle Buchveröffentlichung: „Gioventù sprecata. Perché in Italia si fa fatica a diventare grandi“, zusammen mit Marco Lezzi, Laterza, 2010.

Kann der Staat Innovationen herbeifördern?

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Tonia Mastrobuoni

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Florin Florineth Christoph Mayr Fingerle Boden ist knapp. Besonders in einem von Gebirgen zerklüfteten Land. Zwei Drittel Südtirols liegen oberhalb von 1500 Metern Meereshöhe. Landwirtschaft, Gewerbe und Wohnbau konkurrieren um den Boden. Der Architekt Christoph Mayr Fingerle und der Ingenieurbiologe Florin Florineth diskutieren Fehler der Vergangenheit – und was in ­Zukunft besser gemacht werden kann. E ine g emeinsame A nalyse

Räume sind zu gestalten Text  Markus Larcher Fotografie  David Schreyer


Herr Christoph Mayr Fingerle, Sie haben 1990 die Entwicklung von Ortschaften untersucht und festgestellt, dass Südtirol im Gegensatz zu anderen Alpenländern kaum zersiedelt war. Ist das auch im Jahr 2015 noch so? Mayr Fingerle  —  Viel weniger jedenfalls als in Österreich oder der Schweiz, wo die Zersiedelung zu einem großen Problem geworden ist. Wir haben hierzulande noch intakte Ortschaften, die mehr oder weniger lebendig sind. In Österreich kann man seit rund zehn Jahren feststellen, dass ganze Ortschaften kollabieren beziehungsweise aussterben, weil die Ortskerne nicht mehr belebt sind. In Südtirol scheint sich die Ablehnung von Einkaufs­ zentren und die Förderung des Einzelhandels bezahlt zu machen: Von Shoppingcentern auf dem Lande, die den Kauffluss von den Ortszentren ableiten, sind wir aus handelspoli­tischen Gründen noch mehr oder weniger verschont geblieben. Das ist auch der Landschaft sehr zugutegekommen. Dennoch sind auch in Südtirol vermehrt einzelne Dörfer und Gemeinden mit Abwanderung konfrontiert. Mayr Fingerle  —  Durchaus. Manche Ortschaften leiden darunter, dass Menschen aufgrund der wirtschaftlichen Situation wegziehen. Hier gilt es wirtschaftspolitisch gegenzusteuern. Es braucht neue kommunale Wirtschaftsmodelle. Florineth  —  Im letzten Jahrzehnt hat sehr wohl ein mas­­ siver Landschaftsverbrauch stattgefunden – in raumplanerisch diskutabler Weise. Ich habe bei einer Be­stands­ aufnahme für die Neuauflage meines Buches „Pflanzen statt Beton“ festgestellt, dass in den vergan­genen 15 Jahren viele Straßen mit landschaftsfressenden Auf- und Zufahrten gebaut und große versiegelte Autoparkplätze realisiert wurden. Auch ist der Wohnungsbau massiv in den Grünraum vorgestoßen. Bis vor Kurzem wurde in Südtirol noch täglich eine Fläche von der Größe eines Fußballplatzes versiegelt. Das zeigt sich jetzt. Nach dem Ende der Ära Alfons Benedikter … … des Südtiroler Politikers, der in den 1970er- und 1980er-Jahren eine strenge Raumordnung etabliert hat, um den Grünraum und die Naturlandschaft zu erhalten, … Florineth  —  … nach dieser Ära kam konjunkturbedingt eine Zeit, in der man nahezu entfesselt drauflos gebaut hat. Die Randzonen der Städte wurden ohne Konzept ver­baut. Man hat nur in Kubaturzahlen gedacht, die Machermentalität der Politik der vergangenen zwei, drei

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Jahrzehnte ließ gar nicht die Zeit nachzudenken. Süd­tirols besiedelbare Talfläche macht sechs Prozent der gesamten Landes­fläche aus. In Südtirol können wir uns eine Zersiedelung aufgrund der Bodenknappheit gar nicht leisten. Unser Talboden ist bereits übernutzt. Was ist die Alternative? Florineth  —  Dass wir in Zukunft in den Ortskernen und Stadtzentren auf Dichte setzen. Zersiedelung ist im gesamten Alpenraum ein großes Problem. Wenn ich das Problem vom landschaftsarchitektonischen Standpunkt und der Grünraumgestaltung aus betrachte, dann heißt das aber nicht, die Ortszentren zur Gänze zuzubauen: Wir brauchen auch dort noch Grünzonen. Mayr Fingerle  —  Verdichtung ist tatsächlich ein großes Thema, dem wir uns zu stellen haben. Es wird von Ort zu Ort unterschiedliche Lösungen brauchen. Die Frage ist, wie man mit den Zwischenräumen, also den Räumen zwischen den Häusern umgeht. Und wie geht man damit um? Mayr Fingerle  —  Hier können uns die mittelalterlichen Kerne unserer Städte ein Vorbild sein: Es gab Marktflächen und mit ihnen einen öffentlichen Außenraum. Dieser ist in den 1960er-Jahren zum Teil verloren gegangen. Es ist jener Raum, wo sich Menschen aufhalten, wo sie sich wohlfühlen. Jan Gehl, ein Architekt und Architekturkritiker aus Kopenhagen, verweist schon seit Jahrzehnten auf den Umstand, dass Stadtplaner und Verkehrsplaner fast gar nicht über den Einfluss baulicher Strukturen auf das menschliche Verhalten nachdenken. Mit welchen Auswirkungen? Mayr Fingerle  —  Dass eine rein funktionale Stadtplanung Trumpf war. Heute wissen wir, dass die planerische Für- und Vorsorge für die Einwohner ein wichtiger Schritt zu einer lebendigen, qualitätsvollen und menschenfreundlichen Stadt ist. Zentral dabei ist, dass der Stadtraum mit der Geschwindigkeit eines Fußgängers erlebt werden kann. Florineth  —  Es freut mich sehr, das aus dem Munde eines Architekten zu hören. Auch die Dichte hat natürlich ihre Grenzen. Mit den bestehenden Grünflächen im bebauten Raum ist so sparsam wie möglich umzugehen. Für eine menschenfreundliche Stadt brauchen wir grüne Alternativflächen wie Dach- und Fassadenbegrünungen. Dann kann man auch ruhig ein wenig mehr in die Höhe bauen. Die Außenfassaden des Mailänder Wohnhauskomplexes „Bosco verticale“ werden von Bäumen, Sträuchern

Markus Larcher

Perspektiven


und Bodendeckerpflanzen auf großen Balkonen geziert – ein zukunftsweisendes Projekt, wortwörtlich ein „verti­ kaler Wald“. Auch Bauten aus den 1960er- und 1970erJahren lassen sich verbessern, wenn man ihre Fassaden und Flachdächer begrünt. Da ist viel an versiegelter Fläche zurückzuholen. Mayr Fingerle  —  Ich kenne den „Bosco verticale“. In Ein­zelfällen funktioniert dieses Konzept auch. Doch es besteht die Gefahr, dass solche Konzepte zu einem dekorativen Feigenblatt werden. Sträucher und Gemüse auf dem Balkon in Ehren, aber mit ein paar Blumentrögen wird es nicht getan sein. Es geht um die Frage, wie man Räume verdichten kann und wie man den Grünraum erhalten oder gar ausbauen kann. Es geht um ein Gleichgewicht zwischen Gebautem und Freiraum. Florineth  —  Wir haben als Institut für Ingenieurbiologie der Universität für Bodenkultur Wien bei einem schmucklosen Betonbau der Stadtverwaltung, dem MA 48 am Gürtel, die Fassade begrünt. Messungen an diesem an einer der meistbefahrenen Straßen Österreichs befind­ lichen Versuchsgebäude haben gezeigt, dass der Wärmeverlust um 50 Prozent zurückgegangen ist. Andererseits kommt es durch die Verdunstung der Pflanzen zu einer Kühlung der Fassade um 10 bis 15 Grad Celsius im Sommer, wodurch die Begrünung einer natürlichen Klimaan­ lage gleichkommt. Von der Staubabsorbierung, dem angenehmen Mikroklima und dem Wohlfühlfaktor für die dort beschäftigen Menschen gar nicht zu sprechen. Ich weiß schon: Architekten machen sich gerne über Fassadenbegrünung lustig, das hat wohl vor allem damit zu tun, dass man dadurch die architektonische Struktur nicht mehr sieht. Doch die mikroklimatischen Auswirkungen sind da. Sie bringen Natur dort zurück, wo man sie ursprünglich nicht haben wollte? Florineth  —  Vielfach treten Verwalter mit dem Wunsch an mich heran, für mehr Grün auf bebauten Flächen zu sorgen. Da merke ich dann, wie viel zubetoniert wurde – ohne Rücksicht auf den Menschen, der da wohnen muss. Natürlich dient das Grün dann nur mehr dazu, die planerischen Mängel abzumildern. Man kann dann sagen: Das hättet ihr euch vorher besser überlegen müssen! Oder man kann versuchen, die Situation wenigstens ein wenig zu verbessern. Wie sollte man in Südtirol mit der Landschaft künftig umgehen, wenn man doch bauen muss oder will? Mayr Fingerle  —  Das Häuschen im Grünen hat definitiv ausgedient. Im benachbarten deutschsprachigen Ausland, wo der Hang zum Einzelhausbau stark ausgeprägt ist, hat man erkannt, dass Einzelhäuser künftig so ausge-

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Christoph Mayr Fingerle, Florin Florineth und Markus Larcher

richtet und gestaltet sein müssen, dass man sie später ausbauen und verdichten kann. Das heißt, dass man schon beim Bau eines Einfamilienhauses zum Beispiel auf Grundriss oder Statik achtet, um später eine gewisse Flexibilität für eine Verdichtung zu haben. Was ist mit Dörfern, die sich weiterentwickeln? Mayr Fingerle  —  Für mich sind die historischen Ortschaften nach wie vor ein tolles Beispiel, weil sie sehr kompakt sind und andererseits immer in einem Dialog mit der Natur stehen – denken wir an die Innenhöfe. Von der Gemeinde Fläsch in Graubünden, die 2010 den Wakkerpreis für die Ortsgestaltung bekommen hat, können wir lernen, dass es sehr sinnvoll ist, wenn sich jede Gemeinde ein Konzept, eine Vision, zurechtlegt, in welche Richtung sie sich entwickeln möchte. Aufgrund dieser Vision gilt es dann die entsprechenden Maßnahmen zu setzen. In Fläsch wurde diese Vision in enger Zusammenarbeit mit der Bevölkerung erarbeitet. Weil das Dorf ein Weindorf bleiben wollte, hat die Gemeinde die zur Verbauung freigegebenen Grundstücke im Zentrum wieder zurück­ gekauft, die ortstypischen Weinreben als spezifisches ­Erkennungszeichen will man bewahren. Fast jede Südtiroler Gemeinde verfügt über ein Leitbild. Florineth  —  Papier ist geduldig. Mayr Fingerle  —  Die Problematik von solchen Leitbildern ist, dass man oft zu viel hineinpackt. Es geht aber um eine grundsätzliche Ausrichtung, bei der die ganze Bevölkerung eingebunden werden sollte. In Hinblick auf das definierte Ziel ist schrittweise vorzugehen. Entwicklung ist nichts Starres, man muss solche Leitbilder oder Visionen auch nachjustieren können. Es kann ja sein, dass eine Entwicklung auch anders eintritt als vorgesehen.

Räume sind zu gestalten

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Das heißt, es gibt ein Hauptgebäude und es gibt auch noch Zimmer und Übernachtungsmöglichkeiten, die über verschiedene andere benachbarte Gebäude verstreut sind. Gehört das stadtplanerische Instrumentarium schneller an jeweilige gesellschaftliche und öko­ nomische Entwicklungen angepasst? Mayr Fingerle  —  Ich sehe das als Prozess. Und es braucht auch Fachleute, die einen solchen Prozess begleiten. Stichwort Gestaltungsbeiräte. Es geht im Grunde um eine Art Partizipation. Fotos dieser Doppelseite: Andreas Marini

Zum Beispiel, dass bestimmte Gewerbegebiete in der ursprünglichen Form nicht mehr gebraucht werden, weil Betriebe schließen oder abwandern. Florineth  —  Man sollte diese zurückbauen und etwas Grünes daraus machen. Einen tollen Park zum Beispiel mit schönen großen Bäumen, etwas, was man dem Bürger und Stadtbewohner zurückgeben kann. Die Diskussion über die Grenzen der Landnutzung wird nicht konsequent genug geführt. Menschen, Politiker zumal, sind Wachstumsfetischisten. Wir müssen aber differenzieren, welches Wachstum wir brauchen. Ökologisch gedacht ist klar: Es kann nicht immer und überall Wachstum geben. Es muss im Gleichgewicht der Kräfte irgendwann ein Schrumpfen, einen Rückwärtstrend geben. Dieser natürliche Schrumpfungsprozess ist in wohlhabenden Ländern wie Südtirol ein Tabu. Doch außerhalb Südtirols ist dieser Rückwärtstrend in vollem Gange, siehe Piemont oder Friaul.

Florineth  —  Wir haben im prosperierenden Südtirol lange Zeit nur eine Monokausalität gekannt und die hieß: Erschließen! Viele Erschließungsprojekte würden bereits im Vorfeld flachfallen, wenn man eine Kosten-NutzenAnalyse machen würde – gerade bei Gewerbegebieten in Gefahrenzonen. Wir müssen mehr auf ganzheitliche Entwicklungskonzepte setzen. Mayr Fingerle  —  Es gilt, Räume zu gestalten, die effizienter, technologisch fortschrittlicher, grüner und sozial inklusiver sind. Da sind auch wir als Bürger mehr gefragt.

Markus Larcher (*1962), Journalist beim Südtiroler Wochenmagazin „ff“, Autor mehrerer Sachbücher. Christoph Mayr Fingerle (*1951), Architekt in Bozen, Herausgeber mehrerer Publikationen zum Thema alpine Architektur. 2010 Teilnehmer an der Architekturbiennale in Venedig, seit 2013 Vorsitzender des Gestaltungsbeirates von Nordtirol. Florin Florineth (*1946), Professor für Ingenieurbiologie und Land­ schaftsbau an der Universität für Bodenkultur in Wien, Gutachter

Mayr Fingerle  —  Gewerbegebiete stellten bislang eine Art Wilden Westen dar, wo fast alles möglich und erlaubt schien. Zahlreiche Handwerker wohnen dort auch, indem sie ihre Wohnungen einfach auf ihre Werkstätten drauf­ gebaut haben. Salopp formuliert: Der Prototyp der Betriebsschuhschachtel mit der Wohnalmhütte oben drauf kann nicht die Lösung sein. Was die Ortskerne historisch aus­zeichnet, ist die Qualität der Durchmischung verschie­dener Funktionen. Warum also nicht kleine, lärm­schwache Betriebe wieder in die Ortskerne zurücklotsen?

und Verfasser einschlägiger Publikationen. Letzte Buchver­ öffentlichung: „Pflanzen statt Beton. Sichern und Gestalten mit Pflanzen“, Patzer Verlag, 2012.

In Italien gibt es zur Wiederbelebung bestimmter Orte interessante Konzepte. Mayr Fingerle  —  Es braucht neue Modelle. Eines ist das Konzept des „Albergo diffuso“, des Hotels in einer Ortschaft, das seine Struktur über mehrere Gebäude verteilt.

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Markus Larcher

Perspektiven


Im Gespräch nannten Architekt Christoph Mayr Fingerle und Ingenieurbiologe Florin Florineth die Verdichtung als ideale raumplanerische Maßnahme, um Zersiedelung zu vermeiden und die knappe Ressource Boden optimal zu nutzen. Die höhere Dichte der bewohnten Zentren muss mit einer ­ent­sprechenden Gestaltung notwendigen Grünraums einhergehen. Der Architekturfotograf David Schreyer hat sich in Südtirol auf die Suche nach gelungenen Beispielen gemacht.

Einblick in die rationalistische Baukultur und Stadtplanung des Faschismus bieten die Stadtteile außerhalb der historischen Altstadt von Bozen. Der Mazziniplatz bildet den Kreuzungspunkt zwischen der Freiheitsstraße mit ihren typischen Laubengängen und Loggien und der breiten Italienallee. Im Zuge des Baus einer Tiefgarage wurde der Platz im Jahr 2000 von Architekt Stanislao Fierro neu gestaltet.

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Räume sind zu gestalten

Perspektiven


Das Bozner Stadtviertel Kaiserau wurde auf der Grundlage eines urbanistischen Gesamtplans des niederländischen Architekten Frits van Dongen nach Modulen bebaut. Jedes Ensemble besteht aus drei bis vier Gebäuden, die einen begrünten Innen­ hof umschließen. Es wurden vier Ausgangsmodule entwickelt, die die Bewohner individuell zusammen mit den Architekten des jeweiligen Ensembles gestalten konnten – im Bild oben jenes von Kerschbaumer Pichler & Partner.

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Markus Larcher

Perspektiven


Eine Wohn- und Spielstraße bildet das Herz der 2010 fertiggestellten Wohnanlage in Kaltern. Die Architekten des Studios feld72 haben eine Siedlung im dörflichen Kontext geschaffen, die aus mehreren Einzelgebäuden besteht und sich der Hang­ lage anpasst – ein Dorf im Dorf mit viel Grün.

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Räume sind zu gestalten

Perspektiven


Architekt Othmar Barth baute die Wohnsiedlung Haslach bei Bozen bereits in den Jahren 1974 bis 1984. Sie gilt heute als Paradebeispiel der Verdich足 tung, weil offensichtliche Urbanit辰t auf umliegendes Gr端n trifft und die Archi足tektur das Landschaftsbild widerspiegelt.

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Markus Larcher

Perspektiven


Regionalität und Supermarkt – passt das zusammen? Text  Georges Desrues Illustration  Cristóbal Schmal

Bio oder regional, vom Bauern oder aus dem Supermarktregal? Am liebsten alles zugleich! Wenn manches Regal dann saisonbedingt leer bleibt, macht der Kunde trotzdem große Augen. Regionalsupermärkte versuchen den Spagat. E i n b l i c ke i n re g i o n a l e K re i s l äu fe

Es gab Zeiten, und die sind noch gar nicht lange her, da galt alles Essbare, das von weit her stammte, als Symbol für Status, Wohlstand und Weltgewandtheit. Bereits im alten Rom pflegten reiche Patrizier ihre Gäste mit Erdbeeren im Winter zu beeindrucken, servierten ihnen Straußenbraten aus Afrika und Austern aus der Bretagne. Und als 2.000 Jahre später, so gegen Ende der 1980er-Jahre, ein paar weit gereiste Yuppies, wie man sie damals nannte, japanisches Sushi entdeckten, wurde plötzlich roher Fisch populär, der in unseren Breiten bis dahin noch als Inbegriff des Ekligen galt. Heute aber ist alles anders. Nicht das exotische Lebensmittel verspricht Prestige, sondern jenes, das aus der ­nahen Umgebung stammt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ernährt sich vor allem die Elite demonstrativ regional. Den zahlungskräftigen Verbraucher gelüstet es nicht mehr nach Erdbeeren aus Kalifornien, nach Papageifisch von den Malediven oder Hirsch­ filet aus Neuseeland, sondern nach Ahrntaler Graukäse, Vinschger Urpaarl oder Villnösser Brillenschaf. Ein ­Be­­dürfnis, das Soziologen damit erklären, dass in einer ­Gesellschaft, in der alles ständig verfügbar und für jeder-

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mann erschwinglich ist, das Exklusive eben anders­­wo gesucht werden muss. So schreibt etwa der franzö­sische Soziologe Pierre Bourdieu, dass sich eine Klasse niemals über Kaufkraft allein definiere, sondern maß­geblich über kulturelle und ästhetische Abgrenzung. Nun ist das freilich eine durchaus positive Entwicklung, wenn man bedenkt, dass Lebensmittel aus der Umgebung als frischer und umweltfreundlicher gelten, weil sie weniger weit transportiert werden; im Fall von Obst und Gemüse als gesünder und geschmacksreicher, da sie reifer geerntet werden; und im Allgemeinen als sozial nachhaltiger, zumal ihr Kauf die lokale Wirtschaft fördert. Alles schön und gut – wären da nicht die Lebensmittelindustrie und der Lebensmittelgroßhandel, die, wie immer, wenn sich ein Ernährungstrend abzeichnet, auch sofort darauf aufspringen. Wie etwa im Fall von Südtiroler Schinkenspeck, für dessen Erzeugung bekanntlich auch Schweine aus polnischer Massentierhaltung verwendet werden. Wobei gerechterweise auch die Frage gestellt werden muss, ob Fleisch nun wirklich allein schon deswegen besser ist, nur weil es aus der Region kommt, wie uns das etwa Fast-Food-Ketten glauben machen wollen. Und ist es das selbst dann noch, wenn es von ausgelaugten Milchkühen ­stam­­mt? Oder ob die Produktion einer Tomate tatsächlich so viel weniger CO2 erzeugt, weil sie regional angebaut wurde – und zwar auch dann, wenn sie bereits im März und in geheizten Glashäusern gezogen wurde? In einer bestimmten Schicht von Verbrauchern ist die Bezeichnung „regional“ jedenfalls für den Kauf entscheidender als das Prädikat „bio“, das „regional“ in manchen

Regionalität und Supermarkt – passt das zusammen?

Perspektiven


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Georges Desrues

Perspektiven


­ ällen auch abgelöst hat, wie mehrere Studien belegen. F Geschadet haben dem Ruf der biologischen Lebensmittel in erster Linie einige Skandale, bei denen sich heraus­ gestellt hat, dass nicht alles, was beispielsweise als BioEi verkauft wird, tatsächlich von artgerecht gehaltenen ­Hühnern stammt. Zudem haben zahlreiche Kunden, die umweltbewusst einkaufen wollen, erkannt, dass es öko­­lo­ gisch nur wenig vertretbar ist, zu Frühkartoffeln aus Ägyp­ ten zu greifen, die unter Verwendung großer Mengen an wertvollem Wasser angebaut werden und deren Transport große Mengen an Treibstoff verbraucht. Dennoch haben Marktstudien ergeben, dass Verbraucher in gewissen Ländern wie etwa Deutschland nach wie vor mehr auf das Bio-Siegel setzen als darauf, dass die Lebensmittel aus der Region stammen. In Italien und auch in Südtirol wiederum ist Regionalität bei vielen Konsumenten das größere Kaufargument. Weswegen hierzulande in den letzten Jahren das Aufkommen von Märkten und Siegeln zu beobachten war, die vorwiegend solche Produkte anbieten beziehungsweise auszeichnen, die aus der Region stammen. Bei den Logos ist das in erster Linie das „Chilometro 0“-Logo, das vom italienischen Bauernverband ins Leben gerufen wurde. Unter den Märkten indessen finden sich jene der rasant und weltweit expandierenden Kette Eataly oder die lokal in Südtirol vertretenen Pur-Südtirol-Märkte, die bisher in Meran, Bruneck und Bozen eröffnet haben. Während Eataly gewissermaßen eine doppelte Identität pflegt, nämlich einerseits in Italien lokale Lebensmittel verkauft, in Tokio oder New York aber Importware aus Italien anbietet, konzentriert sich Pur Südtirol bisher tatsächlich auf Produkte aus Südtirol und verkauft sie auch nur hier. Bemerkenswert daran ist, dass sowohl Pur Südtirol als auch Eataly in erster Linie in urbanen Zentren anzutreffen sind, also eigentlich nicht dort, wo die Lebensmittel erzeugt werden. Sondern an Orten, an denen sich jene Konsumenten finden, die für das Verkaufsargument der Regionalität am zugänglichsten sind.

marke G ­ arofano im Falle von Eataly oder Pasta Alpina und der Apfelcidre S’Pom von Pur Südtirol. Nun kann man es dem Verbraucher freilich nicht verübeln, dass er beim Lebensmitteleinkauf sein Gewissen so rein wie möglich halten, dabei aber die Annehmlichkeiten ­eines Supermarkts genießen will. Nur leider ist die Sachlage in der Regel komplizierter, als es die Logos oder ­Marketingstrategien der Handelsketten scheinen lassen. In Wahrheit verlangt sie dem Verbraucher heutzutage einiges mehr ab. Und zwar, dass er sich informiert, wo und wie sein Essen tatsächlich entsteht; und dass er Ausschau hält nach neuen Vertriebssystemen und in Kontakt tritt mit dem Erzeuger oder dem Bauern aus seiner Gegend, beispielsweise auf Bauernmärkten. Um es mit dem amerikanischen Autor Michael Pollan auf den Punkt zu bringen: Wer tatsächlich etwas verändern will, sollte danach trach­ten, die Hand zu schütteln, die ihn füttert. Das a ­ l­­­lerdings ist in einem Supermarkt kaum ­möglich.

Georges Desrues (*1966), freischaffender Journalist in Italien für „Der Standard“, „Die Welt“ und „Profil“. Herausgeber des Lokalführers „Slow Food. Gasthäuser in Österreich, Slowenien und Südtirol“, zusammen mit Severin Corti, Brandstätter Verlag, 2012.

Das alleine wäre freilich noch kein Problem, auch wenn für die Geschäftslage im Zentrum der Städte bekanntlich höhere Mieten zu bezahlen sind, die sich naturgemäß in den Preisen der Produkte widerspiegeln. Die Frage, die sich eigentlich stellt, ist, ob Supermärkte von ihrem Geschäftsmodell her überhaupt dazu geeignet sind, die Erzeugnisse einer lokalen Bauernschaft und von lokalen ­Lebensmittelerzeugern zu forcieren. Im Falle von Eataly zum Beispiel hat sich bald gezeigt, dass viele der ursprünglichen Lieferanten der Handelskette gar nicht imstande ­waren, auf Dauer jene Mengen zu liefern, die der Händler verlangt. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich zudem, dass eine ganze Reihe der angebotenen Lebensmittel von den Betreibern der Supermärkte selbst erzeugt wird, wie etwa das Mineralwasser Lurisia und die Pasta-

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Regionalität und Supermarkt – passt das zusammen?

Perspektiven


Wem das Wasser gehören soll Text  Alessandra Quarta Fotografie  Fabien Cappello

Wasser gibt es in den meisten Regionen Europas reichlich. Es gilt als unerschöpfliche Ressource. Deshalb herrschte bislang ­Desinteresse an juristischen Streitigkeiten über diesen elementaren Grundstoff. Doch diese Haltung verändert sich so schnell wie das Klima.

In der italienischen Rechtsordnung fehlt eine Anerkennung des Rechts auf Wasser auf Verfassungsebene, auch wenn sich dessen Schutz aus mehreren Normen ableiten lässt. Das Zivilgesetzbuch bezeichnet Gewässer von ­ihrem Wesen her als „öffentliches Gut“. Deshalb gehören sie dem Staat und dürfen nicht an Private veräußert werden. Der Status als öffentliches Gut reicht allerdings nicht aus, um dem Wasser umfassenden Schutz zu gewähren, und schon gar nicht, um eine generelle, für alle zugäng­ liche Nutzung sicherzustellen: Denn gerade die Nutzung ist mit der Ordnung der Wasserversorgungsdienste ab­ zustimmen, die von der öffentlichen Hand oder aber von privaten Trägern verwaltet werden können. Eine private Wasserverwaltung durch Aktiengesellschaften könnte gewisse Risiken beinhalten: Von der Befürchtung, das natürliche Gewinnstreben der Privaten führe zu erhöhten Gebühren, bis hin zu einer Einschränkung der allgemeinen Versorgung, beispielsweise an Orten, an de-

E i n e re c ht s w i ss e n s c h af t l i c h e B e rat ung

Die weltweite Bevölkerungszunahme führt zu einem ­steigenden Wasserbedarf, während der Klimawandel ei­ ne geringere Menge verfügbaren Trinkwassers zur Folge hat. Gleichzeitig benachteiligt das Ungleichgewicht im Zugang zu Wasser auch weiterhin die Bewohner der südlichen Hemisphäre und lässt kriegerische Auseinander­ setzungen um das sogenannte blaue Gold immer wahr­ schein­licher werden. Die Vereinten Nationen haben erst 2010 das Recht auf Wasser als universales Menschenrecht anerkannt, um zu gewährleisten, dass tatsächlich alle Zugang zu sauberem Wasser haben. Zu aktiven politischen Maßnahmen hat dies allerdings nicht geführt. In internationalen Abkommen wird Wasser entweder als „Wirtschaftsgut“ oder als „Gemeingut“ bezeichnet, das es in beiden Fällen aufgrund seiner Knappheit zu bewahren gilt. Die unterschiedlichen Bezeichnungen gehen auf unterschiedliche Interessen zurück, denn die wesentliche Bedeutung der Ressource für das menschliche Leben steht im Widerspruch zu einer ökonomischen Sichtweise, die sie vermarkten möchte. Hierzu müsste das Gut marktund profitbestimmten Bewertungen unterworfen werden. Gerade ein wirtschaftlicher Ansatz, so meinen einige, würde dazu beitragen, Verschwendung und eine übermäßige Nutzung einzuschränken. Andere sehen gerade in diesem wirtschaftlichen Ansatz die Gefahr einer Übernutzung und ungleichen Verteilung.

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Piazza Fontana in Venedig: Installation von Fabien Capello.

nen die Versorgungskosten höher ausfallen als die erzielbaren Erträge. Dadurch käme es auch in Anbetracht der langfristig vergebenen Konzessionen zu einer regelrechten Privatisierung der Ressource, da die Kontrolle über die Versorgung die Bezeichnung als öffentliches Gut aushöhlt. Privatisierungen stoßen deshalb auf breiten Widerstand in der Bevölkerung, wie in Cochabamba in Bolivien oder auch in Europa, wo beispielsweise Paris eine Kehrt-

Alessandra Quarta

Perspektiven


wende gemacht hat. Dort hatte man die Wasserversorgung jahrelang zwei multinationalen Konzernen überlassen, beschloss aber, sie wieder in die öffentliche Hand zurückzuführen. Es hatte sich nämlich gezeigt, dass private Verwaltung entgegen landläufiger Meinung keineswegs immer die effizientere Lösung ist. In Italien kam die Diskussion um die rechtliche Definition von Wasser und die Privatisierung der Wasserversorgung im Jahr 2011 auf: Eine erfolgreiche Volksabstimmung schaffte einen Gesetzespassus ab, der sämtliche Wasserversorgungsdienste ausgeschrieben und somit Privaten überlassen hätte. Die Kampagne zur Volksabstimmung fand unter dem Motto „Wasser ist Gemeingut“ statt. Eine klare Aussage: Wasser soll nicht als eine Ware betrachtet werden, aber auch nicht als öffentliches Gut, denn dies hatte Privatisierungsprozesse auch nicht verhindert. Dieses Verständnis spiegelt eine Rechtsauffassung wider, die seit 2007 in der Arbeit der parlamentarischen Kommission über Gemeingüter herangereift war. Die Kommission hatte empfohlen, die neue Kategorie der Gemeingüter einzuführen, zu der Wasser und andere natürliche Ressourcen gehören sollten, um diese generationenübergreifend vor möglichen Privatisierungen in Schutz zu nehmen. Diese neue Kategorie wäre im Übrigen nützlich, um auch andere für unser Leben elementare Güter zu schützen, Landschaft und Boden etwa, die einen intensiveren Schutz verlangen, damit die Erfordernisse der Gesellschaft und die Rechte der Natur miteinander in Einklang gebracht werden können. Doch reicht es, Wasser als Gemeingut zu definieren, um eine gerechte Wasserversorgung zu garantieren? In Italien geht der Widerstand gegen Privatisierungsprozesse mit der Forderung eines alternativen Modells öffentlicher ­Verwaltung einher, das über die Beteiligung der Nutzer umgesetzt werden soll. Damit will man die Geschicke der Versorgung dem Zugriff wechselnder politischer Mehr­ heiten entziehen und ein kritisches und ökologisches ­Bewusstsein fördern. Es wäre sinnvoll, einen solchen Ansatz auch auf an­ dere ­lokale öffentliche Versorgungseinrichtungen aus­ zudehnen: An die Stelle reinen Profitdenkens sollten ­öko­logische und soziale Zielsetzungen treten, die Ein­be­ ziehung der Nutzer und der Beschäftigten in die Unter­ nehmensverwaltung würde zudem neue Per­spektiven im Bereich der Erzeugung von Gütern und Dienst­ leistungen eröffnen. Alessandra Quarta (*1986), Stipendiatin am Institut für Rechtswis­ senschaften der Universität Turin, zahlreiche Veröffentlichungen in Fachmedien. Aktuelle Buchveröffentlichung: „L'acqua e il suo diritto“, zusammen mit Ugo Mattei, Ediesse Edizioni, 2014.

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Wem das Wasser gehören soll

Das Fortwirken der Vergangenheit Text  Felice Espro Illustration  Nadine Gerber

Schön, grün und nachhaltig präsentiert sich Südtirol. Die Provinz nennt sich „KlimaLand“ und hat einen „Klimaplan 2050“, der einen ­Ausstieg aus fossilen Energieträgern vorsieht. Sollte das gelingen, läge es auch am Erbe der industriellen Vergangenheit: zum Beispiel den Staudämmen und großen Kraftwerksanlagen. E in S t ü ck W ir t schaf t sg e schichte

1897 wurde mit dem Bau des ersten Wasserkraftwerks auf Südtiroler Boden begonnen, nämlich in Mühlen in Taufers. Ein Jahr später begannen die von den beiden Stadtgemeinden Bozen und Meran gegründeten Etschwerke mit der Errichtung des Kraftwerks an der Töll. 1912 waren im Land bereits 20 meist kleinere Anlagen in Betrieb, die Etsch­ werke deckten nach der Fertigstellung des Schnalser Kraftwerks 70 Prozent des öffentlichen und privaten Strombedarfs der beiden Städte. Doch die Nutzung der Wasserkraft für die Stromerzeugung im großen Stile erfolg­te erst 1919 nach der Annexion Süd­tirols durch Italien. Österreich, zu dem Südtirol vorher gehört hatte, hatte den reichhaltigen Steinkohlevorkommen im Kaiserreich den Vorzug gegeben und der Wasser-

Perspektiven


6.399 GWh

Energieproduktion Südtirol

3.065 GWh Eigenverbrauch Südtirol

5.894 GWh

Energieproduktion aus Wasserkraft

92,1 %

Anteil Wasserkraft an Gesamtproduktion Südtriols

K O

2,2 %

L

Südtirols Anteil an Italien insgesamt

U

13,6 %

Südtirols Anteil an Italiens Wasserkraft

M N E E S P R O

92,1 Prozent der Südtiroler Energieproduktion entfallen auf Wasserkraft. Diese 5.894 GWh stellen 2,2 Prozent der gesamten Energieproduktion Italiens und 13,6 Prozent der aus Wasserkraft gewonnenen Energie Italiens. Quelle: Terna/Astat, Zahlen von 2012.

kraft keine große Bedeutung beigemessen. Mussolinis Italien hingegen benötigte die Wasserkraft Südtirols, um das Industriedreieck Mailand-Turin-Genua mit Strom zu versorgen. Das Kraftwerk in Kardaun, das 1928 in Betrieb ging und mit dem Wasser des Eisack jährlich 500 Millionen Kilowattstunden (kWh) liefern konnte, kostete damals 300 Millionen Lire und beschäftigte 5.000 Arbeiter. Eine Großbaustelle, an der es zwölf Tote und 1.500 Verletzte zu beklagen gab. Der nördliche Teil Bozens und das Eisacktal wurden von 300 Bohrmaschinen und unter Einsatz von 4 Millionen Minen massiv umgestaltet. Das Kraftwerk verkörpert heute noch symbolhaft die Italianisierung der Wasserkraft in Südtirol. Ein weiteres Symbol für die Wunden, die der Bevölkerung und der Landschaft zugefügt wurden, ist der Stausee am Reschen, dessen Bau 1941 während des Zweiten Weltkriegs begann: Der Wasserspiegel der drei vor-

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handenen natürlichen Seen wurde um 20 Meter angehoben, 110 Millionen ­Kubikmeter Wasser überfluteten ins­ gesamt 130 Gebäude der Gemeinden ­Reschen und Graun. Derartige Bauvorhaben wären heut­ zutage nicht mehr vorstellbar. Der Wi­ derstand der Umweltverbände und von Teilen der Bevölkerung gegen Groß­ projekte, die nicht mit dem Umweltschutz im Einklang stehen, ließe dies nicht zu. Die zur Errichtung der großen Wasserkraftanlagen notwendigen Verwüstungen der Landschaft durch die faschistischen Machthaber prangerte die Südtiroler Bevölkerung jahrzehntelang als unheilbare Verletzung an. Doch 1972 eröffnete das Autonomiestatut neue Perspektiven der Selbstverwaltung und das Land erhielt primäre Gesetz­ gebungskompetenzen im Energiebereich. Diese Befugnis wurde 1997 mit der Gründung der landeseigenen Ener-

Felice Espro

giegesellschaft Sel in konkretes Handeln umgesetzt. Bis heute wurden die meisten Großanlagen, die jahrelang von den italienischen Energieriesen Enel und Edison verwaltet worden waren, auf die Landes-AG Sel übertragen. Sel schloss zudem mit Enel und Edison Vereinbarungen zur Übernahme der Netze und der Kraftwerke, sodass heute Politiker und Medien nicht umsonst den Übergang des Energiebereichs an das Land als „historisch“ bezeichnen. Das Erbe des Faschismus verwandelte sich in Reichtum. Anfang 2015 fusionierten die beiden Gesellschaften Sel und Etschwerke zu einem Unternehmen mit tausend Mit­ arbeitern, 1,5 Milliarden Euro Erträgen und 100 Millionen Euro Gewinn. Die neue Gesellschaft ist somit der fünftgrößte Verbundversorgungsbetrieb Italiens nach Umsatz und der drittgrößte in der Erzeugung erneuerbarer Energien. Südtirols blaues Gold fließt die Bäche herab, treibt Turbinen an und erzeugt im Jahr durchschnittlich 5.900 Gigawattstunden (GWh), das sind 5,9 Millionen Megawattstunden (MWh) elektrische Energie. Angesichts der durchschnittlichen Preise von 50 Euro pro MWh an der Strombörse ergibt allein die Wasserkrafterzeugung einen Wert von jährlich 295 Millionen Euro. Nimmt man noch den Stromhandel dazu, die Energiegewinnung aus anderen Quellen (Fernheizung, Biomasse, Solarstrom und Windenergie) und die Grünen Zertifikate, dann erreicht der Umsatz ein Viertel des Haushalts­volumens des Landes. Was vor einem Jahrhundert als Raubbau an der Landschaft durch ein diktatorisches Regime aufgebaut wurde, ist jetzt zur Goldgrube geworden. Dabei geht es nicht nur um Erträge und Umsätze zugunsten der öffentlichen Kassen. Die in vollem Südtiroler Besitz befindlichen Kraftwerke sind ein Pfeiler des „Klimaplan 2050“. Dieser sieht für 2020 einen Anteil von 75 Prozent er­ neuerbarer Energiequellen am Gesamtvolumen des Energiekonsums vor (einschließlich des Verbrauchs für Heizung und Verkehr), und dieser Anteil soll bis 2050 auf 90 Prozent steigen.

Felice Espro (*1972), Leiter des Wirtschafts­ ressorts des „Corriere dell’Alto Adige“ (Lokalausgabe des „Corriere della Sera“) in Bozen.

Perspektiven


Quellen zum Rechnen und Staunen Jan Grossarth


Ressource ist ein mythischer Begriff. In diesem Wort schwingt das legendäre Versprechen auf Zukunft, Entwicklung, Wachstum und Machbarkeit mit, aber auch die Drohung, dass alles ein Ende haben kann. Wir haben es kon­ kret genommen und die Ressource als Quelle verstanden. Dann waren wir gleich beim Wasser, dem Schnee und bei Georg Eisath, der mit seinem Skigebiet spielt wie andere mit der Märklin-Eisenbahn und eine Affinität zur Schnee­kanone hat. Aus den Quellen Südtirols fließt aber nicht nur Kunst­ schnee, sondern auch Inspiration für Möbel und Literatur, ladinischen Folk und schwarzen Johannisbeersaft. Den durfte ich gemeinsam mit den Kollegen in einer frostigen Februarnacht im Bauernhaus von Heinrich Mayr Kaibitsch probieren, wo wir nach vierzehn­ stündigem Themenbrainstorming in gelbem Kunstlicht in einer echten, kamin­ beheizten Küche verspeisten, was Heinrich und seine Frau nach Auslands­ jahren in die Heimat – auch so eine Ressource – zurückgelockt hatte: vegane Hausmanns­kost mit Graupen und Johannisbeersaft. Über den er in seiner Kolumne berichtet und mit dem er Hoffnung auf seine wirtschaftliche Zukunft verbindet. Als Chefredakteur war es meine Aufgabe zu erspüren, was Leserinnen und Leser aus der Ferne an Südtirol interessieren könnte, und so kamen Apfel und Ötzi ins Heft, was für Einheimische sicher eine Zumutung ist. Manche Ideen blieben unverwirklicht, etwa die Recherche darüber, wie viele Grabsteine oder Brückenköpfe man aus einem mittelgroßen Berg der Dolomiten fertigen könn­ te, was der Transport koste und was man an der Stelle, wo der Berg einmal gestanden hatte, dann alles anstellen könnte – wie viel also der Leerraum wert wäre und ob auch der eine Ressource sei.

B R I E F

Um niemals ökonomistisch oder esoterisch zu werden, sind wir bemüht ­ge­wesen, aufs Konkrete zu fokussieren. Ehrlicherweise ist es auch so, dass es uns trotz Mühen nicht gelungen ist, das große Ganze der ressourcenhaften Verstrickungen der Autonomen Provinz Bozen zu skizzieren: Niemand hatte die erwünschten Daten über den gesamtwirtschaftlichen Öl- und Kohlever­ brauch und darüber, ob er über die Jahrzehnte höher oder niedriger geworden ist. Und es ist nicht einmal möglich gewesen, herauszufinden, welche Bauteile einer Schneekanone aus welchen Lieferländern kommen – nur, dass es wirk­ lich sehr, sehr viele und teils sehr, sehr ferne Länder sind. So ist es in Zeiten der fortgeschrittenen Globalisierung und Spezialisierung: Man verliert aus den Augen, auf wie vielen Tausenden zarten Stützen der 101


Wohlstand ruht. Aber wie wir intelligenter mit dem, was wir essen, trinken, ver­ schrotten und verheizen, umgehen können, das weiß man. Organische und anorganische Stoffe müssten getrennt, und die Letzteren nicht mehr nur zum schnellen Wegwerfen gestaltet werden. Das brächte mehr als grüne mora­ lische Appelle, meint Michael Braungart. Am Beispiel der Schneekanone könnten seine Ideen vom Cradle to Cradle bedeuten, dass ihre Seiten­ver­klei­ dungen so gebaut werden, dass die sie haltenden Ständer später als Ranken­ stütze für Apfelbäume verwendet werden können. Oder ranken Apfelbäume nicht? Im Obstbaustudium in Bozen kann man es erfahren. Was für Bozen den Vorteil hat, dass seine Schönheit noch von wenigen Tausend jungen Menschen bereichert wird. Und für die Professoren, dass sie eine Anstellung an einem bezaubernden Ort finden durften, wo Zypressen, Wein und Schneemänner gedeihen, Künstler und Intellektuelle, wo es Speck gibt, Jugendstil- und Grandhotels und den ersten genießbaren Kaffee südlich von Reykjavík. Es war zu erfahren, dass in dieser Welt, teils ­notgedrungen, auch ein weiterer Schatz gepflegt wird: die Mehrsprachigkeit, der Austausch, der Geist urbaner Großzügigkeit. Ich danke Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, für Ihre Aufmerksamkeit nicht nur für die Ästhetik, sondern auch die Inhalte dieses Hefts. Ich danke auch dem Redaktionsteam, das mir ermöglichte, die Ressourcen Südtirols suchen, finden, sehen und schmecken zu dürfen. Und ich danke Andreas Weber ­dafür, dass er erklärt hat, dass es barbarisch wäre, Geschenke wie Espresso, Schnee, Wein und Marmor „Ressourcen“ zu nennen. Dass sich in diesem Magazin gelegentlich Versatzstücke neoliberalen Denkens wiederfinden, ist meine Schuld und die meiner Ökonomieprofessoren. Aber womöglich sind auch die Geschenke. Ihr Jan Grossarth

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Nummer 4 — 2015   Nord & Süd  Leben, Arbeit, Wirtschaft in Südtirol

Biografien der beauftragten ­Fotografinnen und Foto­ grafen, ­Illustra­torinnen und ­Illustratoren, ­Künstlerinnen und Künstler.

Jochen Schievink (*1970), Illustrator in Hamburg, Studium der Visuellen Kommunikation in Nancy und Münster. Veröffentlichun­ gen in „Die Zeit“, „Der Spiegel“ und „Falter“. Cristóbal Schmal (*1977), Illustrator chilenischer Abstammung in Berlin, studierte Grafikdesign an der Universität von Valparaíso. Seine Arbeiten erscheinen in „New York Times“, „Neue Zürcher

Gino Alberti (*1962), Künstler, Grafiker und Illustrator in Bruneck

Zeitung“, „Le Monde Diplomatique“.

und Wien. Ausstellungen: Künstlerhaus Klagenfurt und Messner Mountain Museum, 2014.

David Schreyer (*1982), freier Fotograf in Wien und Tirol mit den Schwerpunkten Architekturbild und Bildbericht. Regelmäßige

Anna-Kristina Bauer (*1987), freie Fotografin, studierte Fotojournalis­

Veröffentlichungen der Arbeiten in verschiedenen Printmedien.

mus an der Fachhochschule Hannover, arbeitet für 2470media und

Ausstellungen: „Günther Domenig – ein anderer Blick“ in Graz,

diverse andere Zeitschriften und Unternehmen. Auszeichnung:

Steindorf, Nürnberg und Innsbruck, 2014–2015.

Südtiroler Medienpreis, 2014. Martina Steckholzer (*1974), Künstlerin in Wien, Studium an der Fabien Cappello (*1984), Möbel- und Produktdesigner in London,

Akademie der bildenden Künste in Wien. Ausstellungen: Wilkinson

Studium am École cantonale d’art der Universität Lausanne,

Gallery, London, 2009; Galerie Meyer Kainer, Wien, 2010.

Masterstudium in Design Products am Royal College of Art in London.

Paula Troxler (*1981), freischaffende Illustratorin und Grafikerin in Zürich, erhielt diverse Auszeichnungen für ihre Poster bei internati­

Ivo Corrà (*1969), Fotokünstler aus Bozen, Mitglied des Projekt­

onalen Wettbewerben. Letzte Ausstellung: KunstRaum 57, Zürich,

teams für Kunstvermittlung am MUSEION – Museum für moderne

2014.

und zeitgenössische Kunst in Bozen. Patrick Vollrath (*1987), Grafikdesigner und Illustrator in Leipzig. Claudia Corrent (*1980), freie Fotografin in Bozen. Aus­stellungen in

Arbeitet für die Magazine „Fairy Tale“ und „Kreuzer Leipzig“.

Rom und Mailand.

Ausstellungen: International Biennial of Graphic Design Brno, 2014; Kuboshow, Bochum, 2014.

Nadine Gerber (*1984), freie Illustratorin und Künstlerin in Luzern, Studium an der Hochschule für Design und Kunst in Luzern.

Amadeus Waldner (*1986), Fotojournalist in Hannover und Südtirol. Veröffentlichungen in verschiedenen Print- und Onlinemedien.

Franziska Gilli (*1987), Fotografin in Bozen, Brüssel und Hannover.

Ausstellungen: kulturreich Galerie, Hamburg, 2013; Oberstdorfer

Letzte Ausstellung: foto-forum, Bozen, 2014.

Fotogipfel, 2014.

Andreas Marini (*1966), Fotograf in Meran mit Fokus auf Theater­

Gerwald Wallnöfer (*1957), Professor für Allgemeine Päda­gogik und

fotografie.

Vizerektor der Freien Universität Bozen. Foto­ausstellungen: „Marmor“, Markuskirche Laas, 2013; „Afrika – Omo River“, Caserta

Andreas Müller (*1974), Fotograf in München, Studium mit Ab­

2010. Commended Photographer bei den Sony World Photography

schluss Diplom-Designer an der Fachhochschule Hannover. Letzte

Awards, 2013.

Ausstellung: Alte Färberei, München, 2014. Erik van der Weijde (*1977), freier Fotograf in Amsterdam und Natal Walter Niedermayr (*1952), Künstler und Fotograf in Bozen, seit 2011

(Brasilien), Gründer des Verlags 4478zine. Ausstellungen: Camera

Dozent für künstlerische Fotografie an der Fakultät für Design und

Austria, Graz, 2014; Temple, Paris, 2015; Riot, Gent, 2015.

Künste der Freien Universität Bozen. Letzte Ausstellungen: Istituto Italiano di Cultura de Paris, Paris, 2012; La Filature, Mülhausen,

Karin Welponer (*1941), Künstlerin in Bozen, Besuch der Akademie

2013.

der Bildenden Künste in München. 1985 Gründung des Kunstver­ eins ar/ge kunst Galerie Museum in Bozen.

Guido Scarabottolo (*1947), Illustrator und Grafiker in Mailand. Seine Arbeiten erscheinen in „Il Sole 24 Ore“, „Internazionale“, „New York Times“ und „New Yorker“. Buchpublikation: „Sotto le copertine“, Edizioni Tapirulan, 2012.

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Nummer 4 — 2015   Nord & Süd  Leben, Arbeit, Wirtschaft in Südtirol

Redaktion

Herausgeber

Koordinierender Chefredakteur Jan Grossarth

Direktor Ulrich Stofner

Gesamtkonzept, Kuratorinnen und Kuratoren Angelika Burtscher, Daniele Lupo (Lupo & Burtscher), Christian Hoffelner (CH Studio), Thomas Hanifle, ­Thomas Kager (Ex Libris Genossenschaft)

Idee und Entwicklung Birgit Mayr

Redaktion, Lektorat, Korrektorat Ex Libris Genossenschaft, exlibris.bz.it Art Direction und Gestaltung CH Studio, ch-studio.net Lupo & Burtscher, lupoburtscher.it Text Barbara Bachmann, Georges Desrues, Felice Espro, Leo Fischer, Karl Forster, Jan Grossarth, Mona Jaeger, Carsten Knop, Markus Larcher, Christoph Lütge, Andreas Maier, Tonia Mastrobuoni, Heinrich Mayer Kaibitsch, Aldo Mazza, Waltraud Mittich, Alessandra Quarta, Ulrike Sauer, Anna Soucek, Simone Treibenreif, Andreas Weber, Martin Wittmann Fotografie und Illustration Gino Alberti, Anna-Kristina Bauer, Fabien Cappello, Ivo Corrà, Claudia Corrent, Nadine Gerber, Franziska Gilli, Andreas Marini, Andreas Müller, Walter Nieder­mayr, Guido Scarabottolo, Jochen Schievink, Cristóbal Schmal, David Schreyer, Martina Steck­holzer, Paula Troxler, Patrick Vollrath, Amadeus Waldner, Gerwald Wallnöfer, Erik van der Weijde, Karin Welponer Übersetzungen Ex Libris Genossenschaft: Bruno Ciola (Text Aldo Mazza, S. 62), Walter Kögler (Text Tonia Mastrobuoni, S. 83–85; Text Alessandra Quarta, S. 97–98; Text Felice Espro, S. 98–99) Bildnachweis Bild auf dem Umschlag: Marmorbruch in Laas, Foto: Amadeus Waldner. Bild auf dem Cover: Bibliothek der Freien Universität Bozen, Foto: Andreas Müller Die Bilder auf den Seiten 34–36 stammen von der Bildagentur Contrasto. Die Bilder auf den Seiten 41, 42 und 45 wurden im Rahmen des Südtiroler Medienpreises gemacht und sind mit diesem ausgezeichnet worden.

Projektmanagement Sara Valduga Beratung Text Bettina König Auflage 3.000 Stück Druckvorstufe und Druck Karo Druck Printed in Italy © Business Location Südtirol – Alto Adige, Bozen, August 2015. Alle Rechte vorbehalten. Sämtliche inhaltlichen Beiträge der Publikation sind unveröffentlichte Originalbeiträge und Auftragswerke. ISBN: 978-88-7283-541-8 Eine jährliche Publikation der Standortagentur Business Location Südtirol – Alto Adige (BLS)

Dompassage 15 39100 Bozen, Italien +39 0471 066 600 www.bls.info service@bls.info



Eine jährliche Publikation der Standortagentur  BL S, Business Location Südtirol — Alto Adige

Ohne Ressourcen keine Wirtschaft. Doch kann man heute mit den klassischen Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital allein wirtschaften? Wissen und Umwelt werden zunehmend wichtig. Beim erweiterten Blick wird viel mehr zur Ressource: Die Luft, der Schnee, aber auch die Sprache, die Erfahrung, die regionale Kultur. Der Wirtschaftsstandort Südtirol – inmitten der Berge, aber an der Transitachse zwischen Nord und Süd gelegen – verfügt über wenig Bodenschätze und setzt daher auf die Innovationskraft seiner Menschen. Diese bauen Schneekanonen, verarbeiten Äpfel zu neuen Getränken und zaubern Möbelunikate. Chefredakteur dieser Ausgabe: Jan Grossarth Wirtschaftsredakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ Nord & Süd – 2015

12,00 Euro 9 788872 835418


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