Nord & Süd | Nummer 2

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Nummer 2  —  2013

Nord & Süd Leben, Arbeit, Wirtschaft in Südtirol

Energie

Toni Bernhart  Michil Costa  Wojciech Czaja  Nicolò Degiorgis  Alfred Dorfer  Dieter Dürand  Felice Espro  Gustav Hofer  Elisabeth Hölzl  Judith Innerhofer  Lenz Koppelstätter  Alois Lageder Norbert Lantschner  Ariane Löbert  Waltraud Mittich  Leoluca Orlando  Donatella Pavan  Hans Karl Peterlini  Susanne Pitro  Carlo Ratti  Benjamin Reuter  Gregor Sailer  Ulrike Sauer  Birgit Schönau  Juliet Schor  Something Fantastic  Simone Treibenreif  Alessandra Viola  Ernst Ulrich von Weizsäcker



Nummer 2 — 2013 — Nord & Süd  Leben, Arbeit, Wirtschaft in Südtirol



Nummer 2 — 2013  —  Nord & Süd  Leben, Arbeit, Wirtschaft in Südtirol

Energie


Inhalt

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Grün wachsen oder untergehen

Der Co-Präsident des Club of Rome, Ernst Ulrich von Weizsäcker, plädiert für einen grünen Kapitalismus.

Unternehmen

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Die Welle aus den Bergen

Was Südtirol zur grünen Vorzeigeregion Europas macht. Ein Ortsbesuch der Journalistin Judith Innerhofer klärt auf.

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Dolce Vita und Disziplin

Dieter Dürand hat deutsche Unternehmer gefragt, warum es sie in Italiens nördlichste Provinz zieht.

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Junge Energie

Trotz Wirtschaftskrise vergeht jungen Südtirolern nicht die Lust am Gründen, schreibt Wirtschaftsjournalist Felice Espro.

23  Weltweit gefragter Lichtspezialist. Im Firmensitz von Ewo

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Fest für die Sinne

Für die Installationen des Lichtspezialisten Ewo begeistern sich Kunden in aller Welt. Ein Unternehmensporträt von Dieter Dürand.

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Habitat für innovative Technologien

Die Wirtschaftsjournalistin Simone Treibenreif analysiert das kreative Umfeld für Hightechunternehmen.

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Energieriese ohne Regie

Auch wenn es ein wenig chaotisch zugeht: Italiens Energiewende kommt voran, prophe­ zeit die Italienkorrespondentin Ulrike Sauer.

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„Gegenseitiges Vertrauen wieder aufbauen“

Im Gespräch mit „Nord & Süd“ verrät Palermos Bürgermeister Leoluca Orlando, wie Deutschland und Italien zum Motor des europäischen Fortschritts werden können.

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Wasser-Kraft

Der Fotograf Gregor Sailer hat Schönheit und Urgewalt der sauberen Energiequelle eingefangen.

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Italienkorrespondentin und Fußballexpertin Birgit Schönau erklärt, warum Deutschland im Fußball immer gegen Italien verliert.

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Leben

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Die Möglichkeit einer Insel

Der Journalist Lenz Koppelstätter über seinen Versuch, das Land ökologisch zu bereisen. Ein etwas anderer Reisebericht.

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Vom kürzeren Ende des Tages her

Der Literat Toni Bernhart und die Fotografin Elisabeth Hölzl spüren der Frage nach, was die energieautarke Gemeinde Prad dem Rest der Welt voraushat.

Stärkt die Kultur

Italien kommt nur mit mehr statt weniger Kultur aus der Krise, meint der Dokumentarfilmer Gustav Hofer.

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Nachhaltige Architektur

Mit welchen Ideen und Techniken Energie ökologisch erzeugt werden kann, stellt das Berliner Architektentrio Something Fantastic grafisch dar.

Der Freigeist

Der renommierte Weinproduzent Alois Lageder weiht die Journalistin Donatella Pavan in die Geheimnisse des biodynamischen Anbaus ein.

Heim zu Mutter

Österreichs Mutterschmerz für Südtirol aus der satirischen Perspektive des Kabarettisten Alfred Dorfer.

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Klassenprimus gegen Angsthase


Wissen

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Grüne Bausteine

Weit mehr als Wärmedämmung: Der Architekturjournalist Wojciech Czaja zeigt anhand von fünf Beispielen, wie nachhaltige Architektur auch ästhetisch Maßstäbe setzt.

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Die Renaissance des Seils

Wie die Unternehmen Leitner und Doppelmayr mit Seilbahnen nun auch Stauprobleme in Großstädten lösen, erklärt die Journalistin Susanne Pitro in einem Porträt.

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Fest im Sattel

Von schlicht bis aufgemotzt. Der Fotokünstler Nicolò Degiorgis zeigt die Vielseitigkeit des guten alten Radls. 77  Die Seilbahn: Ein traditionell alpines Verkehrsmittel erobert Großstädte

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Sauber über den Brenner

Geht alles glatt, fahren von 2016 an die ersten Wasserstoffautos von München nach Verona. Der Journalist Benjamin Reuter blickt voraus.

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Innovativ mobil in Südtirol

Vom Erdgas-Wasserstoff-Auto bis zum neuen Verkehrskonzept für Bozen – weitsichtige regionale Mobilitätskonzepte.

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Alte und neue Baustellen

Wie mehr Gemeinsinn Energie bezahlbar und umweltverträglich macht, analysiert der Experte Norbert Lantschner.

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„Nur noch kurz die Welt retten“

Der Journalist und Bildungswissen­ schaftler Hans Karl Peterlini erklärt, wie Wissen tatsächliche Veränderungen auslöst.

Perspektiven

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Die intelligente Stadt

Die Wissenschaftsjournalistin Alessandra Viola hat den Architekten Carlo Ratti gefragt, wie Smartphones und Sensornetzwerke die urbane Kommunikation revolutionieren.

100

Vier Elemente

Noch ist es für eine Umkehr nicht zu spät, glaubt der Hotelier und Umweltschützer Michil Costa, und plädiert für einen sanften Umgang mit der Natur.

9

101  Grünes Label. Re-Bello aus Südtirol

101

Grün wirtschaften

Die Green Economy schafft auch in Südtirol viele neue Arbeitsplätze, so das Fazit von Journalistin Ariane Löbert.

104

Energisch und energetisch

Die vielen Facetten der Energie: Eine literarische Annäherung der Schriftstellerin Waltraud Mittich.

106

Was uns wirklich reicher macht

Die amerikanische Soziologieprofessorin Juliet Schor definiert Wohlstand neu: Soziale Kontakte werden wichtiger als Konsum, und wir sparen wertvolle Ressourcen.

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Bunt, vital, einfallsreich – warum unsere Zukunft voller Chancen steckt

Abschließende Überlegungen von Dieter Dürand, Chefredakteur der diesjährigen Ausgabe von „Nord & Süd“.


Ernst Ulrich von Weizs채cker

Gr체n wachsen oder untergehen


Die Finanzkrise im Jahr 2008, die Notwendigkeit des Klimaschutzes und seit Fukushima Deutschlands Ausstieg aus der Kernenergie haben eine neue Diskussion über die Richtung des Fortschritts ausgelöst. Klar ist, dass wir an einem Scheideweg stehen: Entweder lernt die Menschheit, ihr Wissen und ihre Fähig­ keiten den Begrenzungen unseres Planeten anzupassen und nachhaltig mit ihm umzugehen, oder die Umwelt schlägt zurück. Dennoch halte ich nichts davon, die Litanei über die drohenden ökologischen Katastrophen unaufhörlich zu wieder­ holen. Auch sollten wir aufhören mit dem Gerede, wir müssten den Gürtel enger schnallen, um das Klima zu retten. Diese Rhetorik ist eine politische Totgeburt.

Was wir stattdessen brauchen, ist ein Lösungsweg, der Klima- und Umwelt-

schutz profitabel macht. Mein Kandidat dafür ist ein globaler Green New Deal: eine grüne technologische Revolution, die einen neuen Wachstumszyklus anstößt, der ohne zusätzlichen Verbrauch von Energie, Wasser und Rohstoffen auskommt, später sogar eine Minderung schafft. Vorbild für das Ergrünen des Kapitalismus wäre der Anstieg der Arbeitsproduktivität. Sie hat sich in den vergangenen 200 Jahren verzwanzigfacht und war damit der entscheidende Motor für unseren Wohlstand. Doch jetzt bedarf es einer neuen Maßzahl – die Ressourcenproduktivität. Sie ließe sich schon mit den heute verfügbaren Technologien verfünffachen. Im Klartext würde das bedeuten: Wir können die Ressourcenplünderung und

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den CO2-Ausstoß pro Einheit Wohlstand um 80 Prozent verringern. Ganz ohne

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Verzicht. Und langfristig wäre auch eine Verzwanzigfachung erreichbar.

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Wie aber bekommen wir einen marktkonformen Umstieg auf ein grünes

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Wachs­tumsmodell hin? Im Kern geht es um ein dauerhaftes sozial- und wirt-

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schaftsverträgliches Preissignal. Man könnte die Preise für Energie und andere

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wichtige Rohstoffe jedes Jahr in dem Maße verteuern, wie sich die entsprechende

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Rohstoffproduktivität im Vorjahr verbessert hat. Dann würden die Ressourcen im Durchschnitt gleich viel kosten wie zuvor, doch diejenigen, die die Entwicklung verschlafen, leben teurer, die Geschwinden billiger. Dass solche Preissignale ein Feuerwerk an Innovationen auslösen können, hat Japan bewiesen. Unter dem Eindruck verheerender Umweltverschmutzung verteuerte die Regierung Anfang der 1970er-Jahre die Luftverschmutzung und den Energieverbrauch drastisch. Viele fürchteten damals eine De-Industrialisierung des Landes. Doch das Gegenteil trat ein: Die japanische Wirtschaft erfand Digitalkameras, Hochtechnologiekeramiken und den Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen – und entwickelte sich so zum technologisch führenden Land der Erde. Es ist höchste Zeit für einen neuen solchen Aufbruch. Grün und global. Ernst Ulrich von Weizsäcker (*1939), seit Oktober 2012 Co-Präsident des Club of Rome. Von 1991 bis 2000 Leiter des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie; von 1998 bis 2005 SPD-Abgeordneter im Bundestag.

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Ernst Ulrich von Weizsäcker


Unternehmen Vorgestürmt: Südtirol ist Europas Primus bei der grü­ ­nen Energieversorgung 13  Angekommen: Warum es deu­­­tsche Unternehmen nach Südtirol zieht 17  Lust­­ voll: Nie fanden junge Südtiroler mehr Spaß am Gründen 21 Magisch: Die innovativen Lichtsysteme des Mittelständ­lers Ewo sind weltweit gefragt 23  Inno­ vativ: Forscher und Kreative gehen eine produktive Allianz ein 27  Improvisieren: Auch ohne exakten Plan boomen in Italien Windkraft, Sonnenstrom und Biomasse 29  Nachgefragt: Leoluca Orlando, Bürgermeister von Palermo, über die Chancen im deutsch-italienischen Verhältnis 38  Ein­gefangen: Die Kraft des Wassers in Bildern 40


Judith Innerhofer

Die Welle aus den Bergen

hörbar an – grünes Gewissen hin oder her. Aber immerhin: Auf 23 Prozent ist der Anteil des Ökostroms 2012 schon gestiegen. Was nach Rekord klingt, wird in Südtirol locker überboten. Hier stammen 99 Prozent der verbrauchten Elektrizität aus erneuerbaren Quellen, vor allem der Wasserkraft. Beim Wärmebedarf sind es immerhin weit mehr als 25 Prozent. Damit ist nicht Deutschland, sondern Südtirol die grüne Vorzeigeregion Europas. Wie es dazu kam, wer die wichtigsten Innovatoren sind und mit welchen Technologien Südtirols grüne Pioniere Trends für die Zukunft setzen, zeigt ein Energiestreifzug durchs Land. Wenn der Wind sich weiter dreht

Fotografie — Ivo Corrà

So kann man sich täuschen! Alle Welt hält Deutschland für den globalen ­Öko­primus. Doch weit gefehlt: Südtirol, die nördlichste Provinz Italiens, ist mit dem grünen Umbau der Energieversorgung längst weiter – und will seine ­Spitzenposition nicht nur halten, sondern noch ausbauen. Wie haben die ­Provinzler das nur geschafft? Ein Ortsbesuch klärt auf. Es gibt nur wenige deutsche Wörter, die den Sprung ins Englische, die Lingua franca unseres Jahrhunderts, geschafft haben. „Kindergarten“ war eines, „Angst“ ein anderes. Jetzt ist „Energiewende“ hinzugekommen. Seit die deutsche Bundesregierung im Juni 2011 nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima den Ausstieg aus der Atomenergie verkündet hat, blicken viele Menschen neugierig auf das Land im Herzen Europas und warten auf den Ausgang eines der größten Experimente des Industriezeitalters: die Umstellung der Energieversorgung von Stahlwerken, Autofabriken und Millionenstädten auf grüne Quellen wie Sonne, Wind und Biomasse. Wenn die Deutschen mit ihrer Ingenieurkunst das hinbekommen, so die Überzeugung, dann funktioniert es überall auf der Welt. Seither subventionieren die deutschen Stromzahler mit Extraabgaben den massenhaften Aufbau von Solardächern und Windrädern. Auf weit mehr als 100 Milliarden Euro türmen sich die Zahlungsverpflichtungen bereits auf. Das Murren über die wachsenden Lasten schwillt unüber-

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Es ist friedlich, verdächtig friedlich für einen Ort, an dem die grüne Revolution in vollem Gang sein soll. Und wie ein Radikaler sieht der Mann auch nicht aus, der da in schmal geschneidertem Jackett, blauer Jeans und roter Armbanduhr zur Tür hereineilt. Espressogeruch hängt zwischen Grünpflanzen, einer vollgeschriebenen Weißwandtafel und großformatigen Bildern von Eis- und Wüstenlandschaften, aus denen eigentümliche Masten aufragen. Das Fenster gibt den Blick auf frisch eingeschneite Alpengipfel frei, hinter Werkhallen und Bürokomplexen öffnet sich ein weites, grünes Talbecken. Es war nicht einfach, diesen Ort einer friedlichen Revolution zu finden. Nicht ein einziges Hinweisschild in diesem Bozner Gewerbegebiet weist den Weg. Erst ein vergilbtes Klingelschild mit der Aufschrift „Ropatec“ am Eingang eines unscheinbaren Gebäudes verriet: Ziel erreicht. Robert Niederkofler, Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens, holt erst einmal eine der neuen Windrad-Broschüren für den brasilianischen Markt aus dem Karton. Das ist also der Mann, den der US-Starökonom Jeremy Rifkin in seine Liste der Revolutionäre aufgenommen hat: Akteure aus der Privatwirtschaft, die seiner Meinung nach beispielhaft die Wirtschaft der Zukunft vorwegnehmen.

Grüne Vorzeigeregion: Blick auf das Südtiroler Überetsch beim Kalterer See

Judith Innerhofer


Rifkin nennt seine Vision „Die dritte industrielle Revolution“: eine zukunftsfähige Form der Marktwirtschaft, die auf neue Informationstechnologien und den Umstieg auf ein grünes, demokratisches Energiesystem baut. Und mit Strom aus erneuerbaren Quellen kennt sich Robert Niederkofler aus. Das brachte ihm Rifkins Ritterschlag ein. Es war Mitte der 1990er-Jahre, als Niederkofler auf die Idee kam, eine kleine Windanlage zu bauen, deren ­Flügel sich parallel zum Erdboden drehen statt wie üblich ­horizontal. Der Vorteil dieser Konstruktion: Das Windrad rotiert fast lautlos, die Anlage braucht kaum Wartung und „sie produziert bei orkanartigen Sturmböen genauso Strom wie bei niedriger Windstärke oder bei wechselnder Windrichtung“, erläutert ihr Erfinder.

Der ambitionierte Plan: Schon in knapp vier Jahrzehnten sollen 90 Prozent des gesamten Energieverbrauchs in Südtirol aus regenerativen Quellen gespeist werden.

Südtirol setzt italienweit Standards im Bereich des energie­ effizienten Bauens

So viele Vorzüge überzeugen. Inzwischen liefern die in Südtirol entwickelten und produzierten Kleinwindräder in 24 Ländern der Erde Strom. Derzeit setzt der Unternehmer und gefragte Regierungsberater in Sachen Kleinwindkraft vor allem auf Wachstumsmärkte wie Brasilien. In den ­west­lichen Industrienationen hingegen läuft der Ausbau der Kleinwindkraft insgesamt noch schleppend voran, was Branchenstudien zufolge vor allem an oft noch fehlenden staatlichen Anreizen liegt. Aber Niederkoflers Innovationsgeist tut das keinen Abbruch. Der einstige Quereinsteiger arbeitet weiter daran, die Leistungsfähigkeit seiner Produkte zu verbessern, um so neue Maßstäbe zu setzen. Jüngst hat er etwa eine Hybridversion als Energiecontainer entwickelt, bei der Wind- und Solarkraft, Wasserbehandlung mit Pumpsystem und eine Energiespeicherung mit

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Fernmonitoring integriert sind – eine Weltneuheit. Eine andere Variante nutzt seine auffälligen Windanlagen zugleich als Werbefläche. Die große Kraft der Südtiroler Windräder steht ­exemplarisch für den weltweiten Aufbruch in eine neue Ära der Energiewirtschaft. Bis vor einigen Jahren kam der Strom für die meisten Menschen einfach aus der Steckdose. Ob er sauber oder dreckig war, gefährlich oder risikolos produziert wurde, interessierte kaum jemanden. Das hat sich spätestens seit der Kernschmelze in Fukushima grundlegend geändert. Öko und Nachhaltigkeit sind seither in aller Munde. Grün und erneuerbar soll die Energie auch in den Augen der Politik werden. Kaum eine zweite Branche erlebte in den vergangenen Jahren einen vergleich­ baren Aufschwung. Doch mit Wirtschaftskrise und Billigkonkurrenz wird das Geschäft härter. Wer im globalen Wettbewerb bestehen will, tut daher gut daran, auf noch effizientere Technologien zu setzen. Denn ausgeschöpft sind die sauberen Quellen noch lange nicht, viele Zukunftssysteme stecken erst in den Kinderschuhen. Schwitzen in der Klimakammer

Sie müssen daher erst einmal gründlich auf ihre Zuver­ lässigkeit und Wirksamkeit geprüft werden. Gute Vor­ aussetzungen dafür finden Südtirols grüne Pioniere im Bozner Institut für Erneuerbare Energien vor, das an der Europäischen Akademie (Eurac) angesiedelt ist. Sein Leiter Wolfram Sparber setzt alles daran, die Neuerer zu unterstützen und den ökologischen Wandel voranzutreiben. „Technische Innovationen sind das A und O, wenn wir eine postfossile Zukunft wollen, die auch wirtschaftlich erfolgreich ist“, sagt er. Sparbers jüngste Anschaffung ist eine Klimakammer. In ihr können Unternehmen testen, ob neue Solarmodule, Elektronikkomponenten oder Wanddämmsysteme Kälte, Hitze und Nässe trotzen und die erhoffte Leistung er­ reichen. Die Forscher – 40 an der Zahl, die aus allen Teilen der Welt stammen – können in der schwarz schim­mernden Kammer, die an einen gigantischen Hightech-Kühlschrank erinnert, Temperaturen von minus 50 bis plus 90 Grad

Klimakammer der Denkfabrik Eurac

Unternehmen  Die Welle aus den Bergen


Auf dem Flughafenareal in Bozen werden Fotovoltaikmodule verschiedener Hersteller auf Herz und Nieren geprüft

erzeugen und die Luftfeuchtigkeit variieren. Derart ausgefeilte Technik gibt es nicht oft auf der Welt. Das hat sich schnell herumgesprochen. Inzwischen erproben nicht nur Südtiroler, sondern auch internationale Unternehmen ihre Produkte in der Klimakammer. Sie ist Teil des jüngst eröffneten Labors für Fotovoltaiktechnologien und Gebäudekomponenten, das wiederum zur Eurac gehört. Physiker Sparber, noch keine 40 Jahre alt und ein Mann mit ausgeprägtem Hang zur Praxis, muss selbst manchmal über das rasende Tempo des Fortschritts bei neuen Formen der Energiegewinnung staunen. Derzeit, so erzählt er, sei das Kühlen mit Sonnenenergie ein solches Thema, das stark im Kommen sei: „Der Markt dafür ist eindeutig da, aber noch steckt die Technologie in den Anfängen.“ Was ihn besonders stolz macht: Nicht wenige Unternehmen aus Italiens nördlichster Provinz mischen beim Green-Tech-Boom kräftig mit. Seit 1990 hat sich die Zahl der Akteure mehr als vervierfacht. Schon knapp 500 Unternehmen sind im weiten Feld der sauberen Energie tätig. Darunter auch Stadtwerke und lokale Genossenschaften wie das Biomasse-Fernheizwerk Ritten, das dort anfallende Reste aus der Holzverarbeitung verbrennt und mit der Wärme zwei umliegende Ortschaften beheizt. Viele der Mittelständler gehen Kooperationen mit Partnern aus ganz Europa ein, um ihre Technologien voranzutreiben und lukrative Nischen zu besetzen. Grüne Gründer ziehen nach und verblüffen die Welt mit innovativen Lösungen: etwa einem Wasserstoffantrieb für die Bus-Boote, die Touristen in die Lagunenstadt Venedig übersetzen. Die vielen Aktivitäten haben Südtirol den ersten Platz im Green-Economy-Index 2012 unter allen italienischen Regionen eingebracht. Energie aus erneuerbaren Ressourcen deckt schon heute 56 Prozent des Strom- und Heizkraftbedarfs der 510.000 Südtiroler. Doch die Landes-

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regierung will mehr: Schon in knapp vier Jahrzehnten sollen 90 Prozent des gesamten Energieverbrauchs aus regenerativen Quellen gespeist werden, so der ambitionierte Plan. Nicht alle Vorhaben stoßen auf ungeteilte Begeisterung. Besonders bei Windrädern ist die Sorge groß, sie könnten die Berglandschaft verschandeln. Schon gar nicht möchte man sie vor der Haustür stehen haben. Einmal ans Meer und wieder zurück

Josef Gostner verfolgt solche Diskussionen eher am Rande. Sein Revier umfasst längst alle Kontinente. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass der größte grüne Player der Region zum vereinbarten Termin weder im ÖkoFlitzer angerauscht kommt noch auf dem Fahrrad. Er landet mit seinem Privatjet auf dem kleinen Bozner Flughafen und steuert die Maschine zielsicher in den Hangar. Aus dem Cockpit klettert ein hochgewachsener Mann in den Fünfzigern, stilsicherer Anzug, dezent gemusterte Krawatte. Beim Anflug, erzählt der Vollblutmanager wohlgelaunt, habe er wieder einmal beobachten können, wie dicht die Täler und Berghänge seiner Heimat inzwischen mit Solarmodulen bestückt sind: Auf je 1.000 Einwohner kommen 410 Quadratmeter Sonnenkollektoren für die Warmwasserbereitung – das sind gut sieben Mal so viele wie im europäischen Durchschnitt und gar fünfzehn Mal mehr als in Italien. Ähnlich weit vorn liegt Südtirol bei der installierten Fotovoltaikleistung. Mehr noch galt seine Aufmerksamkeit allerdings den fast tausend Wasserkraftwerken im Land. Denn mit der Wasserkraft begann vor fast 20 Jahren der kometenhafte Aufstieg Josef Gostners und seiner Brüder Thomas und Ernst als Energieproduzenten und -verkäufer. Heute umfasst ihre Fri-El-Gruppe über 80 Unternehmen. Ihre

Judith Innerhofer


Kerngeschäfte sind inzwischen Windparks, Biogas- und Biomasse-Anlagen. Er komme gerade von der südlichsten Spitze des italienischen Stiefels zurück, berichtet Gostner, während er eiligen Schritts zum Auto stürmt. Dort unten baut die Gruppe einen 24 Megawatt starken Windpark mit der neuesten Turbinentechnologie des dänischen Marktführers Vestas. „Wir setzen dort die größten Windräder ein, die für italienische Verhältnisse geeignet sind“, sagt Gostner sichtlich stolz. „Schließlich gibt es hier weniger Wind als etwa an der Nordsee.“ Vom Flughafen geht es vorbei an einer fußballfeldgroßen Versuchsanlage. Hier prüft das Forschungsinstitut Eurac mit einem Partner aus der Wirtschaft Fotovoltaikmodule verschiedener Hersteller auf Herz und Nieren. Das Bürogebäude der Gostner-Brüder versteckt sich zwischen verwinkelten Gassen mitten im historischen Ortskern von Bozen: ein mittelalterliches Eckhaus mit dicken Mauerbögen und dunklen Holzstreben. Das Innere mit seinem edlen Mix aus Glas, Holz und Stahl würde sich gut als Titelbild einer Architekturzeitschrift machen. Warum residiert das Unternehmen, das in Italien zu den Marktführern gehört, ausgerechnet hier in Südtirol, wo es nicht eine einzige ­Anlage betreibt? „Ist doch ganz klar“, sagt Josef Gostner und rückt die schmale Brille zurecht. „Unsere Industriepartner setzen auf Südtirol als Scharnier in den italienischen Markt. Und dort wiederum hilft uns das Image Südtirols als führende Ökoregion des Landes.“ Ein Blick auf die Fakten unterfüttert die Einschätzung des Fri-El-Geschäftsführers. Gerade Wirtschaftsakteure sprechen Südtirol in Studien die Rolle eines grünen Zugpferdes zu; in Sachen energieeffiziente Bauweisen hat die Provinz mit ihrem KlimaHausStandard den Maßstab für ganz Italien gesetzt. Ein neuer Technologiepark in der ­Landeshauptstadt soll die Vorreiterrolle stärken und den Know-how-Transfer von der Theorie in die Praxis beschleunigen. Schon heute kooperieren ­Forschungseinrichtungen wie die Eurac, ein Fraunhofer-­ Institut, der TIS innovation park und die Freie Universität Bozen eng mit den ­regionalen Unternehmen und begleiten sie auf dem Weg ins postfossile Zeitalter. Auch sauber muss sich rechnen

Beherzt greift Thomas Brandstätter in den Bottich und lässt den Abfall genüsslich durch die Finger rieseln. Über ihm schwebt eine gigantische gelbe Trommel, gegenüber

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fauchen zwei Verbrennungsöfen. Die dichte weiße Rauchsäule, die über der Werkhalle besonders im Sommer hoch in den Himmel geblasen wird, passt eigentlich nicht zum sauberen Image des traditionsreichen Luft- und TraubenKurorts Meran. „Reiner Wasserdampf“, beruhigt Brandstätter beim Gang über das Gelände, auf dem es schwer und füllig nach reifem Obst riecht. Die Aromen stammen von den 180.000 Tonnen Frucht, welche die Zipperle AG jährlich zu Pürees und Konzentraten für Nahrungsmittelkonzerne wie Hipp, Nestlé, Rauch und Danone verarbeitet. Auf den ersten Blick hat das Geschäft des 1951 gegründeten Familienbetriebs mit Energie nicht wirklich etwas zu tun – und doch war Geschäftsführer Brandstätter schon früh mit dem Thema konfrontiert. Das liegt an dem Berg von 25.000 Tonnen Fruchtabfällen, die sich jährlich ansammeln. Schon vor gut 25 Jahren begann er sich über ihre energetische Nutzung Gedanken zu machen. Heute wird der Trester in der Trocknungs- und Verbrennungsanlage zu Dampf, der die thermische Energie ergänzt, die im Fernheizwerk auf der anderen Straßenseite erzeugt wird und per Direktverbindung in die Produktionsstätte fließt. Auch diese Anlage, betrieben vom kommunalen Versorger Etschwerke AG, entstand auf Betreiben des Fruchtverarbeiters. „Die Wirtschaft und die Menschen hier sind sehr sensibel für Umweltthemen. In dieser Beziehung sind wir wohl stärker deutsch als italienisch geprägt“, interpretiert Brandstätter die grüne Investitionslust, von der jedes dritte Unternehmen in der Region in den vergangenen Jahren gepackt worden ist. Aber der Manager stellt auch klar, dass sich die Investitionen am Ende auch finanziell auszahlen sollten: „Sicher, auch wir leben von einer gesunden Umwelt. Gerade sauberes Wasser und eine intakte Landschaft sind für uns und unser

Unsere Industriepartner setzen auf Südtirol als Scharnier in den italienischen Markt. Und dort wiederum hilft uns das Image Südtirols als führende Ökoregion des Landes.

Unternehmen  Die Welle aus den Bergen

Josef Gostner


Andreas Leitner, Juniorchef von Leitner Solar. Das Unternehmen gehört zu den Leadern im italienischen Solarmarkt

Image ganz wesentlich. Aber am Ende muss die Rechnung einfach stimmen.“

knapp 90 Landwirte aus der Umgebung Mist und Grün­ abfall bringen. Aus der Biomasse wird Biogas gewonnen, das zu Strom und Wärme verbrannt wird. Zudem entsteht aus der übel riechenden braunen Masse ein geruchfreier Biodünger, der das Gras für die Milchkühe besonders saftig wachsen lässt. Die Anlage stammt vom Hersteller BTS, der seine Firmenzentrale nur wenige Landstraßenminuten weiter taleinwärts hat. Er ist Biogas-Marktführer in Italien, hat Niederlassungen in Deutschland und betreibt Anlagen in ganz Europa. Eigentlich läuft alles wie gewünscht für ­Michael Niederbacher. Der Mitbegründer der European Biogas Association leitet das zur T.S. Energy Group gehörende Unternehmen und hat das Wachstum der Branche Schub um Schub miterlebt. Aber nur immer mehr und immer größere Anlagen zu bauen, die mit immer mehr Rohstoffen gefüttert werden wollen, davon hält er wenig. „Wir müssen auf maximale Effizienz setzen“, lautet sein unternehmerisches Credo. Dafür haben Ingenieure im firmeneigenen Forschungslabor – dem einzigen für Biogas in Italien – zum Beispiel eine Aufbereitungsmethode für Landwirtschaftsabfälle entwickelt, die 35 Prozent mehr Energie aus der Biomasse herausholt als bisher. Das steigert zudem die Wirtschaftlichkeit. Doch der gelernte Agraringenieur Niederbacher will noch mehr erreichen. Wenn er über „seinen“ braunen Mist nachdenkt, kommt er schon einmal auf Ideen, die im ersten Moment etwas anrüchig klingen: etwa wenn er den Mist auch nutzen will, um daraus Sprudelbläschen für Limonaden zu gewinnen. „Biogas besteht ja zu 55 Prozent aus Methan, der Rest ist CO2“, erläutert Niederbacher. „Will man das Methan nun als Biotreibstoff nutzen, muss man das ganze Kohlendioxid vorab abpumpen. Und wenn es schon da ist, könnte man es doch gleich in der Getränke­ industrie zur Erzeugung von Kohlensäure verwenden.“

Ein wenig Gülle für die Cola

Die Kühe, die da am Straßenrand stehen und in aller Gemütlichkeit das Gras zermalmen, sehen zufrieden aus. Und die Tiere grasen zahlreich rund um St. Lorenzen, einem Örtchen im Pustertal kurz vor Bruneck. Es zählt 3.800 Einwohner, besitzt zwei auffallend ungleiche Kirchtürme und eine Menge Weiden und dichte Wälder. Sie machen mehr als die Hälfte des Dorfgebietes aus. Zufrieden sehen auch die vielen Urlaubsgäste aus, die an diesem Vormittag aus den Hotels strömen, um die Dolomiten zu erobern und sich zwischendurch mit frischer Bauernmilch und Käse zu ­stärken. Wegen so viel Idylle, nicht nur hier, zieht es Jahr für Jahr Millionen Touristen nach Südtirol, das zu den wirtschaftlich stabilsten Regionen in Europa gehört. Doch so schön der Anblick der grasenden Kühe sein mag – sie verursachen auch ein stinkendes Problem. 80 ­Liter Gülle hinterlässt jedes Tier pro Tag. Würden die enormen Mengen, die so zusammenkommen, auf die Felder gekippt, wären Böden und vor allem das Grundwasser gefährdet. Die örtliche Bioenergie-Genossenschaft hat eine bessere Verwendung: Neben einer der Weiden haben die Mitglieder zwei kuppelartige Gebäude errichtet, zu denen

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Solartankstellen für Elektro-Fahrräder

Wie Niederbacher sucht auch Hubert Leitner unermüdlich nach Lösungen, die Energiewende voranzubringen. Dass es noch an vielen Ecken Verbesserungspotenzial gibt, merkt er zum Beispiel, wenn er die Batterie seines luxuriösen Plug-in-Hybrids in der Garage seines Brunecker Einfamilienhauses auflädt. Den blank polierten Sportwagen hat er sich vor drei Jahren geleistet. Leitner hätte gerne, dass der Ladevorgang dann einsetzt, wenn der Strom gerade günstig angeboten wird. Doch solch ein intelligentes Stromnetz, bei dem der Wäschetrockner, die Tiefkühltruhe oder eben das Elektroauto auf Preissignale reagieren und bevorzugt dann elektrische Energie abnehmen, wenn sie reichlich vorhanden und daher billig ist, sei leider noch Zukunftsmusik, bedauert der Unternehmer. Er ist jedoch fest entschlossen, alles dafür zu tun, damit sich das bald ändert. Auf einer der Schutzhütten ganz weit oben in den Bergen, die sich rund um das Talbecken erheben, hat Leitner 1987 die erste Solaranlage Südtirols gebaut und den Elektro-Meisterfachbetrieb seines Vaters damit in eine

Judith Innerhofer


neue Ära geführt. Inzwischen ist sein eigener Sohn An­ dreas in die Geschäftsführung eingestiegen und es gibt zwei Geschäftszweige: Leitner Electro und Leitner Solar. Vor allem mit der Fotovoltaik ist das Unternehmen in den vergangenen Jahren enorm gewachsen; im italienischen Solarmarkt gehört der Mittelständler aus dem Pustertal heute zu den Leadern. Aber in der bequemen Rolle des Ökoprimus ausruhen will Hubert Leitner sich nicht. Im mittlerweile vollgeladenen Elektro-Hybrid geht es Richtung Firmenzentrale. Ein kleiner Umweg führt an der unentgeltlichen Solartankstelle für E-Bikes vorbei, die der Neuerer im Stadtzentrum errichtet hat. Im jüngst erweiterten Büro brütet sein Junior über den Plänen für eine 500 Wohnungen umfassende Pilotsiedlung, die gerade in Bozen entsteht. Das Konzept sieht vor, dass Solaranlagen und Erdwärme den gesamten Energiebedarf der Häuser decken. Damit entstünde ein CO2-neutrales Quartier. Intelligente IT-Schnittstellen zwischen den einzelnen Wohnungen sowie den Gemeinschafts- und Außenbereichen sollen sicherstellen, dass die Energie dann verbraucht wird, wenn die Anlagen gerade besonders viel davon erzeugen. Überschüssige Strom- und Wärmemengen werden für knappe Zeiten zwischengespeichert. Zudem haben die überzeugten Strom-Autofahrer natürlich E-Mobilität in das Siedlungsprojekt integriert. Und ganz im Sinne der demokratischen Energierevolution, die Jeremy Rifkin anstrebt, machen Vater und Sohn den Verbraucher zugleich zum Energiehändler: Weil die Bewohner dank des schlauen Stromnetzes schon am Tag zuvor wissen, ob schönes Wetter vorhergesagt ist und ihre Fotovoltaikanlagen daher mehr Energie liefern, als sie selbst benötigen, können sie die Überschussmengen vorab an der Strombörse verkaufen und zu Geld machen. Schon träumt Leitners Sohn Andreas davon, dass die Bewohner solcher Siedlungen eines Tages ihren selbst erzeugten Strom komplett selbst verwalten und vermarkten. Dazu bedürfte es allerdings einer Gesetzesänderung. Noch muss das Geschäft von Energieproduzenten und -händlern strikt voneinander getrennt sein. „Aber das wird sich sehr bald ändern“, ist der Juniorchef überzeugt. Und dann wollen Vater und Sohn wieder ganz vorne sein bei der nächsten Welle der grünen Revolution – und mit ihnen die anderen Energiepioniere aus Südtirol.

Judith Innerhofer (*1983), bis 2012 Redakteurin beim Südtiroler Wochenmagazin „ff“, heute als freie Journalistin unter anderem für „ff“ und „Profil“ tätig.

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Dieter Dürand

Dolce Vita und Disziplin

Was zieht deutsche Unternehmen nach Südtirol? Der Autor hat sich umgehört – hier seine Bilanz. Besuch bei einem Altstar. Fleißige Hände packen Schrauben, Haken, Klemmen und Bohrmaschinen in Kisten und stellen sie bereit zum Versand. Fast 6.000 Aufträge verlassen jeden Werktag die Hallen an der Brennerautobahn. Die Ware geht an Handwerker und Industriebetriebe in Norditalien. Dutzende Lkws karren Nachschub heran. Hier in Neumarkt hat die Würth Italia ihren Hauptsitz, Tochtergesellschaft des deutschen Schraubenkönigs Reinhold Würth, dessen Gruppe 2012 weltweit knapp zehn Milliarden Euro umsetzte. Mehr als 400 Mitarbeiter arbeiten in dem Zen­ trallager und der Hauptverwaltung. Nur wenige Unternehmen in Südtirol beschäftigen mehr Menschen. Zugleich ist Würth Italia einer der größten Arbeitgeber, der seinen Stammsitz in Deutschland hat. Weitere Unternehmen deutscher Provenienz, die ähnlich viele Jobs anbieten, sind Miele, Kässbohrer Geländefahrzeug AG, der Baustoffproduzent Stound und der Türgriffspezialist Hoppe.

Unternehmen  Die Welle aus den Bergen   Dolce Vita und Disziplin


Dieses Jahr feiert Würth sein 50-jähriges Jubiläum am Südtiroler Standort – und blickt damit auf fast ebenso viel Erfahrung zurück wie die Urgesteine des Rocks: die Rolling Stones. Doch während die 1962 zusammenfanden, um ihre Träume vom schwarzen Blues zu verwirklichen, trieben Reinhold Würth 1963 profanere Gründe nach Bella Italia: Der aufstrebende Unternehmer aus Schwaben sah in Italien einen wichtigen Zukunftsmarkt. Und Südtirol schien ihm wegen der Nähe zum Mutterhaus und der Zweisprachigkeit die ideale Startrampe für dessen Eroberung zu sein. Die Zentrale konnte mit der Belegschaft auf Deutsch kommunizieren – und die wiederum mit den Kunden auf Italienisch. Perfekt! Verblüffend, aber wahr: An diesen Motiven, sich in Südtirol anzusiedeln, hat sich seither nichts wesentlich geändert. Auch die heutigen Neuankömmlinge nennen sie an vorderster Stelle, ob der Lichtspezialist Gifas, der Messtechnik-Anbieter AfM Technology, das Energietechnikunternehmen Agnion oder der Hersteller von Wohnraumbelüftungssystemen Pluggit. Die gemeinsame Sprache erleichtert nicht nur die Verständigung. Mehr noch schätzen deutsche Investoren, dass sie ihre Bilanzen und Steuer­ erklärungen auf Deutsch verfassen können. So laufen sie weniger Gefahr, sich im komplizierten italienischen Steuerrecht zu verheddern. „Die Furcht ist groß, ungewollt zum Steuerhinterzieher zu werden“, sagt Agnion-Geschäftsführer Stephan Mey. Gefragt sind Kreativität, Leichtigkeit und der Sinn fürs Schöne

Und noch etwas anderes machen sich die Unternehmer aus Germania gerne zunutze. Sie finden in Italiens nördlichster Provinz Beschäftigte und Geschäftspartner vor, die

so arbeiten, wie sie es daheim kennen: fleißig, zuverlässig, effektiv. Zugleich bringen diese jedoch jenen Schuss an Kreativität, Leichtigkeit und Improvisation mit, der ihnen mitunter abgeht. Hinzu tritt der italienische Sinn fürs schöne Design. Das alles hat kräftig auf Südtirol abgefärbt. Diese Erfahrung hat jedenfalls Thomas Wiedermann gemacht, Geschäftsführer der Gifas Holding in Neuss, der in Bozen eine Vertriebsgesellschaft und ein technisches Entwicklungsbüro aufbaut. „Von dieser einmaligen Kombination möchten wir profitieren.“ Roland Rauch, AfM-Vertriebsleiter in Italien und in Bozen geboren, weiß aus Kontakten zu den Autobauern VW und Porsche, dass die Mischung der Mentalitäten zum Beispiel die Entwicklung neuer Ideen beflügeln kann. „Die Italiener gehen damit unbeschwerter um und legen einfach mal los.“ Dass dies mehr als Einzelmeinungen sind, zeigt eine Umfrage der deutsch-italienischen Handelskammer (AHK) unter deutschen Unternehmen, die schon auf dem Stiefel aktiv sind. Fast jedes fünfte kann sich vorstellen, sich in Südtirol niederzulassen oder seine Präsenz dort auszubauen. Dieses Interesse an einer Provinz, die nur knapp 2 Prozent zum italienischen Außenhandel beisteuert, sei außergewöhnlich, urteilt AHK-Expertin Luisa Glaesmer. „Südtirol ist weiterhin ein gefragter Brückenkopf zwischen Nord und Süd.“ Südtirols Image kann sich sehen lassen: Fast 70 Prozent der am Standort interessierten Investoren loben das „erfolgreiche Unternehmensumfeld“, jeweils mehr als 60 Prozent schätzen kurze Wege und schnelle Entscheidungen, die Betreuung durch zweisprachige Steuerberater, Rechtsanwälte und Notare sowie die öffentliche Förderung für Forschung und Entwicklung. Immerhin jeder zweite Befragte nennt Südtirols Vorreiterrolle als grünste Region Italiens als Vorteil. Für diese Vorzüge nehmen die

Investoren loben das „erfolgreiche Unternehmensumfeld“ in Südtirol. Hier ein Blick auf das Bozner Gewerbegebiet, in dem sich auch ausländische Unternehmen niedergelassen haben

19

Dieter Dürand


Unternehmen in Kauf, dass an Etsch und Eisack auch die höchsten Löhne Italiens gezahlt werden. Der Mangel an Industrie erweist sich mitunter als Bremsklotz

Attraktiv ist Südtirol vor allem als Vertriebsbasis für den norditalienischen Markt. Würth hat inzwischen in Bologna und Rom weitere Logistikzentralen eingerichtet, um die Kunden rasch beliefern zu können. „Die Entfernungen von Neumarkt aus wären viel zu weit“, sagt Marketing-Chef Norman Atz. Als Produktionsstandort hingegen ist die Alpenprovinz weniger interessant. Landwirtschaft, Dienstleistungen, Tourismus und Handwerk prägen das Wirtschaftsleben, Industrie ist rar. Das wird manchmal selbst für Gutwillige wie Johann Hofer, Chef der Hofer Powertrain aus Oberboihingen bei Stuttgart, zum Problem. Der ge­ bürtige Südtiroler, der mehr als 400 Ingenieure und Techniker beschäftigt, hätte gerne auch in seiner Heimat expandiert. Doch der Mangel an Auftraggebern für das auf den Auto-Antriebsstrang spezialisierte Engineering-Unternehmen erwies sich als unüberwindliche Hürde: Mehr als

Standards für ganz Italien – sei es bei der Nutzung von Biomasse, Wasserkraft oder Solaranlagen. „Wir finden hier attraktive Geschäftspartner“, sagt Agnion-Chef Mey, der in Auer bei Bozen eine erste Anlage mit seiner innovativen Technik zur Holzverbrennung betreibt. Auch das Projekt KlimaHaus macht als Vorbild für energieeffizientes Bauen inzwischen bis hinunter nach Sizilien die Runde. Der gute Ruf hat auch Spartherm aus Melle bei Osnabrück angelockt. Der europaweit führende Hersteller von Kamin- und Kachelöfen ist vergangenes Jahr beim Bozner Kachelproduzenten Arcadia eingestiegen. Die Norddeutschen wollen von Südtirol aus nicht nur den italienischen Markt aufrollen, sondern auch nach Serbien, Slowenien, Frankreich und Kroatien vorstoßen. „Dafür finden wir hier ideale Voraussetzungen vor“, betont Arcadia-Geschäftsführer Alfred Kohl­ egger. Die haben sich 2010 mit dem Zuzug des Fraunhofer Innovation Engineering Centers (IEC) nach Bozen noch ­einmal verbessert. Die Fraunhofer-Experten schließen die Lücke bei anwendungsnaher Forschung. Neben neuartigen Dienstleistungskonzepten etwa für Banken konzentrieren sie sich auf Bauprojekte. Ein Schwerpunkt ist die bessere

Es ist kein Zufall, dass sich die Neuansiedlungen vor allem auf den Bau- und Energiesektor konzentrieren. Dort setzen Südtiroler Unternehmen und Initiativen Standards für ganz Italien. drei Mitarbeiter hatte die Niederlassung nie, nun droht sogar die Schließung. Nicht jeden schreckt die industrielle Diaspora. Die vier Südtiroler Gründer des auf Leistungselektronik spezialisierten Start-ups Alpitronic, die vorher etwa für BMW oder den Elektronikentwickler SilverAtena arbeiteten, wollten unbedingt zurück in ihre Heimat. Dass viele Kunden Hunderte Kilometer entfernt in Deutschland sitzen, stört sie nicht. Sie sind dort oft vor Ort, und im Zeitalter von Internet und Videoschaltungen spielten Distanzen keine große Rolle mehr, findet Mitgründerin Sigrid Zanon. Sie lobt das Förderkonzept der Landesregierung als „stimmig“ und freut sich über erste Auftraggeber aus der Region: Mit dem LED-Pionier Ewo aus Kurtatsch (siehe Seite 19 ff.) hat Alpitronic ein Steuergerät für dessen Leuchten entwickelt. Dennoch ist es kein Zufall, dass sich die Neuansiedlungen vor allem auf den Bau- und Energiesektor konzentrieren. Dort setzen Südtiroler Unternehmen und Initiativen

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Abstimmung zwischen Bauherr, Architekt, Zulieferer und Bau­ unternehmer, um die Prozesse am Bau schlanker und wirtschaftlicher zu machen. IEC-Projektleiter Daniel Krause ist begeistert vom Enthusiasmus, auf den er stößt. „Es herrscht eine große Offenheit für neue Ideen.“ Und schon bald, so seine Erwartung, könne Deutschland etwas von den Lösungen aus Südtirol lernen. „Was wir hier ­ent­wickeln, taugt auch als Vorbild für die dortige Bauin­ dustrie.“ Wenn das keine Perspektive ist.

Dieter Dürand (*1955), seit 1991 Redakteur der „WirtschaftsWoche“, von 1994 bis 2010 stellvertretender Leiter des Ressorts Technik und Wissen. Derzeit zuständig für Dossiers und Sonderpublikationen vor allem im Bereich Nachhaltigkeit und grüne Technologien.

Unternehmen  Dolce Vita und Disziplin


Felice Espro

neue Unternehmen auf, während 2.098

unternehmerische Initiative junger Men-

ihre Aktivität beendet haben (+0,6%).

schen in ganz Italien etwas gebremst. Die gesamt­italienischen Zahlen liegen

Junge und ältere Unternehmer

Junge Energie

leicht über den Südtiroler Werten, doch sind in Südtirol beispielsweise im Hand-

Georg Lun, Direktor des WIFO, liest

werkssektor mehr Jungunternehmen als

diese Zahlen so: „Der positive Saldo zwi-

im italienischen Durchschnitt tätig (5,6%

schen Gründungen und Schließungen

gegenüber 4,3%). Die meisten jungen Be-

zeigt, dass der Wirtschaftsstandort Süd-

triebsinhaber in Südtirol finden sich im

tirol gesund und stabil ist. Es gibt viele

Dienstleistungssektor (8,1%), etwas weni-

Gründe, um ein Unternehmen an- oder

ger im Baugewerbe (6,3%), im Tourismus

abzumelden. Nicht immer steht dies in

(6,3%), im Handwerk (5,6%) und im

Verbindung mit einer schwierigen Kon-

Transportwesen (5%). Das Schlusslicht

junkturlage. Hingegen wirkt sich die

bildet die Landwirtschaft mit 2,3%.

wirtschaftliche Entwicklung direkt auf

In Südtirol ist eine Energie spürbar, die

Die andere Seite der Medaille

die Zahl der gerichtlichen Ausgleichsver-

stellt die Zahl der über 70-jährigen Un-

fahren und der Konkurse aus, bei denen

ternehmer dar, die sich zwar oft noch

kein Anstieg zu verzeichnen war.“

bester Gesundheit erfreuen, sich aber

schwer messbar ist: die Lust der jungen Generation zur Unternehmensgründung. In einem Wirtschaftsmodell wie dem

12 %

10 %

8%

6%

4%

2%

0%

0%

italienischen, das seine Jugend von hängigen, vermeintlich sicheren Arbeits-

o

der Boden, auf dem die Unternehmer

u

duale Ausbildung im Land und die Kom-

m n e

Baugewerbe

positive Anomalie dar: Jahr für Jahr wird von morgen heranwachsen, durch die

Handel Transportwesen

bination von Schule und Arbeit in ver-

Service

schiedenen Wirtschaftszweigen gedüngt. Zu diesem Trend tragen auch das

Gastgewerbe,

traditionelle Schulsystem, bei dem Be-

Restaurants, Bar

triebssimulationen durch Schülerwettbe-

e s

satz der Südtiroler Handelskammer und

Davon nicht

der Wirtschaftsverbände bei. Eine Studie des Wirtschaftsfor-

r

schungsinstituts (WIFO) der Handels-

o

Total

werbe gefördert werden, sowie der Ein-

p

kammer Bozen verdeutlicht die Fähigkeit

30 %

Handwerk

verhältnis gelenkt hat, stellt Südtirol eine

l

20 %

Landwirtschaft

Schultagen an häufig hin zu einem ab-

k

10 %

landwirtschaftliche Unternehmen unter 30 Jahre, bis 30.9.2012

über 70 Jahre, bis 30.9.2012

des Landes, der Wirtschaftskrise gegenzusteuern. Zwar ist die Arbeitslosenquote von 2,4% im Jahr 2008 auf 4,3% Ende 2012 gestiegen, ein Anstieg auf

Anteil der Unternehmer und Geschäftspartner unter 30 und über 70 Jahren nach Sektoren bis zum 30.09.2012 in Prozent  Ausarbeitung: WIFO; Quellen: Infocamere

vergleichsweise niedrigem Niveau. 2009, im Jahr der ersten starken Auswirkungen

Aber wie viele der 58.086 Unter-

auch zwangsläufig dem Karriereende

der Krise, wurden in Südtirol 2.948 Un-

nehmen in Südtirol (Stand 2012) werden

nähern und häufig vor dem Problem der

ternehmen neu angemeldet, während

von unter 30-Jährigen geführt, und wie

Nachfolge stehen. Zwischen 2009 und

3.036 Betriebe geschlossen wurden: Der

viele Betriebsinhaber sind hingegen über

2012 ist der Anteil der über 70-Jährigen

Gründungssaldo war mit einem Minus

70 Jahre alt? Auch in diesem Fall gibt die

von 9,7% auf 10,9% gewachsen. Italien

von 0,2% negativ, aber nur ein Jahr spä-

Analyse des WIFO Auskunft. Im Jahr

verzeichnet im selben Zeitraum eine

ter hat sich der Trend gedreht. 2010 ste-

2009 stellten die Jungunternehmer 5,3%

Zunahme von 9,1% auf 9,8%. Der Sektor

hen 3.315 Neugründungen 2.656 Schlie-

aller Betriebsleiter. 2010 waren es 5,4%,

mit der höchsten Quote älterer Unter-

ßungen gegenüber (+1,1%). 2011 gab es

2011 dann 5,2% und im vergangenen Jahr

nehmer ist die Landwirtschaft (15,6%),

3.029 Neueinschreibungen ins Handels-

schließlich 5% – der Wert blieb stabil. In

gefolgt von Tourismus (13,2%), Hand-

register und 2.633 Abmeldungen (+0,7%).

denselben vier Jahren ist diese Quote auf

werk (8,6%), Tertiärsektor (8,2%),

Die vorhandenen Daten für das Jahr 2012

gesamtitalienischer Ebene von 7 auf

Handel (7,6%), Transport (6,9%) und

listen bis zum Monat September 2.462

6,5% gesunken. Die Krise hat also die

Bausektor (3,2%).

21

Felice Espro


Unternehmensgründung mit der kosten-

der Hand: „Wir müssen den kleinen und

Zusammenhang mit den unterschiedli-

„Das vielseitige Panorama steht in

losen Anfangsberatung weiter ausge-

jungen Unternehmen ein Wachstum hin

chen historischen Entwicklungsphasen“,

baut.

zu einer Betriebsstruktur ermöglichen,

erklärt Studienleiter Georg Lun. „Im Tourismus zum Beispiel finden wir eine hö-

die auch in Abwesenheit des Inhabers

Gesunde Wirtschaft

here Zahl reifer Inhaber, weil das Wachs-

weiter funktioniert. Denn nachhaltiges Wachstum bedeutet höhere Innovations-

tum der Branche auf die 1970er- und

Hat Südtirol also einen fruchtbaren Bo-

1980er-Jahre zurückgeht. Gegenwärtig

den geschaffen, damit sich das kreative

befinden wir uns in einer Periode vieler

Potenzial der jungen Unternehmer ent-

Untersuchung des Wirtschaftsfor-

Unternehmensübergaben, die aber keine

falten kann? „Ja“, ist Georg Lun über-

schungsinstituts hervor: Die Unterneh-

Neugründungen mit sich bringen. Im

zeugt und nennt Gründe dafür: „Das

mensgründung in Südtirol ist vital und

Handwerk und in den Dienstleistungen

Land kann auf das sehr hohe Schul- und

wird von den öffentlichen Stellen gut

hingegen verzeichnen wir die größte

Ausbildungsniveau der Jugend ebenso

unterstützt. Zugleich gibt es viele Be-

Zahl neuer Unternehmen. Das ist nicht

zählen wie auf eine dynamische Univer-

triebe, in denen ein Nachfolger gesucht

zuletzt der Arbeit des TIS innovation

sität, die sich auf die Stärken Südtirols

wird. Ein Unternehmen zu gründen

park zu verdanken, der Start-up-Initia­

konzentriert. Zudem leben wir in einer

oder zu übernehmen bedeutet, die unter-

tiven mit seinem Gründerzentrum unter-

gesunden Wirtschaft.“ Auch das breite

nehmerische Energie des Landes zu er-

stützt. Insgesamt ist diese Tendenz auch

Netz öffentlicher Einrichtungen, die das

neuern.

ein Zeichen des Strukturwandels in der

Land bereitstellt, mache Südtirol zum

Südtiroler Wirtschaft: Die Jungen schla-

idealen Standort für den Beginn einer

gen jenen Kurs ein, der eine erfolgreiche

neuen unternehmerischen Tätigkeit. Zu

Felice Espro (*1972), Leiter des Wirt-

Zukunft verspricht.“

diesen Organisationen, die das Wachs-

schaftsressorts des „Corriere dell’Alto

und Exportfähigkeit.“ Zwei Punkte gehen also aus der

tum der Unter­nehmen Schritt für Schritt

Adige“ (Lokalausgabe des „Corriere

ihren Teil bei, um das Entstehen neuer

begleiten, gehören das TIS, wenn es um

della Sera“) in Bozen.

Unternehmen zu fördern. Das Maßnah-

die Entwicklung und Umsetzung innova-

menpaket für die Wirtschaft, das von der

tiver Ideen geht, die Standortagentur

Landesregierung Ende 2012 geschnürt

BLS (Business Location Südtirol – Alto

o

wurde und seit Januar dieses Jahres in

Adige) in allen Ansiedlungsbelangen

l

Kraft ist, sieht für neue Unternehmen

und die Handelskammer in Bezug auf

die Annullierung der Wertschöpfungs-

rechtliche und bürokratische Fragen. Im

u

steuer Irap für die ersten fünf Jahre

Export unterstützt die EOS (Export Or-

ebenso vor wie Begünstigungen bei der

ganisation Südtirol) Unternehmen, wäh-

n

Immobilienmiete (75% im ersten und

rend die Eurac (Europäische Akademie

e

Die Autonome Provinz Bozen trägt

Übersetzung: Silvia Oberrauch

k

m

Bozen) im Auftrag der Wirtschaft forscht.

Jahr für Jahr wird der ­Boden, auf dem die Unternehmer von morgen heranwachsen, durch die ­duale Ausbildung im Land und die Kombination von Schule und Arbeit in verschiedenen Wirtschaftszweigen gedüngt.

Dass es gerade in dieser Zeit der wirtschaftlichen Krise schwieriger ge-

s

worden ist, eine Festanstellung im öf-

p

fentlichen oder privaten Sektor zu erhal-

r

ten, ist für Wirtschaftsforscher Lun kein Geheimnis. Aber darin erblickt er auch Chancen. „Die unternehmerische Selbstständigkeit bietet eine Alternative, um sich den eigenen Arbeitsplatz selbst zu schaffen“, sagt Lun und weist auf eine weitere Möglichkeit hin: die Übernahme eines bereits existierenden Unternehmens, das gegenwärtig von einem Inhaber höheren Jahrgangs mit Nachfolgeproblemen geführt wird. Dabei, erklärt Lun, handle es sich vor allem um Einzel-

50% im zweiten Betriebsjahr), einen

unternehmen, die den Verlust von Hu-

­Risikokapitalfonds für technologieorien-

mankapital, angesammeltem Know-how

tierte Unternehmen zur Finanzierung

und ihrem Unternehmenswert riskieren,

innovativer Ideen sowie Darlehen für

wenn innerhalb der Familie ein Nachfol-

Neugründer und Betriebsnachfolger. Die

ger fehlt. Die Richtung, in die es also

Handelskammer hat ihren Dienst zur

gehen muss, liegt für Georg Lun klar auf

22

e

Unternehmen  Junge Energie

o


c h a n c e n e

Künstliche Beleuchtung kann Wohlbehagen und Aggressionen wecken, aktiv oder träge machen, Schönes hervor­ heben und Hässliches in gnädiges Licht tauchen. Mit der neuen LED-Technik geht das kreativer, vielseitiger und sparsamer denn je. Der Mittelständler Ewo hat es dabei zu besonderer Perfektion gebracht – seine Installationen sind von Kopenhagen bis Dubai gefragt.

Dieter Dürand

r k e n

Fest für die Sinne

n e n

Fotos — Ewo

Frontfrau und Schattenmann – Flora Kröss ist das Gesicht von Ewo und machte das Unternehmen weltweit bekannt; ihr Gatte Ernst Wohlgemuth ist der technische Genius hinter dem Projekt  Foto: Ivo Corrà

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Es gibt Orte voller Magie – und andere, an denen niemand Außergewöhnliches vermutet. In diese Kategorie fällt das Gewerbegebiet an der Brennerautobahn von Bozen nach Verona, das sich zwischen Apfelbaumwiesen versteckt. Reisende, die an der Ausfahrt Neumarkt abbiegen, interessieren sich womöglich für die Weingüter rund um den nahe gelegenen Kalterer See. Wohl niemand jedoch würde

Dieter Dürand


die Industriegebäude ansteuern, die zur Gemeinde Kurtatsch gehören und sich neben dem Fluss Etsch in den Schatten der Berge ducken. Dabei könnte ein Abstecher durchaus aufregend werden. Zumindest für jene, die Licht fasziniert und die gerne historischen Momenten beiwohnen. Denn in einem der mehrstöckigen Gebäudekomplexe residiert Ewo: ein Unternehmen, das ambitioniert wie kein zweites den Sprung ins digitale Zeitalter der Beleuchtung vorantreibt. Der Übergang ist so spektakulär wie gut 30 Jahre zuvor die Ablösung der Transistoren in Computern durch Halbleiter. Er katapultiert die Beleuchtungstechnik auf eine neue Leistungsstufe und eröffnet bisher undenkbare Gestaltungsmöglichkeiten mit Licht – vor allem im Außenbereich, auf den sich Ewo spezialisiert hat. Für die Installationen der Südtiroler begeistern sich Kunden in aller Welt: im arabischen Dubai ebenso wie im dänischen Kopenhagen oder im australischen Melbourne. Jene, die sich also schon mal ins Kurtatscher Gewerbegebiet verirrt haben, könnten an dem Firmensitz mit der auffälligen Glasfront und den Wasserbecken lernen, wie die Seiteneinsteiger es schaffen, obgleich nicht einmal 20 Jahre im Geschäft, Traditionskonzerne wie die Siemens-Tochter Osram oder die niederländische ­Philips bei Ausschreibungen regelmäßig auszustechen. Zudem würden sie erfahren, warum gerade Mittelständler häufig so viel kreative Kraft entfalten. Und als wäre all dies nicht genug, begegneten sie einer äußerst bemerkenswerten Frau, die das Unternehmen mit eben­­so viel Fantasie wie Tatkraft und Geschick zu seiner heutigen Bedeutung aufgebaut hat – parallel zu ihrem Job als dreifache Mutter. Daneben findet sie noch die Zeit, sich als Win­zerin zu betätigen. Licht ist Psychologie und Wahrnehmung

Doch der Reihe nach. Im gleichen Jahr, als Flora Kröss und Ernst Wohlgemuth 1984 im 20 Kilometer nördlich von Bozen gelegenen Sarnthein loslegen, regiert in den USA Ronald Reagan und zahlen wir noch mit D-Mark und Lira. Die Eheleute führen einen Metallverarbeitungsbetrieb, und bald bedrängen Architekten Wohlgemuth, die Beleuchtung für die Türen und Gitter mitzuentwerfen. Für seine Frau Flora ist es das Signal, einer inneren Berufung nachzugeben. „Ich war die treibende Kraft“, erinnert sie sich. Licht! Das ist für sie „Psychologie und Wahrnehmung“. Kröss fasziniert die Möglichkeit, Schönes mit der rechten Beleuchtung noch grandioser erscheinen zu lassen, Hässliches hingegen in gnädiges Licht zu tauchen. Sie beobachtet, wie Licht Wohlbehagen auslösen oder Aggressionen wecken kann, Menschen aktiver oder träger werden lässt. „Kein zweites Element ist in der Lage, unsere Stimmung ähnlich stark zu beeinflussen“, sagt sie. Mit ihrem Mann war sie sich einig: Wenn wir in das Geschäft einstiegen, dann richtig. Dann wollten sie nicht

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nur Hauseingänge und Gartenwege illuminieren. Nein, dann wollten sie Straßen, Plätzen, am liebsten ganzen Ortschaften zu neuem Glanz verhelfen – mit formschönen Leuchten und perfektem Licht. Dazu wollten sie, die Neulinge, die beste Beleuchtungstechnik entwickeln und besser, kreativer, innovativer sein als die etablierte Konkurrenz. „Mit Nachäffen hätten wir keine Chance gehabt“, betont Kröss. Ihr Mann machte sich mit den neuesten Technologien vertraut: Lampentypen, Elektronik, Materialien, entwarf die ersten Produkte. Die Aufträge wurden rasch so zahlreich, dass Flora Kröss, die gelernte Bankkauffrau, entschied: Wir brauchen einen einprägsamen Markennamen. Sie gründeten 1996 Ewo. Sie wechselten aus dem Sarntal an den jetzigen Standort. Fortan galt ihre ganze Leidenschaft dem Licht. Individueller Glanz – in Kaltern betonen schief stehende Laternen den verwinkelten Charakter des Weinorts

Als Erstes entwickelten sie raffinierte Lichtlenksysteme. Es genügt nämlich nicht, einen Platz, eine Straße oder ein Gebäude irgendwie zu erhellen. Die Kunst besteht vielmehr darin, das Licht mithilfe von Reflektoren exakt dorthin fallen zu lassen, wo es benötigt wird. Die hohe Lichtausbeute ermöglicht es, Lampen mit niedriger Wattzahl einzusetzen und den Energieverbrauch klein zu halten. Die Reflektoren sitzen entweder im Gehäuse, oder die Lampen strahlen spezielle Spiegelfelder an, die das Licht be­sonders großräumig und punktgenau verteilen. Die Grenze von hell zu dunkel wirkt wie mit dem Lineal gezogen. Der Effekt: Straßenlaternen beleuchten wirklich nur Fußwege und Straßen und nicht die Schlafzimmer angrenzender Wohnhäuser. Schiefe Laternen und eine künstliche Sonne

Um sich von der Konkurrenz abzuheben, setzen Kröss und Wohlgemuth neben Spitzentechnik auf Individualität. Die Kunden sagen, was sie wollen – Ewo entwickelt passende Lösungen: hochwertige, langlebige, originelle und dennoch

Unternehmen  Fest für die Sinne


Solide Handarbeit statt Massenproduktion – der Mittelständler konnte seinen Umsatz zuletzt um 30 Prozent steigern

c h a n c e n e r k e n n e n

wirtschaftliche. „Diese Ideenvielfalt ist unsere eigentliche Stärke“, glaubt Flora Kröss. Für den Südtiroler Weinort Kaltern bauten die Lichtspezialisten schiefe Straßenlaternen, die den verwinkelten Charakter des Ortskerns betonen. Für ein Einkaufszentrum im österreichischen Graz integrierten sie die Beleuchtung der Parkplätze in die gläsernen Aufzugtürme zu den Geschäften. Und auch das norwegische Finanzunternehmen Storebrand bekam ein Unikat: Die Südtiroler realisierten für das Atrium am Osloer Firmensitz eine Art künstliche Sonne, die die Beschäftigten während der düsteren Wintermonate in fröhliche Stimmung versetzen soll. Maßgeschneiderte Toptechnik – mit dieser Kombination schlagen Kröss und Wohlgemuth ein ums andere Mal die Konkurrenz aus dem Feld. Bei einer Ausschreibung des Münchner Flughafens setzten sie sich gegen mehr als 100 Mitbewerber durch. „Der kleine Italiener hat es wieder einmal geschafft“, freut sich Kröss über den Coup und strahlt übers ganze Gesicht. Ewo bot als einziges Unternehmen Lichtmasten an, die die Parkplätze für die Flugzeuge in zwei Richtungen ausleuchten. Der Flughafen braucht so weniger Fluter anzuschaffen und der Installationsaufwand reduziert sich. Bei Stückpreisen von bis zu 200.000 Euro sinken die Kosten merklich, zumal der Südtiroler Mittelständler seine Systeme ausschließlich mit Licht emittierenden Dioden ausrüstet, kurz LED genannt. Die Technik läutet eine neue Ära ein: Licht lässt sich damit fast beliebig va­riieren und integrieren, ob in Fassaden, Tapeten, Möbel oder in neuartige Lampentypen. Das eröffnet Architekten und De­signern eine Fülle zusätzlicher Gestaltungsoptionen. Und wichtiger noch: Erstmals seit der Mensch mit dem Feuer Licht in die Dunkelheit brachte, ist er mit den Leuchtdioden in der Lage, sein Leben auf ziemlich nachhaltige Weise zu erhellen.

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Wie groß der Fortschritt ist, wird im Rückblick klar: Kerzen, Öllampen und Fackeln erzeugten vor allem eines – Wärme. Das Licht war ein Nebenprodukt, das flackerte, wie es wollte. In seinem Schein zu arbeiten, ist mühsam und es strengt die Augen an. Die Glühbirne, die Thomas Edison 1880 patentieren ließ, spendet zwar konstantes und helles Licht. Doch der Strom, der ihren Wolfram-Faden zum Glühen bringt, setzt zu 95 Prozent gleichfalls vor allem Wärme frei. Und der Faden ist nach wenigen hundert Betriebsstunden durchgebrannt. Heutige Energiesparlampen, die ein Gemisch aus Edelgasen zünden, halten zwar deutlich länger und produzieren die gleiche Menge Lichtstrom mit rund einem Fünftel weniger Energie. Doch auch das verblasst gegen die Eigenschaften der Leuchtdioden. Ihre Halbleiter-Kristalle, die bei Stromdurchfluss aufleuchten, spenden einige tausend Stunden Helligkeit. Und sie wandeln fast die Hälfte der zugeführten Energie in Licht um. Der Effekt: Eine 3-Watt-LED ersetzt eine 11-Watt-Energiesparlampe oder eine 60-Watt-Glühbirne. Überdies geben die Leuchtdioden Farben am naturgetreuesten wieder, ihre Lichtanteile und Farbtöne können variiert werden, sie sind nach dem Einschalten sofort hell, können gedimmt werden und sind winzig wie der Fingernagel eines Neugeborenen.

Bodenständigkeit und Weltläufigkeit, gepaart mit dem Mut, ständig Neues zu wagen – diese Pole haben Ewo groß gemacht.

Auf dem neuesten Stand der Technik – mit seinen elektronischen Steuergeräten konkurriert Ewo gegen den Multi Philips

Siegeszug der leuchtenden Halbleiter

In Displays, Fernsehgeräten und Autoscheinwerfern haben die leuchtenden Halbleiter ihren Siegeszug schon angetreten. Ernst Wohlgemuth und seine Frau Flora erschließen ihr Potenzial für die Außenbeleuchtung. Vor sechs Jahren begannen sie mit dieser Lichtquelle zu experimentieren; seit vier Jahren haben sie alle Produkte darauf umgestellt. Heute sind sie Vorreiter in der grünen Lichttechnologie.

Dieter Dürand


Die Kunst guter Beleuchtung – das Licht soll einen Platz nicht einfach irgendwie erhellen, sondern genau dorthin fallen, wo es benötigt wird

„Den Großen eine gute Nasenlänge voraus“, sagt Wohlgemuth selbstbewusst. Zum Beispiel mit ihrer zertifizierten Leuchteneinheit, bestehend aus drei Linsenoptiken für die Lichtlenkung, dem Gehäuse und der LED-Platine. Sie ist der Grundbaustein, aus dem die Südtiroler Lichtschöpfer ihre Systeme flexibel der jeweiligen Aufgabe anpassen. Sie können die Platine mit drei oder sechs Leuchtdioden bestücken und zwischen vier Optiken wählen. Die Standardisierung erhöht die Zuverlässigkeit der Lampen und senkt zugleich deren Herstellungskosten. Dank des modularen Aufbaus können die Ewo-Techniker Leuchten in fast jeder beliebigen Größe konstruieren – vom Straßenpoller bis zum Hochlichtmast. Defekte Teile lassen sich leicht austauschen und die langlebigen Systeme können immer auf dem neuesten Stand der Technik gehalten werden. Seit Kurzem baut Ewo auch die elektronischen Steuergeräte für die Leuchten selbst – das Kernstück jedes Lichtsystems. Vorher hatten die Südtiroler diese sogenannten Driver von Philips bezogen. Die Steuergeräte können so programmiert werden, dass sie die Lichtstärke abhängig von der natürlichen Helligkeit regulieren. Ewos Entwicklung kann besonders hohe Spannungen schalten, was die Lichtausbeute bei sinkendem Stromverbrauch laut Wohlgemuth nochmals um rund 10 Prozent erhöht. Seine Leuchten sind wahre Sparwunder: In manchen Projekten erreichen die Kurtatscher Stromeinsparungen von 60 Prozent und mehr gegenüber der Ausgangssituation. Heute wird weltweit noch jede fünfte Kilowattstunde für die Beleuchtung verbraucht. Der flächendeckende LED-Einsatz würde allein in Deutschland zwei Großkraftwerke überflüssig machen; innerhalb der EU würde die Stromrechnung laut einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey um nahezu 15 Milliarden Euro im Jahr sinken. Um die Spartechnik voranzubringen, verkaufen Wohlgemuth und Kröss ihre Innovationen über die Tochtergesellschaft cor light auch an die Konkurrenz.

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Die Welt ist die Bühne

Den Driver haben die beiden Lichtpioniere mit dem ­Bozner Elektronikspezialisten Alpitronic entwickelt. Die­Kooperation ist ein Beispiel dafür, wie ernst sie das Nachhaltigkeitsmotto „Think global, act local“ nehmen. Zum Lokalen gehört, dass sie ihre Montagehalle direkt neben die Fabrik der Lodola GmbH gesetzt haben. Verbunden über einen Tunnel, schicken sie Masten und Gehäuse zum Beschichten an das Partnerunternehmen. „Auf diese Weise bleibt ein großer Teil der Wertschöpfung in der Region“, sagt Flora Kröss. Beim Verkaufen ist die Welt ihre Bühne. Dann geht

Arabische Morgenröte – für die Festival City von Dubai kreierte Ewo mit dem US-Designstudio Visual Terrain Masten mit eigenwilliger Formensprache

Unternehmen  Fest für die Sinne


c h a n c e n

das Ehepaar mit führenden Lichtgestaltern in Klausur, um ungewöhnliche und herausragende Lösungen zu erarbeiten. Die Ergebnisse machen oft genug Schlagzeilen. So war es, als die Südtiroler für den Retortenstadtteil Festival City von Dubai am Persischen Golf mit dem amerikanischen Licht-Designstudio Visual Terrain aus Los Angeles Masten mit einer eigenwilligen Formensprache entwickelten: Die Straßenlaternen sind wie eine Helix gestaltet, halten gleich vier Lampengehäuse und verleihen dem Stadtteil mit ihrem markanten Stil einen unverwechselbaren Charakter. Ähnlich viel Aufsehen weckte das Lichtsystem, das Ewo mit dem dänischen Architekturbüro 3XN und dem britischen Lichtkünstler Steven Scott für die Weltklimakonferenz 2009 in Kopenhagen entwarf: Integrierte Solarzellen erzeugen einen Teil der benötigten Energie selbst. Bodenständigkeit und Weltläufigkeit, gepaart mit dem Mut zu Neuem – diese Pole haben Ewo groß gemacht. Weil sie die Fäden in der Hand halten, können Kröss und ihr Mann wendiger als Großunternehmen auf neue Entwicklungen reagieren. Und die Zukunft sieht rosig aus. Nach McKinsey-Schätzungen wächst der weltweite LEDMarkt bis 2020 auf 64 Milliarden Euro – gegenüber 9 Milliarden Euro 2011. Am meisten von dem Boom profitieren werden nach Meinung der Berater von A. T. Kearney Unternehmen, die drei Erfolgsfaktoren erfüllen: gutes Design, hohes Innovationstempo und Technologieführerschaft. Klingt nach Ewo. Tatsächlich konnten die Kurtatscher 2012 das erfolgreichste Jahr ihrer Unternehmensgeschichte feiern: Der Umsatz stieg um 30 Prozent und knackte erstmals die 10-Millionen-Euro-Marke. Statt einst 2 beschäftigt der Mittelständler heute mehr als 50 Menschen.

k e n n e n

Habitat für innovative Techno­ logien

Als Einzelexemplar in einer kargen Landschaft zu bestehen, ist für Tiere und Pflanzen schwer – ebenso wie für Unternehmen: Ein innovatives und kreatives Umfeld kann die eigene Entwicklung vorantreiben und Neues hervorbringen. Dass Südtirol gerade auch für technologiegetriebene Unternehmen ein geeignetes Habitat bietet, zeigt ein Blick ins Land.

Erfüllung eines Lebenstraumes

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Simone Treibenreif

Audi hat „Vorsprung durch Technik“ mit Spoilern und Heckflügeln aus

Doch Kröss will nicht um jeden Preis wachsen. Solide Finanzen sind ihr wichtiger. Statt eine Produktion in industriellem Maßstab aufzuziehen, setzt sie lieber auf handwerklich hochwertige Einzelanfertigungen. Als Kind träumte Kröss davon, Ärztin zu werden. Mit Ewo hat sie sich einen anderen Lebenstraum erfüllt. Sich als Frau in diesem technisch geprägten Metier durchgesetzt zu haben, darauf ist sie stolz. Und auch wenn Tochter Verena und Sohn Hannes in den nächsten Jahren in die Führungsrolle schlüpfen sollen: Noch hat die Fast-Mittfünfzigerin große Pläne. Ob historische Gebäude, Straßen, Plätze, Häfen, Flugplätze, Stadien, U-Bahnen oder Tunnel – überall wittert sie Chancen, diese mit der passenden Beleuchtung zu einem Fest der Sinne zu machen. Eine dieser Herausforderungen, die sie reizen, wäre es, Mekka, wo die höchsten islamischen Heiligtümer stehen, mit Leuchten aus Südtirol zu erhellen. Um bei der Ausschreibung berücksichtigt zu werden, hat sie sich sogar mit der Niqab verhüllt. Anders wäre sie nach Saudi-Arabien nicht hineingekommen. Doch schon allein, dass die Scheiche eine Frau als Verhandlungspartner akzeptierten, war ein Triumph. Flora Kröss hat ihren Kopf wieder einmal durchgesetzt. So zeigt sich am Ende: Auch unscheinbare Orte können magische Geheimnisse bergen.

Südtirol, Roboter aus Südtirol bereiten rund um den Erdball Chemotherapeutika zu und Steuerungssysteme für die adaptive Optik von Teleskopen der US-Raumfahrtbehörde NASA stammen aus Süd­tirol – die Unternehmen, die das Know-how für diese hoch entwickelten Produkte haben, sind der Automobil­­zulieferer Autotest (Lana), der Medizintechnik-Experte Health Robotics und das Elektronikunternehmen Microgate (beide Bozen). Es sind nur drei Beispiele aus einer Vielzahl von Südtiroler Hightech-Firmen, deren Erzeugnisse international sehr gefragt sind. 24 solcher Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen haben sich zum Exzellenznetzwerk Leaders zusammengeschlossen, um den Wissensaustausch untereinander zu fördern und Synergien zu erzeugen. Was die Leaders-Mitglieder eint? Sie sehen sich als Unternehmen der Zukunft, die vorausschauend handeln, innovativer sind als von ihren Kunden erwartet, global erfolgreich sowie revolutionär sind und sich

27

Dieter Dürand   Simone Treibenreif


Das Know-how in den Bereichen grüne Energie und Energieeffizienz, das sich in den vergangenen Jahren in Südtirol entwickelt hat, lockt auch innovative Unternehmen von außerhalb an.

siert auf einer neuen Technologie, durch die Garnelen auf biologische Weise unter Verwendung von Mikroorganismen und ohne Zusatz von Medikamenten und Chemikalien gezüchtet werden können. Diese neue Technologie wurde mithilfe der Erfahrungen von Garnelenexperten in Italien, Mexiko, den Niederlanden und

nachhaltig für die Gesellschaft engagie-

Südtiroler Wasserstoffprojekt) und die

ren. Andere Unternehmen und interes-

KlimaHaus-Agentur (ist im Bereich nach-

sierte Private auf ihr Innovationspotenzial

haltiges Bauen tätig) sollen demnächst

in Rom sicherten sich die jungen Südtiro-

aufmerksam gemacht und Kooperations-

in einem in Bozen geplanten Technolo-

ler bei „ItaliaCamp“, einem gesamtstaat-

möglichkeiten ausgelotet haben auch jene

giepark näher zusammenrücken. Auch

lichen Wettbewerb für Forscher, Entwick-

100 Südtiroler Firmen, die das erste Inno-

private Unternehmen haben die Möglich-

ler und Tüftler, bei dem ihr Projekt unter

vationsfestival im Land mitgestaltet ha-

keit, dort ihre F&E-Einrichtungen unter-

700 eingereichten Ideen ausgewählt

ben. Das dreitägige Festival unter dem

zubringen. Die Landesregierung hat die

wurde.

Motto „Neue Energien“ fand im Septem-

Umsetzung des Parks auf einer Fläche

ber 2012 in und um Bozen statt: An 14

von 12 Hektar beschlossen. Erste Büros

werden in das Innovationsnetzwerk Süd-

Standorten ging es in 50 Veranstaltungen

und Labors werden voraussichtlich ab

tirol eingebunden, das bestätigt zum Bei-

um Forschung, neue Technologien und

Herbst 2015 bezogen.

spiel Aldo Longana, Geschäftsführer des

Wirtschaftsethik; 25.000 Besucher wur-

Schwerpunkt der Einrichtung wird

Belgien entwickelt. Die Möglichkeit der Präsentation

Auch Unternehmen von außerhalb

EDV-Entwicklers AceIT srl in Bozen, ei-

der Sektor Green, dazu gehören Energie,

nes Spin-offs eines Unternehmens aus

k

Lebensmittel und nachhaltige Technolo-

der Lombardei. „Dank der Networking-

o

gien. Passend zum Schwerpunkt ist das

Fähigkeiten des TIS hatten wir innerhalb

energetische Konzept des Technologie-

kürzester Zeit nach der Unternehmens-

l

Das Know-how in den Bereichen grüne

parks, nämlich nachhaltige Architektur.

gründung bereits Kontakte mit mehreren

Energie und Energieeffizienz, das sich in

Die historischen Gebäude des Komple-

Südtiroler Firmen, die in unseren Kompe-

m

den vergangenen Jahren in Südtirol ent-

xes, in dem der Park untergebracht wird,

tenzen Entwicklungspotenzial für ihre

n

wickelt hat, lockt auch innovative Unter-

werden so saniert, dass sie gute Energie-

eigene Tätigkeit gesehen haben“, so Lon-

nehmen von außerhalb an. So wird der

sparwerte erzielen können. Das neue Ge-

gana. Es sind dies nur einige Momentauf-

e

international tätige Energieriese Enel

bäude hingegen ist als Net Zero Energy

nahmen des Innovations-Ökosystems in

Green Power in Bozen ein Forschungs-

Building (NZEB) konzipiert, was bedeu-

Südtirol, doch sie zeigen auf, wie aktiv es

T

zentrum errichten. In diesem sollen neue

tet, dass es im Grunde das konsumiert,

sich weiterentwickelt und welche Chance

r

Technologien zur Nutzung erneuerbarer

was es auch produziert.

es bietet.

e

den gezählt.

Mehrere Forschungseinrichtungen

Energien getestet und zur Serienreife

Das gemeinsam von Eurac, Provinz

u

i

gebracht werden – in engem Kontakt zu

Bozen, dem Bozner Architekturbüro Clau-

heimischen Forschungseinrichtungen

dio Lucchin und internationalen Partnern

Simone Treibenreif (*1977), seit 2010

b

und Unternehmen.

initiierte Projekt erhielt durch das 7. euro-

Redakteurin der „Südtiroler Wirtschafts-

e

päische Forschungsrahmenprogramm

zeitung“.

n

Es gibt in Südtirol mehrere Forschungseinrichtungen, die die Innovati-

eine EU-Förderung von 1,2 Millionen Euro

onskraft der ansässigen Unternehmen

und wurde als eines der besten vier Pro-

unterstützen und ergänzen: Zu nennen

jekte auf EU-Ebene bewertet.

Innovative und junge Köpfe

gesamt 60 Instituten der Fraunhofer-­ Gesellschaft, der größten Einrichtung für

Dass den Südtirolern die Ideen und das

angewandte Forschung in Europa; wei-

Interesse für Forschung und Innovation

ters die Europäische Akademie Bozen

nicht ausgehen, stellt auch der Nach-

(Eurac), die besonders für den Sektor

wuchs immer wieder unter Beweis. So

Energie ein potenzieller Partner für Un-

durften im Januar 2013 Valentin Kager,

ternehmen ist; aber natürlich auch die

Patrik Rosanelli, David Gamberoni und

Freie Universität Bozen, die Netzwerk­

Alessandro Mich – die Gruppe setzt sich

institution TIS innovation park, das land-

aus einem Entwickler, zwei Unterneh-

und forstwirtschaftliche Versuchszent-

mern sowie einem Studenten zusammen,

rum Laimburg sowie der Schadstoffspe-

alle im Alter von 26 bzw. 27 Jahren – ihr

zialist Eco-Research. TIS, Fraunhofer,

Projekt Eco-Farming in Rom der Regie-

Eurac, Universität Bozen, das Institut für

rung und potenziellen Investoren aus der

innovative Technologien (arbeitet am

Wirtschaft vorstellen. Eco-Farming ba-

28

e i

sind das Fraunhofer Innovation Engineering Center (IEC), eines von weltweit ins-

r

Unternehmen  Habitat für innovative Technologien

f


Ulrike Sauer

k o l u m n e e s P R o

Italien: Energieriese ohne Regie Infografik — Simone Vollenweider

29

Autor


Arbeiter des Unternehmens Soleto Città del Sole auf einem 12 Hektar großen Fotovoltaikfeld in der süditalienischen Provinz Lecce

In 60 Metern Höhe schwebt die 340.000 Tonnen schwere Stahlbrücke über dem Mittelmeer. Sie überspannt die Straße von Messina zwischen Sizilien und der Stiefelspitze auf 3,3 Kilometern Länge – allerdings nur im Werbefilm. Das gigantische Prestigeprojekt von Silvio Berlusconi, Phantom vieler Wahlkämpfe, ist endgültig begraben. Dafür wird ein anderer Brückenschlag Realität. Das weltweit längste verlegte Unterseekabel zum Transport von Wechselstrom bindet künftig das Wind- und Sonnenkraft-Dorado Sizilien ans Festland an. 700 Millionen Euro investiert der römische Netzbetreiber Terna gerade in die „Brücke der Energie“, die modernste elektrische Infrastruktur Italiens. Die neue Stromtrasse auf dem Meeresgrund ist nur ein kleiner Teil der Modernisierungsvorhaben von Terna. Mit insgesamt sieben Milliarden Euro soll Italiens Netz hochgerüstet werden. Viele Projekte befinden sich in der Planung – zum Beispiel der Bau von zwei Hochspannungsleitungen auf Sizilien. Keine Frage: Der Ökostromboom hat Italien unter Zugzwang gesetzt. Denn der rapide ansteigende Beitrag des grünen Stroms sorgt für Probleme, etwa in der Weiterleitung. Italien steht in den kommenden Jahren vor enormen Veränderungen, prophezeit darum die Aufsichtsbehörde für Energie in Rom. „Bislang war die stürmische und unplanmäßige Entwicklung der erneuerbaren Energien der wesentliche Driver des Strommarktes“, konstatieren die Aufseher. Nun stößt das unkoordinierte Wachstum an seine Grenzen. Denn auf eine nationale Energiestrategie wartet man in Italien wie bei Samuel Beckett auf Godot. Ein längst in Vergessenheit geratener Industrieminister legte vor einem Vierteljahrhundert die Grundsätze der Energiepolitik fest.

Für seine notorische Zukunftsvergessenheit bezahlt Italien einen hohen Preis – auch in der Energieversorgung. Das rohstoffarme Mittelmeerland ist extrem abhängig vom Import: 84 Prozent des Energiebedarfs werden durch Einfuhren aus dem Ausland gedeckt. Der EU-Durchschnitt liegt bei 53 Prozent. So kostet eine Megawattstunde Strom in Italien 41 Prozent mehr als in Deutschland. „Die exorbitanten Energiepreise sind unser größtes Handicap“, sagt Nudelkönig Guido Barilla. Die Klage des Weltmarktführers aus Parma teilen viele Unternehmer auf dem Apennin. Inzwischen ist der Leidensdruck so hoch, dass sich die Politik dem Handlungsbedarf nicht mehr entziehen kann. Boxt nicht ein Aufschwung das Land aus zwei Jahrzehnten Stagnation und Rezession, gibt es für Italien kein Entrinnen aus der Schuldenkrise. Godot ante portas also? Ambitionierter Plan

Qualitätskontrolle in einer Barilla-Fabrik. Nudelkönig Guido Barilla: „Die exorbitanten Energiepreise sind unser größtes Handycap.“

Das war 1988. Seither drückt sich Rom vor der Planung. Zwar versprach jede italienische Regierung in der Vergangenheit, die Säumnis schleunigst zu beenden. Doch nichts geschah.

30

Die Notregierung von Wirtschaftsprofessor Mario Monti unternahm im Herbst 2012 einen Anlauf, dem vergeblichen Warten ein Ende zu bereiten. Industrieminister Corrado Passera legte im Oktober eine Nationale Energiestrategie (SEN) vor. Erklärtes Ziel: Bis 2020 soll sich Italien von den überhöhten Stromtarifen befreien. Die Verbraucher zahlen im Schnitt 25 Prozent mehr für Energie als ihre europäi-

Unternehmen  Italien: Energieriese ohne Regie


schen Nachbarn. Die Rechnung für Energieimporte soll um 14 Milliarden Euro im Jahr fallen. Erreichen wollte die Regierung Monti die Nivellierung der Stromkosten mit Liberalisierungen, der Steigerung der Energieeffizienz, der Erhöhung der Erdöl- und Gasförderung im eigenen Land und dem weiteren Ausbau des Ökostroms. Man nahm sich vor, den Anteil der regenerativen Energien am Bruttoendkonsum bis 2020 auf 20 Prozent zu verdoppeln. In der Stromerzeugung sollen grüne Energiequellen mit 38 Prozent den wichtigsten Beitrag leisten. So ließe sich die Emission von Treibhausgasen bis 2020 um 19 Prozent senken. Die Umsetzung des Energiekonzepts soll Investitionen von mindestens 180 Milliarden Euro anschieben. Fatih Birol, Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), lobte: „Der Plan ist ambitioniert und geht über die europäischen Klimaziele hinaus. Seine Erfüllung hängt von der Durchsetzung adäquater Governance-Strukturen und von angemessenen Fördermaßnahmen ab, vor allem im Gebäudesektor.“ Birols Fazit: Der Plan sei ehrgeizig, aber realisierbar. Monti und Passera priesen ihre Energiestrategie als ein Schlüsselprojekt zur Modernisierung des krisengebeutelten Landes. Nachhaltiges Wachstum sei nur über eine grundlegende Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des italienischen Wirtschaftssystems zu erreichen. „Die Energiebranche ist sicher einer der entscheidenden Wachstumsfaktoren“, hieß es in dem Strategieplan der Regierung, dem ersten nach 25 Jahren. Man wollte ihn Anfang 2013 verabschieden und als „bindendes Vermächtnis“ hinterlassen. Doch als Monti die Mehrheit im Parlament verlor, weil Silvio Berlusconi ihm die Gefolgschaft aufkündigte, trat er kurz vor Weihnachten zurück. So blieb die Energiestrategie auf der Strecke. Wieder einmal. In Deutschland zog die schwarz-gelbe Koalition da gerade eine Zwischenbilanz ihrer Energiewende. Zwei Tage vor dem Abtritt Montis legten die federführenden Minister in Berlin den ersten Regierungsbericht zu ihrer wichtigsten innenpolitischen Herausforderung vor. Anderthalb Jahre nach dem Doppelbeschluss über den Atomausstieg und den Abschied von fossilen Energieträgern stellten sie sich beste Noten aus – das Urteil hochrangiger Experten fiel weniger schmeichelhaft aus. Doch die Kluft in der Energiepolitik beider Länder manifestierte sich anschaulich: Im Norden sind die Planer und Organisatoren am Zug – im ­Süden die Improvisation. In Italien gibt es keine öffentliche Energiedebatte, dafür ein ständiges Stop-and-Go, große Unsicherheit und viele Hürden. Doch siehe da: Der Umbau der Stromversorgung ist trotzdem in vollem Gange –

31

­typisch Italien. Und die Chancen auf eine effizientere Gestaltung des Energiewandels stehen jetzt besser denn je. Die EU-Richtlinien für den Klimaschutz verlangen von Italien, dass bis 2020 erneuerbare Energien 17 Prozent des gesamten Energieverbrauchs decken. Beim Strom steigt dieser Anteil auf 26 Prozent. Diese Ziele erfüllt das Land bereits heute. Im Wettlauf um saubere Energien stieß das spät gestartete Italien ins Spitzenfeld vor, auf Platz zwei hinter Deutschland. Dank der großzügigsten Fördersätze Europas kam der Ausbau der Erneuerbaren 2007 kräftig in Schwung. Besonders rasant entwickelte sich die Fotovoltaikbranche. 2011 etwa schnellte die Solarstromproduktion von weniger als 2.000 Gigawattstunden auf 10.700 Gigawattstunden (GWh) hoch. Das war ein Plus von 463 Prozent. Es brachte den Sonnenfängern erstmals einen Vorsprung vor der Windkraft. Die Erneuerbaren kommen insgesamt gut voran. Zwischen 2008 und 2011 stieg die Produktion von grünem Strom um 45 Prozent auf 84.000 GWh. Sonne, Wind und Biomasse liegen mit jeweils mehr als 10.000 GWh in etwa gleichauf. Noch ist der Anteil der traditionell stark genutzBiogasanlage zur Stromherstellung in der Nähe der norditalienischen Stadt Treviso

ten Wasserkraft viermal so hoch. Nach Angaben der Behörde für die Förderung grüner Energien GSE in Rom deckten die Erneuerbaren 2011 bereits 24 Prozent des Stromverbrauchs. So wird die Branche auch in Italien zunehmend zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Anfang 2012 beschäftigten 100.289 Unternehmen in der Ökostrombranche 369.231 Mitarbeiter, meldet die italienische Handwerkskammer Confartigianato. Man rechnet weiterhin mit einem enormen Wachstumspotenzial. Allein im Bereich der Gebäudesanierung und -effizienz erwartet die italienische Ingenieurkammer 2020 die Beschäftigung von 600.000 Menschen. Erfolg trotz Mangel an Regie

Vorreiter waren schon vor 20 Jahren am Werk. In Varese Ligure zum Beispiel. In diesem abgelegenen Winkel Liguriens begann die Energiewende in den 1990er-Jahren. Lokalpolitiker entschieden sich für eine kombinierte Nutzung

Ulrike Sauer


„Alle Möglichkeiten nutzen“. Michela Marcone, Bürgermeisterin

„100 Prozent erneuerbar“. Maurizio Caranza, ehemaliger und mitt-

von Varese Ligure. Die Energiewende im Apenninendorf begann

lerweile verstorbener Bürgermeister von Varese Ligure, hat das

schon in den 1990er-Jahren

Energiekonzept in die Wege geleitet

von Wind, Wasser und Sonne. So wurde Varese Ligure zur Avantgarde im Kampf gegen den Klimawandel. „Wir glaubten hier, dass es fahrlässig wäre, nicht alle Möglichkeiten zu nutzen“, sagt die Bürgermeisterin Michela Marcone. Varese Ligure produziert seither ein Vielfaches der Energie, die es verbraucht. 2004 zeichnete die EU-Energiekommissarin Loyola de Palaciodas das mittelalterliche Apenninendorf mit dem Preis „100 Prozent erneuerbar“ in der Kategorie ländliche Gemeinden für sein Energiekonzept aus. Heute überrascht Italien mit der breiten Streuung der 500.000 Anlagen zur alternativen Stromerzeugung, die in über 95 Prozent der italienischen Gemeinden betrieben werden. Der Erfolg der erneuerbaren Energien überdeckt den Mangel an Regie. Planlosigkeit prägt die Entwicklung in Italien. Koordination und Kooperation finden kaum statt. Das macht sich sehr nachteilig bemerkbar in den Bereichen Energieeffizienz, Netzausbau und Speicherung – den großen Herausforderungen der Zukunft. Unentwegt klagt die Ökostrombranche über bürokratische Hürden, die mit starken Verzögerungen beim Anschluss neuer Anlagen den Markt hemmen und hohe Zusatzkosten erzeugen. Hinzu kommen unklare Rahmenbedingungen. So wurden die nationalen Leitlinien für die erneuerbaren Energien nur lückenhaft von den Regionen übernommen. Allein Apulien, Umbrien und die Provinz Bozen haben sich bislang ein vollständiges Regelsystem für alle grünen Energiequellen zugelegt. „Der Status der rechtlichen Unsicherheit und Unvollkommenheit charakterisiert bis heute die Branche“, bemängelte eine Studie des italienischen Umweltschutzbundes Legambiente im vergangenen Herbst. Das mache Investitionen in Italien teurer und ungewisser als anderswo. Es fehle an einer Zukunftsperspektive.

Die Aussichten auf einen Paradigmenwechsel haben sich nun aber verbessert. Bei den Wahlen im Februar hat Italien nach zwei Jahrzehnten den Berlusconismus überwunden. Der verbissene Lagerkampf zwischen dem milliardenschweren Medienmagnaten und seinen Widersachern hatte die Sachpolitik nach 1994 ins Abseits gedrängt. Mit Berlusconi an der Macht verabschiedete sich Europas drittgrößte Volkswirtschaft komplett aus der Industriepolitik. Heute scheinen die dominierenden Kräfte im neuen Italien die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Und so sieht es danach aus, als könnte auch in der Energiepolitik eine Wende eintreten.

32

Italien ist für alle Firmen interessant, die effiziente Technologien für Produktion und Serviceleistungen zu bieten haben. Die Lage ist paradox: In den 1990er-Jahren privatisierte Rom den Staatsmonopolisten Enel und trieb die Liberalisierung des Strommarktes voran. Der Produktionsanteil von Enel fiel 2011 auf 30 Prozent bei einer Pluralität großer und kleiner Anbieter. „Der Preis an der italienischen Strombörse spiegelt den gestiegenen Wettbewerb aber nicht vollständig wider“, kritisiert die römische Regulierungsbehörde für Energie und Gas. Enel-Aufsichtsratschef Paolo Colombo entschuldigt das überhöhte Preisniveau mit strukturellen Nachteilen. „Italien hängt von fossilen Im­ porten ab. Es setzt keinen Atomstrom ein, vergleichsweise wenig Kohle und dafür mehr teures Gas.“ Gegenwärtig

Unternehmen  Italien: Energieriese ohne Regie


sieht der italienische Energie-Mix in der Stromerzeugung so aus: Kohle ist 2011 auf 14,6 Prozent gestiegen, die Erneuerbaren auf 36,7 Prozent, Gas fiel auf 40 Prozent, Erdöl auf 1,2 Prozent. 1,8 Prozent des Stroms stammen aus importierter Atomkraft. Preistreibend wirkt auch die geringe Auslastung der italienischen Elektrizitätswerke. Durch die Inbetriebnahme neuer Gas- und die Umstellung der Erdöl-Kraftwerke auf Kohle stieg die Kapazität im vergangenen Jahrzehnt nach Angaben des Netzbetreibers Terna auf 78.000 Megawatt. Hinzu kommen in Spitzenzeiten 45.000 Megawatt aus erneuerbaren Quellen. Das ist sehr viel für ein Land mit einem täglichen Spitzenkonsum von 56.822 MWh. Dennoch befinden sich sechs neue Kraftwerke im Bau, und es laufen 38 Genehmigungsverfahren. Alte und neue Regierungen

Die Wahlen im Februar haben zwar keine klaren Mehrheitsverhältnisse geschaffen. Doch erstmals dominieren im ­Parlament jene Kräfte, die sich für die Energiewende stark­ machen. Beppe Grillo setzt sich mit seiner jungen FünfSterne-Bewegung für einen radikalen Umbau der Stromversorgung und für die Green Economy ein. Und auch die sozialdemokratische PD hat sich den Erneuerbaren verschrieben – und das nicht erst gestern. PD-Chef Pier Luigi Bersani ist der Vater des Überraschungserfolgs grüner Energie in Italien. Als Industrieminister der ProdiRegierung löste er 2007 mit einem Gesetz zur Einspeisevergütung für Ökostrom Italiens Solarboom aus. Die Subventionierung sei eine „weitsichtige Entscheidung“ zur Unterstützung unternehmerischer Initiativen und zur Schaffung von Arbeitsplätzen gewesen, sagte Bersani gegenüber dem Fachblatt „Le Scienze“. Leider hätten es die nachfolgenden Rechtsregierungen Berlusconis versäumt, die Förderung der Entwicklung anzupassen. Im Wahlkampf bekannte sich der Sozialdemokrat zu einer„integralen ökologischen Industriepolitik“. Energieeffizienz und die Diversifikation der Energieversorgung durch Förderung aller erneuerbaren Energien seien Hauptachsen der PD-Politik. Um italienische Technologien international wettbewerbsfähig zu machen, versprach er, der vernach­ lässigten Spitzenforschung zu helfen. Bersani ist für die deutsche Ökostrombranche ein alter Bekannter. Vor sechs Jahren verwandelte der Sohn eines Tankstellenpächters die wolkenarme Mittelmeer­ halbinsel über Nacht in ein Mekka der Fotovoltaikbranche. Deutsche Solarunternehmen stürzten sich begeistert in den Markt. Die großzügigen Subventionen befeuerten damals eine „unglaubliche Entwicklung“, bilanziert Roberto Pera von der Beratungsgesellschaft Rödl & Partner in Rom. Die überhöhten Fördersätze lockten viele Investoren an. Renditen von 12 bis 15 Prozent gab es schließlich sonst

33

­ irgends, sagt Pera. Alle großen deutschen Hersteller n drängten damals ins neue Dorado der grünen Energie. Wenige Schritte vom Petersdom entfernt installierte SolarWorld sogar auf dem Dach der päpstlichen Audienzhalle 2.000 Module. Die Goldgräberstimmung hielt bis 2011 an. Dann kam das böse Erwachen. An der Macht in Rom saß Berlusconi, der 2009 eine Wiederbelebung der Atomindustrie angeordnet hatte, aus der sich die Italiener 22 Jahre zuvor per Volksentscheid verabschiedet hatten. Für erneuerbare Energien hatte er nichts übrig. Den Treibhauseffekt erklärte seine Regierung zur reinen Erfindung. So begann in Italien eine sehr konfuse Zeit. Der eigentliche Grund für das Ende des Marktes sei weniger die drastische Kürzung der Einspeisevergütung gewesen, sagt Berater Pera. Vielmehr habe die Ungewissheit den deutschen Rückzug ausgelöst. Als Montis Tech­ nokraten-Kabinett im vergangenen Sommer erneut die Fördersätze für Sonnenfänger beschnitt, waren die Investoren längst weg. Zudem deckelte Rom die Subventionierung nun auf 6,7 Milliarden Euro. Im vergangenen Dezember hatten die Förderanträge das Volumen bereits ausgeschöpft. Für Fabio Tognetti, Experte für erneuerbare Energien bei Legambiente, heißt das: „Von jetzt an muss die Fotovoltaik auf eigenen Füßen stehen – ohne Förderung.“ Die Rentabilitätsgrenze sei bei größeren Anlagen in Süditalien in Einzelfällen bereits erreicht. Die Fachwelt ist sich einig: In Italien ist die gridparity – die wirtschaftliche Konkurrenz­ fähigkeit von Solarstrom – zum Greifen nahe. Unternehmensberater Pera rechnet noch 2013 mit dem Erreichen des Ziels. „Damit wandelt sich der Markt endlich von einem finanziellen in einen wirtschaftlich-industriellen“, sagt der Anwalt. Das wird grundlegende Veränderungen bringen. Wachstumspotenzial ergibt sich für Pera künftig daraus, dass sich der Direktverkauf von Strom an Dritte heute noch nicht rechnet, weil der Transport zu teuer ist. Um Sonnenenergie aus Sizilien an Fiat in Turin zu verkaufen, muss der Erzeuger übers Stromnetz gehen – und das rentiert sich nicht. „Dieses Szenario wird sich in den kommenden Jahren ändern“, erwartet Pera. Er rechnet schon bis 2015 mit der Einführung finanzieller Anreize für die Direktvermarktung, wie man sie aus Deutschland mit dem Marktprämiensystem kennt. „Lokale Erzeuger werden sich zusammenschließen, um ihren Strom gemeinsam an Großhändler zu verkaufen“, sagt er.

Ulrike Sauer


Prozentanteil der erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch 2012 und 2020* Italien

2012 • 8,2%

1

2

Aosta

Lombardei

2012 • 51,8% 2020 • 52,1%

2012 • 7 % 2020 • 11,3%

AT

CH

Italien

4 2

Piemont

SI HR

20

2012 • 11,1% 2020 • 15,1%

TrentinoSüdtirol Provinz Bozen

Emilia Romagna 2012 • 4,2% 2020 • 8,9%

6

19

7

TrentinoSüdtirol Provinz Trient

5

20

2020 • 14,3%

6

2012 • 33,8% 2020 • 36,5%

3

1

3

2012 • 30,9% 2020 • 35,5%

8

4

Abruzzen

Friaul Julisch Venetien

2012 • 10,1% 2020 • 19,1%

2012 • 7,6% 2020 • 12,7% 5

9

BA

Venetien

FR

Marken 2012 • 6,7% 2020 • 15,4%

2012 • 5,6% 2020 • 10,3%

18

Molise 2012 • 18,7% 2020 • 35% 10

Apulien

7

2012 • 6,7% 2020 • 14,2%

17

ME

8 16

19

9

Ligurien 2012 • 6,8% 2020 • 14,1%

14

Toskana

2012 • 8,4% 2020 • 17,8% 13

17

55 50 45

%

2012 • 7% 2020 • 15,9%

2012 • 8,7% 2020 • 13,7% 16

Latium

35

2012 • 6,5% 2020 • 11,9%

25

14

20

Kampanien

15

2012 • 8,3% 2020 • 16,7%

10

12

Sizilien

Umbrien

40

30

11

Sardinien

15

2012 • 9,6% 2020 •16,5%

60

10

15

18

11

Basilikata

13

2012 • 16,1% 2020 • 33,1% 12

AF

Kalabrien

2012 • 14,7% 2020 • 27,1%

5 0

Wasserkraftleistung pro Jahr in Italien Bioenergieleistung pro Jahr in Italien Windenergieleistung pro Jahr in Italien

Alle Angaben in Megawatt (MW)

5.000

2009

2010 2011

2.018,6 2.351,5 2.825,3 4.897,9 5.814,3 6.936,1

Fotovoltaikleistung pro Jahr in Italien

0

17.721,5 17.876,2 18.092,3

1.144 3.469,9 12.773,4

10.000

15.000

20.000

* Die Daten beziehen sich auf erneuerbare Energien am Gesamtenergieverbrauch für Strom, Wärme und Kälte, die auch in Italien produziert werden. Der Bereich Transport (Biotreibstoff, Biogas und Biomethan) sowie die Importe aus dem Ausland konnten auf regionaler Ebene nicht erfasst werden.  Quellen: GSE / Gazzetta Ufficiale della Repubblica italiana

34

Rubrik  Titel


0

Lombardei

Aosta

35

Trentino/SĂźdtirol

Friaul Julisch Venetien

Venetien

Emilia Romagna

Marken

Abruzzen

Molise

Apulien

Alle Angaben in Megawatt (MW)

Basilikata

Autor

Kalabrien

Sizilien

Kampanien

Latium

Sardinien

Umbrien

Toskana

Ligurien

81,3

7,8

54,8

33,9

85,1

41,4

31,7

45,4

29,1

29,2

215

8,5

25,3

62

95

78,3

29,1

0

63,7

265,9

14,9

137,4

73,3

244,3

101,6

84,4

155,9

58,7

49,7

683,4

15,9

67,2

184,3

364

329,7

92,9

169,8

0 2.500

1.070,5

53,6

468,5

318,6

861,3

403,2

376

865,7

237,2

221,9

2.186,2

117

451,5

786,6

1.267

1.157,4

295,8

299,8

1.321,6

0

372

12,5

16,6

36,1

1,5

9

606,2

797,5

1.147,9

443,3

227,5

1.151,8

237

190,4

0

16,3

1,4

0

3

0

0 2.000

126,3

14,4

19

45,4

1,5

9

638,9

803,3

1.435,6

671,5

279,9

1.287,6

367,2

218,4

0

17,9

1,4

0

3,1

0

0 2.000 14,4

23,1

45,6

1,5

51

962,2

1.067,1

1.680,9

783,9

301,9

1.393,5

367,2

220,4

0,7

18,1

1,4

0

3,1

0

0

74,5

16,8

118,9

27,7

83,8

71,5

202,7

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183

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125,3

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24

477,5

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2.455,8

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152,2

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882,1

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2.479,4

77,2

337,1

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344,7

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1.113,8

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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

AOS LOM TRE SĂœD FRI VEN EMI MAR ABR MOL APU BAS KAL SIZ KAM SAR L AT UMB TOS LIG PIE

5.000

Wasserkraftleistung nach Regionen und Jahr

2011

2010

2009

800

Bioenergieleistung nach Regionen und Jahr

2011

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2.000

Windenergieleistung nach Regionen und Jahr

2011

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2009

2.500

Fotovoltaikleistung nach Regionen und Jahr

2011

2010

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2009

Piemont


Energie aus Abfällen. Im Innenbereich einer Müllverbrennungsanlage in der Nähe von Bergamo

Durch eine Förderung der Grossisten werde die Kostendeckung in der Übertragung sichergestellt. Zuversichtlich ist Pera auch, dass die Regierung den Wettbewerb zwischen den Grossisten und mächtigen Oligopolisten wie Enel, Eon oder Acea beflügeln wird. So werde sich auf neuer Basis die schwungvolle Entwicklung erneuerbarer Energien fortsetzen. „Die Zukunft ist vorgezeichnet“, sagt er. Vier Haupttrends

Auch wenn ein konkretes Szenario schwer vorhersehbar bleibt, sind doch vier Haupttrends erkennbar: 1. Die Förderung wird sich weg von Solaranlagen und weg von großen Windparks hin zu einer dezentralen Produktion bewegen. 2. Neu ist die Förderung von E-Wärme. Umweltminister Corrado Clini stellte im November ein System finanzieller Anreize für Investitionen von Privathaushalten und Kleinunternehmen in der Wärmeerzeugung mit erneuerbaren Ressourcen vor. Gefördert werden Heizungen, Wärmepumpen und Heizöfen mit maximal 500 Kilowatt Kapazität. Das Programm deckt im Schnitt 40 Prozent der Kosten. Ein weiteres Novum: Der Staat greift den klammen Gemeinden unter die Arme, um Effizienzsteigerungen im öffentlichen Sektor voranzutreiben. Auf lokaler Ebene besteht wegen der Ausgabensperre und rigiden Sparauflagen ein gewaltiger Nachholbedarf. Den Kommunen, denen das Bezahlen ihrer Energierechnungen zunehmend schwerfällt, waren durch den Investitionsstopp oft die Hände gebunden. Die Regierung stellte knapp 900 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung. 3. Der Ausbau der Stromnetze wird auch in Italien zum großen Zukunftsthema. Neue Stromtrassen sind erforderlich, um den Ökostrom aus den Windparks und Solarfeldern des Südens in die Industrieregionen des Nordens zu

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transportieren. An sonnigen, windigen Feiertagen decken die Erneuerbaren auf Sizilien fast den Bedarf. 2012 erzielte die Fotovoltaik im Monat August mit 2240 GWh einen neuen Rekord. Das entsprach 9 Prozent des erzeugten Stroms in Italien, stellt Stefan Prosch vom Beratungsunternehmen enyvo/greenvision in Brixen fest. Der Erfolg ist jedoch zunehmend ein Problem. Er führt zur Überlastung der Stromleitungen und zu Zwangsabschaltungen. Im Strategieplan 2012– 2021 kündigte der Netzbetreiber Terna Investitionen von 7 Milliarden Euro in die Modernisierung des Netzes an. Umgesetzt werden derzeit Projekte mit einem Volumen von 2,9 Milliarden Euro, die Terna in die Errichtung neuer Verbundsysteme und Hochspannungsleitungen sowie in die Rationalisierung der Stromnetze in den Ballungsräumen steckt. Beim überfälligen Netzausbau wird es auf die Verbindung von Produktions-, Netz- und Kommunikationstechnologien ankommen. Intelligente Stromnetze – sogenannte smart grids – werden eine große Rolle spielen. Es steht eine kommunikative Vernetzung und Steuerung von Erzeugern, Speichern, Betreibern und Verbrauchern an. Der Trend zur dezentralen Erzeugung und der zügige Ausbau des Ökostroms setzen Italien stark unter Druck. „In Deutschland existiert ein großes Know-how auf diesem Gebiet“, sagt Petra Seppi, Leiterin der Geschäftsanbahnung bei der Business Location Südtirol (BLS) in Bozen. 4. Last but not least hat Italien in der Energieeinsparung viel vor sich – sowohl durch Effizienzsteigerungen im Gebäudebereich als auch in der Industrieproduktion. Alle wirtschaftlichen Analysen zeigen, dass dies der einfachste und billigste Weg zur Energiewende ist. Die europäischen Klimaziele schreiben dem Land bis 2020 eine Verbesserung der Energieeffizienz um 20 Prozent vor. Jedes EU-Land muss eine eigene Roadmap ausarbeiten. „Italiens Politik weist nicht klar in diese Richtung“, monierte Legambiente im November in einem Positionspapier zur Energiestrategie Montis. Ein 2011 aufgelegtes Programm, das durch steuerlich geförderte Gebäudesanierungen eine Senkung des Energieverbrauchs von Immobilien anstößt, läuft am 30. Juni aus. Doch auch auf diesem Markt tut sich einiges. Die Messegesellschaft in Verona lädt die Anbieter von Effizienztechnologien im Oktober erstmals zum Branchentreff Smart Energy Expo ein. „Ziel der Expo ist die Gründung eines Netzes, das alle wesentlichen Akteure zur Schaffung

Unternehmen  Italien: Energieriese ohne Regie


von Innovation und Wertschöpfung einbezieht“, sagt Messe-Chef Ettore Riello. Verona will eine Plattform für Aussteller aus ganz Europa schaffen, die Stromspartechniken für Anwendungen in der Industrie, im Transportwesen, in der Landwirtschaft, im öffentlichen Dienst und in Privathaushalten anbieten.

meint Seppi. In Deutschland solle man sich aber darüber im Klaren sein, dass der italienische Energiemarkt trotz des Nachholbedarfs keine rückständige Veranstaltung ist. „Der Markt ist nicht satt, aber schon reif“, sagt Seppi. Gefragt

Bahnbrechend. Das Unternehmen Archimede Solar Energy, im Bild Biogasanlage in Italien. Die Biomassevergasung wird zur Strom-

CEO Federica Angelantoni, entwickelt mit Flüssigsalzen gefüllte

und Wärmegewinnung sowie zur Herstellung von Synthesegas für

Spezialrohre für Solarkraftwerke

die Produktion von Chemikalien und Kraftstoffen verwendet

Der Energiemarkt ist reif

Für BLS-Mitarbeiterin Seppi liegt die Attraktivität Italiens als Investitionsstandort jenseits jeglicher Förderprogramme. „Die Chancen liegen im Markt selbst. Italien hat die höchs­ ten Energiepreise Europas“, argumentiert sie. Das bedeute: Es muss investiert werden. In allen Bereichen. In die Produktion. In effizientere Technologien. In alles, was hilft zu sparen. „Das wird vom Markt verlangt – sowohl seitens der Hersteller als auch seitens der Verbraucher“, sagt Seppi. Beobachtungen der Forschungsgruppe Energy & Strategy an der Polytechnischen Hochschule in Mailand untermauern diese Einschätzung. Die Wissenschaftler sehen in der Energieeffizienz „ein grundlegendes Instrument“, das Problem der hohen Energiekosten und der daraus re­ sultierenden erheblichen Wettbewerbsdefizite der italienischen Unternehmen auf den internationalen Märkten an­ zugehen und zu lösen. Die öffentliche Diskussion über die Erneuerbaren verdecke noch eine neue Strategie der Unternehmen. „Sie widmen der Energieeffizienz als Geschäftschance wachsende Aufmerksamkeit“, konstatierte Forschungsdirektor Vittorio Chiesa im Energy Efficiency Report (November 2012). Das eröffnet neue Felder der Zusammenarbeit. „Italien ist für alle Firmen interessant, die effiziente Technologien für Produktion und Serviceleistungen zu bieten haben“,

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seien intelligente Spitzentechnologien und nicht irgendetwas. Wichtig sei oft ein spezieller Zusatznutzen, der in Partnerschaften eingebracht werden könne. In der Tat: Die Italiener haben nicht geschlafen. Man sieht das vielerorts. Zum Beispiel im umbrischen Massa Martana, wo das Familienunternehmen Angelantoni nicht nur den Eistresor für die Gletschermumie Ötzi herstellte. Der Tochterfirma Archimede Solar Energy gelang die bahnbrechende Entwicklung der mit Flüssigsalzen gefüllten Spezialrohre, die in Solarkraftwerken zum Einsatz kommen. Oder in Crescentino im Piemont, wo kürzlich nach fünf Jahren Forschungsarbeit eine revolutionäre Bioraffinerie in Betrieb ging. Sie gewinnt grünen Sprit nicht aus Lebensmitteln wie Mais oder Zuckerrohr, die als Tankfüllung schwer in Verruf geraten sind. Bei Mossi & Ghisolfi verwandelt man ausschließlich Abfälle vom Acker, Schilfrohr, Laub und Reisig in Benzin – eine Weltpremiere. Schon klopfen in Crescentino Techniker aus Japan, Korea, den USA, Brasilien, Russland und Malaysia an, um in Italien ein Stück Energiezukunft zu besichtigen.

Ulrike Sauer (*1964), Wirtschaftskorrespondentin der „Süddeutschen Zeitung” in Rom.

Ulrike Sauer


Leoluca Orlando

Gegenseitiges Verständnis wieder aufbauen

N & S (Nord & Süd) — Herr Orlando, Italien sucht verzweifelt einen Ausweg aus einer tiefen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krise. Kann 2013 zu einem Jahr des Neustarts werden? L O (Leoluca Orlando) — Die Parlamentswahlen im Februar haben ganz klar gezeigt, dass die Italiener eine Wirtschaftspolitik ohne Seele und ohne soziale Sensibilität nicht länger akzeptieren. Ob 2013 also einen Neubeginn bringen kann, hängt wesentlich von der Fähigkeit der politischen Klasse ab, zu einer ethischen Haltung zurückzufinden und zugleich konkrete Antworten zu geben, die nicht populistisch sind und keine Scheinlösungen darstellen. N & S — Wie stehen vor diesem Hintergrund die Chancen für eine starke deutsch-italienische Wirtschaftsachse?

Illustration — Ika Künzel

L O — Das ist nach dem Wahlausgang schwer zu sagen. Viele deutsche Politiker haben ja zu Recht mit großer Skepsis reagiert. Das Verhältnis Italiens zu Deutschland – und generell zu seinen internationalen Partnern – ist in den vergangenen Jahren stark gestört gewesen. Auf ihm lastete das eigennützige und unmoralische Verhalten Berlusconis. N & S — Die Regierung Monti hat doch alles unternommen, Italiens Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. L O — Gewiss. Leider ist diese Rehabilitierung jedoch nicht mit der Rekonstruktion des Vertrauens der Italiener in Europa und in unsere ausländischen Partner einhergegangen. Italien aber kann eine Schlüsselrolle bei der Vertiefung und Erweiterung der internationalen Beziehungen spielen. Es kann eine Brückenfunktion einnehmen in den beiden M-Regionen: dem Mittelmeerraum und Mitteleuropa. Es existiert also nicht nur Raum, sondern es existiert der Bedarf für eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd. Doch sie kann nur funktionieren, wenn sie auch kulturelle und soziale Beziehungen mit einschließt. Und wenn die Wirtschaftsachse auf der Herstellung von Waren und Dienstleistungen gründet. Denn der Mammon hat in vielen Gegenden des Südens das Antlitz der Mafia, der Korruption und der Steuerhinterziehung.

Leoluca Orlando, 66, ist vor allem als Berlusconi-Widersacher und Mafia-Jäger Nummer eins bekannt geworden. Im Mai 2012 wurde der langjährige Mitte-links-Parlamentarier und Juraprofessor, der in Heidelberg studiert hat, zum vierten Mal Bürgermeister von Palermo. Orlando im Interview mit „Nord & Süd“ über Italiens Weg aus der Krise, das zuletzt belastete deutsch-italienische Verhältnis, darüber, wie beide Länder von einander profitieren können und über den grünen Energieboom in Süditalien.

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N & S — Was muss sich im deutsch-italienischen Verhältnis ändern, um die Beziehung zu stärken? Was müssen beide Seiten dafür an gegenseitigen Vorurteilen über Bord werfen? L O — Wesentlich ist, dass Italiener und Deutsche das gegenseitige Vertrauen wieder aufbauen. Das geht nicht, ohne dieselbe Sprache zu sprechen und gemeinsame Grundwerte zu teilen. Deshalb sind direkte Beziehungen zwischen den Bürgern, deshalb sind Begegnungen und ein Kultur- und Wissensaus-

Unternehmen  Gegenseitiges Verständnis wieder aufbauen


tausch so wichtig. Neben dieser „positiven Ansteckung“ ist es von grundlegender Bedeutung, Partnerschaften und wirtschaftliche Beziehungen aufzubauen. N & S — Wie kann das geschehen? L O — Voraussetzung für diesen Prozess der Wiederannäherung ist natürlich die Reetablierung fruchtbarer Regierungskontakte nach dem Ende einer burlesken Phase, die durch Berlusconis Verhalten, seine gigantischen Interessenkonflikte und seine Politik geprägt wurde. Die lokalen Regierungen in den Rathäusern können dabei dank ihrer engen Verbindung zu den Bürgern eine wichtige Rolle spielen.

N & S — Rechnen Sie mit einem weiteren Wachstum der Ökostrombranche in Sizilien? L O — Das ist eines der Felder, auf dem sich die Weitsicht und Zukunftsorientierung der neuen italienischen Regierung zeigen wird. Das Ergebnis der Wahlen im Februar hat die Chancen für die Bildung einer verantwortungsbewussten Regierung stark beeinträchtigt.

N & S — In welcher Weise könnten Deutschland und Italien voneinander profitieren? L O — Der EU-Kommissionspräsident Romano Prodi pflegte während seiner Amtszeit zu sagen: „Europa ist stark als Union vieler Minderheiten.“ Ich glaube, dieser Grundsatz muss in dem Miteinander von Bürgern und Mitgliedsländern wiederentdeckt und hervorgehoben werden. Italien ist heute darauf angewiesen, seine Beziehungen zu Deutschland, zu dessen Bürgern und zur deutschen Wirtschaft neu zu knüpfen und zu intensivieren. N & S — Und was erwarten Sie von den Deutschen? L O — Es ist offenkundig, dass die Deutschen sich nicht in dem Glauben wiegen dürfen, sie könnten in einer seligen Isolation leben. Die Alarmglocke der wirtschaftlichen und moralischen Krise Italiens läutet auch für sie. Die Ansteckungsgefahr besteht. Die Krise, die gestern nur Griechenland getroffen hat und heute in unterschiedlicher Form und in unterschiedlichem Ausmaß alle Länder Europas erfasst, wirkt sich selbstverständlich auch auf die Wirtschaft und auf die Bürger in Deutschland aus. Der Wiederaufbau gleichberechtigter Beziehungen ist daher nicht nur Sache der Politiker und Bürokraten, der Banken und Unternehmen. Er ist vielmehr eine Notwendigkeit der gesamten Nation. N & S — Welche Auswirkungen hat der Boom der erneuerbaren Energien in Süditalien gehabt? L O — Leider hat die Wirtschaftspolitik der Regierung Monti in den vergangenen Monaten zu einem einschneidenden Rückgang der Investitionen in dieser strategisch wichtigen Branche geführt. Nach einigen Jahren des Booms durch die staatliche Förderung alternativer Energiequellen erleben wir nun einen Rückgang. Unternehmern und Bürgern fällt es schwer zu investieren, wenn die Banken ihrer Rolle bei der Finanzierung nicht gerecht werden.

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Leoluca Orlando


Gregor Sailer

Wasser-Kraft

D u r c h q u e r e

Wasser ist Träger von Energie. Es treibt Mühlen und Turbinen an, welche die Bewegungsenergie zunächst in Rotationsenergie und schließlich mithilfe von Generatoren in Strom umwandeln. Wasserkraftwerke liefern weltweit den größten Anteil an Elektrizität aus erneuerbaren Energien. In Südtirol gibt es derzeit 960 Wasserkraftanlagen, allein längs des Flusses Eisack steht durchschnittlich alle acht Kilometer ein Produktionswerk. Zusammen produzieren sie fast doppelt so viel Elektrizität, wie von der Provinz gebraucht wird. Der Fotograf Gregor Sailer hat im Vinschgau im Westen des Landes dem Energieträger nachgespürt. Beim Wasserkraftwerk in Glurns sowie bei den Stauseen im Martelltal und am Reschenpass, dem vor über 60 Jahren ein ganzes Dorf weichen musste, hat er das Innenleben der Produktionsstätten samt Druckrohren und Zuleitungen sowie die unterschiedlichen Fließ- und Speicherformen des Wassers fotografisch festgehalten.

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Gregor Sailer


D u r c h q u e r e n

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Unternehmen  Wasser-Kraft


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Gregor Sailer


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Unternehmen  Wasser-Kraft


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Gregor Sailer


Leben Urlauben: Kann man ökologisch korrekt Ferien machen? 47  Biodynamisch: Die etwas anderen Weine des Alois Lageder 50  Ausgetrickst: Warum Deutschland im Fuß­ ball gegen Italien immer verliert 54  Nachgetrauert: Österreichs Muttergefühle für Südtirol 55  Fokussiert: Was die energieautarke Gemeinde Prad dem Rest der Welt voraus hat 57  Kahl geschlagen: Warum es falsch ist, in der Krise die Mittel für die Kultur zu kürzen 66  Weitergedacht: Methoden, Techniken und Ma­teria­ lien für eine nachhaltige Energieversorgung 68


Lenz Koppelstätter

Die Möglichkeit einer Insel

Illustration — Svenja Plaas

Südtirol, das idyllische Tourismusland. Aber was bietet die Region dem Ökotouristen? Ein Selbstversuch. Der Deal: Anreise, Übernachtung, Tagesprogramm. Möglichst umweltbewusst, biologisch und nachhaltig. Der Anspruch: Der Kurzurlaub soll nicht in Stress ausarten und gleich­ zeitig das ökologische Gewissen ruhig halten. Ist diese Balance möglich? Alles beginnt, wie bei einer zeitgemäßen Urlaubs­ planung üblich, mit einer Google-Recherche: Gibt man die Begriffe „Öko“, „Nachhaltigkeit“, „Urlaub“ und „Südtirol“ in die Suchmaske ein, dann erscheinen rund 800.000 Treffer. Mit Urlaub in Südtirol haben die meisten nichts zu tun, sie preisen Reisedestinationen irgendwo in der Welt an – mit so klingenden Begriffen wie „Naturhotel“, „Vitalhotel“,

„­ Ferien mit Mehrwert“, „Urlaub für Allergiker“, „Tourismus 2 .0“. Ökotourismus, das merkt man schnell, ist ein überreiztes George-Orwell-Wort. Laut Wikipedia ist Ökotourismus eine auf die Belange von Umwelt und ansässiger

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­ evölkerung besonders Rücksicht nehmende Form des B Tourismus. Aber seitdem mir einmal ein Zimmervermieter in Hongkong ein Sechsbettzimmer mit vergammelten Matratzen und einem kleinen Fenster zu einer stinkenden Geflügelfarm hinaus als Ökounterkunft andrehen wollte, bin ich da skeptisch. Südtirol ökologisch bereisen heißt erst einmal, sich durch ein Potpourri im Netz kämpfen. Erst nach einer Weile stößt man auf Angebote wie die „Alpine Pearls“. Der gleichnamige Verein vergibt das Qualitätssiegel an Südtiroler Gemeinden wie Ratschings, Villnöß, Tiers, Karneid-Steinegg, Moos in Passeier, Welschnofen oder Deutschnofen, die Ideen für einen nachhaltigen Tourismus entwickelt ­haben. Es ist ein Angebot, das vor allem einen möglichst ­autofreien Urlaub mit Shuttle-Service bietet. Ein weiteres Fundstück ist das Qualitätssiegel „Roter Hahn“. Es steht für Urlaub auf dem Bauernhof mit hauseigenen Produkten. Und dann trifft man beim Googeln noch auf Sand in Taufers im Pustertal. 2008 wurde das Dorf im Osten Südtirols zur ersten Agenda-21-Gemeinde Südtirols gekürt. Die Agenda wurde bei der UNO-Konferenz 1992 in Rio de Janeiro entwickelt und bietet einen Leitfaden für nachhaltige Entwicklung. Sand in Taufers möchte außerdem die erste CO2-neutrale Gemeinde Südtirols werden. Es geht dabei darum, Energieeinsparung durch Wasserkraft zu erlangen, KlimaHaus-Standards bei Gebäuden umzusetzen oder Fotovoltaik bei der Straßenbeleuchtung zu nutzen. Südtirol ökologisch bereisen

Anreise von Verona aus, eingepfercht in einem überfüllten Zugabteil. Ein Herr mit Skiern steht neben mir. Eine italienische Familie mit Kindern und Nonna. Sie tragen Weihnachtsmützen und wollen zum Christkindlmarkt. Reise in Richtung Norden, Blick zum Fenster hinaus, auf den kilometerlangen Stau auf der Brennerautobahn. Über die Autobahn in die Berge, mit dem Sessellift über abgeholzte Hänge auf die Gipfel – sind „Öko“ und „Urlaub“ und „Südtirol“ nicht alles Widersprüche in sich? In Bozen leert sich das Abteil, endlich ein Sitzplatz, in Franzensfeste, einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt im Brennerverkehr, klappt das Umsteigen problemlos. Aber das ist es ja nicht, was mich die ganze Zeit gestresst hat. Es war die Unge­wissheit, die Befürchtung, dass das Umsteigen nicht klappen könnte. Bei meiner Ankunft im Design­hotel Feldmilla ist es schon längst dunkel. Südtirol ökologisch bereisen heißt: langsam reisen, mögliche Umwege und Verzögerungen gelassen in Kauf nehmen. „Urlaub mit gutem Gewissen“, so steht es in den Prospekten von Feldmilla. 2011 zum ersten klimaneutralen Hotel Süd­ tirols ausgezeichnet. Seit 1939 im Besitz eines hauseigenen Wasserkraftwerks. Das Heizsystem basiert auf Wärmepumpen und Biomasse aus dem Fernheizwerk. Die nicht vermeidbaren CO2-Emissionen werden durch Emissionszertifikate ausgeglichen. Zudem wird der Bau eines Wasserkraftwerks in Guatemala unterstützt.

Lenz Koppelstätter


Die Zimmer sind mit Nussholz aus dem Tal ausgestattet und außerdem die ersten Clean-Air-Zimmer Italiens: Das sind Zimmer mit einer von Schadstoffen unbelasteten Raumluft. Abendessen im Speisesaal. Die Küche setzt auf regionale Produkte, sagt die Juniorchefin Ruth Leimegger. Äsche statt Thunfisch. Milch aus Süd­ tirol statt aus Österreich – auch wenn das teurer ist. Das Lamm, das ich esse, kommt von einem Bauern aus dem Ahrntal. Und wenn der Seniorchef Wild schießt, dann kommt es hier auf den Teller. Schwierig ist es gewesen am Anfang, sagt Leim­egger. Einigen Stammgästen hat es nach dem Umbau nicht mehr gefallen. Zu modern. Zu wenig dem Klischee des urigen Südtirol entsprechend. Ob viele mit dem Zug anreisen? Ach, sagt sie. Vor einem halben Jahr hat sie mit einem solchen Angebot locken wollen. Wer mit dem Zug anreist und mindestens zwei Nächte bleibt, bekommt eine Nacht geschenkt. Und? Ein Anruf, sonst nichts. Südtirol ist nach wie vor ein Autofahrerland. Schlaflos im Bett. Nachdenken: Nachhaltige Öko­ urlaube sind die Inszenierung eines Traums. Aber ist Urlaub das nicht immer? Wenn man in Ägypten am Strand liegt, während in Kairo der Kulturkrieg tobt? Man strandet auf einer kleinen, oft teuren Insel, abgeschirmt von der Wirklichkeit. Im Traum kann man das Ökogewissen baumeln lassen. Drumherum wartet die Massenabfertigung, neben dem Zug fährt die Autobahn, neben dem Biorestaurant steht die Frittenbude. Wirtschaftlich rentabel

Der nächste Morgen. Die Sonne scheint. Eigentlich bestes Skifahrwetter. 98 Prozent der Südtiroler Skigebiete, so steht es im Netz, werden mit Strom aus Wasserkraft betrieben. Auch das Wasser für den Kunstschnee gelangt in den natürlichen Kreislauf zurück. Zum Beispiel das Ski­ gebiet Schnalstaler Gletscher. Ein Blockheizwerk und ein Wasserkraftwerk liefern den für die Lifte nötigen Strom, in Spitzenbetriebszeiten wird nur erneuerbare Energie dazugekauft. Ein bisschen Skifahren in den Alpen in Zeiten, in denen in Dubai oder Gelsenkirchen Skihallen stehen, das kann doch nicht so schlimm sein? Südtirol ökologisch bereisen heißt: Abwägen. Kompromisse schließen. Die Balance halten. Auch mal ver­

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zichten. Das Schnalstal ist weit weg. Zumindest wenn man kein Auto hat. Es muss auch gar nicht Skifahren sein. „Schauen Sie sich unsere Wasserfälle an“, sagt die Juniorchefin. Ich stapfe durch den Schnee, den Wald hinauf. Plötzlich, der Weg biegt um die Ecke, ich stehe auf einer schmalen Holzbrücke. Die Gischt weht mir ins Gesicht, rundherum ist alles in meter­ dickes Eis erstarrt, weit und breit kein Mensch. Die Wasserfälle grollen, ich mittendrin. Ich beneide sie nicht, die Skifahrer, die sich jetzt durch den Pistenverkehr zwängen, ich beneide sie nicht, die ChristkindlmarktBesucher, die sich jetzt in der Glühweinschlange auf die Zehen treten. Südtirol ökologisch bereisen heißt auch: Orte ent­decken, an denen man mit dem Auto wohl vorbeigefahren wäre. Zum Abschluss noch mit dem Bus ins nahe Städtchen Bruneck. Die Wasserfälle haben hungrig gemacht. Ein bisschen herumfragen. Im Geschäftslokal „PUR Südtirol“ gebe es ausschließlich Südtiroler Produkte, sagt man mir. Wieder so eine Insel. Hier gibt es Käse, Salami, Wurzen und Ragout vom Schaf aus der Gemeinde Villnöß, Topflappen und Flaschenkühler aus der Wolle derselben Schafe. Die Geschenkkörbe sind umweltfreundlich verpackt in Holzkisten, die in der Sozialwerkstatt von Latsch bei Meran gefertigt wurden. Bestellt man ein Marende-Brettl, dann fließt das Geld in ein Hilfsprojekt nach Ostafrika. Das Glas Wein ist getrunken, der Bauerntoast gegessen. Ein Resümee: eine Zugfahrt im überfüllten Waggon, eine erholsame Nacht im klimaneutralen Hotel, eine idyllische Wanderung, eine Südtiroler Marende. Feldmilla, Sand in Taufers oder die „Alpine Pearls“-Gemeinden sind Beispiele, die zeigen, dass sich Ökotourismus in Südtirol durchaus wirtschaftlich rentiert. Was fehlt, ist ein regional übergreifendes Konzept, das die Marke „Südtirol“ um den Aspekt „Ökologisches Reiseland Südtirol“ erweitert, das dem ökologisch gesinnten Reisenden das Angebot auf einen Blick nahelegt und ihm die naturgemäß erschwerte Anreise- und Aufenthaltsplanung erleichtert. Und: das ihn in naher Zukunft vergessen macht, dass Südtirol einmal ein Reiseland für Autofahrer war.

Lenz Koppelstätter (*1982), Journalist in Berlin, schreibt vor allem für das Stadtmagazin „zitty“ und den „Tagesspiegel“.

Leben  Die Möglichkeit einer Insel


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Lenz Koppelst채tter


Donatella Pavan

Der Freigeist

Fotos — Claudia Corrent

Alois Lageder produziert internationale Spitzenweine und ist Präsident des Ökoinstituts in Bozen. Der Weinbauer lebt und arbeitet naturnah, er betreibt bio­ dynamischen Weinanbau. Der Kunstförderer hat „Nord & Süd“ verraten, warum das so ist, warum er die Synthese zwischen Wein, Musik und Nachhaltigkeit zum Leitmotiv seines Lebens gemacht hat und was guten Wein ausmacht.

Es ist ein kleines Paradies auf Erden, wo sich die Kunst mit der Musik und mit der Sorge um Nachhaltigkeit vereint. Dessen Lebenselixier, der Qualitätswein, entsteht aus der Liebe für das Land und aus der Achtung für Mensch und Natur, ganz so, wie Rudolf Steiner es lehrte. Der Sitz des Weingutes Alois Lageder – alle erstgeborenen Söhne heißen seit fünf Generationen Alois – befindet sich in Margreid südlich des Kalterer Sees in der Provinz Bozen. Wie lebendig der Einfluss der Familie Lageder auf das kleine mittelalterliche Dorf ist, zeigt sich in der geglückten Verschränkung von dessen gotisch-barocken Gebäuden und Gassen mit der modernen, in Glas und Holz gebauten Kellerei, die dank einer 250 Quadratmeter großen Fotovoltaikanlage seit 1996 energieautark ist. Das Wechselspiel zwischen sorg­fältig ausgewählten Kunstwerken und moderner Architektur macht das Gutsgebäude einzigartig: Von Rolf Disch, dem Gestalter von Heliotrop im Stadtviertel Vauban in Freiburg, ist der Wintergarten mit dem gläsernen Dach, das in der warmen Jahreszeit geöffnet werden kann. Eine zentral im Gebäude gelegene, von Christian Philipp Müller konzipierte Installation besteht aus drei Glasquadern, die das Erdreich und die natürlich darin vorkommenden Pflanzen von den drei Weinbergen Löwengang, Römigberg und Lindenburg enthalten. Ebenso eindrucksvoll ist die Gestaltung des Kellers, dessen Hightech-Standard zwar an Cape Canaveral erinnert (1 Million Flaschen werden hier im Jahr produziert), dessen poetische Ausdruckskraft aber dennoch fasziniert. In jenem Teil des Kellers, in dem die Weine zur Reifung ­lagern, ertönt immer dann eine musikalische Klangfolge, wenn draußen der Wind ein winziges Windrad bewegt: Es ist eine Installation von Matt Mullican mit dem Titel „Wiegenlied für Barrique und Streicher“. Das Gut ist einen Besuch wert und mit ein bisschen Glück führt Sie vielleicht Alois Lageder persönlich durch sein Weingut. Für „Nord & Süd“ hat sich der Hausherr Zeit für ein Interview genommen. D P (Donatella Pavan) — Sie sind die fünfte Generation eines Winzergeschlechts. Woher kam der Wunsch, auf Biodynamie umzustellen? A L (Alois Lageder) — Das ist eine natürliche Entwicklung; jedes Familienmitglied beschreitet sein Stück des Weges. Die Richtung ist mir von meinen Eltern mitgegeben worden. Meine Mutter hat bei der Gartenarbeit immer die Grundsätze des Philo­ sophen Rudolf Steiner und jene von Maria Thun, die für ihren Saatkalender im Jahreslauf der Gestirne berühmt ist, berücksichtigt. Für sie war das ganz selbstverständlich. Als ich dann an der Reihe war, begriff ich, dass der herkömmliche Weinbau nicht meine Welt sein konnte. Vorher waren die Weinberge verstreut und ich habe sie danach um Margreid herum zusammengelegt. 1990 haben wir mit den ersten Experimenten begonnen: Wir haben chemische durch biodynamische Stoffe ersetzt, wobei die ersten Alois Lageder: „Der herkömmliche Weinbau konnte nicht meine Welt sein."

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Leben  Der Freigeist


Der biodynamische Anbau Die biodynamische Anbaumethode geht auf die 1920er-Jahre und auf Rudolf Steiner, den Begründer der Anthroposophie, zurück und ist Teil einer philosophischen Denkordnung. Bei der Biodynamie geht es um eine ganzheitliche Sichtweise des Betriebes: Er steht in einer Wechselbeziehung mit der Erde und mit dem Kosmos. Alles wird in Beziehung zueinander angesehen, wobei jedes Element ein lebendiger Organismus ist: die Pflanze, der Boden, das Tier ebenso wie der landwirtschaftliche Betrieb selbst. Große Bedeutung haben die Mondphasen und die Dynamisierung der Produkte. Es gelten ähnliche Prinzipien wie in der Homöopathie: Es geht darum, die vitalen Kräfte zu bündeln und sie dem Produkt zuzuführen. Man verwendet winzige Dosen einer Substanz, löst sie in Wasser auf und versprüht sie. Um den Produkten Einblicke in das Innenleben des historischen Ansitzes des Weingutes Alois Lageder

Vitalität zu verleihen, verwendet man auch Präparate, die die drei Welten enthalten: die tierische, die pflanzliche und die mineralische. Der Kuhhorndünger zum Beispiel ist Kuhmist, der in ein Kuhhorn gefüllt wird und nach dem 23. September in der Erde vergraben wird. Wenn er im April wieder aus dem Boden geholt wird, werden damit in homöopathischen Dosen – 90 g für 130 ml Wasser – die Pflanzen gedüngt.

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Donatella AutorPavan


Ergebnisse enttäuschend waren. Mit der Zeit haben wir verstanden, dass die Lösung in der natürlichen Beschaffenheit des Habitats besteht, dass es wichtig ist, jenes Saatgut zu verwenden, das bereits in der Natur vorhanden und mit ganz eigenen Funktionen ausgestattet ist, die wir für unsere Pflanzen nutzen können: die Brennnessel, um das Gleichgewicht des Bodens wieder herzustellen, die Gerste, um den Boden trocken zu halten. 2007 war die Umstellung aller Böden abgeschlossen. Wir bewirtschaften circa 50 Hektar an Weingütern und zusätzlich einige Obstgüter – alles biodynamisch. D P — Der Wein wird zum Teil aus eigenen Trauben und zum Teil aus jenen von kleinen lokalen Weinbauern gekeltert. Wie muss man sich das vorstellen?

zum Keltern dem größeren Nachbarn, der die nötigen Geräte hatte und der wiederum den Wein an die Gast­häuser der Umgebung verkaufte. Wenn die Leute im Sommer in die Sommerfrische kamen und in den Gasthäusern einkehrten, begann der „Weinritt“, die Runde bei den einzelnen Kunden, um das Geld zu kassieren. Man setzte sich rund um einen Tisch und rechnete ab. Auch wir machen das noch so, im gegenseitigen Vertrauen zueinander, die Bauern uns gegenüber, weil wir sie bezahlen, sobald wir selbst kassiert haben, und wir ihnen gegenüber, weil wir davon überzeugt sind, dass sie alles tun, was in ihren Möglichkeiten steht, um uns qualitativ hochwertige Trauben zu liefern. Bezahlt wird an vier festgelegten Tagen: am 2. Februar zu Maria Lichtmess, am 23. April zum heiligen Georg, am 25. Juli zum heiligen Jakob; saldiert wird am 11. November, dem Martinstag.

A L — Unsere Kellerei wird von circa 100 kleineren Weinbauern beliefert; mein Traum ist es, dass sie alle den Weg des biodynamischen Anbaus einschlagen. D P — Das Leitmotiv Ihres Lebens ist eine Synthese aus Ein Dutzend ist bereits umgestiegen, woraus ApolloWein, Kunst/Musik und Nachhaltigkeit. Warum die Verbinnia entstanden ist, ein Blauburgunder, der erste biodung dieser drei Bereiche? dynamische Alois Lageder, der zu 100 Prozent nicht aus eigenen TrauA L — Ich habe nicht ben besteht. Die bewusst versucht, Leute haben erdiese drei Bereiche kannt, dass unsere miteinander zu verbinReben anders sind: den, sondern das InterSie haben mehr esse für das eine Kraft, mehr Lebensführte wie selbstverund Leuchtkraft. ständlich zum andeIch bin ein Anhänren. Man sagt ja, dass ger der anthroposoder Wein eine Kunst phischen Philosoist, weil es viel Sensiphie und will mich bilität im Umgang auch gerne dafür damit erfordert. Die verwenden, diese Kunst und die ArchiLehre zu verbreiten. tektur helfen uns, unSeit ich mich mit sere Kreativität zu dem biologisch-dyerkennen und nachzunamischen Anbau denken, aber auch Das Weingut des erfolgreichen Weinproduzenten liegt im idyllischen Margreid beschäftige, spüre Freude zu empfinden: im Südtiroler Unterland ich, dass ich etwas Ein Kunstwerk, das tiefer in das Unterbewusstsein und in die göttliche uns gefällt, schenkt uns Harmonie. Ich umgebe mich Schöpfung eingetaucht bin, und empfinde eine große mit schönen Dingen, weil ich ihre Harmonie spüre, Genugtuung, mich mit den Da­seinsgründen des Mendas ist wichtig, es ist die Grundlage von allem, und es schen auf dieser Erde auseinanderzusetzen. Seit 1. ist auch das, was beim konventionellen Anbau verJanuar 2013 arbeitet Georg Meissner, ein junger Exnachlässigt worden ist, während der biodynamische perte für Biodynamie aus Deutschland, mit uns; mit Anbau von der Harmonie der Pflanze und zwischen ihm werden wir ein neues Standbein schaffen, und den Pflanzen spricht. Nachhaltigkeit hat immer mit zwar das der Fortbildung. Harmonie zu tun, mit der Harmonie zwischen Mensch und Natur. D P — Wie ist die Zusammenarbeit mit den kleinen Produzenten geregelt? D P — Wann haben Sie begonnen, sich mit Kunst zu beschäftigen? A L — Wir halten uns an eine althergebrachte Praxis: Bis vor nicht allzu langer Zeit besaßen viele Bauern A L — Die Dinge entwickeln sich nach und nach, der nur wenig Grund und gaben deshalb ihre Trauben Grundstein für das Interesse an der Musik oder der

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Leben  Der Freigeist


D P — Ihr Umgang mit dem Weinberg, mit der Kunst, mit der Musik erinnert an die Ambitionen eines Renaissancefürsten. Wie würden Sie sich bezeichnen: als Künstler, als Unternehmer oder als Freigeist? A L — Freigeist gefällt mir am besten. Wichtig ist, alle Lebensbereiche einzubeziehen, sich der Wechselwirkung zwischen Mensch, Tier, Landwirtschaft und Technik bewusst zu sein. Dadurch erfahren wir das Leben in seiner Vollständigkeit, in einer erweiterten Perspektive. D P — Sie arbeiten an einem Wein ohne Sulfate?

Kunst wird in der Familie gelegt. Ich erinnere mich an die ersten Konzerte mit meinem Vater, das erste war „Peter und der Wolf“ – noch heute trällere ich die Melodie, wenn ich guter Dinge bin. Den Zugang zur bildenden Kunst hat mir mein Schwiegervater eröffnet, der ein großer Sammler ist. Vor rund zehn Jahren, als die Kunst immer mehr zu einem Statussymbol wurde und man nicht mehr über Kunst, sondern nur mehr über Geschäfte sprach, habe ich mich mehr der Musik, meiner ersten großen Leidenschaft, zugewandt. Seit vielen Jahren organisieren wir im Sommer im Innenhof unserer Vinothek Paradeis Konzerte. VIN-o-TON etwa ist den jungen Komponisten gewid-

A L — Das ist noch im Werden, wir haben erste Versuche gemacht. Unser Ziel ist es, Weine ohne Sulfate zu produzieren, die aber die Charakteristika unserer Weine beibehalten. Ein Aspekt, der mich sehr interessiert, ist die heilende Wirkung des Weins, daher könnte es statt dem mit Alkohol vergorenen Saft der Traubensaft selbst sein, an dem es sich zu experimentieren lohnt. Der Traubensaft ist ein Nektar und so war es am Anfang des 20. Jahrhunderts sehr beliebt, zur Vernatsch-Traubenkur nach Meran zu fahren. Der Alkohol ist zwiespältig, sowohl positiv als auch negativ. In früheren Zeiten trank man nur zu seltenen Anlässen, um sich zu berauschen, um die Zukunft vorauszusehen, erst später begann man, ihn übermäßig zu konsumieren. Diese Dinge sollte man wissen. Den Geist des Weines muss man hoch schätzen, er ist wertvoll. Und auf die wertvollen Dinge muss man gut achten und sie sparsam einsetzen. D P — Kürzlich hat Ihr Betrieb einige wichtige Anerkennungen erhalten, unter anderem die höchste Auszeichnung des Weinführers Slow Wine sowie fünf Sterne des FalstaffWeinguide Österreich/Südtirol 2012. Was macht einen guten Wein aus? A L — Unter dem önologischen Gesichtspunkt spielen jene Weine in der ersten Liga, die einen starken Charakter haben, zum Beispiel eine kräftige Duftnote. Zum Essen schätzen wir eher solche Weine, deren Flaschen bei Tisch leer werden, das heißt, von denen man gern noch ein zweites Glas trinkt und die einem trotzdem nicht den Mund oder den Gaumen verschließen, weil sie harmonisch sind. Die biodynamischen Weine sind nicht unbedingt besser als andere Weine, doch sie haben eine positive Energie, die wir unbewusst wahrnehmen, davon bin ich überzeugt.

In der hauseigenen Vinothek Paradeis finden auch Konzerte statt

Donatella Pavan (*1960), freie Journalistin mit Schwerpunkt Umwelt, schreibt unter anderem für die Tageszeitungen „Il Fatto

met, wobei wir jedes Jahr einen Komponisten mit einem neuen Werk beauftragen, dessen Uraufführung dann im Weingut stattfindet.

Quotidiano” und „La Repubblica” sowie „Io Donna” (Beilage „Corriere della Sera”). Übersetzung: Alma Vallazza

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Donatella Pavan


Birgit Schönau

Zum guten alten Catenaccio ge-

land und Italien wieder hervorgeholt wird.

Klassenprimus gegen Angsthase

Und natürlich auch beim Pokalfinale – zu-

sellten sich flugs die Wörter „Krise“ und

letzt 2010 beim Champions-League-End-

„Abgrund“: Italiens Fußball in der Krise,

spiel zwischen Bayern München und Inter

der Calcio am Abgrund. Überschuldete

Mailand. Die Deutschen pflegen gegen

Klubs und marode Stadien, Schiedsrich-

italienische Mannschaften gemeinhin zu

termanipulation, Wettskandale und Hooli-

verlieren, da garantiert ihnen der Griff in

gans-Randale – die Medien in Deutsch-

die Klischeekiste wenigstens die Illusion

land übertrafen sich mit apokalyptischen

eines moralischen Siegs. Denn der „Ca-

Szenarien. In keinem anderen europäi-

tenaccio“ ist in deutschen Augen eine

schen Land befasst man sich derart ein-

moralisch verwerfliche Spieltaktik, eine

gehend mit den Problemen des italieni-

Art „Angsthasenfußball“, unmännlich und

schen Fußballs. Um nicht zu sagen: ge-

unehrlich. Hinten alles abriegeln und nur

nüsslich. Denn ein bisschen Schaden-

darauf lauern, wann man gegen den wa-

freude ist immer dabei.

cker kämpfenden Gegner hinterlistig kontern kann – das hat der liebe Gott mit Fußballspielen nicht gemeint, wie es einmal ein deutscher Fernsehkommentator formulierte. Manchmal scheint es, als sei der Fußball für die Deutschen eine moralische Anstalt: Haben unsere Jungs auch genug gegeben? Schön gespielt? Bis zum Schluss gekämpft? Hätten sie nicht eigentlich verdient zu gewinnen? Ach was,

Illustration — Gino Alberti

verdient … Italiener haben den Spruch geprägt: „Der Gegner hinterließ einen hervorragenden Eindruck und drei Punkte.“

Wenn man Nationaltrainer Cesare Prandelli fragt, ob die Squadra Azzurra eigentlich noch italienisch spielt, erntet man

Auf dem Platz arbeitet sich Deutschland an Italien ab

einen erstaunten Blick. „Wir spielen modernen Fußball“, sagt Prandelli dann. Und

Deutsche neigen zu romantischem Ehr-

die Deutschen? „Die natürlich auch. Mehr

geiz: Sie wollen nicht nur immer die Bes-

noch, die Deutschen sind Fußball-Avant-

ten sein, sondern dafür vom Gegner noch

garde.“ Also offensiv und risikobereit, mit

bewundert werden. In vielen Bereichen

kurzen Bällen und langem Atem. Wem

gelingt das, vor allem in der Wirtschaft.

das spanisch vorkommt, der hat Recht.

Italienern hingegen ist die Romantik

Italiener partout nicht untergehen. Sicher,

Denn Spanien ist im globalisierten Fuß-

ebenso fremd wie der Ehrgeiz, immer

es gab da einmal ein Juventus–Bayern 1:4,

ball für alle das Modell, und die nationa-

Klassenbester zu sein. Sie sind anpas-

2009, in der Champions-League-Gruppen-

len Schulen sind von gestern. Schließlich

sungsfähige Pragmatiker. Ihre Wirtschaft

phase. Aber für die deutsche National-

geht es nicht darum, auf dem Platz folklo-

hat im Moment Probleme, die Politik ist

mannschaft folgte auf das WM-Halbfinale

ristische Traditionen zu zeigen, sondern

auch nicht so richtig vorbildlich. Aber im

2006 das EM-Halbfinale 2012. Und die

man will gewinnen. Genauso wie Holland

Fußball, da kann es der italienische Prag-

Bayern verloren nach dem Finale gegen

keinen „Totaalvoetbal“ mehr zelebriert,

matismus immer noch weit bringen.

Inter mit dem portugiesischen Trainer

In Deutschland betrachtet man

hat Italien den „Catenaccio“ in die Mot-

Nur auf dem Platz, da wollen die

Mourinho das Finale gegen Chelsea mit

tenkiste gepackt. Und England? Nun,

dieses Paradox mit Argwohn. Über Jahr-

dem italienischen Trainer Di Matteo. Aller

England hatte mit Fabio Capello sogar

zehnte regten sich Presse und Vereins-

Fleiß und Einsatz halfen wieder nichts.

einen italienischen Nationaltrainer. Es ist

präsidenten darüber auf, dass sich die

eben im Fußball wie im richtigen Leben,

italienischen Klubs nur dank ihrer kreati-

Deutschland an Italien ab. Ansonsten gilt

alles verändert sich und wird immer ein

ven Buchführung tolle Mannschaften mit

das Gegenteil. Nicht zuletzt deshalb wer-

bisschen schneller. Nur die Klischees, die

Spitzenspielern leisten konnten. Als die

den Siege auf dem Fußballplatz über die

kommen da offensichtlich nicht mit.

Uefa das Finanz-Fair-Play einführte,

als übermächtig empfundenen Nachbarn

lehnten sich die Deutschen zurück: Seht

als besonders erhebend empfunden. Nach

sonders hartnäckig. „Catenaccio“ ist im

her, wir haben schon immer unsere Haus-

dem Motto: Wir sind kleiner, wir sind är-

Deutschen so gebräuchlich wie „Spa-

aufgaben gemacht. Die Italiener werden

mer, aber auch flexibler und schneller und

ghetti“ und „Cappuccino“, ein Wort, das

jetzt sehen, was sie von ihrer Prasserei

damit schaffen wir die crucchi immer

zu jedem Länderspiel zwischen Deutsch-

haben.

noch (crucchi ist das Kosewort für Deut-

Und im Fußball halten sie sich be-

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Im Fußball arbeitet sich also

Leben  Klassenprimus gegen Angsthase


Alfred Dorfer

sche). Die Kunst des Sich-Arrangierens ist den Italienern, was das Streben nach Perfektion den Deutschen ist: Klischee, Mythos und Antrieb zugleich.

Integrationskraft der Nationalmannschaft Und natürlich können beide voneinander lernen. Der italienische Klubfußball ist noch immer feudalistisch organisiert –

Heim zu Mutter

mit Klubpräsidenten, die sich wie Fürsten aufführen. Sie leisten sich eine Mannschaft, um ihr eigenes Ego und ihre Popularität zu stärken und behandeln ihre Fans nicht wie Kunden, sondern wie Untertanen. Deshalb halten sie es für unnötig, etwa in moderne Stadien zu investieren. Was dazu führt, dass Italiens Fuß-

Illustration — Laura Jurt

ballarenen zu gespenstisch anmutenden Kulissen mit leeren Rängen degenerieren. Aber der Ruf nach familienfreundlichen Stadien „wie in Deutschland“ wird unter Trainern, Spielern und Tifosi immer lauter. Juventus Turin hat mit dem neuen Juventus-Stadion einen Anfang gemacht

Ü b

und siehe da: Die Arena des Rekordmeisters ist immer ausverkauft. Umgekehrt führt Italien Deutsch-

e

land gerade vor, wie stark die Integrati-

r

onskraft einer Nationalmannschaft sein

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kann. Nicht nur, weil hier wie dort Fußballer mit Migrationshintergrund spielen – in Italien etwa der aus Ghana stammende

t

Mario Balotelli und der Italo-Ägypter Ste-

z

phan El Shaarawy. Die Squadra Azzurra

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hat mit einer Vielzahl von Aktionen gesellschaftlich Stellung bezogen. Mal trainierte sie auf einem Platz, der vormals einem Mafiaboss gehört hatte, mal protestierte sie gegen die Gewalt gegen Frauen. Und Trainer Cesare Prandelli verurteilt öffentlich Rassismus und Homophobie, für das Buch eines Homosexuellen-Aktivisten verfasste er das Vorwort. Zu zeigen, dass eine Nationalmannschaft mehr sein kann als ein kommerzieller Werbeträger, dass die Spieler mehr soziale Verantwortung haben als auf dem Platz zu gewinnen – das ist das Verdienst der Azzurri, fern aller Klischees.

Birgit Schönau (*1966), Italienkorrespondentin für die „Süddeutsche Zeitung” und „Die Zeit“. Buchveröffentlichung zum Thema: „Calcio – Die Italiener und ihr Fußball“, Kiepeneuer & Witsch, 2005.

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Mütter haben es oft schwer. Manche Kinder machen Sorgen, andere werden unartig oder lösen sich gar ab. So schmerzvoll diese Trennung ist, eine gute Mutter sieht das nach und wird wohl immer für den Sprössling da sein. In einer ähnlichen Rolle sieht sich Österreich im Verhältnis zu Südtirol. Nun kann man nicht behaupten, Südtirol wäre unartig gewesen, aber ein Teil von Italien ist es aus österreichischer Sicht natürlich nicht. Ein historischer Irrtum will es, dass es südlich des Brenners plötzlich Schilder in italienischer Sprache gibt oder Carabinieri auf der Autobahn ihr Unwesen treiben. Natürlich schmeckt uns Österreichern der Kaffee und der Wein, doch das kann uns nicht davon abhalten, uns in Tirol zu wähnen, das lei oans isch. Jüngst traf es das Mutterherz gewaltig, als ein italienischer Politiker verlautbarte, diese Heimatprovinz der Kaiserjäger bedürfe nicht mehr der Schutzmacht Österreichs. Sofort warf sich in Wien der Bundeskanzler mit seiner typischen Verve in die Bresche und versicherte, Südtirol könne immer auf Österreich zählen. Es werde seine Autonomie schützen, jawohl! Große Erleichterung in Bozen war die Folge. Wohl wissend, dass das österreichische Bundesheer zu den ­gefürchtetsten Armeen in Europa zählt. Im Inland auf je­ den Fall, da jedes Manöver höchste Gefahr für die Bevölkerung bedeutet. Zudem soll, Berufsheer hin oder her, mehr Professionalität in diese Elitetruppe einkehren. Aber was, wenn nun italienische Soldateska, ihre blutrünstige Fratelli d'Italia-Nationalhymne auf den Lippen, in das heimliche zehnte Bundesland einfiele? Da wären plötzlich unsere Streitkräfte bitter nötig. Eine Wehrmacht, die auch in der Lage wäre, die frechen Invasoren wieder aus den idyllischen Bergdörfern zurück in die öde Ebene des Po zu jagen. Vielleicht müssten starke Garnisonen eine Zeit lang an den Alpengrenzen stationiert bleiben, um neuerliche Aggressionen schon im Keim zu ersticken. Denn wer weiß, wonach es hinterlistige Eidgenossen gelüstet? Oder gar das expansionswütige Liechtenstein? Da wird das

Birgit Schönau   Alfred Dorfer


Freiwilligen-Kontingent der Tiroler Schützen, bei allem Sandwirt-Mut, allein nicht ausreichen. Jetzt mehren sich allerdings die Gerüchte, wonach die Italiener längst in Südtirol eingedrungen wären. Das hat unser Bundeskanzler

nicht bedacht. Doch wir wissen seit den Staatsvertragsverhandlungen mit den Russen, dass die List auf unserer Seite ist. Wenn es mit militärischen Mitteln nicht gelingen soll, dann eben anders. ­Romantiker meinen ja, gerade Südtirol wäre ein ideales Land, um Italienisch richtig zu lernen. Aufgrund der zweisprachigen Beschriftungen. So liest man auch etwas ­ausgefalleneres Vokabular wie seggiovia (Sessellift) oder ­bastoncino degli sci (Skistock). Zwei Wörter, deren Be­deutung etwa der Kalabrese im italienischen Süden nicht einmal in der eigenen Sprache kennt. Aber eben diese Zweisprachigkeit ist unsere Chance. Klingt paradox, ist aber wahr. Man braucht dazu nur eine große Menge Filzstifte, die locker aus Wien über das ungesicherte Südtiroler Pustertal eingeschmuggelt werden. Als deutsche Urlauber verkleidete österreichische Zivildiener – also mit Schnauzbart, Bauch und Bierflaschen – werden zunächst kleine Änderungen in den italienischen Aufschriften der Schilder anbringen: Zum Beispiel über­malen sie mit weißem Abdeckstift am Wortende eines Ortes jedes O, wie bei Brennero oder Merano. Brunico wird zu Brunic. Wobei man hier aufpassen muss, dass nicht der Slowene plötzlich Ansprüche auf diesen Ort erhebt und auf Brunitsch pocht.

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Als deutsche Urlauber verkleidete ­österreichische Zivildiener übermalen auf den Hinweisschildern mit weißem Abdeckstift am Wortende eines ­Ortes jedes O, wie bei Brennero oder Merano. Brunico wird zu Brunic. Wobei man hier aufpassen muss, dass nicht der Slowene plötzlich ­Ansprüche auf diesen Ort erhebt und auf Brunitsch pocht. Und schließlich aufgrund der reichhaltigen Erfahrung, die wir Österreicher aus Kärnten haben, erfolgt ein nächtlicher Austausch hin zu einsprachigen deutschen Ortstafeln oder Hinweisschildern. Der Italiener, gewöhnlich kein Frühaufsteher, wird die Veränderung erst zu Mittag bemerken. ­Danach folgt die typisch italienische Mittagspause. Wenn man diese Aktion im Winter macht, ist es zu dieser Tageszeit bereits finster. Und dann passiert gar nichts mehr. Am nächsten Tag dasselbe Spiel. Bald werden sich alle Italiener in diesem nur auf Deutsch ausgeschilderten Land nicht mehr zurechtfinden und Südtirol verlassen. Und höchstens zur Zeit der Weihnachtsmärkte zurückkehren. Wo sie mit ihren Pelzkragenkapuzen samt Daunen­ jacken durchgeschleust werden, um überteuerten Speck oder Lebkuchen zu kaufen. Da wiederum wäre eine zwei­ sprachige Beschilderung wegen des Profits allerdings ­anzuraten. Zum Schluss, nach einem kleinen „Obstlero“, wieder ab in den Bus in Richtung Vicenza oder so. Danach ist wieder Ruhe im deutschen Südtirol und man kann entspannt darüber reden, wann es endlich wieder ein Teil ­Österreichs wird. Heim zu Mutter quasi. Das ist doch sicher der größte Wunsch im ehemaligen Alto Adige, oder?

Alfred Dorfer (*1961), österreichischer Kabarettist und Schauspieler, Kolumnist für „Die Zeit“. Aktuelle Buchveröffentlichung: „Wörtlich. Satirische Texte“, Karl Blessing Verlag, 2007.

Leben  Heim zu Mutter


Toni Bernhart

Vom kürzeren Ende des ­Tages her Fotografie — Elisabeth Hölzl


Die Bewohner der 3.350-Seelen-­ Gemeinde Prad im Vinschgau am Fuß des Stilfser Joch versorgen sich schon seit Jahrzehnten selbst mit grünem Strom – und zahlen für die Kilowattstunde weniger als andere italienische Stromkunden. Und auch jetzt wollen sie wieder Pioniere sein: Als erste italienische Gemeinde bauen sie ein intelligentes Stromnetz auf, das die örtliche Nachfrage an elektrischer Energie darauf abstimmt, was Wasserkraft und ­Biogas gerade produzieren. Was macht diese Gemeinde und diese Menschen so besonders? Ein literarischer und fotografischer Blick auf Prad klärt auf. Ich sitze mit dir auf dem Berg. Du wickelst zwei dick­ wandige Punschgläser aus einem blau-weiß-karierten Geschirrtuch. Wir trinken den Punsch, den du in der Thermosflasche im Rucksack zusammen mit den Punschgläsern auf den Berg getragen hast. Es ist Winter, aber nicht kalt. Den Charakter eines Menschen kann man nicht ­ändern, sagst du, das geht nicht. Wer das will, kommt mit keinem mehr aus. Wir sitzen auf dem Berg und trinken Punsch, im Rücken die Mittagssonne, die tief am Himmel steht. Deshalb, sagst du, ist es dir wichtig, dass du reisen kannst und dein Hobby der Vogelbeobachtung pflegen, verschiedene ferne Weltgegenden hast du schon bereist und unterschiedliche Vögel gesehen und gehört. Es ist erstaunlich, sagst du, wie unterschiedlich sie singen, zwitschern oder schreien, als sprächen sie verschiedene Sprachen und verstünden sich trotzdem. Prad ist ein prächtiges Dorf, sagst du, während du uns ein zweites Glas Punsch aus der Thermosflasche in die Gläser gießt. Prad hat das größte Theater weitum. Das Publikum kommt von weither, in Bussen und mit der Bahn, aus dem ganzen Land und aus dem Ausland. Hier gibt es Theater nach jedem Geschmack, Opern, Musicals, die ­großen Dramen der Weltliteratur und avantgardistische Performances. Der Wettbewerb ist außerordentlich, sagst du, seitdem es zwei Ensembles gibt, deren Spielpläne den Vergleich mit den großen Bühnen Europas nicht zu scheuen brauchen. Die dänische Regisseurin, sagst du, hat ein kluges Händchen gezeigt, als sie das letzte Stück im Herbst nicht auf der großen Bühne, auch nicht im ­Studio, sondern im Apfelkühlhaus gezeigt hat. Du hältst dein Punschglas in das Licht der Sonne, das das Getränk glitzern lässt. Der Raum im Kühlhaus ist, sagst du, wie

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Leben  Vom kürzeren Ende des Tages her


Energieautarkes Prad. Weder Unternehmen noch der italienische Staat zeigten jemals Interesse daran, eine Energieversorgung in diesem abgelegenen Ort aufzubauen. So nahmen die Bewohner das selbst in die Hand. Mitte der 1920er-Jahre wurde das erste Wasserkraftwerk eröffnet, betrieben von einer kleinen Genossenschaft Daran sind heute fast alle Familien und Betriebe des Dorfes beteiligt. Mittlerweile versorgt ein grüner Mix aus Wasserkraft, Biomasse, Biogas und Sonnenenergie die Gemeinde komplett mit Strom und Wärme. Produktionsüberschüsse werden verkauft, der Erlös fließt zurück in die lokalen wirtschaftlichen Kreisläufe. Die Strompreise liegen derzeit 25 Prozent unter dem na­ tionalen Durchschnitt. Der ausgeklügelte rein regenerative Energiemix bescherte Prad 2010 den Sieg in der Champions-League europäischer Gemeinden bis zu 5.000 Einwohner

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Toni Bernhart und Elisabeth Hölzl


Elisabeth Pichler-Wellenzohn ist seit über 30 Jahren Sekretärin der „Energie-WerkPrad Genossenschaft“. Sie verwaltet auch die Schlüssel jener Mitglieder, denen neben einem haushaltsüblichen auch ein stärkerer 350-Volt-Stromanschluss zur Verfügung gestellt wird. Bei Bedarf wird der Schlüssel abgeholt, die zusätzliche Energiekraft genutzt, der Verbrauch abgelesen, der Anschluss verplombt und der Schlüssel wieder im E-Werk abgegeben

­ emacht für Theater, ein weißer Kubus ohne Fenster, fünfg zehn mal fünfzehn Meter in der Fläche und fünfzehn Meter hoch, so ein Würfel ohne Fenster passt für jedes Stück, egal, ob es ein altes oder neues ist, wie es ja auch ganz egal ist, ob man ein neues oder altes Stück spielt, sofern es mit der Zeit, in der es spielt, und mit der Zeit, in der wir leben, und du sagst, du meinst das ganz allgemein, klar und deutlich zu tun hat. Da spielt es überhaupt keine Rolle, ob die Banken und die Wirtschaft klar und deutlich angesprochen sind, auch die gegenwärtigen politischen und landwirtschaft­lichen Krisen spielen keine Rolle, weil die Gegenwart immer eine Krise ist. Du wunderst dich, sagst du, warum die Menschen verzweifeln, wenn der Strom ausfällt, du bist gerüstet mit Taschenlampen und Kerzen in jedem Raum. Es ist nicht gut, wenn jemand abhängig ist. Wer auf etwas wartet, ist abhängig. Nur wer nicht wartet, ist unabhängig. Und dann sagst du, vor dem Strom sind

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alle Menschen gleich. Dann schweigen wir ein Weilchen und lassen die Stille der Berge auf uns wirken. Wir hören nichts hier oben, weil Winter ist und die Murmeltiere schlafen. Prad hat den billigsten Strom in ganz Italien und ­Europa, und er ist deshalb kein schlechter, sagst du, ganz im Gegenteil. Er eignet sich vorzüglich zum Kochen und ­Backen, auch in der vegetarischen und sogar der veganen Küche, die vom progressiveren Flügel des Bäuerinnenverbandes vertreten wird, auch zum Güllerühren oder für das Betreiben von Betonmischanlagen ist der Prader Strom bestens geeignet. Was sein Temperament und seine Eleganz betrifft, sagst du, steht der Prader Strom dem Strom zum Beispiel aus sizilianischer oder südspanischer Pro­duktion in nichts nach, in gar nichts, ganz im Gegenteil, er übertrifft ihn noch um ein Vielfaches. Man hört das sofort, wenn man zum Beispiel Vorschlaghämmer, Schlag­bohr­maschinen

Leben  Vom kürzeren Ende des Tages her


Arbeiter in der Vergärungsanlage. Hier wird aus Gülle, Mist und Abfallobst Biogas gewonnen. Dieses gelangt über eine unterirdische Leitung zu zwei Fernwärmezentralen, wo es in Strom und Wärme umgewandelt wird

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Toni Bernhart und Elisabeth Hölzl


Macher und Visionäre. Toni Angerer (links oben) gehört zum Technikerteam, Martin Niederegger (Mitte unten) treibt die Energiewende technisch voran. Georg Wunderer, dessen Großvater zu den Energiepionieren des Dorfes gehört, ist der Geschäftsführer und Visionär der Energiegenossenschaft. Sein Rat ist international gefragt. Wunderers neuestes Projekt: Ein intelligentes Stromnetz, das jederzeit weiß, wie viel Strom gerade produziert wird und die Nachfrage daran anpasst

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Leben  Vom kürzeren Ende des Tages her


Heißes Wasser für die Waschküche des Campingplatzes Kieferhain. Mit Abfallholz aus Sägewerken und Hackholz, das zum Teil aus den umliegenden Wäldern stammt, werden drei Öfen beheizt. Das heiße Wasser fließt über ein rund 20 Kilometer langes Fernwärmenetz zu den angeschlossenen Gebäuden

oder Druckluftkompressoren betreibt, man sieht das sofort. Es ist ein Genuss, sagst du. Wir trinken darauf, stoßen mit den Gläsern aber nicht an, um die Bergesruhe nicht zu stören. Auch wenn das Theater hier in Prad vom Publikum gefeiert und von der Presse hoch gelobt wird, wenn es aber um die gesellschaftliche Relevanz geht, sagst du, wenn es also darum geht, was zählt in Prad und in der Welt, und du sagst, dass das ein für alle Mal gesagt sein muss, dann hat≈der Müll die größere Bedeutung. Der Müll fördert den Gemeinschaftssinn, sagst du. Das ist ein Phänomen, das es kein zweites Mal gibt, im ganzen Tal nicht, über das wir blicken, während wir sitzen, hier oben auf dem Berg, kein zweites Mal. Auch vor dem Müll sind alle Menschen gleich, sagst du. Wenn du jemanden treffen willst, sagst du, bringst du samstags deinen Müll zur Sammelstelle, da triffst du jeden, den du treffen willst, alle sind da, jeder

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bringt den Müll auf seine Weise, jeder bringt ihn so, wie er es am besten kann, ­manche mit dem Fahrrad, manche zu Fuß, die meisten im Auto oder mit dem Traktor. Auch eine Frau im Lamborghini war schon da, sagst du, sie hat drei Saftflaschen in die Glastonne geworfen. Es geht hier nicht um das Trennen oder Sammeln von Müll, das ist eine monastische und private Angelegenheit in den eigenen vier Wänden unter ­Ausschluss der Öffentlichkeit, was zählt, sagst du, ist das Hinbringen des Mülls, das Zusammenströmen der ganzen Dorfgemeinschaft auf dem Müllsammelplatz, der jeweils donnerstags am Nachmittag und samstags am Vormittag geöffnet hat. Du kannst dir vorstellen, sagst du, dass das ähnlich ist wie früher auf dem Kirchplatz, Menschen stehen zusammen in Gruppen und sprechen miteinander, die ganze Woche wird verhandelt, niemand ist eigentlich da wegen des Mülls allein oder der Sonntagsmesse, sagst du, und gießt uns heißen Punsch

Toni Bernhart und Elisabeth Hölzl


Lebendes Geschichtsbuch. Peppi Stecher betreibt seit 1946 ein Gemischtwarengeschäft an der Hauptstraße. Als das erste Wasserkraftwerk in Betrieb genommen wurde, war die heute über 90-Jährige vier Jahre alt

nach, der in der Wintersonne dampft. Du bringst gerne deinen Müll zur Sammelstelle. Manchmal, sagst du, bist du mehrere Stunden dort, ohne Müll wären wir allein, wir wären einsam und verlassen in unseren vier Wänden und hätten nichts, was wir mit den anderen teilen könnten. Wer es urbaner mag, sagst du, bringt seinen Müll nach Glurns. Die Sammelstelle dort ist rund um die Uhr geöffnet, an allen Tagen der Woche. Es ist dort alles wie in Prad, nur größer, heller und freundlicher. Es gibt Container für Flach- und Rundglas, differenziert nach vier Farben, für Hohlkörper mit oder ohne Deckel, Alteisen, Papier, Karton, Schaumstoffe, Hecken- und Rasenschnitt extra, altes Bratöl und Motorenöl, Fungizide, Herbizide, Pestizide, Kosmetika und Waschmittel, die auf einer besonderen mobilen Waage gewogen werden, Elektroschrott, Waschmaschinen, Kühlschränke und Röhrenbildschirme haben eigene se­ parate Abstellflächen, Bauschutt, Holzmüll mit oder ohne Eisenanteil und an drei Tagen in der Woche auch Tier­ kadaver. Auch die Müllsammelstellenmitarbeiter sind dort

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netter. Sie vermitteln allen das Gefühl, dass alle herzlich willkommen sind mit ihrem Müll und als Person. Das ist auch der tiefere Grund, sagst du, warum die Menschen den Müll lieber nach Glurns bringen statt nach Prad. Sonst könnte man den Müll ja einfach der Müllabfuhr überlassen, was aber niemand gerne macht. Auch du, sagst du, bringst lieber deinen Müll nach Glurns. Dort fehlt noch ein Café. Es ist sehr still hier oben auf dem Berg. Es wäre schön, wenn es bei der Müllsammelstelle ein Café gäbe, sagst du, man könnte sich noch besser unterhalten. Café Desire, sagst du, sollte es heißen, und zeichnest mit dem Punschglas in der Hand den Namen in großen Lettern in den Winterhimmel. Trotzdem, Prad ist schön, sagst du, denn der Gemeinsinn ist hier ausgesprochen ausgeprägt, ebenso die Liebe zu Gemeinsamkeit, Gemeinschaft und zu allem ­Gemeinsamen, auch wenn du lieber, wie du sagst, ferne Weltengegenden bereist und die Stimmen der Vögel hörst, die du verstehen kannst als weltumspannendes Netz. Alle ziehen gemeinsam am gleichen Strang, alle machen alles

Leben  Vom kürzeren Ende des Tages her


Wochenmarkt in Prad. „Prad ist schön, sagst du, denn der Gemeinsinn ist hier ausgesprochen ausgeprägt, ebenso die Liebe zu Gemeinsamkeit.“

gemeinsam hier in Prad, das ist schön, sagst du, man kann hier in Prad gar nichts machen, ohne dass immer alle gleich helfen wollen, auch wenn es darum geht, die Farbe der Vorhänge an den Fenstern der Hinterseite des Hauses zu wählen, immer sind alle da und denken mit. Deshalb treffen sich auch alle gerne beim Müll, sei es in Prad oder, weil es dort herzlicher zugeht, im urbaneren Glurns, und bald auch im Café Desire, das du eröffnen wirst. Weißt du, sagst du, während wir unser viertes Glas Punsch aus den dickwandigen Gläsern trinken, und blickst zu mir herüber, manchmal möchtest du auch im Sommer, wenn es sehr heiß ist, dampfenden Punsch aus dick­wan­ digen Gläsern trinken. Dann blickst du wieder geradeaus, während du weitersprichst. Es kann schon sein, sagst du, dass dann so etwas wie eine doppelte Hitze eintritt, Hitze von außen von der Sonne und Hitze von innen vom Punsch. Diese doppelte Hitze steigert sich zur Glut, die ei­nen frösteln macht. Dann ist es plötzlich wieder kühl. Dann sagst du eine Weile nichts.

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Wir haben noch die Gläser voll, sagst du. Wir trinken aus. Die Thermosflasche ist leer, sagst du, nachdem wir das vierte Glas Punsch getrunken haben. Du wickelst die zwei dickwandigen Gläser, die jetzt klebrig sind, in das blau-weiß-karierte Geschirrtuch und steckst sie zusammen mit der leeren Thermosflasche in den Rucksack zurück. Die Sonne steht noch am Himmel, aber schon tief, an diesem frühen Winternachmittag auf dem Berg.

Toni Bernhart (*1971), Literaturwissenschaftler und Theater­ autor in Berlin, seit 2008 Koordinator der Graduiertenschule für die Künste und die Wissenschaften an der Universität der Künste Berlin. Aktuelle Veröffentlichtung: „Das Laaser Spiel vom Eigenen Gericht“, Folio, 2010.

Toni Bernhart und Elisabeth Hölzl


Gustav Hofer

Stärkt die Kultur

„Rettungsroutine“ – dieser seltsame Be-

­Geschichten des Lebens erzählen und

griff wurde von der Gesellschaft für deut-

ohne Komplexe die Grenze zwischen Fik-

sche Sprache zum „Wort des Jahres“ ge-

tion und Realität verschwimmen lassen.

kürt, mit der Rechtfertigung, … es stehe

Das Fehlen an Geldgebern gibt den Fil-

für die immer wiederkehrenden Maßnah-

memachern die künstlerische Freiheit,

men zur Rettung des Finanzsystems.

sich nicht klassischen Formatvorgaben

Nun mag dieser Begriff für den keit darstellen, für Kulturschaffende in Italien ist die „Rettungsroutine“ jedoch eine gute alte Bekannte, deren Portemo­n­ naie allerdings in den Jahren immer dünner geworden ist. Tatsächlich sind die Förderungen im Mutterland der abendländischen Kultur in den vergangenen Jahren dahingeschmolzen wie Schnee in

Illustration — Gino Alberti

anpassen zu müssen. Finanzielle Mittel

deutschen Sprachgebrauch eine Neuig-

der Frühlingssonne. „Kultur macht nicht satt“, hat es der ehemalige Meister der kreativen Bilanzen Ex-Finanzminister Giulio Tremonti einmal auf den Punkt gebracht, als er die erneuten Kürzungen

Dabei bestätigten eine Reihe von Unter­ suchungen, dass gerade in ­Italien der Weg aus der Krise über die Kultur ­laufen müsste. Ein in Kultur investierter Euro bringt drei Euro Gewinn.

im Kulturhaushalt rechtfertigen sollte. Dabei bestätigten eine Reihe von Untersuchungen, dass gerade in Italien

von Fernsehsendern oder dem Kulturmi-

der Weg aus der Krise über die Kultur

nisterium sind in Italien Mangelware und

laufen müsste. Ein investierter Euro in

so trifft man auf den internationalen Film-

Kultur bringt drei Euro Gewinn – so das

märkten und Pitchings reihenweise italie-

Resultat einer Mailänder Studie. Die Rea-

nische Kollegen, die im Ausland jene fi-

lität schaut aber bisher anders aus, und

nanzielle Unterstützung suchen, die ihnen

daran hat auch die Übergangsregierung

in ihrer Heimat verwehrt bleibt. Italieni-

von Mario Monti nichts geändert. Den

sche Produzenten von Dokumentarfilmen

Kahlschlag im Kulturbereich hat die Re-

sind mittlerweile gern gesehene Gäste,

gierung der Techniker weitergeführt.

die den internationalen Markt oft besser kennen als die finanzierungsverwöhnten

Positive Lichtblicke

Kollegen nördlich der Alpen. Die Ein­ führung der Filmförderung der Business

2012 hat es trotz der finanziellen Schwie-

­Location Südtirol – Alto Adige (BLS),

rigkeiten durchaus auch positive Lichtbli-

die als Standortagentur Produktionen

cke gegeben. Das Filmjahr 2012 hat mit

auf Südtiroler Boden unterstützt, ist da-

einem unerwarteten Comeback begon-

bei eine Ausnahme und ein Hoffnungs-

nen: Die über 80-jährigen Gebrüder Tavi-

schimmer für hunderte Filmprofis, die

ani gewannen mit „Cesare deve morire“

südlich der Brennergrenze noch hoffen,

den Goldenen Bären auf der Berlinale.

Geld für ihre Geschichten zu finden.

Auch in Cannes ging das italienische

Während sich der Dokumentarfilm

Qualitätskino nicht leer aus: Matteo Gar-

in Italien an sein Stiefmütterchen-Dasein

rones „Reality“ heimste den Grand Prix

längst gewöhnt hat, war 2012 für den

ein und auf internationalen Festivals rund

italienischen Spielfilm ein hartes Jahr.

um den Globus füllten italienische Spiel-

Niedrigere öffentliche Förderungen sind

und Dokumentarfilme die Kinosäle.

dabei nur eines der Probleme. Vor allem

Bringt das Weniger an Ressourcen

das Sterben der Kinosäle und die sin-

also ein Mehr an Kreativität? Bewahrhei-

kende Zahl der Kinobesucher stellt die

tet sich das Klischee „Not macht erfinde-

Filmindustrie vor neue Herausforderun-

risch“?

gen, die Kreativität und Mut erfordern. Blickt man etwa auf den italieni-

schen Dokumentarfilm, erlebt man eine

Kultur als „Gut der Allgemeinheit“

lebendige Szene, mit Filmemachern, die

66

neue dramaturgische Wege einschlagen,

Das sind zwei Elemente, die die italieni-

auf unkonventionelle und frische Art

sche Theaterszene teilweise bereits um-

Leben  Stärkt die Kultur


M E H R O D E

gesetzt hat. Über Jahrzehnte wurden mit

R

öffentlichen Mitteln die immer gleichen

tor eines kriselnden Landes wie Italien

Regisseure und Produktionen überfinan-

werden soll, ist es unabdingbar, genau

ziert. Oligarchische Strukturen bestehend

diese Punkte in den Mittelpunkt zu stel-

aus einer Mischung aus Politik und Kultur

len. Gute Ideen und nicht gute Beziehun-

wurden so über Jahre gefestigt – mit dem

gen müssen gefördert werden, daran soll-

N

Resultat eines fast völligen künstlerischen

ten sich Kulturschaffende, aber vor allem

I

Stillstandes der Bühnenkunst. Gegen

die Politik gewöhnen. Artikel 9 der italie-

dieses Klientelsystem hat sich im Juni

nischen Verfassung besagt: Die Republik

2011 eine Gruppe von Schauspielern, Dra-

fördert die Entwicklung der Kultur. Das

maturgen und Theatermachern aufge-

heißt, dass der Staat einerseits Kultur

lehnt und das älteste Theater Roms, das

finanziell unterstützen muss – doch dies

Teatro Valle, das nach den Einschnitten

allein reicht nicht. Eine neue Kulturpolitik

im Kulturhaushalt geschlossen wurde,

muss guten Ideen offen gegenüberstehen,

besetzt. Seitdem machen sie dort Pro-

deren Umsetzung unterstützen und de-

gramm und haben ohne öffentliche Mittel

ren Machern entgegenkommen.

W E

G E R

einen lebendigen Kulturpol im Herzen

Wenn Kultur zum treibenden Mo-

So ist auch in Italien eine kultu-

Roms aufgebaut. Ihrem Beispiel folgten

relle Renaissance möglich, denn an Po-

Theaterbesetzungen in Neapel, Mailand,

tenzial und Ideen hat es diesem Land

Pisa und Venedig. Im Mittelpunkt steht

nie gefehlt.

dabei die Idee von Kultur als „Gut der Allgemeinheit“ und die Forderung, öffentliche Finanzspritzen an einen Qualitäts-

Gustav Hofer (*1976), seit 2000 freier

anspruch zu koppeln. Gleichzeitig setzen

Mitarbeiter beim Kultursender ARTE und

sich die Theater-Besetzer für gerechte

Gestalter von Dokumentarfilmen in Rom.

Arbeitsbedingungen und faire Löhne im

Aktuelle Dokumentation: „Italy: Love it or

Kulturbetrieb ein.

leave it“, 2011.

67

Gustav Hofer


S O M E T H I N G F A N T A S T I C

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Leben  Ideen und Techniken einer nachhaltigen Energieversorgung


D I E M I T T E

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Something Fantastic


Wissen Perspektiven Avantgardistisch: Im kleinen Dorf Prad Nachhaltige im oberen Architektur Vinschgau hat ist Querdenmehr als kertum ein bisschen Tradition 23  Wärmedämmung Nach ­hundertneunzig – fünf Vorbilder Jahren mit steht Sinn Mitgehangen: Alpine Seilbahnen er­ der Weinbauer fürs Schöne 71  Alois Lageder dem industriealisierten, 77 vor Trendig: für jede obern die Großstädte biodynamischen Betrieb — seinFahrräder Credo: veredelte Abgefahren: Mit Wasserstoffautos über Lebenslage 80  Qualität für die breite Masse 43  In Italien wird liebend Ideenreich: Innovativ Mobilitätsprojek­ te den Brenner 87  gerne mit Händen und Füßen gesprochen, kann man 90  Umkehren: Plädoyer für mehr Gemeinsinn in Südtirol dabei Sprechenergie spare? Über Energieeffizienz trotz Aufbrechen: Wie aus Wissen werden 92 91  wilder Gestik schreibt Wolf Haas Taten 44  Fixies, Mountainbike und Klapprad: Wie sieht das grünste Fortbewegungsmittel aus? 47

70


Wojciech Czaja

Gr端ne Bausteine


Ein bisschen Wärmedämmung, ein paar grüne Lippenbekenntnisse und ein medial verwertbares KlimaHaus-­ Zertifikat zum Abschluss? Das ist zu wenig. Nachhaltigkeit ist ein kom­ plexes Zusammenspiel von vielen ­unterschiedlichen Komponenten. Sie lässt sich nicht über einen Kamm ­scheren, ­sondern muss von Projekt zu Projekt ­in­dividuell abgewogen ­werden. Fünf Beispiele aus Südtirol. Es passiert nicht oft, dass der Firmensitz eines Industrie­ unternehmens den Weg auf die Architekturbiennale in Venedig findet. Dem Südtiroler Bergsportspezialisten ­Salewa wurde dieses seltene Glück zuteil. Das von Cino Zucchi Architetti und Park Associati geplante Projekt wurde auf der Biennale 2010 im italienischen Pavillon ­ausgestellt. In der Folge wanderte das Salewa-Headquarter durch sämtliche internationale Gazetten und wurde für seine außergewöhnliche Architektur gelobt. Dass es sich bei dem monströsen Cluster, der wie ein schwarzer Berg­kristall neben der Autobahn steht, um ein Vorzeigeprojekt in puncto Nachhaltigkeit handelt, ging in der Mediendiskussion allerdings unter.

Ökologisch und sozial nachhaltig. Der Hauptsitz des Bergsportspezialisten Salewa im Bozner Gewerbegebiet  Foto: Oskar Da Riz

Das Salewa-Gebäude ist ein sogenanntes KlimaHaus B nach Südtiroler Standards und somit be­ sonders sparsam im Energie- und Ressourcenverbrauch. Außerhalb Südtirols spricht man eher von Niedrigenergieund Passivhaus. Doch der Salewa-Bürokomplex zeichnet sich nicht nur durch ökologische, sondern auch durch so­ ziale Nachhaltigkeit aus. Das 27.000 Quadratmeter große

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Gelände verfügt über Büros, Innovations- und Technologiecenter, über ein Logistikzentrum, einen eigenen Kindergarten sowie über die mit 2.000 Quadratmetern Kletter­ fläche größte Kletterhalle Italiens. Damit wird das Ge­lände regelmäßig auch von Kindern und Jugendlichen genutzt. „Nachhaltigkeit wird oft sehr einseitig interpretiert und wird meist nur mit Passivhausqualität und HightechLösungen in Verbindung gebracht“, sagt Filippo Pagliani, Projektleiter bei Park Associati, auf Anfrage von „Nord & Süd“. „Doch das ist ein Irrglaube, denn Nachhaltigkeit ist vor allem ein intelligentes Nutzungskonzept mit einfacher Wartung und entsprechend niedrigen Lebenszykluskos­ ten. Nur wenn alle Komponenten zusammenspielen, kann man von einem nachhaltigen Gebäude sprechen.“ Um die von der Sonne gewonnene Energiemenge im Sommer zu reduzieren, wurde die Südfassade mit einer mikroperforierten Aluminiumhaut überzogen. Darüber ­hinaus wurde das gesamte Gebäude in eine hochwertige ­Wärmedämmung aus Schaumglas eingepackt. Auf dem Dach befindet sich eine 2.100 Quadratmeter große Foto­ voltaikanlage, die pro Jahr rund 400 Megawattstunden Strom produziert. Damit kann ein großer Teil des Stromverbrauchs ­abgedeckt werden. Geheizt und gekühlt wird das 40 Mil­lionen Euro teure Hauptquartier – die reinen Baukosten ­belaufen sich auf 20 Millionen – mit Erdwärme. Erst kürzlich wurde das Projekt für seine Bemühungen mit dem ­KlimaHaus Award 2012 ausgezeichnet. „Leider passiert es heute noch sehr selten, dass bei der Errichtung eines Gebäudes die Lebenszykluskosten errechnet werden“, sagt der Wiener Architekt Martin ­Treberspurg. „Und wenn, dann dreht sich meist alles nur um laufende Betriebskosten. Die Abbruch- und Entsorgungskosten eines Gebäudes oder auch nur einzelner Gebäudeteile werden völlig außer Acht gelassen. Und das, obwohl wir längst wissen, dass nicht jedes Haus auf dieser Welt für die Ewigkeit gebaut ist!“ Die Baustoffindustrie, die über eine der mächtigsten Lobbys der Welt verfügt, breitet über dieses heikle Thema geschickt den Mantel des Schweigens aus. Statt am Klimaschutz ist sie vor allem an der Vermarktung ihrer hochgepriesenen Bau- und Dämmstoffe interessiert. Ein grünes Umwelt-Logo und ein paar Lippenbekenntnisse werden schon reichen. Die oft horrende Gesamtenergiebilanz der einzelnen Produkte wird meist verschwiegen. Ein Beispiel aus dem Nachbarland: Allein in Österreich werden jährlich rund 10 Millionen Quadratmeter Wärmedämmverbundsystem verbaut. Tendenz steigend. Damit könnte man ein Haus dämmen, das so groß wie die Wiener Innenstadt und fast zwei Kilometer hoch ist. Alles Sondermüll. Umso wichtiger ist es, dass sich Auftraggeber und Architekten auf Produkte und Technologien einigen, die nicht schon in 10 oder 20 Jahren ihr Lebensende erreicht haben und entsorgt werden müssen. Niederschwellige, leicht instand zu haltende Technologien sind eine Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen. Mineralische oder nachwachsende Rohstoffe sind eine andere. Schaumglas beispielsweise ist eine zwar etwas kostenintensivere, aber aufgrund seiner Lebenserwartung und Recyclingfähigkeit durchaus

Wissen  Grüne Bausteine


Zwischen Kirchplatz und historischen Altbauten. Das neue Rathaus in St. Lorenzen bei Bruneck Fotos: Marion Lafogler

sinnvolle Alternative zu den erdölbasierten EPS-Dämmstoffplatten, die am Ende ihrer Dienste aus dem Kreislauf fallen und zu 100 Prozent entsorgt werden müssen. Nachhaltiges Vogelgezwitscher

Nicht nur große Bauvorhaben, hinter denen zumeist wirtschaftlich potente Industrieunternehmen stehen, setzen auf die Nachhaltigkeitskarte. Es sind auch und vor allem die kleinen und unscheinbaren Eingriffe in bestehende Stadtstrukturen, die sich am Ende des Tages als ökologisch vertretbare Projekte herausstellen. Denn: Gesünder für die Klimabilanz ist allemal ein Gebäude im Stadtverband, wo die zusätzlich anfallenden Belastungen wie Verkehr, Infrastruktur und Heizung weitaus geringer ausfallen als bei einem Bauwerk auf der grünen Wiese. Das neue Rathaus in St. Lorenzen, das mitten im ensemblegeschützten Dorfkern zwischen Kirchplatz und historischen Altbauten liegt, ist so ein Beispiel. Wie der Salewa-Hauptsitz in Bozen ist es rundum mit 20 Zentimeter starken Mineralschaumplatten verkleidet. „EPSKunststoffe haben bei gleicher Dämmstärke zwar etwas bessere Dämmeigenschaften als Schaumglas, doch dafür schneiden sie in der ökologischen Gesamtenergiebilanz

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weniger gut ab“, erklärt Architekt Armin Pedevilla. „Wir werden es uns eines Tages nicht mehr leisten können, fossile Rohstoffe zu verbauen. Schon gar nicht, wenn wir nicht einmal wissen, wie wir diese Materialien eines Tages entsorgen sollen.“ Im Gegensatz zu Österreich und Restitalien ist in Südtirol in den letzten Jahren ein Trend zu mineralischen Dämmstoffen zu erkennen. Darüber freut sich auch die Feuerwehr, denn brandschutztechnisch ist man den Kunststoffen damit weit voraus. Anders als die meisten Bürobauten verfügt das Gemeindehaus über eine kontrollierte Raumlüftung mit Wärmerückgewinnung sowie über Heizung und Kühlung mittels Erdwärme. Zum wohltemperierten Raumempfinden trägt nicht zuletzt die Abwärme von Mensch und Computer bei. Mit Erfolg: Mit einem jährlichen Heizwärmebedarf von nicht einmal 4 kWh/m2 erreicht das mit Gold zertifizierte KlimaHaus, das 2008 sogar mit der Auszeichnung Best KlimaHaus prämiert wurde, fast Nullenergie-Standard und ist damit erwiesenermaßen einer der energie- und ressourcenschonendsten öffentlichen Bauten Südtirols. „Bei allen ökologischen und technischen Maßnahmen darf man nicht darauf vergessen, dass sich die Menschen in den von uns geplanten Häusern letztendlich wohlfühlen müssen“, sagt Pedevilla. „Das beste Zertifikat

Wojciech Czaja


ist sinnlos, wenn die Nutzer und Bewohner unglücklich sind, weil sie im Frühling und Sommer nicht die Fenster öffnen und den Vögeln beim Zwitschern zuhören können.“ Neben den großen Fixverglasungen gibt es daher kleine, öffenbare Lüftungsflügel, die für ein Minimum an auditiver Lebensqualität sorgen. Pedevilla: „Der Lüftungsquerschnitt ist so klein, dass der Wirkungsverlust zu vernachlässigen ist. Selbst im heißesten Sommer haben die offenen Fenster auf die Gesamtenergiebilanz des Hauses de facto keinen Einfluss.“ Schulbau rettet Kirchturm

Wie sehr man mit Architektur und traditionellen Baustoffen zur Qualität einer ganzen Stadt beitragen kann, zeigt sich an der Grundschule in Sterzing. Am Rande der Gemeinde errichtete das Architekturbüro Calderan Zanovello ein ungewöhnliches Schulhaus im KlimaHaus-B-Standard. Der Energieverbrauch ist gering. Und die mitsamt Rinde roh belassenen Lärchenstämme an der Fassade, die der Schule ihr unverwechselbares Aussehen verleihen, sind

Unverwechselbares Aussehen. Blicke auf die neue Grundschule in der Fuggerstadt Sterzing  Fotos Seite 67 und 70/71: CEZ Calderan und Zanovello

nicht nur ein Plädoyer für den Einsatz nachwachsender Rohstoffe, sondern auch ein Tribut an die historische Bauweise in ländlichen Regionen. Die Metapher sitzt. Die wahre Nachhaltigkeit dieses Projekts begründet sich jedoch nicht in den Eckdaten des Gebäudes, sondern in ­seinem urbanen Kontext. Fast könnte man meinen, dass hier ein städtebauliches Ensemble gerettet und wieder­ hergestellt wurde. „Die Schule steht im Sterzinger Moos, in unmittel­ barer Nähe der Gemeindekirche“, erzählt Architekt Carlo Calderan. „Jahrhundertelang stand die Kirche fast einsam auf diesem Areal. Es ist ein wunderschönes, landschaftliches Panorama, das sich hier einst aufgetan haben muss.“ Doch in den letzten zwei Jahrzehnten wurde im Hinter-

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grund der Kirche gebaut, gewütet und zersiedelt wie auch überall sonst auf der Welt. Das Resultat ist ein unschöner Einfamilienhausteppich mit 08/15-Häusern wie aus dem Fertighauskatalog. Mit dem Bau der Schule, die sich formal und farblich stark zurücknimmt, wurde der quirlige Häuserhintergrund ausgeblendet. Ein bisschen wirkt die Schule wie ein Bühnenbild für das Sakrale. Nicht nur die Optik, auch die technischen Eckdaten des 7,6 Millionen Euro teuren Gebäudes zeugen von Sensibilität. Um das Grundwasser nicht zu verdrängen und die ohnehin schon kritische Schieflage des nahe gelegenen Kirchturms durch den Wasserdruck nicht noch zusätzlich zu verstärken, wurde auf eine Unterkellerung des Schul­ gebäudes verzichtet. Stattdessen wurde der Lehmboden im Bereich der Schule mittels Kies tragfähig gemacht. Im ­Gegensatz zu einem Kellerfundament hat diese Maß­ nah­me auf den Grundwasserspiegel keinerlei Einfluss. Die Wasser­säule bleibt gleich. Darüber wurde eine 50 Zentimeter dicke Fundamentplatte betoniert, die schließlich das gesamte Gebäude trägt. Ohne Eingriff ins geologische Mikrosystem scheint die Schule nun wie ein Floß auf dem sumpfigen Boden zu schwimmen. Auch das ist ökologische Nachhaltigkeit.

Wissen  Grüne Bausteine


den heute notwendig gewordenen Anforderungen an Klima- und Umweltschutz längst nicht mehr gerecht werden. Hier anzusetzen, ist weitaus effizienter als jeder noch so gute Neubau.“

Sanierungen sind ein wichtiges, ja ­vielleicht sogar das wichtigste Aufgaben­gebiet für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Christian Moser

Energiefokus Altbau

Und dennoch: Allen schönen Architekturinitiativen zum Trotz ist es nicht der Neubau, der unsere größte ökologische Aufmerksamkeit verdienen sollte, sondern der Umgang mit dem baulichen Erbe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. „Bis zum Zweiten Weltkrieg war die Architektur und Besiedelungspolitik in Europa in Ordnung“, meint Vittorio Magnano Lampugnani, Professor für Geschichte des Städtebaus an der ETH Zürich. „In den Nachkriegsjahrzehnten jedoch sind die Städte und Peripherien in einer Art und Weise gewachsen, dass wir bis heute damit beschäftigt sind, die Fehler von damals wiedergutzumachen.“ Die Korrektur bezieht sich nicht nur auf urbane Aspekte, sondern auch auf die Qualität des Gebauten. In der europaweiten Wohnungsnot der Nachkriegsjahre hatte man verständlicherweise andere Sorgen als die Erfüllung technischer und bauphysikalischer Sollwerte. Doch das ist heute anders. „Sanierungen sind ein wichtiges, ja vielleicht sogar das wichtigste Aufgabengebiet für die nächsten Jahre und Jahrzehnte“, sagt Christian Moser von Brida Moser Architekten. „Vor allem in den 1960er- und 1970er-­ Jahren sind in ganz Europa viele Gebäude entstanden, die

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Die Sanierung der Wohnhausanlage in Milland in der Gemeinde Brixen ist so ein Beispiel. Vor dem Umbau hatte die in den Jahren 1976 bis 1978 von Rudi Zingerle errichtete Anlage einen Heizwärmebedarf von 155 kWh/m2a. Nachdem die Fassade mit zwölf Zentimeter Mineralschaum gedämmt und die alten Fenster gegen neue Holz-Alu-Verbundfenster mit Wärmeschutzglas ausgetauscht wurden, ist der Heizwärmebedarf nun auf 69 kWh/m2a gesunken. Das ist weniger als die Hälfte. Am Dach gibt es eine 90 Quadratmeter große Sonnenkollektoranlage, die die Warmwasseraufbereitung im ganzen Haus unterstützt. Außerdem wurden einige der einst großen Vierzimmerwoh­ nungen unterteilt und zu kleineren Ein- und Zweizimmerwohnungen umstrukturiert. Diese bauliche Maßnahme ist vor allem eine Reaktion auf die veränderten demografischen Werte und auf den heutzutage höheren Bedarf an Singlewohnungen. Die Sanierung aller 66 Wohnungen – ursprünglich waren es 52 – beläuft sich auf 6 Millionen Euro. „Natürlich wäre es möglich gewesen, den Heizwärmebedarf der Wohnungen mit einer kontrollierten Wohnraumlüftung zusätzlich zu reduzieren, doch dieser Schritt wäre sehr aufwendig und kostspielig gewesen“, so Moser. „Im Wohnbau muss man solche Entscheidungen abhängig von Lage, Mietkosten und Amortisationszeit individuell treffen. Da gibt es keine pauschale Formel.“ Derzeit noch lassen sich in Italien bei einer thermischen Sanierung 36 Prozent der Investitionskosten in einem Zeitraum von zehn Jahren steuerlich absetzen. Im Gegensatz zum Neubau ist die Nutzung bestehender Bausubstanz somit ein großer finanzieller Anreiz. Doch die weitsichtig kluge Förderungsmaßnahme der Regierung, die in Süd- und Mitteleuropa seinesgleichen sucht, droht zu verschwinden. Am 30. Juni 2013 soll der steuerliche Anreiz zwar nicht abgeschafft, doch wesentlich unattraktiver gemacht werden. „Ich finde diesen Schritt sehr bedauerlich“, meint der auf ökologische Bauweise spezialisierte Bozner Architekt Manuel Benedikter. „Aufgrund der klimatischen Verhältnisse und des Landschaftsschutzes wird es in Zukunft immer wichtiger werden, alte Bausubstanz zu sanieren. Der bevorstehende Schritt der italienischen Regierung ist definitiv ein Schritt rückwärts.“

Wojciech Czaja


Historische Bauten prägen das Stadtbild europäischer Städte. Wir müssen alles unternehmen, um diese Bauwerke möglichst energieeffizient, aber auch mit Rücksicht auf ihre Architektur und ihren kulturellen Wert zu sanieren. Manuel Benedikter

Beispiel für Klima- und Denkmalschutz. Das sanierte Haus Glauber in Bozen  Foto: Manuel Benedikter

Energiereduktion um 93 Prozent

Technische Leuchtturm-Projekte wie die vielfach publizierte Sanierung des Hauses Glauber könnten damit ein für alle Mal verschwinden. Die 1749 errichtete Orangerie auf dem Ansitz Kofler, in der sogar schon Wolfgang Amadeus Mozart zu Gast war, wurde 2006 von Benedikter thermisch saniert in den ursprünglichen Zustand rückgebaut. Auf diese Weise ist es gelungen, den jährlichen Heizwärmebedarf des denkmalgeschützten Hauses von 450 kWh/m2 auf 30 kWh/m2a zu senken. Das ist eine Reduktion um 93 Prozent. Gedämmt wurde, wo es aufgrund des bestehenden Wandstucks erforderlich war, stets auf der Innenseite des Gebäudes, Kastenfenster wurden ausgetauscht, historische Details wie Geländer, Fensterläden und sogar die üppige Fas­sadenbegrünung wurden nach Möglichkeit ­erhalten. Nicht nur ein Architekturprojekt, sondern ein sensibles, baukulturelles Forschungsprojekt wurde hier realisiert. Für historisch wertvolle Bauwerke, bei denen in Europa stets das Totschlägerargument vorausgeschickt wird, Klimaschutz und Denkmalschutz seien ein Widerspruch und ließen sich nicht miteinander vereinen, ist das Haus Glauber ein überzeugendes Beispiel, dass es doch geht. Derzeit wird das Objekt thermisch evaluiert. Nächstes Jahr soll das Monitoring abgeschlossen sein. Ob sich die Situation nach dem 30. Juni 2013 wieder bessern wird? Die Europäische Akademie Bozen (Eurac) befasst sich seit einiger Zeit mit der Erhaltung, Pflege und Restaurierung von historischen Kulturgütern. „Wir wollen den Energiebereich und die Denkmalpflege stärker mit­ einander verbinden“, sagt Alexandra Troi, stellvertretende ­Leiterin des Eurac-Instituts für erneuerbare Energien und Head des Wissenschaftsprojekts 3ENCULT. „Histo­ rische Bauten prägen das Stadtbild europäischer Städte. Wir müssen alles unternehmen, um diese Bauwerke ­möglichst energieeffizient, aber auch mit Rücksicht auf ihre Architektur und ihren kulturellen Wert zu sanieren.“ Wie es scheint, hat das Kapitel Nachhaltigkeit noch lange nicht seinen Höhepunkt erreicht. Ganz im Gegenteil. Die ersten Zeilen sind geschrieben. Uns steht ein Roman mit verschiedenen, raffiniert gekreuzten Handlungssträngen bevor: mit Neubauten, Altbauten, Umwidmungen, thermischen Sanierungen, futuristischen Landmarks, sensiblen Eingriffen, individuellen Abwägungen und dem Know-how vieler Experten. Es wäre schön, wenn Wirtschaft und Politik ihre Aufgabe als Herausgeberinnen dieses Opus magnum wahrnehmen würden, anstatt sich durch Lobbying, finanzielle Eigen­interessen und kurzfristig gedachte Budgetkürzungen aus der Affäre zu ziehen.

Wojciech Czaja (*1978), freier Autor und Architekturjournalist unter anderem für „Der Standard“, „Der Spiegel“ und „Detail“. Die Architekten Margot Wittig und Rudi Zancan, Mitglieder der Baukulturgruppe der Architekturstiftung Südtirol, haben für diesen Beitrag zehn Bauprojekte vorgeschlagen.

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Wissen  Grüne Bausteine


Susanne Pitro

Blick auf die Rittner Seilbahn  Foto: David Schreyer

Die Renaissance des Seils

Im vergangenen Jahrhundert ermöglichten Seilbahnen die schrittweise Erschließung der Berge, nun schließen sie Lücken in den Nahverkehrsnetzen großer Städte. Ein Ausflug in die urbane Nische eines alpinen Verkehrsmittels.

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Das Nahverkehrsnetz von Südtirols Landeshauptstadt endet auf einer Höhe von 1.221 Höhenmetern. Die letzten 950 Meter legen Pendler, Touristen und Städter, die auf dem idyllischen Hochplateau Ritten abschalten wollen, schwebend zurück. Alle vier Minuten können sie in der architektonisch prägnanten Talstation gleich hinter dem Bozner Bahnhof in eine der Gondeln steigen, die von frühmorgens bis spätabends auf der ersten Dreiseilumlaufbahn Italiens zirkulieren. Ein knapp 12-minütiges Fahrerlebnis als Alternative zu 17 kurvigen Straßenkilometern: Dieses Angebot hat alle Erwartungen von Südtirols Verkehrsplanern übertroffen. Bei der Eröffnung im Jahr 2009 zeigte sich Mobilitäts-Landesrat Thomas Widmann zuversichtlich, innerhalb von drei Jahren auf 200.000 Benutzer zu kommen. Tatsächlich befördert die Rittner Seilbahn mittlerweile knapp eine Millionen Menschen im Jahr. Was in der 100.000-Einwohner-Stadt Bozen funktioniert, hat auch in Großstädten wie London, New York, Rio de Janeiro oder Hongkong Erfolg. Seit gut einem Jahrzehnt expandiert die Seilbahn von ihrem gebirgigen Stammgebiet in Richtung urbanen Raum. Ob Umlaufbahn, Pendelbahn oder Standseilbahn: All jene Technologien, die in der Vergangenheit dafür entwickelt wurden, die Versorgung und den Transport in einer alpinen Bergwelt zu ermöglichen,

Susanne Pitro


werden im 21. Jahrhundert als ressourcen- und umweltschonende Lösung spezifischer urbaner Mobilitäts­ bedürfnisse entdeckt. Die Player auf diesem neuen Markt der seilgezogenen urbanen Transportsysteme kommen nach wie vor aus dem Herzen der Alpen: die Südtiroler Leitner-Gruppe mit Zentrale in Sterzing sowie die DoppelmayrGruppe, die im nahen Vorarlberger Wolfurt zu Hause ist und den italienischen Markt seit vier Jahrzehnten von Südtirol aus bearbeitet. Es sind zwei Familienunternehmen mit jeweils mehr als hundert Jahren Geschichte, die sich heute nach zahlreichen Übernahmen den Weltmarkt für Seilbahnen teilen. Während sich Doppelmayr bei seinen Einkaufstouren vorwiegend auf den Seilbahnbereich beschränkte, wo es heute mit rund 60 Prozent Weltmarktführer ist, übernahm Leitner neben dem französischen Seilbahnkonkurrenten Poma auch Firmen in den Bereichen Pistenfahrzeuge und Beschneiungstechnik und entwickelte sich damit zum Anbieter von Berg- und Wintertechnologie, dessen Palette an Produkten am umfangreichsten ist. Parallel dazu begann Präsident Michael Seeber die Abhängigkeit seines Betriebes vom Wintergeschäft zu reduzieren. „Dass wir hier langfristig kein großes Entwicklungspotenzial mehr haben, ist ein Fakt, der sich bereits vor mehr als zehn Jahren auf dem US-Markt abzeichnete“, sagt er. Seine Antwort? Die Diversifikation in Zukunftsbranchen, in denen starke Synergien mit Leitner-Technologien bestehen. Neben Windgeneratoren und Nutzfahrzeugen gehören dazu auch die seilgezogenen urbanen Transportsysteme – ein Markt, auf dem die Südtiroler ­wenig überraschend erneut auf ihren Vorarlberger Konkurrenten treffen.

rasch wachsender Siedlungsräume. Entsprechend schlagend sind die Verkaufsargumente der beiden Seilbahnbauer: Ihre Lösungen sind verhältnismäßig schnell gebaut, haben einen geringen Platzbedarf, kollidieren nicht mit anderen Verkehrsteilnehmern und fahren beziehungsweise schweben einfach über Hindernisse und Staus hinweg. Mit Investitionskosten, die je nach Ausführung zwischen knapp 10 und 35 Millionen Euro pro Kilometer liegen, und geringen Betriebskosten sind sie nicht nur günstiger als die meisten herkömmlichen städtischen Verkehrsmittel – allen voran die U-Bahn mit Investitionskosten von rund 300 Millionen Euro pro Kilometer. Auch in Sachen Umweltbilanz schlagen sie laut einer Studie des österreichischen Strategieberaters ClimatePartner ab einer Auslastung von 50 Prozent selbst Alternativen wie die Bahn: Während eine Seilbahn demnach im Schnitt 27 Gramm CO2 pro Person und Kilometer verbrauche, geht die Studie von Vergleichswerten von 30 Gramm für die Bahn, 38,5 Gramm für einen Diesel-Linienbus und 248 Gramm für einen Benzin-Pkw aus. Das sind Argumente, mit denen beispielsweise derzeit in Hamburg für eine Hafen-City-Seilbahn geworben wird, die auf „innovative Weise den lange versprochenen Sprung über die Elbe schaffen und einen wichtigen Beitrag zur Stadtentwicklung leisten soll“, wie es auf der Promotion-Website heißt. Es handelt sich um ein Projekt, das noch vor wenigen Jahren kaum denkbar gewesen wäre. Denn bis dahin galten Stadtseilbahnen in Europa noch als „U-Bahn für die Dritte Welt“, sagt Thomas Pichler, Vertriebsleiter von Doppelmayr Italia. Zwar schwebten beispielsweise die Besucher der Expo 2000 in Hannover mit Begeisterung in einer Leitner-Kabinenbahn über das Ausstellungsgelände, doch die Vorstellung, dass die Seilbahn eine sinnvolle Ergänzung urbaner öffentlicher Nahverkehrssysteme sein könnte, schien zu der Zeit selbst bei Doppelmayr weltfremd. „Wir hatten als Europäer aufgrund von Themen wie Brandschutz oder der Beeinträchtigung von Anrainern immer eine gewisse Skepsis, Seilbahnen in eine Stadt zu bauen“, sagt Thomas Pichler. Keine derartigen Sorgen machten sich dagegen Kunden in Nordafrika und Südamerika, die um die Jahrtausendwende begannen, Seilbahnen zu bestellen, um damit auf vergleichsweise kostengünstige Art Verkehrsprobleme in ihren Städten zu lösen. Sozialisierung durch Anbindung

Landesrat Thomas Widmann (rechts) und Michael Seeber, Präsident von Leitner Technologies, auf der Fahrt von Bozen auf den Ritten  Foto: Ivo Corrà

Am Puls der Zeit

Denn der Einsatz von Seilbahnen und seilgezogenen ­Systemen im urbanen Raum trifft in vielen Belangen den Puls der Zeit. Dieser manifestiert sich in den Großstädten dieser Welt auch in Problemen wie heillosem Verkehrschaos, Smog, Platzmangel oder der fehlenden Anbindung

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Mittlerweile hat sich vor allem in Südamerika ein wahrer Boom der Stadtseilbahn entwickelt. Dies hängt auch mit der gesellschaftlichen Bedeutung zusammen, die dem Verkehrsmittel dort zugeschrieben wird, meint Michael Seeber. Vorzeigeprojekt dafür ist die von Leitner gebaute ­„Aerial Tramway“ in Rio de Janeiro, wo eine 3,4 Kilometer lange Kabinenbahn mit sieben Stationen eine Favela mit rund 300.000 Bewohnern mit dem nächstgelegenen ­Bahnhof verbindet. „Während sich die Menschen davor ein bis zwei Stunden lang einen Weg durch diesen chao­ tischen Siedlungsraum bahnen mussten, um einzukaufen oder ihren Arbeitsplatz zu erreichen, steigen sie nun auf

Wissen  Die Renaissance des Seils


Linea Rossa – die seilgezogene MiniMetro in Perugia  Foto: Leitner

dem nächsten Hügel in eine Seilbahn und sind in wenigen ­Minuten beim Bahnhof“, so Seeber. Spätestens seit Londons Bürgermeister Boris Johnson im April 2012 als erster Fahrgast in einer Gondel die Themse überquerte, beginnt auch in Europas Städten das Eis zu brechen, meint Doppelmayr-Italia-Vertriebsleiter Thomas Pichler. Das Prestigeprojekt seines Mutterhauses, das mit einer mehr als einen Kilometer langen Gondelbahn die Landzunge Greenwich Peninsula mit den Royal Docks verbindet, hat nicht zuletzt wegen seiner Nutzung für Olympia 2012 sowie eines millionenschweren Sponsorings der Fluggesellschaft Emirates für breite Beachtung gesorgt. Als urbanes Verkehrsmittel salonfähig wurde die Seilbahn in unseren Breitengraden aber zunächst einmal über die Adaption einer anderen Technologie. Unter den Marken MiniMetro (Leitner) und Cable Liner (Doppelmayr) entwickelten die beiden Unternehmen die klassische Standseilbahn zum sogenannten People Mover weiter. Was aussieht wie eine futuristische Straßenbahn, ist ein vollautomatisches seilgezogenes Verkehrsmittel, das zumeist auf leisen Gummirädern über Schienen aus Beton oder Stahl rollt. Bei einer ähnlichen Beförderungskapazität wie jener von Bussen oder Straßenbahnen punkten People Mover auf kurzen bis mittleren Strecken mit einer extremen Steigund Kurvenfähigkeit, staufreiem Fahren und kurzen In­ tervallen. Erleben kann man dies in Europa beispielsweise in Zürich, Venedig oder Frankfurt, wo MiniMetros oder Cable Liner für unkomplizierte und schnelle Transfers auf Flughäfen oder zwischen Parkhäusern und Büro- oder Stadtzentren sorgen. Nachhaltiges Mobilitätskonzept

Zur Krönung geführt wurde das System aber bislang im italienischen Perugia. Die dort 2008 eröffnete MiniMetro, die mit bis zu 25 Wagen in engen Kurven von einem großen Parkplatz am Stadtrand über eine Neubauzone zum Bahnhof und schließlich auf den Hügel der Altstadt führt,

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überzeugt gleich auf mehreren Ebenen: an­gefangen beim Design des französischen Stararchitekten Jean Nouvel über die F­i­nanzierung im Rahmen einer Public-­ Private-Partnership bis hin zur Technologie, die beim bislang ein­zigen kuppel­ baren People Mover sieben Stationen mit unterschiedlichen Abständen erlaubt. Vor allem aber ist die nach ihren rot lackierten Schienenkörpern ­„Linea Rossa“ benannte MiniMetro das Rückgrat eines nachhaltigen Mobilitätskonzeptes, mit dem die verwinkelte Altstadt wesentlich vom Autoverkehr ent­lastet werden konnte. Liegt die Zukunft der Seilbahn also in der Stadt? Zumindest bislang ­lautet die Antwort: Die Masse macht immer noch der Berg. Immerhin werden laut ­Thomas Pichler 80 bis 85 Prozent des Doppelmayr-Umsatzes von 600 Millionen Euro mit dem Wintergeschäft gemacht. Bei Leitner trägt der urbane ­Bereich bislang mit rund einem Zehntel zum Konzernumsatz von 800 Millionen Euro bei. Doch die Tendenz geht klar nach oben. „Im Moment laufen sehr viele Verhand­ lungen und Projekte“, sagt Michael Seeber, „allerdings

Seilbahn über den Dächern von Caracas  Foto: Doppelmayr

sind diese im urbanen Bereich auch viel zeitaufwendiger als im Wintersportbereich.“ Während dort meist schon eine Genehmigung für eine bestimmte Trasse vorliegt, heißt es in Städten erst einmal Varianten auszuarbeiten, politische Überzeugungsarbeit zu leisten und gegen die Bürokratie zu kämpfen. Nichtsdestotrotz: In der Vision des Südtiroler Vorzeigeunternehmers wird der Umsatzanteil der urbanen Seilbahn langfristig auf 20 bis 30 Prozent wachsen. „Als unverbesserlicher Idealist gehe ich aber ­davon aus, dass dieser zum Berggeschäft dazu statt davon wegkommt.“

Susanne Pitro (*1970), Redakteurin bei der Tageszeitung ­„Dolomiten“, dem Wochenmagazin „ff“ (1998–2007); seit 2007 freischaffende Journalistin.

Susanne Pitro


Nicolò Degiorgis

Fest im Sattel

Vorbei sind die Zeiten, als das Fahrrad noch als Fortbewegungsmittel für all jene galt, die sich kein Auto leisten konnten. Ob schlicht, aufgepeppt oder auch mit Retroelementen versehen: Zweiräder genießen heute vor allem bei Jüngeren Kultstatus und sind aus deren Freizeit nicht mehr wegzudenken. Und in Städten sind sie längst Mobilitätsvehikel Nummer eins: umweltfreundlich, vielseitig nutzbar, in der Regel auch preiswert in Anschaffung und Unterhalt sowie gesundheitsfördernd. Der Markt für Zweiräder boomt und mit Pedelecs und E-Bikes kündigt sich der nächste Schub an. Auf Rädern mit Hilfsantrieb können Urlauber und Ältere nicht nur bequem Berge und Landschaft entdecken – sie sind auch eine umweltfreundliche Alternative zu Bussen und Autos.


Adrenalin auf zwei Rädern. Downhiller in der Umgebung von Bozen

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Nicolò Degiorgis


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Wissen  Fest im Sattel


(Bild links) Kultobjekt Fahrrad. Hier ein Eingangrad, kurz Fixie, in einer Garage in Bozen  (Bild rechts) Fahrradkurier in Bozen. Wer sich in der Stadt berufsbedingt schnell bewegen und verstopften Straßen und der Parkplatzsuche entgehen will, muss auf das Auto verzichten

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Nicolò Degiorgis


Pimp up my Fahrrad. Aufgemotzte Zweiräder (Bild links) unterstreichen die Renaissance des guten alten Radls. In Städten greifen gerade ältere Menschen gerne auf E-Bikes (Bild Mitte) zurück

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Wissen  Fest im Sattel


k o l u m n e e s P R o

Umweltfreundlich reisen. Das Reiserad ist speziell für die Bedürfnisse von Urlaubern konzipiert worden. Auch noch mit rund 50 Kilogramm Gepäck kann der Fahrer sicher lenken und bremsen

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Nicolò Degiorgis


Neuer Trendsport. Bike-Polo erobert die Asphaltplätze

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Wissen  Fest im Sattel


Benjamin Reuter

Weltweite Zukunftsprojekte

Sauber über den Brenner

Es ist eines der ambitioniertesten Projekte Europas: Schon 2016 sollen Autos mit Wasserstoff statt mit Benzin oder Diesel von München nach Verona fahren können – ohne die Natur zu verpesten. Der Südtiroler Visionär Walter Huber baut jetzt dafür Tankstellen auf und nutzt den grünen Strom des Landes als Quelle. Wasser, Berge, Stromleitungen und eine Autobahn – mehr, sagt Walter Huber, brauche er nicht, um den Norden und den Süden Europas mit einem „grünen Korridor“ zu verbinden. Das ist schon anspruchsvoll genug. Doch bei dem Projekt geht es noch um viel mehr: Der Leiter des Instituts für Innovative Technologien in Bozen entwickelt nicht weniger als ein Konzept, um den Verkehr umweltschonender zu machen und das Autofahren aus seiner Abhängigkeit vom Erdöl zu befreien. Sein Plan ist eine Wasserstoffstraße, die zwischen den Gipfeln der Alpen entlang der Brennerautobahn von München in Deutschland nach Verona in Italien führen soll. Der 69-Jährige glaubt, dass Südtirol als Antreiber für dieses Zukunftsprojekt geradezu „prädestiniert“ sei. Denn das Land verfüge über ein riesiges Reservoir von ungenutzter Energie aus Wasserkraft, die sich ideal für die Herstellung des Wasserstoffs nutzen lasse. Schon 2016 sollen Fahrer, deren Autos Wasserstoff statt Benzin oder Diesel verbrennen, genügend Tankstellen vorfinden, wenn sie die Alpen via Brenner überqueren. Und wer den dynamischen Chemiker mit dem Bürstenhaarschnitt erlebt, hat keinen Zweifel, dass er nicht eher locker lassen wird, bis die H2-Autobahn, so der offizielle Projektname, steht.

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Huber steht mit seiner Vision nicht allein. Überall auf der Welt machen sich Regierungen und Investoren gerade ­daran, die notwendige Versorgungsstruktur für das Wasserstoffzeitalter aufzubauen – ob vom kanadischen Vancouver nach Los Angeles in den USA oder in der japa­ nischen Präfektur Fukuoka. Die Europäische Union unterstützt mehrere Wasserstoffprojekte. Sie fördert die Anschaffung von Brennstoffzellenbussen für den öffentlichen Nahverkehr und gibt Geld, damit Forscher die Erzeugungstechnologien für den Treibstoff weiterentwickeln. So soll nach und nach eine funktionierende Wasserstoffinfrastruktur entstehen. Doch nirgendwo sonst ist ein Projekt so eng mit einem Namen verknüpft wie in Südtirol: dem Hubers. Und Huber hat mächtige Verbündete. Zum Beispiel Daimler-Chef Dieter Zetsche. Im November 2011 verkündete der auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt: „Jetzt beginnt das Jahrhundert des Wasserstoffs. Wasserstoff ist das bessere Erdöl.“ Längst wetteifern die großen Autokonzerne darum, wer das erste serienmäßig gefertigte Wasserstofffahrzeug überhaupt auf den Markt bringt. Es könnte der koreanische Hyundai-Konzern sein, der 2013 das erste Auto vorstellen will. Daimler plant, 2014 mit dem B-Klasse-Modell F-Cell nachzuziehen. 2015 wollen dann auch Opel, Toyota und Honda mit ersten Fahrzeugen an den Start gehen. Die Euphorie der Autobauer für den Wasserstoffantrieb kommt nicht von ungefähr: Brennstoffzellen-Autos fahren mit einer Tankfüllung rund 600 Kilometer; heutige reine Elektrofahrzeuge müssen schon nach rund 150 Kilometern an die Steckdose. Und wird der Wasserstoff ausschließlich mit grünem Strom produziert, belastet er die Umwelt mit praktisch keinerlei Schadstoffen. Aus dem Auspuff tropft reines Wasser. Genau diese Eigenschaft fasziniert Walter Huber an der Technologie. Er will Südtirols saubere Wasserkraft dafür nutzen, Wasserstoff per Elektrolyse umweltfreundlich herzustellen. Wird Wasser „unter Strom gesetzt“, spaltet es sich in Sauerstoff und Wasserstoff. Letzterer wandert in den Tank. Wasserstofffahrzeuge haben eine Brennstoffzelle. In ihr läuft der Prozess rückwärts. Der Wasserstoff reagiert, getrennt durch eine Membran, mit Sauerstoff. Dabei entsteht elektrischer Strom, der in einer Batterie gespeichert wird, die den Elektromotor antreibt. Alle 100 Kilometer, so Hubers Vorhaben, sollen Autofahrer zwischen München und Verona eine Wasserstofftankstelle ansteuern können. Der Treibstoff würde in einem Elektrolyseur direkt an den Tankstellen hergestellt. Aber wird es so bald überhaupt genügend Wasserstoffautos geben, sodass sich der Aufbau dieses grünen Tankstellennetzes rentiert? „Ohne Frage“, sagt Huber, und verweist auf die ständig steigenden Preise für Benzin und Diesel. Daher lohne es sich zunehmend, auf alternative Kraftstoffe umzusteigen. Dass dies tatsächlich geschehen wird, daran haben auch die US-Marktforscher von Pike Research keinen Zweifel. Sie schätzen, dass 2020 weltweit schon mehr als eine Million Wasserstoffautos fahren und

Benjamin Reuter


Europa neben den USA dabei eine Vorreiterrolle einnehmen wird. Reif für den Markt 0 KM

A CIRC

ND HU E

R

T

K

I

163 KM

278 KM

334 KM

429 KM

88

L

O

M

E T E R

Hätte Huber mit seiner Vision eines grünen Korridors Erfolg, würde ein Herzensanliegen von ihm wahr. Der Brenner und der Wasserstoff beschäftigen ihn seit Jahren – zunächst als Bahnprojekt. Anfang der 2000er-Jahre prüfte er als Vorsitzender einer Kommission, wie umweltverträglich des Bau des Brennerbasistunnels ist. Die ersten Züge sollen den 55 Kilometer langen Stollen 2025 durchqueren. Nur wäre der Bau eines Eisenbahntunnels in den Alpen allein nichts sonderlich Spektakuläres. Doch beim Brennertunnel soll der Strom aus den Oberleitungen auch dafür verwendet werden, Wasserstoff zu produzieren. Das allerdings ist eine Premiere.

Der Plan von Walter Huber ist eine ­Wasserstoffstraße, die zwischen den Gipfeln der Alpen entlang der Brennerautobahn von München in Deutschland nach Verona in Italien führen soll. Auf den Wasserstoff als neues Benzin wurde Huber erstmals 1998 aufmerksam. Damals besuchte er mit einer Delegation der Südtiroler Landesregierung in München den Autobauer BMW. Es war die Zeit der ersten Wasserstoffeuphorie bei den Pkw-Herstellern. BMW setzte auf Tanks, die Wasserstoff in flüssigem Zustand speichern. Und kündigte für 2004 die Serienproduktion von Wasserstoffautos an – genauso wie Daimler. Aus dem Termin wurde nichts. Mit rund einer halben Million Euro waren die Autos viel zu teuer. Mercedes musste erleben, dass der neuartige Antrieb bei Minusgraden den Start verweigerte. Bei BMW erwies sich zudem die Tanktechnik als zu aufwendig. Denn um Wasserstoff zu verflüssigen, muss er auf minus 253 Grad abkühlen – und im Tank auf diesem Temperaturniveau gehalten werden, was sehr viel Energie verbraucht. Inzwischen setzen alle Hersteller auf Gastanks, die den Wasserstoff bei einem Druck von 700 bar speichern. Der Energieaufwand für die Verflüssigung entfällt damit weitgehend. „Heute“, beteuert Christian Mohrdieck, der den Bereich Brennstoffzellen- und Batterieantriebe bei Daimler leitet, „sind die Probleme gelöst, und die Technik ist reif für den Markt.“ Tatsächlich fuhren drei Mercedes F-Cell vergangenes Jahr bei einer Weltumrundung jeweils 30.000 Kilometer ohne Probleme. Auch der Kaltstart bei minus 25 Grad klappte. Deshalb ist Walter Huber zuversichtlich, dass sich jetzt auch die Kunden von den Fahrzeugen überzeugen lassen. Die erste Tankstelle seiner Wasserstoffstraße entsteht an der Autobahnausfahrt Bozen-Süd. Ihr

Wissen  Sauber über den Brenner


Bis 2017, so schätzen Mobilitätsexperten der Europäischen Union in Brüssel, ­könnten die Kosten für die Wasserstoffherstellung um mehr als die Hälfte sinken. angeschlossen ist ein Forschungs- und Informationszentrum. Von Herbst 2013 an sollen dann auch fünf Busse der Bozner Verkehrsbetriebe den Zukunftstreibstoff tanken. Insgesamt sind für das Projekt rund 16 Millionen Euro veranschlagt. Geldgeber sind die Brennerautobahn AG, die EU in Brüssel, die italienische Regierung in Rom und ein regionaler Entwicklungsfonds. Das Forschungszentrum macht Bozen zu einem Spitzenzentrum der Wasserstoffforschung in Europa. Die Wissenschaftler wollen hier vor allem erproben, in welcher Konzentration sie Wasserstoff Erdgas und Diesel beimischen können, um diese sauberer zu machen. Gelingt das, könnten auch Pkw mit Erdgasantrieb oder herkömmlichen Verbrennungsmotoren teilweise mit dem neuen Treibstoff fahren. Überdies arbeitet Huber an der Entwicklung von Kleinstelektrolyseuren, die Strom von Solaranlagen in Wasserstoff umwandeln. Der könnte bei Bedarf, etwa nachts, wenn die Sonne nicht scheint, wieder verstromt werden. Und die Forscher erkunden, wie wirtschaftlich sich die Elektrizität, die Windräder am Brenner erzeugen könnten, für den Bahnbetrieb des Basistunnels nutzen ließe. Preiswerter als Benzin und Diesel

Spätestens 2016 will Huber auch Wasserstofftankstellen im bayerischen Rosenheim und im österreichischen Kufstein eröffnen. Weitere sind an der Brennergrenze zwischen Italien und Österreich sowie in Verona und eventuell in Trient geplant. Das Projekt steht und fällt mit der Möglichkeit, Wasserstoff kostengünstig zu produzieren. Huber sieht dafür in Südtirol alle Voraussetzungen gegeben. 953 Wasserkraftwerke habe das Land, rechnet er vor. Davon hätten allerdings nur 20 ein Speicherbecken. Das bedeutet: Nachts, wenn die Menschen kaum Strom verbrauchen, rauscht das Wasser ungenutzt durch die Turbinen, weil die Betreiber der Kraftwerke es nicht aufhalten können. Genau mit dieser bisher verschenkten Energie will Huber künftig den Wasserstoff produzieren. Der soll zunächst ausreichen, um täglich 15 Busse und 100 Pkw zu betanken. Nach ­seiner ersten überschlägigen Schätzung wäre jedoch genug Nachtstrom vorhanden, um Tausende Autos entlang der Brennerstrecke mit dem grünen Sprit zu versorgen. Und preiswerter als Benzin oder Diesel wäre der Wasserstoff überdies. Autofahrer in Italien zahlen für den herkömmlichen Treibstoff für eine Strecke von 100 Kilometern, rund 13 Euro. Wären sie mit Wasserstoff unterwegs, kämen sie für die gleiche Strecke mit rund sieben Euro davon, hat Huber ausgerechnet. Selbst wenn noch Steuern dazu kommen, ist er sich sicher: „Konkurrenzfähig ist Wasserstoff heute schon, in Zukunft wird er noch billiger.“ Ein Grund dafür: Die besonders teuren Elektro­lyseure, die das Wasser aufspalten, wurden bisher allenfalls in Kleinserie gebaut. Künftig werden Technologiekonzerne wie Siemens

89

in München sie in Massen fertigen, wodurch ihre Preise purzeln. Bis 2017, so schätzen Mobilitätsexperten der Europäischen Union in Brüssel, könnten die Kosten für die Wasserstoffherstellung um mehr als die Hälfte ­sinken. Huber genügt das noch nicht. Er plant Zusatzgeschäfte, um die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen. So will er den Sauerstoff, der bei der Elektrolyse entsteht, an Krankenhäuser verkaufen und an Kläranlagen liefern. Die können damit ihre Faulbecken belüften. Der Verkauf würde zusätzlich Geld in die Kassen spülen. Erste Gespräche laufen bereits. Anfangs von nicht wenigen belächelt, könnte Hubers Pioniertat Südtirol schon in wenigen Jahren eine zentrale Stellung beim Aufbau einer europaweiten Wasserstoffversorgung einbringen. Als Scharnier zwischen dem Norden und dem Süden Europas. Denn auch in Deutschland sollen bis 2015 mindestens 50 Wasserstofftankstellen entstehen, vor allem in Ballungsräumen und entlang der Autobahnen. Und auch skandinavische Länder wie Schweden oder ­Norwegen haben vor, ihre viele Wasserkraft künftig verstärkt für diese grüne Treibstoffproduktion zu nutzen. Dann könnte der grüne Korridor nicht nur von München nach Verona verlaufen, sondern sich von Oslo bis Palermo er­strecken. Walter Huber hätte nichts dagegen. Es wäre die Krönung seines Lebenswerks.

Benjamin Reuter (*1979), freier Journalist, schreibt unter an­ derem für „Die Zeit“, „WirtschaftsWoche“ und „Zeit Online".

Benjamin Reuter


Innovativ mobil in Südtirol Am TIS innovation park in Bozen entwickelt wurde der erste Erdgas-Wasserstoff-Panda: ein Kleinwagen, der 14 Prozent weniger CO2 ausstößt als ein mit Methangas betriebenes Modell. Völlig emissionsfrei sind die Elektrofahrräder der Bozner TC Mobility. Mit den Eigenmarken „Frisbee“ und „Dinghi“ zählt das Unternehmen zu den Markt­ führern im Bereich E-Bikes in Italien. Intergreen ist ein Pilotprojekt der Stadt Bozen gemeinsam mit dem TIS und dem Austrian Institute of Technology in Wien.

Ein Prototyp, für den die beteiligten Unternehmen (Iveco DV, Röchling Automotive, GKN Driveline, Hofer Powertrain und Multienergy Alpengas) völlig neue Komponenten entwickelt haben: selbstregulierende aerodynamische Klappen, ein leichteres und reibungsärmeres Übertragungssystem sowie hochtechnologische Glas- und Plastikfasermaterialien.

Ebenfalls elektrobetrieben, aber ungleich spritziger ist der Sportwagen „Fisker Karma“, der vom Südtiroler Unternehmer Gianfranco Pizzuto als Gesellschafter mitproduziert und exklusiv in Italien und anderen europäischen Ländern vertrieben wird.

Intergreen sammelt und vernetzt mobilitätsrelevante Daten der Stadt Bozen, so etwa Verkehrsaufkommen und Luftverschmutzung, und erlaubt es somit, die Verkehrsströme im Stadtgebiet möglichst umweltverträglich zu lenken. Flankierende Sensibilisierungskampagnen sollen die Bürger zum Überdenken ihres Mobilitätsverhaltens anregen.

90

Wissen  Innovativ mobil in Südtirol


Norbert Lantschner

Alte und neue Baustellen

Illustration – Gino Alberti

K O

Bei der Weltkonferenz in Rio de

barer und umweltverträglicher Energie zu

Janeiro 1992 rang man um den Konsens,

kommen. Die Schweiz zeigt, wie es funk-

dass der Mensch von seiner Umwelt ab-

tionieren könnte. Dieses kleine Land hat

hängig ist und dass die Rückkopplung

gleich zwei Revolutionen vor, um den

weltweiter Umweltveränderungen auf

Wohlstand seiner Bürger zu wahren. Zum

sein Verhalten zu berücksichtigen ist. Ziel

einen soll der Gesamtenergieverbrauch

war es, die Weichen für eine weltweite,

bis 2050 um zwei Drittel gesenkt und

nachhaltige Entwicklung zu stellen. Am

zum anderen der Restbedarf an Energie

Ende der Konferenz gab es ein wichtiges

zu 75 Prozent aus erneuerbaren Quellen

Ergebnis – nämlich die Klimaschutzkon-

bezogen werden. Dieses anspruchsvolle

vention. Nach Einschätzung der Klima-

Projekt nennt sich „Die 2000-Watt-Ge-

schutzexperten muss der Ausstoß an

sellschaft“, Ausdruck der Vision einer

Kohlendioxid bis 2050 weltweit um min-

nachhaltigen Zukunft: klimaverträglich,

destens 60 Prozent reduziert werden, um

energieeffizient und global gerecht. Ne-

den Klimawandel in „ungefährlichen“

ben Nachhaltigkeit ist vor allem Partizipa-

Grenzen zu halten. Was aber ist in den

tion ein Wegbereiter für eine zukunftsfä-

vergangenen 20 Jahren passiert? Der

hige Entwicklung.

Ausstoß der klimagefährlichen Gase hat

Italien hat in Sachen Energie keine guten

weltweit um 49 Prozent zugenommen!

Karten. Es muss schon heute nahezu 90

Statt auf die Bremse zu treten, haben wir

Prozent seines Energiebedarfes importie-

aufs Gaspedal gedrückt. Im wahrsten

ren. Für Unternehmen und Bürger ist

Sinn des Wortes, denn erstmals dürften

Energie im internationalen Vergleich un-

auf der Erde über eine Milli-

gleich teurer. Trotzdem findet das Thema

arde Autos zirkulieren. Aber

Energie in Italien nicht jene Aufmerksam-

nicht nur die Mobilität und der

keit wie in anderen Industrieländern. Da

Transport haben einen un-

die Energiekosten steigen und inzwischen

zähmbaren Hunger nach Ener-

70 Milliarden Euro pro Jahr überschreiten,

gie, sondern auch Häuser, die

fließt ein nicht unerheblicher Teil des

Landwirtschaft, die Industrie.

N

Das Immer-Mehr, Immer-Grö-

K

ßer und Immer-Schneller ist ohne den gigantischen Ener-

U

gieeinsatz unvorstellbar, der zu

R

85 Prozent aus nicht erneuer-

R

baren Energien wie Kohle,

E

Erd­öl und Erdgas gedeckt wird. Und wer ist dafür verant-

N

wortlich? Die Regierungen, die

Z

es nicht geschafft haben, ihre selbst auferlegten Verpflichtungen zu erfüllen? Oder trifft

Die Wirtschaft ist auf Konkurrenz ausgerichtet, womit zwangsläufig eine Spirale des Immer-Mehr, Immer-Größer und ­Immer-Schneller in Gang gesetzt wird.

es auch jeden Ein­zelnen von Wie Nebelschleier umgarnen uns poli­

uns, der durch seine indivi­duelle Ent-

tische Ankündigungen über verschie-

scheidung ebenso zu diesem Immer-Mehr

Reichtums ins Ausland. Italiens Energie-

denste Reformen, mal versprechen sie

beiträgt? Konkurrenz – auf individueller

plan stammt aus dem Jahr 1987, eine auf

weniger Bürokratie, dann kündigen

Ebene Rivalität – gehört zu jenen Kräften,

breiter Basis diskutierte Er­neuerung ist

sie energiebewusste Bauverordnungen an

die mehr Unheil als Nutzen gebracht ha-

dringend erforderlich.

oder rufen zum Schutz des Klimas auf.

ben. Es gibt keinen „gesunden“ Wett-

Doch dies alles lenkt davon ab, dass das

kampf und wenn man in der Wirtschaft

lem im Bereich der Gebäudesanierung

Fundament ein falsches ist: Wettbewerb

auch lieber von Wettbewerb spricht, so

und im Neubau. Gebäude beanspruchen

bestimmt den Gang der Welt. Die Wirt-

geht es immer um Macht, die in irgendei-

etwa ein Drittel des nationalen Energie-

schaft ist auf Konkurrenz ausgerichtet,

ner Form Unterlegene erzeugt. Es stellt

bedarfs. Durch Wände, Dächer, Fenster

womit zwangsläufig eine Spirale des

sich daher die Frage: Ist Konkurrenz die

und überaltete Heizanlagen wird zu viel

Immer-Mehr, Immer-Größer und Immer-

richtige Antriebskraft, um die Ziele von

und sinnlos Energie und somit Geld ver-

Schneller in Gang gesetzt wird. Das Ver-

Rio zu verwirklichen?

schwendet. Es existieren zwar Techno­

sprechen, dass dabei auch ein Besser

Ich glaube nicht. Wir brauchen

Das Potenzial Italiens liegt vor al-

logien, Systeme und Materialien, die eine

herauskommen würde, löst sich nicht

also neue Ideen, um in den nächsten Jah-

Senkung des Energieverbrauchs der Häu-

selbstverständlich ein.

ren und Jahrzehnten zu sicherer, bezahl-

ser um 80 Prozent ermöglichen würden.

91

Norbert Lantschner


Diese brachliegende „Energiequelle“ wird

Hans Karl Peterlini

allerdings übersehen. Bei grüner Energie wird meist nur an Fotovoltaik, Windräder oder bestenfalls an Biomasse gedacht. Die grünste Energie ist aber jene, die wir nicht benötigen! Südtirol wurde mit dem KlimaHaus-Projekt Wegbereiter für ein neues, energiebewusstes Bauen und somit italienweit zur Vorzeigeprovinz. Der Erfolg dieser Initiative lag nicht primär im technischen

„ Nur noch kurz die Welt retten “

Know-how, denn darin waren nördliche Länder schon weiter, sondern darin, eine neue Form der Kommunikation eingeführt zu haben. KlimaHaus hat es geschafft, die Menschen einzubinden und ihre Interessen in den Mittelpunkt zu stellen. Um ihnen die Mitsprache zu ermöglichen, galt es, auch für Laien verständliche Bewer-

Fotografie — Christian Martinelli/CubeStories

tungskriterien zu entwickeln. Beim Bauen halten sonst die Experten das Heft in der Hand, was häufig zu hohen Heizkosten und schlechter Bauqualität führt. Das Projekt KlimaHaus hat mit den Instrumenten der Transparenz, Qualität und Zuverlässigkeit ein neues Baubewusstsein geschaffen. Nicht Konkurrenz war die treibende Kraft, sondern Motivation, Erkenntnis und der Wille, es besser zu machen. Im Mittelpunkt standen Menschen, denen neben Energieeinsparung und Wohnkomfort auch der Klimaschutz ein Anliegen ist. Der Erfolg dieses Projekts gründet aber auch auf Teilnahme und Mitsprache. Der Nebel in unseren Köpfen wird sich lichten, wenn es uns gelingt, neue Wege einzuschlagen, wenn wir unser Denken öffnen und Kreativität zulassen. Wenn Wettbewerb und Konkurrenz, dann solche um die besten Ideen! Unsere Zukunft hängt von der Fähigkeit ab, ob nachhaltiges Handeln ein Lippenbekenntnis bleibt oder ob es als ein ethisches, universales Prinzip gelebt wird. Gefordert ist dabei die Politik, die über gesetzliche Maßnahmen Anreize in diese Richtung schaffen muss, aber gefordert ist auch jeder von uns. All unsere Entscheidungen und unser Handeln haben eine Auswirkung auf unsere Umwelt. Und hierbei ist weniger Konkurrenz gefragt, sondern Kooperation. Ein mutiges Ziel, aber viele Optionen bleiben uns nicht. Norbert Lantschner (1956), Vater des Südtiroler KlimaHauses, bis 2012 Direktor der KlimaHaus-Agentur in Bozen. Derzeit Präsident der Stiftung Climabita.

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Der Song schafft es auch zwei Jahre nach seinem Durchbruch immer noch in Hitsendungen, als wäre die Mission, die sich Tim Bendzko darin stellt, nun doch nicht ganz so schnell zu erledigen:  … muss nur noch kurz die Welt retten“ ist ein entlarvend präzises Abbild jenes Widerspruchs, in dem sich Wissen und Handeln gegenwärtiger Generationen verbeißen. Dass diese Welt zu retten ist, und zwar dringend, ist nicht nur fundiert belegt, gehört nicht mehr nur zu den altehrwürdigen Mahnungen des Club of Rome, ist über revolutionäre Ansätze ehemaliger Dissensgruppen in nahezu alle Parteiprogramme westlicher Demokratien eingegangen, ja ist über die Populärwissenschaft zum Allgemeinwissen geworden. Nicht mehr die Verzweiflung über die James-Dean-Generation, „denn sie wissen nicht, was sie tun“, prägt das Dilemma der Generationen im neuen Jahrtausend, sondern deren Umkehrung: „denn sie tun nicht, was sie wissen." Das Dilemma liegt nicht im Wissen, sondern im folgerichtigen – Heidegger würde korrigieren: in dem auf Folgen gerichteten – Handeln. Wenn Lernen, nach der Neuausrichtung mehr oder weniger aller europäischen Schulprogramme, nicht mehr bei der Vermittlung von Wissen stehen bleiben, sondern zu Kompetenzen – sprich: Anwendungsbefähigung – führen soll, dann hätte die Pädagogik bald ihre Pflicht erfüllt und das Problem gelöst, ja die Welt tatsächlich im Handum­ drehen gerettet. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass das Know-how für das Angehen der für den Planeten oder zumindest die Menschheit überlebenswichtigen Veränderungen fehlt – Theorien und Technologien stehen in Hülle und Fülle bereit. Würde also ein ausreichender Teil der Menschheit, die sogenannte notwendige kritische Masse, dazu übergehen, ihr Wissen in Handeln überzuführen – im Umgang mit Umwelt, Energie, Waren, Zeit und Mitmenschen – dann stünden wir vor einer sanften Revolution der Nachhaltigen. Ist das so? Vieles könnte Mut machen, so das Prosperieren von intelligenten, auch marktfähigen,

Wissen  Alte und neue Baustellen   „Nur noch kurz die Welt retten“


Die Welt auf den Kopf stellen, um sie zu retten. Im Bild hat der Fotokünstler Christian Martinelli dies mit den Bergspitzen des Hochfirst und des Granatkogel getan

schicken Modellen nachhaltiger Wirtschafts- und Lebensstile, leicht zugänglich gemacht und vorgelebt durch GoodPractice-Beispiele, Bildungsanbieter, Beratungsteams, wie sie auch in Südtirol ein greifbares und qualitativ hoch­ wertiges Angebot darstellen – siehe Initiativen wie das international gut verlinkte terra institute in Brixen um ­Günther Reifer, Evelyn Oberleiter, Vivian Dittmar mit den Tagen der Nachhaltigkeit in Kloster Neustift, wie das internationale Energy Forum ebenfalls in Brixen. Das Amt für Weiterbildung der Autonomen Provinz Bozen hat die UNODekade 2005–2014 „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ genutzt, um das Projekt gea* – Bildung für eine nach­haltige Entwicklung – umzusetzen mit einem daraus ent­wickelten und weiterführenden Lehrgang 2013. Da dürfte auch ei­ niges von dem aufgehen und weiterwachsen, was von Hans Glauber (1933–2008) mit den Toblacher ­Ge­sprächen und der Gründung des Ökoinstitutes Südtirol ­begonnen wurde. Was der Pionierarbeit und den jüngeren An­sät­ zen ge­meinsam ist, lässt sich mit Glaubers Formel von der Wen­­de zum Schönen am besten umschreiben – nicht gries­grämiger Verzicht, nicht Rückzug aus der zweiten oder dritten Moderne, nicht Miesmacherei, sondern eine Fruchtbarmachung nachhaltiger Prinzipien für ge­steigerte

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Lebensqualität, Zwischenmenschlichkeit als ­tiefster Sinn von Sozialität, mit ethischen und ökologischen Gütesiegeln ausgestattetes Wirtschaften. So spie­gelt Glaubers Biografie jene Wende wider, die den Gedanken der Nachhaltigkeit aus den Nischen von Protestbewegungen hinaus­wuchern und Wirtschaftspraktiken durchwachsen ließ. Er gehörte zu den jungen Kreativen bei Olivetti in den Frühzeiten moderner Markt- und Technologieforschung, war in New York, dann lange in Frankfurt, lernte Hork­ heimer und Adorno kennen, solidarisierte sich mit der Studentenbe­wegung der ’68er, schloss Freundschaft mit Daniel Cohn-­Bendit, setzte mit fotografischer Kunstschräge Zeichen des Widerspruchs. Vom intellektuellen Wollen und Wissen zum Handeln aber fand er, als in ­seinem Heimatort Toblach ein kleines Waldstück für ein Wirtschaftsprojekt gerodet werden sollte – Glauber begann sich real und konkret mit den Bedürfnissen und den Akteuren vor Ort auseinanderzusetzen, rettete das Waldstück und führte diese Erfahrungen über die Toblacher ­Gespräche zurück in einen größeren Diskurs. Die jährlichen Toblacher Thesen wurden regelmäßig in der „Frankfurter Rundschau“ abgedruckt und ­fanden weit über Südtirol hinaus Resonanz – von theore­tischen Entwürfen bis

Hans Karl Peterlini


Was in der Lebenswelt gelernt wird, muss Eingang in die Systeme finden, wenn es sich nicht an deren strategischer Kälte erschöpfen soll. Es braucht dazu ein ­Sprechen von unten nach oben auf vielen Ebenen, um Ohnmacht zu überwinden und Macht zu verändern. Das pädagogische Mittel dazu ist jenes des einbindenden ­Erzählens. hin zu konkreten Hackschnitzel­werken, Radwegenetzen und den Vorarbeiten für das KlimaHaus. Die pädagogische Wirkungsmächtigkeit dieser Vita geht zurück auf ein neugieriges Pendeln zwischen Polari­ täten: der in der Mailänder Gegend sozialisierte urbane Hans Glauber mit seinen Wurzeln in der engen Toblacher Heimat, die revolutionäre Suche nach Veränderung, die frustrationstolerante Aushandlung von Lösungen, die sanfte Methode, der radikale Ansatz. Sein Credo: Nicht die Ökonomie durch ökologische Barrieren zu maßregeln, sondern sie durch den Gedanken der Schönheit von innen heraus ökologisch zu revolutionieren, nicht die Technik ein wenig umweltfreundlicher zu dingseln, sondern Nachhaltigkeit als das Eigentliche zu setzen, ohne das sich Wirtschaften nicht lohnt, weil es nicht schön, sondern hässlich und selbstzerstörerisch ist. Für den Umgang mit Umwelt, Ressourcen, Energie bedeutet dies: Nachhaltigkeit nicht als Beigabe, sondern – im Sinne von Gemeinwohlökonomie – als bestimmendes Prinzip. Dies ist nicht nur Messlatte für tatsächliche Veränderung, sondern auch die Hürde, die das Handeln zu überspringen hat, wenn es nicht stecken bleiben will im Wissen, was zu tun wäre, wenn … , ja wenn: Gründe, doch wieder in kurzfristige Profitstrategien zu verfallen, gibt es immer, und sei es – für den Konsumenten – beim Kauf eines Hemdes aus Produktionsstätten der Kinderarbeit oder – für den Produzierenden – beim Bezug von Strom auch um den Preis von Landraub, Menschenvertreibung oder Kernspaltung. Den Vorzeigebetrieben und Nischen, in denen sich die Wende ermutigend vollzieht, stehen globale Entwicklungen ungehemmter Zerstörung und Ausbeutung gegenüber. Die entscheidende Frage wird deshalb am Ende wieder jene sein, ob Menschen, Gruppen, Systeme, Gesellschaften lernen oder nicht. Konstruktiver gewendet: wie sie lernen können, wie der Missing Link vom Wissen zum Handeln nicht nur im Einzelfall, nicht nur in Vorzeigebetrieben, nicht nur in bevorzugten Märkten geschlossen werden kann. Das Dilemma lässt sich – frei nach dem Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas – im Spannungsver­ hältnis zwischen Lebenswelten und Systemen ausloten: Ge­raten Lebenswelten in Krise, wächst dort auch das Bewusstsein für kooperative Lösungen durch kommunikatives Handeln. Systeme dagegen werden von strategischem Handeln dominiert, bei dem es – verkürzt – um den Vorteil geht. Was in der Lebenswelt gelernt wird, muss Eingang in die Systeme finden, wenn es sich nicht an deren strategischer Kälte erschöpfen soll. Es braucht dazu ein Sprechen

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von unten nach oben auf vielen Ebenen, um Ohnmacht zu überwinden und Macht zu verändern. Das pädagogische Mittel dazu ist jenes des einbindenden Erzählens. Was Glauber in Toblach gemacht hat, war eine Erzählung zu beginnen, unter die Leute zu bringen, er hat auf Bahnhöfen erzählt, wenn er zufällig jemanden getroffen hat, er hat in Büros von Wirtschaftsbossen und verantwortlichen Politikern erzählt, in deren Vorzimmern und in deren Hinterzimmern, unaufhörlich. Solches Erzählen ist der Urtyp des Vernetzens, denn ein Erzählkreis schafft den an­ deren: In Toblach fanden „Gespräche“ statt, die in Frankfurt, Berlin, Bologna Kreise zogen, in großen Städten und kleinen Nestern. Vom Klimagipfel in Rio 2012 hätten die Südtiroler Teilnehmer frustriert heimkommen müssen, denn wieder haben sich jene, die entscheiden, abgeschottet von jenen, die mit Hoffnungen hingepilgert waren. Als sich im Dezember 2012 einige von ihnen bei einer Tagung in Bozen im Gedenken an Rio 1992–2012 trafen, sprühten sie trotzdem vor Begeisterung – das Erlebnis, dass Menschen aus aller Welt sich am Rande der Großen ihre Hoffnungen, Versuche, Träume erzählt hatten, hat den Mut wachgehalten, die eigene Erzählung weiterzuspinnen. Im Lied von Tim Bendzko schwingt ein zweifacher Fluch mit, die Gehetztheit des Weltenretters als Metapher für die permanent gesteigerte Geschwindigkeit allen Wirtschaftens und Lebens. Das Atomkraftwerk, der Naturraubbau und der Krieg haben eine gemeinsame Matrix, die ­Beschleunigung der Problemlösung, der Bedarfsdeckung: Anstelle mühsamer, rückschlaggefährdeter, oft frustrierender Prozesse des Erkundens und Austauschens wird auf den schnellen Schlag, den harten Schnitt gesetzt. Der zweite Fluch ist das egomane Ich, das glaubt, alles alleine und selbst lösen zu können, wo nur Kooperation und Partizipation weiterbringen: Ja, wir müssen dringend diese Welt retten, aber wir brauchen die Geduld des Austauschens und Erprobens von Erfahrungen, des Erzählens von Hoffnungen und Träumen. Pädagogik, die es eilig hat, ist selten nachhaltig, sie beschleunigt durch Zwang und verwirft das Wachsende.

Hans Karl Peterlini (*1961), Journalist und Bildungswissenschaftler, bis 2004 Chefredakteur des Süd­tiroler Wochenmagazins „ff“, seither freier Autor und Essayist. Veröffentlichung zum Thema: „Hans Glauber. Utopie des Konkreten“, Raetia, 2011.

Wissen  „ Nur noch kurz die Welt retten “


Perspektiven Perspektiven Gestalten: Im kleinen Dorf Der Prad Architekt im oberen CarloVinschgau Ratti erklärt, hat Querdenwie in­ kertum Tradition 23  telligente Städte funktionieren Nach ­hundertneunzig 96  Abrüsten: Jahren Für einen steht 100 industriealisierten, Aufbauen: Auch sanften der Weinbauer UmgangAlois mit der Lageder Naturdem Quergedacht: in Südtirol entstehen viele grüne biodynamischen Betrieb vor —Jobs 101  sein Credo: veredelte 104  Ver­ Kann Energie weiblich Qualität für dieheilen breite und Masse 43  In werden? Italien wird liebend 106 ändern: MitHänden bewusstem Konsum die Welt retten gerne mit und Füßen gesprochen, kann man Vorausblicken: Der Brief des Chefredakteurs 110 dabei Sprechenergie spare? Über Energieeffizienz trotz wilder Gestik schreibt Wolf Haas 44  Fixies, Mountainbike und Klapprad: Wie sieht das grünste Fortbewegungsmittel aus? 47

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Alessandra Viola

Die intelligente Stadt

Fotografie — Aurore Valade


Von Michelangelo heißt es, er sei nach Vollendung des Moses vom Realismus der Skulptur derart überwältigt und zugleich irritiert gewesen, dass er mit dem Hammer draufschlug und rief: „Warum redest du nicht?“ Die Vorstellung, ein so perfektes Objekt sei nicht in der Lage zu kommunizieren, war für den genialen Bildhauer offenbar unerträglich. Wer weiß, ob es ihn freuen würde zu hören, dass ein Architekt, auch er ein Italiener, das Problem dadurch lösen will, dass er die Objekte miteinander verknüpft und sie befähigt, mit uns zu kommunizieren. Carlo Ratti lehrt am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston Urban Technologies, also Urbanistik und neue Technologien, und leitet das SENSEable Lab des MIT sowie das Büro „carlorattiassociati“ mit Sitz in Turin, London und Boston. Seine Projekte reichen von der Architektur bis zum Design und beinhalten die Neukonzeption einiger Objekte und Begriffe, die uns äußerst vertraut sind, etwa unsere Vorstellung von der Stadt. „Nord & Süd“ bat Carlo Ratti zum Interview. A V (Alessandra Viola) — Die Stadt ist ein festes Gefüge von Häusern und Menschen, die sich darin bewegen, darin arbeiten und leben. Gibt es etwas Selbstverständlicheres? C R (Carlo Ratti) — Im Gegenteil, das Gefüge und die sozialen Bindungen einer Stadt verändern sich im Laufe der Zeit. In den letzten Jahrzehnten fand sogar ein ziemlich rascher Wandel statt. A V — Wie verändern sich die Städte? C R — Binnen weniger Jahre wurden die Städte mit Sensoren und elektronischen Netzwerken überzogen und haben sich praktisch in Computer unter freiem Himmel verwandelt. Deshalb beginnen Städte, ihren Bewohnern auf verschiedenste Weise zu antworten; Städte können gehört und auf eine Art und Weise betrieben werden, wie es bisher nicht möglich war. Eine Stadt zu überwachen bedeutet, eingreifen zu können, um Dinge in Ordnung zu bringen, die nicht funktionieren. Es bedeutet, die Stadt zu rationali­ sieren und effizienter zu machen. Dabei handelt es sich nicht um eine technische Spielerei, sondern um

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etwas wirklich Nützliches: Die Städte beanspruchen heute gerade einmal 2 Prozent der Erdoberfläche, beherbergen aber 50 Prozent der Weltbevölkerung, verbrauchen 75 Prozent der Energie und stoßen bis zu 80 Prozent des gesamten Kohlendioxids aus. A V — Es ist jetzt oft vom „Internet der Dinge“ die Rede, einem Netzwerk von Objekten, die Daten und Informationen übertragen und damit immer intelligenter werden. Wie wird das unser Leben verändern? C R — Unser gesamtes Lebensumfeld hat ange­ fangen, auf uns zu reagieren. So als ob jedes Atom sowohl zum Sensor als auch zum Aktor würde, der Daten empfangen, Informationen senden und sich den empfangenen Daten entsprechend ver­ halten kann. Dies verändert unsere Interaktion als Menschen in radikaler Weise. Manche sprechen in diesem Zu­ sammenhang von Smart Citys, aber wir, die dreißig Leute, die am SENSEable City Lab des MIT in Boston arbeiten, nennen sie lieber Senseable Citys, ­womit „spürbare“, „sinnvolle“, „sensible“ und „sensorgesteuerte“ Städte gemeint sind. Das ist ein Name, der mehr auf den Menschen zugeschnitten ist und ihn in den Mittelpunkt rückt, nicht die Technik. Im SENSEable City Lab versuchen wir herauszufinden, wie die Technik unser Verständnis der Stadt verändert, unsere Art, sie zu planen und letztendlich in ihr zu leben. Die Senseable City ist eine Stadt, die zu uns spricht und uns über Netzwerke ständig mit zu verarbeitenden und zu verknüpfenden Daten ­versorgt. Das macht unendlich viele Anwendungen möglich: vom Energieverbrauch bis zum Verkehr und zur Abfuhr und Entsorgung der Abfälle. Alle As­pekte und Dimensionen der Stadt lassen sich dank dieser umfassenderen Informationen radikal verändern. A V — Wenn von Smart City die Rede ist, unterliegt man der Versuchung, sich weit weg gelegene Hightech-Orte vorzustellen, die erst in jüngster Zeit gebaut wurden. Lässt sich der Ausdruck auch auf ganz andere Situationen oder auch auf Länder wie Italien beziehen? C R — Für Italien ist das Modell der Smart City ei­ ne sehr wichtige Chance. In einem Land, in dem die Bevölkerung nicht wächst und die Wohnqualität nicht steigt, sondern aufgrund der Krise die Wohnfläche pro Kopf tendenziell sogar schrumpft, ist nicht mehr daran zu denken, die Stadtflächen zu erweitern wie im letzten Jahrhundert. Es würde dadurch nicht nur unberührte Natur, greenfield, wie es im Englischen heißt, unnötigerweise verschlissen, die unausweichliche Folge wäre, dass die bereits bebauten Gebiete sich leeren und damit dem Verfall überlassen würden. In Zukunft wird es immer wichtiger, den vorhandenen Bestand aufzuwerten und dabei städtebauliche Fehler zu beheben, auch unter Einsatz

Alessandra Viola


neuer Technologien. Beispiel Verkehr: Es gibt bereits Autos, die von selbst fahren, und Netze, die es uns ­erlauben, auf der Suche nach einem Parkplatz keine Zeit und kein Benzin zu vergeuden. In Singapur haben wir ein Labor und ein Team, das sich im Rahmen des Projekts LIVE Singapore mit urbaner Mobilität beschäftigt. Es handelt sich um eine Open-SourceSoftware, die mit Echtzeitdaten arbeitet, um den aktuellen Zustand der Stadt zu analysieren. Die Daten werden mit einer Vielzahl von Kommunikationsapparaten, Mikroüberwachungssystemen und Sensoren im urbanen Lebensraum erfasst. Die so ge­ sammelten Ergebnisse können dazu beitragen, das Leben in der Stadt besser zu gestalten, auch durch die Entwicklung neuer Anwendungen. A V — Die Menge der gesammelten oder verfügbaren Daten hat in den letzten Jahren unsere Fähigkeit, sie nutzbringend zu verwenden, deutlich überstiegen. Die Technik durchdringt bereits alle Aspekte des täglichen Lebens. Wie können wir sie nutzen, um besser zu leben? C R — Der Datenaustausch ist heute grundlegend und kann unter anderem einen sparsamen Umgang mit Energie und Ressourcen fördern. Sich der Verschwendung bewusst zu sein, kann ein sparsameres Verhalten auslösen. Wenn wir merken, wie und wie viel wir verschwenden, hören wir damit eher auf. Mit dem Projekt Trash Track („Dem Abfall auf der Spur“) wollten wir den Weg des Mülls verfolgen, nachdem wir ihn weggeworfen haben. Auf diese Weise haben wir entdeckt, dass der Zyklus keineswegs linear oder logisch ist und noch erheblich optimiert und verbessert werden kann, was in Zukunft auch deutliche wirtschaftliche Einsparungen ermöglicht. Zu wissen, dass die weggeworfene Plastikflasche, auch wenn wir sie aus dem Blick verloren haben, anderswo weiterlebt und nach einem Monat oder einem Jahr immer noch irgendwo herumliegt, schärft unser Bewusstsein und reduziert die Verschwendung. Diese Daten erstmals zur Verfügung zu haben, war für uns sehr wichtig. In anderen Fällen sind die Daten bereits vorhanden, man braucht sie nur noch innovativ zu nutzen. Mit dem Projekt Enernet zum Beispiel haben wir die Daten der Wi-Fi-Verbindungen als Parameter benutzt, der uns sagt, ob sich Menschen in einem Gebäude aufhalten. Damit kann man das Stromnetz in Echtzeit ausbalancieren. Diese Methode könnte mit sehr mäßigen Kosten an vielen Orten eingesetzt werden, um heute bereits faktisch verfügbare Informationen zu nutzen und ein so komplexes und dringendes Problem wie die effiziente Nutzung des ­Stromes anzugehen.

und sogar bei künstlerischen Installationen. Wie kommt es zu dieser Vielseitigkeit? C R — Das Internet ist dabei, in den physischen Raum einzudringen, und diese Entwicklung hat unseren Alltag erfasst. Wir befinden uns heute zwischen der digitalen und der materiellen Welt, die unsere Lebensweise verändert. Nehmen wir Formel1-Rennen, ein Beispiel, das mir am Herzen liegt, weil auch ich wie viele andere italienische Jungen in ­meinem Zimmer ein Poster von einem Rennwagen an der Wand hatte. Vor zwanzig Jahren reichten ein guter Motor und ein guter Fahrer aus, um zu ge­win­ nen. Heute braucht es dazu ein System der Tele­ metrie, das auf der Erfassung von Daten durch Tausende von Sensoren am Auto und ihrer Auswertung in Echtzeit beruht. A V — Überwachungssysteme in Echtzeit kommen mittlerweile vielfach zum Einsatz. Wie finden sie Eingang in unser Leben? C R — Als Beispiel kann ich den Digital Water Pavilion nennen, ein Gebäude, das wir im Eingangsbereich zur Expo in Saragossa gebaut haben, praktisch nur mit einer Handvoll Sensoren und Wasser. Es gibt keine Türen oder Fenster, sondern nur Wasserfälle, die den Eindruck kompakter Oberflächen vermitteln und dazu verwendet werden können, um Bilder darauf zu projizieren oder darauf zu schreiben. Das Gebäude „öffnet sich“, wenn sich jemand nähert, lässt ihn ein und schließt die Wasserwand hinter ihm wieder. Wenn man das Dach absenkt, verschwindet die Architektur praktisch ganz, und wer den Pavillon besichtigt hat, fragt sich oft: Warum hat man ihn abgerissen? Aber das Schönste passierte, als eines Nachts die Sensoren ausfielen und in den Wänden Löcher und Öffnungen entstanden und sich nach dem Zufallsprinzip wieder schlossen. Nach ein paar Stunden waren alle jungen Leute von Saragossa da und spielten mit dem Wasser. Sie können sich vorstellen, wie groß unsere Überraschung war. Wir haben daraus gelernt, dass man alles erfinden kann, auch mit komplexester Technik, aber was die Leute dann damit machen, wird immer etwas völlig Neues und Kreatives sein. Ein bisschen so, als hätte Mose plötzlich angefangen, mit Michelangelo zu sprechen. Und ihm eine völlig neue Geschichte erzählt.

Alessandra Viola (*1972), freie Print- und Fernsehjournalistin in Rom, unter anderem für „L’Espresso“, „La Repubblica“, „Il Sole

A V — Ihre Forschungsergebnisse fanden Anwendung in der Architektur, aber auch bei Gütern des täglichen Bedarfs wie Fahrrädern, Küchenherden oder Mobiltelefonen

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24 Ore“ und RAI. Übersetzung: Walter Kögler

Perspektiven  Die intelligente Stadt


99

Autor


Michil Costa

Das Feuer wurde in der Antike

Gemeinwohlbilanz

­verehrt und respektiert. Als die Men-

Vier Elemente

schen lernten, es für sich nutzbar zu ma-

Es ist noch nicht alles verloren. Luft und

chen, wärmten sie sich daran und berei-

Erde, Wasser und Feuer sind Allgemein-

teten darauf ihre Nahrung zu. Das Feuer

güter, mit denen wir sorgsam und sanft

ist jedoch ein ambivalentes Wesen: Es ist

umgehen müssen. Es geht um nichts

heilsam, reinigend und zugleich zerstöre-

we­niger als den Erhalt und die Rechte

risch. Jährlich fallen riesige Flächen an

der Erde, auf der wir leben. Nicht die

Wald dem Feuer zum Opfer – willentlich.

wirt­schaftlichen Aspekte werden uns da-

Für die Herstellung von Biokraftstoff wie

bei antreiben.

etwa Palmöl werden Hunderte Hektar

Für unseren Hotelbetrieb haben

Wald brandgerodet. Wenn wir weiter so

wir einen Weg eingeschlagen, der ein

mit unserer Umwelt umgehen, berauben

neues Bewusstsein in die Praxis umsetzt.

wir uns der ureigensten Lebensgrund-

Wir messen unser unternehmerisches

lage. Im übertragenen Sinn: Das Spiel

Tun nicht nur am Umsatz, sondern auch

mit dem Feuer kann uns teuer zu stehen

an den 17 Kriterien der Gemeinwohlbi-

kommen.

lanz, die sich an Werten wie Gerechtig-

Alles im Leben ist Energie. Wir verbrauchen allerdings zu viel davon und stoßen deshalb an natürliche Grenzen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Vorräte an fossilen Brennstoffen ausgeschöpft sein werden. Dagegen sind die Elemente Luft und Erde, Feuer und Wasser seit jeher unsere natürlichen Energiequellen.

k o

Luft, Erde, Feuer und Wasser

l Wir atmen keine saubere Luft. Immer

u

noch bauen wir Straßen, die noch mehr

m

Autos anlocken. In Italien kommen auf 1.000 Einwohner mehr als 600 Kraftfahr-

n

zeuge, das ist ein Spitzenwert in Europa.

e

Dabei geht es auch anders: Am Rhein ist eine Fahrradstraße geplant, welche die

C

Ausmaße einer Autobahn haben wird. In

O

London hat der Stararchitekt Renzo Piano für sein neues Hochhausprojekt bewusst sehr wenige und nur für den Notfall bestimmte Parkplätze vorgesehen.

Mensch und Natur. „Luft, Erde, Wasser und Feuer sind Allgemeingüter, mit denen wir sorg-

S

sam und sanft umgehen müssen.“  Foto: Gustav Willeit

T A

Sind die Italiener weniger innovativ und unsensibel in Umweltfragen? Vielleicht.

Im Wasser, das mehr als zwei Drit-

keit, Menschenwürde, ökologische Ver-

Bisher hatten sie selten den Mut, solche

tel der Erdoberfläche ausmacht, ­leben

antwortung, Demokratie, Mitgefühl oder

Wege zu beschreiten.

mehr als 200.000 verschiedene Arten

Solidarität orientiert. Im Jahr 2011 haben

Ähnlich steht es um unsere Erde,

von Lebewesen, die uns Nahrung und die

über 100 Pionierunternehmen freiwillig

deren Ressourcen wir ausbeuten. Im Jahr

Hälfte des Sauerstoffs liefern, den wir

eine solche Bilanz erstellt. In Südtirol

2010 legte der südafrikanische Umwelt-

zum Atmen benötigen. Aber was machen

sind es heute fünf von 850 Hotels, die

rechtler Cormac Cullinan der UN-Gene-

wir? Wir überfischen die Meere. Die

dasselbe Wirtschaftsmodell für sich eta-

ralversammlung eine Universalerklärung

meisten der großen Fischarten sind aus-

bliert haben. Damit sich für die Zukunft

über die Rechte der Erde vor. Sein Vor-

gestorben. Die Flüsse, die in Tibet ent-

Entscheidendes zum Wohl unserer Erde

schlag: Zu ihrem Schutz soll sie zur

springen, versorgen die Hälfte der Welt-

verändert, benötigt es viel mehr davon.

Rechtsperson werden. In Ecuador ist die-

bevölkerung mit Wasser. Im Gegenzug

ser Paradigmenwechsel schon Realität:

plündern, verschmutzen, privatisieren

Vertreter des Flusses Vilcabamba gewan-

und vergewaltigen wir die Gewässer und

Michil Costa (*1961), engagierter Um-

nen einen Rechtsstreit gegen die eigene

damit unsere Mutter Erde, unsere Pacha-

weltschützer und Gastronom, führt mit

Regierung, die das Wasser wirtschaftlich

mamma, wie sie von den Andenvölkern

seiner Familie das Hotel La Perla in

nutzen wollte.

liebevoll genannt wird.

­Corvara im Gadertal.

100

Perspektiven  Vier Elemente


Ariane Löbert

Grün wirtschaften

Fotografie — Jasmine Deporta

Der Bereich der Green Economy wächst rasant. Viele Arbeitsplätze werden in den kommenden Jahren durch nachhaltiges Wirtschaften entstehen. Auch in Südtirol.

Ökologisch nachhaltig, wirtschaftlich profitabel und gleichzeitig sozial ausgewogen – das ist die Formel der Green Economy. Früher nannte man derlei schlicht Nachhaltigkeit. Das Konzept ist also alles andere als neu und lässt sich auch nicht auf einige wenige Wirtschaftsbereiche reduzieren. Fast jeder Installateur bietet heute auch umweltrelevante Dienstleistungen an, indem er Solaranlagen, Wärmepumpen oder Biomasseheizungen installiert. Längst nicht jeder zur Green Economy gezählte Betrieb erwirtschaftet seinen gesamten Umsatz in diesem Bereich und längst nicht alle Mitarbeiter eines Unternehmens mit Nachhaltigkeitsanspruch verrichten Tätigkeiten, die sich als „grün“ bezeichnen lassen. Ein Umstand, der es nicht leichter macht, die Green Economy sicher zu qualifizieren und zu quantifizieren, sagt Sepp Walder, Projektmanager im Bereich Umwelt und Energie des TIS innovation park in Bozen, der Unternehmensbrutstätte und Innovationspartner in einem ist. Für Südtirol will er im Rahmen einer jüngst angelaufenen Studie jetzt erstmals einen detaillierten Überblick verschaffen. Dass das nachhaltige Wirtschaften seit Jahren ein enormes Wachstum erlebt, ist dennoch gut dokumentiert. Laut dem Umwelttechnologie-Atlas des deutschen Bundesumweltministeriums ist der weltweite Markt für Umwelttechnik und Ressourceneffizienz zwischen 2007 und 2010 um rund 12 Prozent pro Jahr gewachsen und hat heute ein Volumen von knapp zwei Billionen Euro. Auch in Südtirol hat die Green Economy in den vergangenen 20 Jahren bemerkenswerte Zuwächse verzeichnet. Zählte man 1990 erst 110 Betriebe zum grünen

Produktionshalle von Progress. Das Unternehmen aus Brixen hat sich auf das energieeffiziente Bauen spezialisiert und unter anderem eine Außenwand mit integrierter Warmedämmung entwickelt

101

Ariane Löbert


Wirtschaftszweig, waren es 2010 bereits 464 mit insgesamt rund 4.000 Beschäftigten. Die aktuelle Weltwirtschaftskrise hat diese Vorwärtsentwicklung zwar etwas verlangsamt, größere Einbrüche blieben jedoch aus, was die These bestätigt, dass nachhaltiges Wirtschaften Unternehmen krisenfest macht.

Apfelpapier mit dem schönen Namen Cartamela. Das Papier mit dem edlen Schilfton wird in Verona hergestellt und italienweit verkauft. Auch Toiletten- und Küchenpapier gibt es ebenso wie Apfelkisten und „Apfelsixpacks“ für den Supermarkt – da kehrt der Apfel gewissermaßen zu sich selbst zurück. Nicht mal halb so alt wie der drahtige Bozner Erfinder, aber nicht minder kreativ sind die Gründer von ReBello. Das Ökomodelabel stellt trendige T-Shirts aus organischer Baumwolle und anderen, weniger bekannten Naturfasern wie Bambus und Eukalyptus her. Die mit verschiedenen Ökosiegeln zertifizierten Shirts werden überwiegend in Deutschland, aber auch in Österreich, der Schweiz und den Benelux-Ländern verkauft – und zwar nicht im klassischen Bioladen, sondern in angesagten Boutiquen und Modeketten. „Wir sind 2010 mit 3000 selbst designten T-Shirts gestartet“, sagt Daniel Tocca, der ReBello gemeinsam mit seinen Freunden Emanuele Bacchin und Daniel Sperandio gegründet hat. Heute verkauft man bereits 20.000 Stück und ab Herbst sollen Hosen und Strickwaren die Kollektion erweitern. Hochwertige und ökologisch korrekte Shirts mit unverwechselbarem Stil haben sich für die Jungunternehmer als echte Marktlücke erwiesen, die Nachfrage steigt und steigt. „Wir wollen ein Toplabel im Ökomodebereich werden“, sagt Tocca denn auch selbstbewusst. Design und Vermarktung erfolgen von Leifers aus, produziert wird in der Türkei und in Griechenland, wo auch die Mehrzahl der Rohmaterialien nach biologischen Richtlinien angebaut und verarbeitet wird. Derzeit bastelt man gemeinsam mit dem TIS und mit Unterstützung des Landes Südtirol an neuen, möglichst einheimischen Materialien – „an Apfelreste denken wir dabei aller-

Die Erfindungen von Alberto Volcan reduzieren den Abfall und sind vollständig biologisch abbaubar

Erfinder und Rebellen

In diesem Sinne krisenfest ist auch der Erfinder Alberto Volcan. Der 71-jährige Ingenieur, Computerentwickler und Weltreisende hat diverse Patente an den Wänden seines Bozner Büros hängen, allein zwölf davon beschäftigen sich mit der Verwertung all dessen, was bei der Verarbeitung von Äpfeln übrig bleibt. Apfelreste sind Volcans große Leidenschaft. Aus ihnen stellt er nicht nur Ölabscheider für die Industrie her, er macht auch Papier daraus und sogar eine Art Kunstleder. Zu seinen neuesten Erfindungen zählen kompostierbare Windelfüllungen aus Apfelgranulat und Solarthermiepaneele, die dank der getrockneten Apfelreste weit mehr Wärme produzieren als herkömmliche Modelle. „Derzeit laufen dazu Feldversuche an der landwirtschaftlichen Versuchsanstalt Laimburg“, sagt der Erfinder. Besonders stolz ist er darauf, dass seine Produkte Abfall reduzieren und dabei völlig ungiftig und komplett biologisch abbaubar sind. Die Testphase längst überwunden hat Volcans

102

Die trendigen T-Shirts von Re-Bello werden in angesagten Modeketten verkauft

dings nicht“, meint Daniel Tocca. Ein Fernziel ist, auch in Italien zu produzieren, denn ein „Made in Italy“ ist im Mode- und Designbereich immer noch so etwas wie ein Adelstitel. Ein „Made in Südtirol“ wird es allerdings, ebenso wie beim Apfelpapier, nicht geben, dazu fehlen hierzulande schlicht die entsprechenden Industriezweige.

Perspektiven  Grün wirtschaften


Wirtschaft im Wandel

Mangelware sind oft auch gut dotierte Jobs für Akademiker. Hochschulabgänger tun sich zuweilen schwer, in Südtirol eine ihrer Qualifikation entsprechende Beschäftigung zu finden. Weit stärker nachgefragt sind hierzulande Facharbeiter mit Zusatzqualifikationen im Umwelt- und Energiebereich. Inzwischen haben auch die Berufsschulen diese Entwicklung erkannt und beginnen spezielle Ausbildungsgänge anzubieten. In Meran gibt es bereits eine Weiterbildung zum „Solarteur“, einem geschützten Titel, der seinen Träger als Experten für Solartechnik und erneuerbare Energie ausweist, und in Schlanders will man in diesem Jahr mit einer Ausbildung zum Baubiologen starten. Spezialisierungen für Elektro- und Anlagentechniker ebenso wie für Installateure sollen folgen. Weiterbildung, die sich auch für die Beschäftigten rechnet – zusätzliche Kompetenzen erhöhen die Arbeitsplatzsicherheit und machen sich auch in der Lohntüte positiv bemerkbar. An der Freien Universität Bozen kann man einen Bachelor in Innovation Engineering erwerben, es gibt einen KlimaHaus Master, der Planer zu Experten im Bereich des energieeffizienten Bauens ausbildet, und ein Doktoratsstudium in Erneuerbaren Energien und Tech­ nologie. Derzeit suchen die Absolventen ihr Glück noch ­häufig im Ausland, aber nach und nach zeigen die Forschungs- und Entwicklungsbemühungen verschiedenster Unternehmen, aber auch von TIS und Europäischer Aka-

103

demie Bozen Wirkung und wandeln die immer noch stark von Handwerk, Tourismus und Landwirtschaft geprägte Wirtschaftsstruktur und damit auch die Beschäftigungsmöglichkeiten im Land. Ein Unternehmen, das diese Entwicklung seit Langem begleitet und vorantreibt, ist das Brixner Bauunternehmen Progress. Als Hersteller von Betonfertigteilen war man von Anbeginn an der Entwicklung des KlimaHauses, einem von der öffentlichen Hand zertifizierten Niedrigenergiehaus, beteiligt und hat sich verstärkt dem energieeffizienten Bauen zugewandt. Herausgekommen ist dabei unter anderem die sogenannte Thermowand®, eine Außenwand mit integrierter Wärmedämmung, die Bauten im sogenannten KlimaHaus-Standard ermöglicht. Das sind Neubauten, die nur mehr 5 Liter Heizöl pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr verbrauchen. Ebenfalls eine Eigenentwicklung ist die sogenannte Klimadecke® – ein Deckenelement mit integriertem Heiz- und Kühlsystem. „Das Prinzip der Deckenheizung ist besonders interessant, weil es im Winter für Wärme und im Sommer optimal für Kühlung sorgt“, sagt Hanno Töll, der bei Progress Innovationsprojekte koordiniert. Für die Thermowand wurde jüngst im Rahmen der Innovation School des TIS eine Lebenszyklusanalyse erstellt. Dabei wird der Lebenslauf eines Produktes von der Entwicklung bis zur endgültigen Beseitigung analysiert. Betrachtet werden sämtliche Energie- und Materialflüsse, die in das Produkt einfließen. „Für uns war das eine sehr interessante Erfahrung, die uns ganz neue Einblicke in unseren Betrieb gegeben hat“, sagt Hanno Töll. Jetzt mache man sich an die Umsetzung der Erkenntnisse. Viele neue Geschäftsfelder

Die Erfolgsgeschichte KlimaHaus ist ein wesentlicher Motor der Green Economy in Südtirol. Den weitaus größeren Teil der Gebäude machen aber auch hierzulande die Altbauten aus. Deren energetische Sanierung ist Herausforderung und Chance gleichermaßen. Als eines der größten Probleme erweist sich dabei meist die Finanzierung. Sie stellt private Eigentümer, ganz besonders Eigentümergemeinschaften von Mehrfamilienhäusern, oft vor unlösbare Probleme. Neue Möglichkeiten bieten sogenannte EscoFinanzierungen, bei denen ein Investor die Kosten für die Sanierung übernimmt und sich anschließend durch die erzielten Einsparungen refinanziert. Eine abgespeckte

Ariane Löbert


Variante ist das Energiecontracting, bei dem nur die Kosten für die Heizanlage vorfinanziert werden. In Südtirol beackert die Firma Eneralp dieses noch junge Geschäftsfeld derzeit quasi in Alleinstellung. „In Zeiten explodierender Öl- und Gaspreise steigt die Nachfrage nach Biomasseheizungen“, sagt Jürgen Viehweider, der Eneralp gemeinsam mit seinem Bruder Thomas leitet. Die Heizanlagen werden von ihnen geplant, eingebaut und auch gewartet. Nach Ende der Vertragslaufzeit geht die Anlage ins Eigentum der Auftraggeber über. Die Green Economy wird von der UNO erklärter­ maßen als Antwort auf die vordringlichsten globalen Problemfelder wie Klimawandel, Ressourcenknappheit und Bevölkerungswachstum gesehen. Laut UN-Schätzungen werden in diesem Bereich in den kommenden Jahrzehnten weltweit zwischen 15 und 60 Millionen neue Jobs entstehen. Auch Beratungs- und Planungsfirmen im Umwelt- und Energiebereich werden eine immer stärkere Bedeutung bekommen, Planungsbüros wie die Bozner Energytech. Die Gebäudetechnik der Handelskammer in Bozen oder des Firmensitzes der Salewa-Gruppe wurden hier projektiert und bauleitend betreut. Das Unternehmen, das ähnlich wie Eneralp aus der Initiative zweier Ingenieure entstanden ist, ist mittlerweile im gesamten oberitalienischen Raum bis hinunter nach Rom tätig. „Wir werden überall dort hinzugezogen, wo energetisches Know-how gefragt ist“, fasst

Waltraud Mittich

Energisch und energetisch

Ihren Wörtern auf der Spur zu bleiben, ist eine Möglichkeit, Aufschluss zu bekommen über eine Gesellschaft. Energie ist ein derartiges Schlüsselwort. Es kommt aus dem Griechischen, wie die meisten unserer Signalwörter. Ironie des Schicksals angesichts der heutigen ­Si­tuation: Energie bedeutet Wirken. Alle

Laut UN-Schätzungen werden im ­Bereich Green Economy in den ­kommenden Jahrzehnten weltweit zwischen 15 und 60 Millionen neue Jobs entstehen.

­wollen wir energisch sein, dynamisch, effi­zient, berechenbar. So ähnlich, wie Mephisto es in Goethes Faust meint: „Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr.“ Gleichzeitig wiederum wollen wir nicht nur rational sein. Wir lassen uns auf das Qi ein, auf die tantrischen Chakras, importierte Energiezentren, wie auch auf drinks, die energy versprechen. Positive Energie würden wir ebenfalls

Norbert Klammsteiner, einer der beiden Unternehmensgründer, zusammen. Längst arbeitet man mit namhaften Architekten wie David Chipperfield oder Matteo Thun ­zusammen. „Energie ist heute ein wesentlicher Kostenfaktor für die Wirtschaft“, sagt Klammsteiner, deshalb setzen immer mehr Unternehmen auf Kraft-Wärme-Kopplungs­ anlagen, Energieerzeugung und sinnvolle Energie- und Ressourcennutzung. Die Notwendigkeit zu sparen und neue Wege zu gehen, ist eine der wesentlichen Antriebsfedern für die Green Economy und schafft viele neue Berufsfelder und Arbeitsplätze. Auch in Südtirol.

gern ­ausstrahlen: Die Aura, ihre Schwingungen, deren Energien haben es uns angetan. Energie als Lebenskraft, als sexuelle Energie, elan vital, den vigore – die ­firmeza sollten wir gesondert benennen. Die vierte Bedeutungsebene von Energie, von der unser Weiterbestehen abhängt, meint die verschiedenen Energieträger wie Mineralöl, Erdgas, Braunund Steinkohle, Uran und die alternativen bzw. erneuerbaren wie Wind-, Wasser-, Solarkraft. Wir haben unglaublich viele neue Wörter für unsere Energiewirtschaft

Ariane Löbert (*1969), freie Journalistin in Bozen, unter anderem

­erfunden, besonders in der deutschen

für das Wochenmagazin „ff“, „Südtirol Panorama“ und RAI-Sen-

Sprache. Der letzte große Wortwurf

der Bozen.

nennt sich Energiewende. Eingeläutet wurde sie – wieder einmal – von den Deutschen. Sie sind gut im Wortfinden für solcherlei, aber auch sensibel, es ist

104

Perspektiven  Grün wirtschaften   Energisch und energetisch


nicht nur die german angst, die sie an-

züglich positive Meldungen. Ich nenne

wünschen, weil sie sich mehr Privatleben

treibt. Ein weiteres deutsches Neuwort

zwei Beispiele: Die Kleinstadt Bruneck

erwarten vom Leben, junge Frauen an

nennt sich Energiesparampel, das Wort

im Pustertal ist eine von 20 Gemeinden

den Schaltstellen der Macht, weniger

gehört zur Serie Energiesparen, Energie-

Italiens, die ihren Energiebedarf zu 100

risikobereit und somit mehr auf wirt-

sparlampen usw. Davon reden nun alle

Prozent aus erneuerbaren Energien

schaftliche Risiken achtend. Sie werden

oft und viel. Genauso wie von der Ener-

deckt. Der Energiemix speist sich aus

zusammen unsere Energiewirtschaft in

gieeffizienz, die zu einer Energieeinspa-

drei kleinen Wasserkraftwerken, einer

das Postwachstum führen und sich ein

rung beim Energieeffizienzhaus und dem

Fernwärmanlage, Solar- und Fotovoltaik-

wenig vom Überfluss verabschieden.

entsprechenden Auto führen soll. Es geht

anlagen, einer Biogasanlage und in Zu-

aber auch die Rede von einem Energie­

kunft auch aus Geothermie. Das Dorf

alternativen Medizin, dass der Heiler

effizienzmythos. Energieeinsparungsge-

Toblach wurde von der RES Champions

seine eigenen Energien einsetzt, um den

setze und -verordnungen sollen dieses

League für beste europäische Energie­

Heilungsprozess in Gang zu bringen. Der

doch recht unvollständige Energie-Wör-

kon­­zepte ausgezeichnet.

Glaube versetzt dabei Berge. Aber viel-

ter-Bild abrunden. Ich will aber nicht abschließen,

Das Thema Energie ist in Südtirol

Energetisch heilen bedeutet in der

leicht ist doch manches wahr, was wir

derzeit jedoch auch ein brenzliges – so

nicht rechnen können. Ans Handauflegen

ohne meinen persönlichen sprachlichen

brenzlig, dass es einen Sonderbeauftrag-

glaube ich nicht, wohl aber daran, dass

Spitzenreiter einzubringen: Er nennt sich

ten für Energie braucht, weil politische

der weniger energische Einsatz von Ener-

Energetisches Sanieren. Die Philosophen

Energiemisswirtschaft einen Energie­

gie heilsam wäre und wir uns so selbst

bezeichnen als energetisch die Grund-

skandal ausgelöst hat. Wenn wir im-

heilen könnten.

lage und das Wesen allen Seins. Das

stande wären, all unsere Energien in eu-

kann beim Sanieren nicht gemeint sein.

ropäische Energiekonzepte zu stecken,

Energetik als Ausgleich zum Gleichge-

von der ­Profitmaximierung abzusehen,

wicht nach C. G. Jung kommt dem Gan-

genossenschaftlich zu denken und zu

k o

„Unser Energiehunger ist unstillbar."

l

Foto: André Karwath aka Aka, cc-Lizenz

u m

Waltraud Mittich (*1946), Schriftstellerin

n

in Bruneck. Aktuelle Buchveröffentli-

e

chung: „Du bist immer auch das Gerede über dich“, Raetia, 2012.

M I T T I C H zen möglicherweise näher. Aber nein,

handeln, wenn wir, Männer und Frauen

es handelt sich doch wieder nur um eine

zusammen, eine weibliche Energiewirt-

Energiesparmaßnahme, es geht um die

schaft zustande brächten – weiblich im

Abdichtung eines Bauwerks.

Sinne von gerecht, emphatisch, beschei-

Unser Energiehunger ist unstillbar.

den, fürsorglich –, dann bräuchten wir

Nicht nur die sprachlichen Neubildungen

uns um die Zukunft des Planeten weniger

beweisen es. Und Energie haben, ist

Sorgen zu machen. Wir müssen es schaf-

für uns gleichbedeutend mit Verprassen,

fen, die Areale im Gehirn, die für Akti­­

Verpulvern, Verpuffen. Durch den  Schorn­

vismus, ­Aggression, allzu energisches

stein jagen ist ein Sprachbild aus vor­

­Handeln verantwortlich sind, weniger zu

modernen Zeiten. Es wäre an der Zeit,

beanspruchen.

unsere Energien anders zu bündeln, sie

Ich glaube, dass die Energiewende

in einen besseren Kapitalismus, jeden-

vorangetragen wird von der Generation,

falls in eine andere Energiewirtschaft zu

die nach 1980 geboren ist. Junge Männer,

investieren. Aus Südtirol gibt es diesbe-

die sich eine andere Unternehmenskultur

105

Waltraud Mittich


Juliet Schor

Was uns wirklich reicher macht

Illustration — Ika Künzel

lösen. Was wir darüber hinaus brauchen, ist eine neue Art des Arbeitens und Konsumierens. Wir müssen unser tägliches Leben neu gestalten. Kurzum: Wir brauchen ein alter­natives Wirtschafts- und Lebensmodell und nicht bloß ein neues Energiesystem. Der Übergang in eine nachhaltige Wirtschaft wird Jahrzehnte dauern, und Plenitude ist auch eine Strategie, die sicherstellt, dass es uns in dieser Zeit des Übergangs weiterhin gut geht. Der Charme dieses Ansatzes ist es, dass er sich sofort umsetzen lässt. Wir müssen nicht darauf warten, bis die grünen Technologien sich durchgesetzt haben. Und auch die Regierungen müssen nicht unbedingt mitmachen: Jeder kann für sich alleine loslegen – und viele tun es schon. Plenitude ist aber mehr als die private Antwort auf ein kollektives Problem. Jene Menschen, die die Grundsätze von Plenitude bereits umsetzen, sind Pioniere einer Veränderung auf der untersten Ebene, ohne die das schrecklich aus den Fugen geratene Gesamtsystem nicht wieder ins Gleichgewicht kommen wird. Vier Prinzipien

2008 stand der globale Kapitalismus am Abgrund. Das Finanzsystem drohte zusammenzubrechen und konnte nur mit umfassenden Regierungsgarantien und massiven Geldspritzen gerettet werden. Dennoch wurden weltweit Vermögenswerte in Höhe von 50 Billionen Dollar auf einen Schlag ausradiert. Und das ist nur ein Teil der Tragödie, die uns bedroht. Die Forschung zeigt, dass wir Menschen unseren Planeten weit schneller ausplündern, als er sich regenerieren kann. In den Weltmeeren breiten sich die Zonen aus, in denen kein Leben mehr existiert; einst frucht­ bares Farmland verwandelt sich in Wüsten. Die Arten­viel­ falt schrumpft dramatisch. Setzen sich die gegen­wärtigen Trends fort, so warnen Wissenschaftler, werden die ­Ozeane bis 2050 leergefischt sein. Dabei ist Fisch die wich­tigste Nahrungsquelle für Milliarden von Menschen. Doch es gibt einen Ausweg aus der ökonomischen Krise mit steigenden Preisen für Nahrungsmittel und Energie und der Furcht vor einer Klimakatastrophe. Ich benutze dafür das Wort „Fülle“, Englisch „Plenitude“. Es ist ein ­Sy­nonym für die Großzügigkeit der Natur. Plenitude bie­ tet uns die Chance wiederzuentdecken, was uns wirklich ­reicher macht, zum Beispiel die Rückbesinnung auf ein ­starkes Miteinander. Plenitude bedeutet, nach anderen ­Maximen zu leben als nach denen, die in den vergangenen 25 Jahren dominiert haben. Dieser Lebensstil orientiert sich im Kern an ökologischen und sozialen Zielen, aber er ist keine Verzichtsideologie. Im Gegenteil: Er bringt mehr Lebensqualität als das Festhalten am „Business as usual“, das nur dazu führen wird, dass unsere natürlichen und ökonomischen Lebensgrundlagen zerstört werden. Wie die meisten Nachhaltigkeitsvisionen, die in den zurückliegenden Jahren vorgestellt worden sind, setzt auch Plenitude auf den Einsatz hochentwickelter grüner Technologien. Ohne sie würden wir einer ungewissen Zukunft entgegenblicken. Aber mein Ansatz ist nicht auf Technik fixiert. Mit ihr allein können wir die Probleme nicht

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Aus der Sicht des Einzelnen gibt es vier Prinzipien, die Plenitude ausmachen. Das erste Prinzip ist eine neue Nutzung der Zeit. Seit etlichen Jahren beobachten wir den Trend, dass die Menschen in den Industrieländern immer länger arbeiten und gleichzeitig immer größere Teile ihres Einkommens für teure Freizeitvergnügen und besinnungslosen Konsum verwenden. Alles ist marktorientiert. Es ist an der Zeit, dass wir diesen Trend umkehren und uns wieder stärker Aktivitäten jenseits des Markts zuwenden. Konkret bedeutet dies, Einkommen gegen zusätzliche freie Zeit einzutauschen. Und diese zum Beispiel in Projekte zu investieren, die der Umwelt wieder auf die Beine helfen. Oder sie dafür zu nutzen, unsere zwischenmenschlichen Be­ ziehungen, die immer öfter zugunsten der Einkommens­ erzielung vernachlässigt werden, wieder intensiver zu ­pflegen. Der zweite Grundpfeiler von Plenitude heißt: Selbstversorger werden. Das bedeutet, die Dinge und Dienst­ leistungen des täglichen Gebrauchs – wann immer möglich – selbst herzustellen, anzupflanzen und zu erbringen, anstatt sie zu kaufen. Auf diese Weise lässt sich nicht nur der tägliche Stress reduzieren. Mehr Zeit aufs Selbermachen zu verwenden, eröffnet auch eine wichtige Erkenntnis: Je weniger man sich selbst unter Kaufzwang setzt, desto weniger Geld ist man gezwungen zu verdienen. Das wiederum bringt ein Gefühl der Befreiung und des Wohlbefindens mit sich. Die Wirtschaftskrise hat gerade in den USA die Do-it-yourself-Bewegung massiv gestärkt, die bis dahin vor allem von den Pionieren der Nachhaltigkeit wiederentdeckt worden war. Moderne, auch für Laien gut zu bedienende Maschinen, erhöhen die Produktivität des Selbermachens zudem enorm, wodurch das Ganze auch wirtschaftlich interessant wird. Der dritte Pfeiler ist ein neuer Materialismus, der sich in einem unserer Erde gegenüber respektvolleren Konsumverhalten widerspiegelt. Es liegt auf der Hand, dass die

Perspektiven  Was uns wirklich reicher macht


heutige Verbrauchskultur nicht respektvoll ist. In den wohlhabenden Ländern hat sich in den vergangenen Jahrzehnten das Tempo, in dem Produkte gekauft und weggeworfen werden, extrem gesteigert. Dabei wissen die Verbraucher relativ wenig darüber, woher die Produkte kommen und wie sehr ihre Herstellung und ihre Nutzung die Umwelt schädigen. In den USA konsumiert ein durchschnittlicher Verbraucher heute drei Mal so viel wie 1960. Diese gi­gan­tische Steigerung hat die globalen Material-

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flüsse enorm beschleunigt – und damit den globalen Ressourcen­verbrauch: 1980 förderten und verwerteten die Menschen 40 Milliarden Tonnen Metalle, fossile Energieträger, Biomasse und Mineralien. 25 Jahre später sprang die jährliche Verwertung um 45 Prozent auf 58 Milliarden Tonnen. Dabei steht diese gigantische Menge nur für jenen Teil der Rohstoffe, die tatsächlich Eingang in die Produkte finden. Weitere rund 39 Milliarden Tonnen werden während der Produktionsprozesse verbraucht.

Juliet Schor


Die Menschheit plündert die Erde weit schneller aus, als sie sich regenerieren kann. Machen wir weiter wie bisher, werden Energie, Transport und Konsumgüter beständig teurer. Die Wirtschafts­ krise, die auch eine ökologische Krise ist, hat neue Formen des Mangels gebracht: Knapp sind vor allem Einkommen, Arbeits­ plätze und Kredite. Aber der übliche Weg zurück zu mehr Wachs­tum – ein schulden­ finanzierter Konsumboom – ist keine Option mehr, die für uns in Frage kommt.

Juliet Schor (*1956) ist Soziologieprofessorin am Boston College. Davor lehrte die Spitzenforscherin mit der überlangen Liste an Veröffentlichungen Ökonomie an der Harvard University. Sie ist Autorin mehrerer Bestseller, die den westlichen Lebensstil kritisieren. Ihr jüngstes Buch „Plenitude“ erschien in Australien, in Japan und in China. Sie ist außerdem Gründungsmitglied der Bürgerbewegung des New American Dream, die für eine neue und bewusstere Konsumkultur ­einsteht. Jeder Amerikaner, betont Schor, kauft durchschnittlich alle fünf Tage ein neues Kleidungsstück, das er gar nicht braucht – und gibt dafür weniger Geld aus, als vielerorts ein Stück Brot kostet. Die engagierte Autorin ist sich sicher, dass die Menschen sinnvoll leben wollen, nur schaffen sie es häufig nicht, sich von ihren Zwängen zu befreien. Schor fordert deshalb einen „sinnvolleren Wohlstand“, der mit weniger Ressourcen auskommt, dafür aber zu mehr Zeit und sozialen Kontakten verhilft. „Arbeite und kon­sumiere weniger“, schreibt die zweifache Mutter in ihrem Beitrag für „Nord & Süd“, „schaffe stattdessen mehr Werte und Produkte selbst und knüpfe vor allem wieder mehr menschliche Kontakte.“

Meine Antwort auf die Krise ist, auf Nachhaltigkeit zu setzen. Dabei geht es nicht darum, Opfer zu bringen. Vielmehr plädiere ich für einen fundamentalen Wechsel zu grünen Technolo­gien, zu neuen Quellen des Reichtums und zu einer anderen Art zu leben. Übersetzter Auszug aus „Plenitude: The New Economics of True Wealth“, Penguin Press, 2010.

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Es ist leicht zu erkennen, dass eine Fortsetzung dieser Ausplünderung unseres Planeten in eine Sackgasse führt. Viele glauben noch immer, dass unendliches Wachstum möglich sei, denn der technologische Wandel senke zwangsläufig den Materialeinsatz. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) könne von Materialverwertung und Umweltverschmutzung so abgekoppelt werden, dass es ins Unermessliche steigen kann, während der Materialeinsatz schrumpft. Doch obwohl heute jeder Dollar des BIP einen geringeren Materialstrom verursacht, hat das Wachstum des BIP im Verlauf der vergangenen 25 Jahre diesen Effizienzgewinn fast überall sogar überkompensiert. Zwischen 1980 und 2005 steigerten die USA und Kanada ihren Materialeinsatz um 54 Prozent. Die Bevölkerungszahl stieg in der gleichen Zeit allerdings nur um 35 Prozent. Die Folge: Obwohl der Materialeinsatz pro Dollar des BIP um etwa ein Viertel sank, verdoppelte sich seine absolute Menge. Mehr menschliches Miteinander

Wir sollten uns auch klarmachen, dass sich unsere Konsumkultur drastisch geändert hat. Es geht nicht mehr so sehr um das Produkt an sich, sondern es ist mehr und mehr zum Statussymbol geworden. Frei nach dem Motto: Image ist alles! Besonders eindrucksvoll lässt sich das an Marken-Sportschuhen zeigen. Ihre Herstellung kostet nur ein paar Dollar, dennoch sind viele Konsumenten be­

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reit, dafür 200 Dollar und mehr zu zahlen – allein um zu ­zeigen, dass sie es sich leisten können. Solche Rituale müssen wir aufgeben, wenn es uns ernst ist mit der Rettung der Erde. Wir müssen nicht nur kritischer einkaufen, sondern auch verzichten lernen, um die Umwelt zu schonen. Damit komme ich zum vierten und letzten Grundpfeiler von Plenitude. Er handelt von der Notwendigkeit, wieder mehr in das menschliche Miteinander zu inves­tieren. Normalerweise werden soziale Beziehungen nicht unter wirtschaftlichen Aspekten betrachtet. Ich tue das sehr wohl. Für mich sind sie eine Form von Reichtum, die mindestens genauso wichtig ist wie Geld oder materielle Güter. Denn vor allem in schwierigen Zeiten überleben und entwickeln sich Menschen weiter, indem sie füreinander einstehen. Wo allein Business und Geldverdienen im Vordergrund stehen, leidet dieses Verständnis; die mensch­lichen Beziehungen werden schwächer, denn niemand hat mehr Zeit, außerhalb seiner Kernfamilie soziale Bezie­hungen zu pflegen. Wir verarmen emotional wie gesellschaftlich. Zusammengefasst ergeben die vier Grundsätze eine einfache Formel: Arbeite und konsumiere weniger – schaffe stattdessen mehr Werte und Produkte selbst und knüpfe vor allem wieder mehr menschliche Kontakte. Diese Einstellung würde die Umwelt entlasten und zugleich das Leben bereichern. Wir könnten es mehr genießen und ­würden aufblühen.

Juliet Schor


Dieter DĂźrand

Bunt, vital, einfallsreich – warum unsere Zukunft voller Chancen steckt


Wir alle pflegen unsere Vorurteile – ob wir wollen oder nicht. Kaum haben wir einen Menschen zum ersten Mal gesehen, schon bilden wir uns ein Urteil über ihn. Ebenso haben wir zu fast allem eine Meinung, obwohl wir oft herzlich wenig darüber wissen. Nur so finden wir durch den Alltag, sind in der Lage, trotz un­ vollständiger Information Entscheidungen zu treffen. Und dazu sind wir ständig gezwungen. Ich finde diesen Befund auch nicht weiter schlimm. Solange wir uns dieser Unzulänglichkeit bewusst bleiben und uns die Bereitschaft bewahren, unsere Vorurteile im Lichte genauerer Kenntnis zu korrigieren. Genau das musste ich im Zuge der Arbeit an diesem Heft tun. Als mich das Redaktionsteam, dem ich an dieser Stelle für die kritische, aber stets kon­struktive Zusammenarbeit herzlich danke, fragte, ob ich die zweite Ausgabe von „Nord & Süd“ mit dem Schwerpunkt Energie betreuen würde, schoss mir in den Sinn: Energie! Was soll Südtirol denn da schon zu bieten haben? In der Redaktion der „WirtschaftsWoche“, Deutschlands führendem Wirtschaftsmagazin, kümmere ich mich seit Jahren um dieses Thema. Und bei kaum einer Recherche waren mir Projekte oder Unternehmen aus Italiens nördlichster Provinz untergekommen. Allenfalls in Sachen Solararchitektur besaß sie einen gewissen Ruf. Aber sonst? Da spielt die Musik doch wohl woanders auf der Welt, dachte ich. Dennoch erschien mir die Aufgabe nach kurzem Nachdenken journalistisch reizvoll. Zum einen war da die Chance, ein komplettes Heft mitzugestalten. Und

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zum anderen die Möglichkeit, mein Urteil zu überprüfen und den eigenen Hori-

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zont um ein weiteres Mosaiksteinchen zu erweitern. Und siehe da! Schon bei der

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Konzeption der Themen zeigte sich: Meine Skepsis war mehr als unbegründet.

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Südtirol ist zwar nicht der Nabel der Welt beim Übergang vom fossilen ins Zeit­ alter der regenerativen Energieerzeugung. Wie sollte es das bei seiner Größe auch sein. Doch es ist, zumindest bei der Stromproduktion, längst grüner als der vermeintliche Ökoprimus Deutschland und treibt Innovationen voran, von denen ausländische Investoren profitieren und lernen können: sei es bei der Nutzung von Biomasse, neuartigen Windrädern oder energieeffizienten Bautechnologien. Bei unserem Energiestreifzug durch die Region haben Sie sich selbst davon überzeugen können. Inzwischen verstehe ich, woher der Innovationsgeist rührt, der hier so häufig anzutreffen ist. Die Menschen in den Tälern waren über Jahrhunderte darauf an­gewiesen, selbst Lösungen für ihr tägliches Überleben zu entwickeln und dabei sparsam mit den knappen Ressourcen umzugehen. Das hat sie geprägt. Und dieser Zwang hat sie erfindungsreich gemacht, gerade auch bei der Gewinnung und Nutzung von Energie. So ist es am Ende kein Wunder, dass in Südtirol mehr Gemeinden energieautark sind als sonst irgendwo in Europa. Und es gibt noch

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mehr Erfolgsgeschichten: Prad am Stilfser Joch erprobt das Stromnetz der Zukunft, entlang der Brennerautobahn entsteht eines der ambitioniertesten Wasserstoffprojekte in Europa und in Kurtatsch bei Bozen residiert mit Ewo ein Unternehmen, das Vorreiter bei der Einführung der sparsamen LED-Lichttechnologie ist. Aber nicht nur in Südtirol treiben Wirtschaft, Politik und engagierte Bürger den grünen Fortschritt voran. In ganz Italien kündigt sich – bei aller gefürch­teten politischen Launenhaftigkeit – ein solcher Wandel an. Das ist erfreulich. Nun gehört es zur journalistischen Ernsthaftigkeit, auch aufzuzeigen, was im Argen liegt und verbesserungswürdig ist. Anders entsteht kein realistisches Bild, auf das Sie, die Leser, nicht nur einen Anspruch haben, sondern Sie wür­den uns alles andere übelnehmen – zu Recht. Wir uns selbst übrigens auch. So finden Sie selbstverständlich ebenso diese Aspekte im Heft: Beispielsweise ver­missen wir ein entschlossenes Konzept, das Alternativen zum Auto schafft und die oft verstopften Straßen in den Tälern vom Verkehr entlastet. Meist ver­ursachen die vielen Urlauber die Staus. Andere Regionen in den Alpen setzen bereits konsequenter auf Ökotourismus, belohnen etwa die Anreise per Bahn mit Rabatten und verleihen preisgünstig Elektroautos und E-Bikes. Doch ich bin sicher, dass die Verantwortlichen bald nachlegen, so wie sie es derzeit mit dem geplanten Technologiepark in Bozen schon tun. In Deutschland, Frankreich und Österreich sind die ersten Parks zwar schon vor Jahren entstanden. Aber dafür erhält Südtirol jetzt einen, der in Sachen Energieeffizienz vorbildlich werden soll. So kommt man auf die Überholspur. Beim Versuch, die industrielle Basis zu erweitern, könnte das schwieriger werden. Lange, vielleicht zu lange, hat die Region vor allem auf Tourismus, Landwirtschaft und Handwerk gesetzt. Auch weil die herr­liche Landschaft nicht mit Emissionen belastet werden sollte. Jetzt, wo die Produktion dank moderner Technologien weitgehend sauber geworden ist, wäre das kein Problem mehr. Nur ist es heute extrem schwierig geworden, pro­duzierende Betriebe ­an­zulocken, weil inzwischen die ganze Welt um sie buhlt. Doch der jetzt voran­getriebene Aufbau einer leistungsstarken Forschungslandschaft könnte das Wer­ben erleichtern. Ebenso wenn alle in der heimischen Wirtschaft fremde Inves­toren vorbehaltlos willkommen heißen würden. Doch einige wenige stecken noch im ­alten Denken fest und finden, man sei in der Vergangenheit doch auch gut allein zurechtgekommen. In Wahrheit fürchten sie die neue Konkurrenz. Die Sorge ist grundlos. Die Neuankömmlinge würden den überall fest­zustellenden Aufbruch in Südtirol nur zusätzlich beflügeln, Arbeitsplätze und Umsatz bringen. Bei allem Tagesgeschäft war uns der Blick voraus mindestens ebenso wichtig. Wie können wir den Klimawandel stoppen und die Ausplünderung unseres Planeten? Welchen Beitrag kann eine neue Art des Konsumierens dazu leisten,

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die auf Teilen statt Besitzen setzt? Wie fördert die vernetzte Stadt die Krea­tivität ihrer Bürger? Sie konnten lesen, wie der Co-Präsident des Club of Rome, Ernst Ulrich von Weizsäcker, die US-Soziologin Juliet Schor und der italienische Architekt und MIT-Professor Carlo Ratti darüber denken. Dass wir diese drei renommierten Geistesgrößen gewonnen haben, darauf sind wir ein wenig stolz. Ihre Antworten reichen weit über den Tag hinaus. Und dieses Heft hoffentlich auch. Informieren, aufklären, anregen – das war unser Ziel. Wenn Sie dieses Magazin wie eine spannende Lektüre immer mal wieder gerne in die Hand nehmen, dann ist es erreicht. Herzlichst, Ihr Dieter Dürand

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Nummer 2 — 2013  —  Nord & Süd  Leben, Arbeit, Wirtschaft in Südtirol

Biografien der beauftragten Fotografinnen und Fotografen, Illustratorinnen und Illustratoren sowie Künstlerinnen und Künstler:

Gino Alberti (*1962), Künstler, Grafiker und Illustrator in Bruneck und Wien. Ausstellungen: Galerie Prisma, Bozen, 2012. Ivo Corrà (*1969), Fotokünstler aus Bozen, Mitglied des Projektteams für Vermittlung am Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Bozen. Claudia Corrent (*1980), freie Fotografin in Bozen. Ausstellungen in Rom und Mailand. Nicolò Degiorgis (*1985), Fotokünstler in Bozen, seine Arbeiten werden regelmäßig in „Financial Times“, „Le Monde“ und „Vogue“ veröffentlicht. Ausstellungen: Ring Cube Gallery, Tokyo, 2011; FO.KU.S Gallery, Innsbruck, 2012. Jasmine Deporta (*1989), Fotokünstlerin in Bozen. Ausstellungen: G8 Gallery, Bozen, 2011; Secret Store, Köln, 2012. Elisabeth Hölzl (*1962), Künstlerin und Fotografin in Meran. Austellungen: Emmanuel Walderdorff Galerie, Köln, 2008; Antonella Cattani contemporary art, Bozen, 2012. Aktuelle Buchveröffentlichung: „Libera viva”, Verlag für moderne Kunst, 2012. Laura Jurt (*1979), freie Illustratorin in Zürich. Austellungen: Literaturhaus München, 2011. Ika Künzel (*1978), studierte Produktdesign in Bozen und Eind­ hoven, Mitarbeit im Arbeitsteam von Konstantin Grcic, heute freie Illustratorin und Designerin in Berlin. Christian Martinelli (*1970), freier Fotokünstler in Meran und Mitgründer des Kollektivs CubeStories. Ausstellungen: Kunstart, Bozen, 2011; Galerie Son, Berlin, 2012. Svenja Plaas (*1980), studierte Grafik-Design in Zürich, lebt und ­arbeitet heute als freie Illustratorin und Designerin in Wien.

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Gregor Sailer (*1980), freier Designer und Fotograf in Tirol. Arbeiten unter anderem in der Kunsthalle Wien, im Fotomuseum Winterthur und in der Österreichischen Staatsgalerie. Aktuelle Buchveröffentlichung: „Closed Cities“, Kehrer, 2012. David Schreyer (*1982), Architekt und autodidakter Bildermacher in ­Tirol und Wien. Austellungen: Alte Schieberkammer, Wien, 2010; Galerie Anika Handelt, Wien, 2010. Something Fantastic Das Berliner Architektentrio Elena Schütz, Julian Schubert und Leonard Streich. Buchpublikation: „Something Fantastic – A Manifesto by Three Young Architects on Worlds, People, Cities, And Houses“, „Building Brazil“, „Re-Inventing Construction“, Ruby Press, 2010–2012. Aurore Valade (*1981), französische Fotokünstlerin. Ausstellungen: Festival Les Photaumanles, Beauvais, 2011; French Institute Saint-Louis de France, Rom, 2012. Simone Vollenweider (*1982), freie Grafikdesignerin in Leipzig.


Nummer 2 — 2013  —  Nord & Süd  Leben, Arbeit, Wirtschaft in Südtirol

Redaktion

Herausgeber

Koordinierender Chefredakteur:

Direktor:

Dieter Dürand

Ulrich Stofner

Gesamtkonzept und Kuratoren:

Angelika Burtscher, Daniele Lupo

Idee und Entwicklung:

Birgit Mayr

(Lupo & Burtscher), Christian Hoffelner (CH Studio), Thomas Hanifle, Thomas Kager

(Ex Libris Genossenschaft)

Birgit Oberkofler

Redaktion, Lektorat, Korrektorat:

Projektmanagement:

Beratung Text:

Ex Libris Genossenschaft, exlibris.bz.it

Bettina König

Auflage: 3.500 Stück

Druckvorstufe und Druck:

Art Direktion und Gestaltung:

CH Studio, ch-studio.net Lupo & Burtscher, lupoburtscher.it

Longo, Print and Communication; Printed in Italy

Texte:

Toni Bernhart, Michil Costa, Wojciech Czaja, Alfred Dorfer, Dieter Dürand, Felice Espro, Gustav Hofer,

© Business Location Südtirol – Alto Adige,

Judith Innerhofer, Lenz Koppelstätter, Norbert

Bozen, März 2013. Alle Rechte vorbehalten.

Lantschner, Ariane Löbert, Waltraud Mittich, Donatella Pavan, Hans Karl Peterlini, Susanne Pitro, Benjamin

Sämtliche inhaltlichen Beiträge der Publikation sind

Reuter, Ulrike Sauer, Birgit Schönau, Juliet Schor,

unveröffentlichte Originalbeiträge und Auftragswerke.

Simone Treibenreif, Alessandra Viola, Ernst Ulrich von Weizsäcker

ISBN: 978-88-7283-462-6

Fotografie und Illustration:

Gino Alberti, Ivo Corrà, Claudia Corrent, Nicolò

Eine jährliche Publikation der Standortagentur

Degiorgis, Elisabeth Hölzl, Laura Jurt, Ika Künzel,

Business Location Südtirol – Alto Adige (BLS)

Christian Martinelli, Svenja Plass, Gregor Sailer, Something Fantastic, Aurore Valade, Simone Vollenweider, Gustav Willeit

Übersetzungen:

Ex Libris Genossenschaft (Walter Kögler, Silvia ­Oberrauch, Alma Vallazza)

Dompassage 15 39100 Bozen, Italien

Bild auf dem Umschlag:

Oskar Da Riz / Ewo

T +39 0471 066 600 www.bls.info service@bls.info

Bild auf dem Cover:

Elisabeth Hölzl

Bilder im Inhaltsverzeichnis:

S. 6 (links) Ewo (rechts) Ivo Corrà  S. 7 (links) Gregor Sailer (rechts) Elisabeth Hölzl  S. 8 (links) David Schreyer (rechts) Marion Lafogler  S. 9 Jasmine Deporta Bilder ohne Credits stammen von den Bildagenturen contrasto (S. 29–37) und südtirolfoto (S. 18–20)

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Eine jährliche Publikation der Standortagentur  BL S, Business Location Südtirol — Alto Adige



Eine jährliche Publikation der Standortagentur  BL S, Business Location Südtirol — Alto Adige

Die Welt der Energie ändert sich radikal: Sonne, Wind und Wasser versorgen uns mit Elektrizität und Wärme. Autos tanken Strom. Energiesparen wird zum Zeitgeist. Der grüne Wandel schafft Jobs und alternative Lebensstile, definiert Wohlstand neu. Und mitten in Europa gibt es eine Region, in der kreative Köpfe diesen Aufbruch vorantreiben – Südtirol. Eine Entdeckungsreise durch das Land der vielen Möglichkeiten.

Nord & Süd — 2013

12 Euro


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