BLANK 01/2012

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HEFT ZWEI und einem weiteren Partyteilnehmer vergewaltigt worden zu sein. Trotz Aussage bei Behörden in Lille und bei der Polizei in Belgien hat die Frau bislang keine Anzeige erstattet. Die französischen Behörden ermitteln daher derzeit nur wegen des Verdachts auf Zuhälterei, Unterschlagung von Gesellschaftsvermögen, Betrug und Geldwäsche. Dominique StraussKahn gibt an, nicht gewusst zu haben, dass die an den Zusammenkünften teilnehmenden Frauen dafür bezahlt wurden, mit ihm und seinen Geschäftsfreunden Sex zu haben. Sein Anwalt fügte hinzu: „Das ist eine Herausforderung – wie wollen sie eine nackte Prostituierte von einer nackten Dame unterscheiden?“ Aus dieser Logik lässt sich ein krudes Selbstbewusstsein und selbstvergessenes Verständnis der Geschlechterverhältnisse folgern: egal ob nackt, leicht bekleidet, bezahlt oder naturgeil - jede Frau musste fraglos zu Sex mit den anwesenden Männern bereit sein. Allein betrachtet klingen die Sexpartys mit all den nackten Schönen und Mächtigen befreit und bohème. In Anbetracht der mehrfachen Vergewaltigungsvorwürfe gegenüber Strauss-Kahn und einem realistischen Blick auf die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen tun sie das weniger. Studien zufolge werden zwei Drittel der Prostituierten von ihren Freiern tätlich angegriffen, bei der überwiegenden Mehrheit der Frauen liegt Alkoholmissbrauch und die Abgängigkeit von harten Drogen vor. Die standartisierte Sterblichkeitsrate unter Sexarbeiterinnen in Großbritannien ist sechsmal so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung. Gegenüber der Presse gab DSK an, Prostitution „schrecklich“ zu finden. In SMS gegenüber Geschäftspartnern bat er darum, ihm „Material“ mitzubringen. DSK gilt als „hommes à femmes“, ein Mann, der Frauen liebt. Die Legitimation dieser schmeichelhaften Umschreibung scheint für ihn darin zu bestehen, über möglichst viel „Material“ zu verfügen. Als sei die Technik des Hochschlafens für mehr Macht und Machterhalt dort, wo heterosexuelle Männer unter sich bleiben, darauf beschränkt, Männlichkeit vor den Augen anderer durch das Besitzen von Frauen zu bestätigen. Er betört sich mit der Illusion der Macht um nicht zuzulassen, was größer ist: Den Verlust von Kontrolle im Angesicht einer Gleichen. Er umgibt sich ständig mit Frauen, doch bleibt ihnen immer fern. Dass ausgerechnet gekaufter Sex mit Schwächeren seinen Status affirmieren soll, überrascht

dabei am meisten – gelingt doch Zugewinn an Wissen und Lebenserfahrung nur durch die Annahme von Herausforderungen. Wenn ein „homme à femmes“ ein Verehrer der Frauen ist, dann ist er Feminist. Wer Frauen liebt, will ihre Freiheit, will Gerechtigkeit für sie und Glück. Ein solcher Mann würde demnach immer für sie Partei ergreifen, für ihre Rechte sprechen und seinen Ruf in Wort und Tat bekunden. Dominique Strauss-Kahn ist kein „hommes à femmes“. „Entschuldigen Sie mich, während ich vor Überraschung in ein Nickerchen falle“ kommentiert die Autorin des us-amerikanischen Frauenportals „Jezebel“ Erin Gloria Ryan den Vorwurf der gemeinschaftlichen Vergewaltigung gegenüber Strauss-Kahn, der als bislang jüngste Anschuldigung in einer Reihe von Vorwürfen von sadistischer Gewalt steht. Dominique Strauss-Kahn ist bislang nicht verurteilt worden. Doch ganz gleich, was tatsächlich zwischen den anklagenden Frauen und ihm passiert ist, es wäre für Personen mit Einfluss, Ansehen und der Liebe zum weiblichen Geschlecht nur angemessen, über Gewalt gegen Frauen zu sprechen. Denn Medienberichterstattung verkehrt das Verhältnis von Frauen, die vergewaltigt, genötigt oder belästigt werden, und den Männern, die dies tun oder zu Unrecht einer Straftat beschuldigt werden. Vergewaltigung ist eines der Verbrechen mit der höchsten Dunkelziffer. Laut UNIFEM wird eine von fünf Frauen im Laufe ihres Lebens Opfer einer Vergewaltigung oder versuchten Vergewaltigung. In der aktuellen, repräsentativen Untersuchung des Familienministeriums „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ gaben 40 Prozent der befragten Frauen an, körperliche oder sexuelle Gewalt oder beides seit dem 16. Lebensjahr erlebt zu haben. Unterschiedliche Formen von sexueller Belästigung hatten 58 Prozent erlebt. 8.000 Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung erwachsener Personen wurden laut Bundeskriminalamt 2010 angezeigt. Man geht davon aus, dass nur eine von zwanzig Vergewaltigungen der Polizei gemeldet wird. Multipliziert mit der Dunkelziffer spielen sich allein in Deutschland täglich über 400 schwere sexuelle Gewalttaten ab. Schon jede versuchte Vergewaltigung ist ein gewalttätiger Übergriff zu viel. Für keine von ihnen gibt es eine Rechtfertigung, keine geschah im Überschwang, keine

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