128 Farben

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der Natur, Ultramarinblau unter kontrollierten Bedingungen aus unbunten Mineralien in der Glut. Beiden Pigmenten gemeinsam ist ein [S3 ] 2-–Ion. Die teuersten Edelsteine aus Lapislazuli enthalten mehr des Ions als weniger wertvolle Exemplare, denn die Schwefelteilchen sind für die blaue Farbe dieser Pigmente verantwortlich. Die einzigartige Schwefelchemie lässt Ultramarinblau und Lapislazuli im tiefen Schatten noch überraschend blau erscheinen. Sie unterscheidet sich von allen anderen blauen Farbquellen in ihrer Interaktion mit dem Licht so sehr, dass es sich lohnt, die daraus entstehenden blauen Farben als eigene Kategorie zu betrachten. «Was ist Blau? Blau ist das Sichtbarwerden des Unsichtbaren», schrieb Yves Klein – und meinte damit ausschließlich Ultramarinblau.5 Die zweite Gruppe von blauen Nuancen umfasst Farben aus weiteren Pigmenten wie Coelin-, Pariser- oder Phthalozyaninblau. Picassos melancholische Malereien der blauen Periode wären ohne das fast schwarze Pariserblau mit seinen trüben, schweren Aufhellungen undenkbar gewesen. Kobalt- und Coelinblau bilden substanziellere blaue Farben als Ultramarinblau, ihre Aufhellungen sind wärmer und zugänglicher. Ein höherer Grünanteil lässt Farben generell fassbarer werden. Daraus folgt, dass zwei sich nur im Grünanteil unterscheidende Blaunuancen von gleicher Helligkeit räumliche Unterschiede zeigen. Eine helle Farbe aus Ultramarinblau wirkt vergeistigt und immateriell, der Abstand zwischen Wand und Betrachter ist dann am größten. Eine helle Farbe aus Pariser-, Coelin- oder Phthalozyaninblau wirkt weniger unfassbar und vergeistigt. 1 2 3 4 5

Kapitel 11

Johann Wolfgang von Goethe, Werke, Hamburger Ausgabe, Bd. XIII, München 1988, Texte 780, 781, 785, S. 498. Eva Heller, Wie Farben wirken. Farbpsychologie, Farbsymbolik, Kreative Farbgestaltung, Reinbek 1999, S. 23. Ingrid Riedel, Farben in Religion, Gesellschaft, Kunst und Psychotherapie, Stuttgart 1999, S. 58. Wassily Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst, Bern 1952, S. 93. Philip Ball, Bright Earth. Art and the Invention of Colour, New York 2001, S. 231.

Blaue Farben

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