Julian Voloj/Claudia Ahlering: Ghetto Brother

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Die Ironie war, dass die Armut uns zwang, in denselben Vierteln zu leben.

Aber anstatt gegen das System zu kämpfen, bekämpften wir uns gegenseitig.

Irgendwie überbrückten die Gangs die Kluft zwischen Schwarzen und Puerto Ricanern. Sie waren selten nach Rasse getrennt.

Gangs waren territorial. Später nannten einige diesen Stadtteil die „Inner City“, aber wir nannten ihn einfach das „Ghetto“.

Deshalb nannten wir uns Ghetto Brothers.

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Wir verteidigten unser Gebiet.

Wenn jemand unsere Straße ohne Erlaubnis passierte ...

... gab’s Dresche. Oh, Mann! Wir hatten eine Menge Spaß.

Hier im Ghetto hatte jede Gang ihre eigene Art von Kennzeichen, die Colors.

Im alten England hatten die Ritter ihre Wappen.

Aber dann kamen die Hells Angels. Anfangs malten die Gangs ihre Colors hinten auf ihre Westen. 28


Alle Gangs wollten brutal rüberkommen und Angst verbreiten.

Und glaub mir, die Hells Angels waren die Brutalsten von allen.

Wir brauchen auch so was. Etwas, das schockt! Vielleicht einen Totenkopf? Oder ...

Sie malten ihre Colors nicht auf ihre Kutten, die hatten Aufnäher.

Ja, das Nazikreuz.

Das ist krass. ... wie heißt das noch, das Naziding?

Blödsinn.

Wir brauchen etwas, das für uns steht. Wir sind keine Nazis.

Weißt du überhaupt, was Nazis sind?

Und es heißt Hakenkreuz.

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Ich kannte das Wort durch Miss Rita,

Ich hatte damals im Unterricht nicht aufgepasst. … meine Lehrerin.

Alles mögliche.

Ich kritzelte.

Weißt du, was das bedeutet? Ich werde mit deinen Eltern sprechen. Äh ...

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Aber vorher hielt sie mir einen Vortrag. Ich muss zugeben, ich hatte keine Ahnung, was dieses Zeichen bedeutete. Ich wusste nicht wirklich, wer die Nazis waren.


Ich wusste, die waren mies und brutal,

aber nicht was sie getan hatten. Miss Rita war Jüdin. Das wusste ich auch nicht. Ich fühlte mich schlecht. Benjy, wir wollen krass aussehen.

Ich bin für’s Nazikreuz.

Mach das nie wieder. Ok?

Nach einigen Diskussionen wussten wir was wir wollten.

Wir brauchen das nicht, um krass auszusehen.

Weil ich es sage.

Warum?

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Die Mülltonnen symbolisierten die erbärmlichen Lebensbedingungen der South Bronx. Bald trugen alle Gangs Kutten wie wir. Wir sahen alle grimmig, knallhart und abgewrackt aus.

Um seinen Respekt zu zeigen, musste man seine Weste ausziehen, wenn man das Gebiet einer anderen Gang betrat.

Respekt zollen und respektiert werden. Mit den falschen Colors im Gebiet einer anderen Gang standst du auf der Abschussliste. Wenn man dich dabei erwischte, gab’s Prügel.

Es gab über 100 Gangs mit über 10.000 Mitgliedern in der Bronx. Die GBs waren eine der Größten. In der Bronx allein hatten wir 2000 Mitglieder. Und es gab Ableger in New Jersey, Connecticut und anderswo.

Es war eine Volksarmee.

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Das Geheimnis unseres Erfolgs?

F체hrungsqualit채t.

Eine ausgestreckte Hand.

Der Typ ist geil.

Sorgf채ltige Personalplanung.

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Gute Ă–ffentlichkeitsarbeit.

Diplomatie.

Koalitionsabkommen.

Und manchmal auch feindliche Ăœbernahmen.

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Die Gangs übernahmen leerstehende Wohnblocks und verwandelten sie in ihre Clubhäuser.

Die Turbans, Peacemakers, Mongols, Roman Kings, Seven Immortals, Dirty Dozens, Black Spades ... Damals gab‘s so viele Gangs in New York.

Gangs waren Familienersatz.

Sie boten ein Dach über dem Kopf und Schutz.

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Wer ein Problem hatte, kam zu uns und wir lĂśsten es.

Dwyer High war die Arena der Gangs.

Einmal hatte jemand eine Schwester der Savage Nomads belästigt.

Riesenfehler. 36


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