Leseprobe Eternauta 1969

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CIA C E R OB ELD T H R R E E ALB EST O N MÁ R E RG

a t u a n 9 r 6 e 9 t 1 E TO HÉC

avant-verlag


A CCI E R OB ELD T H R R E E ALB EST O ÁN M R E RG

a t u a n 9 r 6 e 9 t 1 E TO HÉC

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Woher kommt er?

Ist es ein Gespenst? Ich möchte ihn anfassen, aBer …

Trotz seines jugendlichen Aussehens ist seine Stirn von tiefen Falten gezeichnet. Er sagt: Ich Bin froh, “ hier gelandet zu sein, ich nehme an …“

Bücher, Bögen von MatacoIndianern, ein Saturn 5 und noch mehr Bücher. Cortázar, Salgari … Was Bist du von Beruf?

… ich Bin auf der Erde?

Die Augen schauen durch mich hindurch, sind aBer freundlich. Ich spüre Frieden.

Das ist nicht leicht zu Beantworten. Ich könnte dir Hunderte Namen nennen, ohne dass es gelogen wäre. Ich trug sie alle, aBer am einleuchtendsten ist wohl der Name, den mir ein Kosmophilosoph des 22. Jahrhunderts gaB. Eternauta“ nannte “ er mich. Ja, Eternauta, um mit einem einzigen Wort zu erfassen, was ich Bin: ein ewig Reisender. Mein trauriges und leidvolles Dasein als Pilger durch die Jahrhunderte.

Er wischt sich üBer die Stirn, wirkt jung und doch verBraucht. Er lächelt: Was für ein Glück, “ hier gelandet zu sein. Ich fühle …“

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Ich Bin Szenarist, Comicautor und … wer bist du?


Eine aBgründige Stille, wie man sie in einer Stadt nie vernimmt. Kein entferntes Hupen, kein heulender Motor, keine Stimme, keine Schritte … nichts.

Was wir durchs Fenster sehen, ist allerdings noch viel schlimmer als die Stille.

Nein, nicht das Fenster öffnen, Lucas! Die Flocken müssen tödlich sein. Es darf keine hier reingelangen!

Was ist los? Es sieht aus, als wären alle tot.

Und es scheint zu schneien.

Das ist kein Schnee …

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Elena! Martita!


Wohin willst du? Geh nicht raus. Die Flocken …

Nach Hause … Susana und die Jungs …

Er lässt sich nicht zurückhalten. Favalli wirft schnell die Tür hinter Polski zu, damit keine Flocken eindringen.

Susana und die Jungs …

Susana …

… die JUngs …

Da liegt Polski, eine Leiche mehr unter Tausenden. Noch vor fünf Minuten war ich drauf und dran, mein Blatt aufzudecken …

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Es ist ein Glück, nicht üBerleBen zu müssen, denn sonst würde man Bei so vielen toten LieBen verrückt werden.

Wir wissen also jetzt, dass die Flocken tödlich sind. Sie dürfen nicht reingelangen. Irgendein Nuklearexperiment muss schiefgelaufen sein. Wer weisS, welches GeBiet Betroffen ist. Wir müssen ein paar Tage aBwarten, Bis Hilfe aus anderen Ländern eintrifft. Bis dahin sind wir RoBinsons, und das Haus ist unsere Insel.

Der Vergleich ist treffend. Wie RoBinson sind wir SchiffBrüchige in unserem eigenen Haus, umgeBen von einem Meer des Todes. Und die tödlich schönen Flocken fallen langsam heraB. Favalli ruft uns zur Besinnung. Wir müssen schnell alles üBerprüfen und Bis auf die kleinste Lücke aBdichten.

Das Leitungswasser wird auch verseucht sein. Und wenn wir alles aBdichten, geht uns die Luft aus.

Kittet alles zu. Die Flocken sind nicht radioaktiv, wie ich dachte, sondern töten nur Bei direktem Kontakt. Sonst wären wir längst tot.

Wir üBerleBen nicht lange, Fava.

Martita hat am Radio gedreht. Plötzlich giBt das stumme Gerät wieder töne von sich.

SSsSSS der proViSoriSche .. BefehlshaBer ... proviSoriSch ... SSSs ... todliche flocken ... riesigeS geBiet ... lateinamerika ... erBarmungsloser ... SSS ... angriff von ausS erirdi sc h en ... SSSSSsSSS.

Hört mal, das Radio!

Wir haBen wahrscheinlich Luft für ein paar Tage, Lucas, und Bestimmt trifft Bis dahin Hilfe ein. Die Flocken fallen ja nicht ewig weiter. Was den Wassermangel angeht, so reicht Juans Mineralwasser und Wein für einige Wochen.

Das war’s. Es folgt das ohrenBetäuBende Geräusch der Störung.

unBegreiflicher Verrat ... .. .. grosSmachte . . . S udamerika dem inVasor ausgeliefert, um .. Sich zu retten . . . wir k a mpfen dennoch, auch wenn wir allein sind und der erStSchlag grauenVoll .. war . . . wir k a mpfen dennoch ... .. .. die u BerleBenden m u SSen im notfall . . . opferSSSSSsSSS . . .

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Was meinen die, Fava?

Ich weisS nicht, Juan. Es handelt sich um eine grosSe Invasion von AusSerirdischen und offenBar kommt keinerlei Hilfe.


Schaut, ein Licht im Haus gegenüBer.

Der Luftfilter ist jetzt installiert. Wie weit ist der Anzug?

Fast fertig.

Er scheint eine Kerze zu haBen. Sie sind wohl aufgewacht und denken, es sei ein Stromausfall. Sie müssen alles verschlossen halten.

Das ist Ramírez, der EisenBahner. Wir müssen sie warnen.

Eine Explosion hätte keine grössere Aufregung verursacht.

NeiN! NeiN! NeiN! Ramírez will das Fenster öffnen.

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Nein, Fava, ich zuerst.

Nein, Fava, du wirst geBraucht. Lasst mich gehen.

Auf keinen Fall, Juan! Du hast Elena und Martita. Ich gehe!

Sind wir wirklich ehrlich? Keiner sagt es, aBer wir alle denken an das Ehepaar Ramírez. Ein Loch im Anzug, und das war’s.

Also gut, lasst uns würfeln. Ich gewinne ja immer. Wer die meisten Augen hat, geht, einverstanden?

Einverstanden.

Kriegst du Luft?

Ja, kein ProBlem. Hier, Juan.

Ende der Diskussion, ich gehe. Sie helfen mir, den Schutzanzug anzuziehen. Er sitzt wie angegossen. Der Helm schottet mich aBrupt von allen aB, vor allem von Elena und Martita.

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Wer ist da?

Ich Bin Susana, Don Roques Nichte! Mein Onkel hat mich eingesperrt, weil ich mit Raúl tanzen gehen wollte, und Onkel sagt …

Wo ist mein Onkel? Ich will ihn sehen.

Ich Bringe sie zum Fenster. Die vielen Toten auf der StrasSe üBerzeugen sie und ihr entfährt ein gellender Schrei. Ich lasse ihr keine Zeit zum Verzweifeln, umwickle sie von Kopf Bis FusS mehrfach mit Plastikfolie und nehme sie mit.

Ich unterBreche sie und erkläre ihr, so gut ich kann, was los ist. Ich kehre sämtliche Flocken aus dem Hinterzimmer und öffne erst dann die Kellertür.

Schnell, Señor Salvo. Ich ersticke.

Ich muss alle Details erzählen; alles, was ich gesehen haBe. Elena und Martita lauschen mir geschockt. Es bestätigt sich, was sie Bereits wissen.

Wir sind gleich da, Susana.

Juan, endlich! Du warst lange weg!

Favalli. Freut mich.

Susana Olmos.

Auf der lautlosen StrasSe macht der Reifen des SchuBkarrens ein lautes Geräusch. Vielleicht würde ich schneller laufen, wenn mir bewusst wäre, dass uns jemand BeoBachtet.

Wir müssen uns damit aBfinden, Elena. Die Metzgerei, das Milchgeschäft, der Supermarkt … sie werden nie wieder öffnen.

Papi!

Endlich am Haus. Freudige Gesichter am Fenster, die Garage. Elenas Föhn hilft, sämtliche Flocken hinauszuBlasen.

Und du verpasst das Endspiel der Copa, Papi. Geh ich nie mehr zur Schule?

Ja, ich war die ganze Zeit im Keller eingesperrt.

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UnglauBlich, aBer weder Favalli noch Lucas hörten mir zu. Susana zog ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich, aBer nicht mit ihrer Erzählung, sondern mit ihren hüftlangen Haaren, ihrem Sweater und ihrer jungen Haut. Favallis und Lucas’ Augen leuchteten auf. Ich hatte mal in Thomas Manns Tod in Venedig“ gelesen, “ dass sich während Kriegen, der Pest und grosSen Naturkatastrophen der Zeugungsinstinkt verstärkt, die moralischen Barrieren fallen und die Bedrohte Spezies versucht, um jeden Preis zu üBerleBen. Susana, Favalli, Lucas und ich, waren wir Menschen oder Tiere?


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Ich schreie, so laut ich kann, komme aBer zu spät. Ein anmutiges, tränenüBerströmtes Gesicht liefert sich den tödlichen Flocken aus.

Lucas bringt die Medikamente in den Lieferwagen.

Wir sagen nichts. Wozu? Schon Bald kommen wir zur Apotheke und Betreten die zugehörige Wohnung, in der die Flocken Bis hinten eingedrungen sind. Wir machen uns an die ArBeit. Ich nehme, was ich für nötig halte, AntiBiotika, VerBandsmaterial, Watte, Alkohol, Aspirin, und häufe alles auf dem Boden.

Schlaf nicht ein, Lucas! Ich haBe schon einen Haufen zusammengetragen. Wieso kommt er denn nicht? Ich schau mal nach …

LucAs!

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Von hinten erstochen … Wahrscheinlich, um ihm den Anzug aBzunehmen. Der ist kostBar. Der Mörder muss dort lang sein …

Ich dachte daran, ihn zu verfolgen, aBer nein. Ich Bangte zu sehr um mein LeBen. In jedem Baum, in jedem umgekippten Auto lauerte der Tod. Ich floh.

Lucas war jetzt einer unter vielen Toten, doch sein Tod traf uns wie kein anderer. Bei all der Zerstörung hatten wir uns auf einer Art Insel des LeBens sicher geglauBt.

Wir müssen weg, weit weg. Vielleicht schaffen wir es ins GeBirge, in ein gut isoliertes Tal. Als du fort warst, ist das Radio wieder angesprungen. Es herrscht Krieg, Juan! Der schlimmste Krieg in der Geschichte der Menschheit.

Wir sind wie die Inkas oder die Azteken, die gegen die Europäer kämpften. Der Feind stammt aus einem anderen Sonnensystem und hat – wie auch immer – die USA, Russland und die üBrigen GrosSmächte üBerzeugt, die Erde mit den Invasoren zu teilen.

- Um nicht selBst angegriffen zu werden, haBen die GrosSmächte Südamerika ausgeliefert. - Südamerika? - Ja, Juan. Ganz Südamerika wird den Invasoren gehören. Sie haBen ihre EroBerung mit den Flocken in den Städten Begonnen. Es ist ein Krieg zur Ausrottung der Bevölkerung.

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Wir wissen nicht, oB es Freunde sind oder …

Ich weisS nicht. Ich haBe ein Geräusch gehört … weit weg.

Ein Geräusch? Ich höre nichts.

Es sind mehrere Lastwagen auf der Avenida. Einer Biegt um die Ecke und fährt direkt hierher.

Ich höre es auch. Du hast recht, Martita.

Motoren, es sind Motorengeräusche! Es klingt wie viele Lastwagen.

Los! Alle Männer, die sich Bewegen können, sollen rauskommen. Wir wissen, dass Sie dort sind!

Unsere Blase der LieBe und Freundschaft, die uns Zuflucht geBoten hat, zerplatzt jäh. EBen noch standen wir eng gedrängt mit dem Rücken zum Tod. Doch jetzt zwingt man uns, uns der Realität zuzuwenden.

Wir werden den Invasor angreifen und Brauchen sofort alle tauglichen Freiwilligen. Entweder Sie kommen in drei Minuten raus oder wir durchschiesSen die Fenster.

Bei nur einem einzigen kaputten Fenster gelangen Flocken ins Haus. Wenn wir fliehen … ABer nein, die Flucht nützt uns so wenig wie der Kampf. Dann lieBer kämpfen …

Nein, Juan! Nein!

Der ABschied … für immer. Ich weisS, er ist für immer. Ein ganzes LeBen aus und vorBei, Elena. Du warst alles für mich und wirst immer meine Elena sein. Und Martita, eBen noch ein BaBy ... Was erwartet euch Beide ganz allein? Welche Zukunft liegt vor euch?

BeeiLuNG! ZWei miNuteN!

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Der Panzer Beginnt zu glĂźhen!

Er wird explodieren!

Zum Bahndamm! Sie haBen den anderen Panzer im Visier!

Los!

Schauen Sie, Leutnant! Von hier aus sieht man sie gut.

Der Panzer explodiert.

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Der große argentinische Science-Fiction-Klassiker ETERNAUTA erlebte im Jahre 1969 ein umfassendes Remake. Nicht nur hat Autor Héctor G. Oesterheld die Geschichte in Details verändert, sondern Alberto Breccias collagenhafter, surrealer Stil erzeugt eine noch düsterere, dystopischere Welt. Die Invasion von Außerirdischen in Buenos Aires wird auch hier durch einen todbringenden Schneefall eingeleitet, aber im Gegensatz zu der „Urfassung“ wird der Angriff von den Supermächten toleriert, wenn nicht gar inszeniert. Der „ewig Reisende“ ist mit einer erdrückenden Übermacht konfrontiert. Alberto Breccia wurde 1992 mit dem Max und Moritz-Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Endlich erscheinen seine wichtigsten Bücher in deutscher Sprache! „Einer der großen Klassiker der Neunten Kunst, ja, mehr noch, ein nationaler Mythos, bei dem die Geschichte seines Szenaristen und Argentiniens eine ebenso große Rolle spielt wie das Buch selbst.“ Thomas von Steinaecker, Süddeutsche Zeitung „Nach dem Ende der Diktatur entwickelt sich Eternauta zum Mythos. Der Comic und sein Held werden zum Symbol für den Widerstand und die Suche nach den Verschwundenen.“ Christoph Haas, taz

22 €

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