Gibt es im 21.Jahrhundert noch die G´sunde Watschen?

Page 1

Gewaltpräventionstag, 12.3.2013, Mürzzuschlag

„Gibt es im 21. JH. noch die gesunde Watschn?“ -

Gesetzliche Lage

Österreich nimmt, was die rechtliche Verankerung von Gewaltlosigkeit in der Erziehung betrifft, eine deutliche Vorreiterposition ein: Als viertes Land weltweit machte Österreich - nach Schweden(1979), Finnland (1983) und Norwegen (1987) - das absolute Gewaltverbot in der Erziehung gesetzlich geltend. Das absolute Gewaltverbot in der Erziehung wurde in Österreich mit dem KindschaftsrechtsÄnderungsgesetz bereits im Jahre 1989 eingeführt: „Die Eltern haben bei ihren Anordnungen und deren Durchsetzung auf Alter, Entwicklung und Persönlichkeit des Kindes Bedacht zu nehmen; die Anwendung von Gewalt und die Zufügung körperlichen oder seelischen Leides sind unzulässig.“ (§ 146a, Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch).

-

Ländervergleich

Bussmann, Erthal und Schroth (2008) haben einen Vergleich zwischen fünf europäischen Ländern herangezogen, um die Wirksamkeit solcher Gewaltverbote näher zu betrachten. Schweden, Österreich, Spanien, Frankreich und Deutschland wurden als Stichprobe ausgewählt, da diese Länder die heterogene Rechtslage in Europa widerspiegeln: Schweden, Österreich und Deutschland verfügen bereits über ein gesetzliches Verbot von Gewalt in der Erziehung; Schweden seit 1979, Österreich seit 1989 und Deutschland seit 2000. Gerade in Schweden, wo bereits 1979 die Ächtung von Gewalt rechtlich verankert wurde, wird dieser Tatbestand in regelmäßigen Abständen mit Aufklärungskampagnen und Aktionen im Bewusstsein der Bevölkerung gehalten. Auch in Deutschland wird großer Wert auf Aufklärung der Bevölkerung gelegt. In Österreich wurden die Gesetzesänderungen weniger ausführlich öffentlich kommuniziert, da es auch keine expliziten Aufklärungskampagnen gab. Spanien und Frankreich hatten zum Zeitpunkt der Befragung kein gesetzliches Gewaltverbot verankert, unterschieden sich aber hinsichtlich der Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung über die Schädlichkeit von Körperstrafen. In Frankreich sind Körperstrafen nicht gesetzlich verboten und es gibt im Gegensatz zu Spanien auch keine landesweiten Aufklärungskampagnen. Seit 2008 müssen nun auch in Spanien Eltern in der Erziehung ihrer Kinder laut Gesetz die „physische und psychische Unversehrtheit berücksichtigen“. Bussmann et al. befragten in ihrer Studie pro Land 1000 repräsentativ ausgewählte Elternpaare mittels face-to-face-Interviews. Aufgrund der Ergebnisse wurden drei verschiedene Erziehungstypen ermittelt. 

Bei der körperstrafenfreien Erziehung verzichten Eltern auf Körperstrafen und greifen auf Verbots- und psychische Sanktionen zurück (z.B. Fernseh-, Computer-, Ausgehverbote, Taschengeldkürzungen,…). Eltern, die körperstrafenfrei erziehen, ersetzen diese nicht mit anderen Sanktionen, sondern kommen zumeist mit weniger Verboten und psychischen


Sanktionen aus, da ein eher diskursiver Umgang mit den Kindern gepflegt wird (Argumentation, sowie andere lenkende Erziehungsmethoden). Bei der konventionellen Erziehung wenden Eltern alle Sanktionsformen außer den schweren Körperstrafen an, wobei Befragte, die einmalig Sanktionen im Bereich schwerer Körperstrafen angewendet haben, ebenfalls der konventionellen Gruppe zugeordnet wurden. Eltern, die eine gewaltbelastete Erziehung praktizieren, setzen neben den anderen Sanktionsformen auch mehr als einmal schwere Körperstrafen ein (schallende Ohrfeige, mit einem Gegenstand schlagen, Tracht Prügel,…). Sie verfolgen einen generell repressiven Erziehungsstil – wer viel schlägt, sanktioniert auch viel.

körperstrafenfreie Erziehung konventionelle Erziehung gewaltbelastete Erziehung

75,9 57,9

55,8

47,7 36,3

30 20,7

28,2 14,2

13,8

16,1 7,9

3,4 Schweden

45,4 46,7

Österreich

Deutschland

Spanien

Frankreich

Abb. 2, nach Bussmann et al. (2008), Erziehungstypen im Ländervergleich in Prozentangaben

-

Gewaltprävalenzstudie

Olaf Kapella und seine KollegInnen vom Österreichischen Familienforschungsinstitut präsentierten Ende 2011 die Ergebnisse der ersten groß angelegten Gewaltprävalenzstudie Österreichs. Bisher konnten hierzulande nur Anzeigen- und Gerichtsstatistiken herangezogen werden um einen Überblick über das Ausmaß von Gewalt in der Familie und im nahen Umfeld zu erlangen. Diese Studie deckt nun aber einen deutlich größeren Teil des Dunkelfelds auf. Gerade durch die fortschrittliche Kombination von face-to-face-Befragungen sowie Online-Befragungen konnten viele Personen ihre Hemmungen überwinden und Erfahrungen schildern, die sie ansonsten eher für sich behalten. Befragt wurde eine repräsentative Stichprobe von ÖsterreicherInnen; insgesamt waren es 2300 Personen im Alter von 16 bis 60 Jahren. Gewalthandlungen wurden definiert als Handlungen, die von den Befragten als Angst machend oder bedrohlich erlebt werden. In der Studie wurde zwischen verschiedenen Formen von Gewalt unterschieden, nämlich zwischen psychischer, körperlicher und sexueller Gewalt.


Bei psychischer Gewalt handelt es sich mehrheitlich um Demütigungen, Angebrüllt- oder Beschimpft werden (aber auch Vernachlässigung, Liebesentzug, emotionaler Missbrauch des Kindes als PartnerInnenersatz). Psychische Gewalt kommt häufig in der Schule sowie bei Frauen vor allem in der Familie vor. Bei körperlicher Gewalt handelt es sich um leichte körperliche Übergriffe (z.B. leichte Ohrfeige, Weggeschubst werden, Klaps auf den Po), schwere körperliche Übergriffe (z.B. Schläge mit einem Gegenstand oder Verprügelt werden) und Eingesperrt werden. Körperliche Übergriffe kommen meist in der Familie und bei Männern auch oft in der Schule vor. Bei sexueller Gewalt handelt es sich um sexuell als belästigend oder bedrängend empfundene Bemerkungen/Beobachtungen, sexuell als belästigend oder bedrängend empfundene Berührungen, sowie das Vornehmen sexueller Handlungen an der eigenen Person. Einmalige sexuelle Gewalthandlungen fanden häufig im öffentlichen Raum, in der Familie und in der Schule statt. Systematisierte sexuelle Misshandlung trat bei Frauen gehäuft in der Familie auf, bei Männern in der Arbeit/Lehre, der Schule und dem Internat.

72,8

74,8

73,7

Männer Frauen

72,5

27,7 12

psychische Gewalt

körperliche Gewalt

sexuelle Gewalt

Abb. 1, nach Kapella et al. (2011), Prävalenz von Gewalterfahrungen in der Kindheit in Prozent

Bei den abgefragten Gewalterfahrungen in der Kindheit zeigt sich ein sehr hohes Ausmaß an Betroffenen. Etwa Dreiviertel aller Befragten Personen gaben an, dass sie psychische und/oder körperliche Gewalt in ihrer Kindheit erfahren hatten. Als Kindheit wurde der Zeitraum bis zum 16. Lebensjahr definiert. Bei sexueller Gewalt zeigen sich - im Gegensatz zu psychischer und körperlicher Gewalt, wo Frauen und Männer gleich betroffen waren - klare geschlechtsspezifische Unterschiede: Doppelt so viele Frauen wie Männer waren in ihrer Kindheit sexueller Gewalt ausgesetzt. Wurde als Kind Gewalt erlebt, so handelte es sich meist nicht um eine einzige Form der Gewalt, sondern um Kombinationen aus den verschiedenen Gewaltformen. In nahezu sechs von zehn Fällen haben die Gewalterfahrungen sowohl eine psychische als auch eine körperliche Komponente. Bei sexueller Gewalt zeigt sich deutlich, dass diese fast immer nur in Kombination mit den anderen beiden Gewaltformen auftrat. Gar keine Gewalterfahrungen in ihrer Kindheit machten nur 13,4 % der befragten Frauen und 16,0 % der befragten Männer. Diese Personengruppe gab an keine angstmachenden oder bedrohlichen Handlungen bis zu ihrem 16 Lebensjahr erlebt zu haben. Ein weiteres bemerkenswertes Ergebnis der Studie von Kapella et al. ist, dass sich das Ausmaß der berichteten Gewalt zwischen den befragten Altersgruppen stark unterscheidet: Ältere Menschen


haben signifikant mehr Gewalt in ihrer Kindheit erlebt, als jüngere Menschen. Dies zeigt sich bei der körperlichen Gewalt in einem starken Rückgang von 25-30 Prozentpunkten im Vergleich zwischen der ältesten und der jüngsten Altersgruppe. Bei der sexuellen Gewalt haben sich die berichteten Übergriffe im Vergleich zwischen der ältesten zur jüngsten Altersgruppe sogar halbiert Auch was die in Anspruch genommene Hilfe bei Gewalt in der Familie und im nahen Umfeld betrifft zeigte sich, dass jüngere Personen häufiger Hilfe in Anspruch genommen haben. Erlebte Gewalt wird also von jüngeren Personen stärker kommuniziert und enttabuisiert, als dies bei der älteren Generation der Fall ist. Ein Grund für die Unterschiede im Altersvergleich, die für eine gesellschaftliche Veränderung über die Zeit sprechen, dürfte sein, dass sich die Akzeptanz von körperlicher Züchtigung in der Erziehung im Laufe der letzten Jahrzehnte stark verringert hat. In großen Teilen Europas zeichnet sich ein fortschrittlicher Wertewandel ab, welcher durch gesetzliche Gewaltverbote und Aufklärungskampagnen maßgeblich unterstützt werden kann. Es findet also eine positive Entwicklung in Richtung einer gewaltfreieren Gesellschaft statt, die weiterhin bewusst gefördert werden soll.

 

   

-

Ursachen Biografische Vorerfahrung („Lernen am Modell“): erfahrene Gewalt als Erziehungsmittel wird an eigene Kinder weiter gegeben, auch mangels alternativer Kompetenzen Gewalterfahrung in der Partnerschaft: Druck und Gewalt werden an die Kinder als schwächeres Glied weiter gegeben; beobachtete Gewalt ist für Kinder psychisch stark belastend und traumatisierend. Sozioökonomische Belastungsfaktoren: Arbeitslosigkeit, beengte Wohnverhältnisse, Geldsorgen verursachen Stress und Hilflosigkeit in den Familien. Paarkonflikte, „Scheidungskrieg“ Entwicklungsstörung oder Behinderung eines Kindes führen zu Überforderung. Projektion von Wünschen, Ängsten und Erwartungen, vor allem in Unkenntnis über die kindliche Entwicklung und seine Bedürfnisse.

Folgen

Als kurzfristige Folgen beobachten wir an den Kindern alle Formen kognitiver und emotionaler Störungen, psychosomatische und somatische Beschwerden, Störungen im Sozialverhalten. Langfristig betrachtet lassen sich viele psychischen Krankheiten von Erwachsenen auf Gewalterfahrungen in der Kindheit zurückführen.

-

Interventionen und Handlungsansätze

Ebene der Familie: Frühe Elternbildung und Erziehungsberatung Entlastung der Eltern


Unterstützungsangebote für die Kinder Kinder brauchen Eltern mit Vorbildfunktion, die Klarheit vermitteln, Grenzen setzen, Orientierung geben und Verlässlich sind. Eltern erfahren in einer hilfeorientierten Beratung Verständnis, Ermutigung und Bestätigung und können / sollen aus ihren Fehlern lernen. 2/3 aller Gewalt ausübenden Eltern wollen gute Eltern sein und wollen, dass es ihren Kindern gut geht. In allen diesen Familien sind Angebote wie die der Kinderschutzzentrum äußerst sinnvoll und notwendig. Ebene der Gesellschaft: Gewaltschutzgesetze und Kampagnen die zu einer Einstellungsänderung und tatsächlicher Verringerung von Gewaltanwendung führen und die Bereitschaft die ausgeübte Gewalt zu rechtfertigen reduzieren. Vernetzung von Gewaltschutzeinrichtungen und Öffentlichkeitsarbeit dienen der Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung der Bevölkerung, der Übernahme von Verantwortung „Hinschauen statt Wegschauen“.

Mag. Sonja Kahr Psychosoziale Beratungsstelle und Kinderschutzzentrum Bruck-Mürzzuschlag, Rettet das Kind, Stmk.



Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.