Indien: Maharashtra - unbekanntes geographisches Zentrum traveller 2015 09

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Maharashtra – unbekanntes geografisches Zentrum Es ist erstaunlich, wie wenige Menschen auf der Landkarte Maharashtra lokalisieren können. „Ach so, die Gegend rund um Mumbai“ ist dann die halbwissende Reaktion auf nähere Erläuterung. Die Strahlkraft von Mumbai ist so groß, dass man darüber gerne das Hinterland vergisst. Dabei trieft Indiens drittgrößter Bundesstaat geradezu vor kulturellen Schätzen und grandiosen Landschaften. Eine Entdeckungsreise jenseits Indiens lebhaftester Metropole. Was man kennt, gibt Orientierung, vermittelt Sicherheit und hat daher meist die größte Anziehungskraft. Vermutlich landen wir Reisenden deshalb auf unseren Erkundungstouren vorrangig an den Hotspots der Destinationen. Dem unerfahrenen Indienreisenden sei empfohlen: Lassen Sie sich nicht gleich von Metro-Linien und Shopping-Areas verlocken, beginnen Sie Ihre Erkundung des Subkontinents ganz gemächlich irgendwo auf dem Land und heben Sie sich die überwältigende Eindrucksfülle der Millionenstädte für den Schluss Ihrer Reise auf. Die Indienkenner unter den Lesern werden diesen Vorschlag vermutlich gutheißen.

Indiens Zentrum & Tiger-Safari Für einen gemütlichen Einstieg in den bunten Trubel des Subkontinents eignet sich Nagpur ganz im Osten Maharashtras. Die Orangenstadt, so ihr Beiname, ist das geografische Zentrum Indiens und Erdkunde-Liebhabern sei ein Besuch am Zero-Mile-Marker empfohlen. Geschichtsinteressierte werden gerne den Spuren folgen, die der Vater der indischen Verfassung, Dr. B. J. Ambedkar, in der Stadt hinterlassen hat. Dem Beispiel seiner symbolträchtigen Konvertierung vom Hinduismus zum Buddhismus, eine klare Absage an das traditionelle Kastensystem, folgten Zigtausende Unterdrückte nach. In der mächtigen Diksha Bhumi-Stupa ist ihm eine Ausstellung gewidmet. Nach dem kurzen Kultur-Intermezzo zieht die wilde Landschaft Zentralindiens an: Nach knapp dreistündiger Jeepfahrt erreicht man den Tadoba Nationalpark. Gemeinsam mit dem angrenzenden Wildreservat Andhari zählt er zu den am besten geschützten Rückzugsgebieten für Tiger in ganz Indien. Was keinesfalls heißt, dass man die majestätische Raubkatze hier nicht zu Gesicht bekäme. Einerseits bietet die Landschaft ne-

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ben dichtem Dschungel auch viele offene Flächen und Wasserstellen. Der zweite Grund: Nur wenige Schutzgebiete in Indien sind ganzjährig zugänglich, das Tadoba-AndhariTigerreservat ist eines davon. Eine seltene Chance, die Natur während dem Monsun zu erkunden, einer Jahreszeit, in der Flora und Fauna besonders aktiv sind. Und als besonderes Highlight kann man in Tadoba etwas erleben, was sonst in Indien streng verboten ist: Eine Safari zu Fuß durch den Nationalpark.

Aurengabad & Tempelhöhlen Die hügelige Gegend rund um Aurengabad wurde über die Jahrhunderte von zahlreichen Herrschern reich mit Monumenten versehen. Schnell ist man versucht, sich auf die be-

rühmten Höhlen zu beschränken, die in den Reiseführern als zwingende Haltepunkte einer Südindien-Rundreise gepriesen werden. Dabei ist ein Extra-Tag für Erkundungen abseits der Hauptrouten durchaus lohnend. Diesen kann man gut füllen, indem man das Daulatabad Fort erkundet. Weithin überragt dieses Meisterwerk der Festungsbaukunst die Landschaft. Den Felsen, auf dem es errichtet wurde, haben die Baumeister zur senkrechten, natürlichen Mauer abgemeißelt. Selbst Affen und Schlangen schaffen es nicht, den oberen Teil der Festung einzunehmen. Ein weiterer lohnender Stopp ist das Bibi ka Macqbara-Mausoleum, mit dem der Sohn von Mogulherrscher Aurengzeb, dem Namensgeber von Aurengabad, seiner Mutter ein Denk-


Special

Pune und die Stadt vom Reißbrett

© Marcus Bauer (6)

mal in Form einer leicht verkleinerten Nachbildung des Taj Mahal errichtete. Die absoluten Highlights der Region stellen aber die Höhlentempel von Ajanta und Ellora dar, beide von der UNESCO als Teil des Weltkulturerbes geadelt. Bereits im zweiten Jahrhundert vor Christus begannen buddhistische Mönche nahe Ajanta, in einer Schlucht über dem Fluß Waghora, Höhlen in den grauen Basaltfels zu schlagen. Jahrhundertelang waren diese unter dichtem Bewuchs verborgen, bis 1819 einige Soldaten der East India Company den archäologischen Schatz entdeckten. Die filigranen Steinmetzarbeiten und die bis heute gut erhaltenen Wandbemalungen der 28 Höhlen sind atemberaubend – zumal der Fußweg treppauf-treppab einiges an Kondition erfordert. Die Ellora-Höhlen gelten zu Recht als Wunderwerk. Die Dimensionen sind immens: 34 Höhlen, mehrstöckige Hallen, prall gefüllt mit Skulpturen aus der buddhistischen, hinduistischen und Jain-Mythologie. Der zentrale Kailash Tempel, gewidmet dem hinduistischen Hauptgott Shiva, ist die größte monolithische Skulptur der Welt, herausgehauen aus einem einzigen riesigen Felsen.

Mit knapp 4,5 Millionen Einwohnern ist Pune die zweitgrößte Stadt Maharashtras. Die Geschichte ist lang und man ziert sich stolz mit diversen Titeln, darunter Königin des Dekkan, Oxford des Ostens, kulturelle Hauptstadt von Maharashtra. Unstrittig ist, dass die Stadt schon alleine dank ihrer klimatisch reizvollen Höhenlage von jeher ein geschätzter Knotenpunkt auf dem Subkontinent war. Umgeben von waldreichen Bergen ist das Ballungsgebiet zudem – für indische Urbanitäts-Maßstäbe – erstaunlich grün. Alles gute Gründe, warum sich die Stadt zu einem Anziehungspunkt für Technik- und Softwareunternehmen entwickelt hat. Diverse Automobilbauer, darunter Volkswagen, Mercedes-Benz, Jaguar und Tata, haben hier ihre lokalen Dependancen und sorgen für den stetig wachsenden indischen Mittelstand ebenso wie für den kosmopolitischen Charakter der Stadt. Während ständig neue Stadtteile an die schnell wachsende Metropole andocken, hat sich in der historischen Altstadt – abgesehen vom Verkehrsaufkommen –vergleichsweise wenig geändert. In einer Seitenstraße im Straßengewirr befindet sich ein Kleinod unter Indiens Museen. Es ist die private Sammlung von Dr. Dinkar Kelkar. Rund 21.000 Gegenstände hat der Visionär über sechs Jahrzehnte lang auf dem ganzen Subkontinent in abgelegenen Dörfern, Ureinwohner-Siedlungen, Tempeln und auf Volksfesten zusammengetragen und so vor dem Verfall und der Bedeutungslosigkeit bewahrt: Ein unvergleichlicher Spiegel des indischen Alltagslebens, von Küchenutensilien über Textilien hin zu Musikinstrumenten und Spielzeug. Eine entfernt verwandte Vision verwirklicht derweil ein privater Investor vor den Toren der Stadt. Unter dem Motto „Leben, Arbeiten,

Lernen und Spielen“ entsteht, eingebettet in einen Talkessel in einer Bucht am Ufer des Mutha-Flusses, eine Stadt vom Reißbrett mit Namen Lavasa. Es ist eines der größten Bauprojekte Indiens, in fünf Baustufen sollen Häuser für 300.000 Menschen und etwa 100.000 Arbeitsplätze entstehen, außerdem erwartet man zwei Millionen Touristen. Als Zugpferde spannt man das Höhenklima, die Lage am Wasser und eine umweltbewusste Planung vor die Marketing-Maschine, die die Vorteile städtischen Lebens inmitten der Natur bewirbt. Die geplante Ausdehnung soll ein Fünftel der Größe Mumbais erreichen. Flächenmäßig natürlich, die berüchtigte Einwohnerdichte der Metropole versucht man in dieser „besseren aller Welten“ bewusst zu vermeiden. Ganz so, wie es das Konzept des neuen Urbanismus vorsieht. Marcus Bauer

Information Die offizielle Webseite der Maharashtra Tourism Development Corporation mit reichhaltigen Infos zu Land und Leute, Sehenswürdigkeiten und Reisemöglichkeiten ist unter www.maharashtratourism.gov.in erreichbar. Die TigerTrails Jungle Lodge im Tadoba Andhari Tiger Reservat wurde 2012 vom internationalen Verband der Tour Operators for Tigers, als beste Eco-Lodge ausgezeichnet; www.tigertrails.in. Das Welterbezentrum der UNESCO bietet umfangreiche Informationen inkl. Videos zu den Höhlen von Ellora unter whc.unesco.org/en/ list/243 und Ajanta unter whc.unesco.org/en/ list/242. Infos zum Raja-Kelkar-Museum unter rajakelkarmuseum.com. Die Modellstadt Lavasa präsentiert sich auf www.lavasa.com. Die Reise wurde unterstützt von Maharashtra Tourismus in Zusammenarbeit mit lokalen Hotelpartnern und Air India.

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