Tage des Seth

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Endlos schien der Weg über die felsigen Pfade des Hathorgebirges. Das Heulen des Sturmes war leiser geworden, hatte sich in ein Flüstern, ein gefährliches Zischen verwandelt, das den Männern so wenig geheuer war wie das Tosen zuvor. Geröll und Sand knirschten unter ihren Schritten und immer wieder polterten losgetretene Steine talwärts. Nach ungefähr einer Stunde erreichten sie ein abgelegenes Seitental. Es erstreckte sich westlich der Stätte der Ma’at, jenes seit Jahrhunderten als heilig verehrten Ortes, wo verstorbene Könige ihre Häuser für die Ewigkeit bewohnten. Furchtsam blickten die Männer um sich. Wie Raubtiere, zum Sprung bereit, kauerten schwarze Felsen in der Schlucht. Der schwächer werdende Wind stöhnte über den Geröllhängen, während die kleine Karawane durch die Enge zog. Ohne Worte zu verlieren, wies der Dunkle auf einen schmalen, kaum sichtbaren Spalt in der Felswand, die das Tal abschloss. „Wir sind am Ziel!“, sagte Kaha und bemühte sich, seiner Stimme Festigkeit zu verleihen. „Dort ist die Höhle. Handelt, wie euch befohlen wurde!“ Er trat zur Seite, zog sich fröstelnd sein Hemd fester um die Schultern und beobachtete, wie seine Medjau den Gefangenen vom Esel zerrten. Den Mann hatten Furcht und Entsetzen in eine Art Starre versetzt. Wie eine hölzerne Puppe ließ er sich vorwärts stoßen. Es schien, als habe er sich bereits von dieser Welt verabschiedet. „Hier hinein!“, hörte Kaha den Vornehmen sagen. Die ausgestreckte Hand wies auf den Felsspalt, der so schmal war, dass ein Einzelner sich nur seitlich hineinzwängen konnte. Der Medja beobachtete den dunkel Gewandeten und bewunderte, wie er es schon oft getan hatte, dessen kühle und überlegene Art, Befehle zu erteilen, die keinen Widerspruch duldete. „Gibt es weitere Aufgaben für uns?“, erkundigte sich Kaha leise, wobei er sorgfältig darauf achtete, nicht den Hauch unziemlicher Vertraulichkeit in seine Stimme zu legen. Der andere schüttelte den Kopf. „Nimm deine Männer, den Knaben und die Esel, dann geh deiner Wege!“ Nach kurzem Zögern setzte er hinzu: „Ich brauche dich wohl kaum zu belehren, dass Verschwiegenheit deine Pflicht ist …“ „Das ist nicht notwendig!“, versicherte Kaha rasch. „Nichts ist geschehen, nichts geschieht. Niemand sieht es. Keiner hört es.“ Er vermied es, dem anderen in die Augen zu blicken, als wäre dies 11

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