Banda-Aaku Patchwork 16

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A f r i k a   W u n de rhorn Reihe für zeitgenössische afrikanische Literatur Herausgegeben von Indra Wussow



Ellen banda-aaku patchwork Roman Aus dem Englischen von Indra Wussow

A f r i k aW u n de rhorn


Titel der Originalausgabe: Patchwork. Penguin Group, Südafrika © 2011 Ellen Banda-Aaku Lektorat: Moritz Ahrens © 2014 Verlag Das Wunderhorn GmbH Rohrbacherstraße 18 D-69115 Heidelberg www.wunderhorn.de Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schrift­ liche Genehmigung des Verlags reproduziert werden oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Gestaltung: 1 sans serif, Berlin Druck: NINO Druck Neustadt/Weinstraße Umschlagabbildung: © plainpicture ISBN 978-3-88423-439-6


F端r Saada und Kweku



Prolog Nach dem Geburtsregister bin ich zwei verschiedene Personen. Meine Geburt wurde zweimal eingetragen. Beide Einträge bestätigen Totela Ponga als meine 18-jährige Mutter, den 16. August 1969 als meinen Geburtstag und spektakuläre 4,9 Kilo als mein Geburtsgewicht. Doch da enden die Gemeinsamkeiten. In der Geburtsurkunde, die Grandma Ponga vom Geburtsregister erhielt, wurde beim Namen des Vaters unbekannt und mein Name als Natasha Ponga eingetragen. In meiner anderen Geburtsurkunde, die zwei Tage nach meiner Geburt in einem versiegelten Umschlag meinem Tata zugestellt wurde, erscheint Joseph Sakavungo als mein Vater und ich heiße Pezo Sakavungo. Durch meine überirdische Fähigkeit, andere zu belauschen, weiß ich, dass Grandma Ponga, als sie herausfand, dass mein Tata eine zweite Urkunde gekauft hatte, sich die Mututila ihres verstorbenen Ehemannes schnappte und mit einem Taxi zu Tatas Büro in der Stadt fuhr. Die Mututila konnte sie nicht mehr gebrauchen, weil das Schießpulver festgebacken war, und sie wusste auch nicht, wie sie sie laden sollte. Deshalb, so sagte Grandma Ponga, »benutzte ich meine Hände. Ich umklammerte seinen Ujeni und drehte ihn wie einen Wasserhahn zu. Ganz fest. Damit er aufhört, seinen schlechten Samen überall herumzuspritzen.« Trotz allem Ujeni-Quetschen, den Hänseleien und Drohungen, die zwischen Tata und Grandma Ponga darüber ausgetauscht wurden, zu wem ich gehörte und welcher mein richtiger Name sei, kennt man mich weder als Pezo noch als Natasha. Jeder nennt mich Pumpkin. Erstens, weil ich ein dickes, pausbäckiges Baby war. Und zweitens, weil meine Mutter, als sie mit mir schwanger war, ununterbrochen Kürbis aß, von dem sie nie genug bekommen konnte.

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Auch nachdem ich Tatas Nachnamen angenommen hatte, hielt das Grandma Ponga nicht davon ab, triumphierend zum Besten zu geben, was sie ihm an jenem Tag angetan hatte. Als ich alt genug war zu verstehen, was sie erzählte, sprach sie mit gedämpfter Stimme oder schaute sich um, ob ich in der Nähe war, bevor sie begann. Bei all ihrer Klugheit machte sie aber einen Fehler: Sie unterschätzte meine Auffassungsgabe. Denn schon als ich Grandma Ponga das erste Mal diese Geschichte erzählen hörte, in einem Chitenge an sie gebunden – meine Wange schlug gegen ihren verschwitzten, schaukelnden Rücken –, wusste ich es. Auch wenn ich noch zu jung war, es zu verstehen, wusste ich es. Ich wusste, dass ich schlechter Samen war.


Teil 1



1 Gestern hat Tata Ma ein Auto gekauft: einen knallroten Fiat 127 mit dem amtlichen Kennzeichen AAC  1951. Neunzehnhunderteinundfünfzig ist das Jahr, in dem sie geboren wurde. Heute Morgen springt das Auto nicht mehr an. »Nun komm schon«, Ma schlägt auf das Steuer ein, und ihre Armreifen und ihre ebenso riesigen Ohrreifen klimpern und klirren. Mwanza ist der Hausdiener von Wohnung  4, das ist die neben uns. Er steht auf dem Balkon und seine Zahnbürste ragt aus seinem Mundwinkel heraus wie eine Zigarre. Er diskutiert eifrig mit dem Hausmeister, der ist dünn wie eine Bohnenstange und sieht mit seinem kleinen Glatzkopf und seiner großen Brille aus wie ein Grashüpfer. Die beiden haben immer etwas zu diskutieren, heute sind es die Chancen eines afrikanischen Landes, die Fußballweltmeisterschaft zu gewinnen. Als sie bemerken, dass unser Auto nicht anspringt, kommen sie zu uns herüber und werfen einen Blick unter die Motorhaube. »Die Batterie ist kaputt, Madam«, sagt Mwanza. »Nicht die Batterie, der Anlasser«, sagt der Hausmeister und beginnt wortreich zu erklären, warum es nicht die Batterie sein kann. »Ist doch egal, ob es die Batterie oder der Anlasser ist. Wir müssen Madam anschieben, damit sie nicht zu spät zur Arbeit kommt.« Mwanza verstaut seine Zahnbürste in einer der Taschen seiner braunen Cordhose. »Madam, schalten Sie in den Leerlauf.« Mwanza hat die Statur eines Ringers, man sieht ihn ständig etwas essen und er stemmt Mauersteine, um Muskeln aufzubauen. Als er sich über das Auto beugt und es anschiebt, rollt es schon, bevor der Hausmeister mit anpacken kann. Ma lenkt das Auto aus der Auffahrt auf das Tor zu. Wir wohnen in Wohnung 3 im Tudu Court Komplex – zwei weiße eingeschossige Wohnblocks, die sich gegenüberstehen und von einer hohen Mauer

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und einem schwarzen Tor eingeschlossen werden. Beide Gebäude bestehen aus je vier Wohnungen. Vor jeder Wohnung gibt es einen Parkplatz und ein quadratisches Eckchen mit grünem Rasen, das so groß ist wie unser Wohnzimmerteppich. Nur dass unser Teppich ein tieferes Grün hat, mit gelbem Muster. Bee, das ist die Tochter des Hausmeisters, und Sonia, die wohnt in der 5, laufen mit dem Auto mit und winken mir zu. Das Auto rumpelt durch das Tor die Schotterstraße entlang und wird schließlich schneller und schneller. Ma drückt abwechselnd das Gaspedal durch oder nimmt den Fuß vom Gas, so wie Mwanza sie angewiesen hat. Die Anschieber beginnen zu laufen. »Los, los, los!«, rufen sie, während der Wagen an Geschwindigkeit zunimmt. Und als er schließlich davonzieht, trudeln sie aus, als seien sie Sprinter, die hinter der Ziellinie angekommen sind. »Ohhhhh« heult die Menge auf, als das Auto oben auf der Straße wieder stehen bleibt. Erneut drängeln sie, ihre Hände anzulegen und lachen und albern dabei herum. Sonia und Bee haben zu uns aufgeschlossen. Sie drücken ihre Nasen an das Autofenster und hauchen ihren Atem dagegen. Ich wünsche mir so, dass dieses blöde Auto end­lich losfährt. Ma gibt auf; sie greift sich ihre Handtasche vom Rücksitz und steigt aus. Mwanza springt auf den Fahrersitz und drückt das Gaspedal mit seinem Fuß voll durch. Sein Atem, der nach hartgekochten Eiern riecht, überlagert den Duft von Mas Parfüm. Doch obwohl Mwanza das Gaspedal den ganzen Weg vom oberen Ende der Straße zurück zum Tudu Court energisch durchtritt, heult das Auto nur einmal kurz auf, stottert und bleibt schließlich stehen. »Pumpkin, mach das Fenster auf.« Bee stempelt ihren Hand­ abdruck auf die Scheibe. Ich lasse mir nicht anmerken, wie peinlich mir das Ganze ist, und kurbele die Fensterscheibe herunter. »Wieso kaufen dein Tata deine Mutter ein Auto kaputt?«, flüstert Bee und entblößt dabei ihre kleinen Zähne, die wahllos in ihrem Mund zu stecken scheinen und aussehen wie einzelne Körner auf einem kleinen Maiskolben. »Hast du gestern nicht gesehen, wie gut er gefahren ist?«, entgegne ich, während ich mich nach vorn beuge und den Kopf aus dem

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Fenster halte. »Hast du nicht gesehen, wie ich gestern mit Ma und Tata mit dem Auto spazieren gefahren bin?« Das sage ich so laut wie möglich und hoffe, dass alle mich hören. Dann zische ich sie missbilligend durch die Zähne an. Sonia duckt sich weg, aber ich bin noch nicht fertig. »Ich gebe dir nichts von den Süßigkeiten ab, die Tata mir gestern mitgebracht hat«, sage ich. »Ich nur wollen fragen«, sagt Bee und langt in die Tasche ihrer Schuluniform. Die ist braun und hat einen knallgelben Kragen. Sie holt etwas Süßes heraus und fuchtelt damit vor mir herum. »Das sind doch nur die doofen Süßigkeiten vom Markt. Mein Vater hat mir welche aus London mitgebracht.« »Ich nur fragen, weil Auto neu. Aber kaputt.« »Du blöde Hausmeistertochter«, murmele ich vor mich hin, so, dass sie sieht, dass ich etwas gesagt habe, es aber nicht verstehen kann. »Waas?« Ich beschließe, sie zu ignorieren. Ich revanchiere mich schon noch, wenn sie am wenigsten damit rechnet. Immer stellt sie mir Fragen, die mich auf die Palme bringen, und ich weiß, dass sie das absichtlich macht. Samstag Nachmittag, als Tata zu Besuch war, fragte sie mich zum Beispiel, warum ich ihm so gar nicht ähnlich sehe. »Er schwarz wie Kohle und du hell wie Tee mit Milch«, sagte sie. Als ob alle Töchter ihren Vätern ähnelten. Selbst als ich ihr sagte, dass Tata und ich ähnlich sprächen und wir beide Linkshänder seien, meinte sie, dass das nichts beweisen würde, und fragte mich auch noch: »Wie kann erwachsener Mann sprechen wie kleines Mädchen?« Ich sagte ihr, dass Tata und ich beide lispeln. Sie verstand nicht, was Lispeln bedeutet, und ich erklärte ihr, dass Tata und ich beide beim Sprechen mit der Zunge die Zähne berühren und unsere Wörter so einen zischenden Klang bekommen. Bee fing an zu lachen und sagte, dass sie noch nie einen Erwachsenen getroffen habe, der sich beim Sprechen auf die Zunge beißt. Damit sie endlich aufhörte, behauptete ich ihr, dass sie nie einen Mann wie meinen Tata kennen­ lernen würde; jemanden, der so wichtig ist und so viel Geld hat. Mittlerweile ist eine heiße Diskussion darüber entbrannt, wie man das Auto endlich zum Fahren bringen könnte, doch keiner der Vorschläge hat bisher zum Erfolg geführt.

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»Mwanza, schieb doch das Auto einfach wieder zurück zur Wohnung. Ich komme zu spät zur Arbeit!«, ruft Ma wütend und schmeißt die Autotür zu. »Pumpkin, komm endlich, wir nehmen ein Taxi!« Sie klingt, als sei es meine Schuld, dass das Auto nicht anspringen will. Als wir zur Hauptstraße laufen, winken Bee und Sonia mir zu, doch ich ignoriere sie. Ich gehe hinter Ma her und nehme meine Füße bei jedem Schritt besonders hoch, damit meine schwarzen Schuhe und weißen Strümpfe nicht dreckig werden. Mas schwarzer Rock schwingt bei jedem Schritt hin und her. Unmittelbar über ihrer Ferse hat einer ihrer Strümpfe eine Laufmasche, aber ich entschließe mich, es ihr nicht zu sagen, denn wenn sie das sieht, müssen wir wieder umdrehen, damit sie ihre Strümpfe wechseln kann. Oder sie würde, falls sie kein neues Paar Strümpfe im Haus hat, die Laufmasche am oberen Ende mit Nagellack bestreichen, damit sie nicht weiter nach oben klettert. Als wir am oberen Ende unserer Straße ankommen biegen wir links in eine asphaltierte Straße ein, die schließlich in die Hauptverkehrsstraße des Stadtzentrums mündet. Es ist nur ein kurzer Weg, aber bevor wir dort sind, bleibt Ma im Schatten eines großen Mango­ baums stehen und wischt mir mit einem Tuch den Glanz aus dem Gesicht und bittet mich dann, meine Schuhe zu putzen. Ein Mann sitzt auf einer leeren Kiste, legt seine Zeitung weg und beobachtet Ma von der Seite. Er fährt sich über die Lippen. »Hallo Süße«, sagt er, als Ma sich zurechtmacht. Sie wirft ihm einen Blick zu, der ihn gleich wieder zu seiner Zeitung greifen lässt. Wir gehen an einer Frau vorbei, auf deren Rücken auf halber Höhe ein Baby hängt. Sie ist damit beschäftigt, eigroße Teigbällchen in eine Wanne mit heißem Fett zu legen; sie zischen und wachsen sofort auf die Größe einer Orange. Mein Magen knurrt beim Duft der heißen Hefe und dem Anblick der goldbraunen Fitumbuwa, die in einer Kiste liegen, die mit fetttriefender Zeitung ausgelegt ist. Ich denke an das Rührei und die Tasse Kakao, die ich kalt auf dem Küchentisch zurückgelassen habe. Auf Mas hellbrauner Hand treten ihre Adern so deutlich hervor wie die Wurzeln eines Baumes gerade noch unterhalb der Erde. Sie ist wütend, und so behalte ich meinen Hunger für mich und hoffe, dass sie nicht hört, wie mein Magen knurrt.

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Ma nimmt mich an die Hand und führt mich über die Hauptstraße. Es ist eine breite Straße, mit einem Mittelstreifen, auf dem große Bäume stehen. Da gehen wir hin und warten unter den Bäumen mit ihren bis zur Hälfte weiß angemalten Stämmen. Sie wurden bemalt, als ein ausländischer Präsident zu Besuch kam. Die Bäume sehen aus wie Schulkinder, die sich in einer langen Reihe aufgestellt haben und alle weiße Strümpfe tragen. Als es Grün wird, wechseln wir auf die andere Straßenseite und bleiben unter einem Lampenpfosten stehen. Autos fahren langsam an uns vorbei, Stoßstange an Stoßstange wie ein Zug in Zeitlupentempo. Die Fahrer und anderen Passagiere starren Ma und mich am Straßenrand an. Ma ist das unangenehm. Ich bin sicher, sie hätte sich einen längeren Rock oder flachere Schuhe angezogen und auf die künstlichen Wimpern verzichtet, hätte sie gewusst, dass wir hier stehen würden. Sie schimpft vor sich hin über das blöde Auto, das nicht anspringt, und dass sie zu spät zur Arbeit käme, wenn nicht bald ein leeres Taxi auftaucht. Sie regt mich auf, weil sie ständig auf ihre Armbanduhr schaut. Sie hält mich immer noch an der Hand, sodass jedes Mal mein Arm mit hochgerissen wird, wenn sie auf die Uhr schaut. Mittlerweile hat sich die Laufmasche bis zum Knie vorgearbeitet und sie hat es bemerkt. In ihr Gemurre mischen sich jetzt tiefe Seufzer und ihr Zähnezischen. »Bleib ruhig stehen, deine Schuhe werden dreckig!« Ich habe mich nicht von der Stelle bewegt, sage aber nichts. Stattdessen konzentriere ich mich darauf, so ruhig dazustehen wie eine Statue. Dann denke ich mir ein Spiel aus. Jedes Mal, wenn ich in einem vorbeifahrenden Auto ein Kind sehe, strecke ich ihm die Zunge heraus. Strecke die Zunge seitlich heraus, damit Ma nichts davon mitbekommt. Zwei kleine Jungen, die hinten auf einem weißen Auto stehen, drehen ihre Köpfe weg. Ein Junge in einem anderen weißen Auto streckt ebenfalls seine Zunge heraus und lacht dann. Frecher Junge. Keine Kinder in den nächsten drei Autos. Ich schaue die lange Reihe von Autos entlang und suche kleine Köpfe. Endlich entdecke ich ein rotes Auto mit einigen kleinen Passagieren auf der Rückbank, doch meine Begeisterung schwindet schnell, als ich das Auto sehe, das hinter dem roten fährt. »Ma, sieh –«

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»Shhh«, sagt Ma und schneidet mir das Wort ab. Ich schaue zu ihr hoch. Wir blicken uns in die Augen. Sie bewegt steif ihren Kopf, als wolle sie nicht zeigen, dass sie ihn schüttelt, und drückt meine Hand so fest, dass ich zusammenzucke. Sie weiß schon, was ich ihr sagen wollte. »Shhhh«, zischt sie wieder aus einem ihrer Mundwinkel, als sie den Griff meiner Hand lockert. Sie hustet, zittert und stellt sich kerzengerade hin. Der sanfte Zug an meinem Arm bedeutet mir, mich ebenfalls gerade hinzustellen. Ich halte meinen Atem an. Für einen Moment hoffe ich, bete ich, dass der Wagen anhält. Ich stelle mir vor, wie ich in seinen weichen schwarzen Ledersitzen versinke und den Geruch von Tabak wahrnehme, der sich im Inneren ausbreitet. Ich stelle mir vor, zur Schule zu kommen, aus dem Wagen auszusteigen, ihm nachzuwinken, wenn er aus der Ausfahrt verschwindet, und alle meine Freunde sehen mir dabei zu. Mas schrilles Lachen reißt mich aus meinen Tagträumen. Sie stellt mir eine Frage, die mich gar nicht richtig erreicht, weil mein Herz so laut in meiner Brust schlägt. Irgendetwas dreht sich mit Hochgeschwindigkeit in meinem Kopf. »Pumpkin, wann hast du heute Schulschluss?« Ich kenne Mas Gedanken so wie meine eigenen und weiß, dass auch sie den dunkelgrünen Mercedes gesehen hat, der auf uns zurollt. Ich nuschele irgendwas in ihre Richtung. Ihre Hand liegt feucht in meiner. Die Passagiere der anderen Autos hören nicht auf, uns anzustarren. Es fühlt sich an, als könnten sie durch uns hindurch sehen, als wüssten sie, dass die junge Frau mit ihren langen Beinen, der beige-schwarz gepunkteten Bluse und den schwarzen SlingbackPlateauschuhen und an ihrer Hand das dicke Mädchen in ihrer blauweiß gemusterten Schuluniform so tun, als würden sie sich gerade einen Witz erzählen. Ich spüre, sie haben unser vorgespieltes Glück längst durchschaut. Auch wenn ein Blick in Mas Augen mir das verbietet, blicke ich schnell auf. Ich erkenne Driver, wie immer in seinem blauen Hemd. Neben ihm sitzt eine Frau in etwas Gelbem, den massigen Ellenbogen hat sie auf der Fensterkante des Autos abgelegt. Auf dem Rücksitz erkenne ich einen mittelgroßen Kopf und zwei kleinere. Dann, versteckt in der hintersten Ecke des Wagens, am weitesten von uns

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entfernt, sehe ich ihn. Ich sehe, wie die goldene Armbanduhr an seinem Handgelenk funkelt, wenn die Sonne darauf fällt. Ich habe mir diesen Moment so oft ausgemalt, seitdem ich das erste Mal begriffen hatte, dass Tata nicht bei uns lebt. Nun ist dieser Moment da, ich stehe ganz still und bitte ihn stumm, sich zu mir zu drehen. Dieser Moment wird meiner Fantasie nicht gerecht. Er dreht sich nicht zu mir. Er hält nicht für mich an. Tata hat sich nicht für mich entschieden. Ma zerrt an meiner Hand und ich schaue weg. Ich sehe nicht noch einmal hin, das brauche ich nicht. Das Bild von Tata, der an mir vorbeifährt, hat sich tief in mein Bewusstsein eingebrannt und ist so unauslöschbar wie der blaue Tintenfleck in der Innentasche meiner Schuluniform. Mich packt das drängende Bedürfnis, mich jetzt hier auf der Stelle hinzuschmeißen und zu schreien. Ich will auf die Straße und vor ein fahrendes Auto laufen. Oder am anderen Ende der Straße in die Wanne mit kochendem Fett springen und mit den Fitumbuwa brutzeln. Aber ich tue es doch nicht. Ich halte weiter Mas Hand fest und erlaube ihr, mich zum Taxi zu führen, das sie gerade eben angehalten hat. »Sei nicht traurig, Pumpkin«, sagt Ma, als wir hinten im Taxi sitzen. »Wir fahren nur heute ausnahmsweise mit dem Taxi. Dein Tata wird das Problem mit dem Auto schon heute Abend lösen.« Das sagt sie, während sie im Spiegel ihrer Puderdose ihre Lippen prüft und schmatzt. Sie sagt das so, als hätte sie nicht eben Tata wahrgenommen, der an uns vorbeigefahren ist, als hätte er uns noch nie in seinem Leben gesehen.

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