WORTWUCHS|7

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Aus�✂be 7 Frühj✂hr 201 2 4 Euro

Zeitschrift für jun�e Liter✂tur



�erehrt� Kr��t�rk�ndler und �ortp�l�ck�r,

liebe Leser, gerade wurde der Winter vom Frühjahr abgelöst; überall recken und strecken sich Blüten und Knospen. Sie legen sich sanft auf eine Welt, die die Farbe verloren hatte, und erobern stückweise frostige Felder, matschige Äcker und leere Landschaften. Sie dringen in alle Ritzen und Ecken vor. Irgendwo, ganz fern, bricht eine Amsel Lebensfreude in den Wandel und stemmt ihr zartes Kehlchen gen Himmel. Kannst Du sie hören? Vielleicht ist sie in der Nähe und Du musst nur aufhorchen. Vielleicht hat sich aber auch schon der ersehnte Sommer durchgesetzt und der einsame Singsang ist zu einem kreischenden Fiepen angeschwollen. Du mittendrin, abseits oder auch dazwischen. Sitzt, liegst oder hältst stehend die druckfrische WortwuchsAusgabe in den Händen. Doch! Obacht! Es wird giftig! Texte, die sich entziehen, Dich in semantische Labyrinthe entführen und mit aller Wucht zurückmelden.


Vor �ort 4

Als wir vor Monaten das Leitthema festlegten, war kaum ersichtlich, welche Vielfalt aus nur einem Wort entstehen kann. Einem aufgebrochenen Wort, das sich selbst widerspricht: Ge�en / Gi�e! Kurzum: Uns wurde ein literarisches Antidot gebraut. Ein Serum, sich seicht verbreitend, und doch festverschnürt im Flakon der Sprache. Darunter Worte, Fetzen und semantische Elemente, die ein Gesamtbild zeichnen, dessen Wirkung unmittelbar von der ureigenen Zusammensetzung abhängt. Ein Text als Gegengift verstanden, kann ferner alles bewirken und vieles bedeuten. Wobei die (anti-)toxische Wirkung vor allem durch die Auseinandersetzung mit dem sprachlichen Konstrukt eingeleitet wird und sich in der Folge unweigerlich verbreitet. Fraglich bleibt, ob sich ein Venenum nach der Entfaltung restlos entfernen ließe. Kann die einmalige Injektion rückgängig gemacht oder eine kratzende Inhalation ausgespien werden? Fabian Hischmann spricht Klartext, stellt die Frage nicht, sondern erhebt sie zur Antwort. Denn ich habe keine Spuren hinterlassen. Hischmann schickt uns, schickt Björn zur Hauptsaison nach Griechenland und wirft uns gemeinsam in die Fremde. Wird dieser Ausflug einfach von Äonen, von Veränderungen verschluckt? Hinterlässt ein Eindringling überhaupt Spuren? Ist die Wirkung unseres Handelns ferner übersehbar? Oder ist der Wirkung unser Handeln scheißegal?


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Den Horizont erweitern, was erleben, mich sexuell aus­ toben, das war der Plan und dabei avanciert Björn zum Eindringling in die Fremde. Schießt sich fast heimlich in das Unbekannte und unsere Augen, ist gleichermaßen Gift und Störenfried in einer Geschichte, die ein anderer diktiert. Dennoch bleiben Abdrücke, vielleicht ungesehen, aber auch unbemerkt? Ist Gift, ist das Eindringen also immer Wirkung, Zerstörung und dabei synonym zur Veränderung? Klar ist, dass allgemein Stoffe gemeint sind, die durch Berührung oder Eindringen in den Körper Schaden zufügen können. Doch die Palette der Wirkung reicht dabei weit, geht über Beeinträchtigung, zum dauerhaften Schaden und kann mitunter den unweigerlichen Exitus bewirken.

Was ist für Dich Gift?

das vollständige Inter v iew mit Sandra Gugic´‘ f indest Du auf wor t w uchs.net

»Ganz klar: Langeweile. (lacht) Nichts ist schlimmer als auf der Stelle zu treten und damit sich selbst im Wege zu stehen. Für genauso gefährlich halte ich Intoleranz, durch die man Gefahr läuft einen Tunnelblick zu bekommen und sich nicht mehr für Neues zu öffnen. Das ist gerade beim Schreiben unerlässlich. Es hat vieles mit dem Kopf zu tun und damit wie man das Äußere wahrnimmt. Exzessiv leben wäre etwas Anderes. Warum nicht hin und wieder über die Stränge schlagen? Die vordergründigen Gifte gegen die es anzukämpfen gilt, sind falsche Umstände nicht Mittel. Dennoch: Unter Drogen schreiben geht für mich nicht! Wer es kann, nun denn – bewundernswert!«


Vor �ort 6

Fast scheint es, dass Aufbruch und Rastlosigkeit helfen, dem Giftigen entgegenzuwirken, es einzudämmen und es einfach negieren. Ja, als Allzweckwaffe tauglich, ein Antidot gegen Alltag. Auch Robert Loths Lyrik lebt vom rhythmischen Aufundab der Veränderung und ergießt sich im sprachlichen Herzinfarkt, der nicht das Aus, sondern vielmehr den Wandel bewirkt. Dabei drehen wir uns spiralförmig in der Ferne und lauern auf den pointierten Auftakt des letzten Verses, der brachial gelegt und stockend die Intention erweitert. Stück für Stück werden wir eingelullt, wähnen uns sicher und werden brutal nach oben, fort und weg geschleudert. Doch oftmals lässt es sich aus der Ferne viel besser urteilen. Kannst Du es sehen? Eine Stadt wird sichtbar und baut sich vor uns auf, türmt sich aus dem Wort. Drei Texte zum Einatmen, Ausatmen …, einatmen. Bis sich die volle Wirkung entfaltet, wie ein Lutschbonbon, der im Magen rumort, wie ein Kiesel im Schuh auf einem Sonntagsausflug. Das kann man inhalieren und schlucken, wird es aber nicht mehr los. Denn in der Verwirrung formt sich ein Gesamtbild.

… lieber Leser? Bist Du d✂? Wir wünschen Dir Spaß, nimm Dir Zeit zum Lesen, schau Dich gründlich um, denn es gibt jede Menge zu entdecken. Das einfachste Mittel, um einem Text das giftige Genick zu brechen, ist und bleibt, ihn aufzusaugen, zu assimilieren und genüsslich zu verschlucken. Bis er irgendwann, irgendwo aus Dir herausquillt, ähnlich wie der Schrei der Amsel. Oftmals bleibt er ungehört und verpufft, aber manchmal wird er zum Schlag ins schlafende Gesicht – vornehmlich morgens um 3.

gebraut: K atharina Ludw ig geschrieben: Jonas Geldschläger geinter v iew t: K ai Mer tig geänder t: Peter Dietze genickt: die R EDA K TION


Inh✂lt

Vor �or t

⁷ ¹⁵ ¹⁷ ²¹ ²⁴ ³⁴ ⁵³ ⁵⁵ ⁵⁷ ⁶¹ ⁶⁴ ⁶⁶

S✂ndr✂ Gu�ić Robert L. Loth Le✂ Schneider Anj✂ K✂mpm✂nn F✂bi✂n Hischm✂nn Tom Bresem✂nn M✂nuel St✂llb✂umer Konst✂ntin Ames Mich✂el Zoch Ni�l✂s Lem Nis�✂te Denny Heiter Friederi�e Scheffler K✂thrin B✂ch Linus Westhäuser Autoren dieser Aus�✂be N✂chrede Impressum


Inh✂lt

⁷ ¹⁵ ¹⁷ ²¹ ²⁴ ³⁴ ⁵³ ⁵⁵

⁵⁷ ⁶¹ ⁶⁴ ⁶⁶

Ganze Tage Gedichte Gedichte Gedichte Hauptsaison Widertexte Kleines Gewitter Mit der Handkante auf Sandbänke schlagen Irre Parabel Whiskers / Schnee Gedichte Gedichte


Name Name

Jou r na l i st:

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Hey, Miss Stein, why don’t you write the way you talk? Why don’t you read the way I write?

Gertrude Stein:

S✂ndr✂ Gu�ić

Ganze Tage Auszug aus einem größeren Projekt


G ✂nze T✂�e

Z w ei St u n de n spät er

Schon wieder, schon wieder kein Happy End. (Abspann)

Vor 30 Minuten

Biep biep biep das Telefon kriecht leuchtend, vibrierend über den Tisch, und auf dem Display Sie haben eine Nachricht von ein Fingerstreichen, ein Fenster weiter, die erwartete Nachricht: ein Fragezeichen.

Montag

Tagesmeldungen: Eine Performancekünstlerin bekommt ihr erstes Kind in einer Galerie,im Interview erklärt sie: » Die Geburt sei die höchste Form der Kunst. « Ein Täter im Zeugenstand über den Gemütszustand seines Opfers: » Der fand das total gut. « Ein Modedesigner in seinem Atelier: » Manchmal hasse ich einen Schuh schon nach Sekunden. «

El f St u n de n spät er

Das war wirklich ein Wie lange haben wir uns nicht? unverhofftes Wiedersehen, Fällt dir auf, dass du immer mehr Fragezeichen hinter die Sätze, die du mir sagst, stellst? Bemühte Scherze, früher war alles, genau, und sag mal, was macht eigentlich den Unterschied, kannst du etwas festmachen im Hier und Jetzt und darüber hinaus ist das wieder eine dieser Zufallsbekanntschaften unter monologisierender Drogeneinwirkung. Du sagst, es sind die Zufälle, die alles kompliziert machen.

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S✂ndr✂ Gu�ić

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Dazwischenzeit

Die Straße ein einziger Fahrbahnschaden, nasses Laub, mattes Laternenlicht, soll das vielleicht Straßenbe­ leuchtung darstellen, mehr Licht von links, aus einem Wasch­salon, in dem sich asynchron Waschmaschinentrommeln drehen, und bunte Farbflecken schleudern, aber es erinnert nicht, wie es wirklich gewesen ist, es versucht die zahlreichen Leerstellen zu füllen, verschüttete Erzählungen, Erinnerungsversuch folgt Szenario­ varianten, alles anders, alles nur eine Übung im nichtbestimmungsgemäßen, das Spiegelbild in der Auslage sagt dir, dass du hungrig bist.

Nach dem Essen

Normalität und Ausnahmezustand kippen, sitzen, liegen, stehen, sind das jetzt schiefe Bilder oder strukturelle Botschaften oder Unbehangenspoesie, er sagt: Um diese Zeit kann ich unmöglich kommen, um diese Zeit bin ich immer zu Hause, dabei zupft er nervös an der Haut an seinem Hals, Hühnerhaut denkst du, kalte Pizza, das willst du jetzt nicht sehen, aber was soll man machen, unter der Zeitungs-Headline atmen Menschen Tränengas, das kannst du jetzt nicht riechen, aber was soll man machen, schräg gegenüber hat ein Mann das Apfelsymbol auf seinem Laptop überklebt, auf dem beleuchteten Sticker, das Leuchten im Atemrhythmus, ein CopyrightSymbol und versal das Wort A NGST.

D ort u n d davor

Man sagt, er leidet an Ehrgeiz und Verdauungsstörungen, wobei das eine das andere, was wollen wir jetzt, zitieren oder tanzen oder, darauf er: I would prefer not to.


G ✂nze T✂�e

Oder auch damals als

Er sagt, er kennt den Wald wie seine Westen­ tasche, er sei schließlich hier in der Gegend aufgewachsen. Es ist neblig und kalt, aber es riecht gut, zumindest anders als in der Stadt. Die Blätter an den Büschen, die den Waldweg säumen, sind schwarz, an zu Rosinen ver­ schrumpelten Beeren hängen gefrorene Wassertropfen. Kurz darauf haben wir uns verlaufen und navigieren wir mithilfe der GPS-Funktion unserer Smartphones durch den Wald, und ich erfinde die Geschichte eines Paares, das sich im Wald streitet, ebendort trennt, mitten im Wald wiederfindet und daraufhin nieder­metzelt. Irgendwann später kommt das Dröhnen der Autobahn wieder näher, führt uns zurück in die Zivilisation.

Halbzeit

Dort wo wahrscheinlich auch vielleicht ich weiß es nicht.

Nachdem beinahe

Wir betreten das Zugabteil und streifen Mäntel, Hauben, Handschuhe ab, hier drinnen ist es warm, im Abteil ist schon jemand, gegenüber sitzt ein dunkelhäutiger Junge, der uns beim Einsteigen kurz wahrnimmt und dann nicht weiter beachtet. Er kramt eine weiße Plüschkatze aus seiner Tasche, klappt seinen Sitz aus, macht sich darauf mit der Katze im Arm lang, ich schätze ihn auf 16 Jahre, zu alt, um mit einer Plüschkatze im Arm zu schlafen, er dreht den Kopf zur Seite und macht die Augen zu.

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S✂ndr✂ Gu�ić

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Ei n pa a r Tage vor

Der Bus hält quietschend an der Ampel, links von mir ist ein Fußballkäfig, ein hagerer Junge streift seine Jacke ab, um sie einem Mädchen um die Schultern zu legen, dann stemmt er die Hände in die Hüften und steht so vor ihr, in seinem weißen T-Shirt, eine Wollmütze auf, dabei hat es Minusgrade, der Bus fährt wieder an, die Stadt gleitet vorbei, wie fremd einem das Vertraute werden kann, jede zweite Ecke eine Erinnerung, hier bin ich gewesen als, hier habe ich, damals, damals als

Imm e r w i e d e r

Den Tag gut gelaunt beginnen, eine späte Verabredung mit dem Satz: I have to return some videotapes verlassen, ein Scherz, ein Querverweis, den das Gegenüber nicht versteht, macht ja nichts, dann eben Tee machen, wahllos von Clip zu Clip klicken, man langweilt sich so, man langweilt sich zu Tode, vor dem Bildschirm ist hinter dem Bildschirm ist auf dem Bildschirm, auf dem jetzt pumpende Körperkonstruktionen turnen, dazu vor dem Bildschirm: Fingernägel lackieren, Schicht eins, dann Föhn anmachen, nächster Clip, Geschlechtsteil Close-ups, die an radioaktives Gemüse erinnern, dann Föhn ausmachen, Schicht zwei, nächster Clip, Überlack, Föhn anmachen, stell dir vor, mittendrin öffnet sich plötzlich so ein schillernder Verstehenshorizont, und wir machen einen auf AntiBabel, und jeder versteht alles für immer und immer und


G ✂nze T✂�e

Aber dann

Habe ich das Formular jetzt richtig aus-, das Briefing er-, die Erwartungen ent-, die Deadline einge-, die Checkliste abge-, seid ihr folgerichtig, seid ihr alle da, seid ihr wahrscheinlich notwendig, im besten Fall regelbasiert, this ist not a novel, this is mit Lebensechtheit ausgestattet, this is a fucking Unersetzbarkeitseinheit, this is kausal, sofern dramatische Notwendigkeit, nein eher: Pappkameradentum, man nehme a gun and a girl, man erzähle alle Gegenstände im Raum, ohne dass einer davon später noch eine Rolle spielt, this is Bedeutung versus Information, this is das Gewehr, das später abgefeuert werden wird peng peng peng und peng und das könnte ewig so weiter gehen

Ein Tag

continue to be continued

Unter freier Verwendung von und mit Dank an:

I would prefer not to, Bartleby, H e r m a n M e l v i l l e , 1853 // Fragmente der Check-liste des nichtlinearen Schreibens, T o b i a s H ü l s w i t t , 2012 // I have to return some videotapes, American Psycho, B r e t E a s t o n E l l i s , 1991 // Und na­t ürlich und immer wieder Google, die blöde Sau

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Robert L. Loth

¹ 559 C ² ��yoğl� / Karakö� ³ �oğ�ziçi


G e d i c h t e 18

¹ Nach staubigen Wegen an die Grenzen des Tages die Wärme noch still auf der Haut ging es nordwärts von Farben umgeben: in nachtschwere, schwebende Köpfe kroch leise die Stadt uns hinein.

³ Schifffahrt in Asien gelandet und langsam ein Randgang zum Markt – ein Glühen der Birnen im tagschrägen Glanz all der Farben, der Stimmen, der Enge der Stadt: wir saßen, als könnten wir niemals mehr enden, in Sprache die Luft noch zu fühlen, als fielen uns die Träume aus Köpfen hinaus – im Rücken die Weite und nachtschwarz am Rande das Meer.

² Milchglasaugen nach blinden Nächten sachte in den Tag gespannt gingen wir, Herzwand an Herzwand, hinunter zum Meer. Dort lagen die Schiffe in schwebenden Wellen, ein Windhauch wie Sprache von Asien her: Als sang er die bunt gelebten Geschichten geborgen in Lichtern der Stadt und den Furchen der Alten; am Abend gebratener Fisch


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�utor�� Konst✂ntin Ames wurde 1979 im saarländischen Völklingen geboren und lebt nach einem Studium der Buchwissenschaft und am DLL derzeit in Berlin. Er veröffentlichte in diversen Anthologien und Zeitschriften, beispielsweise Edit und dem Jahrbuch der Lyrik. 2009 gewann er beim 17. open mike in Berlin in der Kategorie Lyrik und war 2010 im Finale des Dresdner Lyrikpreises.

K✂thrin B✂ch wächst seit 1988 auf. Zuerst in der hessischen Provinz, jetzt in der niedersächsischen. Ist durch Misserfolge im Sportunterricht leider zu schwach, um mit ihrer Schreibmaschine zu verreisen. Mag Wasserkastanien. Kann Vollbremsen. Müsste auch mal an die Ostsee.

Tom Bresem✂nn geboren 1978 in Berlin, wo er lebt, schreibt Gedichte und Erzählungen in Anthologien und Zeitschriften (u.a. NEUBUCH, Lyrik von Jetzt zwei, Covering Onetti, randnummer, poetMAG). Einzelveröffentlichung: Makellos. Gedichte (2007), Herausgeber (u.a.

Im Heiligkeitsgedränge. Neue Weihnachtsgedichte), Mitbegründer der S3 LiteraturWerke sowie des Literaturhauses Lettrétage. Die Texte in dieser Ausgabe stammen aus seinem Band »BERLINER FENSTER. Gedichte«, das im Herbst 2011 im Berlin Verlag erschienen ist. www.berlinerfenster-gedichte.de

S✂ndr✂ Gu�ić geboren 1976 in Wien. Lebt und arbeitet als freie Autorin in Wien und Leipzig. Schreibt Prosa, Lyrik und Theatertexte. Ab 2009 Studium an der Universität für Angewandte Kunst in Wien, seit 2011 Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Preise und Stipendien u.a.: 2008 Literaturpreis der Edition EXIL, 2009 Stipendiatin des 13. Klagenfurter Literaturkurses, 2009/10 DramatikerInnenstipendium der Stadt Wien, 2010/11 Staatstipendium für Literatur des bm:ukk, Wien, 2011 Hohenemser Literaturpreis (Anerkennungspreis). Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften (u.a.: kolik, tippgemeinschaft, lautschrift, keine delikatessen).


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Denny Heiter

Ni�l✂s Lem Nis�✂te

stammt aus den Weiten des Thüringer Landes, wo er auch studiert. Für Wortwuchs ist er eine Art Robin Hood. Der abgedruckte Text ist sein Zeitschriften-Debüt.

wuchs seit ca. 1920 als Kaninchen unter Dodos auf. Seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts war er Lehrling in der Wortschmiede des Eisenbahndepots Nordsüdinnung. Es folgten in den 1630er Jahren Auftritte als Sprachspucker im wandernden Androidentheater, das sich allerdings nicht lange am Leben halten konnte. Bei einem später folgenden freien Wettbewerb im Wortwerfen wurde er mit zwei Dutzend Kronkorkenorden ausgezeichnet, die er fortan, an sich befestigt, zu Schau stellen sollte. Derart traumatisiert ergriff er die Flucht und begann mit der Untertunnelung des Ozeans. 20 Jahre später tauchte er wieder auf, im Lesesaal der Universität Fort Hare, wo er 1910 als erstes Kaninchen die Studien der Innenarchitektur, des Tunnelbaus und der Projektionsfelderwirtschaft absolvierte. In den Folgejahren kratzte er Gedichte aus Tunnelwänden und brachte sie zu einem nahegelegenen Gunstmarkt. Seitdem entstanden freie Kooperationen mit so namhaften Größen wie dem Zufall. Zahlreiche Veröffentlichungen, Preise, Auszeichnungen, Lobhudeleien und Gunstbezeugungen innerhalb der berüchtigten Literaturgruppe Spiegelkabinett, dessen einziges Mitglied er darstellt.

F✂bi✂n Hischm✂nn »Ich mag Inseln. Man steht dort freier. Ab und zu überlege ich mir Namen für Schiffe, die ich nicht besitze, gucke Möwen dabei zu, wie sie über die Wellen steuern, schreien, kacken. Manche sagen, ich sei pathetisch. Ich sage danke oder gern geschehen und suche im Atlas weiter nach Möglichkeiten, nach Ideen. Für Worte und Taten.«

Anj✂ K✂mpm✂nn geboren 1983, lebt in Leipzig und Berlin. Sie studierte in Hamburg Politik und Sport, dann am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Von 20062008 Redaktionsmitglied der Literaturzeitschrift Carpe PlumBum. Finalisten beim 14. Open Mike sowie beim MDR-Literaturpreis 2006, Stipendiatin im Künstlerhaus Edenkoben 2007, des Literaturkurses Klagenfurt 2008. Arbeitet an ihrer Promotion zu Samuel Becketts Spätwerk. Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturzeitschriften, u.a. Bella Triste, Tippgemeinschaft, Akzente und Neue Rundschau.


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Robert L. Loth

M✂nuel St✂llb✂umer

studiert Deutsche Literatur in Berlin und arbeitet beim Mikrokleinstgarten, einem Independent-Label, das er 2009 mitbegründet hat.

kam 1990 in Herrenberg zur Welt und wuchs in der Nähe von Stuttgart auf. Er nahm an u.a. an Schreibwerkstätten im Stuttgarter Literaturhaus unter Leitung von José F.A. Oliver teil. Erste Texte von ihm erschienen 2006, weitere folgten z.B. in der österreichischen Literaturzeitschrift kolik Nr. 43. Seit Oktober 2009 lebt er in Leipzig, wo er am Deutschen Literaturinstitut studiert.

Friederi�e Scheffler auf der Welt seit 1985, studiert nach Reisen in Vietnam, Neuseeland und Australien Psychologie in ihrer Heimatstadt. Sie ist Mitglied und Mitbegründerin der Lyrikgruppe G13. Teilnahme am Heiner-Müller-Autorenkolleg mit Ilija Trojanow (2007). Veröffentlichungen im Rahmen des Open Poems Workshops der Literaturwerkstatt Berlin (2007-2010) und in der Belletristik Nr. 11. Außerdem in der Anthologie » 40 % paradies. Gedichte der Lyrikgruppe G13 « (Herbst 2012, Verlagshaus J. Frank).

Le✂ Schneider führt eine aufreibende Hassliebes­ beziehung mit der Snooze-Funktion ihres Weckers; schreibt manchmal in Berlin, manchmal in China und meistens irgendwo dazwischen; wäre gern ein Enjambement, weil sie immer gleich beides haben will; empfiehlt weiterhin sehr das Lesen von gdreizehn.wordpress.com

Linus Westheuser » es gibt sachen, da will man gar nicht reinfassen. was ich geworden bin. ›die vorstellung eines unendlich behutsamen, unendlich leidenden dings‹. oder crunchy, occupy. alles wäre ein indiz. und später lacht man dann darüber. «

Mich✂el Zoch » ich bin das haar in der suppe der konfigurierten und gegen verkehr aus erotischen gründen und über mir zitronenfalter und neben mir die schnäppchenjäger und flachgelegte wolken am ausgerenkten firmament und ich schleich meine inneren orgien entlang arm in arm mit mir selbst umgeben von flugangst und nougatpralinen kieloben vom tacheles reden aus gynäkologischer sicht «


Fotos ✂uf den Seiten 7, 24, 53, 55, 64 und die Palme auf dem Cover: aus der Serie »Wet Plants At Night« von Ina Niehoff: www.inaniehoff.de Die anderen Bilder wurden im Botanischen Garten Berlin im März 2012 aufgenommen


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��chr�d� » w ie sich alles drehte, wiederholte, dehnte / und rotierte, die wärme war a space so vast «: Was in Monika Rincks Gedicht » tour de trance « sich taumelnd zum Beschreibbaren erhebt, kann als Zustand benannter Haltlosigkeit dechiffriert werden. In welchen Bedeutungen taucht der Begriff, um den dieses Heft thematisch kreist, nun auf? Die Volkswirtschaftslehre kennt die Bezeichnung eines Gegengiftes unter anderem als ein Ausgleichsprinzip und hat die Gegengiftthese herausgestellt, nach der sich Märkte immer in einer natürlichen Bilanz befinden. Zu jeder toxischen Einwirkung auf eine optimale Produktion muss ein stets existentes – wenn gleich zunächst suboptimales – Mittel angenommen werden, das immer ausgleichende Kraft besitzt und neutralisierend wirkt. Siedelt man das Wort im medizinischen Feld an, so wird unter einem Gegengift, auch Antidoton bezeichnet (griech. für das dagegen Gegebene), heute all jenes verstanden, dass Therapeutika benennt, die pharmakologisch wirken und die Wirkung von Giften abschwächen oder aufheben. Von seinem alchemistischen Ursprung her kommend, zeigen die in dieser Ausgabe gereihten Texte vor allem, dass eine solche Suche nach Gesundung – vor oder von was auch immer – verschiedenste Metaphern und Sprachformen findet. Die Bemühung um die Bewältigung eines pathologischen Zustandes und die Flucht aus der Intimität mit dem eigenen Tod beispielsweise: Die literarische Auseinandersetzung, der Wunsch aus der Kraft einer inneren Sprache heraus, aus einer schwer zu tragenden Form auszubrechen, vermag die literarische Stimme zum Ventil, zum Heilmittel des Schreibenden zu erheben. Der Autor, der den alchemistischen Zauberschrank öffnet, kann sich der Tränke bedienen, die ihm


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als die rechten erscheinen, er kann selbst üble Nachreden auf Texte gießen oder in ihnen den Zweck einer Bereinigung von den Giften suchen. In ihrem letzthin neu erschienenen Band » ich sitze nur GRAUSAM da « gibt die Grande Dame der österreichischen Literatur, Frederike Mayröcker, unter anderem wirksamen Eindruck davon, wie das Verbale sich aus der Benennung unwirksamer Hilfsmittel zum Gegengift, zum Medikament eines Leidenden, gegenüber einer äußeren Bedrohung formieren kann. Das scheinbar Unverkettbare wird gefährlich verkettbar, » Wenn ich eine Musik von Mozart anhören musz, übergebe ich mich, die Entzücktheit über eine Empfindung eines Geruchs macht uns trunken, nicht wahr «. Geht man chronologisch wieder weiter zurück, muss im literarischen Konzept nicht auf lyrische Vorbilder hingewiesen werden, die sich den Gegengiften im Titel wortwörtlich bedienten – wie etwa ein Band Erich Frieds, der 1974 unter eben diesem Titel auch erschienen ist – und es soll gar nicht von sprachlichen Elixieren die Rede sein, welche auf die hier versammelten Autoren mitsamt ihren Texten begünstigende Effekte gehabt haben könnten. Die Arbeiten dieser Ausgabe vermögen den Leser auf eigenständige Art ins Schwanken zu bringen, wieder in die Mitte des selbst zu tragen und womöglich sogar gleichsam in einen mentalen Prozess zu versetzen. Das wäre der günstigste Fall. Zumindest kann sicher gesagt werden: Die Prosaarbeiten und Gedichte von Fabian Hischmann, Sandra Gugic´, Anja Kampmann, Niklas Lem Niskate, Robert Loth, Kathrin Bach, Linus Westheuser, Michael Zoch, Denny Heiter, Frederike Scheffler und Lea Schneider haben ihre Stimme, ihren magischen Ton gefunden. Sie öffnen die alchemistischen Schränke auf unkonventionelle Weise und spielen im Archiv der eigenen Denk-, Schreib- und Leseerfahrung. Die Redaktion


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W o rtw u chs Zeitschrift für jun�e Liter✂tur erscheint zweimal jährlich im Oktober und April ISSN 1869-9111 Her✂us�eber: Wortwuchs e.V. c/o Jonas Geldschläger Gubener Straße 18 10243 Berlin kontakt@wortwuchs.net

Bei den Gedichten von Tom Bresemann handelt es sich um einen Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Berlin Verlags, bei dem wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken. Der Band erschien im Herbst 2011. Weitere Informationen auf: www.bloomsbury-verlag.com Gest✂ltun�, S✂tz: Martin Dziallas, Patrick Martin Druc�:

B✂n�verbindun�: Geldschläger, Jonas Kontonummer: 22875431 Bankleitzahl: 36010043 Postbank Red✂�tion: Peter Dietze, Anne Pauline Domrös, Jonas Geldschläger, Katharina Ludwig, Kai Mertig, Bianca Schmauch, Sebastian Schmidt Soweit nicht anders angegeben, liegen die Rechte an den Inhalten dieser Ausgabe bei den Urhebern.

I n n e n t e i l : umweltfreundlich gedruckt mit sojabasierten Farben auf einem Risograph www.superspitzeprimatoll.de C o v e r : Offsetdruck, Druckwerkstatt der Bauhaus-Universität Weimar

Buchbinder: Buchbinderei Weispflug, Großbreitenbach Au�l✂�e: 500 w w w.wortwuchs .net


dankt allen Autoren und Beteiligten für die Unterstützung bei der Arbeit an dieser Ausgabe. Wir freuen uns über Anmerkungen und Kritik, vor allem über Einreichungen und Unter­stützung für die im Oktober 2012 erscheinende Ausgabe. Einsendungen bitte bis zum 31. Juli 2012 an einsendun�en@wortwuchs.net



ISSN 1 8 6 9 - 9 1 1 1

w w w.wortwuchs .net


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