Wien Museum Ausstellungskatalog „Makart - Ein Künstler regiert die Stadt“

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Ein K端nstler regiert die Stadt


AuĂ&#x;enansicht des Makart’schen Ateliers nach 1885 Wien Museum Kat.-Nr. 1.43


Das Atelier Hans Makarts in der GuĂ&#x;hausstraĂ&#x;e um 1885 Atelier Victor Angerer Wien Museum






373. Sonderausstellung des Wien Museums Wien Museum im Künstlerhaus 9. Juni bis 16. Oktober 2011

Ausstellung

Katalog

Konzept / Kurator Ralph Gleis

Herausgeber Ralph Gleis im Auftrag des Wien Museums

Kuratorische Assistenz Kerstin Krenn Kuratorische Mitarbeit Elke Doppler, Regina Karner, Wolfgang Kos, Michaela Lindinger, Eva-Maria Orosz Wissenschaftliche Beratung Gerbert Frodl, Renata Kassal-Mikula Doris H. Lehmann Architektur Christian Sturminger Visuelle Gestaltung bauer – konzept & gestaltung Erwin K. Bauer, Igor Labudovic, Manuel Radde Produktion Bärbl Schrems Registrar Katrin Sippel Restaurierung Karin Maierhofer, Christine Maringer, Regula Künzli, Andrea Hanzal, Alexandra Moser Lektorat Julia Teresa Friehs Übersetzung Nick Somers

Redaktion Ralph Gleis, Kerstin Krenn Bildredaktion Kerstin Krenn, Bärbl Schrems Fotografische Arbeiten Birgit und Peter Kainz Lektorat Julia Teresa Friehs Visuelle Gestaltung bauer – konzept & gestaltung Erwin K. Bauer, Manuel Radde, Tobias Schererbauer Projektleitung Prestel Verlag Anja Besserer

© Wien Museum und Prestel Verlag, München · London · New York, 2011 ISBN 978-3-7913-5152-0 (Buchhandelsausgabe) ISBN 978-3-7913-6372-1 (Museumsausgabe) Die Deutsche National­bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­ http://dnb.d-nb.de abrufbar. Prestel Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH Neumarkter Straße 28 81673 München Tel. +49 (0)89 4136-0 Fax +49 (0)89 4136-2335 www.prestel.de

Herstellung Prestel Verlag Andrea Cobré Druck und Bindung Himmer AG, Augsburg Papier GardaArtMatt

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100

Schriften Agenda Courier Sans Eine Kooperation mit Belvedere und Künstlerhaus

Audiovisuelle Medien cat-x Aufbau Werkstätten Wien Museum Artex Hauptsponsor DES WIEN MUSEUMS


Makart Ein K眉nstler regiert die Stadt

PRESTEL M眉nchen 路 London 路 New York


Aufsätze

12 Wolfgang Kos Vorwort 14 Ralph Gleis Makart. Ein Künstler regiert die Stadt Zur Ausstellung

20 Ralph Gleis Phänomen Makart Künstlerkult im 19. Jahrhundert 32 Kurt Bauer Epochenschwelle Makart-Zeit Der Tod des Liberalismus und die Geburt der Massenparteien im Zeitalter des demografischen Übergangs 40 Elke Doppler Die Inszenierung des Künstlers Hans Makarts Selbstbildnisse und Fotoporträts 50 Doris H. Lehmann Maler und Stratege Hans Makarts Weg zum Erfolg 58 Werner Kitlitschka Experimentierfeld Ausstattungsmalerei Hans Makart und die Ringstraßenkünstler 70 Hans Ottomeyer Zwischen Kunst und Leben Die großen Ateliers des Historismus 82 Michaela Lindinger Die Kinder von Plüsch und Pleureuse Hans Makart und sein Gefolge 92 Alexandra Steiner-Strauss Kulissenzauber und Bühnenstars Hans Makart und das Theater 104 Werner Telesko Der Makart-Festzug 1879 Medienstrategien zwischen bürgerlichem Anspruch und monarchischer Jubelfeier 116 Eva-Maria Orosz Der Makart-Stil Ein Atelier als Vorbild für das Wiener Interieur 126 Wolfgang Kos Superstars der Kunst Von Makart zu Warhol, Beuys und Hirst


Ausstellung

Anhang

140 Makart und seine Zeit Ein chronologischer Überblick

270 Autorinnen und Autoren 271 Verzeichnis der benützten Literatur

144 Makarts Atelier Gesamtkunstwerk und Treffpunkt der Gesellschaft 150 Ein Künstler setzt sich in Szene 158 Prunkateliers der Gründerzeit 162 Sehen und gesehen werden 165 Malerfürsten und andere Künstlertypen 168 Kalkulierte Skandale Von der Kunst, berühmt zu werden 176 Sensationsbilder auf Welttournee 178 Experimentierfeld Ringstraße Die Malerei in Neu-Wien 188 Architekturphantasien 190 Makarts Auftraggeber 192 Gemalte Musik Der Ring des Nibelungen 197 Wagner – ein Makart der Musik 198 Leben im Makart-Stil Bombast und Opulenz 206 Maler der Frauen Porträtist der Gesellschaft 215 Makart macht Mode 218 Farbenrausch auf der Bühne Pathos und Leidenschaft 226 Ein Maler regiert das Theater 228 Der Makart-Festzug Ganz Wien auf den Beinen 256 Die Vermarktung eines Massenevents 260 Tod einer Legende Der Kult um den Künstler 267 Ja, das war die Makart-Zeit

274 Abbildungsnachweis 275 Leihgeberinnen und Leihgeber 275 Dank


Vorwort Wien im Umbruch 2009, ebenfalls im Künstlerhaus, präsentierte das Wien Museum eine generalistische Epochenausstellung mit dem Titel Kampf um die Stadt – Politik, Kunst und Alltag um 1930. Auch diesmal steht das Wort „Stadt“ im Titel, und abermals haben wir uns für einen breiten und diskursiven Konzeptansatz entschieden. Im Zentrum steht natürlich Makart, aber bewusst unscharf sind die Grenzen zu anderen Zeitphänomenen und Kunstsparten: Sein Wirkungsradius reichte weit über die Sphäre der Malerei hinaus, wie kein anderer zuvor oder danach prägte er, der auch ‚Designer‘ und ‚Trendsetter‘ war, Zeitstil und Stadtleben. Wie zentral das Kulturelle im späten 19. Jahrhundert in Wien war – man lese nur Carl Schorskes Essays über das Wiener Fin de Siècle –, zeigt die außergewöhnliche Tatsache, dass ein Künstler einer Zeit ihren Namen gab. Niemand käme auf die Idee, von einer „Klimt-Zeit“ zu sprechen!

Im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten war Wien in der Makart-Dekade eine Stadt in dynamischer Bewegung, mit extremer Kluft zwischen Arm und Reich und zwischen Alt-Wien und Neu-Wien. Spekulationsblase und Börsenkrach, Arbeiterunruhen und Prachtentfaltung. Wien war eine Großbaustelle, tausende Häuser wurden demoliert, der Ring wurde als gründerzeitliche Prachtstraße inszeniert. Eine alte Residenzstadt war auf dem Weg zu einer modernen Metropole, politisch, demografisch, technisch – und kulturell. 20 Jahre später war Wien die viertgrößte Stadt in Europa. Gesellschaftspolitisch ging die Bedeutung der Aristokratie zurück, das liberale Geld- und Bildungsbürgertum war in der Offensive. Paradoxerweise übernahm das Bürgertum die Repräsentationsformen des Adels, auch die neuesten Moden kamen ohne Retro-Eleganz nicht aus. Dass Hans Makart so wichtig werden konnte, hängt damit zusammen, dass er genau an dieser neuralgischen Schnittstelle agierte, zwischen Kaiserhuldigung und dem Protzgehabe der Neureichen. Ganz entscheidend für seine Prominenz waren die damals einsetzenden neuen Formen der Öffentlichkeit – ob in der medialen Wahrnehmung des kulturellen Geschehens oder im sich epochal verändernden Kunsthandel. Makart war der teuerste Künstler Wiens, er bekam für ein Großformat drei Mal so viel wie ein Universitätsprofessor pro Jahr.

Farbenrausch Makarts Malerei war natürlich zeitgebunden. Aber Fachleute sagen mir, dass er in Farbeinsatz und Pinselstrich ziemlich fortschrittlich war. Es lohnt sich also, die Bilder des brillanten Cinemascope- und Schnellmalers genau anzuschauen, sich auf ihre Sinnlichkeit einzulassen. Ein grandioses Beispiel ist das großformatige und hell leuchtende Gemälde Der Frühling, eine großzügige Leihgabe des Salzburg Museums: Es war das letzte Bild, an dem Makart arbeitete. Auf dem Aquarell, auf dem Rudolf von Alt nach dem Tod des Meisters dessen theatralisches Atelier ‚dokumentierte‘, ist es abgebildet. Beide Werke sind nun gemeinsam zu sehen, als Leitbilder der Ouvertüre, in der es um das skandalumwitterte Machtzentrum des „Malerfürsten“ geht.

Ein Künstler als Trendsetter Natürlich ‚regierte‘ nicht nur Makart im damaligen Wien, und nicht nur er faszinierte ein breites Publikum: Neben dem „Malerfürsten“ herrschte der „Walzerkönig“ Johann Strauss. Und es gab Idole, deren Namen uns heute zwar nicht mehr geläufig sind, die aber in ähnlicher Weise zum Stadtgespräch wurden. Etwa die prominente Burgtheater-„Tragödin“ und Salonlöwin Charlotte Wolter, die auf dem Cover dieses Katalogs zu sehen ist. Das spektakuläre Porträt von Charlotte Wolter in ihrer Glanzrolle als „Messalina“, ein Dokument virtuoser Regiekunst, gehört zu den Highlights der Sammlungen des Wien Museums.

Natürlich hat eine Makart-Ausstellung anno 2011 Hürden zu überwinden. Denn der einstige Mode- und Sensationsmaler wurde im 20. Jahrhundert geradezu zu einem Synonym für abwertende Begriffe wie „Protz“, „Schinken“ oder „Schwulst“. Das liegt nicht nur an den neckischen ‚Popscherln‘ und üppigen Dekors, sondern vor allem an den mythologischen und allegorischen Bildinhalten. Sie erscheinen uns antiquiert, zudem können

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Dank wir sie fast nicht mehr ‚lesen‘. Deshalb sind es vor allem die suggestiven Frauenporträts, die heute wieder faszinieren. Das Wien Museum besitzt glücklicherweise einige der schönsten, etwa das auch als Symphonie in Rot bezeichnete und mehr als unterschwellig erotische von Dora Fournier-Gabillon. Wie viel Zukunft bei Makart zu finden ist, zeigt sich daran, wie naheliegend es erscheint, zu modernen Begriffen zu greifen, um seine einstige Bedeutung zu verstehen: „Designer“, „Event“ (300.000 standen beim Makart-Festzug entlang des Rings!) oder „Marketing“, steuerte Makart seine Karriere doch mit großem strategischen Geschick. Kooperation mit dem Belvedere Die Zusammenarbeit zwischen Belvedere und Wien Museum, zwei Häusern mit bedeutenden Makart-­ Sammlungen, ermöglichte etwas, das in Wien nicht alltäglich ist. Denn gar nicht selten passierte es, dass große Museen zeitgleiche Ausstellungen mit denselben zug­ kräftigen Künstlernamen ohne gegenseitige Abstimmung durchgeführt haben. Unser Makart-Doppelprojekt war von Anfang an eng koordiniert. Wichtig war uns, dass die Handschriften der beiden Museen erkennbar sind und dass zugleich ein sinnvolles Ganzes entsteht. So viel Makart war in Wien noch nie! Für die kollegiale Um­­ setzung unserer Kooperation möchte ich besonders Direk­torin Agnes Husslein-Arco danken. Wir freuen uns ­da­­­rüber, in der Ausstellung des Wien Museums auch bedeutende Werke aus dem Belvedere zeigen zu können. Kooperation mit dem Künstlerhaus Herzlich zu danken ist auch dem Künstlerhaus, ebenfalls Kooperationspartner, insbesondere Präsident Joachim Lothar Gartner und Direktor Peter Bogner. Aufgrund der räumlichen Beengtheit im Wien Museum war es erst durch das Angebot, das Künstlerhaus zu bespielen, möglich, die Ausstellung zu realisieren. Doch es gibt auch inhaltliche Gründe dafür, dass Makart nirgends idealer hätte präsentiert werden können als in jenem historistischen Gebäude, in dem sich einst Abertausende anstellten, um seine Gemälde zu bestaunen, wo er ab 1880 Vorstand der Künstlervereinigung wurde und wo man heuer einen runden Geburtstag feiert. Gratulation zum 150er!

Das Wien Museum hatte das Glück, mit Ralph Gleis, der vor zwei Jahren aus Deutschland zu uns kam, nicht nur einen Kunsthistoriker mit Historismus-Expertise zu gewinnen, sondern auch einen Kurator mit großer Erfahrung in historischen Museen. Ich danke ihm für sein souverän und mit kuratorischem Feingefühl entwickeltes Ausstellungskonzept – und für seine hartnäckigen Recherchen, um auch unerwartete Werke zeigen zu können. Manche sind nach vielen Jahrzehnten erstmals wieder in Wien zu sehen. Ein besonderer Dank geht an The Latvian National Museum of Art in Riga, das der Verleihung von drei spektakulären und wenig bekannten Gemälden aus dem Nibelungenzyklus zustimmte. Für ihre bedeutenden Beiträge bedanke ich mich auch bei den Landesmuseen in Nieder- und Oberösterreich, beim Salzburg Museum und der Residenzgalerie, bei Museen in Österreich, Deutschland und anderen Ländern sowie bei zahlreichen privaten Leihgebern. Das Gros der Exponate kommt aus den eigenen Sammlungen, darunter die Originalentwürfe des Makart-Festzugs, rare Fotografien oder Beispiele der Makart-Mode aus unserer Modesammlung. Wir freuen uns, dass ausgewiesene Makart-Expertinnen und -Experten das Projekt unterstützten und hochkarätige Autorinnen und Autoren Aufsätze zum Katalog beisteuerten. Ralph Gleis wurde seitens des Wien Museums kuratorisch von Elke Doppler, Regina Karner, Michaela Lindinger und Eva-Maria Orosz unterstützt, wichtiger Input kam auch von Andreas Nierhaus. Als umsichtige Assistentin war Kerstin Krenn im Team. Last, but not least ist die organisatorische Managerin der Ausstellung, Bärbl Schrems, zu nennen, gemeinsam mit dem Team des Wien Museums. Die fordernde Aufgabe, im historistischen Künstlerhaus eine Ausstellung zu gestalten, die die Makart-Zeit spüren und dennoch nie Zweifel daran lässt, dass es sich um eine aktuelle Ausstellung handelt, übernahm und meisterte Christian Sturminger, unterstützt von Erwin Bauer und dessen Grafikbüro. Ihm ist die blaue Girlande, die die beiden Ausstellungen symbolisch miteinander verknüpft, ebenso zu verdanken wie die Gestaltung des Katalogs. Wolfgang Kos Direktor Wien Museum

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Makart Ein Künstler regiert die Stadt Zur Ausstellung

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er österreichische Maler Hans Makart (1840–1884) war im späten 19. Jahrhundert eine internationale Berühmtheit, ein Künstlerstar, der ein Massenpublikum zu begeistern wusste. Bis heute fasziniert seine beschwingte Malerei, deren enorme Wirkmacht sich weniger aus ihrer thematischen und konzeptuellen Raffinesse als vielmehr aus der farbigen Opulenz und technischen Virtuosität seiner Bilder ableitet. Zu einer Zeit, die das Kino noch nicht kannte, lockten aufwendig inszenierte Präsentationen seiner monumentalen Gemälde zigtausende Schaulustige in die Ausstellungshäuser. 1878 kamen in wenigen Tagen 40.000 Menschen in das Wiener Künstlerhaus, um ein einziges Werk – das 50 Quadratmeter große Gemälde Einzug Karls V. in Antwerpen – zu bestaunen.

eines Malers verbindet sich in Wien der Glanz einer ganzen Epoche – die Makart-Zeit. Als Makart 1869 aus München, der Stadt seiner Ausbildung und ersten Erfolge, von Kaiser Franz Joseph als Impulsgeber für die Kunstszene nach Wien berufen wurde, traf er auf eine Stadt und eine Gesellschaft im Umbruch. Makarts Malerei und seine dekorative Kunstauffassung entsprachen den Bedürfnissen eines breiten Publikums, er war tonangebend für den Geschmack des Ringstraßen-Zeitalters. Seine Popularität kannte keine Grenzen, kaum ein österreichischer Künstler konnte im 19. Jahrhundert eine derart herausgehobene gesellschaftliche Stellung erlangen. Auf dem Zenit seiner gesellschaftlichen Anerkennung starb Makart 1884 mit nur 44 Jahren, und der Ruhm des einstigen Wiener „Malerfürsten“ verblasste rasch. Dass Makart viel mehr war als ein reiner Maler, nämlich ein universelles Gestaltungstalent oder in heutigen Worten ein alle Kunstsparten übergreifender Designer, bereitete der Kunstgeschichte lange Zeit Probleme mit der Einordnung und Bewertung seines Œuvres. Nach Makarts Tod wurde seine Bedeutung auf das Feld der

Die 1870er-Jahre waren ohne Zweifel Makarts Jahrzehnt, in dem er über die Malerei hinaus durch seinen Einfluss auf benachbarte Künste wie Oper und Theater, auf Wohnkultur und Kleidungsstil bekannt wurde und eine regelrechte Makart-Mode auslöste. Mit dem Namen

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Dekoration verengt und die Beschäftigung mit dem Künstler der Kulturgeschichte überantwortet. So findet sich der Name Makart nach 1900 überproportional häufig in Zeitschriften für angewandte Kunst und dort zumeist als Exponent einer Zeit, die man zu überwinden hoffte. Die gesteigerte Wertschätzung seitens der Kulturpolitik im Nationalsozialismus und insbesondere die Vorliebe Adolf Hitlers für Makart, dessen Gemälde er für sein geplantes „Führer-Museum“ in Linz systematisch zusammentragen ließ, verstellten lange Zeit eine objektive wissenschaftliche Sicht auf den Künstler. Ab den 1970er-Jahren entdeckte die Kunstgeschichte den Historismus wieder, und erst in den vergangenen 20 Jahren war die lange Zeit gering geschätzte Salonmalerei des 19. Jahrhunderts wieder en vogue. In diesem Kontext entstanden wissenschaftliche Publikationen und Ausstellungen zu Makart. Zur Rehabilitierung des Künstlers haben in erster Linie die Schau Hans Makart. Triumph einer schönen Epoche 1972 in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden sowie die 1974 veröffentlichte Monografie mit Werkverzeichnis von Gerbert Frodl beigetragen, die bis heute das Standardwerk zu Makart geblieben ist. In der Folge haben zahlreiche Aufsätze und nicht zuletzt die beiden großen Makart-Ausstellungen – Hans Makart. Malerfürst im Jahr 2000 in der ­Hermesvilla durch das Wien Museum und die Personale Hans Makart. 1840–1884 im Jahr 2007 im Salzburg Museum – bewiesen, dass Makart als künstlerische Position längst seinen fixen Platz in der Geschichte der österreichischen Malerei des 19. Jahrhunderts gefunden hat. Künstler, Gesellschaft und Stadt Unter dem Titel Makart. Ein Künstler regiert die Stadt widmet sich das Wien Museum nun in einer umfassenden Ausstellung den gesellschaftlichen Voraussetzungen und Wirkungszusammenhängen von Makarts Kunst. Auf der Grundlage aktueller Forschung und in Verknüpfung von kunst-, kultur- und sozialgeschichtlichen Fragestellungen versucht die Ausstellung, dem Phänomen Makart auf die Spur zu kommen. Nicht zufällig gewählt ist der Ort der Präsentation: Das Künstlerhaus wurde 1868, ein Jahr vor Makarts Übersiedlung nach Wien, fertiggestellt. Es ist das Vereinsgebäude der Vereinigung der bildenden Künstler Wiens, der Makart seinerzeit als Mitglied und Vorsitzender angehörte. In diesem Ausstellungsgebäude nahm Makarts Erfolgsgeschichte durch umjubelte Präsentationen seiner Arbeiten ihren Anfang, im Oktober 1884 defilierte die Wiener Gesellschaft im Prunkfuneral für den

Malerstar an diesem Haus vorbei, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Im Rahmen der Ausstellung kehren nun einige der über 600 Gemälde, die Makart in den drei Jahrzehnten seiner Malerkarriere geschaffen hat, wieder an den Ort ihrer Erstpräsentation zurück. Dem Ausstellungskonzept liegt keine chronologische Nachzeichnung des künstlerischen Werdegangs zugrunde, vielmehr folgen thematisch und topografisch gegliederte Schlaglichter auf Makart der leitmotivischen Fragestellung nach den Gründen für seine Popularität und den Rahmenbedingungen für seinen außergewöhnlichen Status und beleuchten die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Künstler, Gesellschaft und Stadt. Die Ausstellungsarchitektur greift diese Vielschichtigkeit auf und übersetzt sie in Bilder. In neun Stationen thematisiert die Ausstellung wesentliche Aspekte in Makarts Werk und Wirken. Die architektonische und grafische Gestaltung hält einerseits eine zeitgemäße Übersetzung des großen theatralischen Auftritts von Makarts Bildern bereit. Exponate von dokumentarischem Charakter wie Fotografien und Erinnerungsgegenstände ermöglichen andererseits gleichsam einen Blick hinter die Kulissen. Eine im Wortsinn vielschichtige Szenografie ermöglicht sowohl das Eintauchen in die Makart-Zeit, bietet aber auch eine bewusst zeitgenössisch gehaltene Kommentarebene, die auf moderne Elemente im Werk Makarts verweist. Im Fokus der Ausstellung steht Makarts Wirken in Wien in den Jahren zwischen 1869 und 1884. Ausgewählte Vergleiche zu anderen europäischen Kunstzentren situieren das Phänomen Makart als durchaus zeittypisch im Kontext des Künstlerkults. Gerade in dieser Gegenüberstellung zeigt sich jedoch auch, dass es der spezifischen Konstellation von Makarts künstlerischem Talent, der baulichen Neuerfindung der Stadt und einer Wiener Gesellschaft im Umbruch bedurfte, um die außergewöhnliche soziale Rolle Makarts als „Malerfürst“ und Trendsetter zu ermöglichen. Das Atelier Ausgangspunkt der Ausstellung und Inbegriff des Makart-Stils ist sein Atelier, das er bewusst zur Repräsentation und Selbstinszenierung als „Malerfürst“ gestaltete. Es war weit mehr als eine Malerwerkstatt oder der Ausstellungsort seiner neuesten Schöpfungen, es wurde zum Aktionsraum für gesellschaftliche Ereignisse. Diese üppig ausgestattete Wunderkammer in der Gußhausstraße bot die Bühne für zahlreiche Kostüm- und Künstlerfeste und wurde so zum gesellschaftlichen Mittelpunkt wie zur Touristenattraktion. In bisher nicht gekannter Konsequenz dehnte Makart seine künstlerischen Ideen auf seine gesamte Umgebung aus, Leben

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und Kunst verschmolzen zu einem dekorativen Gesamtkunstwerk. Makarts ästhetische Dominanz wurde namensgebend für eine bestimmte Art des bürgerlichen Interieurs im späten 19. Jahrhundert. Fotografische Ansichten aus Makarts Atelier und Möbel der Zeit geben davon einen Eindruck.

Der Makart-Festzug Diese historistische Idee bildete die geistige Grundlage für Makarts größten Erfolg: Für den Huldigungsfestzug anlässlich der Silberhochzeit des Kaiserpaares Franz Joseph und Elisabeth im April 1879 fungierte Makart als Arrangeur eines Massenspektakels, bei dem der Prachtboulevard Ringstraße zugleich Bühne und Kulisse war.

Makarts Vorstellungen von einer Kunst als universellem System entsprechend, entstand seine Malerei häufig im Zusammenhang mit – erdachten oder tatsächlichen – Raumgestaltungen. Die architektonische Gebundenheit seiner Werke, seine prächtigen Interieurs, die als Farbräume rezipiert wurden, galten als Novum.

Ein zentraler Sammlungsbestand des Wien Museums – hunderte Objekte zum Festzug, von den Originalwerken Makarts über Fotografien, Zeichnungen und Druckgrafiken bis hin zu Kostümen und Teilen der Prunkwagen – ermöglicht es, eine Vorstellung von diesem Event in der Ausstellung lebendig werden zu lassen. Als Zeremonienmeister für das bis dahin größte ephemere Kunstwerk in Wien konnte Makart das Bedürfnis einer entsprechenden Inszenierung des Bürgertums befriedigen, gleichzeitig stellt sich die Frage nach dem Adressaten des Huldigungsfestzuges: Ging es um eine Huldigung des Kaiserpaares, des Bürgertums, das in Zünften organisiert und in von Makart entworfenen historischen Kostümen den Ring entlangpromenierte, oder gar um eine Apotheose des Künstlers selbst? Schon Zeitgenossen war das Großereignis als Makart-Festzug bekannt, und unter diesem Namen ging er auch in das kollektive Gedächtnis ein. Im Sinne eines im 19. Jahrhundert verbreiteten Künstlerkults konnte Makart als schöpferisches Genie zum bürgerlichen Helden und säkularisierten Fürsten werden.

Makarts Ruf als herausragender Dekorateur und Farbvisionär eilte ihm aus München voraus und verhalf ihm zu Aufträgen in den neu entstehenden Prachtbauten entlang der Ringstraße. Diese zeugten im Öffentlichen – mit Theater, Oper, Parlament und Rathaus – wie im Privaten vom wirtschaftlichen Erfolg des Bürgertums, der aufstrebenden Macht des 19. Jahrhunderts. Allerdings war bei diesen prestigeträchtigen Aufgaben die Konkurrenz von anderen Künstlern – nicht zuletzt den weniger bekannten Rahl-Schülern – besonders groß. Eine Ausstellungssequenz zeigt neben Makarts Werken auch Arbeiten anderer Künstlertypen, wie jene des gesellschaftlich arrivierten „Hofmalers“ Canon oder des akademischen Dandys Feuerbach, die gleichfalls beachtliche Erfolge für sich verbuchen konnten. Unbestritten ist, dass Makarts Kunstauffassung dem bürgerlichen Repräsentationsbedürfnis des RingstraßenZeitalters entsprach. Die neu entstehenden privaten Palais und öffentlichen Großbauten waren nicht zuletzt der architektonische Ausdruck der sozioökonomischen und politischen Verhältnisse. Für das Bürgertum ging es bei der Suche nach adäquaten Repräsentationsformen um eine „invention of traditions“, wie es der englische Sozialhistoriker Eric Hobsbawm formulierte. Das Leitbild der Zeit war das erstarkende Bürgertum der Renaissance. Von diesem ausgehend, wurde die geschichtliche Vision einer kulturellen und geistigen Entwicklung zur gesellschaftlichen Vormachtstellung des Bürgertums verfolgt, als deren Gipfelpunkt die eigene Zeit angesehen wurde. Im Rückgriff auf eine gezielt gesuchte Vergangenheit sollte Identität in der Gegenwart gestiftet werden.

Makarts Kunst basierte zu einem nicht geringen Anteil auf einem neuartigen, partizipativen Verhältnis zu seinem Publikum, das sowohl im Atelier wie auch im Festzug zum bereitwilligen Teil einer künstlerischen Performance wurde. Am Beispiel Makarts werden somit moderne Phänomene wie das Event, die visuelle Masseninszenierung und der Starkult greifbar, die im 19. Jahrhundert entstanden sind und bis heute gesellschaftliche Relevanz haben. Moderne Malerei aus der Mitte der Gesellschaft Gleiches gilt für die Vermarktung seiner Kunst – und seiner Person. Die gezielte Provokation durch leichte Überschreitung des ‚guten Geschmacks‘ und der instrumentalisierte Skandal förderten Makarts Bekanntheit. Durch großformatige Ölgemälde mit erotisch-morbiden Motiven, sogenannte „Sensationsbilder“, gelang ihm der künstlerische Durchbruch. Seine Bilder setzten auf die suggestive Kraft ihrer Farbreize und vernachlässigten traditionelle Bildinhalte zugunsten einer rein malerischdekorativen Auffassung. Oft als „pompös“ oder „dekadent“ eingeschätzt, stellt die Ausstellung das moderne malerische Potenzial Makarts in den Vordergrund.

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Ein Jahr vor seinem Tod entstand etwa ein achtteiliger Bilderzyklus mit Motiven aus Richard Wagners Ring des Nibelungen. Diese Gemälde beweisen einmal mehr, dass Makart neue künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten rein aus seiner Malerei entwickelte. In einer Vorwegnahme des Secessionsstils verweist Makart auf eine zukünftige Entwicklung. Vier dieser außergewöhnlichen Arbeiten aus Makarts Spätwerk sind im Rahmen der Ausstellung zum ersten Mal seit der Erstpräsentation 1883 wieder vereint in Wien zu sehen. Makarts von wechselseitiger Inspiration geprägtes Verhältnis zu Oper und Musik, Theater und Schauspiel bildet einen weiteren Schwerpunkt der Ausstellung. In seiner Auseinandersetzung mit den Bühnenkünsten entwarf er zum einen Theatervorhänge, etwa für das Wiener Stadttheater oder die Komische Oper, zum anderen fand die Opulenz seiner Malerei in der Gestaltung von Bühnenbild und Kostümen ihren Niederschlag: Die Bühnen Wiens setzten seit 1870 auf den visuellen Reiz und bildhafte Inszenierungen. Makarts Verbindungen zur Welt der Bühne beruhten aber auch auf persönlichen Kontakten. Das fruchtbarste Zusammenspiel von Bühnenkunst und Malerei fand sich in der Person von Charlotte Wolter. Makart war eng mit der umjubelten Burg-Tragödin befreundet, porträtierte sie in ihrer Paraderolle als „Messalina“, deren Kostüm wiederum von ihm inspiriert war – ein Highlight in der Sammlung des Wien Museums. Das ‚Gipfeltreffen‘ der beiden Wiener Superstars Makart und Wolter, von Maler und Modell, ist in einem Fotoshooting festgehalten, das Eingang in populäre Sammelalben gefunden hat und gemeinsam mit dem beeindruckenden Gemälde präsentiert wird. Als Porträtist fand Makart vor allem bei den Damen der Wiener Gesellschaft großen Anklang, bei denen es Mode wurde, für Makart Modell zu sitzen. Seine Klientel kam aus befreundeten Künstlerkreisen, Aristokratie und Großbürgertum. Großer Beliebtheit erfreuten sich seine Damenbildnisse im historisierenden Kostüm der Renaissance oder des Barock. Auf einigen dieser Bilder steigerte Makart die stoffliche Sinnlichkeit zu erotischen Motiven. Von starken Sinneseindrücken zeugen auch die an populärkulturelle Erscheinungen gekoppelten Begriffe, die von Makart geblieben sind: vom MakartRot und Makart-Bouquet bis hin zum Makart-Hut und zum Makart-Baiser. Im Blick sowohl auf den Kult um Makart zu Lebzeiten als auch auf das schnell nachlassende Interesse an seiner Person nach seinem Tod, wird deutlich: Wie kaum ein anderer Künstler ist Makart Ausdruck des Zeitgeistes. Makarts Verbindung zum flüchtigen Phänomen der Mode, seine Klassifizierung als Maler des Mainstreams steht im Gegensatz zu einem heute weitverbreiteten Verständnis von Kunst als Avantgarde. Doch darin ist

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auch eine eigene Qualität zu erkennen. Makart schaffte es nicht nur, für anderthalb Dekaden eine Kongruenz seiner Kunst mit dem Lebensgefühl in Wien herzustellen, seine Malerei hebt sich zugleich in einer unverwechselbaren individuellen Handschrift aus der zeitgenössischen europäischen Kunstproduktion deutlich heraus. Mit einem Künstler, der aus der Mitte der Gesellschaft und nicht als deren Außenseiter agiert, fügt die Ausstellung Makart. Ein Künstler regiert die Stadt dem Bemühen um das Verständnis einer Epoche, die nicht weniger komplex ist als unsere Gegenwart, eine weitere Facette hinzu. Ralph Gleis Kurator der Ausstellung


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Ralph Gleis

Phänomen Makart Künstlerkult im 19. Jahrhundert

F 1 Hans Makart zu Pferde im Festzugskostüm (Detail), 1879 Atelier Victor Angerer Wien Museum Kat.-Nr. 8.103

ast zeitgleich mit dem Bau des ersten Wolkenkratzers 1879 in Chicago als weithin sichtbares Symbol der Moderne,1 reitet ein Mann im Rubens-Kostüm über die Wiener Ringstraße und bahnt sich auf seinem Schimmel den Weg durch applaudierende Menschenmassen. Was heute skurril anmuten mag, kommentierte ein Zeitzeuge wie folgt: „Makart, gleich einem Gott, erschien in wundervollem Kostüm auf einem prachtvollen weißen Zelter“, er empfing „die jubelnden Huldigungen einer entzückten Menge und die stürmischen Zurufe: Hoch, Hans Makart! Makart soll leben!“ 2

Makart-Zeit

Angesichts dieser Worte wundert es nicht, dass der Festzug, in dem Makart der ‚Vorreiter‘ der versammelten Künstlerschaft war, schon bald nach ihm benannt wurde, obschon er als Huldigung anlässlich der Silberhochzeit des Kaiserpaares abgehalten wurde (Abb. 1). Die ganze Wiener Gesellschaft folgte der Choreografie, die Makart als künstlerischer Leiter in wenigen Wochen ersonnen hatte. Ohne Zweifel: Der Maler Hans Makart hatte den Zenit seines Ruhmes erreicht und war in Wien

Im engeren Sinn wird damit die kurze Phase des Wirkens Makarts in Wien bezeichnet, die aufgrund seines frühen Todes mit 44 Jahren nur von 1869 bis 1884 währte. Im weitesten Sinn wird der Begriff auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts angewendet. Aus kulturgeschichtlicher Sicht ist es die etwas unbequeme Inkubationszeit der Moderne. Karl Marx arbeitete seit 1867 an seinem Hauptwerk Das Kapital, die Lehren Charles Darwins wurden durch sein Buch The Decent of Man von 1871

der alles überragende Künstler, der Star der zweiten Jahrhunderthälfte. Mehr noch, sein Einfluss auf den Lebensstil jener Zeit war so groß, dass nicht nur das Makart-Bouquet ein feststehender Begriff mit eigenem Eintrag im Konversationslexikon wurde,3 die MakartMode erstreckte sich auch auf die Kleidung und den Einrichtungsstil. Die Menschen der Ringstraßenzeit wohnten im Makart-Interieur, wie es die Nachwelt nannte. Es wurde gar von der Makart-Zeit gesprochen.4

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2 Hans Makart Die Pest in Florenz – Entwurf zur Dekoration einer Loggia, 1868 Kunstmuseum St. Gallen Kat.-Nr. 2.2

bekannt, Friedrich Nietzsche schrieb zwischen 1873 und 1876 seine Unzeitgemäßen Betrachtungen, zugleich war es die Hochzeit der Musik Richard Wagners. Der Historismus als grundlegende Denkfigur des gesamten 19. Jahrhunderts bedeutete ein Experimentierfeld im Wandel von den geschlossenen Kunstsystemen vorangegangener Zeiten hin zu einer Individualisierung in der Kunstproduktion. Diese Übergangszeit in der Kunst ist nur vor dem Hintergrund einer gravierend geänderten gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Situation zu verstehen. Das politische System der Monarchie verschob sich von der Vormachtstellung des Liberalismus hin zu drei sich etablierenden Lagern mit der Arbeiterbewegung, den Christlichsozialen und einem nach rechts driftenden Nationalismus. In den 1870er-Jahren standen sich enormer wirtschaftlicher Aufschwung, Fortschrittsglaube und Positivismus auf der einen sowie Wiener Börsenkrach von 1873, Fatalismus und Eskapismus auf der anderen Seite gegenüber. In einer Zeit des Um- und Aufbruchs, des Fortschritts und der Dynamisierung rückte die Welt näher zusammen. Eisenbahn und Dampfschiffe verbanden nun Kontinente, Telegrafenkabel wurden sogar durch den Atlantik gelegt. Über massenhaft verlegte Bücher und illustrierte Zeitschriften konnte sich jeder ein Bild von der Welt machen. Vor allem dem aufstrebenden Bürgertum schien durch den menschlichen

Forscher- und Entdeckergeist nahezu alles möglich. Dieses neu erlangte Selbstbewusstsein fand in Wien seinen Ausdruck im Bau der Ringstraße, die der Stadt ein neues Gesicht gab, eine Verschiebung der schichtenspezifischen Wohngegenden bewirkte und einen öffentlichen Aktionsraum schuf. Der Prachtboulevard mit seinen vielfältigen Bauaufgaben bedeutete auch einen Neubeginn im Kulturgeschehen, entwickelte sich Wien damit doch zu einem der wichtigsten künstlerischen Zentren Mitteleuropas. Wie kommt es nun aber dazu, dass diese Zeit mit dem Namen eines Künstlers assoziiert wird? Geht man davon aus, dass eine Epoche zumeist nach dem Prinzip oder Phänomen benannt wird, das sie bestimmt, so gereicht dies dem Künstler einerseits zu höchsten Ehren. Andererseits verweist der Mangel an Alternativbegriffen auf eine Gesellschaft im Übergang mit dem Kennzeichen des unentschiedenen Nebeneinanders von Tradition und Erneuerung. In erster Linie hängt die Verknüpfung einer Zeit mit dem Namen Makart natürlich mit dessen ungeheurer Popularität zusammen. Es ist kein Anachronismus, im Zusammenhang mit dem Maler von einem echten Star zu sprechen, wurde er doch kurz nach seinem Tod wie folgt beschrieben: „An unserm Kunsthimmel war Makart unstreitig das prächtigste und weitestleuchtende Gestirn.“ 5

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An gleicher Stelle findet sich auch eine Begründung für diesen Ausnahmeerfolg: „Er kleidete den festlichen Gedanken der Stadt Wien seit Decennien in seine Farben, er befruchtete das Kunstgewerbe, lenkte den Geschmack, und die launenhafte Mode liess sich den Einfluss des stillen Meisters gefallen.“

seinem Zauber träumte Wien einen farbenrauschigen Märchentraum“ 11, meinten die einen, der Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin befand, Makart sei ein „Blender […], der kurze Zeit alles in Erstaunen setze – doch große Kunst [sei] anders“ 12. Beiden Aussagen ist gemein, dass Makart als eine Art Zauberer und Verführer gekennzeichnet wird. Dass seine Kunst über die vielschichtige Gesamtsituation in der Kaiserresidenz auf dem Weg zur modernen Großstadt hinwegtäuschte, wurde einerseits als angenehm empfunden, andererseits wurde die dahinter vermutete Verschleierungstaktik angeprangert.

Farbvisionär, Schnellmaler und universeller Gestalter Makarts künstlerische Talente machten ihn zu einer Ausnahmeerscheinung in der damaligen Kunstszene. Sein Ansatz einer alle Kunstsparten übergreifenden Totalgestaltung ist typisch für den Historismus und wurde schon von Zeitgenossen mit dem Begriff des Gesamtkunstwerks assoziiert. Makart strebte allerdings vor allem danach, „durch Zusammenfassung der Wirkung der Architektur, der Plastik und der Malerei den höchst möglichen decorativen Effect zu erreichen“.6 Seine Bilder sind in Kolorit und Formensprache hochdekorativ und häufig mit architektonischem Bezug zu einer Raumgestaltung erdacht. Der Komposition seiner Werke liegt vielfach ein additives Prinzip zugrunde. Am deutlichsten wird dies in der mehrfach verwendeten Darstellungsform des Reigens, in welchem die Körperformen in einer szenischen Aneinanderreihung ein Linienornament bezeichnen. Die Figuren folgen eher einem Rhythmus der Formen als einer stringenten Bilderzählung. Einzelne Figurengruppen können daher herausgelöst und an anderer Stelle des Frieses eingesetzt werden oder funktionieren auch als eigenständige Bilder.

Von der Kunst, berühmt zu werden 13 Neben seinem nicht zu leugnenden künstlerischen Talent brachte Makart aus seiner Studienzeit in München bei einem der bekanntesten Historienmaler der Zeit, Carl Theodor von Piloty, auch die entsprechenden Kenntnisse mit, um seine Kunst und Person perfekt zu vermarkten. Die große Konkurrenz unter der ständig steigenden Zahl der Künstler machte es im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie geradezu notwendig, sich durch die gewählte Selbstrepräsentation abzusetzen. Fast alle von Makarts Studienkollegen bei Piloty, wie Gabriel von Max, Franz von Lenbach oder Franz Defregger, wurden später ihrerseits berühmte Künstler. Die Verbindung von Historienbildern, die ein immer größeres Publikumsinteresse zu entfalten vermochten, mit dem aufkommenden Kunstmarkt brachte einen ganz neuen Typus des Künstlers hervor. Neu war auch die Art der Gemäldepräsentation als Einzelbildschau mit riesigen Leinwänden in einem ästhetischen Ambiente mit Renaissance-Skulpturen und Pflanzen sowie mit spezieller Ausleuchtung. Diese Ausstellungen, die als visuelle Ereignisse mediengeschichtlich den letzten Schritt vor dem bewegten Bild des Kinos darstellen, wurden durch ebenso findige wie kapitalkräftige Galeristen auf Tourneen durch ganz Europa geschickt. Die Folgen dieser Geschäftsidee beschrieb Ludwig Hevesi schon 1903 klarsichtig: „Diese Kunstgroßhändler oder Großkunsthändler sind eine ganz charakteristische Erscheinung der siebziger und achtziger Jahre. Sie haben zwar durch sogenannte Sensationsbilder und Reklamemalerei größten Stils das Publikum amerikanisiert, aber mitunter Ersatz für mangelnde große Staatsaufträge geboten.“ 14

Der gewagte Schwung von Makarts vielfigurigen Kompositionen, der alle körperlichen und räumlichen Dispositionen im Unklaren belässt, widerspricht einer aus dem disegno, der Zeichnung, entwickelten akademischen Maltradition. Er führt damit eine erhöhte Bewegungsdynamik in seine Bilderfindungen ein. Makart ist frei, frei von der akademischen Strenge, frei vom Primat der anatomischen Korrektheit, frei von thematischen Vorgaben, ganz an der Farbigkeit orientiert, die ihm zu einer Art Markenzeichen wurde. Als „Farbvisionär“ und „Farbenkobold“ 7 betitelt, sagte man dem brillanten Koloristen nach, er wäre der „Verkünder des seligmachenden Dogmas von der Farbe“ 8. Der Schnellmaler Makart experimentierte in seinen rauschhaften Bildern mit neuen Asphaltfarben, die für das damalige Publikum „etwas Fascinierendes, Suggestives“ hatten.9 Diese Fa-presto-Manier und das für Makart typische Changieren zwischen feinmalerischen Details und ungeglättet pastosem Farbauftrag ermöglichten es, am fertigen Gemälde einzelne Arbeitsschritte abzulesen, gewissermaßen den Schaffensakt im ästhetischen Nacherleben zu reproduzieren.10 Makarts Art der Malerei polarisierte, zwang aber in jedem Fall zu einer Auseinandersetzung. „Ein wunderbarer Schimmer ging von ihm aus: unter

Sicherlich hatten Einzelbildausstellungen schon Vorläufer im London des 18. Jahrhunderts mit Werken von Benjamin West oder John S. Copley.15 Vorbildlich für den Münchner Kunstbetrieb wurde auch die Ausstellungstournee der Großleinwände von den damals gefeierten belgischen Malern Louis Gallait und Édouard de Bièfve im Jahr 1843, die bezüglich der Farbigkeit und der Größe der Leinwände neue Maßstäbe setzte.16 Aber erst die

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angekauft und auf eine Tournee nach Berlin, Leipzig und Köln geschickt (Abb. 2). Als es von der Jury des Pariser Salons 1869 abgelehnt wurde, ließ die Einzelschau beim Galeristen Adolphe Goupil das Triptychon zur Sensation werden. Im inszenierten Kunstskandal trat eine weitere popularitätsfördernde Strategie des modernen Kunstmarkts zutage: Wie sein Studienkollege Gabriel von Max steigerte Makart die Publikumserwartung durch die gezielte Überschreitung der akademischen Norm. Der spätere Wiener „Malerfürst“ wusste sich bereits seit diesen Tagen durch die malerischen Mittel sowie die erotischen und morbiden Themen seiner Bilder immer im Gespräch zu halten.

3 Peter Paul Rubens Selbstporträt mit seiner Frau Isabella Brant in der Geißblattlaube, 1609 München Alte Pinakothek

Die Gründerzeit bot aber auch jenseits der Zusammenarbeit mit Kunsthändlern Möglichkeiten zum Erfolg am Kunstmarkt, wie das Beispiel Franz von Lenbachs (1836– 1904) beweist, der durch seine Porträts prominenter Zeitgenossen im gleichbleibenden Schema und auf Grundlage fotografischer Vorarbeiten zu einem der berühmtesten deutschen Maler wurde. Es ist die sich wechselseitig befördernde Bedeutung von Porträtiertem und Porträtierendem, die Lenbachs Karriere ab einem gewissen Zeitpunkt zum Selbstläufer machte, und ein strategisches Handeln, das ihm als Maler gekrönter Häupter eine ‚Marktführerschaft‘ sicherte.18 Ebenso wie Lenbach, nutzte Makart seit seiner Jugend die noch junge Fotografie als Quelle der Inspiration sowie als Medium der Selbstinszenierung. Makart erkannte früh die Bedeutung der Verbreitung seiner Kunst durch Fotografien wie auch druckgrafische Reproduktionen für die visuelle Kultur seiner Zeit. Neben den Wanderausstellungen seiner Sensationsbilder erhöhten diese neuen Bildmedien schon zu Lebzeiten Makarts Popularität weit über Wien hinaus. Ausstellungen wurden im 19. Jahrhundert bald als gesellschaftliches ‚Event‘ aufgefasst und die Malerei zu einem Massenmedium, das über die eigentliche Präsentation hinaus Verbreitung in der illustrierten Presse fand. Nie zuvor hatte die Malerei ein so großes Publikum und damit gesellschaftliche Relevanz.

Eisenbahn mit einem sich explosionsartig ausbreitenden Schienennetz ermöglichte letztlich das reisende Bild im internationalen Kunstmarkt. Hinzu trat der moderne Typus des Galeristen, der als Akteur im Kunstsystem an Einfluss gewann, indem er Künstler unter Vertrag nahm, die zu vom Markt alimentierten Selbstständigen geworden waren.17 Eine in diesem Sinne beispielhafte Karriere durchlebte der aus einfachen Verhältnissen in Ungarn stammende Maler Mihály von Munkácsy (1844–1900) in Paris, wo er zum gefeierten Star der Salonmalerei avancierte. Der dort führende Galerist Charles Sedelmeyer nahm sich seiner an und wusste durch geschicktes Agieren für seine Gemälde Höchstpreise zu erzielen. Dazu schickte er auch den Künstler samt seiner Werke zu einer mehrwöchigen Tournee durch die USA, wo sich eine finanzkräftige Käuferschaft fand. Unter diesen Voraussetzungen war das Ziel des Künstlers nicht mehr zwangsläufig die Teilnahme am akademischen Ausstellungsbetrieb des Salons, der inzwischen Werke zu Hunderten in dichter Hängung präsentierte. Eine durch einen renommierten Kunsthändler veranstaltete glanzvolle Einzelausstellung konnte nun genauso attraktiv erscheinen.

Der Kult des Künstlers Die Hinwendung zum Individualismus und zur Subjekti­ vität bedingte den Geniekult des 19. Jahrhunderts und legte nahe, Kunstwerke als Schöpfungen großer Persönlichkeiten anzusehen. Die Renaissance wurde als Zeit, in der die Malerei durch theoretische Schriften vom Handwerk in den Rang einer freien Kunst erhoben wurde und der Künstler vom Handarbeiter zum geistigen Schöpfer aufstieg, als vorbildlich angesehen.19 Mit der Beschreibung der Kunst als ars nobilis, als edle Fertigkeit, verband sich zudem der Anspruch auf eine Gleichrangigkeit von Künstler und Adligem.20 Künstlerlegenden wie die vom Besuch Alexanders des Großen im Atelier des

Makart erzielte seine ersten Erfolge unter eben diesen Vorzeichen. Sein dreiteiliges Werk Die Pest in Florenz wurde nach der Ausstellung im Wiener Künstlerhaus zur Jahreswende 1868/69 vom Kunsthändler Georg Plach

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geschichte in früheren Gesellschaftsformen nur Hofkünstlern durch ihre Unmittelbarkeit zum Regenten möglich war, ist der Künstler im bürgerlichen Zeitalter einerseits gleichsam ein Prototyp des sozialen Aufsteigers. Andererseits entwickelte sich als zeitgleiches Phä­ nomen der Künstlertypus des Bohemiens als Außenseiter der Gesellschaft. In der gesellschaftlichen Sonderstellung, die der Künstler erlangte, deutete sich bereits ein Phänomen an, das seine volle Bedeutung erst im Ästhetizismus der Décadence entfalten sollte. Der Kunst wurde die Funktion übertragen, „den Menschen über das Banale und Niedrige des Alltags“ zu erheben. Damit wurde die Kunst „zum Kult, der Künstler zum Priester“– oder auch zum „Genie und Fürsten in einer Person“.23 Der moderne Künstler als Dekoration des bürgerlichen Salons

Malers Apelles, von Karl V., der den Pinsel Tizians aufhebt, oder von Kaiser Maximilian I., der die Leiter Dürers hält, sollten dies bezeugen. Die Renaissance stand aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts am Beginn einer gesellschaftlichen Sonderrolle des Künstlers, und Jacob Burckhardts äußerst populäres Buch über die Cultur der Renaissance in Italien von 1860 unterstützte diese Sicht. Maler wie Raffael, der als „Günstling der Päpste und Freund von Fürsten […] in Glanz und großer Pracht“ lebte und ein beträchtliches Vermögen hinterließ,21 wurden zu gesellschaftlichen Leitbildern. Auch Albrecht Dürer und den Barockkünstler Peter Paul Rubens rechnete man im „19. Jahrhundert gerne zu den Ahnen bürgerlicher Kultur“.22 Für seine Kunst ebenso wie für seinen Lebensstil hoch verehrt, wurde der Malerfürst und Diplomat Rubens, der mit den Mächtigen und gekrönten Häuptern auf Augenhöhe verhandelte, zu einem großen Vorbild der Künstler (Abb. 3 und 4). Während diese Erfolgs-

Die Würdigung des Künstlers war im 19. Jahrhundert eng verbunden mit dem wirtschaftlich wie gesellschaftlich aufstrebenden Bürgertum. Demonstrativer Konsum und ein exklusiver Lebensstil gehörten zu den Möglichkeiten, den neu gewonnenen gesellschaftlichen Status zu dokumentieren. Die Kunst war zentrales Element der Repräsentation geworden und sollte Bedeutung generieren. Neben dem Bau von Palais, die fürstlichen Residenzen nachempfunden waren, dem Besuch von Ausstellungen und der Oper, „die ein großbürgerliches Unterhaltungsspektakel geworden“ 24 war, verschrieb man sich der Kulturförderung und Kunstsammlung, die lange Zeit Privilegien des Adels waren und das Ziel des Prestigegewinns und der Machtdemonstration verfolgten. Der Kunst kam in diesem Kontext eine neue Funktion zu, derer sich auch Künstler sehr bewusst waren. So schrieb beispielsweise Franz von Lenbach in einem Brief an Arnold Böcklin über das Kunstmäzenatentum im Wien der 1870er-Jahre: „Dabei wollen alle ihren Reichtum genießen und zeigen, wozu ihnen die Künste unentbehrlich sind.“ 25 Die Gesellschaft schmückte sich mit Kunst, aber auch mit Künstlern, die als gesellschaftlicher Sonderfall und Gegenbild des erwerbstätigen Geschäftsmannes stilisiert wurden: Je schwerer und düsterer das Leben des Politikers, des Geschäftsmannes, in diesen Tagen sich gestaltet, desto willkommener heisst man [...] [die Künstler, R.G.] – von diesem sorgenfreien, begeisterten Völkchen erwartet man Erheiterung nach den Sorgen des pflichtgemäßen Schaffens, daher der Salon und die öffentlichen, allgemeinen Vergnügen ihrer gar nicht entrathen können. So wurde denn der moderne Künstler zur unentbehrlichen Decoration unserer Soiréen, zum Arrangeur unserer Unterhaltungen, zum gesuchtesten Prunkobjekt des gesellschaftlichen Lebens.26

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4 Berta und Hans Makart im spanischen Kostüm (Detail), um 1882 Atelier Victor Angerer Wien Museum Kat.-Nr. 1.39


5 Władysław Glixelli Zepter für Jan Matejko, 1878 Krakau, National Museum Kat.-Nr. 1.78 6 Rudolf von Alt Hans Makarts Atelier in der Gußhausstraße, 1885 Wien Museum Kat.-Nr. 1.2

Der Künstler als Fürst

gedrängten Kostbarkeiten im weiten stützenlosen Raum vermittelten den Eindruck überbordenden Reichtums. Das Kuriose, das Merkwürdige und die Versatzstücke aus der Geschichte waren darüber hinaus Ausdruck einer zeittypischen historistischen Weltaneignung mit einer kosmopolitischen wie synchronistischen Dimension. Die gediegene Einrichtung im Stile einer Wunderkammer zielte darauf ab, die eigenen Gemälde in einer Sphäre der Kunst und Kultur zu präsentieren. Denn selbstverständlich wurde Makarts Originalität nicht nur in seinen Bilderfindungen, sondern auch im Arrangement der opulenten Ausstattung gefeiert. Das Atelier war in dieser Hinsicht ein geheimnisvoller Ort des Staunens und Betrachtens. Wie Balduin Groller 1884 schrieb, „kam kein kunstverständiger Fremder nach Wien, der nicht Alles aufgeboten hätte, um in dieses Atelier zu gelangen, das zu einer der vornehmsten Merk- und Sehenswürdigkeiten der schönen Kaiserstadt an der Donau geworden war“.29 Der Außenstehenden verschlossene Rückzugsraum, die Produktionsstätte des Malers, war in der Verbindung von Kunstgenuss und Schaulust äußerst reizvoll. Neben der Besichtigung der neuesten Gemälde hoffte der eine oder die andere wohl auch, den Meister bei der Arbeit und eventuell sogar eines von Makarts Aktmodellen zu sehen.

Der so umworbene Künstler musste Bildung und einen gehobenen Lebensstil nachweisen, um seinerseits gesellschaftliche Anerkennung zu finden: Der standesgemäße Umgang mit hochgestellten Persönlichkeiten, mit den Reichen und Mächtigen sowie die eigene Selbstdarstellung durch ‚fürstliches‘ Auftreten in Kleidung und Lebensweise waren entscheidend, um als „Malerfürst“ wahrgenommen zu werden. Zentral für die Zurschaustellung dieser gesellschaftlichen Position waren die Wohn- und Atelierräume. Schon in der Renaissance wandelte sich die Werkstätte des Handwerkers in ein repräsentatives Atelier des Künstlers. Ein wichtiger Aspekt war hierbei die eigene Kunstsammlung, die in Anlehnung an höfische Kunst- und Wunderkammern das Sammeln als „fürstlich-tugendhafte Handlung“ imitierte.27 In der Anhäufung kostbarer und exotischer Gegenstände wurde die ursprüng-liche Absicht des persönlichen Studiums deutlich überschritten. Die Sammlung hielt nicht länger Anschauungsmaterial für den Künstler bereit, sondern wurde zum Gradmesser des Wohlstands und damit zum Statussymbol. Die in diesem Sinne entstehende Künstlervilla wurde zur Residenz. Das Atelier ist somit ein neuzeitliches Phänomen und ein Korrelat des sozialen Aufstiegs des Künstlers.28

Makarts in den Nachmittagsstunden für zahlende Besucherinnen und Besucher geöffnetes Atelier, wo er regelrecht Hof hielt, avancierte zu einem gesellschaftlichen Mittelpunkt und zur Touristenattraktion.30 Abgesehen vom Ort wäre Vasaris Bericht über Tizians Atelier direkt auf Makart zu übertragen: „Sein Haus ist ein Treffpunkt von Fürsten, von Gebildeten und Herren, wer nur je Venedig besucht.“ 31 Das Bühnenhafte der gesamten Ausstattung machte das Atelier zur perfekten Kulisse für Geselligkeiten. Auf den Kostümfesten Makarts erschienen Künstler wie Piloty, Lenbach, Wagner und Schauspielerinnen wie Sarah Bernhardt und Charlotte Wolter. Immer wichtiger für das Image des Künstlers wurde jenseits seines Werks sein Lebensstil. In Presseberichten gab es ein reges Interesse an den Homestorys aus den Ateliers der Stars, die „fast vergleichbar zur Hofberichterstattung“ 32 erscheinen. Makarts Atelier setzte neue Maßstäbe und steht als herausragendes Beispiel für das Naheverhältnis zwischen Künstler und Breitenpublikum, zwischen Kunstproduktion und -rezeption in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Atelier war Erlebnisort und Weihestätte der Kunst und Pilgerziel seiner Fans.

Der Künstler des 19. Jahrhunderts bedurfte nicht mehr unbedingt der Anerkennung durch einen Fürsten, sondern er fand auch durch allgemeine Popularität und die Tatsache, dass sich durch Kunst viel Geld erwerben ließ, sein Ansehen in der Gründerzeitgesellschaft. Im Atelier kumulierten wesentliche Charakteristika dieser Gesellschaft: möglicher sozialer Aufstieg durch Bildung, Talent sowie Erwerbssinn und Zurschaustellung des erarbeiteten Wohlstandes. Daher kann es als höchste Ehrung und Auszeichnung verstanden werden, wenn Künstlern auf Staatskosten ein Atelier eingerichtet wurde, wie etwa 1850/1853 für den Maler Antoine Wiertz in Brüssel geschehen und wie es Makart 1869 bei seiner Übersiedlung nach Wien für sich in Anspruch nahm. Makarts Atelier als Residenz In München lernte Makart Formen der öffentlichen Kommunikation wie das Repräsentations- oder Schauatelier als Schnittstelle zwischen Kunst und Publikum kennen. In Wien bezog er ein aufwendig ausstaffiertes Atelier, das seine Selbstdarstellung als „Malerfürst“ unterstützte (Abb. 6). Die dicht

In der direkten Nachfolge von Makarts Repräsentationsatelier sind das Haus Munkácsy in Paris und Lenbachs Münchner Villa zu sehen. Ersteres war nicht bloß eine Sehenswürdigkeit, zu deren Besichtigung sich, wie bei Makart, Einheimische wie Fremde

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1 Hans Makart Panorama der Wiener Stadterweiterungszone (Detail), um 1873, Wien Museum Kat.-Nr. xx

7/8 Franz Rumpler Gruppe der bildenden Künstler im Festzug 1879 (zweiteilig), um 1880 Wien Museum Kat.-Nr. 8.99; 8.100

drängten, es bildete mit Soireen mit bis zu 800 ge­­ ladenen Gästen in den 1880er- und 1890er-Jahren auch einen Sammelpunkt der Pariser Welt. Munkácsys Einfluss auf die Kunstmetropole Paris ist jedoch nicht mit dem Makarts in Wien vergleichbar, bereicherte er die dortige Kunstszene doch nur um eine weitere Facette.

Malerei wurde auch hier das Heterogene zu einer Einheit zusammengefügt. Makarts Atelier kann somit als Spiegelbild und Verdichtung des historistischen Stilpluralismus interpretiert werden, womit der Name Makart für Wien zu Recht mit einer Epoche gleichgesetzt wird.

Auch wenn Julius Beck in einer illustrierten Reportage über Münchner Ateliers 1889 feststellte „Die Bilder unseres unvergesslichen Kaisers Willhelm I. und seiner Paladine Bismarck und Moltke können nicht unter Makartbouketts entstanden sein“,33 so ließ sich Lenbach doch bezüglich seines Lebensstils und seiner Vorstellungen von der sozialen Rolle des Künstlers durch seinen Freund aus Wien inspirieren. Seine 1887 bis 1891 entstandene Villa im Stil der florentinischen Renaissance wurde zum „Musterbeispiel einer zeitgemäßen Künstlerresidenz“.34 Für beide war wiederum Peter Paul Rubens mit seinem prachtvollen Palais in Antwerpen Vorbild. Lenbachs wie Makarts „wahrhaft fürstliche Haushaltung“ ist somit als „Realisierung eines aus der Geschichte gewonnenen Ideals“ 35 zu deuten.

Makart regiert Wien Die eingangs beschriebene Szene vom Festzug zur Silberhochzeit des Kaiserpaares wurde von Zeitgenossen als Apotheose Makarts interpretiert. Sieht man Makart in diesem Festzug reiten, so scheint er seinen persönlichen Triumph bereits in einem ein Jahr zuvor fertiggestellten Bild, Der Einzug Karls V. in Antwerpen, vorweggenommen zu haben (Abb. 9).37 Der Kaiser im Zentrum der Bildkomposition hoch zu Ross führt einen Tross von Reitern durch eine reich mit Blumen geschmückte Straße an, ein halbes Dutzend fast gänzlich unbekleideter Frauen geht voraus. Zwar scheinen Thema wie das monumentale Format des Bildes die Zuschreibung zur Historienmalerei zu rechtfertigen, aber Makart nahm die geschichtliche Episode lediglich als Anlass für ein Kostüm- und Farbenspektakel, das als Ausdruck des gegenwärtigen Lebensgefühls die Verankerung in der Geschichte sucht. Trotzdem wurde Makart nicht zuletzt wegen des internationalen Erfolges mit diesem Gemälde zum Professor für Historienmalerei an der Wiener Akademie der bildenden Künste ernannt. Mit dem höchsten akademischen Amt verbanden sich für Makart auch die ersehnte Anerkennung und die Möglichkeit zur Übernahme monumentaler Staatsaufträge.38 Das Bild, zu dem Makart wohl durch seinen Besuch des Festzugs zur Rubensfeier 1877 in Antwerpen inspiriert wurde, war ein grandioser Erfolg. Der auf Einblicke in das Gesellschaftsleben spezialisierte Reiseschriftsteller Paul Vasili berichtete:

Lenbach richtete sein Wohn- und Atelierhaus zugleich als künftiges Künstler-Museum ein. Auch nach Makarts Ableben brachte Rudolf Eitelberger beim Kabinettsdirektor Kaiser Franz Josephs, Freiherr von Braun, die Bitte vor, „das Makart’sche Atelier zu belassen, wie es ist“.36 Diese wurde jedoch abgelehnt. Ein Argument gegen die Musealisierung des Kultraumes war, dass er unlösbar mit seinem Schöpfer Makart verknüpft sei und ohne ihn seinen Glanz nicht bewahren könne. Das Atelier in der Gußhausstraße wurde zurecht häufig als Summe seines künstlerischen Selbstverständnisses gedeutet. Makarts Malerei, die ihre dekorative Wirkung oft durch eine friesartig figurale Anordnung in additiver Reihung entfaltet, fand eine Entsprechung in seinem Atelier. Programmatisch und exemplarisch für Makarts

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